Masterarbeit, 2009
44 Seiten, Note: gut
1. Einleitung
2. Schulstruktur im Wandel
2.1 Argumente für Ganztagsschulen
2.2 Definition und Organisationsformen
2.2.1 Die offene Ganztagsschule
2.2.2 Die teilgebundene Ganztagsschule
2.2.3 Die gebundene Ganztagsschule
3. Organisationsentwicklung als Grundlage im Entwicklungsprozess zur Ganztagsschule
3.1 Drei-Wege-Modell der Schulentwicklung
3.2 Schule als lernende Organisation
3.3 Strategien des Wandels
3.4 Widerstand gegen Wandel
4. Organisationsentwicklung als Instrumentarium
4.1 Daten sammeln
4.2 Vereinbaren von Entwicklungszielen
4.3 Entwicklungsvorhaben planen
4.3.1 Raum- und Sachkonzept
4.3.2 Zeitstrukturen
4.3.2.1 Rhythmisierung und Lernzeit
4.3.2.2 Die Mittagszeit
4.3.3 Personalentwicklung
4.3.3.1 Berufsgruppenbezogene Personalentwicklung
4.3.3.2 Integration der Personalentwicklung mit außerschulischen Partnern
4.3.4 Öffnung von Schule
4.3.4.1 Partizipation
4.3.4.2 Kooperation
4.4 Durchführung des Entwicklungsvorhabens
4.4.1 Die Einführungsphase
4.4.2 Die Phase der Konsolidierung
4.5 Evaluation
4.6 Zusammenfassung
5. Die Führung im Wandel
5.1 Ein neues Anforderungsprofil für Schulleitung
5.2 Aufgaben der Schulleitung im Veränderungsprozess
6. Schlusswort
7. Literaturverzeichnis
Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
Abkürzungen
Die aktuelle Debatte um die Qualitätsentwicklung von Schulen und Unterricht im Zu- sammenhang von Ergebnissen großer Studien, hat entscheidend dazu beigetragen, dass die Struktur des Deutschen Bildungswesens in Bewegung geraten ist und dass über das traditionelle Schulsystem - Dreigliedrigkeit in der Organisationsform der Halbtagsschule, Länge der Schulzeit - mehr und mehr diskutiert wird. Mit besonderem Blick auf die Schulsysteme der „PISA-Gewinner“ glaubt man, durch Orientierung an de- ren Systemen und Adaptierung wichtiger Strukturen einen Lösungsansatz für das ei- gene System finden zu können und zur Kurierung des deutschen Schulsystems beitra- gen zu können1. Doch reichen eine nicht ausreichend reflektierte Übernahme von Strukturen, ein Austausch von Etiketten und Bezeichnungen, sowie einige äußere Um- strukturierungen am System bei weitem nicht aus. Eine wirkliche und echte Verände- rung muss im Bewusstsein der Hauptbeteiligten stattfinden, muss sich vor allem in konkreten Veränderungen in der Organisation von Schule und in den Handlungsweisen der Beteiligten zeigen und messen lassen.
Die Kultusministerkonferenz (KMK) hat als Reaktion auf die PISA-Ergebnisse sieben Handlungsfelder benannt, auf die sich die weitere Arbeit in Bezug auf Schulentwicklung richten sollte. Zu diesen Handlungsfeldern gehört auch der Ausbau schulischer Ganz- tagsangebote2.
Es war vor allem das Investitionsprogramm „Zukunft Bildung und Betreuung“ (IZBB) mit einem von der Bundesregierung zur Verfügung gestellten Volumen von vier Milliarden Euro, sowie die Bund-Länder-Verwaltungsvereinbarung 2003, die die Situation in der deutschen Schullandschaft veränderten und zu einer deutlichen Zunahme der Zahl von Ganztagsschulen führten3. Ganztagsschulen existieren in sehr unterschiedlichen Or- ganisationsformen. Ein wesentliches Merkmal ist dabei die Unterscheidung zwischen „offener“ und „gebundener“ Form, wobei letztere die konsequenteste Art der Ganztags- schule, aber auch die in Deutschland am wenigsten verbreitete Organisationsform dar- stellt. Der Weg einer Einzelschule von der traditionellen Halbtagsschule zur gebunde- nen Ganztagsschule bedeutet damit auch die größte Herausforderung im Schulent- wicklungsprozess. Die Schule als eine besondere soziale Organisation muss diesen Veränderungsprozess gestalten und organisieren. Die Organisationsentwicklung als Grundlage des Entwicklungsprozesses zur Gestaltung von Ganztagsschule stellt damit eine besondere Herausforderung innerhalb der Schulentwicklung dar.
Die vorliegende Arbeit wird sich zunächst mit einer kurzen Darstellung der Gründe und Erwartungen, die an die Einführung von Ganztagsschule geknüpft sind, sowie mit den unterschiedlichen Organisationsformen beschäftigen und einen Überblick über das grundlegende Verständnis der Schule als soziale und lernende Organisation geben. Daran schließt sich die Betrachtung der Organisationsentwicklung als Instrumentarium der Umgestaltung zur Ganztagsschule an. Die Organisationsentwicklung beschreibt die Prozesse und liefert die Instrumente und Verfahren für das jeweilige Entwicklungs- feld4. Die Schwerpunkte dieser Organisationsentwicklung sind aus Sicht der Verfasse- rin die Personalentwicklung, auch unter Berücksichtigung der Beteiligung verschiede- ner Professionen, die Entwicklung und Organisation einer veränderten Lernkultur und die Einbeziehung von „Freizeiten“, im Wesentlichen die Mittagszeit, sowie die Öffnung von Schule und die Mitwirkung von (Kooperations)Partnern. Dieses ist nur durch gleichzeitige Entwicklung und Organisation von veränderter Raum- und Sachausstat- tung möglich. Dabei kommt den Aufgaben der Schulleitung als neue bzw. veränderte Anforderung an Führung und Steuerung im Prozess der Veränderung eine besondere Bedeutung zu.
Die Schule der Bundesrepublik befindet sich seit geraumer Zeit zunehmend in der Kritik. Dieses ist zum großen Teil der Veröffentlichung von Erhebungsdaten und Ergebnisdarstellungen internationaler Vergleichsstudien, aber auch der öffentlichen Diskussion besonderer Ereignisse in Schulen (Erfurt 2002, Berlin 2006, Emsdetten 2009, Winnenden 2009) geschuldet.
Eine Befragung5, insbesondere der Eltern und Lehrkräfte als Hauptakteure der Schule, zum Thema „Schulstruktur“ hat deutlich gemacht, dass großer Diskussionsbedarf und politischer Handlungsbedarf in Bezug auf die Schullandschaft und insbesondere bei der Realisierung neuer Schulmodelle besteht. Die Aussagen beziehen sich hauptsächlich auf die Bereiche Ganztagsschule, G8 (Verkürzung der gymnasialen Schulzeit von 9 auf 8 Jahre), Bildungsföderalismus und die Gliedrigkeit des Schulsystems6.
„In der Entscheidung für eine verkürzte gymnasiale Schulzeit wird [die Ganztagsschule] häufig (...) als Möglichkeit zur Gestaltung genannt.“7
Das Konzept der Ganztagsschule (GTS) stellt eine Form ganztägiger Bildung dar, bleibt aber durchaus nicht unwidersprochen und ist nicht zuletzt aufgrund sehr unter- schiedlicher Organisationsformen schwierig zu beurteilen. Skeptiker verweisen darauf, dass die Forcierung der GTS nicht vorrangig auf pädagogischen Argumenten gründet und somit nicht primär der Einsicht in die Notwendigkeit einer Schulreform folgt, „son- dern nur auf Grund sozialpädagogischer und gesellschaftspolitischer Bedürfnisse“.8 Diese - durchaus sehr interessanten- Zusammenhänge können in dieser Arbeit jedoch nicht verfolgt werden. Dennoch soll auf eine kurze Darstellung der Gründe, die zur Ganztagsschuldebatte und der Einführung der GTS angeführt werden, nicht verzichtet werden.
Ganztägige Bildung ist nicht gleichzusetzen mit Ganztagsschule und es darf nicht zwangsläufig erwartet werden, dass durch die Verlängerung des Schultages, bei un- verändertem Vormittagsunterricht und nachmittäglicher Betreuung, die Schulleistungen steigen. Ganztagsschulen erweisen sich nicht als schulartspezifische Einrichtungen, sie können an jedem Schultyp verwirklicht werden. Zur Unterscheidung der Organisa- tionsformen der Ganztagsschule bzw. der Gestaltungsmöglichkeiten des Ganztages sei der Leser auf Kapitel 2.2 verwiesen, wo eine Klärung erfolgen soll.
Aktuelle Begründungsansätze für Ganztagsschulen leiten sich ab aus den gewandelten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und Bildungsanforderungen9. Bei etwas differenzierter Betrachtung lassen sich drei Begründungen10 unterscheiden:
a) Sozialpolitische Motive
b) Erzieherische Motive
c) Schulpädagogisch-didaktische Motive.
Ergänzend zu diesen drei aufgeführten Begründungen sollen noch
d) Entwicklungsrelevante Motive aus der Sicht des Kindes genannt werden.
Zu a) Veränderte Familienstrukturen durch die veränderte Stellung der Frau in der Ge- sellschaft und die damit verbundene veränderte Erwerbsstruktur, erfordern andere Be- treuungsleistungen. Insbesondere der Wunsch nach Vereinbarkeit von Familie und Be- ruf macht ganztägige Betreuungseinrichtungen erforderlich11. Diese müssen den Kindern altersgemäße Förderung bieten. Dabei wird der Zusammenhang zwischen so- zialer Herkunft und dem Bildungserfolg von Schülerinnen und Schülern zu einem we- sentlichen Begründungselement in der Diskussion um die Ganztagsschule. Soziale Ungleichheiten sind Fakt und Bestandteil der Lebensbedingungen und stellen an sich noch keine Ungerechtigkeit dar. „Gerecht oder ungerecht ist die Art, wie sich die Insti- tutionen angesichts dieser Tatsache verhalten“12. Neben der Verbesserung der familia- len Situation muss eine größere Wahrnehmung öffentlicher Verantwortung für die Bil- dung und Erziehung Heranwachsender eingefordert werden. Als schulpolitische Maß- nahmen, die „die straffe Kopplung von sozialer Herkunft und Schulleistungen (...) lo- ckern, hat der Ausbau der Ganztagsschulen in Deutschland eine hohe Priorität erhal- ten“13.
Zu b) Der Schule kommt in der heutigen Zeit mehr und mehr kompensatorische Funk- tion im Bereich des sozialen Lernens zu. Unproblematisch ist die Entwicklung dabei keineswegs: Bildung (Wissenserwerb) wird zunehmend privatisiert, Erziehung dagegen zunehmend verstaatlicht. Damit Schule hier eine angemessene Antwort auf Forderun- gen dieser Anspruchsfelder geben kann, benötigt sie Zeit; deshalb muss sie zur ganz- tägigen Einrichtung werden.
Zu c) Das dritte Motiv ergänzt die beiden erstgenannten. Forderungen nach Verände- rung der Schul- und Lernkultur ergeben sich sowohl aus erzieherischer Sicht als auch aus schulpädagogisch-didaktischer Perspektive14. „Mehr Zeit und Raum in Ganztags- schulen sollen formelle und informelle Bildungsprozesse wieder aneinander annähern und darüber hinaus die Intensität von individueller Förderung und die Entwicklung von Lernkultur verbessern.“15 Die Anforderungen an die Schulabgänger beschränken sich nicht mehr nur auf exklusives Wissen, es werden darüber hinaus fächerverbundenes, überfachliches Wissen, Selbstständigkeit, Verantwortungsübernahme, Kooperations-, Team- und Gemeinschaftsfähigkeit sowie Selbstkompetenz, eben die so genannten „Schlüsselkompetenzen“, erwartet. Dieses kann nicht durch „autoritäre Stoffvermitt- lung“16, sondern durch Anwendung alternativer Lern- und Arbeitsformen, für die flexiblere zeitliche Rahmenbedingungen nötig sind, welche besonders in der Ganztagsschule vorgefunden werden, erreicht werden.
Zu d) Die Entwicklung von Ganztagsschule soll auch Kindern die Lebensqualität geben, die unter anderem aus den bereits genannten Gründen wie das familiäre Umfeld und dem Wohnumfeld von Kindern, nicht abgedeckt werden kann. Schule ist ein Ort, an dem Kinder und Jugendliche sich täglich in einem verlässlichen und geschützten Rahmen17 mit Gleichaltrigen treffen können. „Altersgerechte und ausreichende Bedürfnisbefriedigung ist die Voraussetzung dafür, dass Kinder überhaupt erfolgreich lernen und sich gesund entwickeln können“18. Dafür braucht Schule mehr zeitliche, sächliche und personelle Ressourcen und mehr Gestaltungsreireiraum. Die Ganztagsschule bietet die Chance eine Lebenswelt zu gestalten, „in der Kinder geistig gefordert und gefördert werden, ( ), in der sie sich auch körperlich, sozial und emotional gesund entwickeln können.“19 Schule soll Lern- und Lebensraum sein.
Diese sehr umfangreichen und anspruchsvollen Anforderungen können nach Meinung der Verfasserin, wenn überhaupt, durch die Organisationsform der gebundenen Ganztagsschule erfüllt werden.
Die Ganztagsschullandschaft in Deutschland ist sehr uneinheitlich. Schulstruktur und schulische Angelegenheiten werden ausschließlich von jedem Bundesland selbst ge- regelt. Dadurch gibt es sehr unterschiedliche Vorgaben für die Gestaltung von Ganz- tagsschulen. Der Blick auf die aktuelle Diskussion macht deutlich: „ Die Ganztagsschule gibt es in Deutschland nicht, heute weniger denn je.“20 Es wird eine Vielzahl von Begrif- fen verwendet für eine Schule, in der Schülerinnen und Schüler den ganzen Tag ver- bringen. „Ganztagsschule, Ganztagsbetreuung und Ganztagsversorgung sind nur drei davon, die derzeit benutzt werden.“21
Laut Definition der Kultusministerkonferenz (KMK) sind Ganztagsschulen „(...) Schulen, bei denen im Primar- und Sekundarbereich I
1. über den vormittäglichen Unterricht hinaus an mindestens drei Tagen in der Woche ein ganztägiges Angebot für die Schülerinnen und Schüler bereitgestellt wird, das täg- lich mindestens sieben Zeitstunden umfasst,
2. an allen Tagen des Ganztagsschulbetriebs den teilnehmenden Schülerinnen und Schülern ein Mittagessen bereit gestellt wird,
3. die nachmittäglichen Angebote unter der Aufsicht und Verantwortung der Schullei- tung organisiert und in enger Kooperation mit der Schulleitung durchgeführt werden sowie in einem konzeptionellen Zusammenhang mit dem vormittäglichen Unterricht stehen.
Es werden dabei drei Formen unterschieden:
1. In der voll gebundenen Form sind die Schülerinnen und Schüler verpflichtet, an mindestens drei Wochentagen für jeweils mindestens sieben Zeitstunden an den ganztägigen Angeboten der Schule teilzunehmen.
2. In der teilweise gebundenen Form verpflichtet sich ein Teil der Schülerinnen und Schüler, an mindestens drei Wochentagen für jeweils mindestens sieben Zeitstunden an den ganztägigen Angeboten der Schule teilzunehmen.
3. In der offenen Form ist ein Aufenthalt verbunden mit einem Bildungs- und Betreu- ungsangebot in der Schule an mindestens drei Wochentagen von täglich mindestens sieben Zeitstunden für die Schülerinnen und Schüler möglich. Die Teilnahme an den ganztägigen Angeboten ist jeweils durch die Schülerinnen und Schüler oder deren Er- ziehungsberechtigte für mindestens ein Schulhalbjahr verbindlich zu erklären.“ 22
Die folgende Abbildung (Abbildung 1) soll die Angaben des Textes verdeutlichen:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Organisationsformen von Ganztagsschulen23
Die Organisationsform (offen, gebunden, teilgebunden) stellt die eine Ebene von Ganz- tagschule dar, die zweite Ebene ist die der Schulform (Grundschule, Gymnasium, Ge- samtschule, Hauptschule, Realschule). Dabei soll hier auf die Schulform nicht näher eingegangen werden, die drei Organisationsformen jedoch vorgestellt werden. Der ge- bundenen Ganztagsschule wird als der, welche die tief greifendsten Veränderungen für die Organisationsentwicklung bedeutet, mehr Beachtung geschenkt als den beiden anderen. Die Erläuterungen beziehen sich auf Beispiele im Bundesland NRW.
Die alte Landesregierung von NRW, unter Ministerin Ute Schäfers, hatte sich auf die Einrichtung „offener Ganztagsgrundschulen“ konzentriert. Diese Organisationsform fin- det sich auch mittlerweile verstärkt bei Hauptschulen, ist bei Realschulen und Gymna- sien allerdings (noch) nicht sehr verbreitet. Die offene Ganztagsschule ist von etwa 8.00 Uhr bis 16.00 Uhr „geöffnet“, wobei der normale Unterricht weiter am Vormittag liegt und nachmittags zusätzliche Angebote gemacht werden. „Die offene Ganztags- schule bietet zusätzlich zum planmäßigen Unterricht an Unterrichtstagen, an bewegli- chen Ferientagen und bei Bedarf auch in den Ferien Angebote außerhalb der Unter- richtszeit (außerunterrichtliche Angebote).“ 24 Die Möglichkeit zur Einnahme eines Mit- tagessens wird durch die Schule geboten. Die Beteiligung an den Nachmittagsangebo- ten ist freiwillig, eine Anmeldung eines Kindes bindet in der Regel aber für die Dauer eines Schuljahres. Als Nachmittagsaktivitäten werden in dem Erlass25 Förderangebote für Schülerinnen und Schüler mit besonderen Bedarfen, qualifizierte Hausaufgabenbe- treuung und -hilfe, Arbeitsgemeinschaften und Projekte u.v.a.m. genannt. Durch die- ses additive Konzept von Unterricht und freiwilligen Angeboten ist eine echte Rhythmi- sierung im Sinne einer Anpassung und einer flexiblen Gestaltung von Lernzeiten nicht möglich. Eine Antwort auf PISA stellt eine solche Form der Ganztagsschule damit si- cher nur in beschränktem Maße, liefert jedoch für deutsche Verhältnisse einen großen Beitrag im Rahmen der Bewältigung der gesellschaftlichen Veränderungen.
Entsprechend der „KMK-Definition vom 27.03.2003 gelten Schulen dann als teilgebun- dene Ganztagsschulen, wenn ein Teil der Schülerinnen und Schüler verbindlich dazu verpflichtet ist, an mindestens drei Wochentagen für jeweils mindestens sieben Zeitstunden an den ganztägigen Angeboten der Schule teilzunehmen.“26 In der Regel werden für ein bis zwei Jahrgänge, oftmals sind es die unteren Stufen der Sekundar- stufe I, der Ganztagsbetrieb organisiert. Da hier im Gegensatz zur offenen Form Unter- richt auch am Nachmittag stattfindet, kann für die entsprechenden Jahrgänge der Ta- geslauf rhythmisiert und neue Lernformen genutzt werden. Das integrative Modell, wel- ches auch Angebote außerschulischer Einrichtungen in Form von Kursen und Arbeits- gemeinschaften und die Hausaufgabenbetreuung sowohl am Vor- als auch am Nach- mittag vorsieht, ermöglicht eine bessere Balance zwischen Anspannung und Entspan- nung. Teilgebundene Ganztagsschulen können als Übergangsform betrachtet werden und einen wichtigen Zwischenschritt zur gebundenen Ganztagsform darstellen27.
Diese Schule bietet den gleichen zeitlichen Rahmen, nämlich 8.00 Uhr bis 16.00 Uhr, wie die beiden anderen Ganztagsschulformen, unterscheidet sich jedoch dadurch, dass für alle Schülerinnen und Schüler die Nachmittagspräsenz verbindlich ist. Durch die längere und verbindliche Verweildauer aller Schülerinnen und Schüler „lässt sich der Tag in Phasen von Anspannung und Entspannung aufteilen (Rhythmisierung), da- her nennt man diese gebundene Ganztagsschule auch ‚ganztägig rhythmisierende Schule’“.28 Hier bietet sich die Möglichkeit, das pädagogische Konzept auf die Bedürf- nisse aller Kinder und Jugendlichen abzustimmen. Der starre traditionelle Rhythmus der Halbtagsschule kann aufgebrochen und durch einen den gesundheitlichen und lerntheoretischen Erkenntnissen entsprechenden Tages- und auch Wochenrhythmus ersetzt werden.
Das Ergebnis der Befragung des Bildungsbarometers29 zeigt, dass ein solches Modell (siehe Tabelle 1) deutlich präferiert wird. Die Befragten (Eltern und Lehrer) sollten angeben, welche der vorgegebenen sechs Alternativen zu bevorzugen sei. Die Ganztagsschulen erfreuen sich durchaus keiner geringeren Beliebtheit als die Halbtagsschulen, wenn auch ab zu Kritik an der obligatorischen Teilnahme am Nachmittagsunterricht vernommen wird. Insgesamt weisen Ganztagsschulen wichtige Komponenten auf, die generell als Bereicherung gegenüber den Halbtagsschulen bewertet werden. In der Reihenfolge der Wichtigkeit sind es folgende Aspekte:
- Mittagessen
- Freizeit- und Sportangebote
- Hausaufgabenbetreuung
- Fächerbezogener Fachunterricht
- Fächerspezifische Förderangebote
- Die Rhythmisierung der Unterrichtzeit30.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 1: Ergebnis der Befragung zur Bevorzugung von Organisationsformen von Ganztags- schulen31
Im Sinne einer bestmöglichen Realisierung der Erwartungen, die sich hinter den oben genannten Aspekten verbirgt, stellt die integrative, voll gebundene Ganztagschule die Organisationsform dar, die diese Erwartungen am ehestens erfüllen kann. Sie stellt aber auch diejenige Form dar, die eine große Veränderung der Schul- und Lernkultur bedeutet und welche die einzelne Schule zu weit reichenden und tief greifenden Um- strukturierungen zwingt. Diese betreffen, entsprechend der oben genannten Aspekte, die Entwicklung eines Raum- und Sachkonzeptes, die Gestaltung von pädagogischer Übermittagsbetreuung mit entsprechenden Essens- und Freizeitangeboten, die Bereit- schaft neue Optionen der Lehr-Lern-Prozesse durch Verbindung von unterrichtlichem und außerunterrichtlichem Lernen zu ermöglichen; das bedeutet „die Entwicklung neu- er pädagogisch-didaktischer Konzepte und die Entwicklung einer neuen Lern- und Un- terrichtskultur“32. Dieses kann eine Schule nicht allein mit den eigenen Lehrkräften be- werkstelligen, die Einbeziehung zusätzlicher Personen und Berufsgruppen, wie Eltern und außerschulische Partner, ist erforderlich.
Eine derartige neue Ausrichtung und Umgestaltung von Schule erfordert von Schullei- tungen neue Führungsaufgaben und ein entsprechendes Instrumentarium. Die Organisationsentwicklung ist ein solches Instrumentarium zur Umsetzung eines Entwicklungsvorhabens. Bevor auf die Basisprozesse eingegangen wird, soll dem Leser im folgenden Kapitel noch ein kurzer Überblick über die Organisationsentwicklung als Grundlage im Entwicklungsprozess zur Ganztagsschule vermittelt werden.
Die Ausführungen zur Ganztagschule sowie die Erwartungen, die mit dieser Organisa- tionsform verknüpft sind, lassen erkennen, wie grundsätzlich und umfassend eine Um- gestaltung bzw. eine Entwicklung von der Halbtagsschule zur gebundenen Ganztags- schule ist. Die Organisationsentwicklung im eigenen Verantwortungsbereich erfordert die Bewerkstellung neuer Aufgaben wie z.B.: Akquirierung und Integration von Perso- nen anderer Berufsgruppen, Gestaltung außerunterrichtlicher Angebote, Anpassung der Organisationsstruktur, Weiterentwicklung der Lernkultur und vieles andere mehr. Gleichzeitig muss aber auch der „normale“ Schulbetrieb aufrecht erhalten bleiben. Die Durchführung organisatorischer Veränderungen bedeutet, dass Führungskräfte wäh- rend einer geraumen Zeit „zweierlei bewältigen müssen: die Aufrechterhaltung des Normalbetriebes - und die Umstrukturierung ihrer Organisationseinheit.“33
Bereits Ende der 1970er Jahre und Anfang der 1980er Jahre wurde in NRW im Rah- men der Schuleiterfortbildung die Frage aufgeworfen, wie Schulleitungen fortgebildet werden können, damit sie in der Lage sind, einerseits in professioneller Art die Schule zu leiten und andererseits ihre Schule pädagogisch weiterzuentwickeln. „Die Antwort, die am meisten überzeugen konnte, war das Konzept der Organisationsentwicklung (OE).“34
Es gibt viele verschiedene Definitionen, unter anderem die der Fachgesellschaft GOE (Gesellschaft für Organisationsentwicklung e.V.), die OE bezeichnet als „längerfristig angelegten, organisationsumfassenden Entwicklungs- und Veränderungsprozess von Organisationen und der in ihr tätigen Menschen. Der Prozess beruht auf Lernen aller Betroffenen durch direkte Mitwirkung und praktische Erfahrung. Sein Ziel besteht in einer gleichzeitigen Verbesserung der Leistungsfähigkeit der Organisation (Effektivität) und der Qualität des Arbeitslebens (Humanität).“35
Im Schulbereich erfährt die Definition von Rolff große Akzeptanz, nach der Organisationsentwicklung „ein offenes, planmäßiges, zielorientiertes und langfristiges Vorgehen im Umgang mit Veränderungsanforderungen und Veränderungsabsichten in sozialen Systemen (ist).
[...]
1 Vgl. Jäger-Flor/ D;./Jäger, R.S. (2009), S. 2
2 Vgl. Prüß, F./Kortas, S./Schöpa, M.(2009), S.16
3 Vgl. Holtappels, H.G. et al.(2008), S.11
4 Vgl. Horster, L. (2006), S.35
5 Jäger-Flor. D.,/Jäger. R.S. (2008), S 3 ff http://www.vep-landau.de/Bildungsbarometer/Bildungsbarometer_2008_4.pdf (Zugriff 11.10.2009)
6 vgl. ebd. S. 48
7 Jäger-Flor, D./Jäger, R.S. (2009), S. 3
8 Appel, St. (2009), S.16
9 Vgl. Serviceagentur “Ganztägig Lernen in Nordrhein-Westfalen” (2007), Heft 4, S.11
10 Tillmann, K.-J. in: Höhmann, K. et al. (2005), S.49
11 Prüß, F./ Kortas, S./ Schöpa, M. (2009), S.10
12 Rawls Zitiert nach: Prüß, F./ Kortas, S./Schöpa, M. (2009), S.18
13 Klemm, K. (2007), S. 61
14 Prüß, F./ Kortas, S./Schöpa, M. (2009), S.11
15 Serviceagentur “Ganztägig Lernen in Nordrhein-Westfalen” (2007), Heft 4, S.12
16 Tillmann, K.-J. in: Höhmann, K. et al. (2005), S.51
17 Enderlein, O. (2008), S. 41
18 Enderlein, O. (2008), S. 3
19 Enderlein, O. (2008), S. 53
20 Bettmer, F. et al (2007), S.15
21 Höhmann, K. et. al. (2008), S. 19
22 http://www.ganztaegig-lernen.org/www/web381.aspx (Zugriff 12.10.2009)
23 Quelle: Höhmann, K. et al. (2008), S. 24
24 RdErl. d. Ministeriums für Schule und Weiterbildung v. 26.1.2006
25 RdErl. d. Ministeriums für Schule und Weiterbildung v. 26.1.2006
26 Höhmann, K.: http://www.abc-der-ganztagsschule.de/Ganztagsschule_in_teilgebundener_Form.html (Zugriff 12.10.2009)
27 Vgl. Höhmann, K.: http://www.abc-der- ganztagsschule.de/Ganztagsschule_in_teilgebundener_Form.html (Zugriff am 12.10.2009)
28 Höhmann, K./Holtappels, H.G. (2006), S.47
29 Jäger-Flor. D.,/Jäger, R.S. (2008): Bildungsbarometer zum Thema Schulstruktur http://www.vep-landau.de/Bildungsbarometer/Bildungsbarometer_2008_4.pdf (Zugriff am 11.10.2009)
30 Jäger-Flor, D./ Jäger, R. S. (2009), S.3
31 Quelle: Jäger-Flor, D.,/Jäger, R. S. (2009), S.3
32 Prüß, F./ Kortas, S./ Schöpa, M. (2009), S.38
33 Doppler, K./Lauterburg, Ch. (2008), S. 45
34 Dalin, P./Rolff, H.-G./ Buchen, H. (1995), S. 8
35 Doppler, K.,/Lauterburg, Ch. (2008), S. 89
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