Bachelorarbeit, 2016
39 Seiten, Note: 1,3
Germanistik - Komparatistik, Vergleichende Literaturwissenschaft
1. Einleitung
2. Die Romane und ihre historischen Vorlagen
2.1 Kaltbl ü tig und die ClutterMorde
2.2 Tann ö d und der Mordfall Hinterkaifeck
3. Darstellung des Bösen in Kaltblütig und Tannöd
3.1 Zum Zusammenhang zwischen Idylle und Kleinstadt
3.2 Agrarkultur als Idealvorstellung
3.3 Die Darstellung der Opfer
3.3.1 Die Bauernhöfe
3.3.2 Die Familienkonstellation
3.4 Das Böse und seine Darstellung
3.4.1 Was ist das Böse?
3.4.2 Entmenschlichung
3.4.2.1 Christen und Teufel
3.4.2.2 Gesunde un Kranke
3.4.3 “keiner aus unserer Mitte”
3.4.4 It might happen again.”
4. Psychologische Ansätze
4.1 Freuds Massenpsychologie
4.2 TerrorManagementTheorie (TMT)
4.2.1 Einführung
4.2.2 Lösungsstrategien in der TMT
4.2.3 TMT und Religion
5. Fazit
Literaturverzeichnis
Furchtbare Dinge geschehen, jeden Tag, überall. Grade in den letzten Monaten, im Sommer 2016, schienen sich negative Ereignisse zu häufen. Sei es ein 31-Jähriger, der auf einer Promenade in Nizza einen Lastwagen in eine Menschenmenge steuert1, ein 27-Jähriger, der sich in Ansbach vor einem Lokal in die Luft sprengt2, oder ein 29-Jähriger, der mit einem halbautomatischen Gewehr und einer Pistole bewaffnet einen Nachtclub in Orlando stürmt3 - alle drei verübten gezielt und vorsätzlich Anschläge auf Zivilpersonen. Solche Ereignisse haben Folgen. Und genau diese Folgen sind Thema der vorliegenden Arbeit. Im Unterschied zu den genannten Beispielen wird es in dieser Ausarbeitung jedoch nicht um wie auch immer motivierte Anschläge gehen, sondern um eine Form des ‚Bösen’, die in einem anderen soziologischen Setting angesiedelt ist; explizit geht es um Mordfälle in sehr kleinen Städten. Es wird analysiert werden, welchen Auswirkungen die Bewohner des Städtchens Holcomb in Kansas ausgesetzt waren, als kurz nach Mitternacht am 15. November 1959 zwei Fremde in das Haus des angesehenen Farmers Herbert Clutter eindrangen und ihn, seine Frau, und die beiden anwesenden Kinder ermordeten. Truman Capotes Tatsachenroman Kaltbl ü tig (In Cold Blood, 1966) schildert diese Ereignisse und die Auswirkungen auf die Bewohner Holcombs detailliert und wird im Untertitel sogar „A True Account of a Multiple Murder And Its Consequences“ genannt. Wie diese Folgen hinsichtlich des Lebens in der winzigen Stadt genau aussehen und wie sie dargestellt werden, ist einer der beiden wesentlichen Aspekte, die diese Ausarbeitung beleuchtet. Verglichen werden die Darstellung des ‚Bösen’ und dessen Auswirkungen in Kaltbl ü tig mit dem Roman Tann ö d von Andrea Maria Schenkel, der 2006 erschien und für den die Autorin mit verschiedenen Krimipreisen ausgezeichnet wurde. Tann ö d basiert auf einem Fall, der als ‚Hinterkaifeck’ bekannt ist, einem Mehrfachmord mit sechs Opfern, der sich in der Nacht vom 31. März auf den 1. April 1922 in der Nähe von Ingolstadt auf einem Einödhof ereignete. Im Unterschied zu den Clutter-Morden ist dieser Fall nie aufgeklärt worden und beschäftigt selbst heute noch Ermittler und Polizeischüler, aber grade dieser Umstand führte in dem kleinen Ort zu verschiedenen ‚Folgen’, deren Darstellung, soweit sie im Roman vorkommen, hier untersucht und mit der Darstellung in Kaltbl ü tig verglichen werden. Hauptaugenmerk ist also einerseits das ‚Böse’, das in die heile Welt der Dörfer bricht, wie es dargestellt und konnotiert ist, und andererseits, welche Auswirkungen die Mordfälle in den Romanen auf die Dorfbewohner und ihre Gemeinschaft als sozialen Mikrokosmos hatten. Besonders im Zentrum des Augenmerks steht dabei, wie die Bewohner der Städte sich die Morde zu erklären versuchten. Dabei soll im Weiteren aufgezeigt werden, inwieweit, sich Parallelen in der Darstellung finden lassen. Nachdem die Auswirkungen der Morde untersucht worden sind, soll mit zwei verschiedenen psychologischen Theorien versucht werden zu erklären, warum sich die Bewohner der Städte nach den Morden auf ihre gewählte Weise verhielten und wie sich ihre improvisierten Erklärungsansätze psychologisch einordnen lassen könnten. Dabei soll jedoch kein tiefenpsychologisches Gutachten erstellt werden - dies würde einerseits den Rahmen der Ausarbeitung sprengen und andererseits wäre die Argumentation dann zum größeren Teil auf Spekulationen aufgebaut, die sich nicht oder kaum beweisen ließen.
Ziel dieser Ausarbeitung ist es, mögliche Parallelen zwischen den Darstellungsweisen der Morde, und besonders ihrer Konsequenzen zu finden.
In diesem einleitenden Kapitel werden die zu untersuchenden Romane, ihr Inhalt und die Begebenheiten, auf denen sie basieren, kurz vorgestellt. Auf eine Einführung der Autoren wird jedoch verzichtet.4
Obwohl Kaltbl ü tig als ‚Tatsachenbericht’ firmiert, wird der Roman im Rahmen dieser Ausarbeitung dennoch als Werk reiner Fiktion betrachtet; schon bald nach der Veröffentlichung zeigte sich nämlich, dass Capote trotz des Untertitels einige Passagen und Dialoge geändert oder erfunden hatte. So hat etwa die Begegnung zwischen dem leitenden Ermittlungsbeamten des K.B.I., Alvin Dewey und Nancy Clutters Freundin Sue Kidwell, die das letzte Kapitel des Romans bildet, nach Aussage Deweys nie stattgefunden und die überlebenden Töchter der Clutters, Beverly und Eveanna, widersprachen der Darstellung ihrer Mutter als nahezu Invalide in späteren Stellungnahmen. Selbst die versuchte Vergewaltigung Nancy Clutters durch Richard Hickock ist möglicherweise Dichtung.5
Die Clutter-Farm, wenige Kilometer vor Holcomb, Kansas, am Abend des 14. November 1959, einem Samstag. Die 16-Jährige Nancy Clutter hat Besuch von ihrem Freund Bobby Rupp. Holcomb hat damals grade einmal 270 Einwohner und liegt mitten im ‚bible belt’ - und Familie Rupp ist römisch-katholisch, während die Clutters Methodisten sind. „…a fact that should in itself be sufficient to terminate whatever fancies she and this boy might have of some day marrying.“6 Tatsächlich verhinderte Nancys Vater Herbert sogar, dass die beiden im selben Haus übernachteten. Diese Hausregel rettet Bobby Rupp höchstwahrscheinlich das Leben. Nach den Abendnachrichten, gegen elf Uhr, geht er; Herbert zieht sich in sein Schlafzimmer im Erdgeschoss zurück, Nancy und der 15-jährige Kenyon sagen ihrer mental etwas angeschlagenen Mutter Bonnie ‚Gute Nacht’; Nancy macht noch einen Tagebucheintrag, aber bald legt auch sie sich schlafen. Etwa eine Stunde später, zwischen 0.30 Uhr und 1 Uhr, rollt lautlos ein Wagen die lange Einfahrt zum Farmhaus hinauf. Der 31-Jährige Perry Smith und der drei Jahre jüngere Richard ‚Dick’ Hickock dringen ohne Mühe in das Haus ein - in Holcomb hatte nie jemand Grund dazu, seine Haustür abzuschließen. Dick hatte Informationen von einem früheren Zellenkumpan, dass es im Arbeitszimmer einen Safe mit mindestens 10.000 Dollar Bargeld geben soll. Die Informationen sind falsch. Es gibt weder Bargeld, noch einen Safe. Perry und Dick wecken Herbert Clutter, verlangen zu erfahren, wo der Safe ist, glauben ihm nicht, zwingen ihn mit vorgehaltenem Gewehr seine Frau zu wecken, sie bestätigt, dass es keinen Safe gibt, Nancy und Kenyon werden zusammen mit ihren Eltern im Badezimmer eingeschlossen. Dick durchsucht das Haus, während Perry die Tür bewacht. Schließlich, nach über einer Stunde, bricht Dick die Suche ab.
Herbert und Kenyon werden in den Keller gebracht, Nancy und Bonnie in ihren jeweiligen Schlafzimmern ans Bett gefesselt. Perry schießt zuerst Bonnie Clutter in den Kopf, danach Nancy, schließlich Kenyon und schneidet Herbert Clutter zuletzt die Kehle durch und schießt auch ihm in den Kopf.7 Mit etwa 40 Dollar, einem Feldstecher und einem Kofferradio als Beute fliehen die beiden schließlich, nachdem sie sich über zwei Stunden in dem Haus aufgehalten hatten. Eine Freundin von Nancy findet ihre Leiche am nächsten Morgen, nachdem die Clutters sie nicht für den Kirchenbesuch abgeholt hatten. Einen Tag später las Truman Capote einen kurzen Bericht über das Ereignis in der New York Times.8
Kaltbl ü tig ist größtenteils chronologisch erzählt und wechselt zwischen der Perspektive der Mörder, die ihre Vorbereitungen treffen, und ihrer späteren sechswöchigen Flucht und anschließenden Verhaftung, und der ‚Perspektive’ Holcombs, die verschiedene Einwohner und den ermittelnden Agenten des Kansas Bureau of Investigation, Alvin Dewey umfasst.
Auffällig ist ein Tempuswechsel in der - je nach Ausgabe - etwa 350 Seiten langen Erzählung: Allein die Erklärung Perry Smiths, wie genau sich die Mordnacht abgespielt hat, wurde im Präsens verfasst, der gesamte Rest im Präteritum. So wird die Schwelle für den Leser gesenkt, er kann, respektive muss, ‚unmittelbar’ an den Geschehnissen im Haus teilnehmen, wird zum Augenzeugen des Verbrechens - und somit zu einem gedachten weiteren Opfer, denn Hickock und Smith wollten explizit alle Augenzeugen beseitigen.
Dienstag, 4. April 1922: In Gröbern, einem kleinen Ort etwa 25 Kilometer südlich von Ingolstadt, machen sich die Bewohner allmählich Sorgen um die Familie Gruber. Am vergangenen Sonntag war die fünfköpfige Familie nicht zum Gottesdienst erschienen und die kleine Cäzilia fehlte bereits den dritten Tag unentschuldigt in der Schule. Lorenz Schlittenbauer, unmittelbarer Nachbar der Grubers und Ortsführer von Gröbern, das einige hundert Meter vom Bauernhof der Familie entfernt liegt, alarmiert zwei weitere Nachbarn der Familie. Sie dringen in den Stall ein und finden dort die Leichen der Eheleute Cäzilia und Andreas Gruber, 72 und 63 Jahre alt, deren Tochter Viktoria Gabriel, 35, und der Enkelin Cäzilia, 7. Allen wurde der Schädel eingeschlagen. Im Haupthaus finden Schlittenbauer und die Nachbarn auch die Leichen des zweijährigen Josef, der in seinem halb zerstörten Stubenwagen liegt, und der neuen Magd Maria Baumgartner - beide wurden offenbar auf dieselbe Weise getötet wie die anderen Familienmitglieder.9
Kurz darauf treffen die Beamten der Gendarmeriestation aus dem nahe gelegenen Hohenwart ein. Sie riegeln den Tatort ab, an dem sich inzwischen viele Schaulustige eingefunden haben, und informieren die Polizeidirektion im 50 Kilometer entfernten München, deren Beamte jedoch erst in der späten Nacht eintreffen und die Tatortbegehung wegen der schlechten Lichtverhältnisse10 auf die Morgenstunden verschieben müssen. Die Obduktion ergibt, dass die Morde schon in der Nacht vom 31. März auf den 1. April stattgefunden hatten.
Bei der Tatortbegehung stellten die Beamten der Mordkommission fest, dass auf dem Dachboden Heu ausgelegt war, das möglicherweise Schritte dämpfen sollte und zwei Kuhlen in einem Heuhaufen und einige verschobene Dachziegel, die den Blick über den Hof freigaben, wiesen darauf hin, dass sich der oder die Mörder längere Zeit im Haus aufgehalten haben könnten. Andreas Gruber hatte zudem in den Tagen vor der Tat Fußspuren im Schnee entdeckt, die zu seinem Hof, jedoch nicht wieder davon weg führten. Er und seine Tochter beobachteten auch einen Fremden, der vom nahe gelegenen Waldrand her das Gelände auszukundschaften schien. Außerdem war der einzige Hausschlüssel verschwunden. Trotz der Empfehlung seines Nachbarn Lorenz Schlittenbauer verständigte Gruber jedoch nicht die Polizei.
Zwischen den Morden und der Entdeckung kamen mehrere Personen nach Hinterkaifeck, trafen jedoch nie jemanden an. Dennoch wurde Rauch gesehen, der aus dem Schornstein aufstieg, das Vieh wurde versorgt, der Brotvorrat aufgebraucht und Fleischreserven lagen frisch angeschnitten im Haus. Der Verdacht liegt also nahe, dass der oder die Täter sich noch über mehrere Tage hinweg in dem Haus aufhielten.
Obwohl mehrere Verdächtige befragt wurden und die Polizei selbst unwahrscheinlichen Spuren nach ging - sogar ein Medium wurde beauftragt, mit den vom Gerichtsmediziner abgetrennten Köpfen der Opfer eine spiritistische Sitzung abzuhalten -, konnte der Mord nie aufgeklärt werden.11
Anders als Kaltbl ü tig ist Tann ö d kein Tatsachenbericht, sondern ein Werk reiner Fiktion. Autorin Andrea Maria Schenkel änderte die Namen der Beteiligten und Opfer12 und verlegte auch den Zeitpunkt der Handlung von 1922 in die 1950er Jahre. Die Grundstruktur ist jedoch ähnlich: Handlung und Spannungsaufbau werden einerseits von einer Instanz angetrieben, die im Rahmen journalistischer Arbeit Fragen stellt, und andererseits von den Ereignissen der Mordnacht, die aus Sicht des Täters ‚miterlebt’ werden. Tann ö d stellt also wie auch Kaltbl ü tig den Vergleich an zwischen dem aus der Bahn geworfenen Alltag der Dorfbewohner nach der Mordnacht und den unmittelbaren Geschehnissen beim Mord selbst.
In beiden Romanen wird die fragenstellende Instanz ausgespart; in Tann ö d sogar sehr auffällig. So stehen die Interviewten zwar in unmittelbarem Dialog mit ihm, aber offensichtlich soeben gestellte Fragen werden weggelassen: „Mit an13 Brief wars beim Pfarrer, die Barbara. Mit an Brief von den Franzosen. Nein, gesehen hab ich ihn nicht, den Brief.“14 Auf dieselbe Weise ausgespart wird der Mörder, der, abgesehen vom letzten Kapitel, nie spricht. Wie auch bei der Erzählung von Perry Smith in Kaltbl ü tig legt der Mörder in Tann ö d schließlich ein Geständnis ab, das den Leser unmittelbar zum Zeugen der Tat macht. Capote benutzte für größere Unmittelbarkeit einen Tempuswechsel; Schenkel bediente sich eines anderen Tricks, um die Tragweite des Kapitels deutlich zu machen und den Leser noch mehr in den Bann zu ziehen: Der Täter macht das Geständnis mündlich; es sind die ersten Worte, die er spricht. 120 Seiten lang folgte der Leser dem stummen Mörder, wurde Zeuge seiner Tat und der Auswirkungen. Die wörtliche Rede erhöht die Unmittelbarkeit und Zugänglichkeit für den Leser und macht die Szene prägnanter und eingängiger.
In diesem Kapitel wird untersucht werden, wie genau die Ereignisse literarisch verarbeitet wurden, wie das Konzept des Bösen sich in den Texten niederschlägt und welche Auswirkungen auf die Dorfbevölkerung geschildert werden. Zunächst wird untersucht, was ‚Kleinstadt’ literarisch und soziologisch eigentlich bedeutet und welche Vorstellungen mit dem Konzept verbunden sind.15
Bevor untersucht werden kann, welche Auswirkungen gewalttätige Zwischenfälle auf einen Mikrokosmos haben, muss eben dieser Mikrokosmos definiert, zumindest jedoch beschrieben werden. Was sind die relevanten Faktoren, die eine Kleinstadt oder ein Dorf vom Leben in größeren Gemeinschaften unterscheiden und welche Implikationen wohnen dem Konzept ‚Kleinstadt’, im literarischen wie auch im soziologischen Sinn, inne?
Die Kleinstadt impliziert, wenn wir die idyllische Perspektive verengen, das Wohnzimmer. […] Strukturell gesehen erweisen sich Kleinstadt und Wohnzimmer als ‚Muster’ […] fürs Heimischsein oder Heimischwerden als Verwirklichung oder Perversion des Wunsches nach Geborgenheit.16
Nach dieser Beschreibung ist der wesentliche Unterschied zwischen Kleinstadt und Großstadt das Gefühl der Heimlichkeit, Vertrautheit, und letztlich - und entscheidender - der Sicherheit. Wo das Leben außerhalb des eigenen Wohnzimmers die Erweiterung desselben ist, gelten dieselben Bedingungen und Definitionen für die Kleinstadtbewohner wie für die eigene Familie, die in eben jenem Wohnzimmer heimisch ist. Die optionale Perversion, die Glaser hier anspricht, spielt in diese Untersuchung jedoch eine ebenso große Rolle. Zwar darf vermutet werden, dass Glaser auf Ereignisse anspielt, die die Pervertierung des Geborgenseins von innen heraus, also aus der eigenen Familienbeziehung heraus verursachen, aber wenn die Kleinstadt dasselbe Konzept im größeren Rahmen ist, kann diese ‚öffentliche Geborgenheit’ in der Gemeinschaft auf dieselbe Weise pervertiert werden. Im Falle von Holcomb liegt auf der Hand, dass die Ursache der Perversion von außen kam, in Gestalt der Mörder Hickock und Smith. Sie waren nie zuvor in Holcomb gewesen und standen in keinerlei persönlicher Verbindung zu ihren Opfern oder der Gemeinschaft. Der ‚Samen des Bösen’, den sie einstreuten wurde jedoch in der Mitte der Gemeinschaft zur bitteren Frucht, letztlich ohne ihr Zutun, denn sie verschwanden kurz nach dem Mord und kehrten erst sechs Wochen später zurück. Gerade diese sechs Wochen sind aber für die vorliegende Untersuchung relevant.
Im Falle von Gröbern, dem kleinen Ort, dessen Auswirkungen die Morde von Hinterkaifeck betraf, ist diese Feststellung nicht zu treffen, da der oder die Mörder17 unbekannt geblieben sind und folglich nicht nachvollzogen werden kann, ob er Teil der Gemeinschaft war oder nicht. Das wäre für die Untersuchung nachteilig, jedoch wird in Tann ö d impliziert, dass der Mörder ein Bewohner des (im Roman namenlosen18 ) Dorfes war.19
Der Zusammenhang zwischen der Vorstellung von Idylle und Kleinstadt kann exemplarisch am letzten Kapitel von Kaltbl ü tig gezeigt werden: Alvin Dewey, der Ermittler des K. B. I., der maßgeblich für die Verhaftung der Clutter-Mörder verantwortlich war, ist Zeuge der Hinrichtungen, erinnert sich dann jedoch, wie die ganze Angelegenheit für ihn eigentlich schon ein Jahr früher abgeschlossen war, als er Sue Kidwell auf dem Friedhof traf. Die Begegnung an sich ist nicht weiter relevant, wohl aber die Naturbeschreibungen und der letzte Satz, den Capote dafür verwendet.
[...]
1 Wiegel, Michaela: Strategisch, nicht spontan. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22.07.2016, URL: http://www.faz.net/aktuell/politik/kampf-gegen-den-terror/anschlag-von-nizza-strategisch-nicht-spontan-14352858.html, abgerufen am 03.08.2016.
2 Anonym: 27-jähriger Syrer zündet Sprengsatz in Ansbach. Süddeutsche Zeitung, 25.07.2016, URL: http://www.sueddeutsche.de/bayern/zwoelf-verletzte-jaehriger-syrer-zuendete-den-sprengsatz-in-ansbach-1.3093425, abgerufen am 03.08.2016.
3 Ellis, Ralph u. a.: Orlando shooting: 49 killed, shooter pledged ISIS allegiance. CNN.com, 13.07.2016, URL: http://edition.cnn.com/2016/06/12/us/orlando-nightclub-shooting/, abgerufen am 03.08.2016.
4 Im Zusammenhang mit den Romanen ggf. relevante Informationen über die Autoren werden stattdessen im Fließtext untergebracht.
5 Vgl.: Jensen, Van: Writing history: Capote’s novel has lasting effect on journalism. 03.04.2005, URL: http://www2.ljworld.com/news/2005/apr/03/writing_history_capotes/, abgerufen am 04.08.2016.
6 Capote, Truman: In Cold Blood. New York 2012, S. 8. 3
7 Bei der Reihenfolge der Morde herrscht Uneinigkeit in den Darstellungen und auch in den Berichten. Die oben angeführte Reihenfolge basiert laut Capote auf dem Bericht des Leichenbeschauers (S. 186), Perry selbst erzählt jedoch, zuerst Herbert Clutter, anschließend Kenyon, Nancy und zuletzt Bonnie Clutter getötet zu haben (S. 297 f.). In der Verfilmung des Romans („In Cold Blood“, 1965) wird sie, wie auch in „Capote“ aus dem Jahr 2005 wie folgt dargestellt: Herbert - Kenyon - Bonnie - Nancy. Die geschilderte Reihenfolge nach Ansicht des Leichenbeschauers basiert auf der unterschiedlichen Körpertemperatur der Opfer, die jedoch verfälscht sein könnte, da Herbert Clutter und sein Sohn im Heizungsraum lagen und die Häuser in der Gegend wegen des kostenlosen Erdgases überhitzt waren. Zudem geschahen die Morde in jeder Darstellung, auch in Perrys Geständnis, in sehr kurzem Abstand, was der Feststellung des Leichenbeschauers widerspricht.
8 Standen, Amy: In Cold Blood. 22.01.2002, URL: http://www.salon.com/2002/01/22/cold_blood/, abgerufen am 01.08.2016.
9 Leuschner, Peter: Hinterkaifeck. Deutschlands geheimnisvollster Mordfall. Hofstetten 2009, S. 35-42.
10 Elektrizität gab es auf Hinterkaifeck nicht. Auf dem Einödhof in Tann ö d dagegen gibt es sie. (Vgl.: Schenkel, Andrea Maria: Tann ö d. Hamburg 2008, S. 64.)
11 Vgl.: Leuschner, Peter: Der Mordfall Hinterkaifeck. Spuren eines mysteri ö sen Verbrechens. Hofstetten 1997, S. 76-80.
12 Die ermordete Familie heißt im Roman ‚Danner’; aus Lorenz Schlittenbauer wird Georg Hauer, etc.
13 Die Dialoge in Tann ö d sind in bayerischer Mundart verfasst. Gemeint ist: ‚Mit einem Brief.’
14 Schenkel: Tann ö d., S. 106.
15 Zwar wurden für die Untersuchung Siedlungen herangezogen, die deutlich kleiner sind als Kleinstädte, relevant ist jedoch der Aspekt des familiär anmutenden, abgeschlossenen Mikrokosmos, weshalb auch auf Fachliteratur zurückgegriffen wurde, die sich mit dem Lebensraum ‚Kleinstadt’ befasst.
16 Glaser, Hermann: Kleinstadt-Ideologie. Zwischen Furchengl ü ck und Sph ä renflug. Freiburg 1969, S. 7.
17 Im weiteren Verlauf des Textes wird grammatikalisch von nur einem Mörder ausgegangen. Dadurch soll selbstverständlich nicht unterstellt werden, dass es nicht auch mehrere Mörder gegeben haben könnte.
18 Um Verwechslungen zu vermeiden, wird das Dorf, auf das sich die Handlung in Tann ö d bezieht, im weiteren Text ‚Dorf A’ genannt.
19 Vgl.: Schenkel, Tann ö d, S. 121 f.
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