Wissenschaftlicher Aufsatz, 2000
16 Seiten
Fernsehen als Sozialisationsagent
Talkshows im Nachmittagsprogramm
Daten und Methode
Ergebnisse
Soziale Konflikte
Sex und Sexualität
Schwangerschaft
Intoleranz / Vorurteile und Aggression / Gewalt
Aussehen und Süchte
Lebenskrisen
Sonstige negative Normabweichung und sonstige Themen
Einordnung der Ergebnisse und Relevanz für die Sozialisation
Literatur
Tabelle 1: Soziale Konflikte als Talkthemen absolut und in Prozent aller Talkshows
Tabelle 1: Soziale Konflikte als Talkthemen absolut und in Prozent aller Talkshows
Tabelle 2: Sex und Sexualität als Talkthemen absolut und in Prozent aller Talkshows
Quelle: Eigene Berechnungen, Zahlen nach Heidkamp (1998)Tabelle 3: Schwangerschaft als Talkthemen absolut und in Prozent aller Talkshows
Tabelle 3: Schwangerschaft als Talkthemen absolut und in Prozent aller Talkshows
Tabelle 4: Intoleranz und Vorurteile als Talkthemen absolut und in Prozent aller Talkshows
Wohl kaum ein anderer Bereich hat in den Sozial- und Verhaltenswissenschaften (Pädagogik, Psychologie und Soziologie) eine derart zentrale Bedeutung wie die Sozialisation. Die Sozialisation von Kindern und Jugendlichen ist mehrdimensional und wird über verschiedene Sozialisationsagenten - wie etwa die Familie oder die Schule - vermittelt (Habermas, 1971, 132). Typisch für die familiale und die schulische Sozialisation ist, daß sie zum einen intentional abläuft. Das heißt, daß der Sozialisationsagent (bspw. der Lehrer oder die Mutter) versucht, zielgerichtet und im Idealfall positiv auf die Entwicklung des Kindes einzuwirken. Die Erreichung des jeweiligen Sozialisationsszieles wird unterstützt durch die Möglichkeit, Kontroll- und Sanktionsmechanismen einzusetzen (Habermas, 1971, 140, Krebs, 1981).
In diesem Sinne kann dem Fernsehen lediglich der Status eines indirekten Sozialisationsagenten zugesprochen werden. „Wenn das Fernsehen hier als Sozialisationsagent angesprochen wird, dann im Hinblick darauf, daß beim Fernsehkonsum indirekte Sozialisationsprozesse stattfinden, die weder intendiert sind, noch mittels sozialer Kontrollmechanismen sanktionsiert werden können.“ (Krebs, 1981). Denn auch wenn Lernprozesse qua Konditionierung oder Trial-and-Error durch das Fernsehen nicht möglich sind, kann der Rezipient (jeden Alters) eine Vielzahl von Codes, Regeln, Verhaltensweisen und Normen anderer durch symbolische Kommunikation lernen. Diese sozialen Lernprozesse werden kognitiv gespeichert und können dauerhafte Handlungsorientierungen mit der Möglichkeit des Transfers auf zukünftige reale Situationen initiieren (Krebs, 1981). Exemplarisch sei die Bedeutung des TV-Konsums für die Entstehung aggressiven Verhaltens genannt (Zimbardo, 1992, 262, Groebel, ?, Huesmann, Lagerspetz, Eron, 1984, Freedman, 1984). Zwar hat einerseits die Erforschung der Medienwirkungen verschiedener medialer Darstellungen wie z.B. Gewalt, prosoziales Verhalten, Pornographie (Medienwirkungsforschung) eine lange Forschungstradition (Amelang, 1986, 311, Ausubel, 1974, 502, Groebel, 19??, Maccoby, 1964, 323), doch erfordert andererseits die sich ständig verändernde Medienlandschaft umsomehr eine dauernde aktuelle Beobachtung und Analyse der TV-Inhalte (Medieninhaltsforschung).
Während Inhaltanalysen zu Kinderprogrammen, Trickfilmen und Actionserien für das deutschsprachige Sendegebiet durchaus verfügbar sind (bspw. für „Pumuckl“ vgl.: Neumann-Braun, 1991, für „Sesamstraße“ vgl: Paus-Haase, 1991, für „Knight-Rider“ vgl.: Schorb, 1991), ist dies für den derzeit boomenden Bereich der Talkshows nicht der Fall. Deswegen widmet sich dieser empirische Beitrag den aktuellen Inhalten von TV-Talkshows. Nach der Darstellung des Untersuchungsdesigns des vorliegenden empirischen Beitrages folgt im Hauptteil die deskriptive, univariate Analyse der Talkshowinhalte. Abschließend wird die Relevanz der Befunde für die Sozialisation von Kindern und Jugendlichen thesenartig dargestellt.
Der Untersuchungszeitraum dieser Erhebung umfaßt drei Fernsehmonate. In diesem Zeitraum wurden die Mittags-Talkshows der Sender RTL, SAT. 1 und ProSieben in einem Datensatz erfaßt. Grundlage dieser Untersuchung sind somit die Inhalte sämtlicher zwischen dem 02. März und dem 28. Mai 1998 ausgestrahlten Talkshows der Moderatoren Arabella Kiesbauer, Bärbel Schäfer, Ilona Christen, Jörg Pilawa, Vera Int-Veen, Sonja Zietlow und Hans Meiser. Als nach Einschätzung des Autors bester Indikator für die Inhalte dieser Talkshows wurden die jeweiligen Titel der Sendungen herangezogen. Auf diese Weise flossen somit insgesamt 428 Talkshows in die folgende Analyse ein. Der verwendete Datensatz wurde bereits anderenorts unter Nennung aller 428 Sendetitel ausführlich vorgestellt (Heidkamp, 1998). Zur Verdichtung der vorliegenden Informationen wurde ein Kategorisierungsschema entwickelt. Dabei wurden die einzelnen Themen zunächst Unterkategorien zugeordnet, die daraufhin dann zu Hauptkategorien zusammengefaßt wurden. Bei der Zuordnung wurde immer diejenige Kategorie gewählt, die dem Titel der jeweiligen Talkshow am exaktesten und spezifischsten entsprach.
Zunächst fällt die große Themenvielfalt der ausgestrahlten Talkshows auf (vgl. Abbildung). Deswegen ist auch eine weitere Zusammenfassung der in der Abbildung dargestellten Hauptkategorien nicht sinnvoll. Die mit Abstand häufigsten Themen sind zum einen „Soziale Konflikte“ und zum anderen „Sex und Sexualität“. Aufgrund der o.g. Themenbreite ist auch die Residualkategorie („Sonstige Themen“) relativ groß, trotzdem aber den anderen Kategorien nicht sinnvoll zuzuordnen.
Hier Abbildung einfügen
In fast jeder vierten Talkshow geht es um soziale Konflikte (Tabelle 1). Vor allem werden Konflikte und Probleme in der eigenen ehelichen oder nichtehelichen Partnerschaft besprochen (45 Sendungen[1] ): Die Themen kreisen dabei um das Verhalten der Partner innerhalb der Beziehung („Deine Liebe erdrückt mich“, „Ich will, daß Du Doch bei mir entschuldigst“, „Ehe ohne Liebe - ob das gutgeht“). Erst in zweiter Linie geht es bei der Hauptkategorie „Soziale Konflikte“ um Probleme oder Konflikte bei der Partnerwahl („Er könnte doch Dein Vater sein“, „Gegen alle Widerstände - und wir lieben uns doch“), oder um die Trennung zweier Partner („Bleib bei mir, wir haben doch ein Kind“). Bedeutend sind unter dieser Hauptkategorie auch Eltern-Kind-Konflikte („Meine Eltern sind das letzte“, „Mama, warum hast Du mich ins Heim abgeschoben?“).
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In einem weiteren knappen Viertel aller Talkshows geht es um Sex oder Sexualität (Tabelle2). Am bedeutendsten sind hier allgemeine sexuelle und pornographische Themen wie z.B. „Schmeiß Deine Pornos weg“ oder „Mein Kind hat mit 13 schon Sex“. Im übrigen wird über Seitensprünge / Sexuelle Affären („Meine Frau darf fremdgehen“), Unlust sowie über fast alle denkbaren Sexualpraktiken gesprochen. Häufig geht es z.B. um Themen wie Exhibitionismus („Schaut her - Ich zeig mich gerne nackt“), Prostitution („Anschaffen - Die lockere Mark nebenbei“), Homosexualität („Hilfe - mein Sohn ist schwul“) oder Promiskuität / Nymphomanie („Du bist ein Flittchen“).
[...]
[1] Sendungen werden in der Folge mit „S.“ abgekürzt.
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