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Diplomarbeit, 2004
142 Seiten, Note: 1,8
Medien / Kommunikation - Medien und Politik, Pol. Kommunikation
1. Einleitung
2. Hollywoodeske Muster
2.1 Archetypische Vorboten
2.1.1 Der klassische Monomythos
2.1.1.1 Funktionen des klassischen Mythos –für das Individuum
2.1.1.2 - für eine Gemeinschaft
2.1.2 Das Ritual
2.2 Der Amerikanische Monomythos
2.2.1 Der Aufbau
2.2.2 Die Darstellung des Helden
2.2.3 Funktionen
2.2.4 Entstehungsgeschichte
2.2.4.1 Paradiesische Zustände
2.2.4.2 Bedrohung des Paradieses
2.2.4.3 Selbstjustiz
2.2.4.4 Weitere Entwicklungen
2.2.5 Moralverständnis
2.2.6 Politikvermittlung im American Monomyth
2.2.6.1 Die politischen Traditionen der USA
2.2.6.1.1 Die vier Traditionslinien
2.2.6.1.2 Die politischen Traditionen der USA als Bestandteil des American Monomyth
2.2.6.2 Popfaschismus vs. Demokratieverteidigung
2.3 Zwischenresumée
3. Politikvermittlung und Unterhaltung
3.1 Unterhaltung vs. Information
3.2 Politische Verortung
3.2.1 Politische Kultur
3.2.2 Politische Identität
3.3 Politikvermittlung
3.3.1 Politische Rhetorik
3.3.2 Politische Inszenierung
3.3.2.1 Theatralisierung des Politischen
3.3.2.2 Von der Korporalität zur Personifizierung
3.3.2.3 Performance und politische Events
3.3.2.4 Wahrnehmung
3.3.3 Die politische Rhetorik des US-amerikanischen Präsidenten
3.4 Entertainisierung von Politik
3.4.1 Visualisierung
3.4.2 Komplexitätsreduzierende Politikvermittlung
3.4.3 Scheinwelt/ Illusionen/ Als-ob-Welten
3.4.4 Politischer Mainstream
3.4.5 Politainment
3.4.6 Medien-Metaphern
3.4.7 Douglas Kellner
3.4.8 Krieg als Massenkultur?
3.4.9 Beispiele aus Hollywood
3.5 Zwischenresumée
4. Propaganda
4.1 Begriffsbestimmung
4.2 Massenpsychologische Verortung
4.3 Abgrenzung zu Nachbardisziplinen
4.3.1 Funktionen der Nachbardisziplinen
4.3.2 Propaganda vs. politische PR
4.3.3 Propaganda vs. Persuasion
4.4 Propaganda in pluralistischen Systemen
4.4.1 Die Organisation der Medien
4.4.2 Merkmale effektiver Propaganda
4.4.2.1 Informative Propaganda
4.4.2.2 Ethnozentristische Orientierung
4.4.2.3 Moralvermittlung
4.4.2.3.1 Begriffsbestimmung Moral
4.4.2.3.2 Moralisieren
4.4.2.3.2.1 Verwendung von Dichotomien
4.4.2.3.2.2 Verkündung „großer Werte“
4.4.2.3.2.3 Oppositionspaar „wertvolle/ wertlose“ Opfer
4.5 Analyse von Propaganda
4.6 Legitimierungsstrategien für militärische Interventionen
5. Chronologie der Ereignisse nach dem 11. September
5.1 Der 11. September und Afghanistan
5.2 Irakkonflikt
5.3 Chronologie und hollywoodeske Muster
6. Methoden/ Untersuchungsdesign
6.1 Qualitative Inhaltsanalyse
6.2 Untersuchungsgegenstand
6.3 Kategoriensystem
6.4 Verwendete qualitative Techniken
7. Interpretation
7.1 Eine paradiesische Gemeinschaft... (Darstellung der eigenen Gemeinschaft)
7.1.1 Berücksichtigung konstituierender Werte der eigenen Gemeinschaft
7.1.2 Deklarierung des eigenen Wertesystems zum Maßstab
7.1.3 Betonung christlicher Werte
7.1.4 Verwendung von Symbolen
7.2 ...unterliegt einer Bedrohung (Darstellung von Bedrohungen)
7.2.1 Formen der Bedrohung
7.2.2 Reaktion der Gemeinschaft auf die Bedrohung
7.2.2.1 Opferrolle
7.2.2.2 Schwellenphase
7.2.2.3 Indizien für Communitas
7.2.2.4 Zusammenhalt in der Gruppe
7.2.3 Konstatieren eigener moralischer Verfehlungen
7.3 ...eines Feindes... (Darstellung der Feinde)
7.3.1 Feindbestimmung
7.3.2 Werte des Feindes
7.4 ...gesellschaftliche Institutionen, die üblicherweise mit der Behebung von Unregelmäßigkeiten betraut sind... (Darstellung von Institutionen)
7.5 ...versagen... . (Darstellung des Versagens von Institutionen)
7.6 ...Ein selbstloser Held tritt hervor... (Darstellung von Helden)
7.6.1 Bestimmung der Helden
7.6.2 Präsident als rituelle Autorität
7.6.2.1 Gemeinschaft auf einen einheitlichen Stand unterwerfen
7.6.2.2 Mit Kraft ausstatten
7.6.2.3 Aufruf zur Partizipation
7.7 ...und bekämpft den Feind... (Darstellung der Feindbekämpfung)
7.7.1 Drohungen und Forderungen
7.7.2 Aussagen über Bekämpfung
7.7.3 Zeit- und Handlungsdruck
7.7.4 Legitimation von Gewaltanwendung
7.7.5 Opferbeschreibung
7.8 ...Ein entscheidender Sieg wird erlangt... . (Darstellung von Siegen)
7.8.1 Art des Sieges
7.8.2 Wiederherstellung paradiesartiger Zustände
7.9 ...Der Held macht aufgrund der Ereignisse eine entscheidende Entwicklung durch
7.10 Zur Instrumentalisierung hollywoodesker Muster
8. Fazit
9. Literaturverzeichnis
10. Anhang
Die US-amerikanische Intervention im Irak im März 2003 und deren vorangegangene Versuche einer Legitimierung, stießen in weiten Teilen der Weltbevölkerung auf Unverständnis. Wie konnte es sein, dass eine demokratische Nation einen Angriffskrieg vorbereitete und schließlich auch vollzog, was zwar jeglicher völkerrechtlichen Grundlage entbehrte, aber von einem Großteil der eigenen Bevölkerung akzeptiert wurde? Für viele Nicht-Amerikaner zeugten die lancierten Entscheidungen hingegen von Unvernunft und von einem nicht nachvollziehbaren Unilateralismus. Dabei stellt sich die Frage, wie es den Verantwortlichen wohl gelungen war, den Großteil der eigenen Bevölkerung von der Notwendigkeit eines militärischen Eingriffs zu überzeugen.
Im Herbst 2002, gerade zu der Zeit, in der sich die Krise um den Irak konstituierte, hielt ich im Rahmen meines Studiums ein Referat über ein von Jewett und Lawrence als American Monomyth bezeichnetes Genre, welches eine Grundstruktur inhäriert, auf der die meisten Hollywoodfilme basieren sollen. Mit der weiteren Zuspitzung der Ereignisse um den Irak in den folgenden Monaten fielen mir frappierende Parallelen hinsichtlich deren Entwicklung unter Berücksichtigung der Terroranschläge des 11. September 2001 zu eben jenen „hollywoodesken“ Mustern auf: Die USA reagierte auf diese Attentate mit zwei Angriffskriegen, die Vereinigten Nationen wurden dabei übergangen, Feinde eindeutig als Inkarnation des Bösen identifiziert und benannt. Um insbesondere die Intervention im Irak zu legitimieren wurde eine gewaltige Propagandamaschinerie in Gang gesetzt.
Dabei entstehen Mutmaßungen darüber, ob die Anschläge, die von den Attentätern nach Actionfilmmanier inszeniert wurden, die US-Regierung dazu inspirierten, derartige Muster auch in ihrer Reaktion und deren medialer Darstellung umzusetzen. Um eine solche These zu unterstützen, muss die Einbettung der Unterhaltungskultur in die US-amerikanische Gesellschaft sowie die Tendenz der Politik zur Unterhaltungsorientierung berücksichtigt werden:
Die zunehmende Komplexität politischer Prozesse macht es notwendig, die oft langwierigen und schwer zu hinterblickenden Prozesse politischen Handelns in vereinfachter Weise zu kommunizieren, um diese zu legitimieren, Mehrheiten zu finden und Vertrauen aufzubauen. Im kommunikativen Handeln bedient sich der Mensch Konventionen, Codes und Routinen, die er im Laufe seines Sozialisationsprozesses erlernt hat. Dazu gehören freilich auch die Bildwelten und Narrationen, die durch die Medien auf ihn einwirken. Antworten auf Sinnfragen entnimmt er schon seit Jahrtausenden Symbolen, Mythen und Ritualen. Dabei stellt insbesondere eine bestimmte Form des Mythos, der Monomythos, den Entwicklungsprozess eines jeden Menschen in einer codierten Version dar. Mythen haben sich weiterentwickelt, und aufgrund kulturgeschichtlicher Ereignisse bildeten sich neue Formen heraus: So vermittelt u. a. das o. g. Genre des American Monomyth die Normen- und Wertewelten nach denen sich gegenwärtig der US-amerikanische Bürger orientieren kann.
Aufgrund der zunehmenden Marktorientierung auch in der Unterhaltungsindustrie werden zur Risikominimierung meist diejenigen Produkte dargeboten, die den größten kommerziellen Erfolg versprechen. Deren Strukturen erscheinen, obschon sie ohnehin im Laufe des Sozialisationsprozesses in der eigenen Gesellschaft entstanden und deshalb bereits allgegenwärtig sind, aufgrund dieser Tatsache noch präsenter. Um nun dem Bürger Politik vermitteln zu können, bietet es sich an, Muster von Unterhaltungsformaten zu adaptieren, um einen größtmöglichen Konsens herstellen zu können. Dies kann sowohl mit inszenatorischen Mitteln, aber auch über den Rückgriff auf gelernte Abläufe, Inhalte und Personenkonstellationen geschehen: Politik gestaltet sich so begreif- bzw. erlebbarer. Probleme und deren Lösungsansätze werden für den Adressaten transparenter und anschaulicher, wenn sich diese auf Bilder, Erzählungen und/ oder Mythen beziehen lassen.
In dieser Arbeit soll diese Verknüpfung von Politik und Unterhaltung anhand der Propaganda der US-Regierung nach dem 11. September unter Berücksichtigung der Instrumentalisierung gelernter Strukturen der Bevölkerung zur Durchsetzung von Interessen veranschaulicht werden. Der erste Teil widmet sich dabei den Spezifika und Funktionen des amerikanisch-monomythischen Genres, seiner Entstehungsgeschichte unter Berücksichtigung archetypischer Bestandteile sowie dessen Verortung in der Gesellschaft. Ferner soll theoretisch erörtert werden, ob das Genre grundsätzlich für eine Instrumentalisierung geeignet ist.
Im darauf folgenden Kapitel sollen soziokulturelle Hintergründe wie das Zusammenwirken von Politik und Unterhaltung mit der Klärung von Grundbegriffen sowie mit der Darlegung diverser Ansätze, die dieses Phänomen explizieren, spezifiziert werden. Im Erkenntnisinteresse steht zudem die Politikvermittlung und hierbei insbesondere der Begriff der politischen Rhetorik sowie die besondere symbolische Beziehung der US-amerikanischen Gesellschaft zu ihrem Präsidenten.
In Kapitel vier erfolgt eine Definition des Propagandabegriffs sowie eine Abgrenzung zu den Nachbardisziplinen. Des weiteren sollen unter Bezugnahme verschiedener Modelle die diversen Instrumentarien aufgezeigt werden, die zur Beeinflussung von Rezipienten dienen.
Zur Veranschaulichung folgt im fünften Kapitel eine Aufstellung der wichtigsten Ereignisse nach dem 11. September. In den weiteren Kapiteln wird schließlich eine qualitative Inhaltsanalyse durchgeführt, mit deren Hilfe die gestellten Thesen unter Berücksichtigung der zuvor theoretisch erarbeiteten Grundlagen auf ihre Konsistenz hin analysiert werden sollen. Gegenstand dieser Analyse sind dabei Reden des US-Präsidenten George W. Bush, die zwischen dem 11. September 2001 und dem 20. Januar 2004 gehalten wurden. Dabei soll letztendlich erörtert werden, ob tatsächlich unterhaltungskulturelle Muster in der politischen Rhetorik verwendet und für eine Herstellung von Konsens beim Rezipienten instrumentalisiert wurden.
Es existiert freilich eine Vielfalt von Theorien über Mythen und deren Muster bzw. deren Verortung im alltäglichen Leben, dennoch soll im folgenden der Ansatz von Joseph Campbell fokussiert werden. Dieser prägte den Begriff des Monomythos, auf den sich Jewett/ Lawrence (1988) beziehen. Deren Überlegungen sollen an späterer Stelle explizit aufgeführt werden und sind eminenter Bestandteil dieser Arbeit.
Unabhängig von der Epoche und der Kultur sind und waren Mythen als Metaphern für den individuellen Entwicklungs- und Selbstfindungsprozess omnipräsent. Mit deren Anwendung werden dem Individuum Erklärungsversuche für den persönlichen Entwicklungsprozess und Angebote für Sinnfragen gereicht. Mythen und Riten haben dabei schon seit jeher „die Funktion, die Symbole zu liefern, die die Menschen vorwärts tragen, und den anderen, ebenso konstanten Phantasiebildern entgegenzuwirken, die ihn an die Vergangenheit ketten wollen“ (Campbell 1999: 20). Sie dienen somit als ein Instrumentarium, welches das Individuum für seine eigene mentale Zukunftsgestaltung nutzen kann. Zudem sind Mythen in der Lage, Kulturen voneinander abzugrenzen und Gruppenidentitäten zu schaffen (vgl. Dörner 2000: 148f).
Campbell definiert den Mythos darüber hinaus als „geheime(n) Zufluss..., durch den die unerschöpflichen Energien des Kosmos in die Erscheinungen der menschlichen Kultur einströmen. Religionen, Philosophien, Künste, primitive und zivilisierte Gesellschaftsformen, die Unentdeckungen der Wissenschaft und Technik, selbst Träume, die den Schlaf erfüllen, all das gärt empor aus dem Grundklang des Mythos“ (Campbell 1999: 13). Er stellt das Phänomen „Mythos“ als eine Art universelle Geschichte dar, die die unterschiedlichsten Kulturen der Welt miteinander verbindet. Das Bindeglied, eine Grammatik der Symbole (vgl. Campbell 1999: 13ff), inhäriert eine gemeinsame Struktur, die allen Mythen der Welt zu Grunde liegt. Die Geschichten, die auf ihr basieren, werden als Monomythos (vgl. Campbell 1999: 13ff) bezeichnet. Die meisten Mythen der Welt bauen dabei auf dem einheitlichen Kern der Triade Trennung – Initiation – Rückkehr auf, der die persönliche Transformation eines Helden thematisiert:
Ein Protagonist bricht aus seiner angestammten, ihn behütenden Gemeinschaft aus und dringt in eine von übernatürlichen Wundern geprägte Welt ein. Dort kämpft er gegen eine als tyrannisches Ungeheuer charakterisierte Figur. Der Heros erringt einen entscheidenden Sieg und kehrt zu seiner Gemeinschaft zurück. Auf seiner Reise eignet er sich Fähigkeiten an, die er an seine Mitmenschen weitergeben kann. Der Held unterzieht sich einer Persönlichkeitstransformation, die der Rezipient als Metapher der unterschiedlichen menschlichen Entwicklungsstufen in seinem Leben wahrnehmen kann.
Analog zum Transformationsprozess des Helden, dessen Transformationsprozess Campbell als todähnlich beschreibt,[1] erfolgt diese Entwicklung auch beim einzelnen Individuum. Die vom Helden durchlebten Stufen der Trennung, Initiation und Rückkehr entsprechen den Entwicklungsstufen, die jeder Mensch in seinem Prozess des Erwachsenwerdens durchlebt. Dieser beginnt mit dem Ende der unbekümmerten Kindheit, der Abkoppelung von den Eltern und einer damit einhergehenden Phase der Orientierungslosigkeit. Es folgt die Stufe der Identitätsfindung mit der Suche nach einer eigenen Position in der Gesellschaft. Mit der Gründung einer eigenen Familie kehrt er in die Gemeinschaft der Erwachsenen zurück (vgl. Campbell 1999: 55ff).
Diese drei Entwicklungsstufen gestalten sich bei allen Menschen trotz individueller Unterschiede idealtypisch analog; unabhängig seiner sozialen und kulturellen Herkunft bzw. seiner Generation sind die Ziele und Bedürfnisse des Individuums für ein erfülltes Leben vergleichbar. Es gilt, sich auf Basis der eigenen kognitiven Strukturen weiterzuentwickeln, den idealen Lebenspartner zu finden, einer Aufgabe nachzugehen bzw. berufliche Erfüllung zu finden. Grundmuster menschlicher Erfahrungen sind somit unterbewusst vorhanden.[2]
Mythen werden erzählt, um diese Entwicklungen zu unterstützen und auf bildhafte Weise zu verarbeiten. Sie können als Symbole den Menschen in ihrem Prozess der Vergangenheitsbewältigung und Zukunftsorientierung fördern und weiterbringen: „Es ist der Gesamtsinn des allgegenwärtigen Mythos von der Heldenfahrt, daß er als allgemeiner Leitfaden für alle Menschen, auf welcher Stufe sie immer sich befinden mögen, dienen soll“ (Campbell 1999: 119). Durch die Identifikation mit dem mythischen Helden wird ein Zusammenhang zu dem eigenen Leben unbewusst abgeleitet und das Mitleiden mit dem Heros dient als eine Metapher für den Wunsch der Bewältigung der eigenen Probleme. Der glorreiche Sieg am Ende kann dabei Ansporn sein, wirkliche Lebenskrisen durchzustehen.
Während Mythen dem Individuum Symbole liefern, die den menschlichen Entwicklungsprozess fördern und unterstützen, basiert ihre gesellschaftliche Funktion eher auf dem Charakter der Identifikation. Mythen dienen hier vor allem als ein narratives Sinnbild für die Bildung eines Gemeinschafts- und Geschichtsbewusstseins. Sie können den Prozess der Gründung einer Gemeinschaft darlegen und als deren Geburtslegende aufwarten und dabei konstante Werte und Normen hervorbringen, die von einer Gruppe akzeptiert und eingehalten werden und dem Veränderungsprozess als Konstante gegenüberstehen. Ein Abgleich bzw. eine eventuelle Neubewertung unter Berücksichtigung aktueller Gegebenheiten ist lediglich im Konsens der gesamten Gruppe möglich. Mythen beeinflussen die wechselnden Regierungen in ihrem Handeln und bieten das Formeninventar für die Abgrenzung zu anderen Gemeinschaften und Kulturen. Die mythischen Helden stehen neben den Mitgliedern der Gemeinschaft; sie verbindet die gemeinsame Sprache, gleiche Zeremonien und Rituale, die sie von anderen Gesellschaften unterscheidet.[3]
Da im Mythos die innerhalb des menschlichen Erwartungssystems auftretenden Ängste und Impulse des alltäglichen Lebens verarbeitet werden, kämpft der mythische Held immer gegen einen Tyrannen, dem stets die gleichen negativen Eigenschaften zugeschrieben werden. Es entsteht eine Freund-Feind-Dichotomie, die auch von einer Gemeinschaft angewandt wird, wenn sie sich von einer anderen bedroht fühlt. Abweichendes Verhalten innerhalb und außerhalb des vom Mythos vorgegebenen Wertekanons wird daher von den Gemeinschaftsmitgliedern mit Ausgrenzung bestraft.
Um die innere Beschaffenheit einer Gemeinschaft verstehen zu können und die „Gruppe als unvergängliche, lebendige Einheit [zu erhalten], während Individuen wie anonyme Zellen hinschwinden“ (Campbell 1999: 367), verwendet sie Rituale als Werkzeuge, um „die in der biologischen Konstitution des Menschen begründeten und gegen die Ordnung gerichteten Kräfte in den Dienst der Sozialordnung zu stellen“ (Turner 2000: 93), um diese aufrecht zu erhalten. Die Wendepunkte des individuellen Lebens werden in Rituale übersetzt, die wiederum dem Individuum ein Rollenmodell zur Orientierungshilfe offerieren. Diese wiederum können von den Mitgliedern der eigenen Gemeinschaft gedeutet werden,[4] indem eine „identische Denkstruktur, die große Unterschiede kultureller Erfahrung artikuliert“ (Turner 2000: 4), hervorgerufen wird. Dem Ritual sind Symbole als essentieller Bestandteil bzw. als dessen „ Moleküle “ (vgl. Turner 2000: 21) immanent.
Gleiche rituelle Symbole können von Gruppenmitgliedern einerseits verschieden interpretiert werden, andererseits können verschiedene Symbole innerhalb des gleichen Kontextes gedeutet werden. Einem Ritual können somit diverse Klassifikationsebenen zugeschrieben werden, welche eine eigenständige Bedeutungszumessung der am Ritual Beteiligten erlaubt. Wird diese Entschlüsselung der Symbole eindeutig, können deren Bedeutungen anschließend von den Gruppenmitgliedern im Alltag eingesetzt werden.
Übergangsriten, „die einen Orts-, Zustands- oder Altersgruppenwechsel begleiten“ (Turner 2000: 94), konstituieren sich analog zum Entwicklungsprozess des monomythischen Heros aus einer Trennungs-, Schwellen- und einer Angliederungsphase. Im mittleren Schwellenzustand befindet sich das rituelle Subjekt in einer Phase, in der es jeglicher sozialer Bindung entbehrt; es wird „symbolisch aus der Gemeinschaft ausgegliedert und in einen Übergangsraum befördert, der sich durch eine generelle Ambiguität und Unbestimmtheit auszeichnet“ (Barth 2002: 13). Für das Subjekt, sei es ein Individuum oder eine Gemeinschaft, markiert diese Phase einen Wendepunkt bzw. eine Loslösung von der bisherigen Existenz bzw. Lebensweise und den Übergang zu einem neuen Status. Die „Schwellenwesen“ verhalten sich passiv und werden einer allgemeinen Autorität, von der sie auf einen einheitlichen Zustand reduziert werden, unterworfen, „damit sie neu geformt und mit zusätzlichen Kräften ausgestattet werden können, die sie in die Lage versetzen, mit ihrer neuen Station im Leben fertig zu werden“ (Turner 2000: 95).
Innerhalb der Schwellenphase differenziert Turner zwischen zwei unterschiedlichen Systemen: Die Ebene der als Struktur bezeichneten Konstitution einer Gesellschaft als „strukturiertes, differenziertes und oft hierarchisch gegliedertes System politischer, rechtlicher und wirtschaftlicher Positionen mit vielen Arten der Bewertung“ (Turner 2000: 96) sowie der Communitas, als die weniger strukturierte und kaum ausdifferenzierte Facette einer Gemeinschaft, existieren parallel und werden vom Individuum in Form eines dialektischen Prozesses wahrgenommen, „der die sukzessive Erfahrung von Oben und Unten, Communitas und Struktur, Homogenität und Differenzierung, Gleichheit und Ungleichheit beinhaltet“ (Turner 2000: 97).
Während Communitas dabei die zwischenmenschlichen Beziehungen und „universelle menschliche Werte“ (Turner 2000: 109) versinnbildlicht, die bei der Konstitution eines Sozialsystems substanziell sind, basiert die Struktur auf der Ausbildung von funktionsfähigen Ordnungsmustern und normativen Werten. Communitas sind dabei in ihrer Beschaffenheit nicht beständig, sondern unterliegen einem Transformationsprozess und avancieren sukzessive unabwendbar zu Struktur. Turner definiert Gesellschaft somit nicht als eine konstante Größe. Vielmehr konstituiert sie sich aus abwechselnden Phasen von Communitas und Struktur.
Das populäre Material der US-amerikanischen Unterhaltungsindustrie orientiert sich zwar in seinen Grundstrukturen weiterhin am klassischen Monomythos.[5] Nach Einzug der modernen Medien sind jedoch klassische mythische Geschichten als Richtschnur für den individuellen und gesellschaftlichen Entwicklungsprozess in den Hintergrund getreten. Mittlerweile kann der Zuschauer populäre Mythen in verschiedensten Formen rezipieren: „Der geschriebene Diskurs, der Sport, aber auch die Photographie, der Film, die Reportage, Schauspieler und Reklame, all das kann Träger der mythischen Aussage sein“ (Barthes 1970: 86). Dabei konnte sich ein bestimmter Typus des modernen Mythos in der US-amerikanischen Populärkultur in Form eines narrativen Genres besonders etablieren. Dieses Genre dominiert die US-amerikanische Filmindustrie und tangiert folglich auch aktuelle politische Diskurse und Sichtweisen auf Rezipienten- und Entscheiderseite.
Werke des von Jewett und Lawrence als American Monomyth bezeichneten Genres setzen sich aus folgender einheitlicher Grundstruktur zusammen:
Eine zu Beginn als paradiesartig und harmonisch gezeichnete Gemeinschaft wird mittels einer Inkarnation des Bösen in Form von Terroristen, Naturkatastrophen, aber auch inneren Auseinandersetzungen etc. bedroht. Die demokratisch legitimierten Institutionen, die üblicherweise mit der Behebung solcher Unregelmäßigkeiten betraut sind, unterliegen dieser Drohung. Es tritt ein selbstloser Superheld hervor, der sich der Aufgabe annimmt, die Gemeinschaft zu retten. Mit Hilfe des Schicksals erringt er einen entscheidenden Sieg. Am Ende wird der paradiesartige Zustand der Gesellschaft wiederhergestellt und der Held tritt aus dem Bereich des öffentlichen Interesses zurück ins Unklare.
Während der klassische Monomythos auf Riten des Ursprungs basiert, entstammt der American Monomyth eher den Geschichten biblischer Erlösungsszenarien (vgl. Jewett/ Lawrence 1988: XII) und stellt damit eine Verweltlichung der christlichen Erlösung dar. Der Held agiert als eine Art Jesus-Ersatz, als selbstloser Diener, der mit ungebrochenem Eifer seine Aufgabe bekleidet und dabei von seinem Schicksal geleitet wird. Dabei kann er übermenschliche Kräfte entwickeln, Unsterblichkeit und Unverwundbarkeit während seiner Mission erlangen. Er bietet sein Leben an, um das Böse aus der Gemeinschaft herauszutreiben und verlässt sich bei diesem Kampf auf seine Intuition.
Oft ist es ein „Alltagsheld“, der einem typisch mittelständischen Beruf nachgeht und entweder in kein oder in ein problematisches Partnerschaftsverhältnis involviert ist. Erst mit Ausbruch der Bedrohung erhält er die charakteristischen Merkmale des Helden. Während seiner Mission muss er dabei sämtlichen Versuchungen widerstehen und sich uneigennützig seiner Aufgabe widmen. Eine emotionale Involvierung wird dabei meist vermieden, da eine solche die Bewältigung der Aufgabe aufgrund der Gefahr, sich erpress- bzw. manipulierbar zu machen, gefährden würde. Der Held verlöre damit weiterhin seinen Status der selbstlosen Perfektion, die der Verkörperung einer Erlöserfigur gleicht. Nach Abwendung der Gefahr tritt der Held in seine Alltagsexistenz zurück und verschwindet wieder aus dem öffentlichen Raum. Zur Belohnung für seine Selbstaufopferung für die Gemeinschaft erlangt er meist eine Einbindung in eine Familie oder eine dauerhafte Liebesbeziehung.
Der Held kann dabei entweder mit roher Gewalt oder auch mit argumentativen Mitteln gegen die Bedrohung vorgehen. Während der gewalttätige Held die Legitimierung erhält, sämtliche Feinde auszulöschen, agiert der sogenannte „Heidi-Redeemer“ vielmehr religiös bzw. psychologisch manipulativ. Dieser bringt die verstörten und vom Bösen verführten Gemeinschaftsmitglieder mit Hilfe rhetorischer Mittel auf den „Pfad der Tugend“ zurück (vgl. Jewett/ Lawrence: 106ff.).
Ähnlich wie beim klassischen Mythos identifiziert sich der Zuschauer der populären Form des Mythos mit dem Helden. Durch eine emotionale Partizipation während seiner Transformation wird jedoch nicht nur Hilfestellung bei der Charakterbildung des Rezipienten geleistet. Vielmehr befriedigt ein Kinobesuch oder ein Fernsehabend die Fantasie des Rezipienten auch auf eine eskapistische Art und Weise. Der Zuschauer kann auf eine externe Welt zugreifen, die ihm jene Gratifikationen anbietet, auf die er im wirklichen Leben nicht zugreifen kann. Seine alltäglichen Probleme projiziert er auf den Helden, der ihm Lösungsvorschläge anbietet, die im realen Leben nicht verwirklicht werden können. Die Tatsache, dass der Held gewaltsam seine Feinde bekämpfen kann, ohne Repressionen befürchten zu müssen, dient für ihn als Kompensationsangebot für die Verarbeitung realer Konflikte, die nicht auf aggressive Weise gelöst werden können.
Die im Unterhaltungsangebot skizzierte Gemeinschaft befindet sich nach der Bedrohung in einer Phase der Veränderung, die mit der rituellen Schwellen- bzw. der mythischen Trennungsphase korrespondiert. Die bisher vorhandene Struktur, die dem Gemeinschaftsmitglied Sicherheit signalisierte, wird aufgebrochen und eine der Communitas[6] entsprechende Phase eingeleitet. Nicht mehr staatliche Institutionen, die mit ihrer Struktur ein Zusammenleben ordnen, sondern zwischenmenschliche Werte, der Zusammenhalt der Gruppe gegen eine Gefahr, dominieren die Gemeinschaft innerhalb einer, aufgrund der Bedrohung evozierten Situation der Unsicherheit. Hierbei löst sich der Einzelne analog zum „Schwellenwesen“ des Rituals aus seiner bisherigen Existenz heraus.
Die Bedrohung läutet einen Wendepunkt ein, die eine Autorität (hier den Helden) dazu veranlasst, die Gemeinschaftsmitglieder auf einen einheitlichen Zustand herabzusetzen und sich passiv zu verhalten. Mit seinem Engagement gegen die Bedrohung kann der Held die zuvor verunsicherte Gemeinschaft mit jenen Kräften ausstatten, die sie mit der veränderten Situation zurechtkommen lässt. Eine Struktur wird wiederhergestellt, nachdem der Gegner besiegt ist. Der Rezipient eines solchen Unterhaltungsformats kann einerseits die Heldentaten des Protagonisten imitieren. Andererseits kann er sich als einzelner Zuschauer, dem unverhohlen eine Gefahrensituation suggeriert wird,[7] in die bedrohte Gemeinschaft hineinversetzen und sich der Autorität des Helden unterwerfen.
Da die Filme des Genres konstant vorhersagbare Geschichten bieten, die sich in ihrer Grundstruktur nicht wesentlich unterscheiden, wird der Held, ungeachtet dessen, ob er gewaltsam oder mittels argumentativer Mittel agiert, am Ende immer einen entscheidenden Sieg erringen. Er avanciert somit zur Identifikationsfigur mit Vorbildcharakter, in die sich der Rezipient einerseits hineinversetzen kann und die andererseits als rituelle Autorität fungiert, die ihn mit neuen Kräften ausstattet und ihm über sein „Schwellendasein“ hinweghilft.
Bei der Differenzierung des Amerikanischen vom klassischen Monomythos ist eine Erläuterung seiner Entstehungsgeschichte obligatorisch. Die Narrationen des Genres beginnen und enden in einer harmonisch-paradiesartig konstituierten Gemeinschaft. Vor der Intervention des Bösen werden noch keinerlei Indikatoren einer drohenden Störung registriert. Dieses Modell einer Midwestern Town, Hochburgen der Puritaner im 19. Jahrhundert, fungiert im Film als Pendant zum biblischen Garten Eden, der vom Bösen heimgesucht wird. Die Metapher vom Paradies entstand bereits mit dem Beginn der Besiedlung der „Neuen Welt“. Amerika galt als ein von Gott versprochenes Land, als „God´s chosen country“ bzw. „nation under god“ (vgl. Dörner 2000: 216) und als ideale Region, um ein neues Leben zu beginnen.
Indianer, die ihr angestammtes Land verteidigten, waren die ersten, die diese Zustände gefährdeten. In der Literatur wurde diese Thematik bereits ab ca. 1682 thematisiert: In der Novelle THE SOVEREIGNTY AND GOODNESS OF GOD...A NARRATIVE OF THE CAPTIVITY AND RESTAURATION von Mary Rowlandson wird der Kampf der Siedler gegen die Indianer geschildert (vgl. Jewett/ Lawrence 1988: 174). Die Indianer werden dabei als Inkarnation des Bösen dargestellt, die die Familien friedlebender Siedler bedrohen und zerstören. Die Siedler wiederum zeigen sich resistent gegen die Versuchungen des indianischen Lebens, befreien ihre Familien und erlangen dadurch Heldenstatus.
Eine spätere Bedrohung findet mit der Bevormundung und Geißelung durch die Kolonialmacht England statt. Im Unabhängigkeitskrieg zwischen 1775 und 1783 und mit der Unabhängigkeitserklärung 1776 gilt es als oberste Bürgerpflicht, sich von der Despotin zu befreien. Die Anerkennung der Unabhängigkeit der Vereinigten Staaten von Amerika von England kann als weiterer Erfolg verbucht werden, der alsbald auch in Erzählungen als „Birth of the Nation“, einer nahezu mythischen Geburtslegende der Nation, thematisiert wird.[8] Die paradiesischen Zustände werden dabei von den Akteuren mit eigener Kraft wiederhergestellt.
Ende des 19 Jahrhunderts beeinträchtigen vor allem Naturkatastrophen die gerade aufstrebende Volkswirtschaft. Während zu Beginn der Besiedlung Amerikas Naturkatastrophen aus puritanischer Perspektive noch als Bestrafung Gottes für moralische Vergehen interpretiert werden, avancieren diese allmählich zu einer weiteren Inkarnation des Bösen. Nach Jahrzehnten der Bedrohung durch Katastrophen unterschiedlicher Art, manifestiert sich schließlich der Mythos einer vom Bösen heimgesuchten, unschuldigen Gesellschaft (vgl. Jewett/ Lawrence 1988: 184ff).
Die aufgrund des Kampfes gegen Indianer sowie der Sezessionskriege mangelnden Ressourcen für den Einsatz einer effektiven nationalen Polizei, lassen Selbstjustiz in den nunmehr dürftig rechtsgeschützten Räumen zu einem probaten Mittel der Verteidigung des Lebens und des Besitzes der Nachbarn und der eigenen Familie avancieren. Auf Basis einer Nachbarschaftshilfe bewaffnen sich immer mehr einzelne Bürger, um sich als „Desperados“ auf Seiten der Gerechtigkeit gegen vermeintliche Kriminelle zu wehren. In der Literatur manifestiert sich demzufolge die Figur des „einsamen Reiters“, der gegen die Feinde der Demokratie ankämpft und bedrohte Farmer beschützt. In der 1929 auch verfilmten Novelle THE VIRGINIAN taucht erstmals ein narratives Muster auf, welches bis heute in amerikanischen Erzählungen verwendet wird (vgl. Jewett/ Lawrence 1988: 184f.):
Ein einzelner Held beschützt eine bedrohte Gemeinschaft mittels selbstjustizieller Gewalt. Diese wird gerechtfertigt, da die Interessen einer moralisch handelnden und unschuldigen Gemeinschaft gegen das Böse geschützt werden. Es erfolgt eine dramatische Gegenüberstellung von Held und Feind in einem Duell. Die Figur des Virginians tritt dabei als ein selbstlos agierender, einsamer Reiter auf, der Provokationen zwar erst widersteht, dann aber doch widerwillig tötet, weil es für die Wiederherstellung des gesellschaftlichen Heils notwendig erscheint.
Bis heute hat sich dieses Muster der Wehrhaftigkeit im Bewusstsein vieler Amerikaner bewahrt. Obschon eine Verteidigung von Besitzständen und Leben nach „Cowboy-Manier“ aufgrund eines funktionierenden Rechtssystems obsolet geworden ist, wird dem US-Bürger das Grundrecht für den Besitz einer Waffe zur Selbstverteidigung zugesprochen und die starke Waffenlobby trotzt dabei jeder Diskussion um eine hohe Gewalttätigkeitsrate.
In den 1930er Jahren werden dem amerikanisch-monomythischen Helden übermenschliche Kräfte verabreicht. In einer Zeit der wirtschaftlichen Depression sieht sich der amerikanische Bürger schutzlos den drohenden Unwägbarkeiten ausgeliefert, kann sich aber nunmehr mit neuen Heldentypen, die in der aktuellen populären Darstellungsform des Comics auftreten (vgl. Jewett/ Lawrence 1988: 190ff), identifizieren. Diese setzen sich mit Hilfe von speziellen Kräften gegen ihre Feinde durch und müssen sich aufgrund einer neuen Form der Vermarktung, der Serienproduktion, in jeder Episode neuen Aufgaben stellen.[9]
Das erfolgreiche Radiohörspiel LONE RANGER, von dem zwischen 1933 und 1954 2956 Folgen produziert und gesendet wurden, demonstriert die nunmehr vorherrschende Form des Heldentypus schon in seiner Anfangssequenz evident.[10] Diese basiert auf den Eigenschaften des idealistischen Einzelgängers, den eine selbstlose Motivation zur Verteidigung der Gerechtigkeit aufweist; seine Identität tritt dabei in den Hintergrund. Für die Dauer seiner Mission widersteht er allen weltlichen Versuchungen. Provokationen gegenüber zeigt er sich geduldig, besiegt seinen Feind schließlich auf gewaltsame Art und Weise und befriedigt damit seine eigenen Rachegelüste und die der bedrohten Gemeinschaft.
Die Struktur des klassischen Monomythos mit seinem Helden, der gegen einen Tyrannen kämpft, diesen letztendlich glorreich besiegt und seiner Gemeinschaft mit seinen daraus gewonnenen Erfahrungen einen Nutzen bringt, kombiniert mit der Geschichte der Vereinigten Staaten und der Metapher des bedrohten Paradieses, bildet sich zur Grundstruktur des American Monomyth. Auch die Charaktereigenschaften des typischen Helden sind so weit ausdifferenziert, dass sie nunmehr in unzähligen Erzählungen stereotyp eingesetzt werden können. Fortlaufende gesellschaftliche Entwicklungen tragen jedoch dafür Sorge, dass sich das Genre weiter ausdifferenzieren wird. So rekurrieren Krisenherde und Feindbilder im Hollywoodfilm auf aktuelle oder vergangene Konflikte und dienen mitunter auch der kollektiven Verarbeitung..
In Filmen des Genres wird vor allem die Zerbrechlichkeit der sozialen Existenz thematisiert. Katastrophen sind im wahren Leben trotz technologischer Fortschritte nicht vermeidbar. Es existieren keinerlei Erklärungsmuster für den Anlass des Ausbruchs einer Katastrophe. Die amerikanisch-monomythische Narration weicht dabei von der Realität ab: Das Böse scheint zwar immer unvorhergesehen eine anscheinend unschuldige Gemeinschaft zu bedrohen. Dennoch gehen der Intervention oft moralische Verstöße einzelner Gruppenmitglieder voraus, die als Auslöser für eine Bestrafung einer übergeordneten Instanz gedeutet werden können. Jewett/ Lawrence stellen diesen Umstand als eine modernisierte Form des biblischen Mythos des Turmbaus zu Babel dar (vgl. Jewett/ Lawrence 1988: 142ff): Der Schöpfer sanktioniert ein Vergehen, das die vorherrschenden moralischen Normen untergräbt.
Die Verwendung des Musters der moralischen Zerstörung geht dabei in dem Genre so weit, dass es von Stereotypen beherrscht wird. Einem die Gemeinschaft treffenden Schicksalsschlag geht meist ein Verstoß einzelner Figuren gegen geltende moralische Werte voraus. Sei es die sexuelle Freizügigkeit einzelner Gemeinschaftsmitglieder in Steven Spielbergs DER WEISSE HAI (1975), die einen Angriff gegen die Gemeinschaft rechtfertigt oder die Ausbeutung der Umwelt in Filmen, in denen Naturkatastrophen thematisiert werden.[11] Der Grund für diesen Zusammenhang kann als Versuch gedeutet werden, die Konsequenzen des gegenwärtigen Lifestyles in einer Überflussgesellschaft tragen zu wollen. Das schlechte Gewissen, welches aus moralischem Fehlverhalten resultiert, wird auf die Narration übertragen und eine gerechte Bestrafung im eskapistischen Sinne erwartet. Die Verantwortung für moralische Fehltritte wird durch die Verschiebung der Aufmerksamkeit von der Realität auf die Illusion abgewälzt.
Aufgrund der vielseitigen Entwicklungsgeschichte der USA und der unterschiedlichen Herkunftskulturen ihrer Immigranten, haben sich dort verschiedene politische Traditionslinien manifestiert. Bellah teilt diese anhand ihrer Muster in vier Hauptströmungen ein: Demnach existieren je zwei individualistische bzw. liberale, die utilitaristische und expressive, und mit der biblischen und republika-nistischen zwei gemeinschaftlich orientierte politisch-kulturelle Traditionen (vgl. Bellah et al. 1987):
In der moralistischen Tradition des Republikanismus wird von den Gemeinschaftsmitgliedern engagiertes und selbstloses Handeln erwartet. Politik wird nicht als vorgesetzte Institution begriffen, sondern als Angelegenheit eines jedes Bürgers. Jeder einzelne wird zur Partizipation und Mitgestaltung aufgefordert, um das Gemeinwohl zu erhalten und zu fördern. Hierbei gilt es, individuelle Wünsche für ein gemeinschaftliches Interesse zurückzustellen. Der Freiheitsbegriff der Tradition des Republikanismus ist der einer Freiheit zur Mitgestaltung.
Im Gegensatz zur Tradition des Republikanismus ist in der biblischen Tradition die Steuerungsgröße, gemeinschaftliches Miteinander zu regeln, weniger die Aufforderung zur politischen Mitgestaltung, sondern vielmehr das christliche Gewissen und damit die Verpflichtung des eigenen Lebens zum Guten. Hier gilt es, gegen Autoritäten anzukämpfen, die diese moralischen Werte unterminieren und damit eine Bedrohung der biblischen Gemeinschaft darstellen. Sie konstituiert sich auf der Basis von Solidarität; der einzelne opfert sich für die Gruppe auf. Freiheit ist nur dann möglich, wenn sich jeder an den christlichen Werten orientiert.
Für die utilitaristisch-individualistische Tradition steht die nutzenorientierte Lebensführung. Jedes Individuum ist für sein eigenes Schicksal selbst verantwortlich. Politik tritt dabei in den Hintergrund und operiert lediglich als Institution, die den Rahmen schafft, um die freie Entfaltung des einzelnen zu ermöglichen. Der private Raum der Familie und des Freundeskreises ist dabei die einzig relevante gemeinschafts-orientierte Aktionsfläche des utilitaristisch-individualistischen Akteurs. Der berühmte Mythos des Tellerwäschers, der zum Millionär wurde, hat in dieser Traditionsströmung seinen Ursprung.
Der expressive Individualismus zeichnet sich schließlich durch die Ablehnung jeglicher Zwänge und Konventionen aus. Der Hedonismus wird propagiert und die Darstellung des Selbst ist wichtigster Bestandteil der persönlichen Entwicklung. Hier gilt es auch, Obrigkeiten abzulehnen und ihnen gegebenenfalls entgegenzutreten, wenn sie die persönliche Freiheit behindern. Der expressive Individualismus ist eine Antihaltung zu den gesellschaftlichen Normen; die Selbstfindung wird über die gesellschaftliche Entwicklung gestellt.
Die aufgezeigten Traditionslinien sind aufgrund ihrer Allgegenwärtigkeit im sozialen Leben der USA auch Substanz in Narrationen. Es erfolgt in sämtlichen Geschichten „ein Syntheseangebot von individualistischen und gemeinschaftlichen Traditionen, das für die Vorstellungswelt des unterhaltungskulturell sozialisierten Publikums von höchster Relevanz ist“ (Dörner 2000: 208): Ein Held steht mit seinem individuellen Handeln für die Gemeinschaft ein. Eine Traditionslinie ist dabei stets dominant. Daneben werden aber oft Elemente weiterer Strömungen aufgegriffen, so dass in den Filmen sowohl individuelle als auch gemeinschaftsorientierte Werte vermittelt werden (vgl. Dörner 2000: 239ff).
Der republikanistisch-gemeinschaftlich orientierte Held tritt dabei meist gegen eine versagende bzw. korrupte Politik an und setzt sich selbstlos für eine integere Regierung ein, indem er die Interessen der Gemeinschaft gegen die eigennützigen Absichten des Kontrahenten vertritt. Starre und träge gewordene demokratische Institutionen, die ihrer Funktion zur Abwendung von Gefahren nicht mehr nachkommen können, werden aufgebrochen, indem der Held zivilen Ungehorsam übt. Meist sind sich die Mitglieder der bedrohten Gemeinschaft nicht bewusst, „dass die eigentliche Gefährdung nicht von irgendwelchen Schurken ausgeht, sondern vom moralischen Verfall einer Welt“ (Dörner 2000: 274). Der Held demonstriert ihnen, dass ihr mangelndes politisches Engagement und ihre Lethargie die Bedrohung zu verantworten haben. Gewalt zur Konfliktlösung wird als probates Mittel zur Abwendung der Gefahr legitimiert; der Held nimmt sein (nach republikanistischer Auffassung aufgrund ihrer traditionellen Etablierung, statthaftes) Recht auf Selbstverteidigung war, da die öffentlichen Institutionen versagen.
Der typische Held der biblischen Tradition lebt in einer Gruppe, die füreinander einsteht. Er opfert sich für seine Gruppe auf; doch auch jedes andere Mitglied würde dies tun. Der Bestand der Gemeinschaft ist von der Partizipation jedes einzelnen abhängig und somit entwickeln sich sämtliche Gruppenmitglieder weiter und gewinnen an Erfahrungen hinzu. In Filmen wird dieses moralische Gemeinschaftsideal oft mit der Kameradschaft einer militärischen Einheit repräsentiert, die in einer Kriegssituation immer stärker zusammenwächst. Das Individuum kann in einer solchen Situation nur im Zusammenhang mit der Gruppe an Orientierung hinzugewinnen.
Der utilitaristisch-individuelle Held strebt nach beruflichem Erfolg, finanzieller Unabhängigkeit und Wohlstand. Diese Aspekte und die Einbindung in eine Familie sind die notwendigen Voraussetzungen für ein sorgenfreies Leben und seine soziale Anerkennung. Um dies zu erreichen, kann er auf staatliche Institutionen verzichten. Während seiner Intervention gegen die Gefahr macht er eine Entwicklung durch, die ihn erst dazu befähigt, diese Elemente in sein Leben zu integrieren. Seine Unzufriedenheit zu Beginn der Narration beruht meist auf einem persönlichen Konflikt, der nach seiner Heldentat aber verschwindet. Der Held der utilitaristisch-individuellen Tradition vollzieht somit analog zum klassischen Helden eine Transformation. Die Erfahrungen, die er während der Odyssee macht, lassen ihn reifen, was seine Integration in die Gesellschaft erst möglich macht.
Auch der expressiv-individualistische Held versucht einen Weg zu finden, der es ihm ermöglicht, sich selbst zu behaupten und zu einer eigenständigen Identität entwickeln zu lassen. Hierbei benötigt er jedoch keine Einbindung in eine Gruppe, sondern entledigt sich aller zwischenmenschlichen Bindungen und erhebt den Anspruch auf persönliche Freiheit. Dabei lehnt er Bevormundungen, sei es durch staatliche Institutionen oder auch gemeinschaftliche Auflagen, ab und versucht eine Gegenposition einzunehmen. Auch hier besteht zu Beginn eine gewisse Sinn- und Orientierungslosigkeit des Helden. Seine Selbstfindung geht schließlich mit der Rettung der Gemeinschaft einher.
Jewett und Lawrence werfen den amerikanisch-monomythischen Narrationen vor, faschistoide Tendenzen zu bekleiden und sehen damit einen Widerspruch in dem Selbstbewusstsein der US-Amerikaner, die einerseits ihre demokratischen Werte nach außen repräsentieren, aber andererseits Filme verbreiten, die totalitaristische Elemente enthalten. Den Narrationen wird dabei die Vermittlung demokratischer Werte abgesprochen, da die Darstellung demokratisch legitimierter Institutionen größtenteils als chaotisch, weltfremd, unbeweglich, bürokratisch, irrational oder korrupt erfolgt und diese stets einer Bedrohung unterliegen (vgl. Jewett/ Lawrence 1988: 248ff).
Eine Verhinderung der Konfliktlösung durch die bewährten Anstalten kann einerseits durch kriminelle Energie erfolgen. Ferner ist es oftmals das Fixieren von allzu starren, eingefahrenen und in Form von Regelwerken konstituierten Handlungsmustern, das den aufgrund der Bedrohung veränderten Rahmenbedingungen nicht standhalten kann: Eine Struktur versagt aufgrund mangelnder Flexibilität und Weitsicht. Zur Wiederherstellung einer solchen bedarf es einer Figur, der eine Legitimation zugesprochen wird, sich über diese Einrichtungen hinwegzusetzen. Ein Einzelheld übernimmt die Führung und entscheidet intuitiv und unabhängig von einem demokratischen Entscheidungsprozess über das Wohl einer Gemeinschaft. Hierbei kann dem Zuschauer unter Umständen suggeriert werden, dass klare, einfache und schnelle Entscheidungen den, meist auf Kompromissen beruhenden, demokratischen Prozessen vorzuziehen sind. Eine Komplexitätsreduktion findet mit einer Einteilung der Welt in Gut und Böse statt, wobei das Böse als auslöschenswert deklariert wird. Das Gewaltmonopol des Staates wird ausgehebelt und auf den Helden übertragen. Auch beim Zuschauer kann die Hemmschwelle fallen, bei realen politischen Konflikten, gewaltsame Lösungen zu tolerieren und einfache, intuitive Entscheidungen zu legitimieren.
Aufgrund dieser Tendenzen behaupten Jewett/ Lawrence, dass sich für den Rezipienten eine Differenzierung zwischen den gegensätzlichen Werten einer gesellschaftlich propagierten Demokratie und den in den Filmen abgebildeten totalitären Einflüssen als problematisch gestaltet. Die Autoren sehen die Gefahr, dass diese als „Pop-Faschismus“ bezeichnete Strömung aufgrund der weltweiten Verbreitung amerikanischer Unterhaltungsformate kontinuierlich zum Mainstream avanciert und sich diese mitunter als populäre Mythen, welche die emotionale Basis für eine gewaltsame Politik generierten, manifestieren. Jewett und Lawrence unterstellen damit, dass das Genre des American Monomyth als propagandistisches Instrument für eine Manipulation der Rezipienten zur Popularisierung bestimmter Entscheidungen dienlich ist. Machthaber wüssten mit diesem umzugehen, um bestimmte Ziele durchzusetzen.[12] (vgl. Jewett/ Lawrence 1988: 248ff).
Das Gewaltmonopol des Staates wird bei der Intervention des einzelnen Superhelden aufgebrochen. Dies geschieht dann, wenn sämtliche demokratische Institutionen versagt haben. In der Tradition des Republikanismus ist jeder Bürger dazu verpflichtet, seinen Beitrag für die Gemeinschaft zu leisten, um Bedrohungen abzuwehren und die demokratischen Werte aufrechtzuerhalten. Die Institutionen sind nicht in der Lage Gefahren abzuwenden und verfallen in Lethargie. Es bedarf somit einer Regelung, die der Krisenintervention von Notstandsgesetzen gleicht. Solche sind in den Verfassungen vieler demokratischer Staaten konstituiert, um effektivere Entscheidungen in Ausnahmesituationen (z. B. die Abwehr von Bedrohungen) gewährleisten zu können. Dabei wird für einen absehbaren Zeitraum die Demokratie außer Kraft gesetzt und teilweise werden auch die Grundrechte beschnitten.
Die Intervention eines Helden gleicht somit der Perpetuierung eines Ausnahmezustandes für den Zeitraum der Bekämpfung. Der als Inkarnation einer wehrhaften Demokratie fungierende Held tritt nach seiner Mission wieder zurück und übergibt die Macht den demokratischen Institutionen, die sich zwischenzeitlich ihrer Mängel entledigt bzw. neu konstituiert haben. Gewalt übt er aus, wenn es sich um einen kriegsähnlich gezeichneten Konflikt handelt und sich der Gegner ebenfalls gewaltsamer Mittel bedient. Hierbei tötet er nur die eindeutig als Feind deklarierten Figuren und verschont Zivilisten. Er handelt als Soldat, der unter Berücksichtigung der Regeln der Verhältnismäßigkeit die Legitimation erhält, Gewalt anzuwenden, um Schlimmeres zu verhindern.
Die von Jewett/Lawrence postulierte Vorwurf der Verwendung einer Gut-Böse-Dichotomie ist dabei kein Spezifikum des Genres. Vielmehr wird eine solche bereits stereotyp in klassischem Material sowie in politischer Propaganda eingesetzt, um Komplexität zu reduzieren bzw. eine Identifizierung von Feindbildern zu erleichtern.[13] Zweifelsohne kann eine solche Kategorisierung die gesellschaftliche Akzeptanz für eine Kriegsführung erhöhen. Ob diese jedoch in Hollywoodfilmen absichtsvoll vorgenommen wird, kann hier nicht abschließend beurteilt werden.
Mythen und Rituale sind kulturanthropologische Konstanten und somit Grundbestandteile sämtlicher Zivilisationen. Einem modernen und aufgeklärten Individuum erscheinen diese auf den ersten Blick als Indikatoren der Repräsentation von simplen Weltbildern primitiver Kulturen. Um die eigene Dominanz und Fortschrittlichkeit gegenüber diesen Kulturen zu unterstreichen, werden Mythen oft als Göttermärchen und Rituale sowie als Inkarnation des Aberglaubens abgetan, eine Betrachtungsweise, die die Verwendung dieser Archetypen auf Gemeinschaften reduziert, in der eine von Geistern und Gottheiten beeinflusste Weltanschauung dominiert.
Dennoch sind mythische Grundstrukturen zeitgenössischen massenmedialen Narrationen stets inhärent.[14] So ist der moderne Mensch in der Lage mit einem Kinobesuch oder der Fernsehnutzung der Alltagswelt in ähnlicher Weise temporär zu entfliehen wie auch vormoderne Individuen bzw. Mitglieder weniger entwickelter Kulturen mit Hilfe von Mythen und Ritualen aus der Realität ausbrachen. Diese eskapistischen Welten offerieren dem Individuum u. a. die Option einer Projektion seiner Probleme auf einen Helden. In den meisten Narrationen des amerikanisch-monomythischen Genres macht der Held analog zum Heros des klassischen Mythos eine signifikante persönliche Entwicklung durch. Moderne mythische Erzählungen offerieren dem Individuum somit ähnliche Symbole zur Förderung des individuellen menschlichen Entwicklungsprozesses. Ferner ist der Rezipient in der Lage, scheinbare Gefahrensituationen gemeinschaftlich zu durchleben.
Die Produkte des Mainstream implementieren, um einen ökonomischen Erfolg erzielen zu können, markterprobte Muster und zielen auf die Bedürfnisse einer möglichst großen Gruppe.[15] Absichtsvoll, aber auch unbewusst werden dem Individuum in den Geschichten Sinnangebote sowie Orientierungsoptionen in Form jener archetypischen Ingredienzien offeriert. Eine Inkarnation eines Helden bzw. eine Gruppe, die sich in einer Schwellen- bzw. Initiationsphase befindet, unterwirft sich beispielsweise den gleichen rituellen Prozessen, die der Rezipient aus seiner Wirklichkeit kennt, vorausgesetzt beide entstammen dem gleichen Kulturkreis. Die Symbolik des in einem Spielfilm thematisierten Rituals kann somit zur Lösung von individuellen Bedürfnissen beitragen, indem eine Übersetzung komplexer Problemstellungen in die vorgegebenen Handlungsmuster der ihm bekannten Rituale stattfindet.
Weiterhin dienen moderne wie klassische Mythen und Riten als narrative Sinnbilder für das gemeinsame Werte- und Geschichtsbewusstsein einer Gemeinschaft. Indem die gewachsenen Strukturen und Traditionsströmungen größtenteils im monomythischen Material verarbeitet werden, findet sich dort ein Wertekanon wieder, der das Formeninventar für die Abgrenzung der eigenen zu anderen Kulturen vermittelt. Damit inkludieren zwar nicht sämtliche zeitgenössische Narrationen stets das gesamte Repertoire an Symbolen, die eine Gemeinschaft konstituieren. Sie variieren vielmehr, zumal auch Subkulturen mit ihren jeweils eigenen Geschichten aufwarten und Kunstprodukte die gesetzten Normen oftmals bewusst durchbrechen. Produkte des Mainstream bleiben davon allerdings meist unberührt, suchen Konsens zu den allgemeinen Auffassungen und Wertvorstellungen einer Gesellschaft und entwickeln sich parallel zu diesen weiter. Die Verortung dieser Produkte in der Gesellschaft und deren Einfluss auf politische Entscheidungs- und Darbietungsprozesse sollen in den folgenden Kapiteln erörtert werden.
Im Folgenden soll darauf eingegangen werden, wie Politikvermittlung innerhalb einer unterhaltungsgeprägten Kultur funktioniert. Dabei sollen die Grundbegriffe der Repräsentation von Politik sowie die Instrumentarien aufgezeigt werden, welcher sich Politiker bedienen. Dabei nehmen die folgenden Ausführungen allerdings keinen unmittelbaren Einfluss auf die spätere Analyse. Mittelbar soll jedoch unter Berücksichtigung der aufzuzeigenden soziokulturellen und emotionalen Hintergründe auf potenzielle Wirkungen politischer Botschaften beim Rezipienten geschlossen werden. Es wird implizit unterstellt, dass die aufgeführten Techniken in der politischen Kommunikation des US-amerikanischen Präsidenten funktionalisiert werden.
Dem Begriff `Unterhaltung´ werden verschiedene Bedeutungen zugeschrieben, sei es das Gespräch, ein Gedankenaustausch, Zerstreuung, Kurzweil oder Zeitvertreib (vgl. Schicha/ Brosda 2002: 10). Unterhaltung, die mit Hilfe von Massenmedien distribuiert und ohne Rückkanal zur Interaktion rezipiert wird, schließt jedoch die Begriffsbestimmungen Gespräch und Gedankenaustausch, die auf einem wechselseitigen Kommunikationsverhältnis beruhen, aus. Diese Form von Unterhaltung kann dabei diverse Funktionen erfüllen: „Medienunterhaltung kann der Flucht aus der Realität, aus Bindung und Verantwortung ebenso dienen wie der sozialen („parasozialen“) Begegnung, dem zeitweiligen Ausleben asozialer Tendenzen, sie dient als Gesprächsstoff, sie kann entspannen, erleichtern, entlasten, Emotionen aktivieren, Tagträume initiieren, Orientierungshilfen bieten, Sinnmuster liefern, das Gute und das Böse konkretisieren, das Alltagswissen bestätigen und vieles mehr“ (Maletzke, Gerhard (1995). Zitiert nach Schicha/ Brosda 2002: 11).
Luhmann definiert Unterhaltung als „Art von Realitätsverdopplung, bei der die als Spiel begriffene Realität aus der normalen Realität ausgegliedert wird, ohne diese negieren zu müssen“ (Luhmann 1996: 96). Es wird eine zweite Realität erzeugt, die dabei aber stets auf die parallel existierende „reale“ Realität verweist. Unterhaltsame Geschichten sind zwar meist fiktiv, beziehen aber Elemente mit ein, die Rückschlüsse auf die alltägliche Welt und das Leben des Rezipienten zulassen, wobei er zwischen „realer“ und „inszenierter Realität“ unterscheiden kann.[16] „Unterhaltung re-imprägniert das, was man ohnehin ist“ (Luhmann 1996: 109), sie aktiviert Hoffnungen, Vergessenes, Ängste, Erlebtes usf. und rekurriert somit auf den Mythos. In den Medien werden diese Problemlösungsangebote vorwiegend innerhalb einfacher Handlungsdramaturgien codiert und finden an wenigen Schauplätzen mit einer überschaubaren Anzahl zentraler Figuren statt, die als „`ausgewählte´ Akteure, Stars der Information und Unterhaltung, die wichtigsten Probleme nicht nach den Regeln einer sprachlichen Auseinandersetzung, sondern in Form eines Vorspielens und Durchspielens [behandeln]“ (Ludes 1994: 201).
[...]
[1] „Als Mensch der Gegenwart ist der Held gestorben, als Mensch des Ewigen, als vollkommen gewordener, nicht auf Partikularitäten festgelegter, universaler Mensch wird er wiedergeboren“ (Campbell 1999: 26f).
[2] Zur Vervollständigung soll hier der Ansatz von Lévi-Strauss kurz aufgeführt werden, der bezüglich der Funktionen von Mythen eine ähnliche Auffassung vertritt. Für Lévi-Strauss ist der Mythos ein Bestandteil der Sprache und inhäriert eine Strukturlogik, welche nach einem bestimmten Code funktioniert. Der Mythos spielt sich zwar immer in der Vergangenheit ab, seine Grundmuster sind indes zeitlos und lassen sich auf Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft beziehen. Diese, in vielfältigen Varianten beschriebenen Grundsituationen des Menschen, werden von Lévi-Strauss zu Gruppen zusammengefasst, die als „Mytheme” bezeichnet werden und eine kultur- sowie zeitübergreifende universelle Denkstruktur des Menschen offenbaren. Diese Grundart menschlichen Denkens behält auch in modernen Gesellschaften ihre Relevanz und soziale Funktion, indem durch den Mythos u. a. Widersprüche wie z.B. Leben und Tod theoretisch bewältigt werden können. (vgl. Lévi-Strauss 1967: 226 ff)
[3] weitere Ausführungen hierzu folgen in Kapitel 3
[4] „Stammeszeremonien bei Geburt, Initiation, Hochzeit, Bestattung etc. übersetzen die Wendepunkte und Entscheidungen des Einzellebens in klassische, überpersönliche Formen“ (Campbell 1999, S. 366).
[5] So existiert weiterhin ein Held der gegen das Böse kämpft und am Ende einen Sieg eringt.
[6] vgl. Kap. 2.1.2
[7] So werden Katastrophen oder anderweitige Bedrohungen im Spielfilm u. a. durch Special Effects in einer Weise inszeniert, dass der Zuschauer so weit wie möglich in diese Gefahrensituation involviert wird. Zusammen mit den anderen Kinobesuchern wird weiterhin eine Gemeinschaft konstituiert, die von den imposanten Bildern heimgesucht wird.
[8] Die 1915 von David W. Griffin verfilmte Erzählung gilt bis heute als einer der bedeutendsten Stummfilme.
[9] Populäre Beispiele hierfür sind u. a. Superman, Batman, Catwoman, X-Men, die heute vor allem als Realverfilmungen präsent sind.
[10] „´This is the legend of a man who buried his identity to dedicate his life to the service of humanity and country … . Early settlers in the West had to be brave men and women … . There was danger on every side, wild beasts, savage Indians, and the Cavendish gang´” ( zit. nach Jewett/Lawrence 1988: 186).
[11] aktuellstes Beispiel hierzu: Roland Emmerichs THE DAY AFTER TOMORROW (2004)
[12] Hierzu erfolgen an späterer Stelle weitere Erläuterungen
[13] „Die eigenen Truppen sind mit `soldatischen´ Tugenden ausgestattet: Disziplin, Patriotismus, Kampfesmut und Tapferkeit. Das Feindbild ist bis zur Karikatur mit negativen Eigenschaften belegt“ (Strübel 2002: 208).
[14] „Im Mythos werden existenzielle Grunderfahrungen an dafür tauglichen Beispielen symbolisch verdichtet und in medialen Konstruktionen rituell abrufbar gehalten. In der fortschreitenden Mediengesellschaft kann es zwar keine allgemeinverbindlichen Mythen mehr geben, wohl aber überindividuelle Deutungsraster , die multiplen Verwendungsoptionen im Alltag und in der Politik offen stehen. Medien sind Werkzeuge des Mythos wie auch Katalysator der Mythenbildung“ (Grimm 1998: 17).
[15] vgl. hierzu auch Kap. 3.4.4
[16] „Der Leser/ Zuschauer muß in die Lage versetzt werden, sehr schnell ein zur Erzählung passendes, auf sie zugeschnittenes Gedächtnis zu bilden; und das kann er nur, wenn ihm in den Bildern oder Texten genügend ihm bekannte Details mitgeliefert werden. Vom Leser/ Zuschauer wird mithin geschultes (und noch nicht bewusst gehandhabtes) Unterscheidungsvermögen verlangt (Luhmann 1996: 99).