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Bachelorarbeit, 2013
53 Seiten, Note: 1,7
Abbildungsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Problemstellung
1.2 Vorgehensweise
2 Die Lage von Jugendlichen beim Übergang Schule - Beruf
2.1 Der demografische Wandel
2.2 Daten und Fakten zum Ausbildungsmarkt
3 Das Konzept der Ausbildungsreife
3.1 Abgrenzung zu anderen Begrifflichkeiten
3.2 Ausbildungsreife nach dem Konzept der Bundesagentur für Arbeit
3.3 Andere Konzepte zur Ausbildungsreife
4 Das Übergangssystem in Deutschland
4.1 Was verbirgt sich hinter dem Übergangssystem?
4.2 Maßnahmen im Übergangssystem
4.2.1 Berufsvorbereitung durch die Länder
4.2.2 Berufsvorbereitung durch die Bundesagentur für Arbeit
4.2.3 Sonstige Berufsvorbereitung
4.3 Vergleich zweier divergierender Maßnahmen
4.3.1 Begründung der Entscheidung
4.3.2 Die einjährige Berufsfachschule
4.3.3 Die Einstiegsqualifizierung
5 Beförderung der Ausbildungsreife in den Maßnahmen
5.1 Ausbildungsreife in der einjährigen Berufsfachschule
5.2 Ausbildungsreife in der Einstiegsqualifizierung
5.3 Ergebnis des Vergleichs
6 Herausforderungen für das Übergangssystem
7 Fazit
Literaturverzeichnis
Abbildung 1: Entwicklung des Erwerbspotentials bis 2050, insgesamt und nach Alter (Fuchs 2013, S. 400)
Abbildung 2: Erweiterte Angebots-Nachfrage-Relation, 2009 bis (BMBF 2013, S. 13)
Abbildung 3: Ausbildungsreife – Berufseignung – Vermittelbarkeit (Nationaler Pakt für Ausbildung und Fachkräftenachwuchs 2009, S. 12)
Abbildung 4: Ausbildungsreife – Was zählt dazu? (Eberhard, Ehrenthal& Ulrich 2005, S. 3)
Abbildung 5: Struktur der Teilqualifizierenden Berufsfachschule als Teil des Schulberufssystems (Pahl 2009, S. 117)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Der Übergang von der Schule in Beruf und Ausbildung ist eine Phase der Unsicherheit für jede/-n Jugendliche/-n. Wer keinen oder nur einen geringqualifizierenden Schulabschluss und Probleme bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz hat, mündet oftmals in das sogenannte „Übergangssystem“. So fanden im Jahr 2012 80.977 förderungsbedürftige junge Menschen Zugang zu berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen der Bundesagentur für Arbeit, von denen jedoch nur rund 43 Prozent sechs Monate nach Austritt aus der Maßnahme in ein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis eingegliedert werden konnten (vgl. BMBF 2013, S. 72).
Aber warum wird nicht einmal die Hälfte der Maßnahmenteilnehmer/-innen in eine Ausbildung vermittelt? Liegt es daran, dass die Maßnahmen womöglich nicht die nötige Ausbildungsreife vermitteln? Diese Frage ist bis heute völlig ungeklärt und es liegen keine ausreichenden Forschungsergebnisse vor (vgl. Eberhard, Ehrenthal& Ulrich 2005, S. 7). Deshalb soll sich diese Arbeit mit dem Übergangssystem zwischen Schule und Beruf in Deutschland beschäftigen. Sie wird die verschiedenen Maßnahmen, die so zahlreich im Übergangssystem existieren, beschreiben und insbesondere die Maßnahmen der einjährigen Berufsfachschule und der Einstiegsqualifizierung analysieren und betrachten, inwieweit Jugendliche durch diese Übergangsmaßnahmen eine verbesserte Ausbildungsreife aufweisen. Diese Frage ist für die heutige Berufs- und Wirtschaftspädagogik so wichtig, da eines der größten Probleme des Übergangssystems die mangelnde Transparenz über die erworbene Ausbildungsreife ist.Wobei doch der beste Maßstab für die Messung der Effektivität der Maßnahmen die erworbenen Kompetenzen darstellen (vgl. Bleck 2012, S. 213 f.). Außerdem haben sich die Eintritte von Jugendlichen in das Übergangssystem von 1992 bis 2007 mehr als verdoppelt (vgl. Rebmann, Schlömer &Tenfelde 2011, S. 217). Diese Tatsache verdeutlicht, welche wichtige Rolle das Übergangssystem in der heutigen Zeit beim Übergang von der Schule in den Beruf einnimmt. Im Hinblick auf das Übergangssystem geht es bei den hier genannten maßnahmenteilnehmenden Jugendlichen um junge Erwachsene im Alter zwischen 15 und 25 Jahren, welche ihre allgemeinbildende schulische Laufbahn (sei es nun mit oder ohne Abschluss) beendet haben und noch nicht in eine reguläre Berufsausbildung eingegliedert sind.
Nun stellt sich die Frage nach den Gründen hierfür.In den letzten Jahren wird verstärkt der Vorwurf laut, immer weniger Jugendliche seien nach dem Schulabgang überhaupt ausbildungsreif. Genaugenommen kritisiert jedes zweite Unternehmen, dass die Qualität der Bewerber/-innen sinkt und führt dies auf eine mangelnde Ausbildungsreife der Schulabgänger/-innen zurück (vgl. Furkel 2006, S. 16 f.).Das bedeutet, dass es immer mehr benachteiligte Jugendliche in dieser Gesellschaft gibt, wobei der Begriff der Benachteiligung schwer zu definieren ist. Meist ergeben sich Benachteiligungen für die Jugendlichen erstens aus ökonomischen Gründen, welche vom Ausbildungs- oder Arbeitsmarkt herrühren, zweitens aus bildungsbezogenen Gründen, welche Lern- und Bildungsdefizite beinhalten und drittens aus sozialen Gründen, zum Beispiel ungünstige häusliche und familiäre Verhältnisse, Migrationshintergründe und viele mehr (vgl. Wolf 2009, S. 69). Im Sinne dieser Arbeit handelt es sich bei benachteiligten Jugendlichen um junge Erwachsene, die in Bezug auf die Aufnahme einer Berufsausbildung besonderer Unterstützung bedürfen (vgl. Wolf 2009, S. 84). Insbesondere um diejenigen Jugendlichen, die aufgrund einer mangelnden Ausbildungsreife keinen Zugang zum Ausbildungsmarkt finden. Denn „die mangelnde Ausbildungsreife vieler Schulabgänger ist für die meisten […] Betriebe (75 Prozent) das Ausbildungshemmnis Nr. 1.“ (DIHK 2013, S. 26). Sie rührt laut einer Lehrer(innen)befragung durch Müller und Rebmann (2008, S. 578) hauptsächlich von mangelnder Motivation, fehlender Sach-, Sozial- und Personalkompetenz und kaum vorhandenen Sekundärtugenden her. Die Ausbildungsreife ist also Voraussetzung für den Einstieg in eine Berufsausbildung (vgl. Nationaler Pakt für Ausbildung und Fachkräftenachwuchs 2010, S. 5). Und um diese zu vermitteln und Schüler(inne)n mit fehlender Ausbildungsreife eine Übergangsmöglichkeit zwischen Schule und Beruf anzubieten, existiert das Übergangssystem in Deutschland. Dennoch war es in der Vergangenheit oftmals zweifelhaft, ob das Übergangssystem zwischen Schule und Beruf eine solche fehlende Ausbildungsreife überhaupt befördern kann (vgl. Institut der deutschen Wirtschaft Köln 2006, S. 97).
Hieraus ergeben sich also einige Herausforderungen für die Berufs- und Wirtschaftspädagogik. 2004 wurde der Nationale Pakt für Ausbildung und Fachkräftenachwuchs von der Bundesregierung und den Spitzenverbänden der deutschen Wirtschaft gegründet, um jeder/jedem Jugendlichen die/der ausbildungswillig und -fähig ist, ein Ausbildungsangebot zu machen und den Fachkräftenachwuchs zu sichern (vgl. Riemer 2012, S. 33). Der Pakt wurde im Laufe der Jahre immer wieder verlängert (zuletzt bis 2014) und es wurden neue Schwerpunkte festgesetzt. Darüber hinaus wurden die Beauftragten der Bundesregierung für Integration und die Kultusministerkonferenz als neue Paktpartner aufgenommen (vgl. Bundesagentur für Arbeit 2010). Zu den neuen Schwerpunkten gehört nun auch die Förderung der noch nicht ausbildungsreifen Jugendlichen. Die Paktpartner wollen dafür sorgen, dass das Übergangssystem neu strukturiert und effizienter gestaltet wird (vgl. Nationaler Pakt für Ausbildung und Fachkräftenachwuchs 2010, S. 12). Doch trotz aller Bemühungen der Paktpartner, ein funktionierendes Übergangssystem zwischen Schule und Beruf zu schaffen, ist es dennoch so, dass manche Jugendliche von einer Maßnahme in die nächste wandern, ohne dass ihre Chancen auf einen Ausbildungsplatz steigen (vgl. Institut der deutschen Wirtschaft Köln 2006, S. 97). Solche „Maßnahmenkarrieren“ oder auch „Warteschleifen“ sind mit Vorsicht zu betrachten, weil sie die Jugendlichen zwar vorläufig vor der Arbeitslosigkeit schützen, langfristig jedoch nicht zu deren sozialem Aufstieg, welcher an eine Ausbildung mit anschließender Erwerbstätigkeit gekoppelt ist, führen (vgl. Angerhoefer& Heilmann 2002, S. 198 ff.; Golisch 2002, S. 67). Denn „die Arbeit ist das Hauptgebiet der Integration des Individuums in die Gesellschaft.“ (Hartung 1992, S. 92). Zurzeit existieren unzählige Maßnahmen und Programme zur Unterstützung des Übergangs von Jugendlichen in Ausbildung und Beruf und dies führt zu einem regelrechten „Maßnahmendschungel“, durch den sich sogar Expert(inn)en nur mit Schwierigkeiten hindurchfinden (vgl. Bojanowski 2012, S. 118). Daher sind sich die Paktpartner darüber einig geworden, die vielfältigen Maßnahmen besser aufeinander abzustimmen und zu bündeln (vgl. Nationaler Pakt für Ausbildung und Fachkräftenachwuchs 2010, S. 12).
Ein Überblick über die wichtigsten derzeit existierenden Maßnahmen soll in dieser Arbeit gegeben werden. Ein Fokus wird dabei im Speziellen auf die schulische Berufsvorbereitung in Form der einjährigen Berufsfachschule und die betriebliche Maßnahme der Einstiegsqualifizierung gelegt. Diese beiden Möglichkeiten, die sich Jugendlichen bieten, den Übergang zwischen Schule und Beruf beziehungsweise Berufsausbildung zu überbrücken, sollen in Bezug auf die Vermittlung der bis dahin fehlenden Ausbildungsreife der jungen Menschen miteinander verglichen werden. Der Vergleich dieser beiden Maßnahmen in Bezug auf eine erfolgreiche Vermittlung der Ausbildungsreife eignet sich deshalb so gut, weil sie sich einerseits grundlegend unterscheiden, und andererseits ähnliche Merkmale aufweisen, welche einen Vergleich begünstigen, was in den kommenden Kapiteln deutlich wird.
In der vorliegenden Ausarbeitung werden die Übergangsmaßnahmen zwischen Schule und Beruf, im Speziellen die einjährige Berufsfachschule und die Einstiegsqualifizierung, näher betrachtet. Ein besonderes Augenmerk soll hierbei auf den Erwerb der Ausbildungsreife gelegt werden, welche sich positiv auf den Übergang der Jugendlichen in eine Berufsausbildung auswirken könnte. Hierfür wird im Folgenden zunächst dargelegt, wie die Lage von jungen Menschen auf dem Ausbildungsmarkt derzeit aussieht. Ist es für sie leicht, den Absprung von der Schule in den Beruf zu schaffen? Welche Rolle spielt diesbezüglich der demographische Wandel und was sagen die Statistiken der Bundesagentur für Arbeit und des Bundesinstituts für Berufsbildung aus? Im Anschluss an die Klärung dieser elementar wichtigen Fragen wird das Verständnis der Ausbildungsreife, welches in dieser Arbeit zugrunde gelegt wird, erläutert. Hierzu ist es vorerst notwendig, eine Abgrenzung zu anderen, oftmals synonym verwendeten Begriffen wie der Berufseignung und der Vermittelbarkeit vorzunehmen. Im Zuge dessen wird auch das Konzept der Ausbildungsreife der Bundesagentur für Arbeit genauer beleuchtet und die einzelnen Aspekte des Kriterienkatalogs zur Ausbildungsreife benannt. Ergänzend wird auf empirische Forschungsergebnisse zu den Merkmalen von Ausbildungsreife und deren Gewichtung bei Betrieben, Lehrkräften und anderen Expert(inn)en eingegangen. Daraufhin soll das Übergangssystem in Deutschland erklärt und mit all seinen Stärken und Schwächen betrachtet werden. Des Weiteren werden die wichtigsten und bekanntesten Maßnahmen des Übergangssystems benannt und erläutert, um einen Überblick über die derzeit im Übergangssystem angebotenen Maßnahmen zu erhalten. Hierbei wird zwischen Übergangsmaßnahmen der einzelnen Bundesländer und der Agentur für Arbeit, sowie weiteren Möglichkeiten, den Übergang zwischen Schule und Beruf zu gestalten, unterschieden.
Darüber hinaus gilt es, die in der Fragestellung genannten Maßnahmen der einjährigen Berufsfachschule und der Einstiegsqualifizierung hinsichtlich ihrer Besonderheiten sowie Chancen und Grenzen darzustellen. Hierzu ist es zunächst wichtig darzustellen, warum explizit diese beiden Maßnahmen für die Ausarbeitung gewählt wurden und einen repräsentativen Vergleich der einjährigen Berufsfachschule sowie der Einstiegsqualifizierung vorzunehmen. Im weiteren Verlauf der Arbeit und anhand der gesammelten Daten soll ermittelt werden, inwieweit eine Vermittlung der Ausbildungsreife in den zu vergleichenden Maßnahmen sichergestellt werden kann und welche Fakten für, beziehungsweise gegen die jeweilige Maßnahme sprechen. In einer anschließenden Betrachtung werden die Herausforderungen, welche sich daraus für das Übergangssystem ergeben, behandelt.Abschließend wird darauf aufbauend ein Fazit gezogen, welches eine Handlungsempfehlung für die Paktpartner enthält.
Als Konsequenz einer fehlenden Ausbildungsreife „landen“ Schüler/-innen in der Regel in einer der zahlreichen Maßnahmen des Übergangssystems. Hieran ändert auch der demografische Wandel nur bedingt etwas. Dieser setzt sich aus drei voneinander unabhängigen Entwicklungsprozessen zusammen: Der sinkenden Geburtenrate, einer verlängerten Lebensdauer und der Entwicklung von Zu- und Fortzügen (vgl. Elm 2011, S. 24). In der folgenden Abbildung wird „das Erwerbspersonenpotential insgesamt und nach Alter von 1990 bis 2050“ (Fuchs 2013, S. 400) dargestellt. Die Abbildung 1 stellt die Entwicklung des Erwerbspotentials bis 2050 insgesamt und nach Alter dar und lässt erkennen, dass das Erwerbspotential von knapp 43 Millionen im Jahr 1990 auf knapp 45 Millionen im Jahr 2010 gestiegen ist. „Das Zukunftsszenario basiert auf der Annahme einer jährlichen Nettozuwanderung von 100.000 Personen sowie einer steigenden Erwerbsquote von Frauen und Älteren.“ (Fuchs 2013, S. 400). In eben diesem Szenario wird davon ausgegangen, dass das Erwerbspotential bis zum Jahr 2030 auf ca. 39 Millionen und bis zum Jahr 2050 sogar unter 33 Millionen sinkt. In diesem Zeitraum nimmt die Anzahl jüngerer Arbeitskräfte (15 bis 29 sowie 30 bis 49 Jahre) stark ab, wohingegen die Anzahl der älteren Arbeitskräfte (50 bis 64 sowie 65 bis 74 Jahre) vorerst hoch bleibt und ab dem Jahr 2020 dann ebenfalls zu sinken beginnt (vgl. Fuchs 2013, S. 400).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung1: Entwicklung des Erwerbspotentials bis 2050, insgesamt und nach Alter (Fuchs 2013, S. 400)
Der demografische Wandel ist dafür verantwortlich, dass rückläufige Zahlen an Schüler/-innen und potentiellen Auszubildenden zu verzeichnen sind. In Folge dessen kommt es zu sogenannten „Miss Matches“ zwischen Ausbildungsangebot und -nachfrage wodurch die Ausbildungsbetriebe gezwungen sind, verstärkt auch diejenigen Jugendlichen auszubilden, die bislang durch das Raster fielen und als nicht ausreichend qualifiziert galten (vgl. Elm 2011, S. 24; Euler 2011, S. 2). Ziel bei diesen benachteiligten Jugendlichen ist es, ihre Potenziale und natürlich auch ihre Ausbildungsreife zu befördern, damit sie den geforderten Ansprüchen begegnen können(vgl. Krüger & Schütze 2011, S. 20). Die genauen Auswirkungen des demografischen Wandels auf das Übergangssystem und die ausbildenden Betriebe sind noch nicht vorauszusehen. Einerseits könnte die abnehmende Zahl der Bewerber/-innen dazu führen, dass Unternehmen bei der Vergabe ihrer Ausbildungsplätze auch weniger qualifizierte Bewerber/-innen berücksichtigen und es damit zu einer Entlastung des Übergangssystems kommt, andererseits ist auch denkbar, dass diese Unternehmen verstärkt auf Maßnahmen, wie die der Einstiegsqualifizierung, zurückgreifen. Euler (2011, S. 3) beschreibt darüber hinaus die Möglichkeit, dass Firmen zunehmend auch Alternativen zur Berufsausbildung, wie beispielsweise das Rekrutieren ausländischer oder arbeitsloser Fachkräfte, die Weiterbildung der Belegschaft, die Weiterbeschäftigung älterer Arbeitskräfte oder die Ausweitung der Arbeitszeit, prüfen werden. Die Wahrscheinlichkeit, dass das Übergangssystem durch den demografischen Wandel entlastet wird, ist also eher gering (vgl. Euler 2011, S. 3).
In Anlehnung an die gewonnenen Erkenntnisse durch die Prognosen des demografischen Wandels senken die Betriebe oftmals „die Anforderungen und bilden verstärkt auch lernschwächere Jugendliche aus […] doch kann es nicht Aufgabe der Wirtschaft sein, schulische Defizite in der Berufsausbildung auszugleichen.“(DIHK 2013, S. 29). So argumentiert der Deutsche Industrie- und Handelskammertag und gibt dadurch unmissverständlich den Standpunkt der Wirtschaftsbetriebe zu verstehen. Doch werden die Gewerkschaften gefragt, hört es sich eher so an, als ob die Anforderungen der Betriebe an Auszubildende sogar noch gestiegen sind und somit ist die Debatte von gegenseitigen Schuldzuweisungen geprägt und alle Versuche einer Verständigung über das Konzept der Ausbildungsreife blieben bisher ohne Erfolg (vgl. Eberhard 2006, S. 12 ff.).
Fakt ist: Die Zahl der unversorgten Bewerber/-innen auf der Nachfrageseite, welche weder eine Berufsausbildung, noch eine geeignete Alternative gefunden haben, ist im vergangenen Jahr um 4.325 Personen (das entspricht einem Anteil von 38,2 Prozent) gestiegen, womit die wachsenden Passungsprobleme am Ausbildungsmarkt und die zunehmenden Schwierigkeiten der Angebots- und Nachfrageregulierung (regional sowie spartenspezifisch) belegt wären (vgl. BMBF 2013, S. 8). Auch eine Steigerung der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge, so wie es in den letzten Jahren der Fall war, konnte nicht fortgesetzt werden. Stattdessen wurden bis zum Stichtag des jährlichen Berufsbildungsberichts, dem 30.09.2012, nur 551.272 neue Ausbildungsverträge geschlossen, was einen Rückgang von -18.108 (-3,2 Prozent) im Vergleich zum Vorjahr bedeutet und nach 2005 einen weiteren Tiefstand darstellt (vgl. Flemming &Granath 2013, S. 29). Teilweise sind diese Vertragsrückgänge eine Folge des demografischen Wandels, aber auch negative Konjunkturaussichten haben hierzu beigetragen (vgl. BMBF 2013, S. 8). Die Zahl der jungen Menschen, die statt in eine Ausbildung zunächst in Maßnahmen des Übergangsbereichs einmünden, beläuft sich auf 29,3 Prozent (vgl. Beicht& Eberhard 2013, S. 101). Diese Zahl sollte alarmieren und bedeutet für das Übergangssystem eine enorme Belastung und vor allem auch eine hohe Verantwortung den Maßnahmenteilnehmer(inne)n gegenüber. Denn nur wenn es gelingt, dass die Jugendlichen die entsprechenden Übergangsmaßnahmen ausbildungsreif verlassen, könnte sich an dem derzeitigen Zustand auf dem Lehrstellenmarkt etwas ändern und die sogenannten „Maßnahmenkarrieren“ wären nicht mehr an der Tagesordnung.
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat, auf Grundlage von Daten des Bundesinstituts für Berufsbildung und der Bundesagentur für Arbeit, ein Diagramm entworfen, welches die erweiterte Angebots-Nachfrage-Relation am Ausbildungsmarkt der letzten vier Jahre wiederspiegelt. Die Angebots-Nachfrage-Relation wird laut BMBF (2013, S. 10) wie folgt ermittelt:
„in Anlehnung an § 86 Absatz 2 Berufsbildungsgesetz (BBiG) wird das Angebot an Ausbildungsstellen ausgewiesen als die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge aus der BIBB-Erhebung zuzüglich der bei Agenturen für Arbeit gemeldeten noch unbesetzten Ausbildungsplätze. Die Nachfrage errechnet sich aus der Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge und den bei Agenturen für Arbeit und Jobcentern gemeldeten noch unversorgten Jugendlichen.“
Da die sogenannte erweiterte Angebots-Nachfrage-Relation zusätzlich zu den unversorgten Bewerber/-innen auch Jugendliche mit einbezieht, die zwar eine Alternative zu einer Ausbildung begonnen haben, wie beispielsweise eine berufsvorbereitende Maßnahme, aber weiterhin die Aufnahme einer Berufsausbildung anstreben, wird die Anzahl der ausbildungssuchenden jungen Menschen hier eindeutig besser abgebildet (vgl. BMBF 2013, S. 10). Abbildung 2 spiegelt die erweiterte Angebots-Nachfrage-Relation der letzten vier Jahre für das gesamte Bundesgebiet, die alten und die neuen Bundesländer wieder. Hierbei lässt sich feststellen, dass sich die erweiterte Angebots-Nachfrage-Relation für das Bundesgebiet gegenüber dem Vorjahr leicht verschlechtert hat (von 93,4 im Jahr 2011 auf 93,2 im Jahr 2012). Dies ist auf das gesunkene Angebot an Ausbildungsstellen zurückzuführen (vgl. BMBF 2013, S. 10) und stellt damit ein deutliches Signal für alle Akteure des Ausbildungs- und Berufsvorbereitungssystem dar.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Erweiterte Angebots-Nachfrage-Relation, 2009 bis 2012 (BMBF 2013, S. 13)
Auch wenn der Ausbildungsmarkt in der Abbildung 2 eher entspannt abgebildet wird, gibt dies keinerlei Anlass zu sagen, dass das Ausbildungssystem bestens funktioniere. Denn in den vergangenen Jahren hat sich der Arbeitsmarkt zwar nicht drastisch verschlechtert, dennoch bestehen für benachteiligte Jugendliche, wie zum Beispiel solche, die keinen Schulabschluss vorweisen können, große Hürden bei der Ausbildungsplatzsuche (vgl. Angerhoefer& Heilmann 2002, S. 198 ff.). Dies liegt oftmals an der fehlenden Ausbildungsreife der Schulabgänger/-innen, welche in den kommenden Kapiteln behandelt werden soll.
Um zu erklären, was sich hinter dem Begriff der Ausbildungsreife verbirgt, wird hier zunächst eine Abgrenzung zu oftmals synonym verwendeten Begriffen vorgenommen. Zum einen ist es der vielfach verwendete Begriff der Berufseignung, welcher besagt, dass eine Person für einen ganz bestimmten Beruf geeignet ist, berufsspezifische Anforderungen erfüllen kann und der Beruf Merkmale aufweist, die die Person zufriedenstellen (vgl. Müller & Rebmann 2008, S. 574). Zum anderen wird der Begriff der Vermittelbarkeit häufig verwendet. Vermittelbarkeit liegt dann vor, wenn eine Person, die die Merkmale der Berufseignung aufweist, in eine Ausbildung oder berufliche Tätigkeit einmünden kann, ohne dass marktabhängige, betriebs- oder branchenabhängige Gegebenheiten dies verhindern und keine individuellen oder umfeldbezogenen Einschränkungen vorliegen (vgl. Müller & Rebmann 2008, S. 574). Die Abbildung 3 verdeutlicht, dass die drei Merkmale der Ausbildungsreife, Berufseignung und Vermittelbarkeit in einem engen Zusammenhang zueinander stehen, ja sogar aufeinander aufbauen, aber nicht dasselbe meinen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3: Ausbildungsreife – Berufseignung – Vermittelbarkeit (Nationaler Pakt für Ausbildung und Fachkräftenachwuchs 2009, S. 12)
Die Basis in dem veranschaulichten Konstrukt bildet die Ausbildungsreife. Denn zur Ausbildungsreife zählen alle diejenigen Fähigkeiten, welche schon vor der Aufnahme einer Ausbildung vorhanden sein müssen und welche für alle Ausbildungsberufe wichtig sind, egal ob es sich um eine anspruchsvolle, oder weniger anspruchsvolle Ausbildung handelt (vgl. Eberhard, Ehrenthal& Ulrich 2005, S. 2). Ohne sie würden die Jugendlichen erst gar nicht zur Berufseignung, geschweige denn zur Vermittelbarkeit gelangen. Es kristallisiert sich also heraus, dass die Ausbildungsreife von exorbitanter Bedeutung für den Übergang von jungen Erwachsenen in das Berufsleben ist.
Unter Beachtung der Tatsache, dass die Anforderungen der Betriebe sich ständig ändern, ist auch die Ausbildungsreife an bestimmte gesellschaftliche und historische Kontexte gebunden und der Begriff muss daher ständig aktualisiert werden (vgl. Müller & Rebmann 2008, S. 575). Bislang liegt allerdings noch kein allgemein anerkanntes Konzept zur Ausbildungsreife vor (vgl. Wolf 2009, S. 85). Deshalb soll in diesem Kapitel aus verschiedenen konzeptuellen Ansätzen eine zusammenfassende Definition von Ausbildungsreife geschaffen werden.
Die Ausbildungsreife „besitzt heute den Bedeutungsgehalt einer Voraussetzung, die Jugendliche befähigt, ohne Hilfen eine Berufsausbildung nach § 25 BBiG und § 25 HWO zu beginnen und erfolgreich abzuschließen.“ (Wolf 2009, S. 85). Eine fehlende Ausbildungsreife zu einem bestimmten Zeitpunkt schließt jedoch nicht aus, dass diese zu einem späteren Zeitpunkt noch erreicht werden kann (vgl. Neß 2007, S. 96). Hierbei ist zu beachten, dass ein Schulabschluss heutzutage noch lange nicht bedeutet, dass auch eine Ausbildungsreife vorhanden ist (vgl.Hilke, Müller-Kohlenberg & Schober 2005, S. 20;Rützel 2002, S. 8). Dazu gehören noch weitere Faktoren. Um diese Faktoren zu benennen und um die häufig unterschiedlichen Einschätzungen zur Ausbildungsreife von Bewerber(inne)n zwischen Betrieben, Schulen und Beratungseinrichtungen zu beseitigen, haben Vertreter/-innen des Nationalen Pakts für Ausbildung und Fachkräftenachwuchs,Expert(inn)en aus Unternehmen, beruflichen Schulen, dem Bundesinstitut für Berufsbildung, dem berufspsychologischen Service und der Berufsberatung der Bundesagentur für Arbeit, allgemeine Kriterien formuliert, die normalerweise von Betrieben an Auszubildende gestellt werden (vgl. Bundesagentur für Arbeit 2007). Der dabei entstandene Kriterienkatalog zur Ausbildungsreife dient Jugendlichen, Schulen, Betrieben und den Arbeitsagenturen als eine Art Leitfaden zur Beurteilung der Ausbildungsreife (vgl. Bundesagentur für Arbeit 2007). Ein/-e Jungendliche/-r erfüllt demnach das Kriterium der Ausbildungsreife, wenn sie/er folgende Merkmale aufweist:
Schulische Basiskenntnisse:
1. Einfache Texte fehlerfrei schreiben und verständlich formulieren können.
2. Texte lesen und verstehen können.
3. Sich in deutscher Sprache verständlich und adressatengerecht ausdrücken und mündliche Aussagen verstehen können.
4. Grundlegende mathematische Kenntnisse und Fertigkeiten anwenden und zutreffende Lösungen entwickeln können.
5. Grundlegende betriebs- und marktwirtschaftliche Zusammenhänge kennen.
Psychologische Leistungsmerkmale:
6. Mündlich und schriftlich formulierte Sachverhalte verstehen und Sachverhalte mündlich und schriftlich verständlich wiedergeben können.
7. Schriftlich oder mündlich dargestellte Problemstellungen analysieren und in eine Rechenoperation umsetzen können.
8. Schrittweise vorgehen und schlussfolgernd denken können.
9. Sich aufgrund von Zeichnungen etwas räumlich vorstellen können und in Schaubildern dargestellte Zusammenhänge erkennen.
10. Mündlich oder schriftlich dargestellte sowie wahrgenommene Sachverhalte behalten.
11. Einfachere Aufgaben mit Routinecharakter in einer bestimmten Zeitdauer erledigen können.
12. Eine Tätigkeit über längere Zeit ausüben, ohne sich ablenken zu lassen.
Physische Merkmale:
13. Den physischen Mindestanforderungen eines Acht-Stunden-Tages gerecht werden können. Sowie keine, eine Ausbildung grundsätzlich ausschließenden, gesundheitlichen Beeinträchtigungen aufweisen.
Psychologische Merkmale des Arbeitsverhaltens und der Persönlichkeit:
14. Auch bei Misserfolgen ein Ziel oder eine Aufgabe in einem überschaubaren Zeitraum verfolgen können.
15. Sich verbal und nonverbal verständlich ausdrücken und Botschaften anderer angemessen interpretieren und darauf reagieren können.
16. Interessengegensätze erkennen können und die Bereitschaft, sie zuzulassen und einvernehmlich zu überwinden.
17. In der Lage sein, mit Fehlern anderer konstruktiv und fair umzugehen und auch eigenes fehlerhaftes Handeln wahrzunehmen und zu korrigieren.
18. Bereitschaft zeigen, sich beim Bearbeiten von Aufgaben nach Kräften einzusetzen, und das Bestreben haben, möglichst gute Ergebnisse zu erzielen.
19. Den Lebensalltag selbstständig strukturieren, bewältigen und übertragene Aufgaben eigenständig erledigen können.
20. Beim Erfüllen von Aufgaben gewissenhaft und genau vorgehen können, mit dem Ziel, eines fehlerfreien Arbeitsergebnisses.
21. Bereitschaft und Kompetenz zeigen, mit den Mitgliedern einer Gruppe ziel- und aufgabenorientiert zu kooperieren.
22. Sich in der jeweiligen Situation angemessen höflich, respekt- und rücksichtsvoll verhalten können.
23. Die Fähigkeit und die Bereitschaft zeigen, für das eigene Handeln Verantwortung zu tragen.
24. Verbindliche Vereinbarungen ernst nehmen und einhalten können.
Berufswahlreife:
25. Die eigenen Bedürfnisse und berufsbedeutsamen Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kenntnisse kennen und diese mit wesentlichen Aspekten und Anforderungen von Berufen in Beziehung setzen können. Vorhandene Informationsmöglichkeiten nutzen, um sich über Berufe und deren Anforderungen zu informieren. Außerdem die Motive für eine Berufswahlentscheidung wahrnehmen und benennen können.
(vgl. Nationaler Pakt für Ausbildung und Fachkräftenachwuchs 2009, S. 17 ff.).
Für Jugendliche, die einen Ausbildungsplatz suchen, hat dieser Kriterienkatalog eine enorme Relevanz (vgl. Ratschinski& Steuber 2012, S. 352). Denn auf seiner Grundlage wird im Zuge einer Berufsberatung eine Entscheidung über die Ausbildungsreife der/des Ratsuchenden gefällt. Wird der/dem Jugendlichen die Ausbildungsreife zugesprochen, kann sie/er direkt in eine Berufsausbildung übergehen. Ist dies nicht der Fall, so entscheidet die/der Berater/-in über eine eventuelle Übergangsmaßnahme zur Berufsvorbereitung (vgl. Struck 2012, S. 89). Die Definition des Kriterienkatalogs lässt dabei den Berufsberater(inne)n einen gewissen Interpretationsspielraum bei der Beurteilung der Ausbildungsreife (vgl. Struck 2012, S. 87). Es ist folglich nicht der Schulabschluss für die Feststellung der Ausbildungsreife verantwortlich, sondern der Kriterienkatalog (vgl. Ratschinski& Steuber 2012, S. 352).
Der Kriterienkatalog zur Ausbildungsreife entzieht sich dennoch einer Operationalisierung, da zu vage beziehungsweise gar keine Angaben des Ausmaßes der verlangten Fähigkeiten und ihrer Gewichtung um eine Ausbildungsreife zu erlangen vorhanden sind (vgl. Müller & Rebmann 2008, S. 574). Um dieses Problem zu beseitigen, hat sich das Bundesinstitut für Berufsbildung dieser Frage im Jahr 2005 empirisch genähert und mit dem „BIBB-Expertenmonitor Ausbildungsreife“ versucht, Merkmale einer vorhandenen Ausbildungsreife und den Grad ihrer Wichtigkeit zu definieren. Die befragten Expert(inn)en sind Angehörige von Betrieben, Berufsschulen, überbetrieblichen Bildungsstätten, Kammern, Wirtschaftsverbänden, Gewerkschaften, staatlichen Bildungsverwaltungen, Hochschulen und Forschungseinrichtungen (vgl. Eberhard, Ehrenthal& Ulrich 2005, S. 1). Die Abbildung 4 zeigt die einzelnen Merkmale, die augenscheinlich einen Beitrag zur Ausbildungsreife leisten und die Prozentanzahl der Expert(inn)en, die das jeweilige Merkmal für wichtig halten.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 4: Ausbildungsreife – Was zählt dazu? (Eberhard, Ehrenthal& Ulrich 2005, S. 3)
Die Grafik lässt erkennen, dass die Mehrzahl der Expert(inn)en Zuverlässigkeit, die Bereitschaft zu Lernen, die Bereitschaft Leistung zu zeigen, Verantwortungsbewusstsein, Konzentrationsfähigkeit, Durchhaltevermögen, Beherrschung der Grundrechenarten, einfaches Kopfrechnen, Sorgfalt, Rücksichtnahme, Höflichkeit, Toleranz, Fähigkeit zur Selbstkritik, Konfliktfähigkeit, Anpassungsfähigkeit und die Bereitschaft, sich in der betrieblichen Hierarchie einzuordnen als äußerst wichtig empfinden (vgl. Eberhard, Ehrenthal& Ulrich 2005, S.2 f.). Angewandt auf den Kriterienkatalog zur Ausbildungsreife handelt es sich hierbei in erster Linie um Psychologische Merkmale des Arbeitsverhaltens und der Persönlichkeit. Diesem Punkt scheint also eine besondere Bedeutung für die Ermittlung der Ausbildungsreife zuzukommen.
Einen weniger hohen Stellenwert scheinen hingegen die schulischen Basiskenntnisse zu haben. Schriftliche Ausdrucksfähigkeit, Grundkenntnisse der Flächen-, Längen- und Volumenberechnung, betriebswirtschaftliche Grundkenntnisse sowie Grundkenntnisse der englischen Sprache sind laut Aussage der Expert(inn)en nicht zur Ausbildungsreife von Nöten. Einzige Ausnahmen sind die Beherrschung der Grundrechenarten und des einfachen Kopfrechnens (vgl. Eberhard, Ehrenthal& Ulrich 2005, S.2 f.).
Bei der Erhebung durch das Bundesinstitut für Berufsbildung betrug der Anteil der Lehrpersonen nur 15 Prozent und spiegelt somit fast ausschließlich die Ausbildungsreife aus Sicht der Betriebe wieder. Man könnte hier alsoeher von einer „Betriebsreife“ als von Ausbildungsreife sprechen (vgl. Rebmann &Tredop 2006, S. 93 f.). Müller und Rebmann (2008, S. 575 f.) reichte das nicht aus.Sie haben aufgrund der mangelnden Informationen 2005 eine eigene Studie in der Weser-Ems-Region durchgeführt, in der neben Unternehmensvertreter(inne)n hauptsächlich Lehrkräfte befragt wurden. Ziel dieser Erhebung war es, zu erfahren, wie sich Ausbildungsreife aus der Sicht der Lehrkräfte definiert. Ausbildungsreife setzt sich laut der Definition von Müller und Rebmann (2008, S. 579) in Anlehnung an den Kriterienkatalog aus verschiedenen Kompetenzbereichen zusammen, nämlich der Sozialkompetenz, der Fachkompetenz, welche die Methodenkompetenz einschließt und der Personalkompetenz.
Zu der Fach- und Methodenkompetenz gehören Teilkompetenzen wie die geistige Beweglichkeit, Kulturtechniken, Problemlösefähigkeit, vernetztes Denken, Präsentationsfähigkeit, wirtschaftliche Kenntnisse, technische Kenntnisse, Fremdsprachenkenntnisse, naturwissenschaftliche Kenntnisse, Allgemeinwissen, Computerkenntnisse, berufliche Laufbahnplanung und die Auseinandersetzung mit dem Berufsbild (vgl. Müller & Rebmann 2008, S. 580). Fast die Hälfte (48,7 Prozent) der Lehrkräfte schätzten in der Befragung alle Teilkompetenzen, mit Ausnahme der geistigen Beweglichkeit, als eher wichtig ein und 17,6 Prozent waren sich einig, alle Teilkompetenzen seien ohne Ausnahme eher relevant für die Ausbildungsreife, wohingegen 33,7 Prozent keine der Teilkompetenzen (mit Ausnahme der Computerkenntnisse) als wichtig empfanden (vgl. Müller & Rebmann 2008, S. 580). Übereinstimmungen gab es nur insofern, dass alle befragten Lehrer/-innen die Teilkompetenzen Beherrschung der Kulturtechniken, Problemlösefähigkeit, vernetztes Denken, Allgemeinwissen und Computerkenntnisse als wichtig empfanden (vgl. Müller & Rebmann 2008, S. 580).
Zu der Sozialkompetenz gehören Teamfähigkeit, Konfliktfähigkeit, Kommunikationsfähigkeit, Kritikfähigkeit, sprachliche Ausdrucksfähigkeit, das Einhalten von Verhaltensregeln, die Fähigkeit des Umgangs mit dem anderen Geschlecht und die Fähigkeit des Umgangs mit anderen Kulturen (vgl. Müller & Rebmann 2008, S. 580 f.). Hier zeigte sich bei der Untersuchung ein ähnliches Bild. Während 82,4 Prozent der Lehrpersonen sich einig waren, dass alle Teilkompetenzen mindestens als eher bedeutsam für die Ausbildungsreife einzustufen seien, war der Rest der Befragten der Meinung, dass alle Teilkompetenzen (mit Ausnahme der Fähigkeit des Umgangs mit dem anderen Geschlecht und anderen Kulturen) nicht von Bedeutung für den Erwerb von Ausbildungsreife sind (vgl. Müller & Rebmann 2008, S. 580 f.).
Die Personalkompetenz beinhaltet die Teilkompetenzen der Leistungsbereitschaft, selbstständiges Arbeiten, Verantwortungsbewusstsein, Belastbarkeit, Zuverlässigkeit, Ausdauer und der Entwicklung von Ich-Identität (vgl. Müller & Rebmann 2008, S. 581 f.). Auch hier zeigt sich die Uneinigkeit der Expert(inn)en. Alle genannten Teilkompetenzen seien zumindest eher von Bedeutung, findet ein Großteil der Befragten (83,8 Prozent) und die restlichen 16,3 Prozent behaupten das Gegenteil. Nur die Entwicklung der Ich-Identität wird einstimmig als eher bedeutsam eingestuft (vgl. Müller & Rebmann 2008, S. 581 f.).
Als Ergebnis dieser Studie lässt sich festhalten, dass selbst Lehrkräfte sich bei der Definition von Ausbildungsreife uneinig sind. Denn während die eine Lehrerschaft alle Kompetenzbereiche als wichtig erachtet, ist für die andere nur der Bereich der Personalkompetenz von besonderer Bedeutung und eine wiederum andere Lehrerschaft bevorzugt wenige Teilkompetenzen aus allen Kompetenzbereichen (vgl. Müller & Rebmann 2008, S. 588). Vor allem aber stellt sich bei der Betrachtung der Forschungsergebnisse von Müller, Rebmann und dem Bundesinstitut für Berufsbildung heraus, dass die Vorstellung von Ausbildungsreife sowie die Gewichtung der einzelnen Merkmale in hohem Maße abhängig von der befragten Zielgruppe sind.
Neben dem dualen System der beruflichen Bildung wurden in den vergangenen Jahren zwei weitere Segmente der beruflichen Bildung gefördert, um auf die ansteigenden Zahlen der Jugendlichen ohne Ausbildungsplatz zu reagieren. Zum einen handelt es sich hierbei um vollzeitschulische Ausbildungsgänge mit Abschluss und zum anderen um das Übergangssystem, welches Qualifikationsmaßnahmen ohne Berufsabschluss beinhaltet (vgl. Neß 2007, S. 13). Es handelt sich hierbei um außerschulische Maßnahmen und schulische Bildungsgänge, die zu keinem qualifizierten Berufsabschluss führen, wie zum Beispiel Berufseinstiegsschulen, Berufsfachschulen ohne Abschluss, Maßnahmen der Bundesagentur und Förderprogramme des Landes (vgl. Niggemeyer 2012, S. 6). Das Übergangssystem in Deutschland dient dem Zweck der Berufsvorbereitung sowie der Beförderung der Ausbildungsreife. Die Maßnahmen sind in der Regel auf eine Dauer von maximal einem Jahr angelegt (vgl. Neß 2007, S. 143). Aber wer mündet in der Regel in solche Übergangsmaßnahmen? Es sind Jugendliche, welche:
- Lernstörungen aufweisen,
- als Schulschwänzer bekannt sind,
- aus Förderschulen kommen,
- Verhaltensauffälligkeiten aufweisen,
- drogenabhängig oder strafentlassen sind,
- in wirtschaftlichen Krisenregionen leben,
- noch nicht vermittelt wurden,
- keinen Schulabschluss gemacht haben oder
- zwar einen Schulabschluss haben, jedoch noch nicht ausbildungsreif sind
(vgl. Wolf 2009, S. 85 f.).
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