Bachelorarbeit, 2015
62 Seiten, Note: 2
Medien / Kommunikation - Public Relations, Werbung, Marketing, Social Media
1 EINLEITUNG
2 THEORETISCHE SENSIBILISIERUNG
2.1 Werbung
2.1.1 Begriff
2.1.2 Intention
2.1.3 Botschaft
2.1.3.1 Moderne Werbung vs. Postmoderne Werbung
2.1.3.2 Mythos und Vorzugsbedeutung
2.2 Identität
2.2.1 Konzepte
2.2.1.1 Postmodernes Subjekt
2.2.1.2 Subjekt der Aufklärung
2.2.1.3 Soziologisches Subjekt
2.2.2 Identitätsrelevanz des Körpers
2.2.2.1 Körperbild als Selbstbild
2.2.2.2 Körperbiographie als Selbstbiographie
2.3 Medienaneignung
2.3.1 Begriff
2.3.2 Rezeption als Reproduktion
2.3.3 Rezeption als Produktion
2.3.4 Rezeption als Lektüre
3 EMPIRISCHE STUDIE
3.1 Datenerhebung
3.1.1 Experteninterview
3.1.2 Problemzentrierte Interviews
3.2 Datenaufbereitung
3.3 Datenauswertung
3.4 Dateninterpretation
3.4.1 Vorzugsbedeutung des FITINN-Werbesujets mit dem Header ‚Männer pfeifen keinen inneren Werten nach.‘
3.4.2 Der Interviewpartnerinnen Lesarten des FITINN-Werbesujets mit dem Header ‚Männer pfeifen keinen inneren Werten nach.‘
4 FAZIT
5 LITERATURVERZEICHNIS
6 ABBILDUNGSVERZEICHNIS
7 ANHANG
7.1 Experteninterview (E-Mails)
7.2 Transkripte der Problemzentrierten Interviews
7.2.1 Interview mit M
7.2.2 Interview mit N
„Festzustellen, welche Lesarten eines bestimmten Textes von einem bestimmten Teil des Publikums gemacht werden, bleibt Aufgabe der empirischen Untersuchung.“ (Hall 2004b, S. 96)
‚Die fetten Jahre sind vorbei.‘, so der Claim der kontinuierlichen Werbekampagne der österreichstämmigen, international agierenden Diskont-Fitnessstudio-Kette FITINN. Das Werbeobjekt der Kampagne (EI, 63-64), ist das FITINN-Kernprodukt – ein Abonnement (Preis pro Person: 19,90/Monat), das dazu berechtigt, eines der österreichischen FITINN-Studio ein Jahr lang (Mindestvertragsdauer) unbegrenzt oft zu nutzen.
Als primärer Werbeträger der Kampagne fungiert das Internet. Darüber werden unterschiedliche Werbesujets distribuiert, deren Header dem Claim der Kampagne subsumiert sind (EI, 53-59). ‚Männer pfeifen keinen inneren Werten nach.‘, prangt etwa in fett gedruckten und gelb gefärbten Majuskeln auf der Schwarz/Weiss-Fotographie eines Cross-Trainingsgerätes:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1: FITINN-Werbesujet mit Header ‚Männer pfeifen keinen inneren Werten nach.‘ (aus: http://www.werbewatchgroup-wien.at/images/normal/401045_377371768956200_1871176971_n.jpg [07.09.2015])
Die forschungsleitende Fragestellung der vorliegenden Bachelor-Arbeit lautet wie folgt:
Auf welche Art lesen junge Frauen, die regelmäßig Körperarbeit verrichten, das FITINN-Werbesujet mit dem Header ‚Männer pfeifen keinen inneren Werten nach.‘?
Das Gefragte sind nicht etwa Medienwirkungen, sondern conditiones sine quibus non von Medienwirkungen:
„Damit diese Nachricht [analog: das Sujet] also einen >Effekt< (wie auch immer definiert) haben kann, ein Bedürfnis befriedigen oder eine >Nutzen< bringen kann, muss sie zunächst als sinntragender Diskurs angenommen und entsprechend dekodiert werden. Es ist diese Reihe von dekodierten Bedeutungen, die >eine Wirkung haben<, die beeinflussen, unterhalten, instruieren oder überzeugen …“ (Hall 2004a, S. 69).[1]
Die basale theoretische Prämisse dieser Arbeit ist deutlich vom Symbolischen Interaktionismus (SI) inspiriert, lautet sie doch: Einer medialen Aussage eignet keine objektive Bedeutung.[2] Es ist notwendig, von dieser These auszugehen, da es müßig wäre, eine empirische Fahndung nach Lesarten besagten Sujets einzuschalten, stünde seine Bedeutung a priori fest.
Uwe Flick (2002) qualifiziert den SI als wissenschaftliche Tradition, worin eine qualitative Methodologie steht, die darauf ausgelegt ist, subjektiven Sinn zu entdecken. Ein solcher Ansatz erhebt „die unterschiedlichen Weisen [..] in denen Subjekte Gegenstände, Ereignisse, Erfahrungen etc. mit Bedeutung versehen“ (S. 35), zum Pivot empirischer Sozialforschung. Daher ist geboten, dass auch das methodische Vorgehen zu den Lesarten des Sujets symbolisch-interaktionistischen Charakter trägt.
Weiteres Geleit nimmt das methodische Vorgehen dieser Arbeit von einer spezifischen Auffassung von Theorie, desgleichen ihrer Relation zur Empirie: Im Sinne der Grounded Theory à la Glaser/Strauss erscheinen Theorien mitnichten als Abbilder von Weltausschnitten, sondern vielmehr als Vorverständnisse von Unter-suchungsgegenständen, die mit Daten aus dem Feld auseinandergesetzt und dadurch überholt werden sollen (vgl. ebd., S. 72f.). Dementsprechend liefert der erste Abschnitt des Hauptteils dieser Arbeit (Kap. 2) theoretische Kategorien, die im zweiten Abschnitt (Kap. 3) mit Selbstauskünften aus Interviews nicht veri- oder falsifiziert, sondern mit subjektivem Sinn konkretisiert werden.
Dieser Abschnitt umreißt die forschungsleitende Fragestellung (siehe Einleitung, S. 5) unter drei theoretischen Gesichtspunkten: 1. Werbung (Kap. 2.1), 2. Identität (Kap. 2.2), 3. Medienaneignung (Kap. 2.3); Diese Analyse exponiert die aus Fachliteratur gespeiste Vorerfahrung, die der Verfasser dieser Arbeit in den Untersuchungsgegenstand einbringt. Aus dieser Vorerfahrung ergibt sich wiederum „theoretische Sensibilität“ (Strauss/Corbin 1996, S. 25ff.), die sich darin niederschlägt, dass der empirischen Studie (Kap. 3) mindestens zwei Ressourcen bereitgestellt werden: 1. thematische Bereiche für die Datenerhebung (Kap. 3.1), 2. ein begriffliches Instrumentarium zur Interpretation der aufbereiteten und ausgewerteten Daten (Kap. 3.4);
Im Folgenden werden zunächst (Kap. 2.1.1) drei Aspekte von Werbung (Werbeobjekt, -mittel/-träger, -intention) aus einer exemplarischen Definition des Werbungsbegriffes erschlossen. Sodann (Kap. 2.1.2) wird einer dieser Aspekte, nämlich die Intention von Werbung, unter die Lupe genommen. Schließlich (Kap. 2.1.3) wird ein weiterer Aspekt, den die Definition nicht explizit einschließt, eingeführt und präzisiert, nämlich die Werbebotschaft.
‚Werbung‘ und ‚strategische Kommunikation‘ sind synonym. Diese Bedeutungs-äquivalenz fundiert in nachstehender Definition (Siegert/Brecheis 2005, S. 24):
„Werbung ist ein geplanter Kommunikationsprozess und will gezielt Wissen, Meinungen, Einstellungen und/oder Verhalten über und zu Produkten, Dienstleistungen, Unternehmen, Marken oder Ideen beeinflussen. Sie bedient sich spezieller Werbemittel und wird über Werbeträger wie z. B. Massenmedien und andere Kanäle verbreitet.“
Diese Definition integriert die folgenden beiden Aspekte von Werbung (Weber/Fahr a.a.O., S. 334): 1. Werbung ist nicht schlicht Werbung für materielle Wirtschaftsgüter, werden doch vielmehr Produkte, Dienstleistungen, Unternehmen, Marken und Ideen beworben. 2. Zu dieser Vielzahl und -falt der Werbeobjekte gesellt sich die Vielzahl und -falt der Werbemittel und -träger. Christian Behrens (1976, S. 20f.) zufolge lassen sich Werbeformen u.a. nach Art der Werbemittel (z.B. Anzeigenwerbung) und Werbeträger (z.B. Zeitungswerbung) unterscheiden.
Einer konkreten Werbung mag ein unverwechselbares Mittel, ein unverwechselbarer Träger und ein unverwechselbares Objekt eignen; was aber alle Werbungen prinzipiell teilen, ist Intentionalität, i.e. absichtsvoller Charakter. Worin die Absicht besteht, wird nun erläutert.
Werbung verfolgt das operative Ziel, Wissen, Meinungen, Einstellungen und/oder Verhalten gegenüber einem Werbeobjekt zu beeinflussen. Wird dieses Ziel erreicht, so wird ein höheres Ziel – nämlich ein strategisches – erreicht (vgl. Weber/Fahr a.a.O., S. 334). Die Vielzahl und -falt der beabsichtigten Wirkungen lässt sich wie folgt systematisieren (Felser 2001, S. 10ff. zit. n. Weber/Fahr a.a.O., S. 334f.; Herv. d. Verf.):
„1. Werbung möchte informieren. Auch wenn im Bereich der Absatzwerbung Information häufig eine untergeordnete Rolle spielt, soll Werbung häufig Informationsleistungen erbringen. So kann sie zur Deckung eines grundsätzlichen Informationsbedarfs hinsichtlich des verfügbaren Angebots beitragen. Darüber hinaus sollen bei bestimmten Werbeobjekten deren Eigenschaften und Hinweise zur Verwendung kommuniziert werden.
2. Werbung möchte unterhalten. Werbekommunikation ist mit bestimmten ästhetischen Ansprüchen konfrontiert, die sie befriedigen soll. Insbesondere Werbebotschaften, die über Massenmedien kommuniziert werden, sollen Unterhaltungserleben ermöglichen, was den übrigen Werbezielen zu Gute kommen soll.
3. Werbung möchte motivieren, d. h. sie soll Anreize schaffen, sich dem Werbeobjekt zuzuwenden (z. B. Werbung für gesunde Lebensmittel) oder auch sich von ihm abzuwenden (z. B. Werbung gegen Rauchen mittels Furchtappellen).
4. Werbung kann sozialisieren, indem sie Verhaltensmöglichkeiten aufzeigt oder Modelle für bestimmte Verhaltensweisen (Konsumverhalten oder Gesundheits-verhalten) bereitstellt.
5. Werbung möchte verstärken, i. d. R. also Belohnungen für das intendierte Verhalten bereitstellen, z. B. indem positive Assoziationen zum Werbeobjekt aufgebaut und gefestigt werden.“
„Unter Werbung versteht man in der Regel die möglichst überzeugend präsentierte Verkaufs botschaft […]“ (Mast 2002, S. 20; Herv. d. Verf.), deren formale Struktur sich durch Abhebung postmoderner Werbung von moderner Werbung (Kap. 2.1.3.1) und einen Exkurs in semiotisch geprägte Begrifflichkeit (Kap. 2.1.3.2) entrollen lässt.
Seit den Siebziger Jahren beginnt sich ein Übergang von moderner Werbung zu postmoderner Werbung abzuzeichnen. Medien und insbesondere Werbung bieten nicht mehr nur konkrete Bilder an, sondern auch abstrakte Mythen. Während moderne Werbung Dinge und Personen zeigt, wie sie sind, zeigt postmoderne Werbung Dinge und Personen, wie sie im Idealfall sein könnten (vgl. Marschik 1997, S. 65).
Nachstehendes Sujet ist typisch für moderne Werbung, die mit konkreten Bildern operiert:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 2: Modernes Werbesujet (aus: Marschik 1997, S. 68)
Das Produkt (Karotten der Marke ‚Süße Susi‘) wird in ästhetisch attraktiver Aufmachung (adrettes Arrangement von Karotten) abgebildet und ist klar unterscheidbar von der Idee, die zum Kauf animieren soll (Karotten sind ‚neu‘ und ‚frisch‘) (vgl. ebd., S. 67).
Nachstehendes Sujet ist typisch für postmoderne Werbung, die mit abstrakten Mythen operiert:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 3: Postmodernes Werbesujet (aus: Marschik 1997, S. 69)
Gegenüber dem modernen Sujet sind Produkt (Parfüm der Marke ‚Kenzo‘ namens ‚Jungle‘) und Idee, die zum Kauf animieren soll, nicht strikt getrennt. Das nicht ohne weiteres erkennbare Produkt verschmilzt mit einer abstrakten mythischen Botschaft. Der abgebildete Frauenkörper, der Name des Parfüms und das Parfüm stehen in keinem unmittelbaren Zusammenhang. Die Bilder sollen mit einem bestimmten erstrebenswerten Lebensstil assoziiert werden (vgl. ebd., S. 69f.).
Werbung reiht sich in die Riege jener gesellschaftlichen Kontexte, worin idealisierte Darstellungen (z.B. idealisierte Körperdarstellungen wie Schönheit, Schlankheit, Jugendlichkeit) oft und immer öfter kommuniziert werden. Diese Darstellungen heben darauf ab, dass die Rezipientinnen und Rezipienten mit sich unzufrieden werden, so sie sich mit den Idealen vergleichen. Die Werbung suggeriert, man sei imstande, die Differenz zwischen sich selbst und einem besseren Leben zu überbrücken, indem man das angebotene Produkt kaufe (vgl. Holzwarth 2004, S. 1).
„Durch die wiederholte Darstellung dieser Ideale wird dem Adressaten der Werbung nahe gelegt, die Kluft zwischen seinem Ist-Zustand und dem medial propagierten Soll-Zustand über den Kauf des Produktes zu überwinden. Es wird also nicht nur die Wahrnehmung eines Defizits angeregt, sondern es wird über den Hinweis auf ein Produkt gleichzeitig auch eine Lösung angeboten.“ (ebd.)
„Es ist der Werbung bzw. dem kapitalistischen Wirtschaftssystem zum Vorwurf zu machen, dass die Suche nach Identität und Orientierung ökonomisch ausgebeutet wird“ (ebd., S. 2).[3] Menschen stehen unter Konkurrenzdruck, und daher müssen sie sich anderen als einzigartige Persönlichkeiten darstellen. Die Werbung legt nahe, dies sei realisierbar, so man sich bestimmte Symbole – von Werbung freilich angeboten – per Konsum beschaffe. Dadurch werden Zugehörigkeit und Abgrenzung zum Ausdruck gebracht und die Umwelt mit Informationen versorgt, die darin wiederum ein Bild vom Individuum entstehen lassen. Insofern sind die Konsumangebote der Werbung gleichsam Identitätsmuster (vgl. ebd.).
Hier soll unter einem ‚Mythos‘ ein Zeichen verstanden werden , als dessen Signifikant ein anderes Zeichen fungiert; die Vorzugsbedeutung des anderen Zeichens ist das Signifikat des Mythos. Eine Vorzugsbedeutung ist also Komponente eines Mythos.
Diese Definition ist eine Synthese von 1. Ferdinand de Saussures Zeichen-Modell,
2. Roland Barthes' Mythos-Schema und 3. Stuart Halls Konzept der Vorzugsbedeutung.
1. Der Schweizer Sprachwissenschafter Ferdinand de Saussure (1857-1913) hat ein dyadisches Zeichenmodell entwickelt. Diesem zufolge setzt sich ein sprachliches Zeichen aus zwei psychischen Größen zusammen. Erstens: Der Signifikant (Bedeutendes) bildet die Ausdruckskomponente des Zeichens – er ist eine mentale Vorstellung (Bild) von einer (akustischen) Lautkette. Zweitens: Das Signifikat (Bedeutetes) bildet die inhaltliche Komponente des Zeichens – es ist ein Konzept (Begriff), das aus Abstraktion von gleichartigen konkreten Objekten der außersprachlichen Welt resultiert. Signifikant und Signifikat stehen im Verhältnis reziproker Evokation: Der Signifikat ruft das Signifikat hervor, das Signifikat ruft wiederum den Signifikant hervor (vgl. Bentele/Bystřina 1978, S. 44f.).
Der Zusammenhang von einem Bedeutenden und einem Bedeuteten ist nicht naturwüchsig oder beliebig, sondern beruht auf einem Code (vgl. Hall 1997, S. 23). Ein Zeichen verfügt nach Saussure über eine denotative Bedeutung und eine konnotative Bedeutung. Erstere ist ein Signifikat, das gemäß konventionellem Code mit dem Signifikant verknüpft ist. „ Denotation is the simple, basic, descriptive level, where consensus is wide and most people would agree on the meaning“ (ebd.). Die konnotative Bedeutung ist ein zusätzliches Signifikat, das gemäß einem umfassenden kulturellen Kode mit dem Signifikant verknüpft ist.
„At the second level – connotation – the signifier [...] enters a wider, second kind of code [...] which connects [it] to broader themes and meanings [...].“ (ebd.)
“This second, wider meaning, is no longer a decriptive level of obvious interpretation. Here we are beginning to interpret the signs in terms of the wider realms of social ideology – the general beliefs, conceptual frameworks and value systems of society.” (ebd., S. 24) 2. Barthes fasst den Mythos ins folgende Schema:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 4: Schema des Mythos (aus: Barthes 1964, S. 93)
Die wesentlichen Strukturmomente des Mythos (Zeichen, Bedeutendes, Bedeutetes) gleichen jenen des Zeichenmodells à la Saussure. Barthes bringt diese Momente in den folgenden Zusammenhang:
„Man sieht, dass im Mythos zwei semiologische Systeme enthalten sind, von denen eines im Verhältnis zum andern verschoben ist: ein linguistisches System, die Sprache (oder die ihr gleichgestellten Darstellungsweisen), die ich Objektsprache nenne – weil sie die Sprache ist, deren sich der Mythos bedient, um sein eigenes System zu errichten – und der Mythos selbst, den ich Metasprache nenne, weil er eine zweite Sprache darstellt, in der man von der ersten spricht.“ (ebd.)
„Aber der Mythos ist insofern ein besonderes System, als er auf einer semiologischen Kette aufbaut, die bereits vor ihm existiert; er ist ein sekundäres semiologisches System. Was im ersten System Zeichen ist (das heißt assoziatives Ganzes eines Begriffs und eines Bildes), ist einfaches Bedeutendes im zweiten.“ (ebd., S. 92)
3. Nach Stuart Halls (1932-2014) ‚Encoding/Decoding‘-Modell (1980 zit. n. Franz 2008, S. 111f.) ergeht per medialem Text die Aufforderung des Produzenten an den Rezipienten, den Text auf eine bestimmte Art zu lesen, welche die herrschende Ideologie reproduziert (Vorzugsbedeutung). Wer die Kontrolle über ein Medium innehat – wer Produktionsmittel sein eigen nennt –, strebt nach Hegemonie: es wird versucht, Hoheit darüber zu erlangen, welche Bedeutung das Publikum der Medienaussage beilegt (vgl. Hall 2004b, S. 91f.). „Ein Traum der Macht – keine Echozeichen auf dem Fernsehbildschirm, nur ein völlig passives Publikum“ (ebd., S. 92). Ein medialer Text ist somit weder völlig geschlossen noch völlig offen, ist in ihm doch ein Fingerzeig der Produktion eingebaut – ‚Lies so!‘ (vgl. ebd., S. 91f.).
Die bislang gewonnen Einsichten über Mythos und Vorzugsbedeutung lassen sich im Hinblick auf das gegenständliche Sujet wie folgt ausbuchstabieren:
Das FITINN-Sujet ist ein empirisches Faktum, eine materielles (technisch realisiertes), mithin sinnlich wahrnehmbares (u.a. sichtbares) Produkt, das bei semiotischer Betrachtung als Text, i.e. als Gewebe (lat. textus = Zusammenhang) von Signifikanten erscheint. Die beiden Signifikanten, die in optischer Hinsicht hervorstechen, sind eine Fotographie eines Trainingsgerätes und der Slogan ‚Männer pfeifen keinen inneren Werten nach.‘. Insofern das Foto und der Slogan Signifikanten sind, insofern verfügen sie über je ein Signifikat, insofern sind beide auch Zeichen: das Foto nämlich ein ikonisches – auf Ähnlichkeit mit seinem Signifikat beruhendes –, der Slogan nämlich ein symbolisches – auf Konvention beruhendes – Zeichen.[4] Avanciert das Sujet zu jemandes Gegenstand der Wahrnehmung, wird es also perzipiert, wecken die Signifikanten eine Vorstellung im Perzipienten, gleichkommend einer Beschreibung des Sujets, die weitere Perzipienten teilen. Nicht genug dieser Bedeutung auf denotativer Zeichen-Ebene: FITINN steht der Sinn danach, kraft Sujet noch etwas zu bedeuten und dies bei allen Perzipienten hervorzurufen. Dabei handelt es sich um die Vorzugsbedeutung auf konnotativer Zeichen-Ebene.
Im Folgenden werden zunächst (Kap. 2.2.1) drei Konzepte von Identität besprochen, die sich mit Stuart Hall (2002) zu den Formeln „postmodernes Subjekt“ (Kap. 2.2.1.1) „Subjekt der Aufklärung“ (Kap. 2.2.1.2) und „soziologisches Subjekt“ (Kap. 2.2.1.3) verdichten lassen. Weiters (Kap. 2.2.2) wird die Relevanz des Körpers für Identität dargelegt. So ist zum einen (Kap. 2.2.2.1) das Körperbild (erste exemplarische Körperdimension) für das Selbstbild (erste exemplarische Identitätsdimension) bedeutsam, zum anderen (Kap. 2.2.2.2) die Körperbiographie (zweite exemplarische Körperdimension) für die Selbstbiographie (zweite exemplarische Identitäts-dimension).[5]
Das erste Konzept wurde hier ausgewählt, weil es in Rechnung stellt, dass Identität unter den kontemporären kulturellen und gesellschaftlichen Bedingungen notwendig projektiven Charakter trägt. Das zweite Konzept ist nicht plausibel, blendet es doch aus, dass Identität attribuiert wird. Daher dient dieses – dem philosophischen Essentialismus verpflichtete – Konzept lediglich als Kontrastfolie für das dritte Konzept. Ausgehend von der Begrifflichkeit (v.a. ‚signifikante Andere‘, ‚generalisierte Andere‘), welches das ‚soziologische Subjekt‘ bietet, lässt sich eine Brücke zur theoretischen Begründung der Identitätsrelevanz des Körpers schlagen.
„Die persönliche […] Identität steht in unserer Zeit, die wohl nicht zu unrecht als ‚postmodern‘ bezeichnet wird, immer mehr zur Diskussion.“ (Marschik 1997, S. 63)
Der Terminus ‚Postmoderne‘ wird im wissenschaftlichen Diskurs – insbesondere in den Cultural Studies – laufend aufs Tapet gebracht. Er meint die spezifische conditio humana der kontemporären westlichen Gesellschaft. Selbige ist geprägt von der Erosion tradierter Institutionen (Werte-, Normensysteme) und der Pluralität von Lebensentwürfen. Geworfen in diese unübersichtliche Situation, regt sich Unsicherheit im Individuum; ständig muss es Entscheidungen treffen, immer wieder erprobt es eine neue Identität (vgl. Roth 2006, S. 46f.).
Für die Postmoderne ist also charakteristisch, dass in ihr kein monolithischer Lebensstil mehr herrscht. So ist etwa die traditionelle Großfamilie nicht mehr das Familienmodell par excellence, man denke etwa nur an Patchwork-Familien. Oder man denke an Erwerbsarbeit: Der Arbeitsplatzwechsel im Laufe des Lebens erscheint nun wahrscheinlicher als je zuvor (vgl. Wegener 2008, S. 43f.). Familie und Erwerbsarbeit – und auch Freundschaft, Liebe, die höchsteigene Lebensphilosophie (Werte, Normen) – sind Säulen der Identität des einzelnen Menschen (vgl. ebd., S. 42f.), also dessen, was den „Einzelnen zum Einzigartigen macht“ (Luca 1998, S. 163).
Die Säulen der Identität sind in der Postmoderne ins Wanken gekommen. Daher müssen wir kontinuierlich und lebenslang Arbeit an ihnen verrichten (vgl. Wegener a.a.O., S. 40f.). Identitätsarbeit umfasst „[a]lle Bemühungen des Individuums, die der Identitätsbildung dienen und die aktive Suche nach der Antwort auf die Frage ‚Wer bin ich?‘ zum Ausdruck bringen“ (Luca a.a.O., S. 163);
Diese Bemühungen tragen selbstreflexiven Charakter, weil das Individuum kraft ihrer diverse Inhalte seiner Erfahrung synthetisiert (vgl. ebd.). Es nimmt daher nicht wunder, dass Identität in sozialpsychologischen Debatten über die Postmoderne als ‚Konstrukt‘ verstanden wird, (vgl. Wegener a.a.O., S. 40), als ‚Weg‘, und nicht als Ziel (vgl. ebd., S. 42).
Gemäß antiker Philosophie eignet jeglichem Ding eine Essenz. Da diese so etwas wie ein invarianter Kern ist, bleibt das Ding immer es selbst – dieses Verhältnis, diese Sich-Selbst-Gleichheit, wird aus dieser Sicht mit ‚Identität‘ gemeint (vgl. Krotz 2003, S. 28f.).
Dass das essentialistische Konzept auch Menschen einschließt, geht daraus hervor, dass ihm ‚individualistischer‘ Charakter attestierbar ist, insofern es auf der folgenden Prämisse beruht: die menschliche Person als vernunftbegabtes, handlungsfähiges und sich seiner selbst bewusstes Lebewesen; dem dergestalt gedachten Subjekt eignet ein solider innerer Kern, der im Laufe des Lebens mit sich selbst gleich – eben mit sich selbst identisch – bleibt (vgl. Hall 2002, S. 181).
Zwar trifft das essentialistische Identitätskonzept schlechterdings auf eine Welt zu, für die Dinge in ihrer Materialität konstitutiv sind (vgl. Krotz a.a.O., S. 29); doch unterstreicht der Symbolische Interaktionismus (SI) die Vordringlichkeit, Identität in non-essentialistischer Manier zu fassen:
[...]
[1] In diese Bresche schlägt auch Niklas Luhmann (1927-1998) in seiner Theorie sozialer Systeme (1984 zit. n. Esser 2000, S. 29f.): Der elementare Kommunikationsprozess erscheint darin als Sequenz, die von Selektionen der beteiligten Akteure durchdrungen ist, wobei affektive, kognitive und konative Effekte auf den Empfänger dem Verstehen der Mitteilung nach gelagert sind.
[2] Für einen tieferen Einblick in den Symbolischen Interaktionismus siehe Kap. 2.2.1.2.
[3] Die Suche nach Identität und Orientierung ist typisch für die Postmoderne. Siehe dazu
Kap. 2.2.1.1.
[4] Die Zeichentheorie unterteilt Zeichen in drei Klassen: Index, Ikon, Symbol; nähere Auskunft darüber erteilt Claus Beck (2007), S. 22ff.
[5] Der kulturwissenschaftliche Subjektbegriff subsumiert den Identitätsbegriff, denn einem Subjekt inhäriert immer auch, dass es sich selbst in besonderer Weise versteht (vgl. Reckwitz 2008, S. 17). Ein Subjekt ist eine kulturelle Form, welche ein Mensch – eingebettet in einen spezifischen sozio-historischen Kontext – annimmt, um zu einem vollwertigen und kompetenten Wesen zu werden. Der Prozess, wodurch der einzelne Mensch zu einem Subjekt wird, namentlich Subjektivierung, wird von Praktiken des Subjekts induziert (vgl. ebd., S. 9f.).
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