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Bachelorarbeit, 2013
36 Seiten, Note: 1,7
Abbildungsverzeichnis
1 Einleitung
2 Bildungssystem in Deutschland
3 Übergangsregelungen und Beteiligte der Bildungsentscheidung
3.1 Die Entscheidung der Eltern
3.2 Zulassungsbeschränkungen
3.3 Lehrerbeurteilungen, Übergangsempfehlungen und Noten
4 Entscheidungsmodelle
4.1 Boudons Rational-Choice-Theorie
4.2 Modell von Erikson & Jonsson
5 Einflussfaktoren auf die elterliche Bildungsentscheidung
5.1 Einkommen und finanzielle Voraussetzungen
5.2 Elterliche Bildung und Karriere
5.3 Übergangsempfehlungen
5.4 Übergangswünsche der Kinder
5.5 Schulische Leistungen der Kinder
5.6 Außerschulische Rahmenbedingungen
6 Zusammenfassung und Ausblick
Literaturverzeichnis
Abbildung 1: Modell für die Entstehung und Reproduktion von sozialer Ungleichheit der Bildungschancen nach Boudon (1974)
Abbildung 2: Zusammenhang von Einkommen und Übergängen auf das Gymnasium
Abbildung 3: Der Einfluss des Einkommens und der Bildung der Eltern auf den Eintritt in das Gymnasium
Abbildung 4: Vergleich IGLU-Testergebnisse Lesen und Schullaufbahnempfehlung
Abbildung 5: Einfluss der sozialen Herkunft auf die Schulempfehlung
Abbildung 6: Schulleistung und Bildungsentscheidung
Die folgende Bachelorarbeit thematisiert die Genese der elterlichen Bildungsentscheidung am Übergang von der Grundschule zur Sekundarstufe I.
„Wir wollen nur das Beste für unser Kind“ – eine geläufige Äußerung, die man oft von Eltern hinsichtlich der Erziehung aber auch im Kontext der Schulformwahl hört. Im Bildungsübergang in die Sekundarstufe I sind Eltern, die in den meisten Bundesländer die größte Entscheidungsmacht in der Umstellung auf weiterführende Schulformen besitzen, zentrale Weichensteller und daher für den Bildungsverlauf ihrer Kinder hauptverantwortlich. Henz und Maas bestätigen, dass die Wahl des Schultypus vom Willen der Eltern abhängt (1995: 615).
Die Bildungsentscheidung am Ende der Grundschule gilt als ein richtungsweisender Beschluss für die Biographie und die Schulkarriere der betroffenen Kinder, denn diese Schulformumstellung entscheidet über einen möglichen Bildungserfolg oder Misserfolg der Kinder (vgl. Solga 2009: 23). Aufgrund seiner Bedeutsamkeit ist der Übergang von der Grundschule auf die Schulformen der Sekundarstufe I eine sehr aktuelle und häufig aufgegriffene Thematik. Viele empirische Studien beschäftigen sich mit den Rahmenbedingungen und der Genese des Bildungsübergangs.
Solga meint „einmal getroffene Entscheidungen für eine Schulform der Sekundarstufe können zwar später korrigiert werden, jedoch geschieht dies immer noch recht selten [...] und hierbei dominieren Abstiege in eine niedrigere Schulform!“ (Solga 2009: 19). Das Risiko, zu einem solch frühen Zeitpunkt eine falsche Entscheidung zu treffen, ist sehr groß und die damit verbundenen Konsequenzen kaum revidierbar. Besonders da der Übergang auch in Bezug auf die soziale Selektivität bei der Schulwahl der prägendste ist (vgl. Becker 2000: 451 zit. n. Köhler 1992: 206). Die Bedeutsamkeit der Bildungsentscheidung ist mit kaum einer Entscheidung in anderen Lebenslagen vergleichbar. Das Skurrile daran ist, dass Kinder selbst nur passiv an dieser wichtigen Lebensentscheidung teilnehmen. In diesem Kontext ist festzuhalten, dass der frühe Entscheidungszeitpunkt sowie die große Entscheidungsmacht der Eltern extrem diskutiert und hinterfragt werden.
In dieser Arbeit soll allerdings nicht untersucht werden, ob die Eltern diejenigen sind, die diesen Einfluss besitzen sollen, sondern vielmehr wie sie diesen nutzen. Daher wird auf die Genese ihrer Bildungsentscheidung eingegangen. Handeln Eltern nach bestimmten rationalen und wiedererkennbaren Mustern? Welche Faktoren beeinflussen ihre Entscheidung und wovon lassen sie sich am meisten leiten? Gibt es schichtspezifische Unterschiede in der Gewichtung der Entscheidungsfaktoren? Der Hauptfokus richtet sich schließlich auf die Position der Schüler und Schülerinnen in diesem Prozess. Finden ihre Wünsche Berücksichtigung in der Entscheidungsfindung und in welchem Ausmaß sind sie in der Lage, durch Leistungen, Engagement und Schulnoten Einfluss zu nehmen? Aufgrund der Tatsache, dass die Bildungsentscheidung auch sehr von der sozialen Herkunft, dem Karrieregrad und der Schullaufbahn der entscheidenden Eltern abhängt, drängt sich die Frage auf, ob die vorgesehenen Entscheidungskriterien (Schulformempfehlung der Lehrer, die Leistungen und Noten der Schüler und Schülerinnen) überhaupt ausreichend mit in die Entscheidung einbezogen werden.
Diese Überlegungen führen zur folgenden These: Die elterliche Bildungsentscheidung über den Schulformwechsel in den sekundären Bildungssektor wird nur partiell von den schulischen Leistungen ihrer Kinder beeinflusst.
Die Arbeit gliedert sich in fünf Kapitel. Zu Beginn werden Aufbau und die Übergangspunkte des Bildungssystems in Deutschland erläutert. Im Anschluss wird die Überleitung der Grundschule auf die weiterführenden Schulformen der Sekundarstufe I thematisiert und auf Übergangsregeln sowie die Positionen der Beteiligten eingegangen. Die rechtlichen Standpunkte der Partizipierenden und deren Funktion im Bildungsentscheidungsprozess werden geklärt. Das nächste Kapitel befasst sich mit Entscheidungstheorien, die auf der rationalen Wahlentscheidung der Eltern basieren. Zunächst wird die Rational-Choice-Grundtheorie präsentiert, ehe bekannte Modelle von Boudon (1974) sowie von Erikson und Jonsson (1996) vorgestellt werden. Diese Modelle dienen dem Verständnis der elterlichen Entscheidungssituation wie auch wiedererkennbarer Entscheidungsmuster. Der Hauptteil der Arbeit beschäftigt sich mit der Genese der elterlichen Bildungsentscheidung und überprüft ihre Einflussfaktoren, um nachzuvollziehen zu können, inwiefern sich Eltern in diesem Prozess beeinflussen lassen und welche Einflüsse letztendlich die Bildungsentscheidung verursachen. Das elterliche Einkommen und die elterliche Bildung werden auf ihre Einflussnahme geprüft und miteinander verglichen. Des Weiteren wird erneut die Thematik der Übergangsempfehlung aufgegriffen, um auch deren Verlässlichkeit und Einfluss zu untersuchen. Einen wichtigen Teil der Arbeit stellt die Schülerposition dar. Die Schüler und Schülerinnen sind die zentralen Figuren im Bildungsübergang. Doch sind sie auch in der Lage mit ihren Übergangswünschen und Schulleistungen direkten Einfluss zu nehmen oder werden ihre Leistungen und Vorstellungen nur begrenzt beachtet? Dieser Frage wird in den letzten zwei Unterpunkten nachgegangen. Hinsichtlich der Schülerleistungen wird weiterhin geprüft, welche Bedeutung die außerschulischen Rahmenbedingungen auf die Leistungen der Schüler und damit möglicherweise auch auf die Übergangsentscheidung nehmen. Das Fazit der Arbeit fasst die Inhalte der Arbeit zusammen, gibt einen Ausblick auf die Konsequenzen der Ergebnisse und Denkanstöße für weitere Untersuchungen im Zusammenhang mit der Thematik.
Im folgenden Kapitel soll ein kurzer Überblick über das deutsche Schulsystem gegeben werden. Es sollen die einzelnen Schulformen, um die es in der Bildungsentscheidung geht, vorgestellt werden.
In Deutschland ist das Schulsystem größtenteils bundesweit einheitlich geregelt. Dafür ist die Ständige Konferenz der Kulturminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland[1] verantwortlich, die sich auf gewisse Mindeststandards und Regelungen geeinigt hat, die für alle Bundesländer verpflichtend sind (vgl. von Below 2009: 141). Außerhalb dieser Regelungen besitzen die Bundesländer einen Entscheidungsfreiraum, in dem sie das Bildungssystem des Bundeslandes an die Gegebenheiten anpassen können.
Grundlegend ist das Bildungssystem der Bundesrepublik Deutschland so aufgebaut, dass Kinder ab drei Jahren den Kindergarten besuchen dürfen und somit in den Elementarbereich des deutschen Bildungssystems eintreten. Diese Partizipation ist allerdings freiwillig, da die Schulpflicht erst mit dem Alter von sechs Jahren und dem damit verbundenen Eintritt in die Grundschule beginnt. Die Grundschule bildet die Basis für die fortlaufende Schullaufbahn. In dieser Vorbereitungsphase sollen die Schülerinnen und Schüler auf ein gemeinsames Leistungsniveau gebracht werden. Diese Zielsetzung ist aufgrund der steigenden Heterogenität immer schwieriger zu realisieren (vgl. Wiedenhorn 2011: 49). Die verbindliche Grundschule wurde 1920 eingeführt und verantwortete nicht nur ein Ende der Segregation von höherer und niedrigerer Bildung (vgl. Wiedenhorn 2011: 49), sondern legte zudem den frühen Zeitpunkt der Bildungsentscheidung an das Ende der Grundschulzeit. Die Wahl der weiterführenden Schulform mit unterschiedlichem Leistungsanspruch am Ende der Grundschulzeit gilt seitdem als die bedeutendste Selektionsentscheidung im deutschen Schulsystem (Müller & Haun; Köhler 1992 zit. n. Haradz, 2007: 18). In 14 Bundesländern findet die Aufteilung bereits nach der vierten Klasse statt. Die Bundesländer Berlin und Brandenburg verlegen die Aufteilung auf das Ende der sechsten Klasse. Im internationalen Vergleich ist der Zeitpunkt der Aufteilung auf Schulformen mit unterschiedlichem Leistungsniveau extrem früh gelegt. In den Ländern, Kanada, Finnland und Japan, die in der PISA-Studie sehr gut abschneiden, ist eine leistungsmäßige Aufteilung der Schülerschaft frühestens nach der achten Klasse vorgesehen (vgl. Tillmann 2011: 43).
In Deutschland existieren vier übergeordnete Schulformen, die verschiedene Leistungsniveaus abbilden. Teilweise überschneiden sie sich im Anspruchsgrad und sind in den Bundesländer auch unter verschiedenen Bezeichnungen bekannt. Die Haupt- und Realschule bildet die niedrigste Schulformstufe. Während die Hauptschule exakt die Schulpflichtzeit von neun Jahren erfüllt, bietet die Realschule ein weiteres Bildungsjahr an, das bei erfolgreichem Abschluss den Realschulabschluss mit sich bringt und die Berufschancen optimiert. Eine weitere Schulform ist die Gesamtschule, die gleich drei Bildungsgänge (Hauptschule, Realschule und Gymnasium) organisatorisch und pädagogisch miteinander verbindet (KMK). Die renommierteste Schulform ist die des reinen Gymnasiums, das ausschließlich den Erwerb des Abiturs anstrebt. Alle diese Schulen verfügen über eine Orientierungsstufe, in der sich die Schüler einen Überblick verschaffen können, auf die Schulform einstellen sollen und gegebenenfalls die Möglichkeit haben auf eine andere Schulform zu wechseln. Betrachtet man die niedrige Durchlässigkeitsquoten von einer Schulform zu anderen, so wird deutlich, dass die Bildungsentscheidung nach der Grundschule relativ endgültig ist, da ein Wechsel - vor allem in höhere Schulformen - selten praktiziert wird (Bellenberg & Klemm 1998 zit. n. Haradz: 2007: 45).
Der Prozess der Entscheidungsfindung hat einen hohen Stellenwert für die Entwicklung der zukünftigen Schulkarriere der Schülerinnen und Schüler. Umso wichtiger ist es die Übergangsregeln näher zu erläutern. Der Selektionsprozess ist sehr komplex und setzt sich aus „individuellen, familialen und institutionellen Bedingungen“ (Erikson & Jonsson, 1996: 57) zusammen, die zwar differenziert betrachtet werden müssen, doch deren Zusammensetzung aus drei unterschiedlichen Bereichen die Bildungsentscheidung verursacht. Es gilt zu entscheiden, welche Schulform die sinnvollste für die Schüler darstellt.
Der Prozess der Bildungsentscheidung durchläuft mehrere Etappen in die verschiedene Parteien und Interessensgruppen involviert sind. Das Schulsystem steckt den rechtlichen Rahmen, der den Entscheidungsraum eingrenzt und eine Willkür verhindern soll. Lehrer geben Empfehlungen ab, die von Noten, aber auch dem Gesamteindruck geprägt sind. Schließlich sind es allerdings die Eltern, die die letzte Etappe der Bildungsentscheidung darstellen und dadurch eine sehr große Entscheidungsmacht haben. Jedoch obliegt den einzelnen Bundesländern die Möglichkeit, die Richtlinien und den Einfluss der Übergangsempfehlung auf die Bildungsentscheidung differenziert zu bestimmen, wodurch es zu einigen Abweichungen zwischen den Festlegungen der Bundesländer kommt.
In seiner Untersuchung über Determinanten des Bildungsübergangs kommt Becker zu dem Ergebnis, dass die institutionellen Regelungen signifikanten Einfluss auf den Bildungsübergang in die Sekundarstufe I nehmen (vgl. Becker 2000: 467).
Im Folgenden sollen die einzelnen Bereiche, Parteien und insbesondere deren Aufgaben und Entscheidungseinfluss beleuchtet werden.
Die Position der Eltern wird durch das Grundgesetz sehr gestärkt, welches gemäß Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG den Eltern ein primäres Erziehungsrecht zuschreibt. Dies sollen sie in einem verantwortungsvollen Rahmen ausführen. Erst im Falle einer Nichteinhaltung dieser Vorgaben und bei einer Gefährdung des Kindes greift der Staat ein. (Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG). Für die Bildungsentscheidung am Übergang zum sekundären Bildungssektor bedeutet dies, dass die Eltern ein Recht haben, eigenverantwortlich und frei zwischen den verschiedenen Schulformen und Bildungswegen zu entscheiden (vgl. Haradz 2007: 19). Ein weiteres Befugnis, dass der Familie zusteht ist das Recht des Kindes auf den Zugang zur gewünschten Schulform. Aufgrund des gleichrangigen Aufsichtsrechtes des Staates über freie Gestaltung im Schulwesen (Art. 7 Abs. 1 GG), gibt es partielle Einschränkungen im elterlichen Entscheidungsrecht. Das Elternrecht und der staatliche, erzieherische Auftrag der Schule, stehen demnach gleichrangig nebeneinander. Dennoch sind es letztendlich die Eltern, die unter Berücksichtigung der Einschränkungen in zwölf Bundesländern die Entscheidung treffen. Lediglich die Bundesländer Baden-Württemberg, Bayern, Sachsen und Thüringen stellen das Schulrecht über das Elternrecht (vgl. Haradz 2007: 23).
Das Recht über freie die Gestaltung des Schulwesens in Art. 7 Abs. 1 des Grundgesetzes räumt dem Staat nicht nur Privilegien ein, sondern auch die Pflicht, ein geordnetes und organisiertes Schulsystem zu schaffen (vgl. Haradz 2007: 19). Um dies gewährleisten zu können, hat der Staat Zulassungsvoraussetzungen festgelegt, die das Entscheidungsrecht der Eltern eingrenzen und gewisse Beschränkungen mit sich führen. Dennoch soll das Ziel verfolgt werden, dass Schule und Eltern gemeinschaftlich den Entscheidungsprozess durchlaufen, um eine sinnvolle Wahl zu treffen. Das Elternrecht sowie das Recht der Schüler auf freie Schulformwahl stehen unter Vorbehalt von Eignung und Befähigung. Die Eignungsfeststellung wird durch Zulassungsbeschränkungen, die jeweils in den Landesverfassungen niedergeschrieben sind, bestimmt (vgl. Haradz 2007: 20). Diese setzen Grenzen, über die sich keiner der Beteiligten der Bildungsentscheidung hinwegsetzen kann.
Aufgrund voneinander abweichender Zulassungsbeschränkungen der einzelnen Bundesländer, geht Kleine davon aus, dass sich die Entscheidungsmuster hinsichtlich der Bildungsentscheidung zwischen den Bundesländern unterscheiden (vgl. Kleine 2009: 109).
Die Aufgaben der Lehrkräfte setzen sich aus den drei Bereichen Bildung, Erziehung und Beurteilung zusammen. Die Beurteilung spielt im Schulübergang eine bedeutende Rolle. Lehrkräfte geben Einschätzungen, Leistungsrückmeldungen und Zensuren ab, die große Auswirkungen auf die Bildungsentscheidung haben und den innerschulischen Verteilungsprozess steuern (Art. 3 Abs. 3 GG).
Zusätzlich zu diesen Aufgabenbereichen legen sie eine spezifizierte Übergangsempfehlung am Ende der Grundschulzeit vor. Diese stützt sich zwar auf die Schulleistungen der Kinder, jedoch liegt das zentrale Augenmerk der Empfehlung auf der Prognose über den Lernerfolg in der angestrebten weiterführenden Schulform. Sie berücksichtigt neben den Leistungen, vor allem auch die Leistungsfähigkeit der Lernenden (vgl. Wagner et al. 2009: 184). Die Regelungen, inwieweit die Schulformempfehlung Einfluss auf die Entscheidung nimmt, werden den Bundesländern von der Kultusministerkonferenz freigestellt. So kann die Beurteilung entweder eine Entscheidungsgrundlage oder eine Entscheidungshilfe für Schüler und Eltern sein (vgl. Wiedenhorn 2011: 50). Nur in den beiden Bundesländern Baden-Württemberg und Bayern hat die Schullaufbahnempfehlung der Lehrkräfte mehr Gewicht als die Präferenzen der Eltern.
Die verschiedenen Bundesländer legen verbindliche Notengrenzen fest, die erreicht werden müssen, um sich für eine bestimmte Schulform zu qualifizieren. In Bayern müssen Schüler und Schülerinnen beispielsweise einen Notenschnitt von 2,33 erreichen, um das Gymnasium besuchen zu können und 2,66 für die Qualifikation zur Realschule (vgl. Ditton 2007: 76).
Becker betont in seinem Beitrag, dass die Übergangsempfehlung primär eine richtungsweisende Empfehlung und kein endgültiges Urteil über den Verlauf der Schullaufbahn des Kindes darstellt. Er beschreibt die Vorgehensweise der elterlichen Bildungsentscheidung in Anlehnung an die Übergangsempfehlung wie folgt:
„Der Entscheidungsspielraum umfasst die Adaption der elterlichen Bildungsentscheidung an die Grundschulempfehlung, die Kontrollüberzeugung, dass die Bildungsempfehlung kein endgültiges Ergebnis darstellt, und schließlich die tatsächlichen Kompetenzen der Eltern, möglicherweise ihren Bildungswillen gegen die institutionellen Beschränkungen durchsetzen können“ (Becker 2000: 458).
Die Übergangsempfehlungen sollen den Eltern eine realistische Einschätzung über die Leistungsfähigkeit ihres Kindes geben, die sie in der Entscheidungsfindung einer geeigneten Schulform in der Sekundarstufe I unterstützen.
Die Beteiligten der Bildungsentscheidung wie auch deren rechtliche Position im Entscheidungsverfahren wurden in dem vorangegangenen Kapitel bereits ausführlich dargestellt. Auch wenn im Optimalfall das Zusammenwirken zwischen Schule, Lehrer und Familien zu einer Bildungsentscheidung führen soll, betonen Henz und Maas, dass die Wahl des Schultyps letztendlich vom Willen der Eltern abhängt (vgl. 1995: 223). Das vorherige Kapitel zeigt, dass die Bildungsentscheidung der Eltern durch institutionelle Regelungen eingeschränkt ist. Dennoch besitzen sie außerhalb dieser Richtlinien einen gewissen Entscheidungsfreiraum.
Diverse Soziologen wie Boudon, Erikson und Jonsson, Breen und Goldthrobe, aber auch Eccles mit dem Wert-Erwartungsmodell, haben das Entscheidungsverhalten analysiert und die Gemeinsamkeiten der Verantwortlichen herausgearbeitet. Aus dieser Analyse wurden Modelle aufgestellt, welche Handlungsmuster angefertigten, die in vielen Entscheidungsprozessen erkennbar sind.
Im folgenden Kapitel soll nun anhand zweier Entscheidungsmodelle auf die elterliche Genese der Bildungsentscheidung eingegangen werden. Die soziologischen Modelle beschäftigen sich im Gegensatz zu den psychologischen Ansätzen nicht mit den psychischen Folgen der Bildungsentscheidung sondern legen ihren Fokus auf die Ursachen und Konsequenzen des Bildungsübergangs und deren Einfluss auf die soziale Ungleichheit.
Verschiedene Modelle zur Erklärung der Entstehung dieser Bildungsentscheidung beschäftigen sich mit dem Prozess der Entscheidungsfindung. Die Rational Choice Theorie ist eine klassische Theorie, die man zur Untersuchung von Handlungsmustern während der Entscheidungsfindung heranziehen kann.
Die Grundstruktur des Ansatzes der rationalen Entscheidung geht von der Annahme aus, dass Vorgänge und Entscheidungen mit dem Hintergrund des rationales Handels verwendet werden, ohne dass dabei soziale Einflüsse, wie beispielsweise institutionelle Regelungen in Form von Übergangsbedingungen, vernachlässigt werden (vgl. Braun 2009: 400).
Die Rational-Choice-Theorie wurde durch die Untersuchung von Entscheidungssituationen mit verschiedenen Handlungsalternativen entwickelt und geht von vernünftig handelnden Akteuren aus. Der Ansatz grenzt die Kosten der möglichen Bildungswege voneinander ab und überprüft die Realisierung der Erträge, um diejenige Option zu wählen, die den höchsten Nutzen mit sich bringt.
Die Rational-Choice Theorie wurde mehrfach empirisch untersucht und gilt zurzeit als die bestüberprüfteste Theorie zur Erklärung von Bildungsungleichheiten. Nach einer gründlichen Untersuchung und Deutung seiner Ergebnisse bestätigt Stocké, „dass die Theorie wichtige Aspekte von Bildungsentscheidungen erfasst und einen relevanten Teil der Herkunftseffekte zu erklären vermag“ (2010: 73). Jedoch kritisiert er, dass die empirischen Ergebnisse darauf hinweisen, „dass die Theorie nicht zu einer vollständigen Erklärung von Disparitäten im Bildungserwerb in der Lage ist“ (Stocké 2010: 73). Auch Maaz teilt diese Kritik, denn er behauptet, dass trotz der Dominanz der Theorie „bisher kein Überblick über den empirischen Bewährungsgrad der Theorie vor[liege]“ (Maaz et al. 2006: 302).
Die Rational-Choice-Theorie wurde von Raymond Boudon 1974 entwickelt und legt ihren Fokus auf die Abwägung von Kosten und Nutzen der verschiedenen Alternativen im Bildungswesen (vgl. Boudon 1974: 29).
[...]
[1] Abkürzung: KMK