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Bachelorarbeit, 2016
59 Seiten, Note: 1,1
1 Abstract
2 Einführung und Vorstellung der Arbeit
3 Der Wirkfaktor Hund in der Psychotherapie
3.1 Mensch-Hund-Beziehung
3.1.1 Bindungstheorie
3.1.2 Biophilie
3.1.3 Du-Evidenz
3.1.4 Spiegelneurone
3.1.5 Social Brain Hypothese
3.2 Tiergestützte Psychotherapie
3.2.1 Definition tiergestützte Psychotherapie
3.2.2 Entwicklung der tiergestützten Psychotherapie
3.2.3 Forschungsstand
3.3 Therapiebegleithunde und ihr Einsatz bei Kindern und Jugendlichen
3.3.1 Kinder und Tiere
3.3.2 Mögliche Wirkfaktoren von Therapiebegleithunden
4 Glauben oder Wissen
4.1 Forschungsfragen
4.2 Studiensuche
4.2.1 Inhaltliche Kriterien
4.2.2 Methodik
4.2.3 Suchergebnisse
4.3 Anforderungen an eine wissenschaftlich fundierte Studie
4.4 Überprüfung ausgewählter Studien
5 Ergebnisse
5.1 Ergebnisse im Hinblick auf die untersuchten Störungsbilder
5.2 Ergebnisse im Hinblick auf die untersuchten abhängigen Variablen
5.3 Ergebnisse bezüglich der Anzahl Studien pro Erscheinungsjahr
5.4 Ergebnisse im Bezug zu den Forschungsfragen
6 Diskussion, Limitierungen und Empfehlungen
7 Fazit
8 Literatur
9 Anhang
Anhang A: Organisationen im Umfeld der tiergestützten Interventionen
Anhang B: Checkliste für Systematische Reviews des Scottish Intercollegiate Guidelines Network
Anhang C: Checkliste zur Bewertung der wissenschaftlichen Qualität kontrollierter psychotherapeutischer Interventionsstudien
Anhang D: Checklist for measuring study quality
Abbildung 1: Das Spektrum der tiergestützten Interventionen
Abbildung 2: Zusammensetzung der gefundenen Studien
Abbildung 3: Evidenzhierarchie
Abbildung 4: Prozess der kriteriengestützten Konsensusentscheidung
Abbildung 5: Auswertung der Studien nach Studienart und Qualität
Abbildung 6: Aufteilung der Studien nach Qualitätsstufen und Störungsbilderbereichen
Abbildung 7: Auswertung der Studien nach Anzahl pro Erscheinungsjahr
Tabelle 1: Psychische Wirkungen von Tieren auf Kinder
Tabelle 2: Übersicht der gefundenen Studien
Tabelle 3: Schema zur Graduierung von Empfehlungen
Tabelle 4: Punktesystem für die verwendeten Checklisten
Tabelle 5: Übersicht Qualitätseinschätzung der gefundenen Studien
Die Einbeziehung von Tieren in eine psychotherapeutische Behandlung ist mittlerwei- le weder neu noch ungewöhnlich. Seit den 1960er Jahren wird dies auch dokumen- tiert und beforscht. Allerdings ist hier die Praxis der Theorie weit voraus. Offizielle Stellen wie die Gesellschaft für Neuropädiatrie und die Deutsche Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin vermissen einen wissenschaftlich fundierten Nachweis der Wirksamkeit tiergestützter Psychotherapie. In der folgenden Arbeit wurde recherchiert, ob es ausreichend Wirksamkeitsstudien aus den letzten zehn Jahren gibt, die den Anforderungen der evidenzbasierten Medizin genügen. Dazu wurden in verschiedenen Datenbanken gefundene Studien zu hundegestützter Psy- chotherapie bei Kindern und Jugendlichen anhand von Checklisten ausgewertet, ein Qualitätsstandard zugeordnet und eine mögliche Evidenzempfehlung ausgespro- chen. Im Ergebnis lässt sich feststellen, dass es sich bei tiergestützter Therapie um ein ausgesprochen heterogenes Forschungsfeld handelt. Für bestimmte Symptom- komplexe kann tiergestützte Psychotherapie als evidenzbasiert bezeichnet werden, der höchste Evidenzgrad ist jedoch noch nicht erreicht. Zwar wurden in den letzten Jahren verstärkt auch randomisierte und kontrollierte Studien durchgeführt, es sind aber immer noch viele Fragen offen und vor allem fehlt es nach wie vor an einer ein- heitlichen theoretischen Grundlage für tiergestützte Psychotherapie.
Die Domestizierung des Hundes liegt nach wissenschaftlichen Schätzungen wahr- scheinlich schon etwa 100.000 Jahre zurück. Mittlerweile hat der Hund eine große Bedeutung für viele Menschen in unterschiedlichsten Altersklassen und Lebenssitua- tionen erlangt. Er hat zu so vielen unterschiedlichen Lebensbereichen Zugang und Verwendung gefunden, wie kein anderes Haustier. Schon früh hat der Mensch er- kannt, dass er aus dem Hund großen Nutzen ziehen kann und unterschiedliche Ras- sen gezüchtet für unterschiedliche Aufgaben. Traditionell werden Hunde eingesetzt als Jagd-, Hüte- und Wachhunde, in der heutigen Zeit vermehrt als Polizeihund und hier speziell als Spür- und Suchhund für Personen, Sprengstoff, Drogen oder auch als Rettungshund (Prothmann, 2014).
Im Laufe der Zeit lernten die Hunde unsere Mimik und Gestik besser zu verstehen als beispielsweise Primaten. Bereits ein acht Wochen alter Welpe kann uns genauer deuten, als jeder Primat. Aber nicht nur der Hund lernte unsere Art der Kommunikati- on zu verstehen, auch wir lernten den Hund und seine Köpersprache und Signale zu interpretieren. Folgerichtig ist der Hund mittlerweile des Menschen beliebtestes Hau- stier. Unter den knapp 30 Millionen Haustieren in Deutschland sind rund 7,9 Millionen Hunde, ca. 40 % davon leben in Familien mit Kindern (Statista, 2016). Aber auch au- ßerhalb der Familien, in Schulen, Pflegeheimen, Altersheimen und sogar im Gefäng- nis sind Hunde keine Seltenheit mehr. Die feinen Instinkte des Hundes sowie seine große Lernfähigkeit machen es möglich, ihn auch als Behindertenbegleithund einzu- setzen, der seinem Besitzer das Leben einfacher und menschlicher macht (Proth- mann, 2014).
Auf emotionaler Ebene bestechen Hunde vor allem mit ihrer bedingungslosen Zunei- gung. Sie nehmen den menschlichen Ausdruck ganz sensibel wahr und reagieren entsprechend. Im Gegensatz zu Menschen bewerten Hunde ihren Besitzer nicht nach sozialem Status oder Aussehen. Hunde sind immer verfügbar und für einige Obdachlose oder Straßenkinder oft das einzige Bezugswesen (Prothmann, 2014).
Seitdem der Psychotherapeut Boris Levinson in den sechziger Jahren entdeckte, dass sein Hund ihm den Zugang zu einem bislang völlig verschlossenem Kind ermöglichen konnte, werden Hunde immer mehr auch zur Unterstützung bei der Psychotherapie eingesetzt (Pottmann-Knapp, 2013). Die Erfahrungsberichte sind durchgehend vielversprechend und der Einsatz von Therapiebegleithunden in der Psychotherapie ist vor allem in den letzten Jahren sprunghaft angestiegen.
Dass Hunde eine Wirkung auf Menschen haben, ist offensichtlich. Aber besteht die subjektiv empfundene positive Wirkung auch objektiv auf einer wissenschaftlich fun- dierten Ebene? Sind die in der Praxis beobachtbaren Erfolge Zufall oder können die- se nachweislich gezielt herbeigeführt werden? Diesen Fragen will ich in meiner Arbeit nachgehen und somit einen Beitrag zur bestehenden Forschung und Anregung für weitere Untersuchungen geben. Um mit der Arbeit im vorgegeben Rahmen zu blei- ben, wird die nachfolgende Arbeit auf Hunde als Therapietiere und Kinder und Ju- gendliche als Klienten beschränkt. Hunde sind die am häufigsten und erfolgreichsten eingesetzten Therapietiere und zeigen vor allem bei Kindern und Jugendlichen zum Teil große Wirkung (Nimer & Lundahl, 2007). Viele Aussagen dieser Arbeit sind aber auch auf andere Tiere sowie Erwachsene übertragbar.
Im ersten Teil dieser Arbeit werden die theoretischen Grundlagen der tiergestützten Therapie ausgeführt. Dazu wird in Kapitel 3 zunächst nach dem "Warum" gefragt, indem die Mensch-Hund-Beziehung erläutert wird, um dann zu erklären, was tierge- stützte Psychotherapie bedeutet und leistet. Nach einem kurzen geschichtlichen Ab- riss wird der derzeitige Forschungsstand beschrieben. Danach wird auf das "Wie", also die von Therapiebegleithunden erzeugten Wirkfaktoren bei Kindern und Jugend- lichen eingegangen.
Im zweiten Teil der Arbeit soll überprüft werden, ob durch aktuelle Studien eine Wirk- samkeit von Therapiebegleithunden im Rahmen von Psychotherapie bei Kindern und Jugendlichen nachgewiesen werden kann. In Kapitel 4 werden die Forschungsfragen entwickelt und dann beschrieben, wie die aktuellen Studien gesucht und gefunden wurden. Daraufhin wird erläutert, welche Anforderungen eine Studie erfüllen muss, um einen hohen wissenschaftlichen Standard aufweisen zu können und wie die ge- fundenen Studien auf ihre wissenschaftliche Fundiertheit überprüft wurden. Im An- schluss werden in Kapitel 5 die Ergebnisse dargestellt. Kapitel 6 enthält Diskussion, Limitierungen und Empfehlungen. Ein Fazit in Kapitel 7 schließt die Arbeit ab.
Eine Wirkung von Hunden auf Menschen lässt sich auf biologischer, psychischer und auf sozialer Ebene nachweisen. Für diese Wirkung gibt es verschiedene Erklärungsansätze wie z.B. die Biophiliethese, das Konzept der Spiegelneuronen oder die DuEvidenz. Vor allem die Ansätze der Bindungstheorien zeigen deutliche Parallelen zu den Daten aus der Anthrozoologie (Pottmann-Knapp, 2013).
Die Mechanismen der Bindungstheorie lassen sich vielfach auch auf die Mensch- Hund-Beziehung übertragen. Hunde haben eine natürliche Veranlagung, mit dem Menschen eine Verbindung zu schaffen. Die Bindung, die Menschen mit Hunden im Allgemeinen eingehen, ist ähnlich wie die Bindung von Eltern und Kleinkindern. Un- bedingt notwendig dazu ist Kommunikation, die aber auch auf non-verbaler Ebene stattfinden kann. Ebenfalls notwendig für diese Bindung ist die Biophilie (Prothmann, 2014).
Biophilie, die "Liebe zur Natur" bedeutet eine Faszination an allem Natürlichen, sich als ein universelles Ganzes fühlen mit Tier und Natur. Sie bildet die Grundlage jeglicher Kommunikation mit Tieren. Man geht davon aus, dass diese Hinwendung zu Leben und Natur angeboren ist, da Mensch und Tier die Evolution gemeinsam durchlaufen haben. Die Biophilie zeigt sich auf vielfältige Weise. So erfreut sich der Mensch z.B. beim Anblick eines schönen Tieres an der Ästhetik der Natur, oder empfindet Entspanntheit, Ehrfurcht und ein tiefes, ruhiges Gefühl, wenn er sich in der Natur befindet. Nach der Biophiliethese beruht ein Großteil der positiven Wirkung von Tieren auf Menschen darauf, dass Tiere bestimmte Lebenssituationen gewissermaßen ergänzen und vervollständigen (Lederbogen, 2012).
Ein weiterer Baustein der Mensch-Tier-Beziehung ist das Konzept der Du-Evidenz (Evidenz = Deutlichkeit): Indem in dem Gegenüber, egal ob Mensch oder Tier, ein "Du" wahrgenommen und respektiert wird, kann eine Beziehung aufgebaut werden. Die Du-Evidenz wirkt auf sozialemotionaler Ebene und ist u.a. notwendig für die Ent- wicklung von Empathie und Mitgefühl anderen Menschen oder Tieren gegenüber (Wohlfarth, Mutschler & Bitzer, 2013). Das Tier erhält einen Namen und wird somit auf die Stufe eines gleichwertigen Subjekts gestellt. Durch die Namensgebung wäh- len wir deutlich das Tier als Begleiter/Partner, es bekommt einen besonderen Status. Der Mensch behandelt dabei Hunde oft wie ein Kleinkind: Er hebt die Stimme, wenn er mit ihm spricht oder kommentiert die vermeintlichen Gefühle des Hundes.
Spiegelneurone sind Nervenzellen, die beim passiven Beobachten eines Vorgangs dieselben Wirkungsfähigkeiten erzeugen, wie beim aktiven Ausführen dieses Vor- gangs, vorausgesetzt, der Beobachtete ist ein Mensch oder ein Tier. Der Mechanis- mus der Spiegelneurone wird also nicht nur dann aktiviert, wenn wir selber eine Akti- on ausführen, sondern auch wenn wir andere nur beobachten. Wir fühlen, was unser gegenüber fühlt. Dies erklärt z.B., warum wir intuitiv zurücklächeln, wenn uns jemand anlächelt oder warum eine Mutter oft unbewusst den Mund öffnet, wenn sie ihrem Baby den Löffel in den Mund steckt. Spiegelneuronen ermöglichen es uns, mit unse- rem Gegenüber Empathie zu empfinden, bei seinen Gefühlen "mitzuschwingen". Ein Hinweis dafür, dass auch Tiere diese Spiegelneuronen besitzen, ist z.B. die Joint Attention (gemeinsame Blickorientierung und Aufmerksamkeit). Der Aspekt der Spie- gelneurone wird auch als Grundlage der Mensch-Tier-Beziehung in Betracht gezo- gen, ist bisher aber noch nicht nachgewiesen (Lederbogen, 2012).
Die Social Brain Hypothese besagt, dass bei Lebewesen, die in großen Sozialver- bänden leben, sich im Laufe der Evolution ein größeres Gehirn gebildet hat, als bei vergleichbaren Lebewesen, die nicht in großen Sozialverbänden leben. Dieses Soci- al Brain, das sowohl beim Menschen als auch bei Säuge- und Wirbeltieren vorhan- den ist, ermöglicht es auch, speziesübergreifend den anderen zu "lesen", ein wichti- ger Grundstein also für die Kommunikation von Mensch und Hund. Durch das ge- meinsame Social Brain ist es möglich, bei Konflikten oder bei Trauer dem anderen Lebewesen mit Empathie zu begegnen. Dies erklärt z.B. auch, dass Hunde, wie man festgestellt hat, in einer Trennungssituation von der Bezugsperson die gleichen Ver- haltensweisen zeigen, wie Kleinkinder, also speziesübergreifend empfinden können (Olbrich, 2002).
Der Mensch-Tier-Kontakt im Rahmen von tiergestützter Psychotherapie unterschei- det sich allerdings wesentlich von der Beziehung, die Menschen zu Haustieren ha- ben. Die oben genannten Modelle der Mensch-Tier-Beziehung bilden zwar auch die Grundlagen für den Mensch-Tier-Kontakt bei therapeutischen Maßnahmen, lassen sich aber dennoch nur eingeschränkt auf die tiergestützte Therapie übertragen, da hier der Klient und die Ziele der Therapie im Mittelpunkt stehen, Ort, Zeit und Häufigkeit des Mensch-Tier-Kontaktes begrenzt sind und sich die Gleichberechtigung der Beziehungspartner anders gestaltet (Wohlfarth et al., 2013).
Der Begriff "tiergestützt" ist eine Übersetzung des englischen animal assisted. Er drückt aus, dass zur Unterstützung einer Therapie oder einer anderen Intervention ein Tier eingesetzt wird. Das Tier ersetzt also nicht den Therapeuten, sondern ist in- tegraler Bestandteil des Behandlungsprozesses. Während einer tiergestützten The- rapie kann der Klient mit dem Tier interagieren, über das Tier kommunizieren oder für das Tier tätig sein.
Der Sammelbegriff für alle Aktionen und Therapien, die mit Unterstützung von Tieren stattfinden, ist "Tiergestützte Interventionen". Nach dem internationalen Dachverband IAHAIO (International Association of Human-Animal Interaction Organizations) können tiergestützte Interventionen wie folgt definiert werden:
An Animal Assisted Intervention is a goal oriented and structured interven- tion that intentionally includes or incorporates animals in health, education and human service (e.g., social work) for the purpose of therapeutic gains in humans. It involves people with knowledge of the people and animals involved. Animal assisted interventions incorporate human-animal teams in formal human service such as Animal Assisted Therapy (AAT), Animal Assisted Education (AAE) or under certain conditions Animal Assisted Ac- tivity (AAA) (IAHAIO, 2014, S. 3).
Die tiergestützte Psychotherapie ist ein Baustein (siehe grünes Feld in folgender Abbildung 1) im Gefüge der tiergestützten Interventionen, das sich grafisch wie folgt darstellen lässt:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Das Spektrum der tiergestützten Interventionen, Quelle: Fine, Tedeschi und Elvove (2015), S. 23
Tiergestützte Interventionen unterteilen sich also in drei Bereiche (Spitczok von Bri- sinski, 2012):
- Tiergestützte Aktivitäten (animal-assisted activities, AAA): Aktivitäten mit Tie- ren, die im Allgemeinen nicht immer von geschulten Fachkräften im therapeu- tischen, pädagogischen und pflegerischen Umfeld stattfinden und nicht not- wendiger Weise einem vorher klar definierten therapeutischen Ziel folgen. Auch ehrenamtlich durchgeführte Tierbesuchsdienste bei allten, kranken, be- hinderten oder sonstigen bedürftigen Menschen zählen dazu.
- Tiergestützte Therapien (animal-assisted therapy, AAT): Hierfür müssen drei Merkmale gegeben sein:
- Behandlungsplan, in dem vorab die therapeutischen Ziele der eingesetz- ten tiergestützten Therapie festgelegt sind
- Einsatz von geschultem Fachpersonal (Psychotherapeutt, Arzt, Ergotherapeut, Physiotherapeut, Logopäde o.ä.), das eine Zusatzqualifikation für tiergestützte Therapie aufweisen kann
- gesonderte Dokumentation der tiergestützten Therapie und Messung des Behandlungserfolges
- Tiergestützte Pädagogik (animal assisted education, AAE): Dieser Bereich umfasst alle Aktivitäten im pädagogischen Bereich wie z.B. Einsatz von Schulhunden oder anderen Tieren, entweder im Sachkundeunterricht oder auch als gruppendynamisches Hilfsmittel in Schulklassen.
Demnach wird für die vorliegende Arbeit tiergestützte Psychotherapie definiert als "Einsatz von Tieren im Rahmen einer Psychotherapie, die von einem Psychotherapeuten mit einer Zusatzqualifikation für tiergestützte Therapie nach einem vorab definierten Behandlungsplan durchgeführt, dokumentiert und ausgewertet wird mit dem Ziel, den aktuelle Zustand des Klienten zum Positiven hin zu verändern."
Außer der Erfüllung der o.g. Kriterien muss bei der Durchführung von tiergestützter Psychotherapie noch folgendes beachtet werden:
- ein angemessener Hygienestandard
- evtl. Kontraindikationen wie Allergien oder generelle Ablehnung von Tieren
- Wohlergehen und Vermeidung von Überforderung des Therapietieres
Dass Tiere eine heilende Wirkung auf die Psyche haben, ist der Menschheit schon lange bekannt. Eine erste Erwähnung des Einsatzes von Tieren als gesundheitsför- derndes Mittel stammt aus Belgien. Dort wurde in Gheel bereits im 9. Jahrhundert das Wohlbefinden von psychisch beeinträchtigten Menschen mit Tieren gefördert (Wohlfarth, 2013).
In den Bodelschwinghschen Anstalten in Bethel bei Bielefeld wurden im 19. Jahrhundert ebenfalls bereits Tiere zur Förderung des Heilungsprozesses von überwiegend Epilepsiepatienten eingesetzt (Prothmann, 2014).
1947 wurde in der Nähe von New York das heute noch existierende Projekt "Green Chimneys" von der Familie Ross ins Leben gerufen, ein Internat für verhaltensgestör- te, behinderte und missbrauchte Kinder. Der Umgang mit Tieren und deren Pflege bildet dort einen wesentlichen Bestandteil der Therapie und trägt immens zum psy- chischen Wohlbefinden der Kinder und Jugendlichen bei (Wohlfarth, 2013).
Die Geburtsstunde der modernen tiergestützten Psychotherapie wird im Allgemeinen auf das Jahr 1962 gelegt, dem Erscheinungsjahr des Buches "The dog as a Co- Therapist" des Kinderpsychotherapeuten Boris Levinson. Levinson hat die besondere Wirkung von Hunden auf Kinder eher zufällig durch seinen Hund, der regelmäßig in seiner Praxis anwesend war, entdeckt und dann den Einsatz des Hundes als Beglei- ter des Psychotherapeuten systematisch erprobt und dokumentiert. Boris Levinson glaubte, dass Kinder die Beziehung, die sie zunächst zu dem Hund aufbauen, all- mählich auf den Therapeuten übertragen. Er betonte, dass durch den Einsatz von Tieren in der Therapie Vertrauen aufgebaut, Abwehr vermindert und letztendlich eine Akzeptanz der Therapie erreicht werden kann. Durch die Publikationen von Levinson rückte tiergestützte Therapie in den Fokus verschiedenster Disziplinen und es ent- standen erste wissenschaftliche Abhandlungen und Studien (Swanson, 2014; Wohl- farth, 2013).
Ab den 70er Jahren ist ein reges Interesse an tiergestützten Interventionen zu verzeichnen. Verschiedene Institutionen, die sich mit der Mensch-Tier-Beziehung befassen, wurden gegründet, wie z.B. die "Human Animal Companion Bond", die vorwiegend die Mensch-Tier-Beziehung erforscht, und in Amerika 1977 die Stiftung "Delta Society", mittlerweile umbenannt in "Pet Partners" (Wohlfarth, 2013). Weitere Informationen zu den wichtigsten Organisationen im Umfeld der tiergestützten Interventionen sind im Anhang A zu finden.
Zirka zehn Jahre später war die Idee der tiergestützten Therapie auch in Deutschland angekommen. Verschiedene Vereine und Organisationen richteten Tierbesuchs- dienste in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen ein. Nach und nach begannen diverse Berufsgruppen aus Pädagogik, Therapie und Resozialisation tiergestützte Interventionen in ihre Bereiche zu integrieren (Prothmann, 2014). Mitte der achtziger Jahre gründete sich in Bonn die Forschungsgruppe Psychologie der Mensch-Tier- Beziehung um Reinhold Bergler, die bis heute mit theoretischen sowie empirischen Arbeiten wegweisend für die Erforschung der Mensch-Tier-Beziehung ist (Wohlfarth, 2013).
In den folgenden Jahren bis heute entstanden in den unterschiedlichsten Disziplinen zahlreiche praktische Handlungsansätze, die durch große Heterogenität gekenn- zeichnet sind. Tiergestützte Interventionen sind an vielen Stellen gleichzeitig in der Praxis entstanden und weiterentwickelt worden. Beate Pottmann-Knapp (2013) spricht von einem Urmeer mit vielen kleinen Inseln, um die vielfältige Beobachtungsforschung, Einzelfallstudien und Erklärungsmodelle zu beschreiben.
Bei dem Forschungsfeld der tiergestützten Therapie handelt es sich also um eine typische Graswurzelbewegung, die durch die vielfältigen praktischen Ansätze ge- kennzeichnet ist. "Die vielen Daten aus der natur- und geisteswissenschaftlichen Forschung lassen in ihrer Gesamtheit einen unverzichtbaren Nutzen und Wert erah- nen, den Tiere für Therapeut und Klient gleichsam erbringen können" (Pottmann- Knapp, 2013, S. 209).
Beate Pottmann-Knapp hat sich in ihrer Monografie aus 2013 eingehend mit dem Forschungsstand zu tiergestützter Psychotherapie auseinandergesetzt. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass alleine schon die Anwesenheit von Tieren die psychothera- peutische Arbeit unterstützen und den psychischen Genesungsprozess fördern kann.
Pottmann-Knapp (2013) sieht folgende Wirkfaktoren erster Ordnung bei tiergestützten Interventionen als nachgewiesen an:
- Glaubwürdigkeit, Authentizität, Echtheit, Eindeutigkeit, Akzeptanz, Empathie, Wertschätzung und Vertrauen der Tiere
- deren spezifisches Agieren (unverfälschtes Sich-Einbringen, ungeteilte Aufmerksamkeit, Handeln im Hier und Jetzt, empathisches Mitschwingen, unvoreingenommene Wertschätzung)
- die indirekte Wirkung auf den Menschen, der sich durch den Kontakt zum Tier verstanden, angenommen, respektiert fühlt, sowie
- Reduktion der Einsamkeit, Beruhigung und Entspannung, Beziehung, affektive Bindung/Affektkontrolle/Affektregulation, Anerkennen von Grundprinzipien und Grenzen, Aufdecken des inneren Bezugssystems, Neubewertung der Selbstein- schätzung, Verhaltensregulation, kognitive Beherrschung, Erfolgserlebnisse etc.
Dennoch steht die Erforschung der Wirksamkeit tiergestützter Therapie noch am An- fang (Wohlfarth, 2013). Da es sich bei dem Thema um ein interdisziplinäres Feld handelt, über das z.B. in den Bereichen der Psychologie, Biologie, Pflegewissen- schaften, Medizin und Tiermedizin geforscht wird, lassen sich bisher nur wenige Stu- dien finden, die denselben Aspekt mit gleichen Methoden untersuchen. Auch wenn die Forschungen zu tiergestützten Interventionen in den letzten Jahren sowohl in den USA als auch im deutschsprachigen Raum dank vielfältiger Forschungsförderungen verstärkt durchgeführt werden konnten, ist die empirische Fundierung der Wirkung von tiergestützter Therapie nach wie vor eher schwach (Beetz & Enders-Slegers, 2013). Des Weiteren können kaum prüfbare Hypothesen aufgestellt werden, da theo- retische Rahmenkonzepte weitestgehend fehlen (Pottmann-Knapp, 2013; Wohlfarth, 2013). Diese Probleme bestehen sowohl national wie auch international. Die Dach- verbände zu tiergestützter Therapie (siehe Anhang A) arbeiten daran, Forschungs- standards aufzustellen, um die Forschungsaktivitäten zu erleichtern und zu verein- heitlichen. Nach Pottmann-Knapp (2013) wäre es förderlich, eine Forschungsleitlinie zu entwickeln und eine zentrale Forschungsstelle einzurichten, bei der Studien ge- bündelt werden können, um dann auf den bereits vorhandenen Forschungserkennt- nissen aufzubauen. Grundsätzlich besteht nach wie vor ein großer Bedarf an theore- tischen Erklärungsmodellen, an Methodenprüfungen und an Wirksamkeitsnachwei- sen.
Außer Dr. Beate Pottmann-Knapp, Psychotherapeutin und zweite Vize-Präsidentin der European Society of Animal-Assisted Therapy, fallen bei der Literaturrecherche noch folgende Forscher ins Auge, die sich im deutschsprachigen Raum sehr intensiv mit dem Thema tiergestützte Therapie befassen und als "Vordenker" auf diesem Ge- biet agieren:
- Dr. Andrea Beetz, Universität Rostock, Secretary International Association of Human-Animal Interaction Organizations
- Dr. Marie-Jose Enders-Slegers, Dipl.-Psychologin, Open Universiteit Nederland, Lehrstuhl für Anthrozoologie
- Prof. Kurt Kotrschal, Universität Wien, Präsident und wissenschaftlicher Leiter IEMT - Institut für interdisziplinäre Erforschung der Mensch-Tier-Beziehung, Vize- Präsident der International Association of Human-Animal Interaction Organiza- tions
- Prof. Dr. Erhard Olbrich, Präsident der International Society for Animal-Assisted Therapy
- Dr. Rainer Wohlfarth, Diplom-Psychologe, Psychologischer Psychotherapeut, Präsident der European Society of Animal-Assisted Therapy
Nicht jeder Hund ist als Therapiebegleittier geeignet. Nur Hunde, die bestimmte Voraussetzungen im Hinblick auf Temperament, Ungefährlichkeit und Interesse am Agieren mit dem Menschen mitbringen, können zu einer angenehmen und erfolgreichen Therapie beitragen. Es gibt mittlerweile zahlreiche Einrichtungen mit unterschiedlichen Konzepten für die Ausbildung eines Hundes zum Therapiebegleithund. Ein seriöser Therapeut wird immer nur ausgebildete Tiere einsetzen und dabei auch die Bedürfnisse und den Schutz des Hundes berücksichtigen.
Kinder scheinen noch stärker als Erwachsene auf tiergestützte Interventionen anzu- sprechen (Nimer & Lundahl, 2007). Dies lässt sich mit der ganz besonderen Bezie- hung von Kindern zu Tieren erklären. Für Kinder sind Tiere ein wichtiger Teil des Le- bens und jedes Kind hat sein Lieblingstier. Es findet sich kaum ein Kinderzimmer oh- ne Kuscheltiere, Tierbilder, Tierbücher etc. Kinder sehen in Tieren in erster Linie Spaßmacher, Spielgefährten, Beschützer, Freunde, Vertraute. Sie erzählen dem Tier ihre persönlichen Geheimnisse, Kummer und Sorgen in der Überzeugung, dass das Tier sie versteht. Vor allem Hunde können durch die ihnen eigene uneingeschränkte Akzeptanz des Gegenübers bei Kindern Vertrauen und Sicherheitsgefühl verstärken und werden deshalb gerne als Partner für Spiel und Eroberung der Umwelt gewählt. (Prothmann, 2014).
Es lassen sich direkte und indirekte Einflüsse des Hundes auf die Entwicklung eines Kindes feststellen. Bei einem Versuch mit einer Schulklasse zeigte sich z.B., dass sich das Selbstwertgefühl von unsicheren Kindern verstärkte, als sie sich 9 Monate lang um ein Tier in der Klasse kümmern sollten. Drei- bis sechsjährige Kinder mit einem Haustier wiesen mehr Empathie und Einfühlungsvermögen auf als die, die kein Haustier besaßen. Da Haustiere auch geduldige Zuhörer sind, können sie den Sprachreiz und somit die Sprachentwicklung fördern. Indirekte Einflüsse können z.B. Anerkennung und Austausch mit Klassenkameraden sein oder Bestätigung und Lob durch die Eltern für den Umgang mit den Tieren (Prothmann 2014).
Die wichtigsten psychischen Wirkungen von Tieren auf Kinder stellt Anke Prothmann wie folgt zusammen:
Tabelle 1: Psychische Wirkungen von Tieren auf Kinder
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Prothmann, 2014, S. 29
Gemeinsamkeit, Vertrauen und Vertrautheit, sicherer Halt und emotio- nale Zuwendung, Reframing von Stresserlebnissen, Förderung einer aktiven Bewältigungsstrategie, Förderung von Aktivität, Verantwor- tung, Bezogenheit, Trost, und Ermutigung, Erleben von Freude, Spon- tanität und Spaß
Tiergestützte Psychotherapie kann sich über nahezu alle Therapieformen erstrecken, so dass die Einsatzmöglichkeit von Hunden in der Psychotherapie eine enorme Bandbreite aufweist.
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