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Bachelorarbeit, 2011
54 Seiten, Note: 1,0
Inhaltsverzeichnis:
1. Einleitung
2. Inklusion
2.1 Begrifflichkeit
2.1.2 Exkurs: „Die Schule für alle“ – eine neue Idee?
2.2 Integration versus oder gleich Inklusion?
2.3 Macht die Verwendung der Begrifflichkeit Inklusion Sinn?
2.3.1 Exkurs: Ist Inklusion zu exklusiv?!
2.4 Forderungen der Inklusionsbewegung
2.4.1 Exkurs: Inklusive Schule = Inklusive Gesellschaft?
2.5 Welchen Handlungsbedarf gibt es speziell in Deutschland?
3. „Inklusionsdidaktik“
3.1 Was ist Didaktik?
3.2 Konstruktivistische Perspektive auf das Lernen
3.2.1 Lernen ist aktiv
3.2.2 Lernen ist selbstgesteuert
3.2.3 Lernen ist nicht Vermittlung
3.2.4 Lernen ist ein konstruktiver Prozess
3.2.5 Lernen ist ein situativer Prozess.
3.2.6 Lernen ist ein sozialer Prozess
3.2.7 Welche Lehrerrolle „braucht“ das konstruktivistische Lernen?
3.3 Didaktik der Perspektivenvielfalt bzw. Mehrperspektivität
3.3.1 Welche Möglichkeiten bietet die Didaktik der Perspektivenvielfalt?
3.4 Didaktik des Offenen Unterrichts
3.4.1 Welche Möglichkeiten bietet die Didaktik des Offenen Unterrichts?
3.5 Exkurs: Was ist das Ziel des Gesellschaftsauftrages der Schule?
4. Die "richtige“ Didaktik für Inklusion ?!
5. Fazit
Literaturverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Inklusion – Was ist das überhaupt? Ist es ein neuer Gedanke? Oder handelt es sich nur um eine Umbenennung, um den pädagogischen Diskurs weiter zu beschäftigen? An welchen Orten sollte Inklusion vollzogen werden? Wer ist verantwortlich für die „richtige“ Umsetzung von Inklusion? Und im Kernpunkt: Was muss ich als Lehrer tun, welche Didaktik anwenden, um den Weg für eine gelingende Inklusion zu ebnen?!
Diese und daraus resultierende Fragen sollen in der vorliegenden Arbeit behandelt werden. Es soll versucht werden Antworten zu finden und wenn dies nicht möglich ist weiterführende Gedanken anzuregen.
Aus diesem Grund wird im ersten Teil der Arbeit der Begriff Inklusion definiert und im Folgenden mit dem Begriff der Integration gegenübergestellt. Daran anschließend wird diskutiert, ob die Einführung der Begrifflichkeit Inklusion sinnvoll erscheint. Die Forderungen der Inklusion werden weiterführend beschrieben, um Handlungsbereiche zu verdeutlichen. Im zweiten Teil der Arbeit wird eine Definition von Didaktik aufgestellt und die konstruktivistische Sichtweise auf das Lernen erläutert. Diese Ausführungen stellen die Grundlage der Auswahl und Erörterung der spezifisch gewählten Didaktiken dar. Im weiteren Verlauf wird die Didaktik der Vielperspektivität be-ziehungsweise Mehrperspektivität und die Didaktik des Offenen Unterrichts erläutert. Jeweils im Anschluss werden die bezeichnenden Möglichkeiten der Didaktiken, auch für inklusiven Unterricht, dargestellt. Im dritten Teil der vorliegenden Arbeit wird erläutert welche Anforderungen eine Inklusions-didaktik stellt, in welcher Art sie beschrieben werden kann und ob sie überhaupt bestehen kann. Abschließend ist im Fazit eine Schilderung der persönlichen Standpunktentwicklung der Autorin enthalten. Des Weiteren werden weiterführende Gedanken und persönliche Sichtweisen im Fazit wie auch in den vier Exkursen an- und ausgeführt.
Diese Arbeit strebt einen Transfer zwischen Theorie und Praxis an. Hieraus abgeleitet lassen sich insbesondere im Abschnitt drei Formulierungen finden, welche werdenden Lehrern, sowie berufstätigen Lehrern helfen sollen Handlungsaufforderungen und Eckpunkte des Gedankengerüstes abzuleiten. So soll versucht werden diese Arbeit, für Leser aus unterschiedlichen pädagogischen Interessensgruppen, ergiebig zu gestalten.
Im Folgenden wird eine Definition von Inklusion aufgestellt, um auf dieser Grundlage zu diskutieren, inwiefern diese Begrifflichkeit Neuerungen be-inhaltet und ob ihre Verwendung sinnvoll erscheint. Dies soll als Grundlage dienen, um die Forderungen der Inklusionsbewegung zu verstehen. Im letzten Abschnitt dieses Punktes wird dann darauf eingegangen, welchen Bedarf an inklusiven Handlungen man in Deutschland feststellen kann.
Der Begriff Inklusion fand insbesondere im Jahre 1994 seine „Einführung“ in den wissenschaftlichen Diskurs. Die „World Conference on Special Needs Education“, welche durch die UNESCO 1994 in Salamanca einberufen wurde, legte in ihrem Abschlussbericht fest dass auf „eine Schule für alle“ hinzuarbeiten sei. In der Übersetzung, in die deutsche Sprache, wurde jedoch weiterhin von Integration gesprochen. Diese begriffliche Gleichsetzung erschwert eine klare Definition des Inklusionsbegriffes (vgl. Sander 2004a, 12). Weiterhin wird eine abzugrenzende Definition dadurch beeinträchtigt, dass auch in englischen Fachtexten keine differenzierten Verwendungen vom Inklusionsbegriff vorzufinden sind (vgl. ebd.). Dieser Arbeit soll eine persönlich erstellte Definition von Inklusion zu Grunde gelegt werden. Die folgende Definition, welche den schulischen Kontext hervorhebt, ist angeregt durch die Ausführungen von Sander (2004a) und Hinz (2009).
Inklusion gilt für alle Menschen unabhängig von ihrer Diversität.
Alle Kinder und Jugendlichen mit ihren je spezifischen pädagogischen Bedürfnissen und Förderaspekten werden an einer Allgemeinen Schule unterrichtet. Die Heterogenität der Schüler stellt für eine inklusive Schule eine Bereicherung dar und wird genutzt, um das Ziel einer Gesellschaftsform ohne Diskriminierung anzustreben.
Hier zeigt sich der Fokus beziehungsweise „Nicht-Fokus“ von Inklusion. Im Zentrum stehen nicht eine oder mehrere benachteiligte Minderheiten. Eine besondere Betonung liegt auf allen Kindern und Jugendlichen, es gibt somit keine Einschränkung. Die Heterogenität jedes Einzelnen muss erkannt und anerkannt werden (vgl. a.a.O. 242). So nennt Hinz, dass es nicht um die Frage „Ist jemand behindert oder nicht behindert?“ und somit normal, geht. Vielmehr soll es auf der Ebene des Strukturenaufbaus um eine Fokussierung von Individualität gehen und nicht um Kategorisierungen (2009, 173). „Inklusion wendet sich der Heterogenität von Gruppierungen und der Vielfalt von Personen positiv zu.“ (Hinz 2009, 171) Aus der Individualität der Kinder muss eine eigenständige Beachtung und Förderung im Sinne von schulischer Unterstützung abgeleitet werden. Die Betrachtungsweise darf nicht mehr auf eine dichotome Unterscheidung, von Behinderten und Nicht-Behinderten beziehungsweise Normalen und Unnormalen, hinauslaufen, wie sie durch die Zwei-Gruppen-Theorie geprägt ist. Es geht um alle Merkmale der Kategorisierung und um die „Akzeptanz“ dieser (vgl. Hinz 2009, 171). Somit ist es ein Entwicklungsschritt weg vom „Aufräumen“ im Schulwesen, weg davon Schülern einen je individuellen sonderpädagogischen Förderbedarf zu attestieren und es ist ein Schritt hin zu einer systemisch orientierten Betrachtungsweise auf Schulprozesse und Schülerverhalten (Hinz 2004, 43f). Des Weiteren ist Inklusion nicht ausschließlich für die Schule ein Denkgerüst. Ziel ist es eine inklusive Gesellschaftsform aufzubauen, in welcher keine Diskriminierung und Marginalisierung mehr stattfindet. Dieser Vision folgend muss es keine „besondere“ Pädagogik mehr geben sondern eine Allgemeine Pädagogik, welcher Inklusion immanent ist (vgl. Hinz 2009, 171ff).
Ist der Gedanke einer Schule für alle eine neue Idee? Nein. Der Gedanke ist schon im Mittelalter zu verorten. Johann Amos Comenius war der erste der eine Schule für alle gefordert hat. Natürlich ist in der Retrospektive zu bedenken, dass er im Grundgedanken wahrscheinlich nicht an stark beeinträchtigte Menschen dachte. Jedoch ist das Innovationspotenzial dieses Gedanken zu dieser Zeit zu betonen. So ist es doch markant für die Trägheit der Entwicklungsprozesse, dass sich in der Pädagogik innerhalb von 400 Jahren erst jetzt wieder eine Theorierichtung ausbildet, die praktische An-forderungen stellt, welche politisch „unterstützt“ werden müssen (UN-Konvention). Fraglich ist auch, ob man Erklärungsansätze nutzen kann die behaupten: „Die Welt war noch nicht bereit, für die Einlösung eines solchen Gedankengutes!?“. Die vollständige Beantwortung dieser Frage würden den Rahmen dieser Arbeit sprengen, jedoch wird hierdurch deutlich, dass idealistische Gedanken im Bezug auf die Pädagogik schon immer vorhanden waren. So ist die Einlösung dieses Gedankengutes darauf angewiesen, dass sie Vertreter in allen Ebenen der Gesellschaft findet. Doch dafür muss der Stellenwert der Pädagogik in Deutschland steigen. Infolge dessen braucht es nicht nur gute Praktiker, sondern auch Vermittler zwischen Theorie und Praxis und eine Art „neues Marketing“ für die Pädagogik insgesamt. Es müssen strukturelle Veränderungen anvisiert und durchgesetzt werden, um den Raum für eine Pädagogik zu schaffen, welche Inklusion praktizieren kann.
Wenn man die bedeutsamen Vertreter der Integration liest, so fällt einem vor allem auf, dass der Sprung zur Inklusion auf theoretischer Ebene, je nach Autor, nur ein kleiner oder keiner ist. Erst durch die Studienlage wird sichtbar, dass der eklatanteste Unterschied in der praktischen Umsetzung von Integration und ihren theoretischen Forderungen deutlich wird (vgl. Reiser 2003, 307f). So scheint insbesondere die Bedeutung des Integrationsbegriffes im Alltagsgebrauch eine andere zu sein als jene, welche von den theoretischen Vertretern beschrieben wurde. Hierbei ist zu betonen, dass auch im Diskurs über Integration keine wissenschaftlich einheitliche Definition zu finden ist. Somit sollen die Perspektiven von Feuser und Eberwein im Folgenden kurz dargestellt werden um aufzuzeigen, welchen Standpunkt Inklusion in der Historie der Integration hat.
Eberwein spricht unter anderem von einer notwendigen ganzheitlichen Sicht auf den Menschen, ohne „Kategorisierungen, Einstufungen und Ausgrenzungen“ (1994, 58). Diese Annahme lässt sich in der Inklusionsdebatte wiederfinden, seine Ausführungen unterscheiden sich jedoch, in anderen Punkten, von den Inhalten der Inklusion.
Er verwendet dichotome Kategorisierungen, setzt den Fokus auf Behinderte und Nichtbehinderte, und fordert somit die Integration von Behinderten durch die „Überwindung aussondernder Einrichtungen sowie deren pädagogischen Konzeptionen zugunsten gemeinsamen Lernens und Lebens.“ (a.a.O. 55). Um dieses Ziel zu erreichen führt er den Begriff der „Integrationspädagogik“ an und möchte durch diese Erweiterung des pädagogischen Handelns zu einer Zielvorstellung gelangen, in welcher es normal ist verschieden zu sein. Somit wäre das angestrebte Ziel, diese Verschiedenheit nicht mehr explizit benennen und kategorisieren zu müssen. Hierzu sieht er es als unerlässlich an, die Sonderpädagogik in die Integrationspädagogik aufzulösen. Dies begründet er folgendermaßen:
„Die Auffassung, soziale Integration durch schulische Separation bewirken zu können, wurde empirisch widerlegt. Eingliederung kann nicht durch Ausgliederung erreicht werden.“ (Eberwein 1994, 55).
Auch hier finden sich bei Eberwein dem Inklusionsgedanken entsprechende Abschnitte. Und auch er wählt wie andere Vertreter (siehe unten) eine systemische Sicht auf den Behinderungsbegriff und fordert eine Abwendung von einer defektorientierten Sichtweise (a.a.O. 62), wodurch er die Grundlagen für den inklusiven und integrativen Gedanken postuliert, da nur dann eine Änderung des Systems Schule und / oder Gesellschaft hinreichende Effekte nach sich ziehen kann.
Bei Feuser lassen sich keine Differenzen zur Inklusion feststellen. Auch er geht von der Notwendigkeit einer Reform des kompletten Schulsystems aus. Er formuliert den Anspruch Schulen für Kinder zu eröffnen und nicht Kinder passend für Schulen zu separieren und zu verteilen. Hier müssen die Bedürfnisse von Kindern im Mittelpunkt stehen und ihre bisherige Ontogenese dabei berücksichtigt werden. Von ihm wird ein Ende der Separation und der stetigen Selektion im „EBU“ in den Fokus genommen. Feusers Ansatz fordert eine neue Allgemeine Pädagogik und keinen Aufbau einer Integrationspädagogik, da diese eine Fortführung der Selektion darstellt. Die Allgemeine Pädagogik ist demnach auf keine offizielle Markierung durch das Adjektiv integrativ angewiesen, es ist ihr immanent.
Für Feuser ist die Kooperation der Schüler untereinander und mit dem sie umfassenden System grundlegend. Diese Kooperation sieht er auch darin gegeben, dass er zum „Lernen am gemeinsamen Gegenstand“ aufruft. Diese Behandlung eines gemeinsamen Kerngedankens in seinen unter-schiedlichsten Arten sieht Feuser als Möglichkeit allen Schülern „gerecht“ zu werden. Dies scheint jedoch didaktisch erweiterbar zum Beispiel durch die Berücksichtigung von der Didaktik des Offenen Unterrichts (siehe 3.4). Der Gedanke der Kooperation untereinander taucht fortwährend auf und ist für die Umsetzung von Inklusion unerlässlich (vgl. Heimlich 2003,149). Und auch bei Feuser lässt sich innere Differenzierung durch die Forderung nach einer Individualisierung finden (vgl. Feuser 2005, 170f).
Für Feuser kann eine Pädagogik nur dann human sein und dem Demokratiegedanken entsprechen, wenn sie nicht selektiert. Demzufolge stellen für ihn Sonderschulen die Barrieren her und dar, welche zu überwinden sind. Hier werden Trennlinien in organisatorischer wie auch in normierender Weise gezogen, die sich gesellschaftspolitisch Ausbreiten (vgl. Feuser 2005, 12ff.).
Hierdurch wird aufgezeigt, dass Inklusionsbestrebungen schon in den Schriften zur Integration bis zur Ganzheit vorhanden sind. So schreibt Hinz:
„Die Theorie der deutschsprachigen Integrationspädagogik zeigt von Anfang an ein aus heutiger Sicht inklusives Verständnis der Integration, sie hat immer schon unterschiedliche Dimensionen von Heterogenität thematisiert.“ (2004, 55).
Daraus ist allerdings auch abzuleiten, dass bisher keine adäquate Umsetzung, weder auf politisch-organisatorischer Ebene noch auf schulisch-didaktischer Ebene, in flächendeckender Form ihre Umsetzung gefunden hat. Die angestrebte Schulreform ist quantitativ wie qualitativ „erlahmt“ (vgl. Reiser 2003, 307). In der Praxis hätte ein Paradigmenwechsel vollzogen werden müssen, wenn sie der Theorie der Integration hätte entsprechen wollen (vgl. Hinz 2004, 66).
Nachdem im vorherigen Punkt aufgezeigt wurde, dass inklusive Bestrebungen schon in der Integrationsbewegung zu finden sind, kommt die Frage auf, ob die Verwendung des Inklusionsbegriffes Sinn macht. Handelt es sich nur um eine Umbenennung von Integration oder sind Veränderungen auf der inhaltlichen und intentionalen Ebene zu erkennen?
Hinz erklärt, dass es sinnvoll ist den Begriff der Inklusion zu verwenden, um die aktuellen internationalen Diskussionen und Weiterentwicklungen, auch im deutschsprachigen Bereich, deutlich aufzunehmen (vgl. 2004, 69). So sagt auch Sander:
„Das Aufgreifen des Inklusionsbegriffs in der heutigen deutschen Fachsprache erleichtert die wünschenswerte Internationalisierung der Theoriediskussion.“ (2004a, 12).
Des Weiteren sieht er die Verwendung des Inklusionsbegriffes als die Einnahme einer neuen Perspektive. Minderheiten werden nicht mehr ausschließlich aus der Sicht der Sonderpädagogik betrachtet, sondern Inklusion stellt den Anspruch an die Allgemeine Pädagogik sich um „eine Schule für Alle“ zu bemühen. Somit soll eine neue Praxis ihren Anfang in den Inklusionsbestrebungen finden (vgl. Hinz 2004, 69ff). Reiser nennt wie Hinz einen weiteren Grund für die Verwendung des Inklusionsbegriffes:
„Der Wechsel des Zielbegriffs (Inklusion statt Integration) hat den Hintergrund, dass die mit dem alten Begriff verbundene Praxis defizitär geworden ist. Die visionäre Kraft des Begriffs Integration scheint abgenutzt.“ (2003, 308)
Hier wird deutlich, dass Integration durch die unzureichende praktische Realisierung eine falsche „Alltagsbedeutung“ bekommen hat und dies durch einen „Imagewechsel“ verändert werden soll. Uneinig sind sich Hinz und Reiser darüber, ob sich abseits vom „Imagewechsel“ auch eine inhaltliche Veränderung hinter dem Begriff der Inklusion verbirgt. Reiser bestreitet dies, wobei Hinz beide Begrifflichkeiten gegeneinander stellt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1: Praxis der Integration und der Inklusion. (Hinz 2002, 359)
Die obige Tabelle von Hinz findet ihre Bestätigung, wenn man von der praktischen Umsetzung von Integration spricht, ist jedoch auf der theoretischen Ebene zu widerlegen (siehe 2.2). Zu überdenken ist, ob eine „Neubenennung“ die Praxis verändern kann, oder ob alte Muster, welche durchaus ihre systemischen Begründungen haben, auch durch die Implementierung eines neuen Begriffes keine Änderung erfahren (Reiser 2003, 309f).
So findet Integration derzeit häufig durch Sonderpädagogen statt, welche die Kinder mit besonderen Förderbedürfnissen in besonderen Gruppen „unterrichten“. Hier wird nicht die geforderte innere Differenzierung durchgeführt. In diesem beschriebenen Praxisfall geht es um eine sonderpädagogische „Serviceleistung“, bei welcher Integration durch Selektion durchgeführt wird, welches in sich paradox und gegenläufig ist. Jedoch ist bei diesen Überlegungen des Weiteren zu berücksichtigen, dass im Zuge der Inklusionsbewegung neue Instrumente zur Durchführung in der Praxis ihre Anwendung finden, hier ist insbesondere der „Index für Inklusion“ zu nennen (vgl. Hinz 2004, 69).
Ein weiterer Punkt der die Benutzung des Begriffes Inklusion im positiven Licht darstellt, ist die neue Perspektive auf die Sonderpädagogik. Wie oben genannt ist Inklusion ein Auftrag der ausdrücklich an die Allgemeine Pädagogik gerichtet ist, daher kann er das Gedankenexperiment anstoßen sich eine inklusive Schulwelt ohne die derzeitige Professionsstruktur der Sonderpädagogen vorzustellen, welches durchaus nicht unmöglich erscheint. Somit kann die „neue“ Begrifflichkeit die Historie der Sonderpädagogik einschlägig verändern und einer neuen Sicht auf die Hilfesysteme den Weg ebnen (vgl. Reiser 2003, 310f).
Fraglich ist, ob nicht die Einführung des Begriffes der Inklusion einen paradoxen Beigeschmack hat. So ist die Exklusivität des Begriffes ab dem Zeitpunkt hinderlich wo Inklusion seine „Einlösung“ findet. Wenn die Gesellschaft inklusiv handelt, dann braucht und darf sie nicht mehr nach inklusiven Momenten und Bewegungen suchen, denn sie befindet sich in einem „Ist-Zustand“ der dadurch zerstört werden würde, in dem man ihn definieren bzw. kategorisieren will. Es ist unweigerlich wichtig für uns Begrifflichkeiten zu haben, durch welche wir in der Lage sind zu kategorisieren. Genau auf diese Art und Weise funktioniert unser Gedächtnis: Wir speichern unsere aufgebauten Konstrukte unter ver-schiedenen Kategorien ab, um im Folgenden auf sie zugreifen zu können. Doch gleichzeitig sprechen wir von Inklusion, als einer bestimmten Kategorie mit Menschen umzugehen, mit der Vision, dass es den Zustand geben kann, dass niemand nur aufgrund seiner „Merkmale“ in Kategorien gezwungen wird und seine Individualität nicht positiv anerkannt werden kann. Ich glaube, dass dieser Idealzustand in den Köpfen anklingen kann, doch nicht im Allgemeinen als eine inklusive Gesellschaftsentwicklung bezeichnet werden sollte. Denn Inklusion herrscht erst dann, wenn es normal wird, Verschiedenheit durch ein positives und offenes Menschenbild als Spielform der Menschheitsentwicklung bejahend anzunehmen. Somit ist nicht die Verwendung von Kategorisierungen der Kritikpunkt sondern die Konsequenzen die wir aus den Kategorien ableiten. Vielfalt darf und muss unterscheidbar sein, aber zum „Normalfall“ für das Handeln und Denken werden.
Zusammenfassend sollen im Folgenden die Forderungen der Inklusion gebündelt dargestellt werden. Sie stellen die Metaebene für die nachfolgenden Ausführungen dar.
Die Forderungen auf rechtlicher Ebene sind dem „Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen“, der „Salamancakonvention“ zu entnehmen. Hier sind viele Einzelrechte und Bestimmungen festgelegt, welche in den folgenden Gruppen zusammengefasst werden können:
-Bestimmungen gegen Diskriminierungen
-Personenschutzrechte, welche das Recht auf Leben, Gewaltfreiheit und Schutz vor Missbrauch sichern sollen
-Selbstbestimmungsrechte
-Recht auf Barrierefreiheit und Teilhabe
-Freiheitsrechte, wie zum Beispiel das Recht auf persönliche Mobilität
-wirtschaftliche und soziale Rechte, wie das Recht auf eine inklusive Bildung (vgl. Schumann 2009, 2f).
Der Kernpunkt der Salamancakonvention ist die Akzeptanz von Vielfalt. So wird Behinderung als ein normaler Phänotyp von menschlichem Leben betrachtet. Es wird hier von einem humanen Anspruch an das „So-Sein“ ausgegangen und ein positiver Umgang mit den verschiedenen Seinsformen eingefordert (vgl. Glück/Mußmann 2009, 214).
Inklusion liegt die Forderung inne Heterogenität positiv zu betrachten, sie möchte alle Kategorien von „Verschiedenheit“ in den Blick nehmen und in einem Kontext betrachten. Diese Zuwendung soll ohne dichotome Katego-risierungen vollzogen werden, um der einzelnen Person mehr gerecht zu werden (vgl. Hinz 2009, 171).
Die Inklusionsbewegung fordert für den Gestaltungsrahmen in der Schule, dass verschiedene Perspektiven auf Inklusion (vom Kind, von den Eltern, von den einzelnen Professionen) demokratisch ausgehandelt werden und die Entwicklung eines inklusiven Schulsystems mitbestimmen (vgl. Glück / Mußmann 2009, 212). Es wird eine Überwindung des stark gegliederten Bildungswesens gefordert, somit kann es nicht mehr nur um die Differenzierung nach Leistung, als einem der „alles-bestimmenden-Kriterien“ gehen (vgl. Markowetz 2004, 169).
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