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Bachelorarbeit, 2016
52 Seiten, Note: 1,7
I Danksagung
II Zusammenfassung
III Abstract
1 Einleitung
2 Theoretischer Hintergrund
2.1 Einführung der relevanten Begriffe
2.2 Das Gefängnis als Behandlungsort – Kritische Standpunkte
2.3 Risikofaktoren und Tatmerkmale
2.3.1 Risikofaktoren für Erstdelinquenz
2.3.2 Täter-Opfer-Beziehung bei Gewalt- und Sexualdelikten
2.3.3 Risikofaktoren für die Rückfälligkeit
3 Wirksamkeit von Interventionen
3.1 Befunde
3.2 Kosten-Nutzen-Effizienz
4 Zwischen Deliktprävention und Psychotherapie
4.1 Die deliktpräventive Therapie
4.2 Behandlung von persönlichkeitsgestörten Hochrisikostraftätern
4.2.1 Die Grenzen der deliktorientierten Therapie
4.2.2 Psychodynamische Interventionen
4.2.3 Kognitiv-verhaltenstherapeutische Therapie
4.3 Fallbeispiel eines Sexualstraftäters mit Hochrisikofantasien
5 Forensische Nachsorge
6 Diskussion
7 Fazit
IV Literaturverzeichnis
Mein Dank gilt in erster Linie all denen, die mich beim Verfassen dieser Arbeit auf verschiedenste Weise unterstützt und motiviert haben.
Ganz besonders bedanken möchte ich mich bei Frau Prof. Dr. Ebrecht-Laermann, die mich in meinen Ideen und Wünschen stets bekräftigt und ernst genommen hat, wodurch diese Arbeit erst entstehen konnte. Vielen Dank für Ihre Unterstützung und für Ihre Zeit.
Ich möchte mich auch bei meiner Mutter, meinem Vater und meiner Schwester bedanken, die mir selbst in den schwierigsten Situationen mit Rat und Tat zur Seite standen, mit mir diskutiert und die Arbeit Korrektur gelesen haben.
Nicht zuletzt möchte ich mich bei meinen Freunden bedanken, durch deren Kritik und Motivation ich immer wieder neuen Mut gefasst habe.
Die vorliegende Arbeit thematisiert die Frage, ob Gewalt- und Sexualstraftäter aus ethischer und finanzieller Sicht eine Chance auf Resozialisierung erhalten sollten. Die mediale Aufbereitung von Straftaten, insbesondere bei Sexualdelikten, führt oftmals nur zu einer verzerrten und stigmatisierenden Beurteilung in der Allgemeinheit. Die Forderungen nach lebenslanger Haft als Reaktion auf grausame Verbrechen werden demzufolge lauter. Doch ist eine Freiheitsberaubung auf Lebenszeit eine hinreichende Lösung? Die Beantwortung dieser Frage erfordert zunächst einen sachlichen Blick auf die Wirksamkeit therapeutischer Interventionen und die damit verbundenen Kosten im Strafvollzug. Nachdem die Wirksamkeit dieser Maßnahmen bestätigt wurde und der Kostenpunkt durch die Senkung des Rückfallrisikos deutlich unter den Kosten des Regelvollzuges liegt, wird auf Deliktprävention und Psychotherapie im Strafvollzug eingegangen. Etwaige Studien bestätigen, dass durch spezifische Psychotherapie auch bei schwer persönlichkeitsgestörten Delinquenten eine positive Behandlungsprognose gestellt werden kann. Im Verlauf der Arbeit wird deutlich, dass punitive Methoden wie die lebenslange Inhaftierung auf lange Sicht nicht den gewünschten Effekt einer, auch aus ethischer Sicht sicheren Gesellschaft, erzielen. Bis auf wenige Ausnahmen, bei welchen das Rückfallrisiko durch qualifizierte Gutachter als überdurchschnittlich hoch diagnostiziert wird, sollten auch Gewalt- und Sexualstraftäter eine Perspektive auf das Leben in Freiheit nach der Verbüßung einer Strafe erhalten.
The following paper is meant to examine from an ethical as well as a financial point of view, whether violent and sex offenders should be given the chance of rehabilitation. The media coverage of crimes, especially in cases of sexual assault, often only leads to a distorted and stigmatizing evaluation in the general public. In response, the calls for life sentences are getting louder. But is a lifelong incarceration the most efficient solution? Answering this question first requires an objective view on the effectiveness of therapeutic interventions and their associated costs in prison. Due to the confirmed effectiveness and the result that the costs incurred by reducing the risk of recidivism through therapy are significantly lower than the costs incurred by the mere enforcement of sentences (penal system without therapy), hereinafter psychotherapy is presented in more detail. Thus, even offenders suffering from severe personality disorders can be treated successfully. Finally, punitive methods, such as the lifelong imprisonment, do not achieve the desired effect. After serving the sentence, violent and sex offenders should be given a perspective of life in freedom with the exception of such cases in with the risk of relapse is evaluated as above average by a qualified expert.
In den vergangenen Jahren kann in Deutschland und der Welt beobachtet werden, dass Forderungen nach lebenslangen Haftstrafen für Gewalt- und besonders Sexualstraftäter immer lauter werden. Medienwirksame Plattformen wie Facebook, Twitter etc. erleichtern dabei sowohl die Verbreitung als auch die Anonymität gewisser Aufrufe zur Hetze und Diskriminierung und verantworten es, die Risikopopulation der Straftäter noch gefährlicher erscheinen zu lassen. Das Wissen der breiten Masse um die besonderen und erschwerenden Bedingungen der forensisch-therapeutischen Arbeit kann nur in wenigen Fällen, nämlich wenn entsprechende Fachliteratur zur Informationsgewinnung genutzt wurde, als realitätsnah bezeichnet werden. Selbst Politiker, die einen Eid auf das Grundgesetz des Landes geschworen haben, missbrauchen teilweise grausame Straftaten für die eigenen Zwecke (vgl. Schröder, 2001) und schaffen damit bedrohliche Grundlagen für die Behandlung von Straftätern in der Gesellschaft. Die im Hellfeld aufgeführten Verbrechen werden von der Allgemeinheit zerpflückt und die delinquenten Personen selbst an den Pranger gestellt, die Frage nach der finanziellen Unterstützung bei der Behandlung von Straftätern erscheint dabei vielen absurd. Auch das Rechtssystem nutzt aktuell noch vorrangig Methoden der Abschreckung und Strafe, wirkungsvollere Alternativen rücken nur langsam ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Zweite Chancen werden in diesem Kontext scheinbar sehr selten vergeben.
Die vorliegende Arbeit thematisiert die Problematik der Resozialisierung von Straftätern, insbesondere von Gewalt- und Sexualstraftätern, und die damit verbundenen Behandlungsmöglichkeiten. Obgleich vielen die Eingliederung von Delinquenten mit oftmals schweren Persönlichkeitsstörungen abwegig erscheint, stelle ich die These auf, dass alle Straftäter eine Chance auf Resozialisierung erhalten sollten und diese Chance aus finanzieller Sicht zudem günstiger ist als der Regelvollzug. Der Aufbau der Arbeit widmet sich der Rechtfertigung für die erneute Perspektive auf ein freies Leben in der Gesellschaft.
Mein Interesse für die therapeutische Arbeit im forensischen Kontext entstand und wuchs mit dem Aufsatz »Unprovoked Assaults« von Leslie Sohn sowie durch Beiträge von Franziska Lamott, Carine Minne und die ausführlich beschriebenen Fallbeispiele von Hans Werner Reinfried. Zudem stellten die Studienbefunde von Pecher (2005) und die Übersicht der Meta-Analysen von Lipsey und Cullen (2007) einen wichtigen Anhaltspunkt für diese Arbeit dar. Auch die Ausführungen von Jérôme Endrass, Astrid Rossegger, Bernd Borchard und Frank Urbaniok begleiteten mich bei der Ausarbeitung konstant. Die aktuelle forensische Forschung steckt trotz einschlägiger Fachliteratur noch in den Kinderschuhen. Gerade durch das gesellschaftliche Interesse wächst jedoch die Hoffnung, dass die Literatur sich in den nächsten Jahren stetig fortentwickelt und unter anderem spezifische Charakteristika wirksamer Interventionen so weit erforscht werden, dass individuell und effizient auf die Bedürfnisse des Einzelnen eingegangen werden kann. Die Senkung des Rückfallrisikos kristallisiert sich letztendlich konkret als das Ziel zum Schutz der Allgemeinheit heraus.
Aus den Werken vieler Autoren und aus den aktuellen Entwicklungen, den Umgang mit Delikten betreffend, entwickelte sich schließlich die Frage, ob eine therapeutische Behandlung für Gewalt- und Sexualstraftäter im Sinne des Aufwands und der Kosten-Nutzen- Effizienz vertretbar ist. Kann man Straftäter mit schweren Persönlichkeitsstörungen aus ethischer Sicht auf Lebenszeit einsperren? Würde unsere Welt dadurch »weniger böse« werden?
Im weiteren Verlauf der Arbeit sollen die aussagekräftigsten Punkte erläutert werden, die zur Beantwortung der Fragen beitragen. Da hier auf spezielle Tätergruppen Bezug genommen wird, werden zunächst relevante Begriffe, Hintergründe und Besonderheiten – auch die speziellen Bedingungen der Arbeit im Strafvollzug – näher beleuchtet. Bevor man sich fragt, wie ein Täter zu behandeln ist, sollte man unbedingt folgendes überdenken: Welche Gründe können zunächst zum Anlassdelikt und schließlich zur erneuten Delinquenz geführt haben? Im Anschluss soll geklärt werden, wie Therapie als Intervention im Vergleich zu anderen – beispielsweise rein abschreckenden und punitiven – Maßnahmen abschneidet. Denn ob therapeutische Interventionen das Rückfallrisiko senken können, ist im Zusammenhang mit der These von zentraler Bedeutung. Die beispielhafte Berechnung der Kosten-Nutzen-Effizienz vermittelt einen Eindruck darüber, welche Kosten durch den Regelvollzug entstehen und welche wiederum durch Therapie im forensischen Kontext eingespart werden können. Anschließend wird die deliktpräventive Therapie vorgestellt, welche durch therapeutische Ansätze aus verschiedenen Schulen ergänzt werden kann. Gerade bei schwer persönlichkeitsgestörten Straftätern, bei denen die Rückfallwahrscheinlichkeit als hoch eingestuft wird, können die zwei erläuterten Interventionen Anklang finden. Das Fallbeispiel eines Sexualstraftäters soll dem Leser eine Idee davon vermitteln, wie langfristig und – vermutlich genau aus diesem Grund – erfolgreich die deliktorientierte Therapie in der Anwendung verlaufen kann. Zum Ende der vorliegenden Arbeit soll die Relevanz der forensischen Nachbetreuung verdeutlicht werden, bevor die These unter Einbezug aller vorigen Punkte diskutiert wird. Im abschließenden Fazit wird herausgestellt, inwiefern die Frage im Prozess dieser Recherchen neu überdacht und beantwortet werden kann.
Im Folgenden wird ausschließlich die männliche Form für Begriffe wie Gewalt- und Sexualstraftäter bzw. Synonyme wie Delinquenter, Täter, Straftäter, Gefangener, Inhaftierter, Patient, Klient und ähnliche verwendet. Dies dient ausschließlich der Vereinfachung der Schreibweise und des Leseflusses.
Die Interventionsmöglichkeiten im Strafvollzug unterscheiden sich fundamental von der Arbeit im nicht-forensischen Kontext. Zahlreiche Umstände führen zu Einschränkungen, aber auch zu neuen Perspektiven. Im folgenden Abschnitt soll ein Überblick zu den Hintergründen bzw. zu einigen Begriffen der forensischen Forschung gegeben werden, die für das weitere Verständnis unabdingbar sind (übernommen aus Kühn, 2016, S. 3 ff.).
Für den Einstieg in das Themengebiet ist das Verständnis gegenüber dem Sinn und dem Ziel der Therapie im Strafvollzug von großer Bedeutung. Rossegger, Endrass, Urbaniok und Borchard (2012) fassen die Kernaussagen der Deliktprävention prägnant zusammen: »Eine deliktpräventive Therapie ist nicht primär Privatsache des Klienten, sondern hat ein klares, durch die Gesellschaft vorgegebenes Ziel: die Wahrscheinlichkeit einer Deliktbegehung zu reduzieren und die Begehung von (weiteren) Straftaten zu verhindern« (S. 135). Verdeutlicht wird dadurch, dass hier neben dem Schutz des Patienten, also des Straftäters selbst, vor allem der Schutz anderer Personen bzw. der Gesellschaft im Mittelpunkt steht.
Zur adäquaten Behandlung sowie Risiko-Einschätzung eines Straftäters gehören zusätzlich die Rekonstruktionen von Tathergängen, Kausalzusammenhängen und aggressivem Verhalten (Weierstall & Elbert, 2012). Erst wenn man die Geschichte und Motive des Straftäters nachvollziehen bzw. nachverfolgen kann, kann man sich die folgende Frage stellen: durch welche Umstände wurde die Person zu dem Individuum mit diesen und jenen Eigenschaften (ebd.)? Gerade die Auseinandersetzung mit dem weit gefächerten Begriff der Aggression ist im Umgang mit Straftätern basal für das Verständnis. Obwohl die Verwendung des vielfältigen Begriffs meist sehr inkonsistent erfolgt, lassen sich jedoch grundsätzlich zwei – im Wesen unterschiedliche – Formen der Aggression ableiten:
a) die instrumentelle Aggression, die als zielgerichtet, appetitiv und fremdschädigend verstanden wird; und
b) die reaktive Aggression, die dem Schutz dient und meist impulsiv und aus Furcht erfolgt (Anderson & Bushman, 2002).
Nach Anderson und Bushman (2002) umfasst die menschliche Aggression jedes Verhalten, welches gegen eine andere Person gerichtet ist und dazu dient, dieser Person unmittelbar zu schaden, damit ein bestimmtes Ziel erreicht wird. Die Autoren fügen hinzu, dass dem Angreifer dabei bewusst ist, dass er der anderen Person schadet, welche wiederum motiviert ist, den Schaden zu vermeiden (Übers. von Verf., vgl. S. 28). Bei den Überlegungen zu forensischen Patienten, so betont Ruszczynski (2008), sei es grundlegend, die Aggression und Feindlichkeit in deren kränkendem Verhalten zu begreifen (Übers. von Verf., S. 92). Die professionelle Arbeit im forensischen Kontext erfordert daher das Wissen über die Grundlagen menschlicher Aggression, besonders, um relevante Informationen herauszuarbeiten und Arbeiten zu diesem Thema angemessen einschätzen zu können (Weierstall & Elbert, 2012).
Weiterhin sollte ein grundlegendes Verständnis darüber bestehen, worin sich Straftäter voneinander unterscheiden sowie über die daraus folgenden Konzepte zur Risikobeurteilung. Urbaniok (2012) unterscheidet Persönlichkeits- und Situationstäter durch die Ausprägung bzw. das Vorhandensein von prognostischen Syndromen. Dies sind jene risikorelevanten Merkmale, die eine Einschätzung darüber zulassen, wie hoch die Rückfallwahrscheinlichkeit eines Täters ist, da diese Merkmale die Motivationslage zur Begehung eines Delikts bestimmen. Die Motivation für eine Tatbegehung ist bei Persönlichkeitstätern situationsunabhängig und liegt in den risikorelevanten Persönlichkeitsmerkmalen begründet, da diese als stabile Eigenschaften in deren Persönlichkeit verankert sind.
In der Therapie wird der Fokus konkret auf den Deliktmechanismus gelenkt, d.h. auf den Zusammenhang der prognostischen Merkmale und der für die Straftat relevanten Handlungsmotivationen. Darauf basierend wird die Hypothese zum Deliktmechanismus aufgestellt, die die fest verankerten risikorelevanten Merkmale und Verhaltensmuster herausstellt, die die Begehung der Straftat verantwortet oder beeinflusst haben. Im Zentrum des Modells stehen somit die Charakteristika des Deliktverhaltens (Rossegger et al., 2012).
Bei Situationstätern hingegen sind diese risikorelevanten Merkmale nicht oder nur bedingt vorhanden. Die Deliktbegehung erfolgt hier meist aufgrund einer Tatausgangssituation, welcher dann erst die Tatmotivation folgt. Folglich sind grundlegend verschiedene Interventionsprogramme zur Behandlung von Straftätern mit unterschiedlicher Motivation gefragt (Urbaniok, 2012). Da das Tatverhalten bei Situationstätern nicht fest in der Persönlichkeit verankert ist, werden hier oftmals Interventionen der Strafe und Abschreckung genügen. Urbaniok (2012) führt hier als Beispiel das Milgram-Experiment (Milgram, 1963) an. Die »Täter« handelten nicht aus der eigenen Motivation heraus und schufen sich auch keine Situation, um ein Delikt begehen zu können, sondern gerieten in eine spezifische Ausgangssituation. Bei Persönlichkeitstätern hingegen werden strafende Sanktionen nahezu wirkungslos bleiben – die fest verankerten Eigenschaften lassen sich nicht innerhalb kürzester Zeit verändern (Urbaniok, 2012).
Die Einschätzung des Rückfallrisikos bildet folglich das Kernelement der deliktpräventiven Therapie. Zur genauen Einschätzung werden Risk-Assessments genutzt, die entweder klinischer oder mechanischer Art sein können (Rossegger, Endrass, Gerth, 2012). Bei den Risk-Assessments klinischer Art wird der Klient beispielsweise durch einen Psychologen beurteilt, der alle gewonnenen Informationen zusammenträgt und sich anschließend ein Gesamturteil über die Rückfallwahrscheinlichkeit bildet. Die mechanische Methode setzt standardisierte Verfahren ein, die das Rückfallrisiko durch einen vorher festgelegten Auswertungslogarithmus einschätzen. Im Gegensatz zur klinischen Methode ist die Fachkompetenz des Beurteilers hier von deutlich geringerer Bedeutung. Das Forensische Operationalisierte Therapie-Risiko-Evaluations-System (kurz: FOTRES) ist beispielsweise ein mechanisches Risk- Assessment Instrument, das im Jahr 2007 von Frank Urbaniok entwickelt wurde. Es erfolgt anonym am Computer und formuliert eine Hypothese zum Deliktmechanismus, wodurch ein guter Ansatzpunkt für die weitere Einschätzung der Risikosenkung geliefert wird. Seit vielen Jahren besteht eine große Kontroverse darüber, welche Methode die »bessere« sei. Durch eine Zusammenfassung von 20 Primärstudien (Meehl, 1954) wurde der direkte Vergleich erprobt. In 19 von 20 Fällen erzielte die mechanische Methode ein entweder ebenso gutes oder sogar besseres Ergebnis als die klinische Methode, worauf heute die Empfehlung für standardisierte Verfahren basiert. An dieser Stelle sollte dennoch betont werden, dass die klinische Methode für den Einzelfall überlegen und nicht wegzudenken ist. Eine Kombination aus beiden Methoden stellt daher wohl eine gute Lösung dar.
Im dritten Punkt der Arbeit soll geprüft werden, welche Interventionen sich, ausgehend von der Einschätzung des Rückfallrisikos, dahingehend als wirksam erwiesen haben, dass das Rückfallrisiko bei Straf- bzw. Sexual- und damit vorwiegend Persönlichkeitstätern deutlich reduziert werden konnte. Da die forensische Arbeit für alle beteiligten Personen eine Herausforderung unter besonderen Bedingungen darstellt, soll vorab ein Exkurs zum Ort der Behandlung erfolgen.
Im folgenden Exkurs kann das Gefängnis sowohl als eine Organisation (von Rosenstiel, 1987) als auch als eine Institution (Dorsch, 1982) verstanden werden. Die Auseinandersetzung mit Interventionen und Perspektiven im Strafvollzug setzt voraus, dass ein Gefühl dafür entwickelt wird, welche Bedingungen die Arbeit beeinflussen. Welche Komponenten spielen bei der Wechselwirkung zwischen Therapie und Zwangsrahmen eine Rolle? Welchen Herausforderungen sehen sich Therapeuten, Gefangene und die Gesellschaft gegenüber?
Zunächst sticht eines hervor: die Umstände, unter denen gearbeitet und therapiert wird, sind grundlegend von denen außerhalb des Strafvollzugs zu unterscheiden. Das betrifft neben den Therapeuten zusätzlich sämtliche Patienten und andere Angestellte einer solchen Einrichtung.
Welche Konsequenzen können daraus gezogen werden? Das oben aufgeführte Zitat der Autoren Rossegger et al. (2012) beschreibt den markantesten Unterschied zwischen der Zielsetzung einer Therapie innerhalb und außerhalb des Strafvollzugs: es geht primär um die Reduktion der Rückfallwahrscheinlichkeit und nicht um die Privatziele des Patienten oder Therapeuten. In ähnlicher Weise wird dieses Ziel auch im § 2 des Strafvollzugsgesetzes beschrieben: »Im Vollzug der Freiheitsstrafe soll der Gefangene fähig werden, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen (Vollzugsziel). Der Vollzug der Freiheitsstrafe dient auch dem Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten« (StVollzG, 1981, S. 27). Darüber hinaus vertreten die Autoren Rossegger et al. die Ansicht, dass durch eine ablehnende Haltung des Patienten gegenüber der Therapie kaum ein signifikanter Unterschied zwischen den Interessen der Gesellschaft und des Patienten geschlussfolgert werden kann. Denn die Bemühung, ein weiteres Delikt zu verhindern, muss auch im Interesse des Straftäters liegen. Dies sollte den Therapeuten sowie die Institution dazu berechtigen, das Ziel der Behandlung konsequent zu verfolgen, sofern dies auch bei ambivalenter Motivation möglich ist. Schlussfolgernd kann jedoch keine problemlose und einsichtige Beziehung zwischen Patient und Therapeut abgeleitet werden. Eine große Hürde besteht auch nach Pecher (2005) darin, dass der »wahllose« Patient, im Gegensatz zum freiwilligen Klienten, nicht bereit ist, für sich selbst Verantwortung zu übernehmen. Nach Pleyer (1996) darf außerdem nicht ausgeblendet werden, dass, wenn es sich um eine Therapie unter Zwang handelt, nicht nur Patient und Therapeut bei den Gesprächen anwesend sind. »Die eigentlichen Auftraggeber, die den Zwang verhängen, sind mit im Gespräch, ohne anwesend zu sein. Oft existieren sie gar nicht als konkrete Person« (Pleyer, 1996, S. 192). Eine erfolgreiche Arbeit mit dem Zwang, so könnte man schlussfolgern, ist nur möglich, wenn mit dem Therapieverfahren und all seinen Schwierigkeiten und Resultaten transparent umgegangen wird (vgl. Pecher, 2005; Rossegger et al., 2012). Dabei verweisen Rossegger et al. (2012) zusätzlich auf die Empfehlung eines Therapievertrages, in welchem offen dargelegt wird, wie beispielsweise die besondere Regelung der Schweigepflicht gehandhabt wird und welche Rolle dem Auftraggeber dabei zukommt.
Die Frage, ob es Aspekte gibt, die hinsichtlich der Therapie im institutionellen Zwangsrahmen von traditionell geprägten (also nicht psychotherapeutisch orientierten) Einrichtungen zu befürworten wären, beantwortet Binswanger (1978), indem er den starken Kontrast zwischen der Anstaltsatmosphäre und der warmen therapeutischen Haltung hervorhebt. Denn je kühler und kränkender die alltägliche Atmosphäre sich gestalte, umso wohlwollender würde das Therapiesetting empfunden werden. Im Großen und Ganzen gehen die Meinungen vieler anderer Autoren in die Richtung, eine Möglichkeit zur Behandlung bei derart schwierigen Rahmenbedingungen ernsthaft in Frage zu stellen (Pecher, 2005). Fabricius (1991) und Böllinger (1983) können sich dagegen eine erfolgreiche Psychotherapie vorstellen, solange im Gefängnis ein geschützter Raum besteht, in dem es den Patienten ermöglicht wird, Entwicklungen der Ich-Struktur nachzuholen. Forster bringt eine Sichtweise ein, die dem Gefängnis entlastende Auswirkungen auf die Strukturen des Überichs zuspricht (1981). Würden sich »normalerweise« Prozesse der Selbstentwertung und der Selbstbestrafung durch das eigene Gewissen in Gang setzen, so werden sie in diesem Fall von der Strafanstalt übernommen.
Nimmt man einmal von der Perspektive des Gefangenen und des Therapeuten Abstand, fällt eine Berufsgruppe auf, die häufig übergangen wird: Bedienstete im Gefängnis. Also Pflegepersonal, Wärter und andere Beschäftigte (wie ehrenamtliche Mitarbeiter, Gutachter, Begleitpersonen bei Besuchskontakten etc.), folglich jene Personen, die unmittelbar mit den Straftätern in Kontakt stehen. Einige Autoren stellten sich die Frage, was hinter dem Wunsch steckt, so eng und tagtäglich mit Delinquenten zu arbeiten. Alexander und Staub stellten vor einiger Zeit die noch heute aktuelle Überlegung an, dass eine gewisse unbewusste Sympathie zum Täter besteht, die allerdings verdrängt und durch die eifrige Verfolgung des Gesetzesabtrünnigen überkompensiert wird (1929). Dabei dürfte die hier angesprochene Überkompensation nicht allzu schwer fallen, denn, so schreibt Wagner (1985), gerade in Einrichtungen wie Strafanstalten wird vom Personal erwartet, ständig in die selbstständige Alltagsgestaltung der Insassen einzugreifen, sich also stets einzubringen und auch einzumischen. Das Leitmotiv der Hilfsbereitschaft, das gegenüber der Gesellschaft vertreten wird, gerät bei genauerer Betrachtung ins Wanken. An ihre Stelle rückt der Wunsch nach Macht (Guggenbühl-Craig, 1983). Der Aspekt der nach außen hin heldenhaften Tätigkeit deckt jedoch nur einen Teil des gesamten Umfangs dieser Arbeit ab. Auf der anderen Seite stehen in der Hierarchie gerade die Personen »ganz oben«, die mit den Schuldigen am wenigsten Umgang pflegen (Gratz, 1995), sich also nicht mit dem »unreinen« Täter abgeben (Wagner, 1985). Die Arbeitsmotivation der Angestellten kann sich gerade aufgrund des engen Kontaktes zu den Inhaftierten durchaus auf die Verhaltensweisen und auf den Therapieverlauf auswirken.
Der Blick »hinter die Gitter« sollte schließlich dazu dienen, einen Eindruck der Dimension einer solchen Einrichtung zu gewinnen. Erst wenn die wichtigsten Aspekte der Problematik einbezogen werden, lässt sich erfolg-reich über Sinn und Wirksamkeit von Interventionen nachdenken.
Die Begehung eines Deliktes hängt von einigen Faktoren ab. Sogenannte Risikofaktoren beschreiben bestimmte Umstände, die die Wahrscheinlichkeit, eine Straftat zu begehen, erhöhen. Die Autoren Laubacher, Gerth, Gmür und Fries (2012) erforschten »begünstigende« Faktoren, ohne die es vermutlich nicht zu einem Delikt gekommen wäre. Dabei unterscheiden sie zwischen den Risikofaktoren für die Erstdelinquenz und den Risikofaktoren für eine erneute Deliktbegehung, also für die Rückfälligkeit. Der folgende Abschnitt soll einen zusammengefassten Überblick über Tatmerkmale geben sowie über bekannte Faktoren, die in zahlreichen Studien ein erhöhtes Risiko belegen.
Laubacher et al. (2012) beziehen sich zunächst auf psychische Störungen, die die Wahrscheinlichkeit der Begehung eines Gewalt- oder Sexualdelikts erhöhen. Nachdem psychische Störungen als risikoerhöhende Faktoren jahrelang diskutiert wurden, besteht heutzutage weitgehend Einigkeit darüber, dass Menschen mit psychischen Störungen ein vergleichsweise erhöhtes Risiko für eine Deliktbegehung aufweisen (Eronen, Angermeyer & Schulze, 1998).
Obwohl lediglich ein geringer Anteil von etwa 1 % der Bevölkerung an Schizophrenie erkrankt (APA American Psychiatric Association, 1996), ist diese psychische Störung als robuster Risikofaktor für die Begehung einer kriminellen Handlung anzusehen (Laubacher et al., 2012). Zahlreiche empirische Studien mit diversen Stichproben aus verschiedenen Kulturkreisen mit unterschiedlichen Gesundheits- und Justizsystemen stützen diese Annahme, wobei eine Vielzahl von methodischen Designs verwendet wurde. Auch statistische Kontrollen der sozioökonomischen Hintergründe und anderer möglicher Einflüsse ergaben keine veränderten Prävalenzraten von Gewalt- und Sexualdelikten bei Personen, die an Schizophrenie erkrankt sind (Swanson et al., 2006). Soyka, Morhart-Klute und Schöch publizierten im Jahr 2004 eine Studie, in der sie teilweise über 12 Jahre hinweg schizophrene Klienten nach deren Entlassung aus der stationären Behandlung in Deutschland begleiteten. Ihre Untersuchungen ergaben, dass die Wahrscheinlichkeit für Gewaltdelikte gegenüber der Allgemeinbevölkerung etwa fünffach so hoch ist. Auch in Straftäterpopulationen (Gewaltdelikte) entdeckte man erhöhte Prävalenzen von Erkrankungen aus dem schizophrenen Formenkreis (Fazel & Danesh, 2002). Laubacher et al. weisen jedoch darauf hin, dass eine schizophrene Erkrankung nicht per se als gefährlicher Risikofaktor angenommen werden darf (2012). Vielmehr sind es sogenannte »Positivsymptome« wie Verfolgungswahn und imperative Stimmen, welche die Wahrscheinlichkeit einer Deliktbegehung erhöhen. Nicht zu missachten ist der Fakt, dass eine derartige Erkrankung vor allem durch eine gestörte Realitätskontrolle geprägt ist und erste Anzeichen von Gewalt bei betroffenen Personen unbedingt beachtet werden sollten (Laubacher et al., 2012).
Ein weiterer Risikofaktor ist der Substanzmissbrauch. Die Begehung von Gewalt- und Sexualstraftaten erhöht sich mit dem missbräuchlichen Konsum von Drogen und Alkohol (Fazel, Gulati, Linsell, Geddes & Grann, 2009). Gerade der missbräuchliche Alkoholkonsum in Verbindung mit einer Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis führt zu einer deutlichen Risikoerhöhung: Im Jahr 1998 fanden Räsänen et al. eine Prävalenzrate von Gewaltdelikten, die bei Personen mit jener Doppeldiagnose um das 25-fache erhöht war.
In einer dänischen Kohortenstudie werden zudem Persönlichkeitsstörungen wie die dissoziale Persönlichkeitsstörung als risikoerhöhend für Gewalt- und Sexualdelikte identifiziert (Hodgins, Mednick, Brennan, Schulsinger & Engberg, 1996). Auch psychopathische Persönlichkeitseigenschaften korrelieren positiv mit gewalttätigem Verhalten (Lynam, Gaughan, Miller, Mullins-Sweatt & Widinger, 2011).
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