Masterarbeit, 2014
89 Seiten, Note: 1,0
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Anhangsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1 Einführung
1.1 Problemstellung
1.2 Zielsetzung und Vorgehensweise
2 Begriffliche, theoretische und konzeptionelle Grundlagen
2.1 Führung, Führungstheorien und kulturvergleichende Führungsstilforschung
2.1.1 Definitionen von Führung und Führungsstil
2.1.2 Führungstheorien
2.1.2.1 Die verschiedenen Theorien der Führungsforschung
2.1.2.2 Führungsstiltheorien
2.1.2.2.1 Die Theorieder Iowa-Studie
2.1.2.2.2 Die Theorie der Ohio/Michigan-Studien
2.1.2.2.3 DasFührungskontinuum nach Tannenbaum/Schmidt
2.1.2.2.4 Die traditionelle Vier-Klassen-Typologie der Führungsstile
2.1.3 KulturvergleichendeFührungsstilforschung
2.1.3.1 Ist Führung kulturabhängigoder kulturunabhängig?
2.1.3.2 Merkmalederkulturvergleichenden Führungsstilforschung
2.1.3.3 Problemederkulturvergleichenden Führungsstilforschung
2.1.3.3.1 Verzerrungen durch Ethnozentrismus
2.1.3.3.2 Unzureichende Abgrenzung des Kulturbegriffs und das Problem der OperationalisierungvonKultur
2.1.3.3.3 Die Schwierigkeit US-Theorien auf andere Kulturräume zu übertragen
2.2 Kultur, Kulturstandards, Kulturdimensionen und das Kulturmodell von Hofstede
2.2.1 Definitionen von Kultur, Kulturstandards und Kulturdimensionen
2.2.2 Kulturelle Unterschiede zwischen Deutschland und China: Das Kulturmodell nach Geert Hofstede
2.2.2.1 Machtdistanz
2.2.2.2 Unsicherheitsvermeidung
2.2.2.3 Individualismus vs. Kollektivismus
2.2.2.4 Maskulinität vs.Femininität
2.2.2.5 Langfristige vs. kurzfristige Orientierung
2.2.3 Überblick über weitereKulturmodelle
3 Führung und Kultur in Deutschland und China: Theorie
3.1 Merkmaleder deutschenFührungskultur
3.1.1 Strukturelle statt interpersonelleFührung
3.1.2 Institutionalisierte Mitbestimmung
3.1.3 Direkte Kommunikation und Kritikkultur
3.2 Merkmale der chinesischen Führungskultur
3.2.1 Konfuzius und sein Einfluss auf die Führungskultur
3.2.2 Hierarchiegebundenheitund Top-Down-Prinzip
3.2.3 Paternalistische Führung
3.2.4 Indirekte Kommunikation und Konfliktvermeidung
4 Führung und Kultur in Deutschland und China: Empirie
4.1 DieGLOBE-Studie
4.1.1 Zielsetzung undVorgehensweise
4.1.2 Ergebnisse für Deutschland
4.1.3 Ergebnisse für China
4.2 Die Studie des geva-Instituts
4.2.1 Zielsetzung undVorgehensweise
4.2.2 Ergebnisse für Deutschland
4.2.3 Ergebnisse fürChina
4.3 Überblick über die Ergebnisse weiterer Studien zum Führungsstil in Deutschland und China
5 Schlussbetrachtung
5.1 Zusammenfassung und kritische Würdigung der Ergebnisse
5.2 Fazit und Ausblick
6 Literaturverzeichnis
Anhang
Abb.1: Diezwei DimensionenderFührung
Abb. 2: Das Führungskontinuum nach Tannenbaum/Schmidt
Abb.3: Kultur alsEisberg-Modell
Abb. 4: Ebenen der Mitbestimmung
Abb. 5: Kontextorientierung in Deutschland und China
Abb. 6: Unterschiede zwischen der GLOBE-Studie und dergeva-Studie
Abb. 7: Die 6 Führungsstile der GLOBE-Studie
Tab.1: DieFührungsstileder Iowa-Studie
Tab. 2: Zentrale Verhaltensmuster von Mitarbeiter- und Aufgabenorientierung
Tab. 3: Gegenüberstellung deutscher und chinesischer Kulturstandards
Tab. 4: Hofstede als Ausgangspunkt für weitere Kulturstudien
Tab. 5: Merkmale von low- und high-context-Kulturen
Tab.6: MerkmalepaternalistischerFührung
Tab.7: Empirische Studienzum Führungsstil in DeutschlandundChina
Tab. 8: Gegenüberstellung aller Ergebnisse
Anhang 1: Ergebnisse ausgewählter Studien zur Eigenschaftstheorie
Anhang 2: DieReifegradtheorienach Hersey/Blanchard (1977)
Anhang 3: Merkmale geringer und hoher Machtdistanz
Anhang 4: Merkmale schwacher und starker Unsicherheitsvermeidung
Anhang 5: Merkmale kollektivistischer und individualistischer Gesellschaften
Anhang 6: Merkmale femininer und maskuliner Gesellschaften
Anhang 7: Merkmale kurzfristiger undlangfristiger Orientierung
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
„Die Welt steckt voller Konfrontationen zwischen Menschen, Gruppen und Völkern, die unterschiedlich denken, fühlen und handeln. Gleichzeitig stehen diese Menschen, Gruppen und Völker gemeinsamen Problemen gegenüber, deren Lösung eine Zusammenarbeit erfordert“ (Hofstede/Hofstede 2009: 1f).
Im Zuge der voranschreitenden Globalisierung und der steigenden Zahl international tätiger Unternehmen wird die internationale Zusammenarbeit mit Nichtdeutschen zum alltäglichen Phänomen. Kontakte zwischen deutschen Führungskräften[1] und Mitarbeitern[2] aus anderen Kulturen sind an der Tagesordnung (vgl. Northouse 2010: 335). China, einer der größten Profiteure der Globalisierung und anhaltender Exportweltmeister seit 2009, spielt für wirtschaftliche Überlegungen deutscher Unternehmen eine große Rolle, denn die bilateralen Beziehungen haben sich in den vergangenen 40 Jahren zu beachtlicher Dichte entwickelt. So ist China Deutschlands wichtigster Wirtschaftspartner in Asien, während Deutschland Chinas wichtigster Handelspartner in Europa ist (vgl. Auswärtiges Amt 2014: o. S.). Für den Aufbau neuer Vertriebsmöglichkeiten oder Fabrikanlagen werden deutsche FK ins Ausland entsandt. Sie übernehmen Führungsverantwortung für die dort einheimischen Mitarbeiter und müssen deren Handlungen auf bestimmte Ziele hin koordinieren (vgl. Lotter 2009: 2).
Damit Beeinflussungsversuche von Führenden erfolgreich verlaufen, ist es notwendig, als Vorgesetzter akzeptiert zu werden und den Erwartungen der Untergebenen an das Geführtwerden zu entsprechen. Empirische Studien belegen: Je größer die Diskrepanz zwischen Führungserwartungen und gezeigtem Führungsverhalten, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit dafür, dass der unternommene Einflussversuch erfolgreich verläuft und eine FK echte Akzeptanz erfährt (vgl. Emrich 2011: 171; Brodbeck et al. 2000: 2). Von grundlegender Bedeutung ist hierbei, dass sich die Auffassungen von guter Führung von Kultur zu Kultur unterscheiden. Sie sind das Ergebnis individueller Sozialisationsprozesse, in denen der Einzelne durch die Beziehung zu seinen Eltern, seinen Lehrern und seinen Vorgesetzten bestimmte Verhaltensweisen zu akzeptieren und zu beurteilen gelernt hat. Diese kulturabhängigen Vorstellungen von „richtiger“ Führung entwickeln normative Kraft und schlagen sich in bestimmten Rollenerwartungen nieder (vgl. Büter 2010: 281; Hentze et al. 2005: 535; Keller 1995: 1398). So haben auch Chinesen und Deutsche unterschiedliche Vorstellungen von guter Führung entwickelt, die in ihren spezifischen Kulturstandards bzw. ihrer jeweiligen „kulturellen Programmierung“ begründet sind. Alle Personen, die uns gegenüber Führungsanspruch erheben, werden nach diesem Bild beurteilt (vgl. Brodbeck 2008a: 5).
Um Mitarbeiter in einem fremdkulturellen Umfeld erfolgreich zu führen, ist es erforderlich, die dortige Auffassung von guter Führung zu kennen und die dazugehörigen Überzeugungs- und Wertesysteme der Untergebenen zu verstehen (vgl. Brodbeck 2008b: 19; Littrell 2005: 3). Der eigene Führungsstil muss an die Führungserwartungen der Einheimischen angepasst werden, da Versuche der Einflussnahme andernfalls ergebnislos verlaufen und Verhaltensweisen, die gegenüber deutschen Mitarbeitern üblicherweise zu guten Lösungen führen, im fremdkulturellen Kontext sonst mehr Probleme aufwerfen als lösen (vgl. Büter 2010: 282; Wulf 2006: 5). In China tätige FK müssen daher bereit sein, sich mit den kulturellen Besonderheiten der dortigen Kultur auseinanderzusetzen, denn allen Verwestlichungstendenzen zum Trotz unterscheiden sich die beiden Landes- und Führungskulturen stark voneinander.
Um den gewohnten Führungsstil erfolgreich anpassen zu können, benötigen FK fundierte Informationen darüber, welchen Führungsstil Chinesen praktizieren, wie sich die Art und Weise ihrer Mitarbeiterführung von der deutschen Praxis unterscheidet und welche landestypischen Wertevorstellungen diesem Führungsverständnis zugrunde liegen. Davon ausgehend ergeben sich zwei zentrale Fragestellungen, die die vorliegende Arbeit zu beantworten versucht: Erstens, wie unterscheiden sich die Führungsstile deutscher und chinesischer FK bzw. welche Auffassungen existieren in den beiden Kulturen von guter Führung? Und zweitens, welche Rolle spielen dabei sozio-kulturelle Werte und wie kommen diese im jeweiligen Führungsstil zum Ausdruck?
Ausgehend von der Annahme, dass sich die betriebliche Zusammenarbeit zwischen Deutschen und Chinesen nur durch eine genaue Kenntnis der Unterschiede zwischen den beiden Führungskulturen positiv entwickeln kann, sollen die oben aufgeworfenen Fragen durch eine umfassende Recherche und Analyse des theoretischen und empirischen Forschungsstandes zum deutschen und chinesischen Führungsstil beantwortet werden. Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, die Besonderheiten beider Führungskulturen möglichst systematisch herauszuarbeiten und einem sinnvollen Vergleich zu unterziehen. Dabei ist in einem ersten Schritt zu klären, welche Merkmale den deutschen und den chinesischen Führungsstil kennzeichnen, bevor in einem zweiten Schritt analysiert werden kann, welche kulturspezifischen Werte oder auch Prägungen den Führungsstilen von Vorgesetzten bzw. den Erwartungen von Untergebenen an das Führungsverhalten zugrunde liegen. Die umfassende Analyse soll schlussendlich zu einer eigens erstellten, kriterienorientierten Gegenüberstellung führen.
Die Ergebnisse dieser Arbeit können Führungspersonen, die von bilateralen Kontakten betroffen sind, als nützliche Informationsquelle dienen, da für beide Kulturen eine Art „Führungskompendium“ herausgearbeitet wird.
Die Arbeit ist in fünf Kapitel unterteilt. Nachdem in Kapitel eins mit der Darstellung der Relevanz des Themas und der Problemstellung eine Einführung erfolgt ist und die Zielsetzung der Arbeit erläutert wurde, folgen in Kapitel zwei zunächst die begrifflichen, theoretischen und konzeptionellen Grundlagen. Den Ausgangspunkt bilden die Definitionen von Führung und Führungsstil (Kapitel 2.1.1), um ein grundlegendes Verständnis für die Führungsthematik aufzubauen. Daran anknüpfend werden die drei klassischen Ansätze der Führungsforschung (Eigenschafts-, Situations- und Verhaltenstheorie) vorgestellt und kritisch diskutiert (Kapitel 2.1.2). Die Führungsstiltheorien in Kapitel 2.1.2.2 bilden den theoretischen Bezugsrahmen dieser Arbeit. Hier werden die bekanntesten und meist aus den USA stammenden Klassifizierungsmöglichkeiten von Führungsstilen portraitiert. Den Anfang machen dabei zwei empirisch ermittelte Konzeptionen: Die Theorie der Iowa-Studie (Kapitel 2.1.2.2.1) und die Theorie der Ohio/Michigan-Studien (Kapitel 2.1.2.2.2). Darauf folgen zwei theoretische Konzeptionen, die in der Literatur ebenfalls weit verbreitet sind: Das Führungskontinuum (Kapitel 2.1.2.2.3) und die traditionelle Vier-Klassen-Typologie (Kapitel 2.1.2.2.4). Neben der Vorstellung der Ergebnisse der vier Ansätze wird auch auf erfahrene Kritik und den jeweiligen Nutzenwert eingegangen. Darauf aufbauend wird in Kapitel 2.1.3 erstmals die Verbindung zwischen Führungs- und Kulturaspekt hergestellt. Dabei wird zuerst nach der Kulturabhängigkeit von Führung gefragt und aufgezeigt, dass hierzu bis heute zwei kontrahierende Sichtweisen in der Forschung existieren (Kapitel 2.1.3.1). Anschließend erfolgt eine Einführung in die Merkmale der kulturvergleichenden Führungsstilforschung (Kapitel 2.1.3.2). In diesem Zusammenhang werden Zielsetzung und Methoden dieses Forschungszweiges erläutert und die Entwicklung seiner Relevanz in Deutschland und China dargelegt. An diese Grundlagen anknüpfend werden ausgewählte Probleme in der kulturvergleichenden Führungsstilforschung sowie Möglichkeiten zu ihrer Überwindung aufgezeigt (Kapitel 2.1.3.3).
Kapitel 2.2 steht ganz im Fokus der Kulturthematik. Um darzulegen, welche Unterschiede zwischen der deutschen und der chinesischen Kultur existieren, gibt Kapitel 2.2.1 zunächst eine Einführung in den Kulturbegriff und das Konzept der Kulturstandards, bevor eine Gegenüberstellung von deutschen und chinesischen Kulturstandards erfolgt. Da das Modell von Hofstede mit sogenannten Kulturdimensionen arbeitet, beschäftigt sich das Kapitel zudem mit der Intention und der Problematik von Kulturdimensionen. Die eigentliche Unterscheidung der beiden Kulturen, die aufgrund des Themas der Arbeit anhand des Unternehmensund Führungskontextes dargestellt wird, erfolgt in Kapitel 2.2.2. Um ein grundlegendes Verständnis für die Arbeit Hofstedes aufzubauen, werden zu Beginn einige Eckpunkte seiner Untersuchung umrissen. Daran anknüpfend werden die Unterschiede der deutschen und der chinesischen Kultur anhand der fünf hofsteď'schen Kulturdimensionen aufgezeigt. Im Anschluss erfolgt ein Überblick über weitere Kulturstudien, die neben Hofstede große Resonanz und Wirkung erfahren haben (Kapitel 2.2.3). Hier wird deutlich werden, dass vielfach Überschneidungen zu Hofstedes Modell bestehen und sich die anderen Wissenschaftler bei ihren Modellen stark an seiner Klassifizierung orientiert haben.
Die zentralen Merkmale der deutschen bzw. chinesischen Führungskultur werden in Kapitel drei aus der Literatur herausgearbeitet. Überdies wird versucht zu zeigen, welche kulturspezifischen Aspekte bzw. Prägungen im jeweiligen Führungsmerkmal zum Ausdruck kommen. Kapitel 3.1 beschreibt und diskutiert die Besonderheiten der deutschen Führungskultur. Differenziert betrachtet werden die strukturelle Art der Führung (Kapitel 3.1.1), die gesetzlich verankerte Mitbestimmung bzw. der sich daraus ableitende partizipative Führungsstil (Kapitel 3.1.2) und die typischen Merkmale der deutschen Kommunikation (Kapitel 3.1.3). Außerdem wird gezeigt, dass deutsche FK eine „harte“ Kritikkultur mit ihren Untergebenen pflegen und sich stets auf der Sachebene begegnen. Kapitel 3.2 beschäftigt sich mit den Merkmalen der chinesischen Führungskultur. Da der Konfuzianismus mit nahezu jedem Aspekt der chinesischen Führungskultur in Verbindung steht, werden zu Beginn Leben und Wirken des Konfuzius sowie sein Einfluss auf das chinesische Führungsverständnis umrissen (Kapitel 3.2.1). Danach werden das starre Hierarchiedenken, auf dem der autoritäre Führungsstil basiert (Kapitel 3.2.2), und das paternalistische Verhalten chinesischer FK (Kapitel 3.2.3) differenziert betrachtet, ehe der chinesische Kommunikationsstil den Fokus des letzten Abschnitts bildet (Kapitel 3.2.4). Hierbei werden die generell starke Kontextorientierung und der indirekte Gesprächsstil im Mittelpunkt des Interesses stehen, bevor das „Konzept des Gesichts“ und dessen Konsequenzen fürdas Führungsverhalten dargestelltwerden.
Kapitel vier analysiert den empirischen Forschungsstand zum praktizierten bzw. bevorzugten Führungsstil in Deutschland und China. Durch den vorgegebenen Rahmen dieser Arbeit konzentriert sich die ausführliche Darstellung auf die Ergebnisse der GLOBE-Studie (Kapitel 4.1) und die der geva-Studie (Kapitel 4.2). Die Befunde der beiden Untersuchungen werden allerdings ergänzt und gestützt durch die Ergebnisse weiterer Studien, die überblicksartig in Kapitel 4.3 aufgeführt sind.
Den Abschluss der Arbeit bildet Kapitel fünf. Hier werden die wichtigsten Erkenntnisse der Arbeit zusammengefasst, kritisch diskutiert und in einer eigens erstellten, kriterienorientierten Gegenüberstellung zusammengeführt (Kapitel 5.1). Einige abschließende Überlegungen zum möglichen Erkenntnisgewinn bzw. zum praktischen Nutzen der Arbeitsergebnisse runden die Arbeit ab (Kapitel 5.2).
Seit Aufgaben in Gemeinschaften arbeitsteilig erfüllt werden, gibt es Führung - in jeder Kultur und zu allen Zeiten. Führung existiert in allen Bereichen des menschlichen Lebens, von der Familie bis zum Staat, vom Kindergarten zur Schule bis hin zum Verein, und natürlich auch im Unternehmen (vgl. Wunderer 2001: 4).
Für den betrieblichen Zusammenhang von Führung finden sich in der Literatur eine Reihe von Definitionen, wobei nach genauerer Analyse drei wesentliche Merkmale so gut wie allen gemeinsam sind: Dazu gehören die Betonung der Aufgaben- und Zielgerichtetheit der Führung, der Prozess der Beeinflussung sowie die Interaktion zwischen Vorgesetztem und Mitarbeiter bzw. der Gruppe (vgl. Hentze et al. 2005: 23; Northouse 2010: 3). Die am häufigsten zitierte Definition stammt von Wunderer, nach der „Führung“ als „ziel- und ergebnisorientierte, wechselseitige und aktivierende, soziale Beeinflussung zur Erfüllung gemeinsamer Aufgaben in und mit einer strukturierten Arbeitssituation“ (2001: 4) verstanden wird. Hiernach lassen sich zwei zentrale Dimensionen von Führung identifizieren: Die indirekte, strukturellsystemische Dimension („mit einer strukturierten Arbeitssituation“), wonach die Einflussnahme durch den Kontext erfolgt, sowie die direkte, personal-interaktive Dimension („in einer strukturierten Arbeitssituation“), wobei der Einfluss mittels Kommunikation zwischen Vorgesetztem und Mitarbeiter zustande kommt. Beide Dimensionen spielen eine wichtige Rolle bei der Mitarbeiterführung, da sie einander ergänzen, modifizieren und legitimieren (vgl. ebd.: S. 5-12).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1: Die zwei Dimensionen der Führung
Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Wunderer 2001: 71.
Notwendig wird Führung überall dort, „wo das Verhalten einer Vielzahl von Menschen auf Ziele hin koordiniert werden muss“ (Jung 2011: 410). Dies ist v. a. dann der Fall, wenn die Geführten nicht über die für eine Aufgabenerfüllung erforderlichen Kenntnisse verfügen oder nicht in der Lage sind, ihre Handlungen eigenständig zu koordinieren (vgl. Lotter2009: 67).
Interessanterweise gibt es in der deutschen Terminologie zwar viele Wörter, die das Wort Führung beinhalten, wie z. B. Führungsposition, Führungskompetenz oder Führungszeugnis, während das Wort Führer, „which is semantically the most precise word for a person who leads“ (Brodbeck/Frese 2008: 168), in der Literatur konsequent vermieden wird. Es scheint, als würde der entpersonalisierte Term Führung im deutschsprachigen Raum bevorzugt, was dadurch erklärt werden kann, dass das Wort Führer in Deutschland sehr negativ konnotiert ist und Assoziationen mit dem Nazi-Regime im 2. Weltkrieg hervorruft (vgl. ebd.: 167f).
Während mit Führungsverhalten beobachtbare Beeinflussungsversuche eines Führenden bezeichnet werden, kennzeichnet der Begriff „Führungsstil“ ein langfristig konsistentes und situationsinvariantes Verhaltensmuster, das unter ähnlichen Bedingungen immer wieder gegenüber den Mitarbeitern zum Ausdruck kommt (vgl. Jung 2011: 421; Hentze et al. 2005: 60). Aus Sicht der Geführten wird Führungsverhalten in jedem Fall ganzheitlich, eben als Führungsstil erlebt (vgl. Staehle 1999: 334). Die Identifizierung eines konkreten Führungsstils kann dabei helfen, bestimmte, zeitlich stabile Verhaltensmusterzu typologisieren, wobei das Spektrum von autoritärer Führung als einseitige Anweisung durch Vorgesetzte über die kooperative Führung als wechselseitige Abstimmung bis hin zur laissez-fairen Führung reicht, bei der Entscheidungen nahezu ausschließlich bei den Mitarbeitern liegen (vgl. Blom/Meier 2004: 221f). Entscheidend für die Effektivität eines Führungsstils ist jedoch immer, dass die gezeigten Verhaltensweisen und die Anweisungen der FK von den Mitarbeitern akzeptiert werden, da der Beeinflussungsversuch des Führenden ansonsten erfolglos verläuft (vgl. Emrich 2011:171; Gerstner/Day 1994: 122).
Die Frage, welche Eigenschaften oder Verhaltensweisen notwendig sind, um Mitarbeiter erfolgreich zu führen[3], beschäftigt die Wissenschaftler schon seit den 1930er-Jahren. In der Führungsforschung haben sich hierzu drei Ansätze etabliert, die sich in jedem Lehrbuch wiederfinden: Die Eigenschaftstheorie, die Situationstheorie und die Verhaltenstheorie der Führung (vgl. Lotter 2009: 71-76; Trompenaars/Woolliams 2004: 297-299). Da die drei Theorien[4] völlig unterschiedliche Faktoren der Führung in den Mittelpunkt der Betrachtung stellen, sollen sie nachfolgend kurz einzeln vorgestellt werden. Zudem wird auf wesentliche Kritikpunkte eingegangen.
Wenn man Statements wie „he is born to be a leader“ oder „he is a natural leader“ vernimmt, so stammen diese in aller Regel von Forschern, die die Eigenschaftstheorie[5] vertreten. Sie gehen davon aus, dass Führungserfolg allein auf bestimmte, angeborene Eigenschaften einer Person zurückgeht. Gute FK besitzen folglich diese einzigartigen Wesenszüge, was sie von Nicht-Führenden unterscheidet (vgl. Busch et al. 2013:4; Trompenaars/Woolliams 2004: 297f). Die entsprechenden Persönlichkeitsmerkmale können dabei sowohl physischer Natur (Gewicht, Körpergröße etc.) als auch charakterlicher Natur (Charisma, Intelligenz, Beharrlichkeit usw.) sein (vgl. Lotter 2009: 71).
Northouse (2010: 15-27) und Neuberger (1990: 64-66) analysieren die wichtigsten theoretischen und empirischen Arbeiten zum Eigenschaftsansatz. Sie kommen zu drei großen Kri- tikpunkten: Erstens scheint der Zusammenhang zwischen Führungserfolg und Persönlichkeitsmerkmalen eher zufällig als systematisch zu sein.[6] Zweitens existiert keine definitive, eindeutige Liste der Persönlichkeitsmerkmale, denn wie aus Anhang 1 hervorgeht, variieren die Vorgefundenen Ergebnisse von Studie zu Studie, und drittens wird Führung im Sinne der Interaktion zwischen Vorgesetztem und Mitarbeiter völlig ignoriert. Trompenaars und Wool- liams (2004: 298) kritisieren zudem, dass der kulturelle Kontext keine Berücksichtigung findet, obwohl inzwischen mehrere Forschungsarbeiten belegen[7], dass die Wesenszüge eines als „gut“ erachteten amerikanischen Führers in Japan oder China wohl kaum die gleiche Wirkung erfahren, da dort ganz andere Attribute als „gut“ erachtet werden.
Ein Konzept des Eigenschaftsansatzes, das bis heute besonders im US-amerikanischen Raum viel Anklang findet, ist das der charismatischen Führung, welches v. a. durch die Arbeit von Bass (1986) bekannt wurde. Ihr liegt die Annahme zugrunde, dass charismatische Führer ihre Untergebenen inspirieren, durch Visionen motivieren und den Mitarbeitern als Identifikationsobjekt dienen. Kritisch anzumerken ist aber, dass Charisma kaum oder nur sehr begrenzt erlernbar ist und eine zu starke Identifikation mit dem Führenden bei den Mitarbeitern zu Identitätsverlust und destruktivem Gehorsam führen kann (vgl. Wunderer 2001: 246f). In allen deutschen Lehrbüchern wird die Vorstellung, Führungserfolge seien durch individuelle Attribute eines Führenden zu erklären, verworfen. Dies mag z. T. auf die in Deutschland vorherrschende „Führerallergie“ zurückgehen, ist aber auch Ausdruck einer demokratischen, auf die wichtige Rolle des Mitarbeiters anspielenden Auffassung (vgl. Müller 1995: 583).
Situationstheorien der Führung verfolgen die Annahme, dass unterschiedliche Situationen unterschiedliches Führungsverhalten erfordern und erfolgreiche FK ihren Führungsstil situativ anpassen müssen (vgl. Hentze et al. 2005: 64f). Als wichtige Vertreter des situativen Ansatzes gelten Fiedler mit seiner 1967 entwickelten Kontingenztheorie sowie Hersey/Blanchard mit ihrer Reifegradtheorie aus dem Jahre 1977. Fiedler nahm an, dass Führungsverhalten mit der „Günstigkeit einer Situation“, die er von drei Variablen (Beziehung zwischen Führer und Geführten, Aufgabenstruktur und Positionsmacht) abhängig macht, in einer Wechselwirkung steht. Eine günstige Situation liegt bei einer guten VorgesetztenMitarbeiter-Beziehung, einer guten Aufgabenstrukturierung und einer hohen Positionsmacht vor, eine ungünstige Situation bei entgegengesetzten Ausprägungen dieser Merkmale (vgl. Lotter 2009: 76). Mithilfe einer empirischen Untersuchung gelangt Fiedler zum Ergebnis, dass FK in sehr günstigen und in sehr ungünstigen Situationen aufgabenorientiert führen sollten, während sich die personenorientierte Führung in durchschnittlich günstigen Situatio- nen besser bewährt (vgl. Trompenaar/Woolliams 2004: 299). Fiedlers Annahmen, Methodik und statistische Auswertungsverfahren haben in der Forschung viel Kritik erfahren. So gilt die Auswahl seiner drei Situationsvariablen als willkürlich. Zudem wird deren Unabhängigkeit in Zweifel gezogen, da eher korrelative Beziehungen anzunehmen sind. Zuletzt gilt die Zahl der erfolglosen Wiederholungsstudien insgesamt als überdurchschnittlich hoch (vgl. Wunderer 2001: 312f; Drumm 2008: 422).
Die Reifegradtheorie[8] von Hersey/Blanchard konzentriert sich auf eine Situationsvariable: den Reifegrad des Mitarbeiters. Die beiden Forscher nehmen an, dass der Mensch im Laufe seines Arbeitslebens eine natürliche Entwicklung zu größerer Reife vollzieht und dabei vier Stadien durchläuft. Der Vorgesetzte soll sodann, je nach Reifegrad des Geführten, zwischen autoritärem („telling“), integrierendem („selling“), partizipativem („partizipating“) und delegati- vem („delegating“) Führungsstil wählen (vgl. Büter 2010: 283f: Drumm 2008: 423). Der Führungserfolg, so die Autoren, hinge letztlich davon ab, ob der Führende den situationsadäquaten Führungsstil gewählt hat. Die Kritik am Reifegradmodell beginnt bei fehlenden empirischen Untersuchungen, die die zentralen Modellannahmen stützen, setzt sich bei der mangelhaft operationalisierten „Reife“ als einziger Situationsvariablen fort und endet bei der nicht berücksichtigten Interaktion zwischen Vorgesetztem und Mitarbeiter (vgl. Wunderer 2001: 311; Drumm 2008: 425). Es scheint zudem fraglich, ob ein Vorgesetzter überhaupt in der Lage ist, zwischen vier Führungsstilen ad hoc zu wechseln, gilt ein Führungsstil doch per Definition als konsistentes, situationsinvariantes Verhaltensmuster.
Seit Ende der 1940er-Jahre widmen sich Wissenschaftler der verhaltensorientierten Führungsforschung. Diese fokussiert „exclusively on what leaders do and how they act“ (Nor- thouse 2010: 69), womit der Führungsstil im Mittelpunkt des Interesses steht. Ziel derVerhal- tenstheorie ist es, Aussagen über die Effizienz von bestimmten Verhaltensmustern zu gewinnen. Man geht davon aus, dass ein bestimmter Führungsstil zum Führungserfolg führt (vgl. Blom/Meier 2004: 216; Hentze et al. 2005: 207). Der Verhaltensansatz findet weltweit in zahlreichen Trainings- und Entwicklungsprogrammen für FK Berücksichtigung, wobei Führende dabei lernen sollen, wie sie sich optimalerweise gegenüber ihren Mitarbeitern verhalten sollten und welche Verhaltensweisen als eher ineffektiv gelten (vgl. Northouse 2010: 80).
Auch der Verhaltenstheorie wird vorgeworfen, den kulturellen Kontext zu vernachlässigen. Dennoch gelten Verhaltensmerkmale gegenüber den Persönlichkeitsmerkmalen als bessere Indikatoren, um Aussagen über den Führungserfolg zu treffen (vgl. Swierczek 1991: 8f). Die Perspektive des Verhaltensansatzes führte zu großem Forschungsinteresse und Arbeiten, die weltweit als Führungsstiltheorien bekannt wurden (vgl. Hentze et al. 2005: 207). Sie sind aus den Lehrwerken nicht wegzudenken, weshalb die wichtigsten unter ihnen auch im nachfolgenden Kapitel aufgeführt werden.
Die in der Literatur vorfindbaren Klassifizierungen von Führungsstilen lassen sich in zwei unterschiedliche Gruppen aufteilen (vgl. Staehle 1999: 334; Hentze et al. 2005: 207):
- Empirische, real ermittelte Konzeptionen, die das in der Realität Vorgefundene Führungsverhalten belegen, beschreiben und in Klassen einteilen. Hierzu werden nachfolgend die Iowa-Studie sowie die Ohio/Michigan-Studien vorgestellt.
- Theoretische, idealtypische Konzeptionen, die auf Plausibilitätsüberlegungen und Literaturanalyse basieren. Sie versuchen, das in der Realität vorfindbare Führungsverhalten zu klassifizieren und zu erklären. Das weit verbreitete Führungskontinuum nach Tannenbaum/Schmidt sowie die traditionelle Vier-Klassen-Typologie der Führungsstile gehören zu dieser Kategorie. Sie werden in diesem Kapitel ebenfalls portraitiert.
In den USA herrschte von jeher großes Interesse an empirischen Ergebnissen zu Merkmalen und Auswirkungen verschiedener Führungsstile. Die erste grundlegende Einteilung stammt aus den Laborstudien von Lewin, Lippitt und White, die zwischen 1938 und 1940 an der Universität von Iowa durchgeführt wurden. Kinder zwischen zehn und elf Jahren sollten verschiedene Aufgaben erledigen und wurden dabei mit verschiedenen Gruppenleitern konfrontiert, die jeweils den autoritären oder den demokratischen Führungsstil praktizierten - so konnte man die beiden Führungsstile und ihre Wirkungen auf das Arbeitsverhalten beobachten und vergleichen. Der später von den Forschern hinzugefügte laissez-faire Führungsstil war ursprünglich gar nicht vorgesehen. Er entstand eher zufällig, als eine der Aufsichtspersonen die Kontrolle über die Kinder verlor (vgl. Danzinger 2012: 35; Hentze et al. 2005: 237).
Die drei US-amerikanischen Forscher kamen zum Ergebnis, dass der autoritäre Führungsstil hinsichtlich der Aufgabenerledigung gegenüber den beiden anderen zur größten Produktivität führte, die Kinder jedoch häufig Unzufriedenheit zeigten. Der demokratische Führungsstil wirkte sich positiv auf die Zufriedenheit und die Arbeitsleistung der Gruppe aus. Die nach dem laissez-faire Stil geführte Gruppe zeigte sowohl in puncto Aufgabenerledigung als auch hinsichtlich der Zufriedenheit die schlechtesten Ergebnisse. Im Anschluss wurden die Ergebnisse auf das Vorgesetzten-Mitarbeiter-Verhältnis übertragen, wobei die Charakteristiken der drei Führungsstile wie folgt festgehalten wurden:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tab. 1: Die Führungsstile der Iowa-Studie
Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Hentze et al. 2005: 238.
Dass die Autoren ihre Ergebnisse - ungeachtet des eingeschränkten Gültigkeitsbereichs - unreflektiert auf den Unternehmenskontext übertrugen und zudem die Empfehlung aussprachen, stets den demokratischen Führungsstil zu praktizieren, führte zu scharfer Kritik in der Forschung. Schließlich galt es zu beachten, dass es sich um Laborexperimente mit Kindern handelte, die in keinen Unternehmenskontext eingebunden waren und deren Tätigkeit für sie überhaupt keine existenzielle Bedeutung hatte. Zudem erwiesen sich die Ergebnisse nachfolgender Untersuchungen zu den Auswirkungen des autoritären und demokratischen Führungsstils als inkonsistent. Und zuletzt mag die dreiteilige Typologie zwar ein nützliches Instrument darstellen, um vielfältige Verhaltensweisen auf bestimmte Muster zu reduzieren, es ist jedoch unwahrscheinlich, dass die gesamte Komplexität des Führungsprozesses allein auf diese drei Führungsstile komprimiert werden kann (vgl. Hentze et al. 2005: 240f). Nichtsdestotrotz bildet die Iowa-Studie den historischen Ausgangspunkt in der Führungsstilforschung und gilt als wichtiger Impulsgeber für weitere Untersuchungen und Klassifikationsversuche von Führungsstilen (vgl. Danzinger 2012: 36; Staehle/Sydow 1987: 665).
Im Jahre 1947 begannen zwei unabhängig voneinander arbeitende Forscherteams, mithilfe von Feldstudien[9] in realen Arbeitssituationen die Erfolgswirkung unterschiedlicher Dimensionen des Führungsstils zu untersuchen (vgl. Hentze et al. 2005: 209-218; Wunderer 2001: 205ff):
- Die Gruppe der Ohio State University um Hemphill und Fleishman („Ohio-Studien“) identifizierte mittels umfangreicher Befragungen und Faktorenanalyse zwei unabhängige Dimensionen des Führungsverhaltens: Mitarbeiterorientierung („Consideration“) und Aufgabenorientierung („Initiating Structure“). Hierbei geht es jedoch nicht um ein „Entweder-oder“, sondern um zwei zeitgleich vorhandene Kontinua. So kann ein Führender z. B. zugleich sehr mitarbeiter- und aufgabenorientiert oder sehr aufgabenorientiert und wenig mitarbeiterorientiert sein. Für zufriedene Mitarbeiter und hohe Leistungsproduktivität müssen beide Führungsstile hoch ausgeprägt sein, so das endgültige Ergebnis der Forscher.
- Die Gruppe an der University of Michigan um Likert, Katz und Kahn („Michigan-Studien“) untersuchte den Zusammenhang zwischen Führungsstilen und bestimmten Effizienzkrite- rien (Produktivität der Leistung, Zufriedenheit etc.). Zwei grundlegende Muster des Führungsstils zeigten deutliche Korrelationen mit den Effizienzkriterien: Beziehungsorientierung („Employee Orientation“) und Aufgabenorientierung („Production Orientation“). Die Verwandtschaft zu den Ohio-Studien ist offensichtlich, jedoch ging man zunächst nicht von zwei unabhängigen Dimensionen aus, sondern nahm an, dass es sich bei den beiden Ausprägungen um die Endpunkte eines Kontinuums handelt. Je höher ein Vorgesetzter also mitarbeiterorientiert handelte, desto weniger agierte er aufgabenorientiert und umgekehrt. Darüber hinaus kam die Michigan-Gruppe zum Ergebnis, dass der mitarbeiterorientierte Führungsstil zur höchsten Produktivität und Arbeitszufriedenheit führt.
Je mehr Folgeuntersuchungen durchgeführt wurden, desto mehr überzeugte die Zwei- Dimensionen-Theorie der Ohio-Gruppe, weshalb sich auch deren Bezeichnungen „Consideration“ und „Initiating Structure“ durchsetzten (vgl. Northouse 2010: 72). Tabelle 2 zeigt typische Verhaltensmuster beider Dimensionen:
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Tab. 2: Zentrale Verhaltensmuster von Mitarbeiter- und Aufgabenorientierung Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Hentze et al. 2005: 211f; Wunderer 2001: 206.
Festgehalten werden kann, dass es sich bei den beiden Ausprägungen Mitarbeiter- und Aufgabenorientierung um fundamentale Kategorien zur Klassifizierung von Führungsstilen handelt. Sie sind empirisch-statistisch belegt, ermöglichen das Messen von identifizierbarem Verhalten und dienen einer Reihe von Forschungsarbeiten, wie z. B. der bereits erwähnten Kontingenztheorie nach Fiedler, als Anknüpfungspunkt. Die Aussagen der Studien über die Wirkung der beiden Führungsstile auf die Kriterien von Führungserfolg (Zufriedenheit und Produktivität) können so jedoch nicht aufrechterhalten werden. Vielmehr zeigten sich in Folgestudien widersprüchliche und uneinheitliche Korrelationen. Diese deuten darauf hin, dass der Führungsstil nicht dereinzig relevante Bestimmungsfaktorvon Führungserfolg sein kann, sondern auch andere Aspekte, wie z. B. Stress, die Beziehung zwischen den Mitarbeitern oder vorhandene Qualifikationen eine Rolle für die Produktivität und Arbeitszufriedenheit spielen. Zudem erlaubt der gegenwärtige Stand der Forschung die Annahme, dass diese beiden Führungsstile allein nicht genügen, um die Komplexität von Führungsverhalten ausreichend zu erfassen (vgl. Wunderer 2001: 207; Hentze et al. 2005: 213-216).[10]
Das bekannteste theoretische Konzept zur Klassifizierung von Führungsstilen stammt von den US-Amerikanern Robert Tannenbaum und Warren Schmidt (1958). Die beiden Wissenschaftler greifen zurück auf die Ergebnisse der Iowa-Studie und betrachten den autoritären und den demokratischen Führungsstil als Endpunkte eines Kontinuums. Sie fügen, nach dem Grad der Mitarbeiterbeteiligung an Entscheidungen, fünf weitere Ausprägungen hinzu und konzipieren eine idealtypische, siebenstufige Typologie der Führungsstile (vgl. Jung 2011: 423f; Hentze et al. 2005: 242f):
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Abb. 2: Das Führungskontinuum nach Tannenbaum/Schmidt Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Wunderer 2001: 209.
Im Gegensatz zu den zuvor empirisch ausgerichteten Theorien gehen Tannenbaum und Schmidt nicht davon aus, dass es einen einzig „richtigen“ oder gar einen „besten“ Führungsstil gibt. Vielmehr benennen sie Faktoren, die bei der Wahl eines Führungsstils zu berücksichtigen sind. Dazu gehören Charakteristika des Vorgesetzten (z. B. sein Vertrauen in die Mitarbeiter), Charakteristika der Mitarbeiter (z. B. Erfahrungen und Kompetenzen) und Merkmale der Situation (z. B. Art der Aufgabe). Um erfolgreich zu führen, muss der Vorgesetzte demnach die einzelnen Faktoren realistisch einschätzen können und seinen Führungsstil jeweils entsprechend anpassen (vgl. Jung 2011: 424; Staehle 1999: 338).
Die Kontinuumtheorie wird kritisiert, da sie nur ein Merkmal der Führung, nämlich den Grad der Entscheidungsbeteiligung berücksichtigt. Dass diese Auffassung empirisch nicht haltbar ist, kann durch eine Reihe von Feldstudien nachgewiesen werden. Trotz allem genießt dieser Ansatz aufgrund seiner Anschaulichkeit und guten Nachvollziehbarkeit auch heute noch weite Verbreitung. Darüber hinaus gelingt es dieserTheorie, die in der Führungsstilforschung häufig synonym gebrauchten Begriffe „demokratisch“, „kooperativ“ und „delegativ“ voneinander abzugrenzen (vgl. Hentze et al. 2005: 244; Jung 2011: 424; Staehle/Sydow 1987: 664).
In der deutschsprachigen Literatur bis heute weit verbreitet ist die Unterteilung in vier idealtypische Führungsstile. Sie basiert auf den drei Idealtypen legaler Herrschaft nach Max Weber, der zwischen traditioneller, charismatischer und bürokratischer Führung differenzierte. Die weitere Unterscheidung des traditionellen Führungsstils in autokratisch und patriarchalisch führte im Ergebnis zur nachfolgenden Vier-Klassen-Typologie (vgl. Holtbrügge 2013: 231 f; Jung 2011: 422f; Hentze et al. 2005: 246f):
- Der patriarchalische Führungsstil ist gekennzeichnet durch die Autorität des Vorgesetzten, der wie in der Rolle eines Familienvaters agiert. Der Patriarch ist zur Treue und Fürsorge gegenüber seinen Geführten verpflichtet. Im Gegenzug erwartet er Dankbarkeit, Loyalität und Gehorsam von seinen Untergebenen.
- Der autokratische Führungsstil ist v. a. in großen Organisationen (Heer, Staat, großen Unternehmen etc.) anzutreffen. Der Führer ist alleiniger Entscheidungsträger. Er bedient sich zur Herrschaftsausübung eines umfangreichen hierarchischen Führungsapparates, wobei untergeordnete Instanzen seine Entscheidungen durchsetzen. Es besteht kein unmittelbarer Kontakt zwischen Führer und Geführten.
- Der charismatische Führungsstil gründet auf einmaligen, besonderen Persönlichkeitsmerkmalen des Vorgesetzten. Charismatische Führer sind besonders in Krisenzeiten und Notsituationen gefragt. Sie können auf die Unterstützung struktureller Maßnahmen verzichten, da sie ihren Führungserfolg einzig auf ihre Persönlichkeit zurückführen.
- Der bürokratische Führungsstil bildet die extreme Form der Strukturierung und Reglementierung von Verhaltensweisen (Stellenbeschreibungen, Dienstvorschriften, Richtlinien). An die Stelle willkürlicher Entscheidungen des Führers tritt seine Sachkompetenz, die er u. a. zur Umsetzung von Regeln und Vorschriften nutzt (vgl. Hentze et al. 2005: 246; Holtbrügge 2013: 231; Freund/Knoblauch/Eisele 2003: 128f).
Da auch heute noch in vielen Unternehmen ähnliche Formen der Führung praktiziert werden, können reale Verhaltensmuster von Vorgesetzten mithilfe dieser Typologie eingeordnet und beschrieben werden (vgl. Jung 2011: 422). Das theoretische Konzept macht aber keine Aussage darüber, welche Art und Weise der Führung die „richtige“ ist. Es kann lediglich als „Heuristik der Hypothesengewinnung“ betrachtet werden (Staehle 1999: 335).
Abschließend ist anzumerken, dass theoretische Konzepte v. a. auf Intuitionen, Plausibilitätsüberlegungen und Literaturanalysen basieren. Sie sind weder empirisch gewonnen noch belegt. Sie beschreiben vielmehr „reine“ Ausprägungen von Führungsstilen, was dem Rezipienten eine gute Orientierung ermöglicht. Zu bedenken istjedoch, dass die tatsächlich praktizierten Führungsstile auch zwischen den idealtypischen Stilen liegen können (vgl. Hentze et al. 2005: 252f).[11]
Allen vier hier vorgestellten Führungsstiltheorien - egal ob empirischer oder theoretischer Natur - ist eines gemeinsam: Sie vernachlässigen durchweg den kulturellen Aspekt und unterstellen damit implizit eine universelle Gültigkeit ihrer Klassifizierungen. Ob ein praktizierter Führungsstil aber nicht doch eher eine Frage der jeweiligen Kultur ist, und ob die vornehmlich in den USA entwickelten Theorien und ihre Empfehlung, den demokratischen Führungsstil zu praktizieren, überhaupt auf andere Kulturkreise übertragbar sind, soll daher im nachfolgenden Kapitel geklärt werden.
Angesichts der zahlreichen Untersuchungen, die kulturelle Unterschiede in der Management- und Führungspraxis von Unternehmen bestätigen, könnte man annehmen, dass die wichtige Bedeutung kultureller Aspekte inzwischen überall in der Forschung akzeptiert ist. Dies ist aber keineswegs so. Vielmehr stehen sich seit Beginn der kulturvergleichenden Management- bzw. Führungsforschung zwei unterschiedliche Auffassungen gegenüber (vgl. Kutschker/Schmid 2011: 807): Die Vertreter der „culture-free“-These, genannt Universalisten, und die Vertreter der „culture-bound“-These, genannt Kulturalisten.
Die Anhänger des kulturfreien Ansatzes vertreten die Auffassung, dass es in puncto Führung keine wesentlichen Unterschiede zwischen einzelnen Ländern gibt, da Führende überall mit ähnlichen Aufgaben und Problemen konfrontiert werden. Demnach existiere ein „one best way“ der Mitarbeiterführung, der für alle Kulturen gleichermaßen gelte. Verhaltensunterschiede von FK gehen folglich allein auf individuelle Eigenschaften der Person, den Unternehmenskontext oder auf technische und wirtschaftliche Entwicklungsunterschiede zwischen verschiedenen Ländern zurück. Darüber hinaus stimmen die Vertreter des „culture-free“- Ansatzes darin überein, dass bestimmte Aspekte der Führung, wie z. B. die Art und Weise der Zielvereinbarung, universell von einem Land zum anderen übertragen werden können (vgl. Park 1983: 11; Kutschker/Schmid 2011: 807). Anhänger des „culture-bound“-Ansatzes können dem jedoch nur widersprechen, denn was man unter einem Ziel versteht, ob „der Weg das Ziel“ oder „der Zweck die Mittel heiligt“ und ob der Einzelne oder die ganze Gruppe für die Zielerreichung verantwortlich sein soll, dies unterscheide sich auf jeden Fall von Kultur zu Kultur (vgl. Klimecki 1996: 341). Ein „one best way“ dürfe demzufolge nicht postuliert werden, besser sei es von „several good ways“ der Führung zu sprechen (vgl. Kutsch- ker/Schmid 2011: 807). Kulturalisten sind sich darüber einig, dass Führungsverhalten kulturbedingt variiert. Dies gilt v. a. für Fragen der Interaktion zwischen Vorgesetztem und Mitarbeiter, denn hier „dürfte die Landeskultur den entscheidenden Einflussfaktor darstellen“ (Kli- mecki 1996: 341). Es ist zwar naheliegend anzunehmen, dass sich im Zuge der Globalisierung nicht nurWirtschaftssysteme, sondern auch Führungskulturen annähern, jedoch zeigen empirische Längsschnittstudien, dass FK ihr Verhalten in allen Ländern, für die verlässliche Daten existieren, in den letzten 20 Jahren kaum verändert haben (vgl. Littrell 2005: 423). Auch Kieser/Child verweisen auf die kulturelle Prägung verhaltensbezogener Aspekte der Führung:
„Even if organizations located within different societies do face similar contingencies and adopt similar models of formal structures, deep-rooted cultural forces will still reassert themselves in the way people actually behave and relate to each other“ (1979: 251).
Zur Frage der Kulturabhängigkeit oder -unabhängigkeit der Führung erklärt Brodbeck, langjähriger Leiter des GLOBE-Projektes in Deutschland, gestützt auf die empirischen Befunde der Studie, dass der Gesellschaftskultur gegenüber anderen Aspekten, wie z. B. dem Unternehmenskontext, eine zehnmal stärkere Vorhersagekraft für die Führungskultur zukommt. Demnach, so seine Auffassung, sei es egal, wie viel Globalisierung die Welt noch erleben werde, Führungskulturen würden sich immer voneinander unterscheiden (vgl. Brodbeck 2008a: 19f).
Die vorliegende Arbeit schließt sich der „culture-bound“-These an. Wie in Kapitel 2.2.2 anhand des Kulturmodells von Hofstede noch gezeigt wird, besitzen Deutsche und Chinesen sehr spezifische Vorstellungen hinsichtlich des als „angemessen“ erachteten Führungsverhaltens in ihrem jeweiligen Land. Darüber hinaus werden die empirischen Studien in Kapitel 4 darlegen, dass sich genau diese unverkennbaren Vorstellungen in den typischen Verhaltensweisen von deutschen und chinesischen FK widerspiegeln.
Der kulturvergleichenden Führungsstilforschung geht es „um eine vergleichende Beschreibung der führungsstilbezogenen Einstellungen und Verhaltensweisen in verschiedenen Kulturen“ (Keller 1995: 1398) und damit auch um die geografische Eingrenzung von als „erfolgreich“ deklarierten Führungsstilen. In diesem Zusammenhang stellt sie auch die Frage nach der universellen Übertragbarkeit der vornehmlich in den USA entwickelten Führungsstiltheorien und Führungspraktiken. Als anwendungsorientierte Wissenschaft will sie darüber hinaus Hinweise darauf geben, wie interkulturelle Konflikte zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern aus unterschiedlichen Kulturen entstehen können, um daraus Handlungsempfehlungen für FK abzuleiten (vgl. ebd.: 1398; Büter2010: 267).
Trotz der relativ frühen Beschäftigung mit Führungsstilen in den USA fand die kulturelle Komponente lange Zeit - bis in die 1980/1990er-Jahre - überhaupt keine Beachtung in der Forschung. Lange Zeit dominierte die Meinung, Führung sei kulturfrei. Man suchte schließ- lieh nach universellen Regelmäßigkeiten. Kulturelle Varianzen wären dabei nur störend gewesen (vgl. Kutschker/Schmid 2011: 680). Ein echtes Forschungsinteresse an Führung im Sinne eines kulturellen Phänomens bzw. als Ausdruck einer Kultur entwickelte sich erst im Zuge der fortschreitenden Globalisierung, in deren Folge FK aus international tätigen Unternehmen zunehmend herausgefordert waren, mit Mitarbeitern aus anderen Kulturkreisen zusammenzuarbeiten. Sie bemerkten plötzlich, dass bestimmte Verhaltensweisen, die sich bei der Mitarbeiterführung im Stammland bewährt hatten, auf Ablehnung im Gastland stießen. Es entwickelte sich die Auffassung, dass kulturelle Werte sowohl für die Erwartungen der Geführten an das Führungsverhalten als auch für den Führungsstil selbst eine wichtige Rolle spielen mussten. FKwaren plötzlich gezwungen, ihreVerhaltensweisen an dieVorstellungen der Mitarbeiter im Gastland anzupassen, wofür es notwendig war, über die Art und Weise, wie Führung dort praktiziert wird, Bescheid zu wissen (vgl. Emrich 2011: 167; Park 1983: 8).
Zur kulturvergleichenden Führungsstilforschung hat die deutsche Forschung einen verhältnismäßig geringen Beitrag geleistet, obwohl gerade die BWL besonders stark mit kulturellen Fragen konfrontiert wird. Von einer wirklichen Öffnung gegenüber landeskulturellen Aspekten kann erst ab den 1990er-Jahren gesprochen werden. Dies mag z. T. mit der generellen „Führerallergie“ (vgl. Müller 1995: 583) in Deutschland zusammenhängen, geht aber auch darauf zurück, dass „Kultur“ vielen deutschen Wirtschaftswissenschaftlern lange Zeit suspekt war (vgl. Kutschker/Schmid 2011: 681). Die erste kulturvergleichende Führungsstilstudie, bei der auch Deutschland berücksichtigt wird, stammt von Gerstner/Day (1994), wobei Brodbeck/Frese (2008: 169) in einem Überblickskapitel zur Führungsforschung in Deutschland jene von Reber et al. (2000)[12] als früheste größere Untersuchung benennen.
In China existiert Forschung zum Gebiet der Führungsstile seit ca. 20 Jahren. Erst seitdem löst die chinesische Regierung nach und nach ihren starken Einfluss auf die Unternehmen, was dazu führt, dass Unternehmen, die lange Zeit umfassend durch die chinesische Regierung gesteuert und kontrolliert wurden, fortan selbst „ways to survive“ finden mussten. „As a result, the term leadership in China has gained meaning and substance“ (Fu/Wu/Yang 2008: 893). Die kulturvergleichende Studie von Gerstner/Day (1994) kann ebenfalls als früheste Untersuchung für den chinesischen Führungsstil angeführt werden.
Als wissenschaftliche Erhebungen finden in der kulturvergleichenden Führungsstilforschung insbesondere Befragungen, Beobachtungen und Experimente Anwendung, womit Worte, beobachtbare Verhaltensweisen und Interaktionen untersucht werden können. Ergänzend werden z. T. auch Inhaltsanalysen von Diskussionen oder Printmedien eingebunden (vgl. Hentze et al. 2005: 67f; Wunderer 2001: 167f).
Als Kernproblem ist zunächst - wie in der gesamten kulturvergleichenden Forschung - der Ethnozentrismus bzw. das sogenannte Selbstreferenz-Phänomen, zu nennen (vgl. Holzmüller 1995: 50f). Unter „Ethnozentrismus“ versteht man die Tendenz, zu denken, dass die Eigenschaften, Werte und Vorstellungen der eigenen Rasse oder Gruppe einer anderen überlegen sind. Die eigene Kultur wird als der „natürliche und richtige Weg des Lebens“ angesehen. Darüber hinaus ist „ethnocentrism a universal tendency, and each of us is a ethnocentric to some degree“ (Northouse 2010: 337).
Auch Forscher interpretieren die Realität außerhalb ihres eigenen Kulturkreises auf der Basis ihrer typischen Sozialisation. Dadurch besteht die Gefahr von ethnozentrischen Verzerrungen (Bias), die zu jedem Zeitpunkt im Forschungsprozess (so z. B. beim Formulieren von Hypothesen, bei der Konzipierung des Fragenkatalogs oder bei der Interpretation der Ergebnisse) auftreten können (vgl. Holzmüller 1995: 51).
Um ethnozentrischen Bias vorzubeugen, empfiehlt Holzmüller den Forschern die Teilnahme an interkulturellen Trainings. Diese können zur Steigerung der kulturellen Sensibilität beitragen, da man sich dort „die in der Zielkultur als auch die in der Ausgangskultur geltenden zentralen Kulturstandards“ bewusst macht (1995: 146).
Daneben sollten die Instrumente zur Erhebung von Daten am besten kulturübergreifend von einem internationalen Team entwickelt werden, während die Durchführung und Auswertung der Erhebung von einem kulturangehörigen Forscher vorgenommen werden sollte (vgl. Seipel/Rieker 2003: 226; zit. nach Janzer2007: 29). Eine Studie, die sich in besonderem Maße bemüht, ethnozentrischen Verzerrungen entgegenzuwirken, ist die GLOBE-Studie. Bei ihr waren mehr als 170 Forscher aus 62 Ländern an der Erstellung und Überprüfung des Fragenkatalogs beteiligt, womit der Vorwurf, die Untersuchung sei westlich geprägt, leicht zurückgewiesen werden kann (vgl. Kutschker/Schmid 2011: 763). Hinzu kommt, dass die Durchführung der Erhebung sowie die Interpretation der Ergebnisse immer durch einen Forscher der jeweiligen Kultur erfolgte (vgl. Chhokar/Brodbeck/House 2008: 1).
Ein weiteres Problem besteht in der Art und Weise, wie das Konstrukt Kultur von Forschern verstanden und operationalisiert wird. Es gibt zahlreiche Definitionen von Kultur und damit keine einheitliche theoretische Basis für Forschungsarbeiten. Dies führt dazu, dass die Kulturkonzeption, über die gesamte kulturvergleichende Führungsforschung betrachtet, thematisch sehr unkoordiniert verläuft (vgl. Janzer 2007: 33f). Um ein interkulturelles Forschungsvorhaben angemessen theoretisch-konzeptionell zu fundieren, empfiehlt Holzmüller, auf
Konzepte zurückzugreifen, die sich bereits bewährt haben und eine grenzüberschreitende Akzeptanz besitzen. Seine Empfehlung basiert auf pragmatischen Überlegungen, die darauf abzielen, die Fülle der Probleme, die sich aus dem kulturvergleichenden Charakter ergeben, dadurch zu reduzieren, „daß zumindest in manchen Gestaltungsbereichen auf bereits gut entwickelte Module zurückgegriffen wird“ (1995: 161). In jedem Fall sollte der Forscher seine Grundposition gegenüber dem Phänomen Kultur deutlich machen und zum Ausdruck bringen, dass eine Vielzahl von anderen Sichtweisen möglich wäre (vgl. ebd.: 163).
Mit diesem Problem eng verbunden ist auch die Frage, wie das Konstrukt Kultur operationa- lisiert werden soll. Hierbei ergeben sich zwei zentrale Problembereiche: Einerseits steht die Frage im Raum, durch welche Indikatoren Kultur zuverlässig und gültig abgebildet werden kann. Andererseits geht es um die Frage nach der tatsächlichen Relevanz der ausgewählten Kulturindikatoren für die zu untersuchende Fragestellung des Forschungsprojektes (vgl. Holzmüller 1995: 74f). Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass ein derart komplexes Konstrukt wie Kultur nicht erschöpfend abgebildet werden kann, weshalb sich der Forscher - entsprechend seiner konkreten Forschungsabsicht - auf einzelne Aspekte fokussieren sollte. Hierzu empfiehlt es sich, das Konstrukt Kultur über mehrere Stufen zu spezifizieren, bis es mithilfe von Messinstrumenten erhoben werden kann. Hierbei ist das Kulturkonzept zunächst über geeignete Dimensionen (z. B. Werte, Kommunikationsstil etc.) zu unterteilen, für die im weiteren Vorgehen geeignete Indikatoren (z. B. Individualismus, Direktheit usw.) gefunden werden müssen, bevor es im letzten Schritt gilt, taugliche Erhebungsinstrumente (z. B. Items für Fragebögen, Beobachtungsaspekte für Beobachtungen etc.) zu entwickeln (vgl. Holzmüller 1995: 174f).
Wie bereits in Kapitel 2.1.2.2 dargestellt, sind Führungstheorien und -instrumente in der Vergangenheit fast ausschließlich in den USA entwickelt worden. Durch den Erfolg großer amerikanischer Unternehmen glaubten viele Forscher lange, dass US-Theorien die besten seien und als „Weltstandard“ überall auf der Welt übernommen werden müssten (vgl. Hofstede/Hofstede 2009: 137). So erkannte man erst sehr spät, dass die vorrangig in den USA entwickelten Führungsstil-Klassifizierungen und ihre Empfehlung, den demokratischen Führungsstil zu praktizieren, überhaupt keine allgemeine Gültigkeit besitzen, da sie auf kulturellen Voraussetzungen gründen, die in anderen Kulturen nicht gegeben sind (vgl. Hentze et al. 2005: 528; Hofstede/Hofstede 2009: 87). Sie repräsentieren US-amerikanische Werte, wie Leistungsorientierung, geringe Machtdistanz und hohen Individualismus. Jedes System der Führung muss aber auf die mentalen Programme der Untergebenen abgestimmt werden und darf nicht einfach nach Belieben praktiziert werden, denn hinsichtlich der Kultur folgt der Führende seinen Mitarbeitern und nicht umgekehrt, wie Hofstede (1994: 12) erklärt. Der demokratische Führungsstil, so sind sich die Forscher mittlerweile einig, würde in Ländern mit ho- her Machtdistanz, wie z. В. China, zu Problemen führen. Die Mitarbeiter sind es dort nicht gewohnt, in Entscheidungsprozesse integriert zu werden. Sie wollen gesagt bekommen, was sie zu tun haben. Ein ihnen gewährter Freiraum wird dort als Mangel im Führungsverhalten bzw. als unzureichende Kompetenz des Vorgesetzten gewertet (vgl. Wulf 2006: 41f).
Als weiteres Beispiel für die nicht mögliche Übertragbarkeit von US-Theorien auf andere Kulturräume soll an dieser Stelle auf das berühmteste Führungsinstrument „Made in USA“ verwiesen werden: MbO (Management by Objectives). Dieses Konzept hat in Deutschland unter dem Namen „Führung durch Zielvereinbarung“ weite Verbreitung gefunden und wird heute in den meisten großen und mittelständischen Unternehmen praktiziert (vgl. Müller 1995: 58; Hofstede 1980: 58).
Da MbO auch von meinem Arbeitgeber, der Mainzer Volksbank eG, eingesetzt wird, will ich kurz erklären, wie das Konzept funktioniert und welche kulturellen Werte sich darin widerspiegeln: Einmal im Jahr handelt der Vorgesetzte mit jedem einzelnen Mitarbeiter (hoher Individualismus) das Jahresziel aus (geringe Machtdistanz), das sich i. d. R. an der Zielerreichung des Vorjahres orientiert. Die Anzahl der zu erreichenden Abschlüsse wird schriftlich detailliert fixiert und von beiden Seiten unterschrieben (hohe Unsicherheitsvermeidung). Leistungsorientierung wird vom Chef und den Mitarbeitern geschätzt (hohe Maskulinität). Im wöchentlichen Abstand sendet der Vorgesetzte jedem Mitarbeiter eine Excel-Datei mit der bisherigen Zielerreichung (kurzfristige Orientierung). Entwickeln sich die Abschlüsse der Verträge zu schwach, kommt es zu einem Gespräch zwischen Chef und Mitarbeiter, wobei der Führende dann ganz offen Kritik (Kritikkultur) an der zu geringen Leistung ausspricht (eigene Erfahrung).
Es verwundert nicht, dass der amerikanische Versuch, dieses Konzept in den asiatischen Raum zu übertragen, völlig scheiterte (vgl. Swierczek 1992: 5). Asiatische Mitarbeiter sprechen nicht auf Augenhöhe mit ihrem Chef. Sie ziehen persönliche Ansprachen immer dem schriftlichen Wort vor. Ziele gelten zumeist für die gesamte Gruppe und nicht für den Einzelnen. Wettbewerbsdenken gilt als verpönt und ist allenfalls etwas für „westliche Teufel“. Und selbst wenn eine Gruppe ihre Ziele nicht erreicht, so gilt das noch lange nicht als Grund, Kritik zu üben. Die Harmonie mit dem Vorgesetzten und den Kollegen ist schließlich zu jedem Zeitpunkt zu bewahren.
Will man Führungstechniken erfolgreich in einen anderen Kulturraum übertragen, so ist in jedem Fall das soziokulturelle Bedingungsgefüge zu beachten. Es reicht nicht, ein Konzept zu formalisieren und einfach durchzusetzen. Es muss in die Wertecodes der fremden Kultur übersetzt werden, um dem Führungsinstrument eine Bedeutung zu geben, die in der anderen Kultur einen „Sinn“ macht (vgl. Klimecki 1996: 342). Vor vorschnellen Generalisierungen und Übertragungen sollten sich westliche FK unbedingt hüten (vgl. Stumpf 2003: 331).
Da die theoretischen Grundlagen zum Bereich der Führung und der Führungsstilforschung in den vorangegangenen Kapiteln ausführlich behandelt wurden, soll dies nun auch für die zweite wichtige Komponente dieser Arbeit, den Kulturaspekt, erfolgen, denn „Führungskräfte, wie auch die Menschen, mit denen sie arbeiten, sind Teil einer nationalen Gesellschaft. Wenn wir ihr Verhalten verstehen wollen, müssen wir zuerst einmal ihre Gesellschaften verstehen“ (Hofstede/Hofstede 2009: 25).
Definitionen des Begriffs „Kultur“ gibt es unzählige. Bereits in den 1950er-Jahren fanden Wissenschaftler rund 164 Definitionen, was darauf schließen lässt, dass Einigkeit darüber, was Kultur ausmacht, wohl auch in Zukunft kaum zu erwarten ist (vgl. Emrich 2011: 23; Thomas 2003: 21).
Hofstede sieht Kultur als „kollektive Programmierung des Geistes, die die Mitglieder einer Gruppe oder Kategorie von Menschen von einer anderen unterscheidet“ (Hofstede/Hofstede 2009: 4). Die Programmierung ist dabei nicht angeboren, sondern wird im Rahmen des Sozialisationsprozesses erlernt. Ein Großteil davon wird bereits in der Kindheit erworben und setzt sich in der Schule, am Arbeitsplatz oder auch in der Partnerschaft fort (vgl. ebd.: 3f). Die kollektive Programmierung zeigt sich laut Kutschker/Schmid (2011: 674) in der Gesamtheit der geteilten Grundannahmen, Werte, Normen und Überzeugungen, die sich in einer Vielzahl von Verhaltensweisen und Artefakten ausdrücken. Sie haben sich als Antwort auf die vielen Anforderungen ergeben, die an die soziale Einheit gestellt werden. Thomas sieht Kultur als Orientierungssystem (2003: 22f), das sich aus spezifischen Symbolen gebildet hat, und in der Gesellschaft tradiert, das heißt, an nachfolgende Generationen weitergegeben wird. Dieses System definiert die Zugehörigkeit zu einer Gesellschaft und strukturiert ein begrenztes Handlungsfeld für Individuen, das von geschaffenen Objekten bis hin zu Institutionen, Ideen und Werten reicht. Wer längere Zeit einen solchen Sozialisationsprozess durchlaufen hat, weiß über das, was zu tun und zu lassen ist, Bescheid. So erfahren Individuen Bestätigung aus ihrer sozialen Umwelt, wenn sie sich entsprechend regel- und normenkonform verhalten, bei abweichendem Verhalten erfahren sie direkte oder indirekte Missbilligung. Entsprechende Regeln und Normen sind den Mitgliedern einer Kultur weitgehend unbewusst und werden in der Regel nur durch fremdkulturelle Kontrastierung sichtbar. Darüber hinaus darf nicht vergessen werden, dass es sich bei Kultur immer um ein kollektives Phänomenen ohne Anspruch auf Allgemeingültigkeit handelt, da sich Individuen generell auch anders verhalten können, als es ihre Landeskultur erwarten lässt (vgl. Büter 2010: 254).
[...]
[1] Führungskraft wird im Folgenden mit FK abgekürzt.
[2] Zur besseren Lesbarkeit wird in dieser Arbeit ausschließlich die männliche Form verwendet. Diese impliziert aber immer auch die weibliche Form.
[3] Für die Beurteilung des Führungserfolgs sind zwei Elemente maßgeblich. Dazu gehören ökonomischer Erfolg (Produktivität der Leistung, Zielerreichung) und sozialer Erfolg (Arbeitszufriedenheit). Für Letzteres spielt v. a. die Beziehung zwischen Vorgesetztem und Mitarbeiter eine wichtige Rolle (vgl. Wunderer 2001: 4).
[4] Theorien sind Aussagensysteme, die die Beschreibung und Vorhersage von empirischen Sachverhalten ermöglichen. Sie haben v. a. Erklärungsaufgaben. Führungstheorien beschreiben Merkmale und Auswirkungen von Führungsverhalten (vgl. Wunderer 2001: 270f).
[5] Untersuchungen zum Eigenschaftsansatz wurden insbesondere zwischen 1930 und 1950 betrieben (vgl. Jung 2011:416).
[6] Dem wäre hinzuzufügen, dass selbst wenn eine positive Korrelation eines Persönlichkeitsmerkmals mit einer Variablen des Führungserfolgs vorliegen würde, eine Theorie zur Erklärung dieser Korrelation notwendig wäre. Es gibt jedoch keine schlüssige Theorie dazu (vgl. Drumm 2008: 428).
[7] Als Beispiel sei an dieser Stelle auf die GLOBE-Studie verwiesen, die einen der Schwerpunkte in Kapitel 4 bildet.
[8] Zur besseren Veranschaulichung der Reifegradtheorie befindet sich eine Grafik dazu in Anhang 2.
[9] Im Gegensatz zu Laborstudien versuchen Feldstudien unter natürlichen Bedingungen Informationen über das Führungsverhalten zu gewinnen (Methode: Verhaltensbeschreibungen durch Mitarbeiter auf der Grundlage von Befragungen) (vgl. Staehle 1999: 341).
[10] Neben den beiden hier vorgestellten empirischen Ansätzen gibt es auch noch die Group-Dynamics-Studien (1968), deren Ergebnis sich jedoch nur begrifflich von den Ergebnissen der Ohio/Michigan-Studien unterscheidet. Da sich in der neueren Literatur nur selten Hinweise zu den Group-Dynamics-Studien finden, wird dieser Ansatz hier nicht näher betrachtet. Für nähere Informationen sei auf Staehle (1999: 446f) verwiesen.
[11] Neben den beiden hiervorgestellten idealtypischen Konzepten gibt es auch noch die Typologien von Blake/Mouton (1964) und Lattmann (1972). Aufgrund der hier zur Verfügung stehenden Seitenzahl wurde der Fokus jedoch auf die beiden am häufigsten zitierten Ansätze gelegt. Nähere Informationen zu letzteren beiden befinden sich in Hentze et al. (2005: 227-233 und 247-252).
[12] Nähere Informationen zu Publikationsort, Zielsetzung, Methode und Ergebnis der beiden Studien befinden sich in Kapitel 4.3.
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