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Bachelorarbeit, 2017
56 Seiten, Note: 2,0
Didaktik für das Fach Deutsch - Pädagogik, Sprachwissenschaft
1 Einleitung
2 PISA
2.1 Anliegen von PISA
2.2 Ergebnisse zur Lesekompetenz
3 Begriffstheoretische Überlegungen
3.1 Lesekompetenz
3.2 Lesemotivation
3.3 Zusammenhang von Lesekompetenz und Lesemotivation
4 Stabile Genderdifferenzen
4.1 Lesequantität
4.2 Lesestoffe und Lektürepräferenzen
4.3 Lesefreude
4.5 Lesekompetenz
5 Erklärungsansätze für Genderdifferenzen im Lesen
5.1 Biologische und hirnphysiologische Ansätze
5.2 Soziologische und psychologische Erklärungsansätze
6 Didaktische Konsequenzen
6.1 Gesellschaftliche Aufgabenfelder
6.2 Schulische Aufgabenfelder
7 Förderung der Lesemotivation im Medienverbund
7.1 Begriffliche Determination von neuen Medien und Medienverbund
7.2 Medienkompetenz als Voraussetzung und Ziel
7.3 Exemplarischer Medienverbund: „Die Wilden Fußballkerle“
7.3.1. Ausgangstext
7.3.2 Didaktisches Potenzial von Filmen
7.3.3 Didaktisches Potenzial von Computerspielen
8 Fazit
Literaturverzeichnis
Der Autor Steven Johnson konstatiert in seinem Bestseller Everything Bad is Good for You folgendes provokantes Gedankenexperiment:
Videogames sind lange vor Büchern erfunden und verbreitet worden. In diesem Paralleluniversum spielen Jugendliche schon seit Jahrhunderten Computerspiele – und plötzlich erscheinen gedruckte Texte auf dem Markt und sind in kürzester Zeit der letzte Schrei. Was würden die Lehrer, die Eltern und die Kulturwächter wohl zu dieser neuen Lesewut sagen? Vermutlich würde es sich etwa so anhören: Das Lesen von Büchern unterfordert auf Dauer alle Sinne. Die lange Tradition des Computerspielens bindet das Kind in eine lebendige, dreidimensionale Welt ein, die mit bewegten Bildern und musikalischen Klanglandschaften gefüllt ist […]. Im Gegensatz dazu bestehen Bücher nur aus simplen Aneinanderreihungen von Wörtern auf Papierblättern. Beim Lesen wird also ausschließlich der kleine Teil des Gehirns aktiviert, der geschriebene Sprache verarbeitet, während Videogames das Zusammenspiel aller motorischen und sensorischen Kortizes fördern.
Außerdem kann das Lesen von Büchern in die soziale Isolation führen. Computerspiele ermöglichen unseren Jugendlichen seit vielen Jahren komplexe soziale Beziehungen mit ihren Altersgenossen und erlauben ihnen, gemeinsame Welten zu erbauen und zu ergründen. Bücher hingegen zwingen das Kind dazu, sich an einem ruhigen Ort niederzulassen und sich der Interaktion mit anderen Jugendlichen zu entziehen (Johnson 2005, 32 f., zit. nach Frederking 2010, 515).
Dieses Beispiel verdeutlicht die aktuelle Skepsis gegenüber der Nutzung von digitalen und technischen Medien im Unterricht, welche auch unter zeitgenössischen Lehrpersonen vertreten wird. Warum aber wird nun an dieser Stelle ein solches Gedankenexperiment angeführt?
Die Ergebnisse der großen Schulleistungsstudie PISA haben im Jahr 2000 zu großen öffentlichen Debatten, auch innerhalb der Politik und Wirtschaft, geführt. Es wurden signifikant defizitäre Leistungen deutscher Schülerinnen und Schüler aufgedeckt. Doch gerade die männlichen Schüler weisen vor allem im Bereich der Lesekompetenz mangelnde Ergebnisse auf. Nach dem sogenannten PISA-Schock werden Jungen zunehmend als Bildungsverlierer betitelt. Resultat der erschreckenden Ergebnisse war die Forschung nach Erklärungsansätzen, insbesondere für das schlechte Abschneiden der männlichen Schüler. Im Zuge dessen wurde auf den Zusammenhang zwischen Lesemotivation und Lesekompetenz aufmerksam gemacht. Da gerade einmal 17 Prozent der Jungen Lesen als Hobby bezeichnen (vgl. Stanat u. Kunter 2001, 262), gilt es nach Wegen zu suchen, den Leseprozess attraktiver zu gestalten. Jungen weisen eine starke Affinität hinsichtlich neuer Medien auf, sodass sich hier eine Möglichkeit bietet, diese lukrativ im Unterricht zu nutzen. Aufgrund dessen sollte die eingangs erwähnte Skepsis gegenüber digitaler Medien abgelegt werden, sodass der Leseprozess stärker mit der Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen verknüpft wird.
Daher beschäftigt sich die vorliegende Arbeit zunächst mit den Genderdifferenzen im Lesen und den empirisch erhobenen Begründungen diesbezüglich und geht der Frage nach der damit einhergehenden geschlechtsspezifischen Förderung von Lesemotivation bei Jungen nach.
Da vor allem die PISA-Studie aus dem Jahr 2000 dazu geführt hat, dass sich zunehmend mit einer Veränderung des deutschen Schulsystems beschäftigt wurde, beginnt die vorliegende Arbeit mit einer knappen Übersicht über die wichtigsten Befunde. Dabei wurde speziell die Studie aus dem Jahr 2000 statt einer aktuelleren gewählt, weil diese den Fokus auf die Lesekompetenz gerichtet hat. Daran anknüpfend werden die eingeführten Begriffe Lesekompetenz und Lesemotivation näher erläutert, bis das zweite Kapitel schließlich mit der Verdeutlichung des Zusammenhangs beider Begrifflichkeiten abschließt. Aufgrund der Genderdifferenzen die Lektüre von Texten betreffend, auf welche die eingangs vorgestellte PISA-Studie aufmerksam gemacht hat, werden diese im vierten Kapitel skizziert. Dazu zählen Unterschiede bezüglich der Lesequantität, der Lesestoffe beziehungsweise Lektürepräferenzen, der Lesefreude und der Lesekompetenzen. Dabei wird die Betrachtung der Lesemodalitäten nicht behandelt, da diese für die weitere Bearbeitung nicht von Belangen ist, und die Differenzen innerhalb der Lesekompetenz nur noch einmal kurz zusammengefasst, weil sich das zweite Kapitel bereits intensiv damit auseinandergesetzt hat. Das fünfte Kapitel findet schließlich Erklärungen für die vorgestellten Genderdifferenzen im Lesen, welche sowohl in biologischen beziehungsweise hirnphysiologischen und soziologischen beziehungsweise psychologischen Ansätzen zu finden sind. Dabei steht die Betrachtung des zuletzt aufgeführten Ansatzes im Fokus. Aus diesen gewonnen Erkenntnissen werden im sechsten Kapitel didaktische Konsequenzen, welche in gesellschaftliche und schulische Aufgabenfelder zu segmentieren sind, behandelt. Diese Ausführungen werden allerdings nur oberflächlich skizziert, da der Einsatz digitaler Medien die zentrale Rolle spielt. An diesen eher theoretischen Part der Arbeit knüpft schlussendlich der praktische Teil, welcher sich mit der Förderung der Lesemotivation im Medienverbund anhand des Beispiels Die Wilden Fußballkerle befasst, an. Dieses Beispiel wurde gewählt, da die Thematik besonders die Interessen von Jungen im Grundschulalter anspricht. Eine Förderung bereits in diesem Alter ist für die weitere Entwicklung der Lesekompetenz und Lesemotivation von zentraler Bedeutung. Dazu wird zunächst knapp geklärt, was neue Medien und ein Medienverbund sind. Daraufhin findet eine Skizzierung der notwendigen Voraussetzungen, um den Deutschunterricht erfolgreich im Medienverbund zu gestalten, statt. Der Fokus des praktischen Teils liegt dabei auf der Förderung der Lesemotivation durch die Integration sowohl von Buch als auch die der Filme und Computerspiele zum Buch im Literaturunterricht statt. Die Arbeit wurde auf diese beiden Beispiele eingeschränkt, da sie nach wie vor zu den beliebtesten Freizeitbeschäftigungen der Jungen zählen. Den Abschluss bildet ein Fazit, in dem die zuvor gewonnenen Erkenntnisse kurz zusammengefasst und reflektiert werden. Anzumerken ist, dass in den meisten Fällen von einer genderneutralen Ausdrucksweise abgesehen wird, da sich die Arbeit vorwiegend mit Erkenntnissen das männliche Geschlecht betreffend befasst.
Wie bereits in der Einleitung umrissen, führte die PISA-Studie aus dem Jahr 2000 dazu, dass man sich vermehrt mit der Frage nach der gewinnbringenden Förderung von Lesekompetenz beschäftigt. Daher bildet die Darstellung der Ergebnisse den Ausgangspunkt für die weitere Bearbeitung der Thematik. Das Vorgehen der PISA-Studie wird nur kurz erläutert, da für die weiteren Erkenntnisse dieser Arbeit lediglich die Resultate von Bedeutung sind.
PISA ist die Kurzform von „‚Programm for International Student Assessment‘“ (Baumert u. Artelt 2003, 12) und misst in zyklischen Abständen von drei Jahren die basalen Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler (vgl. ebd.). Die Studie wird durchgeführt von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, kurz OECD, und soll den Mitgliedsstaaten vergleichbare Daten über deren jeweiliges Bildungssystem liefern. Dabei versteht sie sich also als internationale Schulleistungsstudie (vgl. Artelt et al. 2004, 140). Sie dient den Mitgliedsstaaten dazu, potenzielle Schwachstellen des Bildungssystems zu veröffentlichen und daraufhin politisch-administrative Verbesserungen vorzunehmen. Getestet werden neben den Lesekompetenzen auch die mathematischen, naturwissenschaftlichen und fächerübergreifenden Fähigkeiten 15-jähriger Schülerinnen und Schüler (vgl. Baumert u. Artelt 2003, 12). Der erste Zyklus von PISA im Jahr 2000 legte den Fokus auf die Lesekompetenz, da diese als Basiskompetenz für alles weitere, erfolgreiche Lernen angesehen wird (vgl. Stanat et al. 2003, 51). Anhand des ermittelten Gesamtwertes jedes Schülers werden diese Kompetenzstufen zugeteilt, wobei Schüler auf der ersten Kompetenzstufe die schwächsten Ergebnisse und Schüler auf der fünften die besten Ergebnisse erzielen (vgl . Artelt et al. 2001b, 88 f.).
Im Spiegel Online heißt es, dass „Goethes Erben zu Bildungsverlierern wurden“ (Füller 2011) und „Pisa [für die Deutschen] fortan nicht mehr eine Stadt in Italien [war], sondern eine Studie, die sie auf Platz 22 von 32 getesteten Nationen verbannt hatte“ (ebd.). Des Weiteren ist von „[einer neuen deutschen] Bildungskatastrophe“ (Darnstädt et al. 2001) die Rede. Die damalige Bundesbildungsministerin Annette Schavan sagte, dass wir alle PISA-geschädigt sind (vgl. Niemann 2010, 59). Außerdem hat PISA „signifikante Schwächen“ (de Olano et al. 2010, 9) im deutschen Bildungssystem aufgezeigt, sodass nach Kundgebung der Ergebnisse aus dem Jahr 2000 sowohl in der Öffentlichkeit als auch bei Politikern und Eltern ein Schockzustand ausgelöst wurde, plötzlich die „Bildung in aller Munde“ (ebd., 10) war und ein Reformeifer begonnen hat. Zusammengefasst werden die Ergebnisse auch gerne unter dem Titel PISA-Schock.
Doch wie genau sahen die Ergebnisse aus, welche einen solchen Schockzustand innerhalb Deutschlands auslösten? Vergleicht man dazu zunächst einmal die drei verschiedenen getesteten Teilbereiche, wozu die Leistungen bei literarischen, nichtliterarischen beziehungsweise sonstigen kontinuierlichen und nichtkontinuierlichen Texten zählen, fällt auf, „dass die Schülerleistungen bei literarischen Texten insgesamt niedriger liegen als auf den anderen Teilskalen“ (Artelt u. Schlagmüller 2004, 180). Im Gegensatz dazu können die Schüler besser mit nichtkontinuierlichen Texten umgehen und weisen dabei signifikant höhere Leistungen auf (vgl. ebd., 180 ff.). Zieht man nun einen internationalen Vergleich hinsichtlich des Bereichs Lesen, ist auffällig, dass „die durchschnittlichen Leistungen der Jugendlichen in Deutschland unter dem Mittelwert der OECD-Mitgliedsstaaten [liegen]“ (Stanat at al. 2002, 8). Außerdem ergaben die Messungen, dass die Leistungen der leistungsschwächsten und leistungsstärksten Schüler weit auseinander reichen. Da gerade einmal 13 Prozent der Schüler die erste Kompetenzstufe und zehn Prozent nicht einmal diese erreichen, „kann fast ein Viertel der Jugendlichen nur auf einem elementaren Niveau lesen“ (ebd.). Des Weiteren wird der signifikante Abstand zur internationalen Spitzengruppe im Bereich Lesen verdeutlicht, welcher mit einer halben Standardabweichung als beträchtlich anzusehen ist (vgl. Artelt et al. 2001a, 14). Das Resultat ist, dass die leistungsschwächsten Jugendlichen mehr Probleme im Lesen haben als entsprechende Vergleichsgruppen anderer Länder, während im oberen Bereich keine herausragenden Ergebnisse erzielt werden (vgl. Artelt et al. 2001b, 108). Vor allem weisen die Schüler Probleme in den Aufgabenbereichen, die das Bewerten und Reflektieren betreffen, auf (vgl. Stanat et al 2002, 16).
Zusammenfassend hat Deutschland also im internationalen Vergleich erschreckend schlecht abgeschnitten. Ähnliches ergab auch die Schulleistungsstudie IGLU im Jahr 2006, welche die Leistungen von Viertklässlern im Bereich Lesekompetenz sowohl im internationalen als auch im nationalen Vergleich erfasst (vgl. Bos et al. 2008, 9). Auch hier weisen einige Länder signifikant höhere Leseleistungen auf als Deutschland (vgl. Valtin at al. 2008, 59). Jedoch zeigen die in IGLU getesteten Viertklässler deutlich bessere Ergebnisse hinsichtlich der Lesekompetenz und der Leseinteresse als die Fünfzehnjährigen, sodass anhand dieser Ergebnisse geschlussfolgert werden kann, dass insbesondere innerhalb der Sekundarstufe I Probleme aufzufinden sind (vgl. Abraham u. Frederking 2003, 189).
Des Weiteren finden sich deutliche Differenzen zwischen den Geschlechtern, welche bei der Lesekompetenz am weitesten ausgeprägt sind. Die Mädchen verbuchen größere Leistungsvorteile im Lesen als die Jungen (vgl. Baumert et al. 2003, 42). Ein Viertel der Jungen in Deutschland können nur auf elementarem Niveau lesen und zehn Prozent können so gut wie gar nicht lesen (vgl. Müller-Walde 2005, 12). Garbe weist auch darauf hin, dass Mädchen in allen 32 getesteten Staaten besser lesen als Jungen (vgl. Garbe 2003, 69).
Wie auch bereits zuvor angesprochen hängt die Lesekompetenz in Deutschland eng mit der Lesehäufigkeit zusammen. Der Anteil von 42 Prozent der Schüler, die angeben überhaupt nicht zum Vergnügen zu lesen, ist in Deutschland so hoch wie in keinem anderen Land. Dabei ist der Anteil der Jungen, die dies behaupten, prozentual noch höher als der der Mädchen (vgl. Artelt 2001a, 17).
Zum besseren Verständnis der Thematik findet nun eine Bestimmung hinsichtlich der Begrifflichkeiten Lesekompetenz, Lesemotivation und deren Zusammenhang statt, da sich die vorliegende Arbeit aufgrund der voranstehenden Ergebnisse der PISA-Studie vorwiegend mit motivationalen Aspekten der Leseförderung beschäftigt.
Ein allgemeines Verständnis von Kompetenz wird dabei aufgefasst als die bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können (Weinert 2001, 27 f.).
Darunter werden also all diejenigen Voraussetzungen für bestimmte Leistungen zusammengefasst, die sich erst in konkreten Anwendungssituationen zeigen (vgl. Bertschi-Kaufmann 2015, 14).
Ist also jeder, der lesen kann, lesekompetent? Diese Frage lässt sich klar negieren, wenn man sich die Anforderungen der PISA- oder auch der IGLU-Studie hinsichtlich der Lesekompetenz anschaut (vgl. Artelt et al. 2004, 141 u. Valtin et al. 2008, 50 ff.). Auch wenn Kompetenzmodelle mit teils konkurrierenden Auffassungen von Lesekompetenz existieren, sind sich doch alle einig, „dass Lesen eine multiple Tätigkeit ist und hohe Anforderungen […] stellt“ (Bertschi-Kaufmann 2015, 12). Ein kompetenter Leser muss demnach die ganz basale Fähigkeit besitzen, Wörter, Sätze und Satzzeichen zu entziffern und Verknüpfungen herzustellen. Er benötigt also die Fähigkeit des Dekodierens, um überhaupt weiter mit einem Text arbeiten zu können. Erst wenn diese Fähigkeit beherrscht wird, ist man in der Lage, ein Textverständnis, welches das Herstellen von Sinnzusammenhängen erfordert, aufzubauen (vgl. ebd.). Nun könnte man meinen, dass es ausreicht als kompetenter Leser, einen Text zu verstehen. Doch auch diese Aussage ist zu widerlegen, denn ein kompetenter Leser möchte immer, wenn er liest, Ziele verfolgen. Dem Lesen kommt also immer eine gewisse Funktion zu (vgl. Hurrelmann 2015, 20). Wie diese Funktion aussieht, unterscheidet sich in unterschiedlichen Kompetenzmodellen. Neben dem kognitionstheoretischen Modell der PISA-Studie existiert zudem das kulturwissenschaftliche Modell (vgl. Hurrelmann 2015, 19), welches dem Lesen eher die Funktion der Persönlichkeitsbildung als den Zweck des Lernens oder der beruflichen Weiterbildung zuschreibt (vgl. ebd., 22). Im Folgenden wird allerdings auf das Verständnis von Lesekompetenz der PISA- und IGLU-Studie eingegangen. Die beiden internationalen Vergleichsstudien bedienen sich der angelsächsischen Auffassung von Reading Literacy (vgl. ebd., 21 u. Artelt et al. 2004, 141 u. Valtin et al. 2008, 51 f.). Demnach meint Lesekompetenz all diejenigen Fähigkeiten, die ein „Gesellschaftsteilnehmer in seinem Alltag und Beruf“ (Hurrelmann 2015, 21) benötigt.
Lesekompetenz wird dabei als eine Voraussetzung für die Teilhabe am gesellschaftlichen und kulturellen Leben betrachtet, da über das Lesen nicht nur eine Vielzahl von Lebensbereichen erschlossen werden, sondern über die Schriftsprache neben Informationen und Fakten auch Ideen, Wertvorstellungen und kulturelle Inhalte transportiert und vermittelt werden (Artelt et al. 2004, 141).
Die Fähigkeiten, die ein kompetenter Leser mitbringen muss, beziehen sich nicht nur auf kontinuierliche Texte, welche aus reinem Textmaterial bestehen, sondern auch auf diskontinuierliche Texte, bei denen ein Zusammenhang zwischen Textmaterial und bildlichen Darstellungen geschaffen werden muss (vgl. Hurrelmann 2015, 20). Ein kompetenter Leser muss sowohl die primär textinternen Informationen nutzen als auch externes Wissen heranziehen (vgl. Bertschi-Kaufmann 2015, 12), denn „ein Text [ist] ein zusammenhängendes Ganzes, das aber nicht isoliert dasteht, sondern seinerseits Bezug nimmt […] auf einen weiteren Kontext“ (ebd.). Neben der Kohärenzbildung mit den textinternen Informationen muss also auch eine Referenzbildung stattfinden (vgl. ebd.). Der Leser muss folglich sowohl ein allgemeines Textverständnis entwickeln, Einzelinformationen ermitteln, textbezogene Interpretation anstellen als auch über den Inhalt sowie die Form des Textes reflektieren können (vgl. Artelt et al. 2004, 143). Außerdem „verlangt Lesen auch ein Weiterdenken und Ausgestalten mithilfe der eigenen Vorstellungen“ (Bertschi-Kaufmann 2015, 12). Neben der internationalen Vergleichsstudie PISA gab es zudem nationale Zusatzerhebungen, wobei den Probanden der zuvor gelesene Text während des Tests nicht mehr zur Verfügung stand (vgl. Schaffner et al. 2004, 197). Daraus resultiert, dass auch die Fähigkeit, Inhalte im Gedächtnis abzuspeichern, sodass dieses Wissen zukünftig angewendet werden kann, einen kompetenten Leser ausmacht (vgl. ebd., 198).
Zusammenfassend meint Lesen also einen „interaktiven Prozess der Konstruktion von Bedeutung“ (Valtin et al. 2008, 52) und nicht bloß die Fähigkeit, lesen und einen Text verstehen zu können. PISA versteht letztendlich unter Lesekompetenz die Fähigkeit, geschriebene Texte unterschiedlicher Art in ihren Aussagen, ihren Absichten und ihrer formalen Struktur zu verstehen und in einen größeren Zusammenhang einordnen zu können, sowie in der Lage zu sein, Texte für verschiedene Zwecke sachgerecht zu nutzen (Artelt et al. 2001a, 11).
Zu beachten ist zudem, dass nicht nur „kognitive Fähigkeiten (samt Lesestrategien) gefragt sind, sondern auch motivational-emotionale und kommunikativ-interaktive Bereitschaften und Fähigkeiten“ (Hurrelmann 2015, 24). Die Lesekompetenz stellt nach diesen Erkenntnissen also ein Hilfsmittel zum Erreichen persönlicher Ziele und zugleich eine Bedingung zur Weiterentwicklung sowie zum Wissenserwerb dar (vgl. Artelt et al. 2001a, 11).
Betrachtet man zu Beginn die lateinische Wortherkunft des Motivationsbegriffs, so lässt sich bereits auf die Bedeutung schließen. Motus meint die Bewegung, sodass Motivation also etwas ist, das bewegt (vgl. Wilbert 2010, 17). Der Motivationsbegriff findet sowohl im alltagssprachlichen Gebrauch als auch im wissenschaftlichen Kontext Verwendung. In der Alltagssprache wird Motivation als Antrieb, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen, verstanden (vgl. Rheinberg 2005, 15). Dementsprechend sind Menschen motiviert, um bestimmte Resultate zu erzielen. Die Wissenschaft bezeichnet den Begriff der Motivation als sehr heterogen. Dabei wird Motivation als „die aktivierende Ausrichtung des momentanen Lebensvollzugs auf einen positiv bewerteten Zielzustand“ (Rheinberg u. Vollmeyer 2012, 16) bezeichnet. Hier erkennt man also eine Übereinstimmung mit dem Alltagsverständnis von Motivation. Der Motivationsbegriff ist demnach auf ein intentional ausgerichtetes Verhalten zu beziehen, bei dem sowohl die Richtung als auch der Aufwand an Anstrengung und Ausdauer gesteuert wird (vgl. Schmalt u. Heckhausen 1985, 19). Schließlich fasst die Motivation die „Intentionen und Ziele, die ein Individuum mit seinem Handeln verfolgt“ (Richter u. Plath 2005, 21), zusammen.
Bezieht man die voranstehenden Erkenntnisse nun speziell auf Lesemotivation, lässt sich dies als „Ausmaß des Wunsches oder der Absicht, in einer bestimmten Situation einen spezifischen Text zu lesen“ (Möller u. Schiefele 2004, 102), determinieren. Daraus resultiert, dass eine Person, die den großen Wunsch verspürt zu lesen, auch eine hohe Lesemotivation aufweist.
Diese entwickelt sich aus Leseinteresse (vgl. Richter u. Plath 2005, 21 f.). Dabei wird die Lesemotivation als persistierend aufgefasst, während Leseinteresse auch nur von kurzer Dauer sein kann.
Eine weitere Differenzierung ist hinsichtlich der verschiedenen Beweggründe zum Ausführen einer bestimmten Handlung vorzunehmen. So kann man zwischen intrinsischer und extrinsischer Lesemotivation differenzieren. Generell ist jemand dann intrinsisch motiviert, „[wenn] die Person aus eigenem Antrieb handelt“ (Rheinberg u. Vollmeyer 2012, 149). Dementsprechend wird die Tätigkeit wegen des Tätigkeitsvollzugs selbst ausgeführt, „weil die Aktivität für sich selbst befriedigend bzw. belohnend ist“ (Möller u. Schiefele 2004, 102). Man spricht auch dann von intrinsischer Motivation, wenn die Gründe für eine hohe Lesemotivation im Interesse am Thema eines Textes zu begründen sind. Im Umkehrschluss führt das positive Erleben der Tätigkeit des Lesens zu intrinsischer Motivation (vgl. ebd.). Demnach spricht man also von extrinsischer Lesemotivation, „wenn die Gründe für das Lesen außerhalb der Tätigkeit des Lesens selbst und außerhalb des Themas des Textes liegen“ (ebd.). Tritt nun eine dieser Formen wiederholt auf, spricht man von habitueller beziehungsweise gewohnheitsmäßiger Lesemotivation. Liest ein Schüler also häufig, weil ihm das Lesen Freude bereitet, ist er habituell intrinsisch motiviert (vgl. ebd., 102 f.). Generell kann man festhalten, dass die intrinsische Motivation mehr Freude am Lernen schafft und zu größeren Lernerfolgen führt, weswegen der intrinsisch motivierte Schüler als ideal anzusehen ist (vgl. Schlag 2013, 22).
Wichtig für die Schule ist zudem das Erwartungs-Wert-Modell der Lesemotivation, welches als Vorhersage von Motivation und Verhalten in Leistungssituationen gilt (vgl. Möller u. Schiefele 2004, 103). Atkinson konstatiert dabei, „daß [sic!] die Zielsetzung sowohl von der Erfolgswahrscheinlichkeit als auch von dem Erfolgsanreiz abhängt“ (Rheinberg u. Vollmeyer 2012, 71). Dabei hängt die Wahl der Aufgabenschwierigkeit einer Person und deren Ausdauer beziehungsweise Anstrengung vom Zusammenwirken des Leistungsmotivs und der Erwartung- und Wertkomponente ab (vgl. Möller u. Schiefele 2004, 103). Leistungsmotiv wird hier als „bedürfnisorientierter Faktor“ (Rheinberg u. Vollmeyer 2012, 62) beschrieben, welcher bestimmt, auf welche Art eine bestimmte Person eine spezifische Situation wahrnimmt. Aus dem Modell geht hervor, dass mittelschwere Aufgaben die Motivation anregen, da extrem schwierige Aufgaben zwar einen hohen Erfolgsanreiz haben, diese jedoch geringe Erfolgswahrscheinlichkeiten versprechen. Bei besonders leichten Aufgaben verhält sich dies genau gegenteilig (vgl. Rheinberg u. Vollmeyer 2012, 71 f.). Ergänzt wird dies durch subjektive Interpretationen von Ergebnissen und soziale Einflüsse (vgl. Möller u. Schiefele 2004, 103). Je nachdem auf welchen Kausalfaktor Misserfolg zurückgeführt wird, ändert sich die Ausprägung von Motivation. Führt ein Schüler seinen Misserfolg auf internale Faktoren, also etwa auf mangelnde Begabung, zurück, hat dies eine besonders ungünstige Auswirkung auf die Einschätzung der Leistungsfähigkeit. Dementsprechend hat ein Schüler eine hohe Lesemotivation, wenn ihm günstige Attributionsmuster vermittelt werden (vgl. ebd., 107). „[Im] Fall hohen Interesses [ist] die Beschäftigung mit einem Thema mit positiven Gefühlen und hoher persönlicher Bedeutsamkeit assoziiert“ (ebd., 108). Interesse gilt als wichtigste Motivationsquelle und führt daher zu Lernzuwachs (vgl. ebd., 109). „Früh eintretende negative Rückmeldungen zur Lesekompetenz beeinträchtigen […] sowohl das lesebezogene als auch das domänenübergreifende akademische Selbstkonzept“ (ebd., 114), was letztlich zu niedriger Lesekompetenz beiträgt. Selbstkonzept wird dabei definiert als die Fähigkeitseinschätzung, welche durch externe Urteile geprägt ist. Schließlich besteht ein wechselseitiger Einfluss zwischen Selbstkonzept und schulischer Leistung (vgl. ebd., 111 f.). Akademische Leistungen werden außerdem durch hohe Selbstwirksamkeitsüberzeugungen gesteigert, wobei Selbstwirksamkeit die Annahme einer Person hinsichtlich des Abschneidens bei einer bestimmten Aufgabe meint (vgl. ebd., 114 f.).
Schlussfolgernd ist festzuhalten, dass die aktuelle Lesemotivation sich aus den Wert- und Erwartungskognitionen ergibt und diese sowohl das Leseverhalten als auch den Verstehenserfolg und die generelle Lesekompetenz beeinflusst. Dabei begünstigt eine habituelle Lesemotivation das habituelle Leseverhalten, welches wiederum einen Bedingungsfaktor für Lesekompetenz darstellt (vgl. Möller u. Schiefele 2004, 116).
Wie genau dieser Zusammenhang zwischen Lesekompetenz und Lesemotivation aussieht, bleibt nun zu klären. Dass bei jeglicher Ausbildung von Kompetenzen auch motivationale Aspekte eine Rolle spielen, hat bereits die eingangs erklärte Determination eines allgemeinen Kompetenzverständnisses gezeigt. Bei der Schilderung dieses Zusammenhangs wird zum einen auf die Befunde aus der PISA-Studie eingegangen und zum anderen auf Untersuchungen der Arbeitsgruppe von Guthrie und Wigfield sowie auf die von Cunningham und Stanovich.
„Die Ergebnisse der PISA-Studie bestätigen die [zuvor] postulierten Zusammenhänge zwischen Lesemotivation und Lesekompetenz“ (Möller u. Schiefele 2004, 118). Motivationale Merkmale, darunter insbesondere die intrinsische Lesemotivation und das Selbstkonzept, liefern Erklärungen für Differenzen bezüglich der Lesekompetenz unterschiedlicher Schüler (vgl. ebd.). Artelt hebt ebenfalls die Relevanz von Motivation für die Entwicklung und Perfektionierung der Lesekompetenz hervor (vgl. Artelt et al. 2010, 74). Des Weiteren verdeutlichen sowohl Artelt als auch Möller und Schiefele, dass die Gründe für die Wichtigkeit von Motivation in der höheren pädagogischen Beeinflussbarkeit im Vergleich zu kognitiven Fähigkeiten der Schüler liegen (vgl. Artelt et al. 2010, 74; Möller u. Schiefele 2004, 119). Zudem zeigt sich die Auswirkung intrinsischer Lesemotivation auf die Lesekompetenz vor allem darin, dass auch Schüler mit hoher intrinsischer Lesemotivation aus Familien mit niedrigem sozialökonomischen Status, welche ja oftmals dafür prädestiniert sind, generell schlechtere Leistungen zu zeigen, dennoch bessere Leseleistungen abrufen als solche aus besser situierten Familien, die eine geringe Lesemotivation aufweisen (vgl. Möller u. Schiefele 2004, 119). Während „[intrinsische] Komponenten der Lesemotivation […] direkt positive Effekte auf die Lesekompetenz [haben], […] scheint [extrinsische Motivation] vor allem dann zu besseren Leistungen zu führen, wenn vermehrt Strategien der Kontrolle des eigenen Lernzuwachses eingesetzt werden“ (Möller u. Schiefele 2004, 119). Schließlich verdeutlicht die PISA-Studie, dass die Lesemotivation, insbesondere jedoch die intrinsische, mit positiven Effekten auf die Lesekompetenz einhergeht.
Dies veranschaulichen auch die Arbeiten von Guthrie und Wigfield. Daraus geht ebenfalls hervor, dass „die intrinsische Lesemotivation [besonders bedeutsam] als Prädikator der Lesemenge zu sein scheint“ (ebd., 120). Während also die Lesemenge vor allem durch die intrinsische Motivation geprägt ist, wird die Lesekompetenz nach Wigfield eher durch extrinsische Aspekte beeinflusst, da diese vermehrt von schulischen, daher fremdbestimmten, Leseaktivitäten abhängig ist (vgl. Möller u. Schiefele 2004, 121). „Children with higher intrinsic motivation read more […] than students with lower intrinsic motivation“ (Wigfield u. Guthrie 1997, 426). Diese Erkenntnis von Wigfield und Guthrie verdeutlicht, dass die Lesemotivation deutliche Einflüsse auf die Lesemenge nimmt, welche wiederum die Lesekompetenz beeinflusst (vgl. Möller u. Schiefele 2004, 121). Die Arbeitsgruppe hält diesbezüglich fest: „Students´ reading amount and breadth contribute substantially to several valued aspects of their achievement and performance, such as reading achievement“ (Guthrie u. Wigfield 1997, 420). Wir haben es hier also mit einer Wirkungskette zu tun (vgl. ebd., 429; Möller u. Schiefele 2004, 121). Einerseits stellt die Motivation also einen Prädikator für die Lesemenge und somit auch das Leseverständnis dar, andererseits kann das Leseverständnis aber auch gleichzeitig zu mehr Lesemotivation führen (vgl. Guthrie u. Wigfield 1997, 429). Aus den Erkenntnissen ist zu schlussfolgern, dass Schüler, die mehr lesen, eine bessere Leseleistung erzielen.
So stellen auch Cunningham und Stanovich heraus, dass die Lesemenge als Prädikator für 23,8 Prozent des Zuwachses an Leseverständnis zwischen der fünften und zehnten Klasse gilt (vgl. Möller u. Schiefele 2004, 121; Cunningham u. Stanovich 1997, 939). Sie halten fest: „Print exposure accounted for 23,8% of the variance in comprehension ability“ (Cunningham u. Stanovich 1997, 939). Als Grund dafür führen sie die sogenannten Matthew-effects an, oder zu Deutsch Matthäus-Effekte. Diese beschreiben die „rich-get-richer and poor-get-poorer mechanisms“ (ebd., 934). Die Matthäus-Effekte besagen schließlich, dass diejenigen Leser, welche Probleme in der Dekodierung haben, generell weniger Lesen und die Texte als zu schwierig einstufen. Diese Schwierigkeiten münden letztendlich darin, dass sie seltener lesen und dementsprechend eine mangelhafte Leseflüssigkeit aufbauen. Das Resultat davon ist im Umkehrschluss eine erschwerte Fähigkeit des Textverständnisses (vgl. Cunningham u. Stanovich 1997, 934).
Dies hält auch die Arbeitsgruppe um Guthrie fest. Sie stellt heraus, „dass häufiges Lesen die Leseeffektivität […] steigert“ (Möller u. Schiefele 2004, 121). Durch eine Automatisierung des Leseprozesses wird das Arbeitsgedächtnis entlastet, sodass die Schüler sich vermehrt auf den Verstehensprozess konzentrieren können (vgl. Möller u. Schiefele 2004, 121; Cunningham u. Stanovich 1997, 934 f.). Außerdem wird durch eine höhere Lesemenge gleichzeitig das Vorwissen vergrößert, sodass das Textverstehen erleichtert und auch die Selbstwirksamkeitsüberzeugung, welche zu der Wahl anspruchsvollerer Texte und damit zu einer gesteigerten Lesekompetenz führt, gefördert wird (vgl. Möller u. Schiefele 2004, 121).
Schlussendlich stellt die Lesemotivation, insbesondere die intrinsische, einen zentralen Prädikator für die Lesekompetenz dar. Zusammenfassend kann man herausstellen, dass eine höhere Lesemotivation zu einer größeren Lesemenge führt. Die vermehrte Beschäftigung mit Lesen leitet zu Automatisierungsprozessen, welche wiederum das Arbeitsgedächtnis entlasten, sodass sowohl das Textverstehen erleichtert als auch die Lesekompetenz gesteigert wird. Aus diesen Gründen wird bereits an dieser Stelle die Wichtigkeit zur Förderung der Lesemotivation, um Lesekompetenzen auszubilden, hervorgehoben.
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