Masterarbeit, 2017
122 Seiten, Note: 1,0
Abbildungsverzeichnis
Fallbeispiel-Verzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Problemstellung und Themenabgrenzung
1.2 Zielsetzung und Forschungsleitfrage
1.3 Aufbau der Arbeit
2 Die Vision der Industrie 4.0 in Deutschland – die vierte industrielle Revolution
2.1 Der Weg zur vierten industriellen Revolution
2.2 Herkunft des Begriffs Industrie 4.0 und Stand der Forschung
2.3 Status Quo in Deutschland
3 Die digitale Transformation der Automobilindustrie in der Praxis
3.1 Voraussetzungen der digitalen Transformation
3.2 Leistungserstellung in der Smart Factory
3.3 Smart Products und Services als Leistungsangebot
3.4 Neuartige Geschäftsmodelle
3.5 Kritik und Hemmnisse
4 Strategische Unternehmenssteuerung als Erfolgsfaktor der digitalen Transformation
4.1 Controlling Industrie 4.0 Roadmap
4.2 Einfluss von Industrie 4.0 auf die Controlling-Prozesse
4.3 Wirtschaftlichkeitseffekte von Industrie 4.0-Investitionen
4.4 Weiterentwicklung der Kompetenzen und der Rolle des Controllers
5 Fazit
Literaturverzeichnis
Internetquellen
Anhang
A.1 Das Referenzarchitekturmodell Industrie 4.0
A.2 Auszug einer Istund einer Soll-Prozessanalyse
Abbildung 1: Unterschiede zwischen Manufaktur und Fabrik
Abbildung 2: Die vier Stufen industrieller Revolutionen
Abbildung 3: Das Internet der Dinge
Abbildung 4: Stand der Forschung
Abbildung 5: Wesentliche Merkmale und Forschungsbedarfe von Industrie 4.0
Abbildung 6: Vertikale Integration und vernetzte Produktionssysteme
Abbildung 7: Die Durchgängigkeit des Engineerings in der virtuellen Fabrik
Abbildung 8: Handlungsfelder zur Umsetzung von Industrie 4.0
Abbildung 9: Digitalisierungsgrad 2014 vs. 2019
Abbildung 10: Investitionen in Digitalisierung
Abbildung 11: Volkswirtschaftliche Potenziale durch Industrie 4.0
Abbildung 12: Übersichtsmodell – Industrie 4.0 in der Automobilindustrie
Abbildung 13: Autonomer Logistikrobot der BMW Group in Wackerdorf
Abbildung 14: Vollflexibles Produktionssystem von Audi
Abbildung 15: Verbesserung der Ergonomie durch den ‚Chairless Chair‘
Abbildung 16: SAP Digital Boardroom
Abbildung 17: Technologieinfrastruktur eines Connected Vehicle
Abbildung 18: Die sieben Anwendungsfunktionen der Connected Cars
Abbildung 19: Handlungsempfehlungen für neuartige Geschäftsmodelle
Abbildung 20: Beispielhafter Auszug einer Industrie 4.0 Controlling-Roadmap
Abbildung 21: Zentrale Hauptprozesse des Controlling- Prozessmodells der IGC
Abbildung 22: Vernetzung des MES mit den Akteuren eines Fertigungssystems
Abbildung 23: Prozessund Potenzialanalyse zur Beurteilung von Investitionen
Abbildung 24: Ursacheund Wirkungszusammenhänge der Potenzialanalyse
Abbildung 25: Zusammenfassung der qualitativen und quantitativen Effekte
Abbildung 26: Methodik der Prozessanalyse
Abbildung 27: Teilprozesse des Werkzeugeinstellprozesses
Abbildung 28: Vergleich der Exanteund Expost-Prozesse
Abbildung 29: RAMI 4.0
Abbildung 30: Auszugsweise Prozessdarstellung eines Akteurs in Ist und Soll (BPMN-Notation)
Fallbeispiel 1: Einsatz intelligenter Stromzähler in der Smart Factory bei BMW
Fallbeispiel 2: Einsatz autonom bewegender Transporteinheiten bei BMW
Fallbeispiel 3: Dezentral gesteuertes Produktionssystem bei Audi
Fallbeispiel 4: Einsatz neuartiger sensitiver Roboter bei deutschen OEM
Fallbeispiel 5: Augmented Reality bei BMW
Fallbeispiel 6: Das selbstlernende Fahrzeug von Jaguar Land Rover
Fallbeispiel 7: 'Jack' das autonome Fahrzeug von Audi
Abbildung in dieser eseprobe nicht enthalten
Die Wirtschaft steht an der Schwelle zur vierten industriellen Revolution. Durch das Internet getrieben, wachsen reale und virtuelle Welt zu einem Internet der Dinge zusammen. Ein Kunde kauft ein Produkt und noch in der gleichen Sekunde bekommen der Hersteller, dessen Zulieferer und sogar der Rohstofflieferant eine Nachricht über die Nachfrage. Die Produktion wird, wenn nötig, automatisch vom Computer angepasst – dies ist Teil der Vision Industrie 4.0. Breitenwirksam geläufig wurde der Begriff durch die Bekanntmachung auf der Hannover Messe im April 2011 durch das von der Bundesregierung initiierte Projekt der Forschungsunion Wirtschaft – Wissenschaft. Von Seiten der Politik ist offenkundig, dass das Thema Digitalisierung der Industrieproduktion zunehmend vorangetrieben werden muss, um die Wettbewerbsfähigkeit und den langfristigen Erfolg für die Zukunft zu sichern. Infolgedessen wurde von der Bundesregierung die Hightech-Strategie 2020 verabschiedet, in der Industrie 4.0 eines von zehn Zukunftsprojekten mit dem Ziel darstellt, Deutschland auf dem Weg zum weltweiten Innovationsführer voranzubringen. Als bedeutender Faktor für die Sicherung des Produktionsstandorts Deutschland steht Industrie 4.0 für die intelligente Vernetzung von Produkten und Prozessen entlang der Wertschöpfungskette. In einer digitalen Industrie 4.0 können ohne Kompromisse bei der Qualität die Produktivität gesteigert, die Timeto-Market verkürzt und die Flexibilität erhöht werden. Um vom digitalen Wandel zu profitieren, muss die Wertschöpfung entlang des gesamten Produktlebenszyklus neu organisiert werden. Dieser Paradigmenwechsel innerhalb der Produktion wird sich nur schrittweise umsetzen lassen und offenbart neben neuen Möglichkeiten auch viele neue Herausforderungen.
Flexibilität ist ein wichtiger Treiber der Industrie 4.0, denn Fabriken müssen künftig wandlungsfähiger werden. Die steigende Volatilität der Märkte und die zunehmende Individualisierung der Produkte führen zu kleineren Auftragsgrößen. Die Folge ist ein häufigeres Umrüsten der Produktion. Die Automobilbranche steht dabei vor der Herausforderung einer steigenden Variantenvielfalt, welche sich negativ auf die Reaktionsfähigkeit, Auslastung und Liefertreue auswirkt, um schnell, flexibel und wirtschaftlich zu produzieren. Im Gegensatz zu den heutigen starren Produktionssystemen entwickelt sich die Fertigung in der Industrie 4.0 zu neuartigen Produktionskonzepten. Diese digitale Transformation wird durch den Einsatz sogenannter cyberphysischer Produktionssysteme ermöglicht. Diese Systeme setzen sich aus physischen, intelligenten und vernetzungsfähigen Komponenten zusammen. Bestehende Produktionsparadigmen werden durch die digitale Transformation in Frage gestellt und weiterentwickelt. Dadurch bekommen produzierende Unternehmen die Chance, ihre Wertschöpfung grundlegend zu optimieren und neue Geschäftspotenziale zu erschließen. Die Zielsetzung von Industrie 4.0 besteht darin, eine signifikante Flexibilisierung und Verbesserung der Wertschöpfung sowie eine Individualisierung der Produkte und Services durch eine intensive Kunden-Unternehmens-Interaktion und -Vernetzung zu realisieren. Durch verbesserte Prozesse soll eine Steigerung des Kundennutzens durch neuartige Produkte und Dienstleistungen gegeben werden. Diese Entwicklung wird grundlegende Veränderungen in der Unternehmensführung nach sich ziehen und es ergeben sich daraus Konsequenzen für die Wertschöpfung, die Geschäftsmodelle sowie die nachgelagerten Dienstleistungen und Arbeitsorganisationen. Die strategische Unternehmensplanung wie auch das Controlling werden unweigerlich von diesen Auswirkungen betroffen sein und die Ansprüche werden sich in Zukunft erhöhen. Kalkulationen sowie Kostenund Ergebnisrechnungen müssen sich auf die veränderte Wertschöpfung und auf neue Geschäftsmodelle einstellen. Es müssen neue Ansätze für altbekannte Instrumente integrierter Werteflüsse und Abweichungsanalysen entwickelt werden. Durch Daten in Echtzeit profitieren das Reporting sowie die Forecasts und es ist möglich, mit einer höheren Geschwindigkeit auf Veränderungen zu reagieren. Um die richtigen Daten aus einer großen Datenmenge zu selektieren, benötigt der Controller künftig ein noch besseres Geschäftsverständnis und wird weiterhin als Business Partner gefragt sein, um die Führungskräfte mit qualifizierten Analysen zu unterstützen.
Diese Masterarbeit soll in das umfangreiche Thema Industrie 4.0 einführen und ein Verständnis für dessen Konzepte, Paradigmen und technologische Komponenten vermitteln. Als eine der wichtigsten Branchen in Deutschland soll im Folgenden die Automobilindustrie mit Fokus auf die Fahrzeughersteller genauer beleuchtet werden. Veränderungen innerhalb der Produktion bzw. entlang der Wertschöpfungskette sowie der Geschäftsmodelle werden dem Leser theoretisch und anhand von Praxisbeispielen nähergebracht. Des Weiteren sollen die Herausforderungen sowie Veränderungen für die Unternehmenssteuerung erörtert werden, welche sich im Zusammenhang mit Industrie 4.0 ergeben.
Auf Basis der Problembeschreibung beantwortet diese Masterarbeit in den folgenden Abschnitten diese Forschungsleitfragen:
- Wie kann ein Unternehmen der Automobilindustrie die digitale Transformation erfolgreich implementieren?
- Wie wird diese erfolgreiche Transformation gesteuert?
Zu Beginn der Masterarbeit wird die Vision der Industrie 4.0 vorgestellt und es wird auf die Historie des Begriffes sowie auf dessen Definition eingegangen. Anschließend werden nach aktuellstem Stand der Forschung die wesentlichen Charakteristika sowie die wichtigsten Handlungsfelder von Industrie 4.0 erläutert. Ferner geht das Kapitel auf den aktuellen Status Quo in Deutschland hinsichtlich der wirtschaftlichen Bedeutung des Themas ein und verdeutlicht die Auswirkungen und Potenziale auf die deutsche Automobilbranche.
Im dritten Kapitel wird die digitale Transformation in der Automobilindustrie anhand von Praxisbeispielen ausführlich beschrieben. Voraussetzungen, Technologien sowie Auswirkungen auf Produktion, Produkte und Geschäftsmodelle werden näher erläutert und abschließend kritisch hinterfragt.
Das vierte Kapitel setzt sich mit der strategischen Unternehmenssteuerung zur erfolgreichen Umsetzung von Industrie 4.0 auseinander. Die Auswirkungen auf die Controlling-Prozesse sowie auf die Wirtschaftlichkeitseffekte werden dargelegt.
Das letzte Kapitel bildet das abschließende Fazit.
Die Vision der vierten industriellen Revolution geht von sogenannten ‚Smart Factories‘ aus, in denen die digitale und physische Welt gleichsam nahtlos ineinandergreifen. Es wird eine hochvernetze, intelligente Produktionswelt geschaffen, in der relevante Informationen in Echtzeit für alle an der Wertschöpfung beteiligten Instanzen verfügbar sind. In diesem dynamischen, echtzeitoptimierten und selbstorganisierten unternehmensübergreifendem Wertschöpfungsnetzwerk wird maximale Transparenz geschaffen. So führen verbesserte Entscheidungsgrundlagen bspw. zur Optimierung der Verfügbarkeit und des Ressourcenverbrauchs sowie zu erheblichen Kosteneinsparungen.[1] Die vertikale Vernetzung der betriebswirtschaftlichen Prozesse innerhalb des Unternehmens sowie die horizontale Verknüpfung des gesamten Wertschöpfungsnetzwerkes machen die Herstellung effizienter, individueller, schneller und umweltfreundlicher. Laut der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften (Acatech) wird eine Produktivitätssteigerung von 30 bis 50% durch die neuen Fertigungsverfahren prognostiziert.[2] Zur Realisierung dieser Vision sind enorme Anstrengungen in Forschung und Entwicklung erforderlich. Zunächst jedoch müssen Unternehmen in eine Infrastruktur aus Hardund Software investieren, um die Rahmenbedingungen zur Digitalisierung ihrer Prozesse zu schaffen. Gleichzeitig gilt es, die überbetriebliche Kollaboration zu erweitern und bestehende oder potenzielle Berührungspunkte entlang der Wertschöpfungskette zu identifizieren und auszubauen.[3] Heute gibt es bereits zahlreiche Ansätze und Anwendungen in der Praxis, doch stellt Industrie 4.0 eine längerfristige Entwicklung dar, die in der gesamten Breite nach Einschätzung von Experten erst in den Jahren 2025–2030 zum betrieblichen Alltag gehören wird.[4]
Eine „Revolution bezeichnet eine schnelle, radikale (i. d. R. gewaltsame) Veränderung der gegebenen (politischen, sozialen, ökonomischen) Bedingungen.“[5] Der Begriff bezog sich ursprünglich auf die Veränderung politischer Verhältnisse, bei der bisherige politische Führer beseitigt und neue Institutionen geschaffen würden. Das Ziel eines politischen Neuanfangs ist es, die bisherigen Probleme und Machtstrukturen zu beseitigen und radikal Neues an deren Stelle zu setzen.[6] Im frühen 19. Jh. wurde der Begriff industrielle Revolution analog zum Ausdruck politische Revolution eingeführt.[7] Erstmals erschien die Wortverbindung im Zusammenhang mit den soziopolitischen Ereignissen der französischen Revolution 1789. Der Freiheitsund Gleichheitsgedanke fand nicht nur Eingang in Politik und Gesellschaft, sondern prägte auch zunehmend das Weltwirtschaftsgeschehen. Marx und Engels bezogen den Begriff dann auf die englischen Verhältnisse und durch die Verwendung des englischen Historikers Arnold Toynbee als Buchtitel im Jahr 1887 wurde er zum universalhistorischen Schlüsselbegriff.[8] Die industrielle Revolution wird als ein rapider und sozial spannungsreicher Übergang von der Agrarzur Industriegesellschaft beschrieben, welche ihre Anfänge in Großbritannien Ende des 18. Jahrhunderts nahm.[9] Dieser Übergang umfasst jedoch nicht nur einen technischgewerblichen Vorgang, sondern einen komplizierten sozial und gesellschaftlichen Wandel, der zur Kennzeichnung einer historischen Epoche dient.[10] Kennzeichnend für den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umbruch war das Zustandekommen des Freihandels zwischen den Nationen, worauf Adam Smith bereits 1776 in seinem für die zukünftige marktwirtschaftliche Konzeption richtungsweisendes Grundlagenwerk Wealth of Nations plädierte. Außerdem charakteristisch waren ein ganzes Reformbündel zur Entstehung einer liberaleren Gesellschaftsund Wirtschaftsordnung sowie der Übergang von der Manufaktur zur Fabrik.[11]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1 : Unterschiede zwischen Manufaktur und Fabrik (Eigene Darstellung, in Anlehnung an Walter (2000), S. 43)
Parallel kam es zu einer räumlichen Konzentration von Industriestandorten und zu einer Verkehrsrevolution. Die erhöhte Mobilität ließ überregionale Arbeitsmärkte entstehen und bereits vorhandene würden besser integriert. Die Folge waren eine zunehmende Internationalisierung, eine starke Ausdehnung der Märkte und Kostenersparnisse. Als weiterer Treiber wird die Verbesserung der Bildung durch institutionelle Maßnahmen (Gesetze, Schulpflicht, Ausbildungen, Universitätsgründungen) angesehen. Der steigende Anteil des Humankapitals führte zu zahlreichen Erfindungen und Innovationen, die wesentlich das wirtschaftliche Wachstum vorantrieben. Dadurch kam es u. a. zu bestimmten Basisinnovationen (s. Abb. 2), die so prägend waren, dass sie zu einem Strukturwandel führten. Heute wird deshalb von vier industriellen Revolutionen gesprochen, welche in den nachfolgenden Abschnitten näher erläutert werden.[12]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2 : Die vier Stufen industrieller Revolutionen (Eigene Darstellung, in Anlehnung an Forschungsunion (2012), S. 13)
Die erste industrielle Revolution wird oftmals mit der Dampfmaschine und vor allem mit der Lokomotive als Symbol der Industrialisierung gleichgesetzt. Als Pionier der modernen industriellen Produktion jedoch gilt die englische Textilindustrie bzw. die englische Baumwollspinnerei in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts.[13] Durch den Einsatz des ersten automatischen Webstuhls von Edmond Cartwright im Jahr 1784 konnten nun Textilien mechanisch hergestellt werden, was zu einer Produktivitätssteigerung führte. Um die gleiche Zeit errichtete Richard Arkwright die erste Fabrik, in der eine Spinnmaschine durch Wasserkraft und später durch eine Dampfmaschine angetrieben wurde. Die Abkehr von der Heimindustrie zur Fabrik führte zu generellen Arbeitskräfteeinsparungen, da auch ungelernte Arbeiter mit Hilfe der Maschinen Garn spinnen konnten. Außerdem konnten unterschiedliche Vorgänge arbeitsteilig erledigt werden. Diese arbeitsteilige Produktion von Gütern in Fabriken mit einem hohen Grad an Mechanisierung wurde als Industrie bezeichnet und führte zu enormen Kosteneinsparungen. Die Weiterentwicklung der bereits im Jahr 1712 erfundenen Dampfmaschine zum Einsatz in der Baumwollindustrie durch Watt und Boulton im Jahr 1785 ermöglichte die Ansiedlung von Fabriken in Regionen, in denen Wasserkraft nicht vorhanden war.[14] Die Dampfmaschine wurde zur universell einsetzbaren Industriemaschine und kam so auch zur Rohstoffgewinnung und -verarbeitung bspw. in Steinkohlebergwerken zum Einsatz, um dort die Wasserhaltung zu regulieren. Die Steinkohle wiederum wurde nun nicht mehr nur zum Heizen, sondern auch zum Befeuern der Dampfmaschinen benutzt. Die zunehmende Verbreitung von Dampfmaschinen und der Einsatz von Eisenbahnen führten zu einer großflächigen Vernetzung von Gewinnungsund Produktionsstätten. Für Unternehmer war die Anschaffung der Dampfmaschinen anfangs sehr teuer und ein hohes Risiko, weshalb es in England noch Jahrzehnte bis ihrer Durchsetzung dauerte. In anderen Teilen Europas wie in Deutschland, Belgien, der Schweiz und Frankreich ereignete sich der gleiche revolutionäre Vorgang erst im zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts.[15]
Die zweite industrielle Revolution war durch eine flächendeckende Elektrifizierung von Städten und die arbeitsteilige Massenproduktion mithilfe von elektrischen Fließbändern zu Beginn des 20. Jahrhunderts gekennzeichnet. Die Fließbandfertigung wurde erstmals um 1870 in Cincinnati zum Transport in Schlachthöfen eingesetzt. Tatsächliche Bekanntheit erlangte das Fließband jedoch erst im Jahr 1913, als es zum ersten Mal bei Ford zur Herstellung des T-Modells zum Einsatz kam.[16] Parallel würden auch elektrische Antriebe und Verbrennungsmotoren entwickelt, welche die Mobilität durch Automobile, Lastkraftwagen und Flugzeuge revolutionierten. Carl Benz und Gottlieb Daimler entwickelten im Jahr 1886 zeitgleich die ersten Automobile der Welt. Ihre beiden Firmen Daimler Motorengesellschaft und Benz & Co. Rheinische Gasmotoren-Fabrik mündeten 1926 in der Daimler-Benz AG.[17] Gegründet würden zu dieser Zeit in Deutschland u. a. BMW (1916), Volkswagen (1937), Bosch (1886) und Sachs (1895). Die Bedeutung von Erdöl als Grundstoff in der chemischen Industrie nahm stark zu und wurde allen voran als neuer Treibstoff für Automobile benutzt. Die neuen Innovationen ermöglichten eine großindustrielle Massenproduktion in der Chemieund Elektroindustrie sowie im Maschinenbau und der Automobilbranche. Der Wohlstand in der Bevölkerung wuchs; aufgrund von Skaleneffekten konnten Produkte kostengünstiger hergestellt und konsumiert werden.[18]
Die beiden ersten industriellen Revolutionen, gekennzeichnet durch Mechanisierung und Elektrifizierung, mündeten ab Ende der 1960er Jahre in die bis heute andauernde dritte industrielle Revolution. Durch den Einsatz von Elektronik und Informationstechnologien konnten komplexe Produktionsprozesse größtenteils automatisiert werden.[19] Grundlage der Automatisierung war die Entwicklung der ersten speicherprogrammierbaren Steuerung (SPS) Modicon 084 im Jahr 1969. Die Erfindung des Computers Mitte des 20. Jahrhunderts führte zu einem Durchbruch der Informationsund Kommunikationstechnologien (IKT). Heute werden bereits 90 Prozent aller industriellen Produktionsprozesse durch IKT unterstützt.[20] Einer der größten Treiber des Wandels in Industrie und Gesellschaft war die Erfindung des World Wide Web (WWW) durch u. a. Tim Berners-Lee an der Forschungseinrichtung CERN im Jahr 1989.[21] In verschiedenen Entwicklungsstufen konnten zunächst nur Dokumente vernetzt werden (Web 0.0), bevor Mitte der 1990er mit dem Web 1.0 Unternehmen verbunden würden. Hier gelang es bereits Millionen von Menschen im Business Umfeld, sich über das Internet zu vernetzen. Durch die private Nutzung des Internets (Web 2.0) und die damit verbundenen Web-Services sind heute mehrere Milliarden Menschen online aktiv.[22] Während mit dem Internet ein System zur weltweiten Kommunikation und Koordination von globalen Wertschöpfungsnetzwerken zu Verfügung steht, sind Maschinen und Anlagen bisher weitestgehend von dieser Vernetzung ausgeschlossen. Diese intelligente Vernetzung könnte somit als nächste logische Konsequenz erfolgen.[23]
Im Unterschied zu den drei ersten großen industriellen Revolutionen, die erst im Nachhinein als revolutionäre Umgestaltung der Produktionswirklichkeit angesehen würden, wird die vierte industrielle Revolution im Voraus angekündigt und bereits seit einigen Jahren erforscht.[24] Vielen Kritikern erscheint diese Ankündigung jedoch etwas übereilt, denn Industrie 4.0 setzt in der Gegenwart an; ihr Zeitraum und die Wirkmächtigkeit sind vorab nicht klar bestimmbar. Im Übrigen wird kritisiert, dass die verwendeten Technologien wie Software, Sensoren und Elektronik sowie die Verbindung zwischen elektronischer Datenverarbeitung (EDV) und CPS keine neuen Erfindungen sind, sondern bereits seit einiger Zeit existieren.[25] So sieht u. a. Siemens-Vorstandchef Siegfried Rußwurm in Industrie 4.0 eher eine evolutionäre Entwicklung denn eine Revolution. Jedoch ist gut möglich, dass das, was heute bei der Automatisierung und Integration von Produktionsprozessen geleistet wird, in 20 oder 30 Jahren von Historikern als revolutionär gilt.[26] Bei dieser Veränderung der Produktionswelt vereinen sich moderne IKT mit klassischen industriellen Prozessen zu sogenannten Cyberphysischen Systemen (CPS). Reale und virtuelle Welt wachsen, durch das Internet getrieben, zusammen. Neben technologischen Veränderungen wird auch die Rolles des Menschen in der Mensch-Maschinen-Interaktion neu definiert bzw. das Knowhow der Mitarbeiter entsprechend weiterentwickelt werden.[27] Zukünftig wird es nicht nur vollautomatisierte Produktionsprozesse, sondern zunehmend adaptive Konzepte bis hin zu selbststeuernden Produktionssystemen geben. So wird die Massenproduktion von Produkten fortgeführt, jedoch ergänzt um zunehmend individualisierte Produkte mit dem Anspruch, auch niedrige Losgrößen zu den kosteneffizienten Methoden der Massenproduktion herstellen zu können.[28] Diese vernetzten Maschinen und Systeme verschmelzen zur sogenannten Smart Factory und sind durch das Internet der Dinge in eine intelligente Infrastruktur eingebunden. Das Internet der Dinge (Web 3.0) ermöglicht die Verbindung der digitalen mit der physischen Welt und führt zu internetbasierten Dienstleistungen und Geschäftsmodellen. Die Kommunikation erfolgt dadurch zwischen Menschen, Maschinen und Ressourcen.[29] Befördert durch die Entwicklung und Verbreitung des neuen Internetprotokolls IPv6, wird damit ein beinahe unerschöpflicher Pool an Internetadressen angeboten. So können beliebig viele Endgeräte mit eindeutigen Adressierungen an intelligenten Einheiten online vernetzt werden.[30] Dabei sind hergestellte Produkte bspw. selbst intelligent (Smart Products) und verfügen über Wissen ihres Herstellungsprozesses bzw. ihres Einsatzortes oder kommunizieren mit anderen intelligenten Produkten oder Anwendungssystemen. Das Internet der Dinge und Dienste bietet somit eine Schnittstelle in alle möglichen Bedarfsfelder, etwa in jene der intelligenten Energieversorgung (Smart Grids) oder der nachhaltigen Mobilitätskonzepte (Smart Mobility, Smart Logistics).[31]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3 : Das Internet der Dinge (Eigene Darstellung, in Anlehnung an Kagermann et al. (2013), S.23)
Am 29. August 2006 legte das Ministerium für Bildung und Forschung in Zusammenarbeit mit anderen Bundesministerien erstmals eine nationale "Hightech-Strategie 2020" vor. Ziel dieses Konzeptes ist es, Deutschland auf dem Weg zum weltweiten Innovationsführer voranzubringen.[32] Die Umsetzung und Weiterentwicklung der Strategie wurde zentral durch das innovationspolitische Beratungsgremium der Forschungsunion Wirtschaft – Wissenschaft begleitet. Die Forschungsunion setzte sich aus 28 hochrangigen Vertreterinnen und Vertretern der Wirtschaft und Wissenschaft zusammen.[33] Daraus resultierte Industrie 4.0 als eines von zehn Zukunftsprojekten der Hightech-Strategie.[34] Der breiten Öffentlichkeit wurde der Begriff „Industrie 4.0“ auf der Hannover-Messe im April 2011 vorgestellt.[35] Zeitgleich rief die Forschungsunion den Arbeitskreis Industrie 4.0 ins Leben. Dieser bestand aus über 80 Mitgliedern aus Wirtschaft, Wissenschaft und Verbänden, wobei Dr. Siegfried Dais (stellvertretender Geschäftsführer der Robert Bosch GmbH) und Professor Hennig Kagermann (Präsident der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften, Acatech) den Vorsitz übernahmen. Der erarbeitete Abschlussbericht „Umsetzungsempfehlungen für das Zukunftsprojekt Industrie 4.0“ wurde schließlich auf der Hannover Messe 2013 Bundeskanzlerin Angela Merkel übergeben.[36] Der Abschlussbericht charakterisiert die wesentlichen Merkmale und Forschungsbedarfe sowie die acht wichtigsten Handlungsfelder zur Umsetzung von Industrie 4.0.[37] Zeitgleich mit der dortigen Übergabe wurde die weitere Betreuung dieses Projekts an eine Geschäftsstelle "Plattform Industrie 4.0" weitergeleitet.[38]
Die Plattform Industrie setzt sich mittlerweile aus über 250 Akteuren aus 159 Organisationen in enger Zusammenarbeit mit führenden mittelständischen und Großunternehmen zusammen. Dieses Netzwerk aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Verbänden und Gewerkschaften dient als Austauschund Dialogplattform zwischen allen gesellschaftlich relevanten Akteuren, um gemeinsam die digitale Transformation der Industrie voranzubringen.[39] Ziel der Plattform ist es, ein gemeinsames Verständnis von Industrie 4.0 zu entwickeln, einen gemeinsamen Orientierungsrahmen zu etablieren und strategische Handlungsempfehlungen zur erfolgreichen Gestaltung des digitalen Wandels abzuleiten. In fünf Arbeitsgruppen werden Lösungsansätze zur Realisierung dieser digitalen Transformation erarbeitet. Die Ergebnisse werden in regelmäßigen Fortschrittsberichten auf der Webseite der Plattform (www.plattformi40.de) veröffentlicht. Die Plattform ermöglicht es Unternehmen etwa, Informationen über Anwendungsbeispiele sowie fachkundige Beratungsangebote zu finden. Des Weiteren wird den Unternehmen der Nutzen von Investitionen aufgezeigt und die erfolgreiche Umsetzung wird begleitet. Eine von der Plattform ins Leben gerufene Online-Landkarte hilft Unternehmen, geeignete Beratungsstellen zu finden und dient zur Koordination. Entwickelte Komponenten können damit unkompliziert in realitätsnahen, vernetzten Testumgebungen erprobt werden.[40]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 4 : Stand der Forschung (Eigene Darstellung einer Übersicht von Kagermann et al. (2013)
‚Industrie 4.0‘ wurde als Marketingbegriff von der deutschen Bundesregierung eingeführt; er wird seither auch in der Wissenschaftskommunikation verwendet.[41] Als Marketingbegriff fehlt dem Ausdruck jedoch die wissenschaftliche Präzision. Laut der Studie „Industrie 4.0 – Volkswirtschaftliche Potenziale für Deutschland“, die beim Fraunhofer-Institut in Zusammenarbeit mit BITKOM entstand, variieren die Beschreibungen und Definitionen stark in Zielrichtung und Betrachtungsbereichen. Derzeit existiert also keine eindeutige, allgemeine Darstellung des Begriffs.[42]
Aufgrund der Tragweite und des Einflusses auf Politik, Wissenschaft und Wirtschaft gilt für den Großteil der veröffentlichten Studien, wie auch für diese Masterarbeit, folgende Definition der Plattform Industrie 4.0:
„ Der Begriff Industrie 4.0 steht für die vierte industrielle Revolution, eine neue Stufe der Organisation und Steuerung der gesamten Wertschöpfungskette über den Lebenszyklus von Produkten. Dieser Zyklus orientiert sich an den zunehmend individualisierten Kundenwünschen und erstreckt sich von der Idee, dem Auftrag über die Entwicklung und Fertigung, die Auslieferung eines Produkts an den Endkunden bis hin zum Recycling, einschließlich der damit verbundenen Dienstleistungen. Basis ist die Verfügbarkeit aller relevanten Informationen in Echtzeit durch Vernetzung aller an der Wertschöpfung beteiligten Instanzen sowie die Fähigkeit, aus den Daten den zu jedem Zeitpunkt optimalen Wertschöpfungsfluss abzuleiten. Durch die Verbindung von Menschen, Objekten und Systemen entstehen dynamische, echtzeitoptimierte und selbst organisierende, unternehmensübergreifende Wertschöpfungsnetzwerke, die sich nach unterschiedlichen Kriterien wie bspw. Kosten, Verfügbarkeit und Ressourcenverbrauch optimieren lassen. “[43]
Die intelligente Vernetzung wird durch die drei wesentlichen Merkmale ‚vertikale Integration und vernetzte Produktionssysteme‘, ‚horizontale Integration über Wertschöpfungsnetzwerke‘ sowie ‚Durchgängigkeit des Engineerings über die gesamte Wertschöpfungskette‘ charakterisiert. Diesen drei Merkmalen übergeordnet ist die Steuerung der Daten und aller betrieblichen Prozesse in Echtzeit. Dabei ist entscheidend, dass alle Akteure, egal ob Maschine oder Mensch, über eine Plattform zu jeder Zeit auf die generierten Daten zugreifen können. Die Voraussetzungen hierfür sind Standardisierung wie auch sichere sowie effiziente Netzwerkstrukturen. Befähigt wird Industrie 4.0 durch den technologischen Einsatz von cyberphysischen Produktionssystemen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 5 : Wesentliche Merkmale und Forschungsbedarfe von Industrie 4.0 (Eigene Darstellung, in Anlehnung an Kagermann et al. (2013), S. 6)
Die vertikale Integration beinhaltet die Vernetzung der verschiedenen Hierarchieebenen im Unternehmen durch integrierte IT-Systeme und führt somit zu einer umfassend vernetzten Kommunikation innerhalb des Unternehmens. Das Unternehmen wird hierdurch zu einer intelligenten Fabrik (Smart Factory).[44] Dafür müssen Sensoren, Aktoren, eingebettete Systeme, ganze Produktionsanlagen sowie Planungsund Steuerungssysteme zu einer durchgängigen Lösung verknüpft werden. Dies kann jedoch nur durch den Einsatz einheitlicher Schnittstellen und Standards zur Maschinenzu-Maschinen-Kommunikation erreicht werden. Das Ergebnis ist Interaktion zwischen diesen Komponenten in Echtzeit und führt zur automatisierte Erhebung und Sammlung produktionsrelevanter Daten, die über entsprechende Dienste ausgewertet werden.[45] In einer standardisierten Architektur kommunizieren die eingebetteten Systeme drahtlos untereinander bzw. steuern und optimieren sich dabei selbstständig. Dadurch wird eine flexiblere und dynamischere Produktionsplanung und -steuerung ermöglicht, was wiederum Produktivitätssteigerungen und Ressourcenoptimierungen mit sich bringt. Die Verfügbarkeiten der Werkstücke, ihre Zustände und ihre Betriebsdauer sowie die Positionen einzelner Maschinen können in Echtzeit abgefragt und zu einem optimalen Produktionsprozess zusammengestellt werden. Diese Flexibilität der Produktionsprozesse realisiert individuelle Kundenwünsche und lässt Produkte in sehr kleinen Losgrößen (im Extremfall sogar Losgröße 1) rentabel produzieren. Durch die Fertigung in kleineren Losgrößen kann leichter auf Nachfrageschwankungen reagiert werden. Die Produktionsvorgänge können in kürzeren Zeitabstände verringert werden, womit sich Produktionsausfällen vorbeugen lässt und eine höhere Maschinenauslastung erreicht wird. Die Produktivität wird außerdem durch eine Optimierung des Ressourcenund Energieverbrauchs gesteigert, denn Maschinen identifizieren selbstständig ihren optimalen Verbrauch durch neuartige Steuerund Regelungstechniken bzw. kommunizieren diesen an andere Akteure des Wertschöpfungsnetzwerkes.[46]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 6 : Vertikale Integration und vernetzte Produktionssysteme (Grafik aus IW Consult (2014), S. 8)
Die horizontale Integration über Wertschöpfungsnetzwerke beschreibt die Vernetzung aller Prozessschritte der Produktion und der Unternehmensplanung durch die Einbindung der IT-Systeme von Kunden, Lieferanten, verteilten Unternehmensstandorten sowie externen Dienstleistern und Produzenten, zwischen denen ein Material-, Energieund Informationsfluss besteht.[47] Die horizontale baut dabei auf der vertikalen Integration auf. Der Austausch von unternehmensinternen Daten aus Eingangslogistik, Fertigung, Ausgangslogistik und Vertrieb sowie nachgelagerten Dienstleistungen wird mit anderen Teilnehmern des Wertschöpfungsnetzwerkes in Echtzeit synchronisiert. Die verschiedenen IT-Systeme müssen in einer durchgängigen Lösung in einem einheitlichen Gesamtsystem integriert werden, das auf einer leistungsfähigen Plattform aufbaut. Bei einer erfolgreichen Umsetzung dieses Gesamtsystems können die durch die vertikale Integration erlangten unternehmensinternen Flexibilitätsund Produktivitätsvorteile auf das gesamte Wertschöpfungsnetzwerk übertragen werden. Diese Zusammenarbeit über Unternehmensgrenzen hinweg erhöht deutlich die Komplexität und führt zu neuartigen Geschäftsmodellen.[48] Kurzfristigere Kundenwünsche beeinflussen die entstehenden Geschäftsmodelle stark und berücksichtigen dynamische Preisfindungen durch Kundenund Wettbewerbssituationen sowie Dienstleistungsvereinbarungen der Kooperationspartner. Außerdem sollen die faire Verteilung der Geschäftspotenziale auf alle Partner sowie rechtliche Rahmenbedingungen wie z. B. die Reduzierung des CO2-Ausstoßes in den Geschäftsmodellen verankert sein.[49]
Die digitale Durchgängigkeit des Engineerings beschreibt die vollständige Digitalisierung der Lebenszyklen von Produkten und Produktionsmitteln innerhalb eines Unternehmens, aber auch über Firmengrenzen hinweg. Es bildet somit in Echtzeit die reale Welt in der virtuellen ab. Anhand digitaler Erklärungsund Planungsmodelle werden komplexe Produktions-, Prozessund Design-Entscheidungen erstellt sowie validiert und in einer ganzheitlichen Betrachtungsweise untersucht. Die Modellierung verschafft der Entwicklung von Produkten eine höhere Flexibilität, da durch Virtualität statt Prototypenbau niedrigere Betriebskosten anfallen bzw. Fehler frühzeitiger erkannt und vermieden werden können. Des Weiteren können kürzere Projektlaufzeiten und somit eine bessere Risikobeherrschung erreicht werden. Kundenanforderungen können zukünftig direkt modelliert werden. Dies ermöglicht es Kunden, individuelle Produkte aus einzelnen Komponenten und Funktionen selbst zu kombinieren.[50] Digitales Engineering wird durch drei wesentliche Bereiche befähigt: die digitale Fabrik, die virtuelle Fabrik und das zugehörige Datenmanagement. Die digitale Fabrik stellt die digitale Abbildung der realen Fabrik über entsprechende Designund Konstruktionswerkzeuge (CAD-/CAM-Systeme) mit all ihren relevanten Komponenten dar. Hierzu gehören digitale Produkte, Maschinen und Anlagen, Personalressourcen, Fertigungsprozesse sowie Modelle der Betriebsmittel. Die Betrachtung und Veränderung der digitalen Fabrik der Zukunft wird virtuelle Fabrik genannt. Der Einbezug der Zeit innerhalb des Modells führt zu einer dynamischen Betrachtung dieser Fabrik, in der sich Zielgrößen wie Durchlaufzeit oder Auslastung verändern, wenn die Modellparameter variieren. In der virtuellen Fabrik benutzen die Ingenieure Visualisierungswerkzeuge wie Virtual Reality (VR) und Augmented Reality (AR). Mittels Visualisierungshelm können bspw. noch nicht existierende Fertigungsstraßen dreidimensional erlebt und begangen werden. Durch Datenhandschuhe ist es möglich, eventuelle Fehler zu erkennen, etwa mittels Überprüfung, ob gleichzeitig arbeitende Roboter kollidieren. Durch Augmented Reality können Zusatzinformationen wie z.B. die geplante geometrische Position realer Objekte eingeblendet werden. Als Ergebnis können die optimalen Lösungen in der realen Fabrik schnell und korrekt umgesetzt werden. Die unterschiedlichen Planungsund Visualisierungswerkzeuge müssen durch ein zentrales Produktund Fabrik-Datenmanagementsystem mit den benötigten Daten versorgt werden. Dabei sind Personal-, Prozess-, Materialflussund Logistikplanung sowie Layoutund Gebäudegestaltung über eine gemeinsame Datenbasis integriert.[51]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 7 : Die Durchgängigkeit des Engineerings in der virtuellen Fabrik (Eigene Darstellung, in Anlehnung an Kapp, Constantinescu (2006), S. 9, Kagermann et al. (2013), S. 35)
Die Grundlage der Vernetzung von intelligenten Maschinen, Lagersystemen und Betriebsmitteln bilden cyberphysische Systeme (CPS), die sich selbständig austauschen und gegenseitig steuern.[52] CPS sind physische Objekte wie Geräte, Gebäude, Verkehrsmittel, Logistikkomponenten und Produktionsanlagen, die durch eingebettete Systeme (Embedded Systems) zur Kommunikation befähigt werden.[53] Embedded Systems ermöglichen es bisher passiven Objekten durch Mikro-Controller, Kommunikationssystemen, Identifikatoren, Sensoren und Aktoren Informationen eigenverantwortlich zu interpretieren und zu verarbeiten. Sensoren liefern Daten über das direkte Umfeld des Objekts und können über die Kommunikationssysteme mit funkbzw. kabelbasierten Systemen interagieren. Über Barcodes oder RFID-Transponder werden die Objekte präzise identifiziert und Aktoren führen die Bewegungen der Komponenten aus. Der Mikro-Controller analysiert alle eingehenden Daten und bestimmt den Status des Objektes. Diese permanente Erfassung der Daten während des Herstellungsprozesses des Produktes führt zur dezentralen selbstorganisierten Koordination von Auftrags-, Material und Informationsströmen.[54] Durch das Einbinden von Embedded Systems in das Internet der Dinge und Dienste entstehen CPS, die industrielle Prozesse in der Produktion, im Engineering, in der Materialverwendung sowie beim Lieferkettenund Lebenszyklusmanagement im gesamten Wertschöpfungsnetzwerk verbessern.[55] Durch den Einsatz von CPS in der Fertigung wird von cyberphysischen Produktionssystemen (CPPS) gesprochen. Ein Mensch kann sich über eine multimodale Mensch-Maschine-Schnittstelle (z. B. Touch Displays, Sprachoder Gestensteuerung) mit den CPPS verbinden und interagieren. Die vernetzten CPS und die Intelligenz der Menschen schaffen die „Smart Factory“, die sich selbstständig dezentral organisiert, autonom steuert und Daten in Echtzeit zur Verfügung stellt. Dadurch ist es möglich, permanent ein virtuelles Abbild der Realität zu schaffen; auf diese Weise entstehen völlig neue Geschäftsmodelle.[56]
Für die Umsetzung von Industrie 4.0 müssen industriepolitische und industrielle Entscheidungen getroffen werden. Die nachfolgend genannten acht wichtigsten Handlungsfelder würden vom Arbeitskreis in den Umsetzungsempfehlungen definiert.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten.
Abbildung 8: Handlungsfelder zur Umsetzung von Industrie 4.0 (Eigene Darstellung, in Anlehnung an Kagermann et al. (2013), S. 6f.)
Um die firmenübergreifende Vernetzung und Integration über Wertschöpfungsnetzwerke zu ermöglichen ist eine gemeinsame und einheitliche Standardisierung notwendig. Für diese technische Beschreibung und Umsetzung wurde ein einheitliches Referenzarchitekturmodell (kurz RAMI 4.0) entwickelt. Dieses Modell soll gleichermaßen die unterschiedlichen Aspekte der vertikalen und horizontalen Integration wie auch der Durchgängigkeit des Engineerings von Industrie 4.0 in einem Modell zusammenführen.[57] RAMI 4.0 ermöglicht branchenübergreifend eine einheitliche Struktur hinsichtlich industrieller Kommunikation, Engineering, Modellierung, IT-Sicherheit und Geräte-Integration. Außerdem schafft es ein einheitliches Wording für gemeinsame, grundlegende Begrifflichkeiten. Das Referenzarchitekturmodell dient als allgemeines Muster für die Produkte und Dienstleistungen und bildet den Rahmen für die Entwicklung und Integration aller im Rahmen von Industrie 4.0 relevanten technischen Systeme. RAMI 4.0 wurde als DIN-Spezifikation (DIN-SPEC 91345) zertifiziert und veröffentlicht.[58] Eine Beschreibung des Modells befindet sich im Anhang (A.1).
Zukünftig werden Produkte wie auch die zugehörigen Produktionssysteme immer komplexer. Um diese wachsende Komplexität zu beherrschen, sollten bereits im Vorfeld Planungsund Erklärungsmodelle von Ingenieuren entwickelt werden. Die große Herausforderung der Industrie 4.0 besteht also darin, den Ingenieuren geeignete Methoden und Werkzeuge an die Hand zu geben, um Systeme aus der realen Welt in der virtuellen abzubilden. Durch die Modellierung der Prozesse verlagert man die Wertschöpfung in eine frühe Phase, um Folgekosten in späteren Phasen zu reduzieren. Die Erstellung von Modellen und Simulationen bedeutet jedoch zunächst ein zusätzliches Investment, wobei natürlich die Wirtschaftlichkeit der Geschäftsfälle eine große Rolle spielt. Entscheidender Erfolgsfaktor zur Modellierung ist das Vorhandensein qualifizierter Experten.[59]
Die erhöhten Komplexitätsund Problemlösungsanforderungen verlangen von den Beschäftigten stärkere Eigenverantwortung und Selbstentfaltung. Dies kann durch einen neuen Ansatz bzw. soziotechnische Gestaltungsperspektiven in der Arbeitsorganisation entwickelt werden. Die Smart Factory, welche als sehr wandlungsfähiges und flexibles System verstanden wird, benötigt deshalb eine breit qualifizierte und kundenorientierte Arbeitsorganisation mit erweiterten Beteiligungs-, Mitbestimmungsund Qualifizierungsmöglichkeiten.
Neben den Ingenieuren werden sich in allen Funktionsbereichen auch die Aufgabenund Kompetenzprofile der Mitarbeiter durch die Industrie 4.0 verändern. Durch das Zusammenwachsen von IT und Fertigungstechnik ist eine höhere Qualifizierung durch Ausund Weiterbildung des Personals unerlässlich. Neben IT-Fachkenntnissen sind überfachliche Kompetenzen wie Management oder Projektsteuerung vonnöten, um die kreativen Bereiche eines Unternehmens wie bspw. Produktund Prozessentwicklungen zu verstehen und zu steuern. Durch die engere Zusammenarbeit ehemaliger getrennter Abteilungen und Disziplinen wird auch die soziale Kompetenz mehr gefordert werden.[60]
Als weiteres Handlungsfeld wird die flächendeckende Breitbandinfrastruktur aufgeführt, um den aufkommenden quantitativ und qualitativ höheren Datenaustausch zu gewährleisten. Der Ausbau der bestehenden Kommunikationsnetze innerhalb Deutschlands und zu den produzierenden Partnerländern soll nach den Empfehlungen des Nationalen IT-Gipfels 2011 erfolgen. Vor allem garantierte Latenzzeiten, Ausfallsicherheit, Qualität und eine flächendeckend zur Verfügung stehende Bandbreite sind hier wichtig.[61]
Die zunehmende digitale Vernetzung von Produktionsabläufen sowie die Bildung unternehmensübergreifender Kooperationsund Wertschöpfungsnetzwerke setzt einen sicheren und vertrauensvollen Umgang mit Daten sowie einen erhöhten Schutz vor Cyber-Angriffen innerhalb der Kommunikation in den Netzwerken voraus. Innerhalb der Kooperationsnetzwerke müssen alle Partner eine digitale Kompetenz aufbauen, um den Schutz der Unternehmenswerte zu wahren. Dies gilt vor allem auch für viele der KMU, die gewisse Basisanforderungen erfüllen müssen, um diese sichere und vertrauensvolle Kommunikation zu gewährleisten. Aufträge, Produktionsund Prozessdaten sowie alle relevanten Unternehmenswerte, aber auch Knowhow und Geschäftsgeheimnisse müssen vor unbefugten Dritten und Sabotage geschützt werden.[62]
Während in der Industrie 3.0 die Kommunikation zumeist auf lokaler Ebene bzw. innerhalb des Unternehmens stattfindet, stellt Industrie 4.0 die IT-Security vor neue Herausforderungen. Zum einen erfolgt hier ein Austausch von Informationen und Daten über die Unternehmensgrenzen hinweg wie auch zu darunterliegenden Ebenen, etwa von einer Maschine oder Komponente direkt zu ihrem Lieferanten. Grundvoraussetzung dieser Kommunikation sind demnach sichere Identitäten, also die sichere Identifikation und Authentizität des Kommunikationspartners. In der Industrie 4.0 sind verschiedene Kommunikationswege zu unterscheiden: Menschzu-Mensch, Menschzu-Maschine und Maschinezu-Maschine. Vor allem bei der letztgenannten Kommunikationsform ist die Vertrauenswürdigkeit des Kommunikationspartners, also die Identität wie auch die Unverfälschbarkeit der Daten, besonders vor Cyber-Attacken zu schützen. Um diese Vertrauenswürdigkeit zu garantieren, sind die Sicherheitsaspekte der Verfügbarkeit, Integrität und Vertraulichkeit zu berücksichtigen. Verfügbarkeit zielt darauf ab, die IT-Infrastruktur vor einem Ausfall zu schützen. Dies kann bspw. durch proaktive Security Maßnahmen wie eine Mehrfachauslegung des Kommunikationssystems oder reaktives Security Monitoring geschehen, etwa über das automatische Blockieren eines verdächtigen Kommunikationspartners. Integrität meint den Schutz der Daten vor unberechtigter Veränderung und die Vertraulichkeit zielt darauf ab, die Authentifizierung der Kommunikationspartner zu sichern.[63]
Das Thema Sicherheit der Daten führt zwangsläufig auch zur Frage der Zurechnung und Haftung durch Leistungsstörungen oder Verletzungen der Eigentumsrechte durch unzureichend gesicherte Kommunikationswege. Hier gilt es, vorab neue Verträge zwischen den Kooperationspartnern aufzusetzen. Industrie 4.0 führt dabei zwar nicht zu völlig neuen rechtlichen Rahmenbedingungen, steigert diese allerdings in erheblichem Maße hinsichtlich der Komplexität.[64] Heute werden rechtlich wirksame Erklärungen und Vereinbarungen zwischen Menschen ausgerichtet. In den neuen Verträgen müssen etwa auch „automatisierte Willenserklärungen“ zwischen Maschinen durch KI-Systeme abgedeckt werden. Hier stellt sich außerdem die Frage, wie diese überwacht und überprüft werden können und welche Sorgfaltspflicht Absender und Empfänger haben. Weitere Anpassungen in der Vertragsgestaltung setzen neue Haftungsregeln hinsichtlich Verletzungen der IT-Sicherheit eines Vertragspartners voraus. Außerdem spielt der Umgang mit personenbezogenen Daten bei Industrie 4.0 eine große Rolle. So werden zum einen in der Mensch-Maschinen-Interaktion vermehrt Mitarbeiterdaten gesammelt, aber auch durch die Verknüpfung von Sensordaten und Data-Verfahren Personenprofile von Kunden erstellt. Hierbei handelt es sich um oftmals hochsensible Daten, deren Erhebung, Verarbeitung und Weitergabe genauestens geregelt werden müssen.[65]
Als letztes Handlungsfeld nennt der Arbeitskreis die Ressourceneffizienz, denn in einer Industrienation ist die industrielle Produktion der größte Rohstoffverbraucher. In der Industrie 4.0 sollen die gesamten Produktionsprozesse und damit vor allem auch die Konstruktion von Maschinen und Anlagen möglichst weitgehend verändert werden, um den Materialund Energieeinsatz zu reduzieren. Die Herausforderung der Industrie 4.0 liegt darin, zu beweisen, dass der zusätzliche Einsatz an Ressourcen durch CPS das Potenzial zur Steigerung der Ressourcenproduktivität und -effizienz entlang der gesamten Wertschöpfungskette hebt. Das BMBF forscht hinsichtlich dieses Gebietes zusammen mit dem VDMA an der Initiative „Effizienzfabrik“.[66] Eine dieser Initiativen ist bspw. die Entwicklung einer Software, um erwartete Energieeinsparungen von Werkzeugmaschinen sichtbar zu machen, was bislang nicht möglich war. So kann der Hersteller die entstehenden Mehrkosten der Anschaffung dem monetären Nutzen gegenüberstellen. Beim Kunden wiederum kann die Optimierung der Energieeffizienz identifiziert und wirtschaftlich bewertet werden.[67]
Deutschland verfügt über gute Voraussetzungen, um den bevorstehenden Strukturwandel im produzierenden Gewerbe durch Industrie 4.0 erfolgreich zu verwirklichen. Bereits seit Jahrzenten werden in Deutschland Informationsund Kommunikationstechnologien erfolgreich eingesetzt, wodurch heute schon 90 Prozent aller industriellen Produktionsprozesse unterstützt werden. Weitere traditionell gewachsene Stärken wie die Marktführerschaft im Anlagenund Maschinenbau, die Innovationsführerschaft bei Embedded Systems und Automatisierungstechnik, hochqualifizierte Beschäftigte sowie leistungsfähige Forschungsund Ausbildungseinrichtungen wirken sich außerdem positiv auf die Sicherung des Produktionsstandortes aus.[68] Trotz guter Voraussetzungen steht Deutschland im Hinblick der Digitalisierung von horizontalen und vertikalen Wertschöpfungsketten noch vor großen Herausforderungen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 9 : Digitalisierungsgrad 2014 vs. 2019 (Eigene Darstellung, in Anlehnung an PwC (2014), S. 17)
Eine durch PwC durchgeführte Umfrage im Jahr 2014 ergab, dass lediglich 22 Prozent aller befragten Unternehmen des Verarbeitenden Gewerbes einen hohen Digitalisierungsgrad ihrer Wertschöpfungsketten aufweisen, wobei die horizontale Vernetzung mit 24 Prozent leicht über der vertikalen Vernetzung mit 20 Prozent liegt. Während der Digitalisierungsgrad zwischen den einzelnen Branchen (Maschinenund Anlagenbau 19%, Automobilzulieferer 19%, Prozessindustrie 21%) kaum Abweichungen aufweist, ergeben sich deutliche Unterschiede der Unternehmen bezüglich ihrer Umsatzstärke. So zeigt sich bei den umsatzstärksten (>5 Mrd. Euro) mit 31 Prozent bzw. bei den umsatzschwächsten Unternehmen (<100 Mio. Euro) mit 27 Prozent ein relativ hoher Digitalisierungsgrad, wohingegen der Mittelstand bei Jahresumsätzen von 1 bis 5 Mrd. Euro nur 22 Prozent, von 0,5 bis 1 Mrd. Euro nur 13 Prozent und von 100 bis 500 Mio. Euro nur 20 Prozent seiner horizontalen und vertikalen Wertschöpfungsketten digitalisiert hat. Insgesamt wird ein durchschnittlicher Digitalisierungsgrad von 83 Prozent bis 2019 über alle produzierenden Branchen und Unternehmensgrößen prognostiziert.
Um dies zu realisieren, sind jedoch hohe Investitionen vonnöten.
Laut PwC-Umfrage ergibt das einen jährlichen Investitionswert von 40 Mrd. Euro für die gesamte deutsche Industrie bis 2020.[69] Jedoch nahmen 2015 viele deutsche Unternehmen hier noch eine eher passive Haltung ein. Laut BMWi tätigten 2015 ca. 16 Prozent des Verarbeitenden Gewerbes noch keinerlei Investitionen und 43 Prozent investierten nur geringfügig zwischen einem und fünf Prozent. Lediglich 23 Prozent der Unternehmen wendeten mehr als zehn Prozent ihres Umsatzes für die Digitalisierung auf.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 10 : Investitionen in Digitalisierung (Eigene Darstellung, in Anlehnung an BMWi (2015), S. 106)
Die Prognose für 2020 zeigt deutlich, dass die Investitionsbereitschaft in den kommenden Jahren deutlich zunehmen wird. Mehr als die Hälfte der Unternehmen wird dann bereits mehr als sechs Prozent der Umsätze investieren und 32 Prozent sogar mehr als zehn Prozent.[70] Von diesen Investitionen hängt die erfolgreiche Umsetzung von Industrie 4.0 in Deutschland ab. Da die deutsche Unternehmenslandschaft hauptsächlich durch KMU geprägt ist, müssen gerade hier die Unternehmen überzeugt werden, die notwendigen Investitionen zu tätigen, um auch im internationalen Kontext wettbewerbsfähig zu bleiben. Hohe Investitionskosten, die aufkommende Komplexität sowie Sicherheitsbedenken lassen noch viele Unternehmen zweifeln und stellen besonders KMU vor große Herausforderungen. Nach Einschätzung der meisten Unternehmen fallen die Investitionskosten mittelfristig weitaus höher als das erwartete Umsatzwachstum aus. Die Umfrage des BMWi ließ jedoch auch erkennen, dass bereits nach sechs Jahren die Kosten von den erwarteten Erträgen überrundet werden, weshalb in naher Zukunft erhöhte Investitionen erwartet werden. Die Befragung zeigte außerdem, dass Großunternehmen dem Thema sehr viel Bedeutung beimessen und bereits mit der Umsetzung begonnen haben oder zumindest die Planung durchführen. Dem stehen ca. 32 Prozent der KMU gegenüber, die hinsichtlich Industrie 4.0 keine Aktivitäten durchführen oder planen.[71]
Im Jahr 2015 betrug das Bruttoinlandsprodukt in Deutschland 3.026,6 Mrd. Euro[72] ; es wurde eine Bruttowertschöpfung von insgesamt 2.729,7 Mrd. Euro erwirtschaftet. Mit 707,5 Mrd. Euro umfasst der entsprechende Beitrag des produzierenden Gewerbes (ohne Baugewerbe) 25,9 Prozent.[73] Die volkwirtschaftlichen Potenziale durch Industrie 4.0 werden durch Unternehmen und Experten als sehr hoch eingeschätzt. Eine gemeinsam durchgeführte Studie von BITKOM und dem Fraunhofer-Institut in 2014 ergab durchschnittliche Produktivitätssteigerungen von 1,7 Prozent pro Jahr bis 2025. Untersucht würden dabei sechs Branchen, die durch Industrie 4.0 besonders früh und stark betroffen sind. Im Jahr 2013 erwirtschafteten sie 14 Prozent der gesamten Bruttowertschöpfung in Deutschland und fast 70 Prozent des produzierenden Gewerbes. In der folgenden Abbildung sind die sechs ausgewählten Branchen des produzierenden Gewerbes und ihre prognostizierten Wachstumschancen bis 2025 aufgezeigt. In der Hochrechnung würden ausschließlich die wirtschaftlichen Industrie 4.0-Potenziale, nicht aber das Wirtschaftswachstum berücksichtigt.[74]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 11 : Volkswirtschaftliche Potenziale durch Industrie 4.0 (Grafik aus Fraunhofer (2014))
Allein in diesen sechs Branchen ist insgesamt eine Produktivitätssteigerung von 78 Mrd. Euro möglich. Im Anlagenund Maschinenbau sind jährliche Wachstumsraten von 2,21 Prozent möglich, da die Unternehmen zugleich Anwender und Anbieter der neuen Technologien sind. So können bspw. die anfallenden Betriebs-, Zustandsund Umfelddaten genutzt werden, um effizienter zu produzieren. In der Automobilindustrie, die als primärer Anwender gilt, sind niedrigere jährliche Wachstumsraten von 1,53 Prozent zu erwarten. Dennoch ergibt sich auf den Zeitraum bis 2020 gesehen eine kumulierte Produktivitätssteigerung von 20 Prozent. Dies wird hauptsächlich durch Effizienzgewinne in Produktion und Logistik erreicht, aber auch durch neue Technologien in den Fahrzeugen.[75] Laut PwC-Studie wird durch Industrie 4.0 bis 2020 ein zusätzlicher Umsatz von 30 Mrd. Euro pro Jahr erwartet. Dabei liegen Im Maschinenund Anlagenbau, bei den Automobilzulieferern, in der Elektround Elektronikindustrie sowie in der Informationsund Kommunikationsindustrie die erwarteten Umsatzsteigerungen bei 13 bis 14 Prozent (kumuliert über 5 Jahre). Im gleichen Zeitraum wird von zusätzlichen 18 Prozent an Effizienzsteigerungen durch Produktionsund Ressourceneinsparungen ausgegangen. Dies wiederum führt zu jährlichen Kosteneinsparungen von durchschnittlich 2,6 Prozent. Neben den unternehmensinternen Kostensenkungen durch eine verbesserte Effizienz lassen sich die Einsparungen auch auf die verbesserte horizontale Integration zurückführen.[76]
Mit 404 Mrd. Euro Umsatz in 2015 ist die deutsche Automobilindustrie, gemessen am Umsatz, der wohl bedeutendste Industriezweig in Deutschland und die größte Branche des Verarbeitenden Gewerbes. Die Unternehmen der Branche beschäftigen mehr als 792.000 Personen und sind somit ausschlaggebend für den Wohlstand und die gesamtwirtschaftliche Entwicklung in Deutschland.[77] In 2015 produzierten deutsche Unternehmen 15,1 Millionen Personenkraftwagen weltweit. Davon würden 5,7 Millionen Fahrzeuge im Inland hergestellt, die zum größten Teil (77,2 Prozent) wieder exportiert würden.[78] Fast zwei Drittel der abgesetzten Fahrzeuge würden im europäischen Ausland verkauft, wobei Großbritannien vor USA und China der stärkste Absatzmarkt bleibt.[79] So konnte sich Deutschland erneut vor Japan und Südkorea weltweit als Rekord-Exportland durchsetzen.[80] Die deutsche Inlandsproduktion schafft es im internationalen Vergleich nach China, den USA und Japan auf den vierten Platz.[81] Der Grund für den Erfolg sind die qualitativ hochwertigen Premiumfahrzeuge, die weltweit hohes Ansehen genießen. Fahrzeuge der Volkswagen AG, Daimler AG und BMW AG gehören zu den Top 10 der Autohersteller hinsichtlich der Umsatzund Absatzzahlen.[82] Aber auch deutsche Automobilzulieferbetriebe gehören weltweit zu den besten und sind insgesamt 17-mal unter den entsprechenden Top 100 vertreten. Die Robert Bosch AG und Continental belegten die Plätze 1 und 2, knapp gefolgt von ZF Friedrichshafen AG auf Platz 6.[83]
Die Fahrzeughersteller erwirtschaften gut drei Viertel des Gesamtumsatzes der Automobilindustrie. Dennoch erwirtschaften die vorrangig mittelständisch geprägten Zulieferer mittlerweile einen Großteil der Wertschöpfung (ca. 70 Prozent). Ursache dafür sind die verstärkte Arbeitsteilung und die hohe Nachfrage nach Vorleistungen. Der Zukauf von Teilen, Komponenten und Rohstoffen betrifft auch viele Zulieferbetriebe, die vorrangig nicht an der Herstellung von Kraftfahrzeugen beteiligt sind. Neben den direkten Zulieferern von Systemund Komponentenlieferanten besteht auch eine hohe Abhängigkeit ihrer vorgelagerten Kunden aus den verschiedenen Industrieund Dienstleistungszweigen, wie z.B. der chemischen Industrie, dem Maschinenbau, der elektrotechnischen Industrie sowie der Stahlund Aluminiumindustrie.[84]
Eine repräsentative Umfrage durch Bitkom im Jahr 2015 ergab, dass die Automobilbranche bei der Anwendung von Industrie 4.0-Technologien mit einer Durchdringung von 53 Prozent führend ist. Weitere 17 Prozent planen bereits den Einsatz spezieller Anwendungen. Lediglich sieben Prozent geben an, dem Thema noch keine Beachtung zu schenken.[85] Die Ergebnisse zeigen deutlich, dass das Thema Industrie 4.0 in der Branche einen hohen Stellenwert hat. Jedoch liegen zwischen dem Einsatz von neuartigen Technologien und einer erfolgreichen ganzheitlichen Umsetzung noch viele Jahre. Sichtbar wird dies auch im prognostizierten Investitionsvolumen: 2015 würden für alle Forschungsund Entwicklungsausgaben der Automobilbranche 20,6 Mrd. Euro[86] aufgewendet, wovon ungefähr 11,2 Mrd. Euro in Industrie 4.0-Lösungen flossen.[87] Die deutschen Unternehmen sind also auf einem guten Weg, sich den wachsenden Herausforderungen zu stellen:[88]
- Steigende Kundenanforderungen hinsichtlich Variantenvielfalt, Qualität, Service und Support
- Wirtschaftliche Produktion kleinerer Losgrößen
- Erhöhte Komplexität der Produkte durch zunehmende Elektronikund Softwarekomponenten, alternative Antriebstechnologien sowie automatisierte und vernetzte Fahrzeuge
- Steigende Entwicklungskosten
- Zunehmende internationale Konkurrenz sowie Kostenund Innovationsdruck
- Steigende Anforderungen zur Emissionsminderung
- Verkürzte Produktlebenszyklen
- Reduzierte ‚Timeto-market‘
- Volatile Märkte mit starken Nachfrageschwankungen
Diese Herausforderungen bedingen einen Wandel in den Unternehmensstrukturen und fordern eine Anpassung und Vernetzung der Wertschöpfungsnetzwerke durch Industrie 4.0. Flexibilität und wandlungsfähige Produktionssysteme werden zum Erfolgsfaktor, um in den volatilen Märkten wettbewerbsfähig zu sein.[89] Flexibilität beschreibt die Fähigkeit eines Unternehmens, sich einfach und schnell auf veränderte Rahmenbedingungen einzustellen. Trotz immer stärkerer Auftragsschwankungen müssen die Produktionsunternehmen die herausfordernden Zielsetzungen aus hoher Lieferfähigkeit mit kurzen Lieferzeiten bei geringen Beständen durch eine sinnvolle Auslastung der Kapazitäten erreichen. Die schnelle Reaktion auf Kundenanforderungen wird von 98 Prozent der 661 befragten Unternehmen, die an der Umfrage des Fraunhofer-Instituts teilnahmen, als sehr wichtig und erfolgsentscheidend eingeschätzt. Durch Vernetzung und Echtzeitabbildung der Produktion kann es gelingen, mangelnde Flexibilität zu vermeiden, die Lieferfähigkeit zu verbessern und reaktive Supply Chains aufzubauen.[90]
Die Automobilindustrie ist sowohl für Automobilhersteller als auch für die Zulieferer eine sehr wettbewerbsund kapitalintensive Industrie. Im Angesicht steigender Anforderungen bietet die Digitalisierung eine schnellere und effizientere Vorgehensweise.[91] Die permanente und schnelle Anpassung der Wertschöpfung an die Kundenbedürfnisse bringt die Produktionssysteme der Automobilhersteller mit der Beherrschung der Variantenvielfalt und des Komplexitätsmanagements an ihre Grenzen.[92] Die Digitalisierung greift hier als effizientes Assistenzsystem ein und ist mittlerweile in vollem Gange, wenngleich sie noch Jahre von einer kompletten Umsetzung der Vision Industrie 4.0 entfernt ist.
Generell ist der Automatisierungsund Digitalisierungsgrad in der Automobilbranche als sehr hoch anzusehen und im Vergleich zu anderen Industrien am weitesten fortgeschritten. Doch vor allem im Bereich der vertikalen und horizontalen Integration gibt es noch erhebliches Verbesserungspotenzial, um zu einer Gesamtsicht der Prozesskette zu gelangen. Zudem muss ein klares Bild davon entwickelt werden, wie die großen Mengen an gewonnenen Daten sinnvoll bzw. zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle verwendet werden können. Als Basis der Digitalisierung gelten dabei Standardisierung und Sicherheit.[93]
Das vorliegende Kapitel soll die Elemente der Industrie 4.0 anhand von Praxisbeispielen von Fahrzeugherstellern und Automobilzulieferern verständlich machen und zukünftige Szenarien sowie bereits umgesetzte Lösungen aufzeigen. Dabei wird näher auf die entstehenden Nutzenpotenziale in der Leistungserstellung und auf das Leistungsangebot eingegangen.
Während das Leistungsangebot durch „Smart Products“ und „Smart Services“ den Kundennutzen steigert, zielt die Leistungserstellung in der „Smart Factory“ auf eine Optimierung der gesamten Wertschöpfungskette ab. Über das Internet der Dinge und Dienste sind intelligente Produkte sowie die intelligente Fabrik über Schnittstellen mit weiteren intelligenten Infrastrukturen wie bspw. „Smart Grid“ oder der „Smart City“ verknüpft. Innerhalb der horizontalen Vernetzung der Wertschöpfungskette spielt „Smart Logistics“ eine entscheidende Rolle sowie die Einbeziehung der Kunden durch einen „Kundezu-Kunde-Prozess“.
Innerhalb der Fabrik wird durch „Smart Production“ unter Einsatz von CPS eine ‚Machineto-Machine-Kommunikation‘ ermöglicht und durch ‚Digitales Engineering‘ die reale mit der virtuellen Welt verknüpft. Grundlagen sind die ständige Datenerhebung durch bspw. RFID-Technik sowie die anschließende Datenanalyse durch ‚Big Data‘ in Echtzeit. Die vertikale und horizontale Vernetzung erfolgt im Idealfall über die Cloud, wobei IT-Security eine wichtige Rolle einnimmt.
Im Mittelpunkt aller Überlegungen steht zuverlässig immer der Kundennutzen, wobei neben dem eigentlichen Produkt die zusätzlichen Serviceleistungen immer mehr in den Vordergrund rücken und neuartige Geschäftsmodelle verlangen.
Jedes der genannten Themen ist in sich hochkomplex – und die Komplexität erhöht sich bei Verbindung aller Themen enorm. Die Beherrschung dieser Komplexität sowie die erschwerte Umsetzung in bereits bestehenden Unternehmensstrukturen lässt nur eine schrittweise Realisierung des Themas Industrie 4.0 zu; dies erklärt die langjährige Entwicklung.[94]
Zur einfachen Veranschaulichung geht das Kapitel auf die wesentlichen Wertschöpfungspartner zwischen Automobilzulieferer der 1st-Tier (Systemund Modullieferanten), Fahrzeughersteller (OEM) und Kunden (Endkunden) ein. Automobilhändler, Automobilvermieter und Leasingpartner zwischen Endkunden und OEM werden außer Acht gelassen, ebenso wie vorgelagerte Zulieferer der 2nd-Tier (Komponentenlieferanten), 3rd-Tier (Teilelieferanten) und Rohstofflieferanten.[95]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 12 : Übersichtsmodell – Industrie 4.0 in der Automobilindustrie (Eigene Darstellung, basierend auf den folgenden Quellen aus Kapitel 3)
Um die digitale Transformation erfolgreich anzugehen, müssen bestimmte Rahmenbedingungen im Unternehmen geschaffen werden. Um die notwendigen Daten zu erheben, muss allen Produkten und Produktionsmitteln eine eindeutige ID zugewiesen werden, zum Beispiel über einen Barcode oder RFID und damit einen unverwechselbaren Namen. Entlang der gesamten Wertschöpfungskette können so alle anfallenden Prozessdaten über Sensoren gemessen werden. Diese Daten, die innerhalb des Unternehmens entstehen, sowie alle externen Daten müssen innerhalb einer geeigneten und sicheren IT-Infrastruktur in Echtzeit vernetzt, gespeichert und analysiert werden.[96] Das Sammeln, Analysieren und Visualisieren großer Datenmengen wird als sogenannter ‚Game Changer‘ angesehen; dies verändert die Sichtweise auf Automobilhersteller und Zulieferer – weg von den Produkten und hin zu den Kunden.[97]
Im Fokus der Unternehmen liegt heute die Sicherstellung eines effizienten Datenaustausches innerhalb der eigenen Wertschöpfungskette. Technologien wie RFID, Robotik und smarte Sensorik schaffen auf der operativen Ebene die technischen Voraussetzungenmit denen Maschinen, Anlagen, Produkte und Bauteile miteinander kommunizieren und selbstständig Daten und Informationen in Echtzeit austauschen.[98] Im Industrie 4.0 Kontext stellen neben klassischen Sensoren die ‚Radio Frequency Identification Chips‘ (RFID) ein zentrales Element zur Datenerhebung und -verarbeitung dar. Diese Transponder sind nur wenige Quadratmillimeter groß, auf unterschiedlichsten Materialien anzubringen und kostengünstig und flexibel einsetzbar. Sie bieten Möglichkeiten zur Lokalisierung, Überwachung, Steuerung, Autorisierung, Identifikation, Dokumentation und Authentifikation. Durch das Anbringen der Transponder auf den gefertigten Produkten oder auf Transportbehältern können Prozessund Qualitätsdaten direkten Einfluss auf den Produktionsprozess nehmen und somit eine ganzheitliche Optimierung der Lieferund Produktionsnetzwerke ermöglichen. Durch die RFID-Lesegeräte sind Produktionsanlagen wie auch Menschen in der Lage, die Informationen der intelligenten Produkte auszulesen und diese in das cyberphysische Produktionssystem zu integrieren. Um eine unternehmensübergreifende Steuerung der Prozesse zu gewährleisten, werden in der Automobilindustrie dahingehende Standards und Normen für RFID-Chips entwickelt. Ein bereits existierendes Forschungsprojekt namens ‚RFID-based Automotive Network‘ (RAN) ermöglicht die echtzeitfähige Kommunikation über SAP-Systeme.[99] In der deutschen Automobilindustrie sind alle Automobilhersteller sowie der gehobene Mittelstand im Bereich der Zulieferer Kunden von SAP – mit unterschiedlichem Durchdringungsgrad der jeweiligen Unternehmensprozesse.[100]
Durch die steigende Digitalisierung wird die Datenmenge im Produktionsumfeld stark zunehmen. Zusätzlich führen die vertikale und horizontale Vernetzung, Smart Products sowie ein durchgängiges Datenmanagement über die Produktlebenszyklen zu einem weiteren kontinuierlichen Datenfluss, der in verschiedenen Formaten vorliegt.[101] Diese sehr große Ansammlung von Datenmengen, die aus verschiedenen Quellen mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten, Volumina und Protokollen übertragen werden, nennt man Big Data. Um diese unterschiedlichen Datenstrukturen erfassen, speichern, integrieren, auswerten und verwalten zu können, werden neue strukturierte Informationsarchitekturen benötigt. Durch Analyse und Optimierungstools lassen sich aus Big Data wertschöpfende Informationen gewinnen. Nach Korrelation, Trends und bestimmten Mustern werden die Daten analysiert, wobei zwischen Nutzdaten und Stördaten unterschieden wird. Durch die Analyse werden mathematische Modelle erstellt, die mit dem Verhalten in realen Situationen verglichen werden und somit Vorhersagen, Optimierungen und Entscheidungen liefern. Eine Analyse von sozialen Medien wie Facebook oder Twitter kann etwa Fahrzeugkomponenten wie Reifen, Sitze, Bremsen und Türen, aber auch Modelle, Marken und Nutzer beinhalten. Die Korrelation dieser Informationen führt zur Wertschöpfung, indem positive oder negative Einflüsse auf Marke und Verkauf identifiziert werden. So wird neben einem besseren Verständnis für Marktsituationen auch die Grundlage für schnellere und bessere Entscheidungen geschaffen.[102] In der Produktion macht es bspw. die umfassende Auswertung von Maschinendaten wie z. B. Geschwindigkeitsschwankungen und Vibrationen möglich, Ausfälle vorherzusagen und durch Wartungsmaßnahmen zu vermeiden (Predictive Maintenance).[103] Über Mensch-Maschinen-Schnittstellen werden die Analyseergebnisse den Entscheidungsträgern zugänglich gemacht oder fließen direkt in die CPPS der Produktionsprozesse ein. Internetbasiert über webserviceorientierte Strukturen erfolgt dabei die Datenintegration und -kommunikation.[104]
Cloud-Technologie ist eine wichtige technologische Voraussetzung, um dem praktisch grenzenlosen Datenfluss durch Industrie 4.0 gerecht zu werden; sie sorgt außerdem für den Wegfall von High-End-Geräten bei herkömmlichen Serverlösungen.[105] Cloud Computing bezeichnet einen externen virtuellen Speicher, der sich als schnelle und sichere Speichervariante für riesige Datenmengen anbietet.[106] Über Kommunikationsnetzwerke sind intelligente Objekte, Produkte, Maschinen und interne IKT-Systeme mit der Cloud-Plattform verbunden. Die Plattform bietet neben der Datenspeicherung auch Applikationen sowie die Ausführung von Anwendungen im Intrabzw. Internet.[107] Cloudbasierte Lösungen ermöglichen die Reduzierung der IT-Budgets bzw. eine Optimierung des Cash-Flows. Außerdem verbessern sie die Performance und Verfügbarkeit der IT und erlauben es den Unternehmen, sich auf ihre Kernaufgaben zu fokussieren. Für Industrie 4.0-Anwendungen ist vor allem die Softwareas-a-Service (SaaS)-Cloud-Lösung interessant, da sie als vollständiges ERP-System fungiert.[108] Bezüglich der Organisationsform der Cloud ist für Unternehmen die Nutzung einer Mischform zwischen Publicund Private-Cloud in Form der Hybrid-Cloud sinnvoll.[109] Diese Mischform findet bei vielen OEMs und Zulieferern Anwendung. Eine Trennung von Geschäftsprozessen in datenschutzkritische und -unkritische Arbeitsabläufe führt dazu, sensible Daten und Dienste wie z. B. Entwicklungsdaten in der Private Cloud nur den eigenen Mitarbeitern anzubieten, während weniger kritische Themen meist aus Kostengründen in eine Public Cloud ausgelagert werden. Bei unternehmensübergreifenden Projekten kommt vielfach eine Community Cloud zum Einsatz. Hier können zwar alle Projektpartner zugreifen, doch sind die Daten und Funktionalitäten nicht öffentlich.[110]
In der deutschen Automobilindustrie gehört SAP mit ihrer ‚HANA Cloud Plattform for IoT‘-Lösung zu den führenden Anbietern. Das Lösungsangebot umfasst die Bereiche Personal-, Finanzund Beschaffungswesen sowie Vertrieb, Services, Marketing, Entwicklung, Produktion und Logistik in enger Zusammenarbeit mit Partnernetzwerken von Siemens und IT-Dienstleistern wie Accenture oder T-Systems. Daneben werden auch Connected-Carund Connected-Service-Lösungen über HANA integriert.[111]
[...]
[1] Vgl. Singh (2015), S. 8
[2] Vgl. Russwurm (2013), S. 31
[3] Vgl. Heynitz, Bremicker (2016),S.10
[4] Vgl. Becker (2015), S. 23
[5] Schubert, Klein (2011), S. 251
[6] Vgl. Schubert, Klein (2011), S. 251
[7] Vgl. Gabler Wirtschaftslexikon (2016)
[8] Vgl. Walter (2000), S. 43
[9] Vgl. Schubert, Klein (2011), S.145
[10] Vgl. Walter (2000), S. 44
[11] Vgl. Walter (2006), S. 176
[12] Vgl. Walter (2006), S. 176-181
[13] Vgl. Ziegler (2009), S. 1-3
[14] Vgl. Walter (2000), S. 60
[15] Vgl. Ziegler (2009), S. 2-5
[16] Vgl. Pretting (2006), S. 117
[17] Vgl. Daimler (2016)
[18] Vgl. Bauernhansl (2014), S. 5f.
[19] Vgl. Kagermann et al. (2013), S. 18
[20] Vgl. Ebenda, S. 17
[21] Vgl. CERN (2016)
[22] Vgl. Roßmeißl, Gleich (2014), S. 24
[23] Vgl. Bauer et al. (2014), S. 9f.
[24] Vgl. Singh (2015), S. 8
[25] Vgl. Maier-Scheubeck (2014), S. 4f.
[26] Vgl. Wiwo (2013)
[27] Vgl. Post (2014), S.12f.
[28] Vgl. Ebenda, S. 16
[29] Vgl. Roßmeißl, Gleich (2014), S. 24-26
[30] Vgl. BMWi (2012), S. 5-7
[31] Vgl. Kagermann et al. (2013), S. 23
[32] Vgl. Bundesregierung (2016)
[33] Vgl. Forschungsunion (2016)
[34] Vgl. Bundesregierung (2014), S. 50
[35] Vgl. VDI (2011)
[36] Vgl. Acatech (2016)
[37] Vgl. Kagermann et al. (2013), S.6f.
[38] Vgl. Acatech (2016)
[39] Vgl. Plattform I-4.0 (2016a), S. 20-22
[40] Vgl. Ebenda, S. 5-11
[41] Vgl. Gabler Wirtschaftslexikon (2016b)
[42] Vgl. Bauer et al. (2014), S. 18
[43] Kagermann et al. (2013), S. 8
[44] Vgl. Kagermann et al. (2013), S.24
[45] Vgl. Siepmannn (2016), S. 37
[46] Vgl. IW Consult (2014), S. 8-11
[47] Vgl. Kagermann et al. (2013), S. 24
[48] Vgl. IW Consult (2014), S. 9f.
[49] Vgl. Kagermann et al. (2013), S. 26
[50] Vgl. Kagermann et al. (2013), S. 35, 92f.
[51] Vgl. Kapp, Constantinescu (2006), S. 9-11
[52] Vgl. Kagermann et al. (2013), S. 5
[53] Vgl. Bauernhansl (2014), S. 16
[54] Vgl. Bauer et al. (2014), S. 19
[55] Vgl. Kagermann et al (2013), S. 5
[56] Vgl. Bauernhansl (2014), S. 15f.
[57] Vgl. VDI (2015), S. 5f.
[58] Vgl. Plattform I-4.0 (2016a), S. 5
[59] Vgl. Kagermann et al. (2013), S. 46-48
[60] Vgl. Ebenda, S. 56-61
[61] Vgl. Kagermann et al. (2013), S. 49
[62] Vgl. Plattform I-4.0 (2016b), S. 2-4
[63] Vgl. Plattform I-4.0 (2016c), S. 6-10
[64] Vgl. Kagermann et al. (2013), S. 62
[65] Vgl. Plattform I-4.0 (2016d), S. 4-7
[66] Vgl. Kagermann et al. (2013), S. 66
[67] Vgl. Effizienzfabrik (2016)
[68] Vgl. Kagermann (2013); S. 5, 17, 24
[69] Vgl. PwC (2014), S. 15-17, 12
[70] Vgl. BMWi (2015a), S. 106
[71] Vgl. BMWi (2015b), S. 8, 28, 35
[72] Vgl. Statistisches Bundesamt (2016a), S. 11
[73] Vgl. Statistisches Bundesamt (2016b), S. 53, 56
[74] Vgl. Bauer et al. (2014), S. 30, 36
[75] Vgl. Bauer et al. (2014), S. 36
[76] Vgl. PwC (2014), S. 19-20, 29-31
[77] Vgl. BMWi (2016a)
[78] Vgl. VDA (2016a)
[79] Vgl. VDA (2016b)
[80] Vgl. VDA (2015), S. 31
[81] Vgl. BMWi (2016b)
[82] Vgl. Gevestor (2015)
[83] Vgl. Berylls (2016) ,S. 7
[84] Vgl. BMWi (2016a)
[85] Vgl. Holz (2015), S. 2f.
[86] Vgl. BMWi (2016a)
[87] Vgl. PwC (2014), S. 14
[88] Vgl. PAC (2013), S. 5 und BMWi (2016a)
[89] Vgl. Stegmüller, Zürn (2014), S. 103
[90] Vgl. Fraunhofer-Institut (2013), S. 67f.
[91] Vgl. Siemens (2016a)
[92] Vgl. Huber (2016), S. 245
[93] Vgl. Siemens (2016a)
[94] Vgl. Huber (2016), S. 12
[95] Vgl. Beinke (1997), S. 61
[96] Vgl. PwC (2014), S. 46
[97] Vgl. Huber (2016), S. 54
[98] Vgl. Kleinemeier (2014), S. 572
[99] Vgl. Siepmannn (2016), S. 51f.
[100] Vgl. Huber (2016), S. 234
[101] Vgl. Hänel, Felden (2016), S. 277-279
[102] Vgl. Baum (2013), S. 47-49
[103] Vgl. Ernst & Young (2016), S. 12
[104] Vgl. Hänel, Felden (2016), S. 278f.
[105] Vgl. Capgemini (2014), S. 20
[106] Vgl. Ernst & Young (2016), S. 12
[107] Vgl. Bauer et al. (2014), S. 21
[108] Vgl. Huber (2016), S. 60f.
[109] Vgl. Siepmann (2016), S. 55
[110] Vgl. Huber (2016), S. 62
[111] Vgl. ebenda, S. 234-236
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