Masterarbeit, 2017
77 Seiten, Note: 2
1. Einleitung
2. Historische Kontextualisierung
2.1 Zweiter Zusatzartikel zur Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika
2.2 Die Relevanz der Waffenkultur in den USA – Vergangenheit und
Gegenwart
3. Frauen und Waffen in den USA – Emanzipation und Feminismus versus Angst und Verletzlichkeit
3.1 Geschlecht: „Men (especially perhaps gun-wielding sportsmen) are potential rapists, women (especially left-leaning feminists?) potential victims“ (Zeiss Stange; Oyster 2000: 37)
3.2 Ethnische Herkunft und Sozialer Status: „Women who own firearms come in all shapes and sizes, ages, and backgrounds” (Zeiss Stange; Oyster 2000: 61)
3.3 Waffen als modisches Accessoire – „Pistolen in Pink und Halterungen im BH: Die Hersteller von Schusswaffen haben amerikanische Frauen als lukrative Zielgruppe entdeckt“ (Werner 2013: 1)
4. Öffentliche Debatte – Pro- und Kontrapositionen im 21. Jahrhundert.
5. Fazit.
Bibliografie
In meiner Masterarbeit mit dem Titel Frauen und Waffen in den USA: „God made men and women. Sam Colt made them equal.“ (Süddeutsche Zeitung 2013: 1) möchte ich mich mit dem kontroversen und in der Öffentlichkeit zunehmend häufiger diskutierten Thema um die steigende Popularität des Waffenbesitzes US-amerikanischer Frauen beschäftigen.
Bereits seit einigen Jahren wird in den Medien vermehrt über eine wachsende Anzahl von US-amerikanischen Waffenbesitzerinnen und deren Auswirkungen auf die Gesellschaft berichtet. In „the guardian“ berichtet Jessica Glenza (2015: 1) beispielsweise, dass es vermehrt zu tödlichen Unfällen durch den missbräuchlichen Einsatz von Schusswaffen durch Kinder, die besonders leichten Zugriff auf die Waffen haben würden, wenn diese sich zum Beispiel in den Handtaschen ihrer Mütter befänden, käme. Die „The Washington Post“ (Larimer 2016: 1) und „CNN“ (Martinez; Marco 2014: 1) thematisieren diesbezüglich konkrete Vorfälle, in denen US-amerikanische Mütter beim Autofahren oder Einkaufen durch den abusiven Schusswaffengebrauch ihrer Kinder ums Leben kamen.
Doch wie ist die stetig wachsende Popularität des Waffenbesitzes US-amerikanischer Frauen zu erklären? Spielen hierbei Angst und Verletzlichkeit und/oder Emanzipation eine Schlüsselrolle?
Darüber hinaus ergeben sich weitere bedeutsame Fragen, deren Thematisierung dazu beitragen wird, der Grundfrage um die steigende Popularität des Waffenbesitzes unter US-amerikanischen Frauen auf den Grund zu gehen:
Stärkt Waffenbesitz die Unabhängigkeit des Individuums? Inwiefern spielen Kategorien wie die „Ethnische Herkunft“ und der „Soziale Status“ eine Rolle im Hinblick auf das Thema Frauen und Waffen in den USA ? Was ist die Motivation US-amerika-nischer Frauen sich mit Waffen als modisches Accessoire zu schmücken? Und kann Waffenbesitz als Teil einer feministischen Neudefinition angesehen werden?
Bereits der Titel der Masterarbeit weist darauf hin, dass die dort angesprochene Gleichstellung von Männern und Frauen und Themen wie Emanzipation und Feminismus eine wichtige und markante Rolle bei der Debatte um Frauen und Waffen in den USA spielen werden.
Mit den oben aufgeführten Fragen, die einerseits für die Öffentlichkeit und andererseits für die Wissenschaft von großem Interesse und von enormer Relevanz sind, möchte ich mich auseinandersetzen. Hierzu werde ich mich in der kritischen Analyse zum Einen auf ausgewählte Sekundärliteratur konzentrieren und zum Anderen (in Kapitel 3. sowie in dessen Unterkapiteln) auf ausgesuchte Primärliteratur, wie zum Beispiel Zeitungsartikel oder Videos.
Ziel der Masterarbeit ist es, den oben aufgeführten Fragen nachzugehen und die widersprüchliche Entwicklung von Waffen und Weiblichkeit in den USA zu hinterfragen.
Um der widersprüchlichen Entwicklung von Waffen und Weiblichkeit in den USA auf den Grund zu gehen, ist es zunächst von zentraler Bedeutung, sich mit dem Zweiten Zusatzartikel zur Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika sowie mit der Relevanz der Waffenkultur in den USA, in der Vergangenheit und Gegenwart, auseinanderzusetzen.
Aufgrund dessen möchte ich in den folgenden zwei Kapiteln den Grundstein für meine spätere kritische Analyse das Thema Frauen und Waffen in den USA betreffend legen.
Im Zweiten Zusatzartikel zur Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika steht geschrieben: „A well regulated Militia, being necessary to the security of a free State, the right of people to keep and bear Arms, shall not be infringed“ (NRA-ILA 2017: 1).
Dieser und neun weitere Zusatzartikel zur Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika gehören zu den „Bill of Rights“, wurden am 25.09.1789 vom amerikanischen Kongress beschlossen und von elf Bundesstaaten gegengezeichnet. Die Ratifizierung wurde am 15.12.1791 abgeschlossen (vgl. usembassy.de).
Nur wenige Jahre zuvor, 1783, fand der Amerikanische Unabhängigkeitskrieg gegen die britische Kolonialmacht einen siegreichen Abschluss und führte zur Entstehung der Vereinigten Staaten von Amerika (vgl. 3sat.de 2012: 1). Unter der Herrschaft der Kolonisatoren „[...] waren die Farmer entwaffnet worden - die Kolonisatoren hatten so einem möglichen Aufstand vorgebeugt. Mit dem Zweiten Zusatzartikel zur Verfassung sollte sich nun auch der Wille einer neu gegründeten Nation ausdrücken, sich nicht und von niemandem mehr unterjochen zu lassen“ (3sat.de 2012: 1).
Der Zweite Zusatzartikel zur Verfassung der Vereinigten Staaten führt jedoch seither und zunehmend häufiger zu kontroversen Diskussionen. Deborah Homsher (2015: 208) weist beispielsweise drauf hin, dass dieser eine Satz, der den Zweiten Zusatzartikel zur Verfassung der Vereinigten Staaten bildet, vor mehr als 200 Jahren von Männern, die in einer ganz anderen Welt als der heutigen lebten, verfasst wurde:
[...] [A] different world – before repeating rifles, before the infected, intestinal rending of the Civil War and the liberation of the nation’s slaves, before the enfranchisement of women, before anesthesia, antibiotics, electrical outlets, photographic film, automobiles…add to the list all technological advances in me-dicine, communications, transportation, and weaponry developed in the last two hundred years. And when these men wrote referring to the “people” – “the right of the people to keep and bear Arms shall not be infringed” – they did not mean to include servants, slaves, vagabonds, or females (Homsher 2015: 208).
Homsher wirft damit folgende Fragen auf: Sollte ein Abkommen, das vor über 200 Jahren geschlossen wurde, mit der Zeit gehen? Das heißt, sollte es überprüft und gegebenenfalls überarbeitet werden, um auf diese Art und Weise den Ansprüchen und Gegebenheiten der heutigen Welt gerecht zu werden?
Des Weiteren macht Deborah Homsher darauf aufmerksam, dass in jenem Abkommen offenbar Sklaven, Diener, Vagabunden und Frauen nicht der Kategorie „people“ zugehörig waren. Somit schien sich der Zweite Zusatzartikel zur Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika zu jener Zeit ausschließlich an weiße Männer der Mittel- und Oberschicht zu richten.
Ferner spricht Homsher die offensichtliche Veränderung an, die stattgefunden hat und die heutige Welt von der damaligen ohne Zweifel unterscheidet:
The fact that the Constitution was composed in such a different time, and that it named entities that have altered drastically since that time – the states, the government, the people – challenges, but never completely defeats, those who use the document as a guide for cotemporary government (Homsher 2015: 208).
Das Zitat verdeutlicht jedoch gleichzeitig, dass eine unumstrittene Veränderung nicht zwangsläufig zu einem Umdenken beziehungsweise zu einer ganz konkreten Änderung des Gesetzestextes führen muss.
Diese Tatsache ist nur schwer zu akzeptieren, wenn in Betracht gezogen wird, dass der Zweite Zusatzartikel nicht nur vor mehr als 200 Jahren verfasst wurde, sondern darüber hinaus aus lediglich einem einzigen Satz besteht, dem es zudem an Genauigkeit und Details fehlt:
The Constitution[, for instance,] did not explain how a “well regulated” militia would be created from such a disparate collection of male gun owners. It would require a people practiced in devotion to the common good, but already the people were showing themselves to be headstrong, diverse, and unreliable. […] The authors of the Constitution had been scrupulous in designing a go-vernmental machine that relied on the people for its power and could be altered by the people when they chose. This made it very difficult to imagine when and how such a government could ever be judged despotic – it was much easier to judge an individual king to be despotic […] (Homsher 2015: 209).
Deborah Homsher stellt die nachvollziehbare Frage, wie die Erschaffung einer „’well regulated’ militia“, bestehend aus einer Vielzahl von männlichen grundverschiedenen Waffenbesitzern, vonstatten gehen kann. Ich möchte Homsher’s Frage an dieser Stelle erweitern und würde darüber hinaus hinterfragen, inwiefern überhaupt festgestellt werden kann, ob eine Miliz „wohl geordnet“ ist beziehungsweise wie die genaue Definition der Begrifflichkeit „wohl geordnet“ ist.
Ferner stellt der „Vertrauensvorschuss“, der den Waffenbesitzern im Hinblick auf den korrekten Umgang und den gerechtfertigten Einsatz der Waffen entgegengebracht wird, eine immense Gefahr dar.
Der Gesetzestext des Zweiten Zusatzartikels lässt ebenfalls offen, wie viele Waffen ein Bürger maximal besitzen darf. Auch hinsichtlich der Waffenmodelle gibt es keinerlei Beschreibungen oder gar Beschränkungen:
Did the authors of the Constitution intend for the government to regulate the number and kinds of weapons a citizen could keep in his own home, or would they have defined that intrusion as an infringement of the citizen’s rights? It seems clear that […] [the authors of the Constitution] had little fear of guns as poisonous, infectious, or immoral objects, as pathogens. These men did not think of firearms in the way gun-control advocates do now. Their perspective was more plainly masculine and militant (Homsher 2015: 210).
Die Autorin wirft die unmissverständliche Frage nach der Unantastbarkeit des Zweiten Zusatzartikels der Vereinigten Staaten von Amerika auf. Würde eine Änderung oder Konkretisierung beziehungsweise eine Einschränkung oder gar Abschaffung des Abkommens eine Rechtsverletzung der Bürgerrechte darstellen oder wäre dies vertretbar? Eine Frage, deren Beantwortung in absehbarer Zeit wohl nicht möglich sein wird, da die Meinungen der „Second Amendment“-Befürworter und die der Befürworter der Reglementierung von Waffenbesitz zu konträr sind. Deborah Homsher demonstriert diese Gegensätzlichkeit mit Hilfe einer anschaulichen Metaphorik:
Sometimes the pro-Second Amendment vs. pro-gun-control debates make me think of a big gear that has detached from the machine it was meant to serve and has gone spinning and bouncing down the hill, its momentum strengthened by counterweights. Where does this big gear fit in context? Does it function properly anymore? Do the people guiding it forward with sticks ever pause to examine and question their own intent sport? (Homsher 2015: 228).
An dieser Stelle möchte ich noch einmal an die Analyse beziehungsweise an die Infragestellung des Gesetzestextes zum Zweiten Zusatzartikel anknüpfen.
Homsher (2015: 210) macht darauf aufmerksam, dass das Recht auf Waffenbesitz vom amerikanischen Verfassungsgericht im späten 19. und 20. Jahrhundert folgendermaßen interpretiert wurde:
[...] [T]he Supreme Court has interpreted the Second Amendment with some consistency by concluding that the American right to keep and bear arms is inextricably linked to a stated purpose – the establishment of a militia to defend the freedom of the state – and this right is empty when divorced from that purpose (Homsher 2015: 210).
Es bleibt ungeklärt, was die Gesetzgebung für solche Bürger vorsieht, die mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht im Sinne der gemeinsamen Verteidigungspolitik handeln. Wäre es möglich, diesen Bürgern die Waffe_n zu entziehen, da sie nicht gemäß ihres vorgesehenen Zwecks eingesetzt werden (könnten) oder würde dies eine Rechtsverletzung der Bürgerrechte darstellen? „[...] [The Second Amendment] does not make clear whether the public purpose described in the amendment could be used to regulate private ownership of firearms“ (Homsher 2015: 211).
Dem Verfassungstext fehlt es demnach, wie bereits zu Beginn des Kapitels festgestellt, zweifelsfrei an Konkretheit und Aussagekraft. Der Zweite Zusatzartikel wirft Fragen über Fragen auf, deren Beantwortung entweder nicht befriedigend, lückenhaft, Interpretationssache oder schier unmöglich ist. Dies macht das „Second Amendment“ zu einer nicht zu unterschätzenden Gefahr – nicht nur für US-amerikanische Bürger_innen, sondern für jeden Menschen, der sich in den USA aufhält.
Doch würde eine Einschränkung oder Abschaffung des „Second Amendment“ wirklich zu einem verbesserten neuen Amerika führen? Deborah Homsher’s Meinung dazu ist zwiespältig:
Are we confident that we would all be able to live, work, and complain so securely if the United States were “cured” of its big and little guns and all boundaries left unprotected? (Homsher 2015: 215).
In a country so well-stocked with old and new firearms, it is difficult for me to figure how people can be afraid that they will wake up some day and find themselves unable to buy enough guns. I can’t fathom it. I admit to being bewildered by people who value the Second Amendment to the Constitution with such passion, who consider the Second Amendment key to the Bill of Rights, and who regard guns as iconic, elemental tools for being and staying American (Homsher 2015: 215).
Während Homsher im ersten Zitat den Eindruck vermittelt eine Befürworterin des „Second Amendment“ zu sein, drückt sie im darauf folgenden Zitat ihr Unverständnis hinsichtlich der uneingeschränkten Bewunderung und Verehrung des Zweiten Zusatzartikels von Seiten der US-amerikanischen Bevölkerung aus, die (ihre) Waffen als buchstäbliche Kultobjekte und als Symbol ihrer Herkunft ehren.
Ich möchte mich an dieser Stelle näher mit den Meinungen US-amerikanischer Waffenbesitzer_innen bezüglich einer Reglementierung von Waffenbesitz auseinandersetzen. Laut Mary Zeiss Stange und Carol K. Oyster (2000: 90-91) besteht zwischen den US-amerikanischen Waffenbesitzern beziehungsweise Waffenbesitzerinnen ein großes Missverhältnis in Bezug auf das Thema „gun control“. Einige würden die Notwendigkeit einer Reglementierung des Waffenbesitzes durchaus nachvollziehen können, während andere ein solches Waffenkontrollgesetz als eine deutliche Rechtsverletzung des „Second Amendment“ ansehen würden. Zeiss Stange und Oyster argumentieren, dass beiden Seiten zugestimmt werden kann:
There is obviously a need for the lawful regulation of instruments as powerful as firearms, which helps to account for the fact that there are nationally over twenty thousand gun laws on the books. Indeed, […] [there are controls which] are already federally mandated, including instant background checks […], the prohibition of the sale of handguns to minors (as well as to convicted felons and persons deemed mentally incompetent), and the banning of certain models of guns that fall legislatively under the category of “assault weapons”. Other controls vary by, and sometimes within, states. The most common argument cited by those who oppose gun control in any form is that the states and federal government should focus on strictly enforcing existing statuses and punishing those who commit gun-related crimes to the full extent of the law, rather than further restricting the rights of the majority of gun owners who procured their guns legally and who abide by the law. Citing the cautionary adage, “When all arms are outlawed, only outlaws will be armed”, some opponents of gun control further argue that the more deeply the state intrudes into individuals’ decisions to keep or bear arms, the more likely individuals are to become de facto lawbreakers, by opting for legitimate firearms use even in the face of the law (Zeiss Stange; Oyster 2000: 90-91).
Zunächst wirft der Textauszug die folgende naheliegende Frage auf: Steigt mit dem höheren Waffenbesitz in den USA die damit verbundene Kriminalität?
Laut Weiner (2016: 1) ist dieser Frage zuzustimmen. Er führt an, dass in den USA im Durchschnitt 400.000 Schusswaffen jährlich gestohlen werden würden. Zeiss Stange und Oyster (2000: 97) widersprechen dem jedoch und argumentieren, dass laut einer Studie von John Lott und David Mustard die Kriminalitätsrate für Gewaltverbrechen fast unmittelbar nach der Verabschiedung des „concealed-carry”-Gesetzes kontinuierlich gesunken sei. Dies beruhe zum Einen vermutlich auf der Tatsache, dass die Bürger und Bürgerinnen vermehrt Gebrauch von ihrem Recht, Waffen mit sich zu tragen, machten und zum Anderen darauf, dass (potentielle) Verbrecher folglich zunehmend häufiger davon ausgingen, dass die Bürger_innen bewaffnet seien.
Davon abgesehen ist dem finalen Argument des Textausschnittes von Zeiss Stange und Oyster (2000: 90-91) zuzustimmen. Denn laut der größten akademischen Interview-Studie, durchgeführt von dem Kriminologen Gary Kleck, in welcher US-amerikanische Staatsbürgerinnen danach gefragt wurden, ob sie, wenn das Tragen einer Handfeuerwaffe zum persönlichen Schutz verboten wäre, eine solche nichtsdestotrotz mit sich führen würden, seien 86 Prozent (116 Frauen) dazu bereit, gesetzeswidrig zu handeln. Da eine solche rein hypothetische Frage nur bedingt aussagekräftig ist, brachte eine weiterführende Frage, in der die Frauen danach gefragt wurden, ob sie tatsächlich schon einmal eine Rechtswidrigkeit durch den illegalen Besitz von Schusswaffen begangen hätten, zu Tage, dass zwei Drittel der Befragten einen solchen Rechtsverstoß in der Tat bereits begangen hätten, um auf diese Art und Weise ihren Selbstschutz garantieren zu können (vgl. Zeiss Stange; Oyster 2000: 92).
Es ist jedoch äußerst fragwürdig, ob die Tatsache, dass die Regulierung des Waffenbesitzes ein steigendes Aufkommen des illegalen Schusswaffenbesitzes zur Folge haben könnte, die Zurückweisung eines Waffenkontrollgesetzes rechtfertigt.
An dieser Stelle möchte ich nochmals auf den Textauszug (siehe Seite 10) von Zeiss Stange und Oyster (2000: 90-91) zurückkommen. Zu Beginn wurde in diesem erwähnt, dass Waffenbesitz in jedem Fall einer gesetzlichen Regelung bedarf: „There is obviously a need for the lawful regulation of instruments as powerful as firearms […]” (Zeiss Stange; Oyster 2000: 90). Befürworter der Regulierung des Waffenbesitzes führen in erster Linie drei Gründe an, aufgrund derer die Verfügbarkeit von Schusswaffen eingeschränkt werden sollte:
[T]he potential for accidents; the use of the firearms in suicides; and the contention that the more guns there are in society, the higher the likelihood […] that crime will occur. […] What do the statistics tell us about these problems? The argument regarding accidents usually revolves around the question of children finding a gun and injuring themselves or someone else with it. Most reports of such gun-related accidents suggest that the firearm involved was stored in an irresponsible manner – that is, it was both accessible and loaded or with ammunition easily available – leaving open the question of whether these accidents occurred in the homes of responsible firearms owners (Zeiss Stange; Oyster 2000: 92-93).
Doch wie häufig führen Unfälle, die mit Schusswaffen in Verbindung stehen, wirklich zum Tod von Kindern? „Anti-gun public health physicians who have framed gun ownership itself as a national “epidemic” contend that almost a thousand children die each year from gun accidents” (Zeiss Stange; Oyster 2000: 93). Diese hohe Anzahl ergebe sich jedoch vor allem durch die Berücksichtigung der Rubrik der Jugendlichen zwischen 18 und 24 Jahren. Diese würden nicht nur ein gesteigertes Risiko für Unglücke, die mit Schusswaffen in Verbindung stehen, darstellen, sondern würden darüber hinaus eine erhöhte Gefahr für jede Art von Unfall mit sich bringen – vor allem, wenn es sich um einen männlichen jungen Erwachsenen handle (vgl. Zeiss Stange; Oyster 2000: 93).
Suizid, der zweite von drei Gründen weshalb, laut Zeiss Stange und Oyster (2000: 92), die Verfügbarkeit von Schusswaffen eingeschränkt werden sollte, stellt eine nicht zu unterschätzende Kategorie dar. In den USA werden Schusswaffen zunehmend häufiger für Selbstmordzwecke verwendet:
In 1993, gun deaths accounted for 48 percent of all suicides. Guns clearly represent a “serious” method of suicide highly likely to result in death […]. However, increases in the number of firearms available in American society do not relate in any systematic way to the number of suicides. […] The big question, of course, is if firearms were unavailable, could suicides be prevented? Perhaps. Another possibility is that the individual would simply choose another method. […][However,] [o]ne factoid that made the rounds in the anti-gun press toward the end of the 1990s was that persons who purchase handguns are, within a few days of the purchase, at considerably higher risk of suicide than the general public (Zeiss Stange; Oyster 2000: 95-96).
Suizid-Forscher haben jedoch schon vor geraumer Zeit nachgewiesen, dass sich kein Mensch spontan dazu entschließen würde sich das Leben zu nehmen. So hat beispielsweise eine Person, die sich an einem Montag eine Schusswaffe kauft und diese am darauf folgenden Tag benutzt, um seinem oder ihrem Leben ein Ende zu setzen, die auschlaggebende Entscheidung bereits vor dem Gang zum Laden oder zur Kasse getroffen. Die Waffe sei lediglich das Mittel, nicht der Grund, und könne somit nicht als Risikofaktor angesehen werden (vgl. Zeiss Stange; Oyster 2000: 95-96).
Der dritte und letzte Grund weshalb laut Zeiss Stange und Oyster (2000: 92) die Verfügbarkeit von Schusswaffen eingeschränkt werden sollte ist jener, der sich darauf bezieht, dass eine größere Anzahl von Waffen in der Bevölkerung die Häufigkeit von Verbrechen erhöhen würde. Auf diesen Aspekt werde ich jedoch nicht weiter eingehen, da er bereits auf Seite 10 thematisiert wurde.
Schlussendlich bleibt zu sagen, dass es, wie bereits zuvor erwähnt, eine Vielzahl von Argumenten gibt, die für aber auch gegen den Zweiten Zusatzartikel zur Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika spricht. Sicher ist jedoch, dass Waffen in den Händen von unerfahrenen oder unverantwortlichen Personen eine Gefahr für jeden, sich in der Nähe befindenden Menschen, darstellen. Andererseits können sie auch eine erhöhte Sicherheit gewährleisten, wenn sie von verantwortungsbewussten Menschen, die beispielsweise den Umgang mit Waffen unter professioneller Anleitung trainiert haben und Sicherheitsbestimmungen einhalten, mit sich geführt werden.
Ziel dieses Kapitels war es nicht, die Pro- oder Kontraseite des „Second Amendment“ Überhand gewinnen zu lassen, sondern dem Leser/der Leserin einen Einblick in die verschiedenen Standpunkte bezüglich des Zweiten Zusatzartikels zur Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika zu gewähren und einen Grundstein für die ab Kapitel 3. beginnende Analyse zum Thema Frauen und Waffen in den USA zu legen.
Abschließen möchte ich dieses Kapitel mit den Worten von Deborah Homsher, die uns zu verstehen gibt, wie wichtig die Auseinandersetzung mit dem „Second Amendment“ beziehungsweise mit der Vergangenheit, die uns geprägt hat, ist:
This ongoing analysis of the very brief Second Amendment […] illuminates how history works. Not only do the words and actions of our forebears continue to influence us in significant ways, but our own changing lives alter our perceptions of our forebears, so that even dead men and women may be given new voices through historical studies […]. In this way we begin to hear what our predecessors have to say to us. Again, when we try to understand the meanings of these familiar, resounding texts, we must take into account not only what they signified to the original authors and their audiences, but how their meanings have changed over time as they have been newly interpreted, again and again, in an effort to make them fit a growing, protean nation of people. Our attempts to grapple with these inherited texts, to guard and to adapt them, make history (Homsher 2015: 212).
Die Vereinigten Staaten von Amerika – das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, eine Weltmacht, der „American Dream“, Waffen. Es sind jene Aspekte, an die ein Großteil der Weltbevölkerung denkt, wenn die USA zur Sprache kommt. Dieses Kapitel möchte ich einem wichtigen und gleichzeitig außerordentlich umstrittenen Kulturgut der Vereinigten Staaten von Amerika widmen: Der amerikanischen Waffenkultur.
Um eine Diskussionsgrundlage zu schaffen, möchte ich den Leser/die Leserin zu Beginn zunächst mit verschiedenen Ansichten und Interpretationen hinsichtlich der amerikanischen Waffenkultur und ihrer Entstehung konfrontieren.
Laut Mary Zeiss Stange und Carol K. Oyster (2000: 22) sind es Waffen, die das Land und deren Bevölkerung im Guten wie im Bösen geprägt haben: „We live in a “gun culture”, a “gunfighter nation.” Firearms have shaped this society, for better, and sometimes for worse.”
Pamela Haag geht darüber hinaus bereits näher auf die Entstehung der amerikanischen Waffenkultur ein:
Americans have always loved guns. This special bond was forged during the American Revolution and sanctified by the Second Amendment. It is because of this exceptional relationship that American civilians are more heavily armed than the citizens of any other nation (Haag 2016).
David W. Blight (2016) widerspricht Pamela Haag jedoch deutlich im Hinblick auf die Theorie zur Entstehung der amerikanischen Waffenkultur:
The American gun industry taught the country to love guns. […]. [T]his country’s tragic obsession with guns is not part of our political origins, or our constitutional and moral DNA; it is the result of marketing and industrial capitalism. Our gun culture was made, not found; it emerged less from creativity than from cold pursuits of profit. The fortunes made selling guns had nothing to do with the Second Amendment (Blight 2016).
Diese beiden kontroversen Meinungen bieten eine gute Grundlage für den Beginn der Diskussion über die Entstehung und Relevanz der amerikanischen Waffenkultur. Während Pamela Haag der Ansicht ist, die Schöpfung der amerikanischen Waffenkultur würde aus Zeiten der Amerikanischen Revolution herrühren und sei durch die Verabschiedung des Zweiten Zusatzartikels zur Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika abgesegnet worden, argumentiert David W. Blight, dass die Entstehung der Waffenkultur nicht im Zusammenhang mit der Politik der USA stehe und den amerikanischen Bürgern und Bürgerinnen auch nicht „im Blut liege“, sondern die Folge von Vermarktungsstrategien und industriellem Kapitalismus beziehungsweise Profitgier sei.
Im weiteren Verlauf des Buches von Pamela Haag wird jedoch ersichtlich, dass Haag David W. Blight’s Ansicht durchaus nachvollziehen kann beziehungsweise ihr zustimmt und sie ferner sogar untermauert:
Ironically, had the gun been perceived in its early commercial years as a unique and extraordinary thing in society, we might never have become a gun culture. Under those circumstances, politics, law, and other regulatory forces might well have stepped in early on to circumscribe or shape the gun’s manufacture and sale, as they did in some other places around the world. For the United States, the gun culture was forged in the image of commerce. It was stamped, perhaps indelibly, by what historian John Blum called the “amorality of business.” America has an estimated 300 million guns in circulation today, but the gunning of the country started extemporaneously, and it was etched strongly by the character, ambition, and will of gun capitalists rather than by diplomats, politicians, generals, and statesmen. Gun politics today are consumed by Second Amendment controversies, but the Second Amendment did not design, invent, patent, mass-produce, advertise, sell, market, and distribute guns. Yet the gun business, which did, and does, is largely invisible in today’s gun politics (Haag 2016: xiii).
Demzufolge ist offenbar nicht die Politik beziehungsweise die Verabschiedung des Zweiten Zusatzartikels zur Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika für die Entstehung und die tiefe Verwurzelung der amerikanischen Waffenkultur verantwortlich, sondern vielmehr Kapitalisten, der Vertrieb und Handel sowie die Werbebranche. Pamela Haag (2016) berichtet beispielsweise von nahezu aggressiven und häufig sehr raffinierten Vermarktungs- und Verkaufsstrategien der „Winchester Repeating Arms Company“, eine der legendärsten Waffenfabriken Amerikas, mit Hilfe derer neue Absatzmöglichkeiten für die Produkte geschaffen werden würden. Laut Haag (2016) haben sich Waffen niemals „von selbst verkauft“ – sie erfordern und erforderten seit jeher Werbung und innovative Vertriebskampagnen von Seiten der Waffenindustrie. Interessant sei vor allem auch die Entwicklung der Werbung für Waffen. Während Waffen in den anfänglichen Werbeanzeigen der „Winchester company“ nicht als Kulturobjekt, sondern vielmehr als Nutzobjekt beziehungsweise als funktionales Werkzeug angepriesen wurden, durchlebte die Werbeindustrie im 19. Jahrhundert einen Wandel im Hinblick auf die Vermarktungsstrategien von Waffen:
[...] [T]he targeted customer began to shift from the “ordinary shooter” to the “gun crank”. The latter […] was a customer with a deep psychological bond with his gun. This was a transition from imagining a customer who needed guns but didn’t especially want them to a customer who wanted guns but didn’t especially need them (Haag 2016: xvii-xix).
Die Verlagerung des potentiellen Waffeninteressenten von einem „gewöhnlichen Schützen“ hin zu einem „Waffen-Verrückten“ legt einen Meilenstein in der Entstehung beziehungsweise Entwicklung der amerikanischen Waffenkultur.
Ein besseres Verständnis dieses bedeutsamen Wandels lässt sich durch einen Vergleich zweier Länder erzielen: Während in Deutschland beispielsweise kostspielige Autos ein Statussymbol der Deutschen sind, so sind es in den Vereinigten Staaten von Amerika Waffen, die ein bedeutsames Statussymbol der US-Amerikaner_innen darstellen.
Pamela Haag (2016: xii), die in ihrem Buch The Gunning of America. Business and the Marketing of American Gun Culture zahlreiche, häufig konträre, Thesen hinsichtlich der Entstehung und Entwicklung der amerikanischen Waffenkultur diskutiert, ist jedoch der Ansicht, dass sich die US-amerikanische Waffenkultur weder aufgrund einer besonderen Bindung zwischen den US-Bürgern und Bürgerinnen und ihren Waffen entwickelt hat, noch aufgrund dessen, dass Waffen ein außergewöhnliches oder gar einzigartiges Kulturgut darstellten. Die Ausbildung der US-amerikanischen Waffenkultur sei gerade auf die Trivialität im Umgang mit beziehungsweise bei der Präsentation von Schusswaffen zurückzuführen:
From the vantage point of business, the gun was a product of non-exceptionalism. […] No pangs of conscience were attached to it, and no more special regulations, prohibitions, values, or mystique pertained to its manufacture, marketing, and sale than to a shovel. Indeed, there were no special rules concerning the international trade of guns until modest presidential embargo powers became effective in 1898. […] Although the gun industry produced an exceptional product – designed to injure and kill – it followed the ordinary trends and practices of the corporate industrial economy in the nineteenth and twentieth centuries. In short: the gun was no exception (Haag 2016: xii-xiii).
Pamela Haag’s Aussage könnte wie folgt interpretiert werden: Wenn Schusswaffen von Beginn an als besondere und außergewöhnliche Objekte, für deren Umgang konkrete und strenge Sicherheitsregelungen sowie Verbote gelten, vermarktet worden wären und wenn strikte(re) Richtlinien hinsichtlich der Vergabe und Aufrechterhaltung von Waffenlizenzen gegolten hätten, würden Schusswaffen im heutigen Nordamerika einen niedrigeren Stellenwert haben und der Begriff der „amerikanischen Waffenkultur“ hätte sich unter Umständen nie etabliert.
Ob eine solche Entwicklung der Dinge in der Realität jedoch wirklich denkbar gewesen wäre, lässt sich an dieser Stelle weder beweisen noch widerlegen.
Im Folgenden möchte ich, um eine bessere Übersicht zu gewährleisten, die bislang aufgeführten Standpunkte beziehungsweise Hypothesen hinsichtlich der Entstehung und Entwicklung der US-amerikanischen Waffenkultur kurz Revue passieren lassen:
1. Die Schöpfung der US-amerikanischen Waffenkultur rühre aus Zeiten der Amerikanischen Revolution her und sei durch die Verabschiedung des Zweiten Zusatzartikels zur Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika abgesegnet worden (vgl. Haag 2016).
2. Die Entstehung der US-amerikanischen Waffenkultur stehe weder im Zusammenhang mit der US-Politik noch liege sie den US-amerikanischen Bürgern und Bürgerinnen „im Blut“. Sie sei vielmehr die Folge von Vermarktungsstrategien, industriellem Kapitalismus und Profitgier (vgl. Blight 2016; Haag 2016: xiii).
3. Die US-amerikanische Waffenkultur habe sich nicht aufgrund dessen entwickelt, dass Waffen ein außergewöhnliches oder gar einzigartiges Kulturgut darstellten. Sie sei vielmehr auf die Trivialität im Umgang mit beziehungsweise bei der Präsentation von Schusswaffen zurückzuführen (vgl. Haag 2016: xii-xiii).
Pamela Haag beschäftigt sich im Verlauf ihres Buches The Gunning of America. Business and the Marketing of American Gun Culture jedoch nicht nur mit der Entstehung und Entwicklung der amerikanischen Waffenkultur, sondern auch mit einer möglichen Definition des Begriffs „Waffenkultur“ und dem in den Köpfen der US-amerikani-schen Bevölkerung des 21. Jahrhunderts verankerten Klischee, dass die Liebe zu Waffen zeitlos sei und mindestens so alt, wie die amerikanische Geschichte selbst:
[A] [...] powerful cliché in twenty-first-century politics is that gun love is timeless, or at least as old as American history. […] Even if every American had a gun, much as they had a shovel or an ax, the quantity of guns does not speak to gun love or to the qualitative facets of a gun culture. The phrase “gun culture” is used more than it is defined […]. […] [F]or an object to become the main component of a culture, at least two standards have to be met: diffusion and mystique. A gun culture is a matter not only of quantity but also of quality – in anthropologist Marshall Sahlins’s terms, of how cultures “give significance to their objects” – and of the “social life” of a commodity. These qualitative dimensions are difficult to gauge or generalize, if they can be generalized at all, but they include the place that the gun occupies culturally as a whole and for different groups – the degree of gun affinity, love, symbolism, charisma, and totemic force and the political resonance of the gun (Haag 2016: xvii).
Laut Pamela Haag muss ein Gegenstand demnach zwei Grundsätze erfüllen, um ein wesentlicher Bestandteil der Kultur eines Landes zu werden: Das Objekt muss einerseits bekannt beziehungsweise weit verbreitet und andererseits von einer gewissen Rätselhaftigkeit umgeben sein. Des Weiteren führt Haag an, dass die Entstehung einer Waffenkultur nicht allein auf die (hohe) Anzahl von Schusswaffen in einer Gesellschaft zurückzuführen sei, sondern auch auf den Wert, den die Waffe als Kulturobjekt in den verschiedenen Bevölkerungsgruppen einnehme.
France Winddance Twine (2013: 10) beschreibt Schusswaffen hingegen als polysemisch. Es handle sich um einen Gegenstand, der verschiedene, je nach Kontext (sozial, historisch, beruflich, Freizeit, staatlich) auch konkurrierende, Bedeutungen habe. Ferner sei die Bedeutung des Besitzes und der Verwendung von Waffen vom US-ameri-kanischen Nationalismus und den überlieferten Erzählungen der Vorfahren geprägt worden.
Unabhängig davon, ob eine Schusswaffe ein Kulturobjekt darstellt und/oder polysemisch ist, stellt sich an dieser Stelle jedoch eine bedeutsame Frage, die bisher noch nicht gestellt beziehungsweise diskutiert wurde: Ist eine Schusswaffe ein aktiver oder passiver Gegenstand? Oder genauer gesagt: Bringen Schusswaffen Menschen um oder sind es Menschen, die andere Menschen töten? Deborah Homsher hat sich mit eben dieser Frage beschäftigt und sie um weitere entscheidende Fragen erweitert:
Do guns kill people or people kill people? Is the gun an active or passive object? Should a dangerous product be defined, legally, as a kind of pathogen, as contagious? If so, what does that tell us about the evolving perception of individuals in a community? Are individuals helpless against the spread of guns in the same way they are helpless to withstand a contagious virus, the flu, or the common cold? Are people who own guns “sick” and people who sell guns even sicker? (Homsher 2015: 228).
Homsher wirft in diesem Textauszug eine Menge Fragen auf, deren Beantwortung in gleichem Maße erstrebenswert wie problematisch ist. Sicherlich ist anzunehmen, dass Waffen an sich keine Menschen umbringen. Es sind keine Lebewesen, sie können keine eigenmächtigen Entscheidungen treffen und können nur durch die Hand des Menschen „zum Leben erweckt werden“. Deutlich schwieriger gestaltet sich allerdings die Frage danach, ob vor einem Objekt, das solch ein hohes Gefahrenpotential aufweist, nicht in der Form gewarnt werden sollte, wie es im Fall eines (ansteckenden) Virus, der Grippe oder einer Erkältung getan wird. Die Infektion durch einen Erreger, sei es ein Bakterium oder ein Virus, geht nicht freiwillig vonstatten. Die erkrankte Person hat sich nicht dazu entschlossen, sich mit dem jeweiligen Keim zu infizieren. Jedoch sollte die erkrankte Person bis zur Genesung weitestgehend isoliert werden und jene Menschen, die in Kontakt mit der infizierten Person stehen, sollten über die Gefahr einer möglichen Ansteckung Bescheid wissen. In der Theorie kann der eben aufgeführte Sachverhalt problemlos auf das Thema „Waffenbesitz“ übertragen werden. In diesem Fall wären die Viren oder Bakterien die Schusswaffen und die erkrankte Person wäre der Waffenbesitzer beziehungsweise die Waffenbesitzerin. Die mögliche Ansteckung mit dem Keim würde hierbei das Risiko darstellen, durch den Kontakt mit einem Waffenbesitzer oder einer Waffenbesitzerin Gefallen daran zu finden, sich selbst eine Schusswaffe zulegen zu wollen.
Demnach ist ein solcher Vergleich zwischen Krankheitserregern und dem Besitz und der Verbreitung von Schusswaffen durchaus möglich. Jedoch gibt es einen bedeutsamen Unterschied: Für den Kauf einer Waffe entscheidet sich eine Person freiwillig (auch ein_e Polizist_in hat sich bewusst für einen Beruf entschieden, in dem das Tragen und die Verwendung einer Schusswaffe erforderlich sind) – für die Infektion mit einem Krankheitserreger nicht.
Schlussendlich, um wieder an den eigentlichen Schwerpunkt dieses Kapitels anzuknüpfen – die Entstehung und Entwicklung der US-amerikanischen Waffenkultur – ist die Schöpfung und Entfaltung dieser eventuell nicht auf einen einzigen Grund zurückzuführen, sondern beruht auf einer Vermischung beziehungsweise auf einer Koexistenz der in diesem Kapitel aufgeführten und diskutierten Gründe.
Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass die Beziehung zwischen den US-Ameri-kanern und US-Amerikanerinnen und ihren Waffen bemerkenswert und einzigartig ist. Sie teilt die USA in zwei Hälften: In eine, die diese besondere Beziehung befürwortet oder sogar zelebriert und in eine, die sie ablehnt und/oder verachtet.
Abschließen möchte ich dieses Kapitel mit den folgenden Worten von Pamela Haag:
The gun business, as a business, remains invisible, a secret in the closet of the gun culture. Although guns are bought every day, in locations from Walmart to gun shows, we imagine a gun “owner”, not a gun “consumer”: In America, we don’t buy guns, we have guns. We own them (Haag 2016: 2).
In den 1990ern begann die Ära, in welcher sich die sogenannte „American gun woman“ mit Nachdruck als bedeutsamer Kulturträger behauptete. Das Thema um Frauen und Waffen erregte immer häufiger das Interesse der Öffentlichkeit und Waffenhersteller reagierten zeitnah mit einer eigens für Frauen konzipierten Waffe – dem „Smith & Wesson’s Lady Smith revolver“, der auf großen Andrang stoß. Die Entwicklung jenes speziell für Frauen entworfenen Revolvers legte den Grundstein für diverse Verbände und Gewerbe, in das Geschäft mit Frauen und Waffen zu investieren. Der „National Rifle Association“ war beispielsweise sehr daran gelegen, die Anzahl der weiblichen Mitgliedschaften zu steigern, weshalb sie ein „Women’s Issues and Information Office“ und darüber hinaus ein Selbstverteidigungsseminar für Frauen mit dem Namen „Refuse to Be a Victim“ ins Leben rief. Die Waffenindustrie wurde sich über die enormen Profite bewusst, die ihnen die zunehmend weibliche Kundschaft einbringen würde und die „National Shooting Sports Foundation“ etablierte die „Women’s Shooting Sports Foundation“ (vgl. Zeiss Stange; Oyster 2000: 23).
Auch die Filmbranche reagierte auf die stetig wachsende Popularität des Waffenbesitzes US-amerikanischer Frauen:
Hit films Thelma and Louise and Terminator 2: Judgment Day (both 1991) featured strong, gun-toting women and spawned a succession of “bad girl“ movies. [...] The magazine Women & Guns hit the newsstands. A revival of the musical Annie, Get Your Gun was a smash hit on Broadway (Zeiss Stange; Oyster 2000: 23).
Im folgenden Kapitel Geschlecht: „Men (especially perhaps gun-wielding sportsmen) are potential rapists, women (especially left-leaning feminists?) potential victims“ (Zeiss Stange; Oyster 2000: 37) möchte ich dieser wachsenden Popularität auf den Grund gehen und mittels einer kritischen Analyse eruieren, inwiefern Emanzipation und Feminismus, Angst und Verletzlichkeit oder aber der einfache Geschlechtsunterschied zwischen Mann und Frau hierbei eine Schlüsselrolle einnehmen.
Da mir durch die vorangegangene Recherche zu diesem und dem darauf folgenden Kapitel bewusst geworden ist, dass eine (vorab geplante) Trennung dieser beiden Kapitel nicht möglich sein wird beziehungsweise wenig sinnvoll wäre, da sich die Themen Emanzipation und Feminismus versus Angst und Verletzlichkeit und Geschlecht in vielen Belangen überschneiden und daher nicht isoliert voneinander betrachtet werden sollten, habe ich mich dazu entschlossen, dieses Kapitel als kurze Einführung zu nutzen, um mich im darauf folgenden mit den bereits zuvor genannten Themenaspekten zu beschäftigen.
I submit that the right to keep and bear arms is a very important women’s issue. Without this right we are reduced to second-class citizens, destined to remain in our homes after dark unless we can travel in groups or with an escort if we want to be safe. There have been many trips alone to grocery stores that have had tragic results for women (Shiloh 2015: 4).
Cimarron Shiloh, eine erfolgreiche Autorin und Geschäftsfrau, führt in ihrem Werk Concealed Carry Laws are a Women’s Rights Issue eine Debatte darüber, inwiefern die US-Waffenrechte die Sicherheit und das Recht auf Freiheit und Gleichberechtigung der US-amerikanischen Frauen beeinflussen. Ihr lediglich 52 Seiten umfassendes Werk wird mir in diesem Kapitel als Primärliteratur dienen. Meine Entscheidung diesbezüglich beruht auf der Tatsache, dass Shiloh bewaffnete US-amerikanische Frauen zu einhundert Prozent befürwortet und durchaus als sogenannte „Pro-Waffen-Femi-nistin bezeichnet werden kann. Ihre zum Teil sehr radikalen und einseitigen Ansichten eignen sich zweifelsfrei gut dazu, um sie einer kritischen Analyse zu unterziehen.
Bevor ich jedoch auf den zu Beginn dieses Kapitels aufgeführten Textausschnitt eingehe, möchte ich eine kurze geschichtliche Einführung zum Thema Geschlecht – Frauen und Waffen versus Männer und Waffen in den USA – verfassen.
Laut Zeiss Stange und Oyster (2000: 22) haben Schusswaffen die amerikanische Gesellschaft geprägt. In den Vorstellungen der Menschen war das Tragen von Waffen stets den Männern vorbehalten. Die Waffe, eine Männerdomäne, symbolisierte Männlichkeit – Kraft, Macht, Gewalt, Entschlusskraft, tödliche Präzision und eiskalte Vernunft. All diese, den Männern zugeschriebenen Qualitäten sind Qualitäten, die üblicherweise keiner Frau zugeschrieben werden würden beziehungsweise für keine Frau erstrebenswert gewesen wären. Eine Ausnahme bildete jedoch Annie Oakley:
Annie Oakley, whom Sitting Bull nicknamed “Little Sure Shot” and who managed to project an aura of petite femininity even as she outshot every male opponent who had the guts to take her on, looks, if anything, like the rare female exception that proves the gender rule. But of course, as Oakley herself knew, gender rules are made to be broken (Zeiss Stange; Oyster 2000: 22).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Bild 1: „Miss Annie Oakley“, http://www.salutetargets.com/wp- content/uploads/2015/01/Annie-Oakley-Little-Sure-Shot.jpg
Es stellt sich jedoch heraus, dass Annie Oakley weder die Einzige noch eine unter wenigen Frauen war, die Waffen besaß und verwendete (vgl. Zeiss Stange; Oyster 2000: 22). Waffenbesitz war keineswegs ein Privileg, das lediglich den Männern vorbehalten war:
There have always been gun women: pioneers, hunters, adventurers, defenders of their homes and families. There have been some outlaws, too, although as with their male compatriots, the vast majority of gun women are, and have always been, law-abiding citizens who possess and use firearms for an array of legitimate purposes. It is true that the number of female firearms users has always been smaller than the number of men. It is equally true, however, that women have been an increasingly visible component of the gun-owning population since the 1980s. If, as conventional wisdom has it, women and guns don’t mix, then how can we account for the fact that today in America, one in four guns is being purchased by a woman? (Zeiss Stange; Oyster 2000: 22).
Kathrin Werner (2013: 1) und France Winddance Twine (2013: 3) untermauern Mary Zeiss Stange’s und Carol K. Oyster’s Theorie:
„Despite the fact that guns were symbols of masculinity, women and even young girls of European and Anglo-American ancestry have always had access to guns” (Wind-dance Twine 2013: 3).
Waffenbesitz ist eines der letzten großen Symbole amerikanischer Männlichkeit. Die Erscheinung von Pistolen und Gewehren ist klassisch maskulin: kalter, harter Stahl. Kleinen Jungs schenkt man Spielzeugpistolen, kleinen Mädchen nicht. Rapper posieren mit Knarren, Sängerinnen nicht. Frauen wollten mit Waffen wenig zu tun haben. Bislang (Werner 2013: 1).
Die „Entmannung“ des Waffenbesitzes charakterisiert demnach einen Wandel, der sich fernab der Öffentlichkeit vermutlich bereits vor geraumer Zeit vollzogen hat. Doch in den Köpfen vieler US-Amerikaner_innen scheint das Bild der Waffe als Symbol amerikanischer Männlichkeit nichtsdestotrotz fest verankert zu sein. Aufgrund dessen kommt es im heutigen Nordamerika immer häufiger zu Pro-(Waffen-) be-ziehungsweise Kontra-(Waffen-)Feminismus-Debatten. Während beispielsweise Betty Friedan den Trend des Waffenbesitzes unter Frauen als schreckenerregende und obszöne Perversion des Feminismus bezeichnet (vgl. Zeiss Stange; Oyster 2000: 62), argumentieren Zeiss Stange und Oyster, dass die Beziehung zwischen Frauen und Waffen deutlich komplexer sei als von vielen Feministinnen angenommen werde:
It seems the very seductiveness of images of female kick-ass, shoot-to-kill power throws up some sort of warning sign: We don’t want to go there. […] It is in some ways much easier to regard guns as instruments of male domination, an let men “own” all that aggressive power, than to recognize that women, too, can – even should – have access to that kind of flat-out, hands-on force (Zeiss Stange; Oyster 2000: 36).
Diese beiden außerordentlich kontroversen Ansichten die Pro-(Waffen-) beziehungs-weise Kontra-(Waffen-)Feminismus-Debatte betreffend möchte ich zum Anlass nehmen, um die vier Leitfragen, denen ich in diesem Kapitel nachgehen möchte, einzuführen:
[...]
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