Bachelorarbeit, 2015
41 Seiten
Abstract: Coworking als neue Form der Arbeitsorganisation
Abstract: Coworking as a new form of work organization
Abbildungsverzeichnis
1 Einleitung
2 Historischer Wandel von Arbeitsorganisation
2.1 Vom Fordismus zum Post-Fordismus
2.2 Entgrenzung von Arbeit
2.3 Subjektivierung von Arbeit
2.4 Digitalisierung von Arbeit
3 Entstehung und Charakterisierung des Phänomens Coworking
3.1 Coworking - Entwicklung einer neuen Arbeitsform
3.2 Coworking - Eine Begriffsdefinition und Abgrenzung von verwandten Konzepten
3.3 Fünf Kernwerte der Coworking Kultur
3.1.1 Community (Gemeinschaft)
3.1.2 Accessibility (Zugänglichkeit)
3.1.3 Collaboration (Zusammenarbeit)
3.1.4 Openness (Offenheit)
3.1.5 Sustainability (Nachhaltigkeit)
3.4 Coworking - Status Quo und Nutzeranalyse
4 Ein typischer Coworking Space
4.1 Business Model Canvas
4.2 Ein typischer Coworking Space - Geschäftsmodell
4.2.1 Customer Segments/ Kundensegmente
4.2.2 Value Proposition/Nutzerversprechen
4.2.3 Channels/Kanäle
4.2.4 Customer Relationship/Kundenbeziehungen
4.2.5 Revenue Stream/Einnahmequellen
4.2.6 Key Resources/Schlüsselressourcen
4.2.7 Key Activities/Schlüsselaktivitäten
4.2.8 Key Partners/Schlüsselpartnerschaften
4.2.9 Cost Structure/Kostenstruktur
5 betahaus Berlin - Praxisbeispiel Coworking Space
6 Zusammenfassender Ausblick
i.Literaturverzeichnis
Die Arbeitswelt erfährt einen Wandel, der seit mehreren Jahren immer flexiblere, mobile und digitale Formen von Arbeitsorganisation fordert und auf die Bedürfnisse einer neuen Generation von Wissensarbeitern, vor allem in der Kultur- und Kreativbranche, angepasst wird. Aufgrund steigender Tendenz von selbständigen Arbeitsverhältnissen entwickeln sich immer mehr atypische Formen von Arbeit, unter anderem das Phänomen des Coworkings. In der vorliegenden Arbeit werden nicht nur Ursachen für diesen Wandel untersucht, sondern auch das Geschäftsmodell eines Coworking Spaces anhand des Business Model Canvas erklärt und die zukünftige Bedeutung des Coworking prognostiziert. Die Auswertung aktueller Fachliteratur und Studien bildet die empirische Basis der Ausführungen. Mit Hilfe dieser Methoden wird eine etwaige Zukunftsprognose erstellt. Neue Formen der Arbeitsorganisation werden Normalarbeitsverhältnisse nicht ersetzen, jedoch sind für die moderne Arbeitswelt Alternativen als Bewältigungsstrategie für die Entgrenzung, Subjektivierung und Digitalisierung von Arbeit unabdingbar. Das Coworking erfüllt eine Vorbildfunktion für atypische Beschäftigungsverhältnisse, welches mit einer besonderen Kultur und eigener Philosophie einen Mehrwert auf mehreren Ebenen schafft, und dessen Vormarsch in andere Bereiche wie beispielsweise dem stationären Handel gerade erst begonnen hat.
For several years now, the world of work has experienced a tremendous transformation and demands evermore flexible, mobile, and digital forms of work organization. This advancing shift needs adjusting for a new generation of knowledgable workers, specifically in the cultural and creative sectors. Due to an increasing trend of self-employment, atypical forms of work have developed, among others, the phenomenon of coworking.
This exposition will analyze the cause of the aforementioned changes, explain the business model of typical coworking spaces (based on the Business Model Canvas), and predict the future importance of coworking itself. The evaluation of current studies and literature help to form the empirical basis of the paper’s remarks and using these methods can create a possible forecast for the future. New ways of work organization will not simply replace common employment. These alternatives are indispensable coping strategies for the dissolution of boundaries, subjectification, and digitizing of work. Coworking exists as a role model for atypical employment; as it creates a special culture, it’s own philosophy, and adds value on several different levels. Furthermore, its rise in other areas such as the retail sector has just begun.
Abbildung 1: Die fünf Kerwerte des Coworkings
Abbildung 2: Anzahl Coworking Spaces weltweit von Oktober 2010 bis Oktober 2014
Abbildng 3: Prognose Anzahl Coworking Spaces weltweilt bis Oktober 2018
Abbildung 4: Die neun Bausteine des Business Modell Canvas
Abbildung 5: Verteilung der Berufsgruppen in Coworking Spaces von 2010 bis 2012
Abbildung 6: Mustergrundriss eines typischen Coworking Spaces
Abbildung 7: Frontansicht betahaus Berlin
Abbildung 8: Raumprogramm und Nutzungsdiagramme betahaus Berlin
Die Arbeits- und Büroorganisation steht aufgrund der Entwicklungen von Normalarbeits- hin zu atypischen Beschäftigungsverhältnissen und neuen Formen der Selbstständigkeit in den letzten Jahren gegenwärtig vor großen Herausforderungen.1 Mittlerweile bestimmt unser Arbeitsverhältnis fundamental unseren persönlichen Lebensstil und die neuen Formen von Arbeit zeichnen sich durch mehr Freiheit, Flexibilität und Eigenverantwortung aus.2 Vor allem innerhalb der Informations- und Kommunikationstechnologie und der Kreativbranche scheint das Arbeiten zu festen Kernarbeitszeiten von einem Arbeitsplatz längst überholt. Moderne Technologien, wie immer leistungsfähigere mobile Computer, eine schnelle Internetverbindung, kleine mobile Speichermedien oder Cloud Computing begünstigen einen mobilen und flexiblen Arbeitsstil, egal wann und wo.3 Auch der kontinuierliche Anstieg von Selbstständigen in Deutschland ist ein Indikator für den „Zeitgeist der Arbeitswelt“. „Das statistische Bundesamt zählte 2014 rund 1,27 Millionen Selbstständige - so viel wie noch nie.“4 Zu der Gruppe der freien Kulturberufe zählen mit steigender Tendenz 299.000 Personen (entspricht 23,5 Prozent) im Jahr 2014.5 Reaktionen und Umstrukturierungen der Kultur- und Kreativwirtschaft werden von Unternehmen und Arbeitgebern mit besonders großem Interesse verfolgt, denn sie gelten „als wichtigster Motor für die Entwicklung der postindustriellen Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft.“6
Die Autonomie und Unabhängigkeit der kreativ und selbstständig Arbeitenden führt allerdings auch zu Problemen wie räumliche und soziale Isolation, mangelnde Sicherheit und Unterstützung, fehlender Informationsaustausch, ungeregelte Arbeitszeiten und Entgrenzung von Arbeits- und Privatleben.7 Coworking bietet eine Alternative zum Arbeiten am heimischen Schreibtisch oder in Cafés und ist zudem ein Ergebnis aktiver Suche nach Strategien zur Bewältigung von Problemen durch entgrenzte Arbeit und der Digitalisierung.8 Überall auf der Welt entstehen Coworking Spaces - ein urbanes Phänomen, das sich größtenteils unabhängig voneinander in unterschiedlichen Städten entwickelt hat.9
Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, in einem ersten Schritt die Entstehung des Phänomens Coworking zu erläutern, in einem zweiten Schritt das Geschäftsmodell eines typischen Coworking Spaces mit Hilfe des Business Model Canvas zu untersuchen, und in einem dritten Schritt die gegenwärtige als auch zukünftige Bedeutung zu evaluieren. Dies geschieht auf Grundlage der Auswertung aktueller Fachliteratur und Studien sowie der Berücksichtigung medialer Berichterstattung. Des Weiteren hat die Autorin das betahaus in Berlin besucht und genauer untersucht, um ein Gefühl für die Atmosphäre und den Aufbau eines typischen und erfolgreichen Coworking Spaces zu bekommen und um die gewonnenen Erkenntnisse in die Arbeit mit einfließen zu lassen.
Die zentrale These der vorliegenden Arbeit ist, dass Coworking einen Mehrwert gegenüber herkömmlichen Arbeitsverhältnissen und atypischen Alternativen besitzt, welcher dem Geschäftsmodell Coworking Spaces eine Berechtigung in der Zukunft sichert.
Um sich dem Forschungsgegenstand Coworking anzunähern sowie den Hintergrund für die Entwicklung zu neuen Arbeitsformen darzulegen, wird als Einstieg in die Thematik zunächst ein Überblick über den historischen arbeitsorganisatorischen Wandel, beginnend bei frühkapitalistischen Formen der Arbeitsorganisation über Kernelemente des Taylorismus, Fordismus sowie Postfordismus gegeben. Anschließend stehen die räumlichen Ausprägungen des arbeitsorganisatorischen Wandels sowie Mechanismen selbstorganisierten Arbeitens im Mittelpunkt der Betrachtung.
Kapitel zwei thematisiert den Begriff Coworking, beginnend bei der Entstehung der Bewegung bis hin zu ihrer heutigen Verbreitung. Neben der Darstellung verschiedener Definitionen der neuen Arbeitsform sowie deren Abgrenzung zu verwandten Arbeitskonzepten, beinhaltet Kapitel zwei die fünf Kernwerte der Coworking Kultur, die als logische Folge von Subjektivierungstendenzen im Postfordismus entstanden sind.
Als Basis für die Erläuterung des Geschäftsmodells eines typischen Coworking Spaces wird in Kapitel drei zunächst das Business Model Canvas von Alexander Osterwalder und Yves Pigneuer vorgestellt. Anschließend erfolgt die detaillierte Erklärung des Coworking Space Modells anhand der neun Canvas Bausteine. Dabei sollen die verschiedenen Komponenten und ihre Interaktion miteinander innerhalb der Geschäftsidee verstanden werden. In Kapitel vier wird das betahaus in Berlin als ein erfolgreiches Praxisbeispiel eines Coworking Space Konzepts zusammenfassend vorgestellt und sowohl Erfolgsfaktoren als auch Verbesserungspotenziale aufgezeigt.
Die historische Betrachtung des Wandels der Arbeitswelt, die Darstellung des Status Quo und die Analyse des Geschäftsmodells eines typischen Coworking Spaces erlauben eine Prognose für die Zukunft kollaborativer Arbeitsräume mit Schwerpunkt auf die Fragestellung nach der Bedeutung des Coworkings.
Um das Phänomen des Coworkings umfassend zu beschreiben, wird in den folgenden Gliederungsabschnitten der historische Wandel von Arbeitsorganisation, und die damit einhergehenden Entwicklungen und gegenwärtig zu beobachtenden Folgen der Entgrenzung von Arbeit, der Subjektivierung von Arbeit sowie der Digitalisierung von Arbeit erläutert. Darüber hinaus werden die einhergehenden Anforderungen und Risiken der neuen Arbeitsform zusammengefasst und die Grundlage ihrer Entstehung, resultierend aus neuen Bedürfnissen an die Arbeitsplatzgestaltung, aufgezeigen.
Sowohl der gesellschaftliche als auch der arbeitsorganisatorische Wandel führt zu einer Entwicklung, die dem Trend „weg von Normalarbeitsverhältnissen, hin zu atypischen Beschäftigungen“ und neuen Formen der Arbeit entspricht. Dabei ist die Abgrenzung von „alten“ und „neuen“ Arbeitsformen nicht trennscharf. Aus diesem Grund werden „neue“ Arbeitsformen häufig darüber definiert was sie nicht sind - keine fordistischen Arbeitsformen.10
Als Fordismus bezeichnet man zum einen die nach dem Ersten Weltkrieg etablierte Form industrieller Warenproduktion in der Automobilindustrie, namentlich auf den US-amerikanischen Industriellen Henry Ford zurückführen.11 So beschreibt der Fordismus auch das Zeitalter des Taylorismus, welcher durch übergreifende Leitgedanken wie Ordnung, Hierarchie, Überwachung und Depersonalisation gekennzeichnet ist. Sowohl in Bezug auf die Anforderung an die Mitarbeiter als auch bei deren Ausstattung existierten kaum Unterschiede.12 Arbeitsorganisatorisch wird dieser stark kontrollierte und hierarchische tayloristisch-fordistische Idealtypus von Arbeit als „Versachlichung“ menschlicher Fähigkeiten bezeichnet und deswegen auch häufig mit der standardisierten Arbeitsweise einer Maschine verglichen.13
Zusätzlich befasst sich der Begriff des Fordismus mit „der sozialen Integration der Arbeiterklasse hinsichtlich Löhnen, Arbeitszeit und Preisgestaltung.“14 Über Jahrhunderte war die Familie Dreh- und Angelpunkt menschlicher Entwicklung.15 „Ein unbefristeter, fester, sicherer Arbeitsplatz, seltene Arbeitsplatzwechsel, eine klare räumliche und zeitliche Trennung von Arbeit und Freizeit sowie ein traditionelles Familienmodell mit einem männlichen Alleinverdiener“16 zählten zu den gängigen - wenn auch hier vereinfacht dargestellten - Attributen des Fordismus.
In den 1970er Jahren zeichnete sich ein erster Wandel zu postfordistischen Arbeitsmodellen ab und man erkannte im Laufe der Zeit, dass sich die Arbeitsleistung der Mitarbeiter steigern lässt, wenn man den Arbeitsplatz auf ihre individuellen Bedürfnisse anpasst. Das Arbeitsumfeld wurde nicht ausschließlich an den Erfordernissen des Produktionsprozesses ausgerichtet, sondern auch ergonomische und psychologische Erfordernisse wurden mit einbezogen.17 So fanden in den 1980er Jahre neue Organisationsformen der Arbeit immer mehr Zuspruch und dienten der angestrebten Humanisierung der Arbeit.18 Der Fordismus zeichnet sich im Gegensatz zum Postfordismus vorrangig durch die Individualisierung der Bedürfnisse des Einzelnen, durch zunehmende Verschmelzung von Arbeits- und Privatleben und ein hohes Maß an Vielfalt aus. Die Anforderungen an Selbstständigkeit, Flexibilität und Qualifikation stiegen stetig an.19 „Es wird ein intelligentes Wissensmanagement des Einzelnen erforderlich mit besonderer persönlicher Motivation und Disziplinierung.“20 Denn auch Unbestimmtheit und Unvorhersehbarkeit sind entscheidende Merkmale der neuen Arbeit, die eine wichtige Rolle im Wandel der Arbeitswelt spielen.21
Die Entgrenzung von Arbeit ist eine Folge aus vorangegangener tayloristisch-fordistischer Dynamisierung sowie Deregulierung und begründet die Abkehr von ehemals starren Arbeitsstrukturen.22 Vor dem Hintergrund sich verändernder Marktbedingungen und den Erfordernissen gesteigerter Produktivität und Kostensenkung im Zuge internationaler Wettbewerbsfähigkeit meint Entgrenzung die Auflösung bekannter Arbeitsverhältnisse, welche in der Literatur häufig als das „Ende des Normalarbeitsverhältnisses“ bezeichnet wird. Beispiele dafür sind unter anderem das Outsourcing23 von Angestellten, die Beschäftigung freier Mitarbeiter für Projektarbeiten sowie das Abflachen der Hierarchien innerhalb der Betriebe. Nach Voß und Jurczyk umfasst der Trend der Entgrenzung neben diesem Wandel betrieblicher Organisation zudem alle weiteren sozialen Ebenen und Strukturierungen von Arbeit - begonnen bei der Arbeitsorganisation und dem damit verbundenen Arbeitshandeln bis hin zur Flexibilisierung räumlicher und zeitlicher Aspekte von Arbeit.24 Die Tragweite der Entgrenzung von Arbeitsverhältnissen verdeutlichen Voß und Jurczyk anhand verschiedener Dimensionen des unmittelbaren Arbeitshandelns. Dazu zählt zum einen die räumliche Entgrenzung von Arbeit, innerhalb welcher Mitarbeiter nicht länger räumlich an einen Betrieb gebunden sind, sondern ortsunabhängig und flexibel, beispielsweise in Home-Offices und Cafés arbeiten. Zum anderen erfolgt eine immer stärkere technische Entgrenzung von Arbeit, indem IT- und Kommunikationssysteme in Betrieben verwendet werden, die häufig nur noch grobe Strukturierungsvorgaben für den Arbeitsprozess liefern. Schlussendlich führen all diese Dezentralisierungsstrategien, wie Gruppenarbeit, projektförmiges Arbeiten sowie Outsourcing zu einer sozialorganisatorischen Entgrenzung von Arbeit. Als Folge dieser Rationalisierungsmaßnahmen sind Arbeitnehmer in immer stärkerem Maß gezwungen, ihre Arbeitsplatzgestaltung eigenständig zu organisieren und zu strukturieren. Dies gilt ebenso für die zeitliche Entgrenzung von Arbeit, welche insbesondere durch historische Betrachtung des Wandels (GP 2.1) von Arbeitsorganisation deutlich wird.25
Zu beachten ist aber auch, dass Entgrenzungsprozesse „immer mit zwei unterschiedlichen Interpretationsmöglichkeiten einher“26 gehen. Das Aufweichen von starren und verfestigten Strukturen ermöglicht neue Handlungsoptionen für den Einzelnen, birgt aber Risiken, wie zum Beispiel Überforderung. „Netzwerkartige Unternehmensverbünde, atypische Beschäftigungsverhältnisse, die Notwendigkeit, seine Person ständig neu auf dem internen oder externen Arbeitsmarkt zu vermarkten, oder den Umgang mit Computersystemen, um nur einige Beispiele zu nennen, stellen an die Arbeitskräfte weitreichende - entgrenzte - Anforderungen an die persönlichen Leistungen und Fähigkeiten, an ihre Subjektivität“.27
Subjektivierung von Arbeit wird vor dem Hintergrund der Entstehung neuer Organisationskonzepte im Post-Fordismus zudem als erweiterte Form der Ausschöpfung von Rationalisierungspotenzialen angesehen. Von Arbeitnehmern wird, insbesondere im Bereich hochqualifizierter Arbeit, in immer stärkerem Maß eigenverantwortliches Arbeiten vorausgesetzt.28 Individuelle Potenziale, wie die Fähigkeit der Selbstorganisation der eigenen Arbeit, werden im Zuge dessen ebenso bedeutsam wie fachliche Qualifikationen. Böhle spricht in diesem Zusammenhang von indirekter Steuerung oder auch Kontextsteuerung. Hierbei wird beispielsweise für den Abschluss eines Projekts lediglich ein zeitlicher und finanzieller Rahmen gesetzt, innerhalb welchem der Projektkoordinator die Planung völlig eigenverantwortlich übernehmen muss. Entstehende Probleme müssen daher vom Arbeitenden allein, mittels subjektiver Eigenleistung, bewältigt werden. Somit kann der gesamte Organisationsaufwand auf den Arbeitnehmer abgewälzt werden, was im Sinne betrieblicher Rationalisierung geschieht.29 Die Arbeitnehmer „müssen sich rationalisieren und schließlich ihre alltägliche Lebensführung betriebswirtschaftlichen Erwägungen unterordnen, die gegenwärtig zunehmend durch die Globalisierung diktiert werden“30.
„Die Dampflok der Industrialisierung ist heute die Digitalisierung. (...) Die digitale Technologie wird nicht mehr mit Kohle angetrieben, sondern mit einer Ressource, die noch über Generationen zunimmt: das Wissen der Vielen.“31
Mobile und flexible Arbeitsformen führen zu einer weltweit zunehmenden Kommunikation auf allen Kanälen und in sozialen Netzwerken, die sowohl innerhalb eines Unternehmens als auch zwischen unterschiedlichen Unternehmen stattfinden kann. Mobiles Internet und flächendeckendes Breitband machen die vernetzte Kommunikation nicht nur immer und überall möglich, sondern dadurch auch (vermeintlich) nötig. 79 Prozent aller Beschäftigten weltweit sind bereits auf Internet und Telekommunikation angewiesen.32 Dadurch findet eine globale Umwälzung und Flexibilisierung auf dem Arbeitsmarkt statt und die Ansprüche von Unternehmen, Arbeitnehmern und Selbstständigen verschieben sich sowohl in der realen als auch digitalen Welt. Die flexible Kreativarbeit entwickelt sich zur Basis der künftigen „Workforce“ und „dabei definiert sich Kreativität allerdings schon lange nicht mehr romantisch-künstlerisch, sondern eher im Schumpeterschen 33 Sinne einer schöpferischen Neukombination bestehender Elemente.“34 Moriset bestätigt diese These: „In the context of globalized economy and increasing competition, creative individuals and innovative industries have been identified as key drivers of sutainable economic growth and prosperity. Training, attraction, and retention of creative people have become a key issue for policy makers and planners.“35 Richards Florida’s „creative class“36 beschreibt ebenfalls den Vormarsch von kreativen und flexiblen Arbeitern, die sich auf die Suche nach neuen Arbeits(raum)konzepten in- und außerhalb von Unternehmen begeben, die produktives Arbeiten auch fernab des klassischen Schreibtischplatzes ermöglichen.37
Da die Coworking Bewegung immer noch ein sehr junges Phänomen darstellt, taucht der Begriff in der wissenschaftlichen Literatur bisher selten auf. Als Hauptquelle für Daten und Zahlen dienen in der vorliegenden Arbeit die durchgeführten Umfragen des Deskmag38 und Veröffentlichungen des Coworking Wiki39 , welches als kollaboratives Projekt von den Coworking Pionieren Christian Messina und Tara Hunt 2006 ins Leben gerufen wurden.
Die Entstehung von Coworking ist unmittelbar mit den Anforderungen an neue, entgrenzte und globalisierte Arbeitsformen und der Digitalisierung der Arbeit verknüpft. „Home Office, Telearbeit und Desksharing sind neue Organisationsformen der Arbeit, die sich aus dem Trend der Flexibilität heraus entwickelt haben. Das Büro ist dort, wo der Stelleninhaber sich gerade befindet und arbeiten kann: zu Hause, am Flughafen, in der Bahn, vor Ort beim Kunden oder auch in Cafés.“40
Begünstigt durch modernste Informations- und Kommunikationstechnologien beeinflusst unsere Arbeitsweise mittlerweile unseren persönlichen Lebensstil und dient - insbesondere in wissenschaftliche Berufen - überwiegend der Selbstverwirklichung.41 Coworking ist eine Antwort auf die neue Selbstständigkeit und ein Geschäftsmodell, dass es sich zum Ziel gesetzt hat flexiblen, mobilen und digitalen Kreativen einen Raum für produktives Arbeiten zur Verfügung zu stellen.
Die Idee vom unabhängigen Arbeiten an einem Ort ist nicht neu. Großraumbüros in Unternehmen, die klassische Bürogemeinschaft oder ein Businesscenter, wie beispielsweise Regus42 , existieren bereits seit mehreren Jahren. Jedoch unterscheiden sich diese oben genannten Geschäftsmodelle von einem Coworking Space, da sie rein profitorientiert sind und nicht die fünf Kernwerte (GP 3.2) des Coworking erfüllen. Zudem richten sie sich an eine andere Zielgruppe, eher Arbeitnehmer der „alten Schule“ und weniger an digitale Nomaden, Selbstständige oder Kreative.43
Aber auch andere Beispiele, wie das Zusammentreffen von Kreativen und Künstlern in dem Atelier La Ruche, welches Anfang des 20. Jahrhunderts im Pariser Stadtviertel Montparnasse eröffnet wurde, zeigen, dass individuelles Arbeiten in Kollaboration mit anderen schon über Jahre praktiziert wurde.44 Zahlreiche bekannte Künstler der École de Paris wie Chagall, Modigliani und Soutine produzierten avantgardistische Arbeiten während sie Tage und Nächte in dem gemeinschaftlichen Atelier verbrachten.45 Weitere Beispiele sind auch die Künstler, die sich in der Factory, die 1964 von Andy Warhol aufgebaut wurde, versammelten, oder auch die Schriftsteller und Journalisten, die im 1978 gegründeten Writers Room in New York arbeiteten.46 Zur Kerntheorie von Florida gehört, dass kreative Menschen mit einer ähnlichen Denkweise und vergleichbaren Einstellungen sich in Städten zusammenfinden, in denen sie sich willkommen fühlen, gute und günstige Arbeitsbedingungen geboten werden, und potenzielle Kunden oder Käufer anzutreffen sind.47
Ein weiteres Beispiel, das sich in den 1980er Jahren in Europa etablierte, ist Hackerspaces - eine Community für computerbegeisterte Personen. „Es bildete sich zum ersten Mal eine Gemeinschaft, deren Werte und Arbeitsformen sich von digitalen Möglichkeiten des Internets und Computern ableiteten. Ein Netzwerk, das Kollaborationen und freien Wissensaustausch auf digitaler Ebene zur Grundlage ihrer Existenz macht.“48
Als Brad Neuberg, ein Softwareprogrammierer aus San Francisco, 2005 auf seinem Blog ‚Coding Paradise’ einen Artikel mit dem Titel „Coworking - Community for Developers who work from home. This week is the first week of coworking, something I am setting up.“ veröffentlichte, entwickelte er eine viel bezeichnete „revolutionäre Geschäftsidee“ und wurde zum ersten Begründer eines auch so betitelten Coworking Space.49 Er beschrieb das Coworking als eine spannende Alternative für Selbstständige und kreierte einen neuartigen Arbeitsraum für Menschen wie ihn - Menschen, die sich „mit Laptop und Stromkabel bewaffnet“ auf die Suche nach einem Café mit W-LAN machten und eher provisorisch versuchten an öffentlichen Orten kreativ zu arbeiten.50 Neuberg beschreibt in Interviews, dass er sich oft alleine und isoliert fühlte und sich nach einem Ort sehnte, der es ihm ermöglichte, unabhängig zu arbeiten und gleichzeitig ein Gefühl von Gemeinschaft schuf. Neuberg mietete sich für zwei Tage die Woche einen Raum in einer alten Hutfabrik im Mission District in San Francisco um Gleichgesinnten einen Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen, unter jedoch flexiblen Bedingungen.51 Anderes Equipment, wie Drucker, Faxgerät, W-LAN und Radiointernet, bot er zusätzlich an. Nutzten anfänglich nur Freunde von Neuberg sein Angebot, schlossen sich wenige Wochen später andere Informatiker, Unternehmer, Designer und Filmemacher seinem Coworking Projekt an.52 2006 entstand The Hat Factory in San Francisco und der erste Coworking Space - der Grundstein für eine rasante Verbreitung des Geschäftsmodells Coworking in der USA und vielen Metropolen auf der ganzen Welt.53 Heute bildet Nordamerika zusammen mit Europa das Epizentrum der Coworking Szene.54 Allerdings befindet sich das kollaborative Arbeiten auch in Japan und Brasilien auf dem Vormarsch.55
Vor rund zehn Jahren ist der erste Coworking Space entstanden und seitdem lässt sich eine Vielzahl an Berichterstattungen über das Phänomen Coworking in den Medien beobachten. Beiträge in Online Zeitungen, Blogs und sozialen Netzwerken zieren vielversprechende Überschriften: „Kollegen zur Miete.“56, „Mehr als nur ein Büro“57, „Gemeinsam arbeitet man weniger allein.“58, „Die Faszination Coworking.“59
Fragt man beispielsweise im Bekanntenkreis nach dem Begriff und der Bedeutung von Coworking, erahnen viele schnell, anhand der wortwörtlichen Übersetzung ins Deutsche, dass es sich um eine Art von Zusammenarbeit handelt. Jedoch ist Coworking nicht mit einer klassischen Bürogemeinschaft gleichzusetzten.60 Während eine feste und dauerhafte Nutzergruppe die Basis für eine Bürogemeinschaft bildet, ist der ständige Wechsel von Nutzern, sogenannten Coworkern, in einem Raum, dem Coworking Space, sehr typisch und charakteristisch. Auch ist ein Coworking Space nicht mit einem Businesscenter gleichzusetzen. Businesscenter, wie Regus, konzentrieren sich hauptsächlich auf die Vermietung von Büro- und Konferenzräumen an zentralen Verkehrsknotenpunkten. 61 Coworking ist mehr als „eine Art Carsharing für Arbeitsplätze“ und der Aspekt der Bürovermietung ist dabei eher nebensächlich. Aufgrund einer sehr individuellen Nutzergemeinschaft und unterschiedlichen Ausstattungen und Kulturen gleicht kaum ein Coworking Space dem anderen.62 Dies erschwert es zusätzlich, eine offizielle und allumfassende Definition für den Begriff zu formulieren. Ferner stellt es sich als recht schwierig dar, eine einheitliche und klar umrissene Begriffsdefinition in der wissenschaftlichen Literatur zu finden. Stefanie Döring definiert in ihrer Diplomarbeit „Zusammen ist man weniger allein?“ Coworking wie folgt: „Coworking ist eine aktuell primär von Freiberuflern genutzte Arbeitsform, bei der Erwerbstätige mit den verschiedensten Aufgabenbereichen unabhängig von ihrem aktuellen Arbeitgeber an einem Ort zusammenarbeiten. Dabei besteht kein fester Nutzerkreis, was vielfältige soziale Beziehungen ermöglicht. Die immateriellen Zusatzleistungen, wie die Möglichkeit des Wissenstransfers, des informellen Austausches, der Kollaboration und Interaktion mit Anderen sind für die Nutzer kein Nebenaspekt, sondern als Hauptmotiv häufig wichtiger als die reine Bereitstellung eines Schreibtisches für flexibles Arbeiten.“63
Nina Pohler wiederum vergleicht ihre Herangehensweise zur Beschreibung eines Coworking Spaces mit der eines Mediziners, wenn eine Krankheit diagnostiziert wird, und formuliert eine Definition nach dem Hauptzweck des Coworking Spaces. Er sei die Antwort auf der Suche nach einer Strategie und greift die Risiken und Probleme neuer, flexibler Arbeitsformen auf.
[...]
1 Vgl. Pohler, Nina (2012), S.56.
2 Vgl. Döring, Stefanie (2010), S. 2.
3 Vgl. Merkel, Janet (2012), S. 15.
4 Weidner, Ingrid (25.12.2014).
5 Vgl. ebenda.
6 Merkel, Janet & Oppen Maria, (2013).
7 Vgl. ebenda.
8 Vgl. Merkel, Janet, (2012), S.16.
9 Vgl. ebenda, S.15.
10 Vgl. Pohler, Nina (2012), S. 66.
11 Vgl. Bräutigam, Maria (2015), S. 8.
12 Vgl. ebenda.
13 Vgl. Koschel, Jana (2014), S. 13.
14 Ebenda.
15 Vgl. Schürmann, Mathias (2013), S. 14.
16 Koschel, Jana (2014), S. 13.
17 Vgl. Döring, Stefanie (2010), S. 5f.
18 Vgl. Bräutigam, Maria (2015), S. 9.
19 Vgl. Pohler, Nina (2012), S. 66.
20 Koschel, Jana (2014), S. 13f.
21 Vgl. ebenda.
22 Vgl. Bräutigam, Maria (2015), S. 9.
23 Outsourcing: Auslagerung von bisher in einem Unternehmen selbst erbrachten Leistungen an externe Auftragnehmer oder Dienstleister. (Duden Online)
24 Vgl. Jurczyk, Karin (2009), S. 7 f.
25 Vgl. ebenda, S. 8 f.
26 Koschel, Jana, (2014), S. 14.
27 Schönberger, Klaus; Springer, Stefanie (2003), S. 10.
28 Vgl. Merkel, Janet (2012), S. 15.
29 Vgl. Böhle, Fritz (2010), S. 85 ff.
30 Koschel, Jana (2014), S. 16.
31 Horx, Matthias (Dezember 2012).
32 Vgl. ebenda.
33 Der Österreichische Wirtschaftswissenschaftler Joseph Alois Schumpeter (*1883, †1950) hat den Begriff der Schöpferische Zerstörung geprägt. Durch Wettbewerb entsteht ein Prozess der ständigen Erneuerung und Verbesserung der Produktionsverfahren und Erzeugnisse. Ein Prozess der schöpferischen Zerstörung, bei dem alte Güter und Produktionsverfahren ständig durch neue ersetzt werden, sieht Schumpeter als Motor der wirtschaftlichen Entwicklung. Eine zentrale Rolle spielt dabei der schöpferische, einfallsreiche Unternehmer, der durch neue Ideen und den Einsatz neuer Produktionsmethoden, Techniken und Verarbeitungsmöglichkeiten den wirtschaftlichen und technischen Fortschritt immer wieder vorantreibt.
34 Horx, Matthias (Dezember 20120).
35 Moriset, Bruno (2013), S. 4.
36 Arbeitende werden aufgrund der Art ihrer Tätigkeit der kreativen Klasse zugeordnet, wobei Menschen aus allen Bereichen der Arbeitswelt der kreativen Klasse zugeordnet werden können, solange der Inhalt ihrer Arbeit einen kreativen Prozess in sich führt.
37 Vgl. Florida, Richard (2002), S. 35.
38 Online Magazin, das rundum das Thema Coworking informiert und berichtet. www.deskmag.com
39 www.wiki.coworking.com
40 Döring, Stefanie (2010), S. 2.
41 Vgl. Bender, Desireè (2013), S. 8f.
42 Regus ist ein global agierendes Unternehmen, das über seine weltweit verteilten Business Center flexible Bürolösungen anbietet.
43 Vgl. Schürmann, Mathias (2013), S. 35 ff.
44 Vgl. Uda, Tadaschi (2013), S. 2.
45 Vgl. ebenda.
46 Vgl. Schürmann, Mathias (2013), S. 35.
47 Vgl. Zischke, Joachim (2014), S. 35.
48 Koschel, Janet (2014), S. 21.
49 Vgl. Schürmann, Mathias (2013), S. 36.
50 Vgl. Döring, Stefanie (2010), S. 18.
51 Koschel, Jana (2014), S. 19.
52 Vgl. ebenda.
53 Vgl. ebenda.
54 Vgl. Schürmann, Mathias (2013), S. 35.
55 Moriset, Bruno (2013), S.12.
56 Tutmann, Linda (17.05.2010).
57 Ziegert, Susanne (06.11.2011).
58 Jaeger, Mona (17.05.2013).
59 Stiefel, Klaus-Peter; Rief, Stefan (27.10.2014).
60 Vgl. Döring, Stefanie (2010), S. 20.
61 Vgl. Döring, Stefanie (2010), S. 20.
62 Vgl. Schürmann, Mathias (2013), S. 37.
63 Döring, Stefanie (2010), S. 20.
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