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Bachelorarbeit, 2016
59 Seiten, Note: 1,3
Vorwort
1 Einleitung
2 Humor
2.1 Humor – eine begriffliche Annäherung
2.2 Facetten des Humors
2.2.1 Komik
2.2.2 Witz
2.2.3 Ironie
2.2.4 Sarkasmus
2.2.5 Zynismus
2.2.6 Schwarzer Humor/Galgenhumor
2.3 Physiologische Auswirkungen
Zwischenfazit
3 Humortheoretische Aspekte
3.1 Psychologische Theorien
3.2 Überlegenheits- und Agressionstheorien
3.3 Soziale Theorien
3.4 Inkongruenztheorien
3.5 Spieltheorien
Zwischenfazit
4 Funktionen von Humor
4.1 Erleichterung der Kommunikation
4.2 Soziale Funktion
4.3 Psychologische Funktion
4.4 Didaktische Funktion
Zwischenfazit
5 Humor und die Einbettung in Konzepte
6 Psychosoziale Beratung
6.1 Definition
6.2 Kennzeichen psychosozialer Beratung
6.3 Felder psychosozialer Beratung
7 Psychosoziale Beratung und Psychotherapie – ein Vergleich
Zwischenfazit
8 Humor in der Psychotherapie
8.1 Sigmund Freud - Psychoanalyse
8.2 Alfred Adler - Individualpsychologie
8.3 Viktor Frankl - Logotherapie
8.4 Waleed Anthony Salameh - Integrative Kurzzeittherapie (ISTP)
Zwischenfazit
9 Vorstellung und Vertiefung zweier Methoden
9.1 Paradoxe Intention
9.2 Provokative Therapie und Provokativer Stil (ProSt)
10 Therapeutischer Humor in der psychosozialen Beratung
10.1 Haltung des Beraters
10.2 Humortechniken
10.3 Empirische Untersuchungen zu Therapeutischem Humor
10.4 Grenzen von Humor in der psychosozialen Beratung
11 Fazit
Literaturverzeichnis
Internetquellen
Anhang
„Was lange währt, wird endlich gut.“ Zuallererst danke ich meiner Mutter, die sicherlich oft ihre Zweifel hatte, ob ich im fortgeschrittenen Alter doch noch mein Studium beende, und mich dennoch in allem unterstützt hat. Meinem Mann, der daran keine Zweifel hatte, danke ich ebenso. Als Fels in der Brandung und Rückenfreihalter brauchte er oft besonders viel Humor. Meinen drei Kindern danke ich für die Geduld, die sie mit ihrer ewig am Küchentisch lernenden Mutter hatten. Abschließend danke ich meiner Schwester, meiner Schwiegermutter und meiner Schwägerin sowie meinen Freundinnen, die mich auf verschiedenste Weise entlastet und beflügelt haben. Ich bin so froh, dass ich euch alle habe.
Humor ist jedermann geläufig, aber ein schwer zu fassendes Phänomen. Er hat in der Gesellschaft einen sehr hohen Stellenwert und ist im Grunde für alles im Leben gut, wie Charles Dickens deutlich macht: „Gibt es schließlich eine bessere Form, mit dem Leben fertig zu werden, als mit Liebe und Humor?“
Humor hat in den vergangenen zwanzig Jahren einen Bedeutungszuwachs in Therapie und Beratung bekommen. Das Wissen um die positiven Funktionen und die besondere Relevanz einer vertrauensvollen, guten Beziehung von Klient und Berater erhöht auch das Forschungsinteresse an den Wirkfaktoren. Diese Arbeit soll zunächst den Humor fassbarer machen, ihn definieren und ihn in seinen Facetten, in seiner theoretischen Rahmung und in seinen Funktionen analysieren.[1] Von Interesse sind an dieser Stelle die Fragen, was Humor denn tatsächlich bewirken und ob derjenige, der Humor hat, besser mit belastenden Umständen fertig werden kann. Wenn dem so ist, folgt die Frage: Ist Humor trainierbar? Dazu werden ausschließlich Erkenntnisse aus der Fachliteratur vorgestellt und diskutiert. In einem weiteren Schritt wird die Einbettung von Humor in ressourcenorientierte Konzepte der Sozialen Arbeit vorgeschlagen.
Der zweite Themenkomplex dieser Arbeit befasst sich mit der psychosozialen Beratung als wesentlichem Handlungsfeld der Sozialen Arbeit. Hierzu ist es von Interesse, was psychosoziale Beratung überhaupt ausmacht und was die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zur Psychotherapie sind. Dies ist aus zwei Gründen bedeutsam: zum einen basiert die psychosoziale Beratung zu großen Teilen auf psychotherapeutischen Methoden und Theorien und zum anderen speist sich, bis auf ganz wenige Ausnahmen, die komplette Literatur zu Humor und zu Interventionen aus der Psychologie. Hier hat Humor bereits eine Tradition, während er in der Sozialen Arbeit (noch) kaum Relevanz hat.
Der darauffolgende Abschnitt beschäftigt sich mit der Bedeutung von Humor in der Psychotherapie. Neben den drei großen Psychotherapeuten der Wiener Schule, die als Pioniere des Humors im therapeutischen Kontext gelten dürfen, wird ein noch aktiver amerikanischer Therapeut, der Humor in seinem Konzept zur Kurzzeittherapie integriert hat, vorgestellt. Dass Humor bereits erfolgreich seinen Einsatz in der Therapie hat, beweisen zwei im Anschluss erörterte Methoden: die Paradoxe Intention und die Provokative Therapie, deren mildere Form, der Provokative Stil, ebenfalls skizziert wird. Die Erkenntnisse über Humor im bereits erforschten psychotherapeutischen Kontext werden schließlich übertragen auf den therapeutischen Humor in der psychosozialen Beratung mit der Fragestellung, welche Aspekte von Humor in der psychosozialen Beratung zu beachten sind. Wichtig ist es ebenfalls, die Haltung des Beraters in den Blick zu nehmen. Was muss er mitbringen, wenn er Humor gezielt in die Beratung einbringt und gibt es dadurch auch Vorteile für ihn selbst? Welche Techniken außer den ausführlich beschriebenen Paradoxen Intentionen und den provokativen Ansätzen möglich sind, wird nur kurz skizziert. Mehr Aufmerksamkeit wird der Frage zuteil, welche empirisch belegte Wirkung Humorinterventionen haben, und ob sie überhaupt messbar sind. Sollte Humor als Wirkfaktor isoliert messbar sein, stellt sich die Frage nach seiner Wirksamkeit im Vergleich zu anderen Interventionen. Im Anschluss werden die Grenzen von Humorinterventionen in psychosozialer Beratung in den Fokus genommen. Die Antworten auf die Leitfragen finden sich z.T. bereits in den Zwischenfazits und werden im Schlussfazit somit nur kurz skizziert. Von Bedeutung wird dort auch sein, welchen Erkenntnisgewinn diese Thesis für die psychosoziale Beratung als Feld der Sozialen Arbeit haben wird.
„Humor ist ein flatterndes Rosenblatt, vom Wind in die Weite geführet; Humor ist- was man niemals hat, sobald man´s definieret.“
-Rudolf Presber-
Bis heute existiert keine klare und einheitliche Definition über Humor. Und: er ist nicht in einem Satz erklärbar. Deshalb wird im Folgenden versucht, sich dem komplexen Phänomen des Humors zu nähern, indem die für die Thesis wesentlichen Autoren zitiert und paraphrasiert werden. Im Alltagsgebrauch des Wortes ist Humor „[…] so etwa alles zwischen Witz und Spott, zwischen Clownerie und Spaß“ (Lauer 1974, S. 40 zit. n. Bernhardt 1985, S. 16 f) oder „ein Pudding aus bedeutungsloser Groteskerie und billiger Emotionalität“ (Bernhardt 1985, S. 17). Humor aber, der therapeutische Qualität hat, muss eine tiefergehende Haltung aufweisen, ethisch vertretbar und hilfreich für den Klienten sein. Eine von der Fachliteratur vorgeschlagene Differenzierung des Humors in Sinn für Humor, Lachen und Heiterkeit[2] würde den Rahmen dieser Thesis sprengen, weshalb der Begriff Humor diese Aspekte mit einschließt.
Der Begriff Humor entstammt dem Lateinischen und bedeutet Feuchtigkeit oder Flüssigkeit und verweist, so die Überzeugung der Medizin der Antike und des Mittelalters, auf vier Körpersäfte (Blut, Schleim, gelbe und schwarze Galle), deren ausgewogene Mischung den guten Humor bedingen[3] (vgl. Titze/ Eschenröder 2011, S. 11). Historisch entwickelte sich im Englischen und im Französischen die Bedeutung des Wortes in zwei Richtungen: in a) Stimmung, Laune, wie beispielsweise in „he is good-humored“ und in b) menschliche, wohlwollende, verständnisvolle Haltung- „eine lächelnde Lebenshaltung“ (vgl. Bernhardt 1985, S. 16). Letztere Bedeutung hat sich laut Juan Andrés Bernhardt auch im deutschen Sprachraum etabliert. Barbara Wild definiert den Humor, wie es der europäischen Tradition entspricht[4], ebenfalls als Charakterhaltung (vgl. Wild 2008, S. 8). Humor, ein „komischer Sinn“ (Effinger 2006, S. 48) als Form der Kommunikation, ermöglicht es, unbefangener miteinander umzugehen, so Herbert Effinger. Dieser Sinn bewahrt vor erdrückender Überidentifikation, indem er einen Unterschied herstellt zwischen der belastenden Situation und sich selbst (vgl . ebd.). Den Aspekt der Verständigung aufgreifend, beschreibt Waleed Anthony Salameh den Humor als eine „amüsante Form indirekter Kommunikation, die keinen festgelegten Regeln folgt“ (Salameh 1986, S. 149). Humor entkräftet Gefühle von Hilf- und Hoffnungslosigkeit, denn: „Humor und Resignation vertragen sich nicht“ (Bernhardt 1985, S. 46). Eleonore Höfner und Hans-Ulrich Schachtner bescheinigen ihm, er könne den Menschen dazu befähigen „das Absurde an einer Sachlage zu erkennen und sich nicht davon unterkriegen zu lassen, sondern darüber zu lachen“ (Höfner/ Schachtner 1995, S. 27). Vera Robinson verbindet mit dem Begriff Humor ein generelles Konzept, das in den drei Phasen a) kognitive Kommunikation, b) emotionale Reaktion, die sich in Belustigung und Freude zeigt, sowie c) physischer Reaktion im Lachen oder Lächeln erfolgt (vgl. Robinson 2002, S. 10).
Humor kann als Haltung des Menschen sich selbst und anderen gegenüber verstanden und gleichzeitig als Form der Kommunikation und Interaktion angesehen werden, die gute Stimmung und Lachen erzeugen kann (vgl. Effinger 2006, S. 49). Gemein ist allen Definitionen die positive Grundeinstellung zum Humor. Von Bedeutung ist die Dualität von Humor und Tragik: Lachen, obwohl man traurig, verletzt und hoffnungslos ist. Humor und Lachen wirken den Emotionen, die am stärksten belasten, nämlich Angst, Ärger und Depressionen direkt entgegen (vgl. Fry 2000, S. 68 zit. n. Frittum 2009, S. 47). Das kann ausschlaggebend dafür sein, dass Humor als Interventionsmethode in Beratung und Therapie wirksam eingesetzt wird.
Zur Frage, welche Arten des Humors für Therapie und Beratung sinnvoll sind und welche nicht, werden an dieser Stelle kurz die unterschiedlichen Facetten des Humors erörtert.[5] Keine Erwähnung finden Parodie und Satire, da sie als Spottgesang die literarische Form von Ironie, Spott und Hohn darstellen (vgl. Schwarz 2015, S. 34). Ebenso fehlen Sardonismus, Blödelei sowie regional geprägte Formen.
Die Komik hat einen fragilen Charakter. Versucht man, das Komische zu analysieren, ist das vergleichbar damit, einen Witz erklären zu wollen (vgl. Berger 1998, S. XVII). Der Begriff stammt aus dem Altgriechischen (komos = Festzug) und kann sowohl erheiternd als auch sonderbar bedeuten. Das Komische entsteht, wenn unerwartet und plötzlich die Erwartungshaltung durchbrochen wird und vorausgegangene Spannung in erlösendes Lachen mündet. Komik kann als eine Technik, eine Inszenierung verstanden werden, die das Ziel hat, andere Menschen zu erheitern. Freud stellt fest: „Der Witz wird gemacht, die Komik wird gefunden […]“ (Freud 2009, S. 193). Er beschreibt die Komik als das Resultat einer Teilidentifikation mit dem Kind in sich selbst (vgl. ebd., S. 240). Indem man sich ein Stück seiner Kindheit zurückholt, kann Kommunikation leichter und ungezwungener gelingen.
Der Witz (althochdeutsch wizzi = Wissen) hat ebenso wie der Begriff Humor keine einheitliche Definition. In der Fachliteratur wird häufig der Witz vom Humor unterschieden: „Humor und Witze zu machen ist nicht das gleiche [sic], es gehört nicht einmal unbedingt zusammen! Witze provozieren Gelächter, aber Humor ist eine Geisteshaltung.“ (Höfner/Schachtner 2013, S. 52). Wenn es um den Witz geht, wird fast immer auf Freud und dessen Werk „Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten“ verwiesen. Darin erläutert Freud, der Witz rühre aus dem Unbewussten her, aus dem unerzogenen und triebhaften Es. Neben dem harmlosen Witz gibt es den tendenziösen Witz. Letzterer kann aggressiv, sexuell-obszön oder zynisch sein und ermöglicht die Befriedigung eines Triebes, ohne die Grenzen gesellschaftlicher Akzeptanz zu überschreiten (vgl. Freud 2009, S. 129 f). Geht der Witz auf Kosten anderer, versucht er, andere klein zu machen oder versteht der Adressat den Witz anders, als der Sender es beabsichtigt hat, entsteht eine ungleiche Schaden-Nutzen-Verteilung. Das bedeutet, dass der Witz nicht in jeder Situation und bei jedem Klienten als therapeutische Interventionsform geeignet ist (vgl. Effinger 2006, S. 51). Nichtsdestotrotz kann laut Effinger der Witz neue Perspektiven schaffen und prekäre Situationen mildern. „Wer Witze macht und wer Witz hat, relativiert, was ohne Alternative als ausweglos erscheint“ (ebd. S. 48).
Mit Ironie (griech. = die Verstellung) wird das Gegenteil von dem ausgedrückt, was man eigentlich meint. Seit Sokrates ist Ironie ein literarischer und philosophischer Grundbegriff, den dieser als didaktisches Kommunikationsmittel anwandte (sokratische Ironie). Indem der Sender falsche oder fragwürdige Wertvorstellungen oder bewusst logische Fehler äußert, sich dumm stellt und das Gegenteil behauptet, soll der Adressat verleitet werden, eigene Erkenntnisse zu generieren. Hier hat Ironie eine kritische oder korrigierende Wirkung (vgl. Bernhardt 1985, S. 18). Sie kann auch aggressiv sein, wenn Werturteile des Adressaten ironisch überzogen werden. Ironie muss stets ein Gegenüber haben und wirkt nur innerhalb einer Beziehung, was bei Witzen nicht zwingend der Fall sein muss (vgl. Schwarz 2015, S. 27). Für den Einsatz von Ironie als Stilmittel ist es erforderlich, dass der Adressat kognitive und emotionale Fähigkeiten besitzt, um die Ironie der Aussage des Senders in seinem Kontext zu entschlüsseln (vgl. Bollinger/ Lustenberger 2001, S. 13).
Während Ironie häufig einen freundlichen Charakter zeigt, offenbart sich Sarkasmus (griech. sarkasmós = die Zerfleischung) als beißender Spott und Hohn. Wird eine Person lächerlich gemacht, gedemütigt und bloßgestellt, so überwiegt deutlich die aggressive Komponente (vgl. Kirchmayr 2006 zit. n. Frittum 2009, S. 37). Eine humorvolle Intervention, die Sarkasmus aufweist, ist demzufolge für den therapeutischen/beraterischen Kontext ungeeignet, so die gängige Meinung in der Fachliteratur (vgl. Effinger 2006, S. 50 u. Adler 2004, S. 204 u. Salameh 2007, S. 72). Die Mitglieder von HumorCare[6], einer Vereinigung von Humortherapeuten, die von Michael Titze ins Leben gerufen wurde, sprechen sich vehement gegen jeglichen zerstörerischen Humor aus: „Sie [Menschen mit Behinderungen] können dadurch zu Objekten der Lächerlichkeit und zur Zielscheibe eines destruktiven "schwarzen" Humors (Ironie, Sarkasmus, Zynismus) werden. Die Mitglieder von HumorCare verpflichten sich, diese Art des Humors grundsätzlich zu vermeiden.“ (IQ 1, Art. 1). Dem widerspricht Frank Farrelly, der Entwickler der Provokativen Therapie (vgl. dazu 9.2), der auch Sarkasmus und Sadismus unter ganz festgelegten Bedingungen zulässt: „Etwas humorvoll sagen, kann nicht nur Scham und Angst desensibilisieren, vielmehr können humorvolles Lächerlichmachen und Sarkasmus Patienten sensibel für ihre eigenen Fehler machen. Humor ist also eine Mehrzweckwaffe“ (Farrelly 2009, S. 154).
Der Zynismus (griech. kynismós = Hündigkeit) als Humorintervention ist vollkommen ungeeignet, zielt er doch überwiegend darauf ab, das Gegenüber mit seinen Wertvorstellungen und Idealen lächerlich zu machen und vorsätzlich das zu offenbaren, was verborgen bleiben sollte (vgl . Frittum 2009, S. 37). Zynikern mangelt es häufig an Empathie und emotionaler Betroffenheit, was auch als Bewältigungsmechanismus für erlebte Kränkungen und Belastungen fungieren kann (vgl. Bollinger/Lustenberger 2001, S. 13). Zudem kann häufig angewandter Zynismus auch ein Hinweis auf eine psychische Störung oder einen drohenden Burnout sein (vgl . Rißland 2006, S. 178).
Der schwarze Humor kann angesichts stark belastender Erlebnisse und nicht beeinflussbarer Situationen als Mittel gegen die Ohnmachtsgefühle eingesetzt werden. Schwere Themen wie Tod und Krankheit sind Inhalt des schwarzen Humors. Ihre Benennung, und das oftmals eher bittere Lachen darüber, kann die Einstellung zum Unvermeidlichen verändern (vgl . Rißland 2006, S. 178). Der Begriff Galgenhumor wird in der Regel synonym dazu verwendet und verweist auf die Anekdote von Freud, in welcher der Delinquent am Montag frühmorgens zum Galgen geführt wird und verkündet: „Na, diese Woche fängt gut an“ (Freud 2009, S. 242 u. S. 253). Der Bedrohung ins Auge zu blicken und sich den schweren Themen über den - wenn auch düsteren - Humor zu stellen, kann sehr entlastend sein, auch in der Beratung.[7]
Lachen ist eine körperliche Reaktion auf den Humorreiz. Als wissenschaftlich belegt gelten die positiven biochemischen und physiologischen Auswirkungen des Lachens auf den Körper (vgl. Robinson 2002, S. 23). Es ist nach Fry vor allem ein Atmungsphänomen, bei dem der Gasaustausch gesteigert, die Lunge mit viel Sauerstoff versorgt wird, und dadurch das Blut einen kathartischen Effekt erlebt und der Blutdruck gesenkt wird (vgl. Titze 2007a, S. 243). Neben weiteren gesundheitsförderlichen Wirkungen bescheinigt der Lachforscher Paul McGhee dem Lachen eine nachhaltige Muskulaturentspannung und Stressreduktion: „The importance of this natural relaxation effect may be seen in the fact that relaxation not only helps reduce stress; it also helps alleviate heart disease, headaches, chronic anxiety, and other problems. For patients with rheumatism, neuralgia, or other conditions characterized by a spasm-pain-spasm cycle, the reduced muscle tension that results form laughter disrupts this cycle and reduces the pain experienced“ (McGhee 1999, S. 46 f). Den positiven Effekt der Muskelentspannung sowie der Verbesserung der Atmung sieht Ilona Papousek allerdings als widerlegt. Beide seien nur kurzfristig effektiv und hätten für Gesundheit und Wohlbefinden keinerlei Bedeutung (vgl. Papousek 2008, S. 90). Barbara Wild bestätigt dies und zitiert Studien, nach denen Menschen mit mehr Humor zwar durchschnittlich zufriedener mit ihrer Gesundheit, aber tatsächlich nicht weniger krank seien. Auch hätten diese eine signifikant kürzere Lebenserwartung, was sich Wild damit erklärt, dass Menschen mit besserem Sinn für Humor sich risikoreicher verhielten (vgl. Wild 2008, S. 82). Zudem würden gesundheitlich positive Effekte wie Stressmodulation und Schmerzreduktion nur durch echtes, nicht durch willkürliches Lachen erreicht werden können. Ebenso wichtig sei, warum jemand lacht. Die Nachbildung unterschiedlicher Ergebnisse aufgrund methodischer Schwierigkeiten bei der Untersuchung physiologischer Effekte stände aber noch aus, so Wild (vgl. ebd.).
Nicht alle Facetten des Humors mit ihren sehr unterschiedlichen Hintergründen und Wirkweisen sind, so die durchgehende Ansicht der Autoren (mit Ausnahme von Farrelly), für Humorinterventionen geeignet. Aggressive Formen, wie Sarkasmus und Sadismus, haben, den Ethikrichtlinien von HumorCare folgend, keinen Platz in beraterischen Prozessen. Der schwarze Humor hingegen nimmt eine wichtige Position ein. Die dem Humor enthusiastisch zugeschriebenen positiven physiologischen Auswirkungen halten den neueren, aber dennoch begrenzt aussagekräftigen Studien, nicht gänzlich stand (vgl. dazu 10.3), weshalb eine differenziertere Forschung nötig ist. Dass Humor und Lachen aber die Lebensqualität steigern, gilt als unbestritten (vgl. Robinson 2002, S. 28).
„Schlagt mich meinetwegen, aber laßt mich lachen!“
–Molière-
Dem komplexen Phänomen Humor begegnet die Fachliteratur mit verschiedenen humortheoretischen Modellen. Ebenso wie es keine eindeutige Definition von Humor gibt, existieren bis zum heutigen Zeitpunkt auch keine umfassende und trennscharfe Theorie und kein gemeinsamer Konsens über Humor. Aber es entstand ein Novum in der Wissenschaft: die Gelotologie (griech. gelos = Lachen), als deren Begründer William F. Fry gilt. Mit ihm zusammen arbeiteten weitere Mitglieder der Palo-Alto-Gruppe am Mental Research Institute wie Gregory Bateson, Virginia Satir und Paul Watzlawick, deren systemische Perspektiven und Konzepte für Therapie und Beratung von großer Bedeutung sind. Als führende Gelotologen werden neben Fry u.a. auch Paul McGhee, Willibald Ruch, Barbara Wild, Michael Titze und Waleed A. Salameh genannt (vgl. Gäs-Zeh 2012, S. 50). In der Ausarbeitung erschweren Überschneidungen in Form von Theorie und Analyse und parallele Betrachtungsweisen die Differenzierung zwischen theoretischen Ansätzen (vgl. Punkt 3) und den Funktionen des Humors (vgl. Punkt 4). Es werden diejenigen Ansätze skizziert, die für Therapie und Beratung relevant sind. Die folgenden Humortheorien haben zwei unterschiedliche Ausrichtungen: Überlegenheits- und Aggressionstheorie, Inkongruenztherapie und Spieltheorie befassen sich eher mit dem Wesen des Humors, während die psychologischen und die sozialen Theorien die Funktionen des Humors in den Fokus nehmen.
Die wohl prominenteste Humortheorie (relief theory) stammt vom Psychoanalytiker Sigmund Freud und bildet die Grundlage für weitere psychologische Theorien vor allem für diejenigen, die im Humor einen innerphysisch bedingten Entlastungsprozess sehen (vgl. Robinson 2002, S. 16 u. Titze/Eschenröder 2011, S. 38). Freud differenziert zwischen dem Witz, der Komik und dem Humor. Alle drei basieren auf dem gleichen Prinzip und dienen der Einsparung psychischer Energien: der ersparte Hemmnisaufwand beim Witz, der ersparte Vorstellungsaufwand bei der Komik sowie der ersparte Gefühlsaufwand beim Humor (vgl . Freud 2009, S. 249). „Kein Zweifel, das Wesen des Humors besteht darin, daß man sich die Affekte erspart, zu denen die Situation Anlaß gäbe, und sich mit einem Scherz über die Möglichkeit solcher Gefühlsäußerungen hinaussetzt“ (ebd., S. 254). Der Humor sorgt also dafür, dass Gefühle, die sich beispielsweise auf Sex, Armut oder Krankheit beziehen und die in der Regel unterdrückt werden, weil sie gesellschaftliche Normen verletzen würden, überwunden werden können (vgl. Kleinaltenkamp et al. 2015, S. 149 f). Diese verdrängten Affekte können durch das Lachen eine kathartische Befreiung erfahren (vgl. Titze/Eschenröder 2011, S. 39). Neuere Theorieansätze zum Humor, wie beispielsweise von Berlyne und Suls, nehmen Aktivierungsbedingungen und kognitive Faktoren in den Fokus. Sie betonen, dass für das Humorverständnis spezifische Verarbeitungsprozesse auf kognitiver Ebene stattfinden müssen und, neben dem aktuellen situativen Stimulus, auch biografische Elemente und Zukunftserwartungen impliziert sein müssen (vgl. Robinson 2002, S. 16 f).
Eine klassische Humortheorie, die auch schon Platon und Aristoteles beschrieben haben, ist die Überlegenheitstheorie (superiority theory). Sie basiert darauf, dass das Lachen über Personen, die unterlegen sind, sich ungeschickt verhalten oder Pech haben, die eigene Überlegenheit beweist (vgl. Robinson 2002, S. 18). Wird jemand Außenstehendes von einer Gruppe ausgelacht, der körperliche oder geistige Fehlleistungen zeigt, offenbart sich das aggressive Lachen. Dieses kann das Zusammengehörigkeitsgefühl innerhalb der Gruppe bewirken, also auch soziale Elemente aufweisen. Die eigenen Schwächen und Mängel können auf den Außenstehenden projiziert werden und ihm gegenüber ein Gefühl von Macht entstehen lassen (vgl. Titze/Eschenröder 2011, S. 42 f).[8] Die Überlegenheits- und Aggressionstheorien beschäftigen sich also vornehmlich mit den aggressiven, trennenden Aspekten des Humors.
Soziale Theorien hingegen betonen die verbindenden Elemente. Eine Doppelwertigkeit entsteht, wie unter 2.2 erwähnt, wenn der Zusammenhalt innerhalb einer Gruppe durch gemeinsames Auslachen eines Außenstehenden gestärkt wird, während diesem gleichzeitig seine Unterlegenheit demonstriert wird (vgl. Titze/ Eschenröder 2011, S. 48). Doppelwertig ist die soziale Theorie auch deshalb, weil sie zum einen die Gruppendynamik innerhalb eines Systems qualitativ beschreibt und zum anderen eine adaptive Funktion innehat, da die Gruppenmitglieder gegenüber Außenstehenden ein Gefühl der Zusammengehörigkeit entwickeln können (vgl . ebd.). Humor kann als soziales Korrektiv eines unangepassten Verhaltens fungieren und ist eine Form der sozialen Beziehung, die inmitten eines sozialen Umfelds stattfindet (vgl. Robinson 2002, S. 18).
Eine andere Bezeichnung für Inkongruenztheorie (incongruity theory) lautet auch Diskrepanztheorie. Diese Theorie beschäftigt sich mit den kognitiven Abläufen, die für den Humor relevant sind. Neben anderen Theoretikern wurde sie von Immanuel Kant und Arthur Schopenhauer vertreten. Sie fußt in erster Linie auf identifizierten und als lustig empfundenen Widersprüchen zwischen der Realität und einem Zustand, der als ideal angesehen wird (vgl. Kleinaltenkamp et al. 2015, S. 149 f). Kant formuliert das Lachen als einen „Affekt, der aus der plötzlichen Verwandlung einer gespannten Erwartung in Nichts entspringt“ (Kant 1976, S. 276 zit. n. Titze/ Eschenröder 2011, S. 51). Humor folgt demnach aus einer Ambivalenz oder einem überraschenden Moment, wenn vertraute Dinge oder Personen ganz widersprüchlich zu den eigenen Erwartungen in einem anderen Kontext eingeordnet sind oder agieren. Inkongruenz ist also gekoppelt an den Überraschungseffekt und Humor oder Kreativität entstehen eben aus diesem Zusammenprall unterschiedlicher Wahrnehmungs- oder Denksysteme. Dieses Phänomen wird Bisoziation [9] genannt (vgl. Titze/ Eschenröder 2011, S. 51).
Für das Phänomen Humor sind die Spieltheorien unerlässlich. Sie beschäftigen sich mit den spielerischen Elementen und Freude stiftendem gemeinsamem Spiel, wie es vor allem bei Kindern zu beobachten ist. William Fry sieht eine besondere Bedeutung in den Zusammenhängen von Humor, Spiel, Lachen und Lächeln. Er betont den Charakter der interpersonalen kommunikativen Interaktion von Humor und Spiel. Zudem vergleicht er beide mit Rauferei, Gerangel und spielerischen Klapsen. Humor findet im spielerischen Rahmen statt und wird angekündigt durch nonverbale Kommunikation (vgl. Fry 1968, S. 138 f zit. n. Robinson 2002, S. 20 f). Der Sinn für Humor entwickelt sich laut McGhee gleichzeitig mit der sozialen, emotionalen, intellektuellen und physischen Entwicklung des Kindes (vgl . Robinson 2002, S. 23).
Die hier skizzierten Humortheorien sind nicht in sich geschlossen und zeigen viele Gegensätzlichkeiten und Überlappungen. Auch stehen die empirischen Untersuchungen mehrerer Theorien noch aus - dennoch können sie eine Annäherung an das Konzept Humor sein. Robinson plädiert dafür, neuen Theorien offen zu begegnen sowie eklektisch vorzugehen (vgl. Robinson 2002, S. 22).
"Humor ist der Knopf, der verhindert, dass uns der Kragen platzt".
–Joachim Ringelnatz-
[...]
[1] Aufgrund des begrenzten Umfangs der Thesis finden die Aspekte Humor unterschiedlicher Kulturen, Kinderhumor, Humor im Alter sowie die Genderthematik keine Erwähnung. Auf gendersensible Kunstformen wird bewusst verzichtet, weil sie den Denk- und Lesefluss beeinträchtigen. Selbstverständlich sind stets sämtliche Geschlechter angesprochen.
[2] Titze/ Eschenröder (vgl. Titze/ Eschenröder 2011, S. 16 ff) differenzieren weiter in Lachen und Lächeln, Bernhardt ebenso (vgl. Bernhardt 1985, S. 19) und McGhee misst dem Sinn für Humor noch einmal eine besondere Bedeutung zu (McGhee 1999, S.XIII). Letzteres ist relevant, weil McGhees Humortraining in seiner Wirksamkeit validiert wurde und der Sinn für Humor ein Wirkfaktor ist (vgl. 9.3). Papousek belegt, dass Heiterkeit als emotionale, dauerhafte Eigenschaft Deprimiertheit und Sorgen minimieren kann (vgl. Papousek 2008, S. 93).
[3] Herrschte aber ein Ungleichgewicht der Humores, bildeten sich vier Temperamentsformen aus, die nicht dem Ideal des Menschen entsprachen: der tiefgründige, schwermütige und antriebsschwache Melancholiker, der reizbare, jähzornige und unbefriedigte Choleriker, der ruhige, kaltblütige, träge Phlegmatiker und der lebhafte, leichtsinnige, heitere Sanguiniker (vgl. Bernhardt 1985, S. 16).
[4] Das amerikanische Verständnis von Humor umfasst nach Wild dreierlei Aspekte: die Stimmung, die Produktion von etwas Witzigem sowie das, worüber gelacht wird (vgl. Wild 2008, S. 81).
[5] Im Anhang 1 befindet sich eine Grafik Effingers, die die Wirkweisen der verschiedenen Facetten von Humor deutlich macht.
[6] HumorCare e.V. ist ein Verein von Humortherapeuten (u.a. Michael Titze, Alfred Kirchmayr und Eleonore Höfner), der den Einsatz von Humor in Therapie fördert. Er hat ethische Richtlinien festgelegt und intensiviert die Forschung über Humor (vgl . IQ 1).
[7] Eine Darstellung unterschiedlicher Humorarten und deren Wirkungen von Herbert Effinger befindet sich im Anhang 1.
[8] Die Angst, ausgelacht zu werden, nennt man Gelotophobie. Oft ist Scham als Unsicherheitsgefühl der Auslöser für diese Angst. Kann sich der Betroffene der beschämenden Situation nicht entziehen, kann die Gelotophobie pathologische Züge annehmen. In diesem Bereich zeigt sich die destruktiv-aggressive Wirkung des Lachens (vgl. Titze/Eschenröder 2003, S. 47). Mit dem Thema Scham, schambedingte Depression und der Angst, ausgelacht zu werden, hat sich Michael Titze in seinem Werk: „Die heilende Kraft des Lachens. Mit therapeutischem Humor frühe Beschämungen heilen“ intensiv beschäftigt.
[9] Bisoziation ist ein von Arthur Koestler entwickelter Grundbegriff in der Kreativitäts- und Humorforschung und meint die kreative Verknüpfung von Begriffen, Bildern oder Vorstellungen aus unterschiedlichen begrifflichen Bezugsrahmen. Das ermöglicht das Durchbrechen geistiger Routinen (vgl. Sonnenberg 2006, S. 129).