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Masterarbeit, 2017
56 Seiten, Note: 3,0
1. Einleitung
Fragestellung
Methodische Vorgehensweise
2. Begriffsdefinitionen
2.1 Kulturelle Inklusion
2.2 Theaterspiel
2.3 Geistige Behinderung
2.4 Identitätsentwicklung
3. Förderrelevante Besonderheiten und Fähigkeiten
4. Förderschwerpunkte und die Möglichkeiten des Theaterspiels
4.1 Ich-Kompetenzen
4.1.1 Verbale Kommunikationsfähigkeiten
4.1.2 Körperbewusstsein
4.1.3 Wahrnehmung
4.1.4 Selbstvertrauen und persönlicher Freiheit
4.2 Wir-Kompetenzen
4.2.1 Empathie
4.2.2 Sozialverhalten
4.2.3 Disziplin
4.2.4 Kooperation
5. Zuschauer
6. Organisatorische Rahmenbedingungen
6.1 Ausstattung und Räumlichkeit
6.2 Methodische Kriterien und Fördermöglichkeiten
6.2.1 Tanz
6.2.2.Musik
6.2.3 Textproduktion
6.2.4 Improvisation
6.2.5 Rollenvielfalt
6.3 Voraussetzungen seitens der PädagogInnen als SpielleiterInnen
7. Arten des Theaterspiels für Menschen mit geistiger Behinderung
7.1 Pantomime
7.2 Puppentheater
7.3 Masken
7.4 Schwarzlichttheater
7.5 Schattentheater
8. Praxisbeispiele
9. Fazit
„In inklusiven Setting zum Theaterspielen sind nicht nur Literatur und Sprache oder Gestik und Mimik die Bereiche der zentralen Lernziele. Theater ist ein gemeinsames Vorhaben, zu dem alle beitragen, und in vertrauensvollen Situationen lernen alle Beteiligten,
- Die Welt der anderen ein Stück zu verstehen,
- Ängste und Vorurteile abzubauen
- Und somit auch ihre eigene Sicht auf die Welt zu verändern.
Das sind starke Ziele und sie machen stark.“ ( Osburg u.a. 2015, 12)
Als ich dreizehn Jahre alt war und eine Lebensphase erlebte, die für mich nicht einfach erschien, kam ich zufällig in ein Jugendtheater. Bis zu diesem Zeitpunkt war ich weder als Spielerin noch als Zuschauerin in einem Theater. Damals fand ich es nicht interessant, vor allem nicht für Jugendliche. Ich ging jedoch mit meiner besten Freundin zu einer Probe, nur um einmal zuzuschauen. Seit dem kann ich mir ein Leben ohne Theater nicht mehr vorstellen. Es nimmt immer noch einen großen Teil in meinem Leben ein. Schon damals merkte ich, dass das Theater wie Heilmedizin auf mich wirkte. Aber voran lag es? Wieso plötzlich das Theater? Wieso traute ich mir viele Sachen auf der Bühne zu, welche ich mir in der Realität nicht zutraute? Jetzt brauche ich keine Antworten mehr, ich weiß, dass Theater mir sehr viele Möglichkeiten geboten hat, meine Persönlichkeitsentwicklung voran zu bringen.
Ich spiele immer noch Theater, organisiere und führe einige Projekte durch. Vor einem Jahr absolvierte ich ein Praktikum in dem Kinder- und Jugendtheater S. Dort leitete ich eine Kindertheatergruppe. Während meiner praktischen Tätigkeiten in einem Amateurtheater zeigte ich großes Interesse an der theoretischen Auseinandersetzung mit dem Thema Theater mit Kindern. In dieser Arbeit möchte ich diesem Thema nun nachgehen. Das Masterstudium „Sonder- und Integrationspädagogik“ gab mir neue Erfahrungen und gute Ideen, sodass ich meine Interessen und Beobachtungen auf viele Dinge und Lebenssituationen aus anderen Blickwinkeln beobachten kann. Da die Sonderpädagogik im außerschulischen Bereich sich mit Menschen beschäftigt, welche einen besonderen individuellen Förderbedarf benötigen, habe ich mein Blick auf das Theaterspiel bzw. die Theaterpädagogik im Zusammenhang mit „besonderen“ Kindern gerichtet. Seit Oktober 2016 nehme ich an einer Theatergruppe in einem Erfurter Förderzentrum teil. Diese Gruppe wird von sechs Kindern mit geistiger Behinderung im Alter von zwölf bis achtzehn Jahren besucht. Hierbei handelt es sich um leichte geistige Beeinträchtigungen bis schwerwiegende Kommunikationsdefizite Meistens betrifft dies den Sprachgebrauch. Ein Mädchen mit einer autistischen Störung kann sich nur mit Hilfe eines Talkers oder durch Gebärdensprache verständigen.
Die Teilnahme an einer Theaterfreizeitgruppe in einem Erfurter Förderzentrum gab mir den Impuls, dass ich meinen Blick in die theoretische Auseinandersetzung mit dem Thema eine Identitätsentwicklung über Theaterspiel im Rahmen der interkulturellen Inklusion besonders an Kinder und Jugendliche mit geistiger Behinderung richte.
Unabhängig von Alter, sprachlicher, physischer, psychischer, wie auch motorischer Entwicklung können meiner Meinung nach alle Menschen Theater spielen. Zurzeit gibt es sehr viele und unterschiedlichste Formen des Theaterspiels, sodass für alle Personen, die sich in dieser Richtung sich interessieren, eine bestimmte Form als passend zu finden ist. Einige Theaterspielarten werden in dieser Arbeit vorgestellt, die für den Kontext dieser Arbeit bzw. für die theaterpädagogische Arbeit mit Kindern mit geistiger Behinderung relevant sind. Da erfahrungsgemäß nicht nur das Ergebnis bzw. die Premiere des Theaterstücks, sondern der Prozess selbst als wirksam erscheint, möchte ich diesen Verlauf im Rahmen der kulturellen Inklusion in dieser Arbeit nun näher betrachten. Was tut sich bei einem Theaterspiel? Welche Auswirkungen hat es auf die Wahrnehmung des eigenen Selbsts? Welche Kommunikationsmittel werden in den theatralischen Prozessen benutzt?
Kinder mit geistiger Behinderung haben wie alle Menschen, ihre Bedürfnisse und viele von Ihnen würden gern Theater spielen. Aber was bedeutet das für PädagogInnen? Was bedeutet es für die Gesellschaft? Was bedeutet es für dieTeilnehmerInnen? Ist es eine Herausforderung für PädagogInnen? Sollte es für besondere Kinder ein „Sondertheater“ geben? Was muss beachtet werden? Inwieweit kann die Theaterpädagogik bei der Persönlichkeitsentwicklung von Kindern mit geistiger Behinderung unterstützend sein? Welche für die Identitätsbildung von Kindern und Jugendlichen wichtigen Erfahrungen ermöglicht das Theaterspiel? Es geht in dieser Arbeit nicht darum, klare Antworten zu bekommen, sondern es wird versucht, die unterschiedlichen Stellungnahmen zu beleuchten und dieses Thema aus mehreren Blickwinkeln zu betrachten. Weiterhin soll es als Grundwissen für PädagogInnen als TheaterspielleiterInnen dienen, welches die wichtigsten Schwerpunkte dazu enthält.
Es ist mir bewusst, dass die Identitätsentwicklung sehr viele Bereiche und Lebensabschnitte betrifft, die in dieser Arbeit nicht im vollen Umfang betrachtet werden können. Bevor in das Thema eingestiegen wird, werden im zweiten Kapitel die wichtigsten Begriffe dieser Arbeit, wie kulturelle Inklusion, Theaterspiel, geistige Behinderung und Identitätsentwicklung sowie einige theoretische Sichtweisen erläutert. Dabei geht es nicht um allgemeine Definitionen, denn in diesem kleinen Abschnitt wird bereits ein sonderpädagogischer Blick auf die Begrifflichkeiten gerichtet.
Das dritte Kapitel soll eine Übersicht von Besonderheiten und Fähigkeiten den Kindern mit geistiger Behinderung bieten, die für die Förderung und einem besseren Verständnis zwischen Teilnehmenden und TheaterspieleiterInnen relevant sind. Es werden nur die Schwerpunkte beleuchtet, die für theatralische Prozesse wichtig sind. Kinder mit geistiger Behinderung verfügen nicht über „schwache“ Stellen, sondern weisen auch Stärken auf, die sehr gut zum Nutzen berücksichtig werden können, um zum Beispiel schwächere Fähigkeiten zu kompensieren.
In dem vierten Kapitel werden einige Möglichkeiten des Theaterspiels im Hinblick auf Förderschwerpunkte vorgestellt. Diese kurze Ansicht wird im Folgenden in Ich- und Wir-Kompetenzen unterteilt, was eine vielseitige Betrachtung von sozialen Kompetenzmöglichkeiten ermöglicht. Nicht zuletzt wird die Rolle der Zuschauer in den theatralischen Prozessen vorgestellt und ein Nutzen für die TeilnehmerInnen im Prozess der Kompetenzerweiterung beschrieben, was im fünften Kapitel thematisiert wird.
Im sechsten Kapitel steht nicht nur zur Diskussion wo, sondern auch wie gespielt wird. Es werden nicht nur die Raumbedingungen, empfohlene Gruppengröße und Probendauer vorgeschlagen, sondern auch die Rolle von Schminken und Kostümen sowie die Empfehlungen für den Nutzen vorgestellt. Die sonderpädagogische Arbeit mit Kindern mit geistiger Behinderung besitzt auch die Förderschwerpunkte Sprache, Hören, Sehen, körperliche, motorische, emotionale, soziale und geistige Entwicklung. In diesem Kapitel werden methodische Vorgehensweisen auf genannte Förderschwerpunkte gerichtet. Als ich im Erfurter Förderzentrum bei der Erstellung eines Theaterstücks mitwirkte, stellte ich mir bezüglich meiner Haltung als Theaterpädagogin mehrere Fragen. Deswegen werden auch hier einige allgemeine Regeln, Techniken und Aufgaben für PädagogInnen als SpielleiterInnen vorgestellt.
Das siebte Kapitel soll einer Übersicht über die Arten des Theaterspiels für Menschen mit geistiger Behinderung schaffen. Es gibt jede Menge Typen und Arten von Theaterspiel, aber blickend auf die spezifischen Fähigkeiten von Kindern mit geistiger Behinderung können einige sehr überfördernd wirken, was kontraproduktiv für die Teilnehmenden sein kann. Deswegen werden in diesem Kapitel einige Arten des Theaterspiels vorgestellt, die die besten Rahmenbedingungen für die erfolgreiche weitere Entwicklung darstellen.
Der Einblick in die Praxis kann den Theorieteil teilweise oder ganz entweder bestätigen oder widersprechen. Durch den Vergleich können auch mehrere Fragen entstehen und weiteres Interesse an dem Thema wecken. Deswegen werden im achten Kapitel einige inklusive Theatergruppen vorgestellt. Wie schon erwähnt, nahm ich elf Monate bei der inklusiven Theatergruppe in dem Erfurter Förderzentrum teil. Ich machte teilnehmende Beobachtung und schrieb nach jeder Probe eine Reflexion. Diese Erfahrung gehört eigentlich auch zum Praxiserlebnis, aber ich finde es rationaler und logischer, wenn ich mein eigenes Forschungsergebnis während meiner ganzen Arbeit an bestimmten Stellen erleuchte und kommentiere.
Im neunten Kapitel wird die Schlussfolgerung gezogen. Während dieser Arbeit werden sicher einige Fragen bezüglich der geschilderten Themen aufkommen. Auch die Fragestellung soll mehr oder weniger beantwortet werden. Das und meine eigene subjektive Meinung werden in diesem Kapitel beleuchtet.
Die Begriffe können sehr unterschiedlich definiert werden. Es gibt vielfältige Wortbedeutungen und bezogen auf den Kontext ungleiche Erklärungen. Deswegen werden im folgenden Kapitel die wichtigsten Begriffe für diese Arbeit im Kontext des oben genannten Themas dargelegt.
Bevor eine kulturelle Inklusion definiert wird, wäre es wichtig erst den Begriff der Inklusion zu beleuchten, da dieser relativ „jung“ ist und in Deutschland erst im Jahre 2009 legitimiert wurde. Inklusion bezieht sich auf alle Lebensbereiche, Lebensabschnitte und gesellschaftliche Bereiche. Inklusion bedeutet kein herzustellender Zustand, sondern eine Orientierungsvorgabe mit dem Ziel, ein humanes und demokratisches Zusammenleben, Zusammenlernen und Zusammenarbeiten zu ermöglichen, welches eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung herausstellt. (vgl. Ziemen 2017, 101)
Inklusion bzw. die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben umfasst neben der Bildung auch Familie, Freizeit, Arbeit und viele andere Bereiche, welche in dieser Arbeit bezüglich des Themas nicht im vollen Umfang betrachtet werden können. Folglich wird der Blick expliziert auf kulturelle Inklusion gerichtet.
Es besteht keine feste Definition des Begriffes kulturelle Inklusion, somit werden Begriffe wie „Bildung zur kulturellen Teilhabe“ (Elmert 2009, 1) und „Inklusive kulturelle Bildung“ (Kröger 2014, 1) in dieser Arbeit gleichgesetzt. Diese Begrifflichkeiten werden natürlich von mir nicht zufällig gewählt und benötigen eine Erklärung. Bildung ist kein fester Zustand, sondern ein Prozess, ein „Ergebnis eines Austauschs mit der Umwelt immer und in erster Linie Selbstbildung ….Sie beruht auf der individuellen Konstruktion von Wirklichkeit, und damit auch der subjektiven Konstruktion von möglichen Bildungsgehalten, im Kontext von Bedeutungszuschreibungen im Prozess des Wahrnehmens und Erlebens des Einzelnen“. (Wagner 2010, 177) Somit beruht der Begriff Bildung auf einer konstruktivistischen Perspektive als ein Prozess der Selbstbildung. Aus einer psychoanalytischen Sicht wird die Bildung als Ich-Stärkung und Verarbeitung von ungelösten Konflikten betrachtet. „Die Kognition, die Auseinandersetzung mit der Realität, verändert affektive Strukturen. Affektive Strukturen wiederum unterstützen Bildung durch Lust am Lernen und durch Bildungssicherheit.“ (Heinemann 2010, 214) Es werden nur einige Erklärungen des Begriffes Bildung aufgeführt. Eine noch vertiefte theoretische Erklärung ist leider in dieser Arbeit nicht möglich, aber zusammenfassend kann man sagen, dass die Bildung eine Reflexion von Erfahrungen und nicht das Lernen von Wissen ist. Es bedeutet natürlich nicht, dass der Mensch unbeeinflusst von anderen Menschen bleibt und sein eigener Bildungsgrad in einem andauernden Prozess nur durch individuelle Erfahrungen erworben wird. „Damit Bildung sich entfalten kann, bedarf es besonderer Bedingungen dieser Möglichkeit, so zum Beispiel der Bedingung der sozialen Beziehungen, der gesellschaftlichen Einrichtungen usw.“ (Ackermann 2010, 235)
Darum erscheint eine kulturelle Teilhabe erst dann möglich, wenn die Entfaltung von kultureller Bildung ermöglicht wird. „Kulturelle Bildung leistet einen zentralen Beitrag, um den Zusammenhalt der Gesellschaft über alle Schichten, Generationen und Herkunftskulturen hinweg zu stärken und zu fördern. Ein besonderes Augenmerk sollte dabei auf der Verknüpfung kultureller Bildung mit der Erziehung zu Demokratie und interkulturellem Respekt liegen. Denn gerade dort, wo Erwachsene, Kinder und Jugendliche ihre eigenen Bildungs- und Entwicklungschancen als schwierig erleben müssen, fehlen ihnen oft auch der Zugang und die Möglichkeit zu künstlerisch-kulturellen Erfahrungen.“ (Deutscher Bundestag 2007, 405) Anbei soll darauf geachtet werden, dass die Personen als Subjekt sowie als Objekt wahrgenommen werden. Es bedeutet, dass die Bildung einerseits die Selbstverwirklichung anstößt und fördert, anderseits soll für die notwendige Realitätsanpassung und wechselseitige soziale Anerkennung gesorgt zu werden. (vgl. Jakobs 2010, 77) Bezogen auf schauspielerisches Gestalten sind Objekt und Subjekt in der theatralischen Kommunikationssituation nicht voneinander trennbar. So „bleibt beim Theaterspielen das gestaltete Objekt an den Körper des produzierenden Subjekt gebunden.“ (Hentschel 2007, 93) Anders gesagt, die Spieler stellen etwas dar und zeigen eine Handlung. Gleichzeitig präsentieren sie eine Handlung einer gestalteten und nicht ablösbaren Figur. Es bedeutet, dass die Spielenden auf der Ebene des theatralischen Spiels immer gleichzeitig auf zwei Ebenen agieren sollen. (vgl. Hentschel 2007, 93)
Aus der Perspektive der Kulturellen Bildung kann das Theater mit seinen vielfältigen Formen, Ausdrucks- und Wirkungsweisen für soziale und künstlerische Bildungsprozesse nützlich erscheinen. (vgl. Taube 2012) Die Bedeutung des Theaters und die Begrifflichkeiten werden in dem nächsten Kapitel genauer diskutiert.
Aus soziologischer Sicht bedeutet das Theater eine darstellende Kunst, die als eine Sonderform sozialer Interaktion gilt. Diese Form basiert auf Kommunikation, Rahmung und spezifischer Konventionen. Die Kommunikation in den theatralischen Prozessen erfolgt über die Verkörperung von darstellenden Figuren im Rahmen einer speziell traditionellen Spielsituation. Vor allem diese Kommunikationsform besteht zwischen Darstellern und Zuschauern. Das heißt, „A spielt B während C zuschaut“. (Taube 2012) In dieser Arbeit wird der Begriff des Theaters als ein Anfangspunkt wahrgenommen. Das heißt, dass Theater eine Grundform ist, die sich in verschiedensten Definitionen, wie Theaterpädagogik, Amateurtheater, szenisches und darstellendes Spiel, Theaterspiel usw. unterteilt.
Der Begriff das Theaterspiel ist wissenschaftlich nicht wirklich richtig, aber diesen Begriff habe ich ausgewählt, da er exakt zu diesem Thema passt. Der Grund dafür ist, dass es in dieser Arbeit nicht wirklich um eine Theaterpädagogik sowie Spielpädagogik geht. Sondern es ist eine Mischung von zwei verwandten Disziplinen. Um die Unterschiede, wie auch die Ähnlichkeiten deutlich zu machen, müssen beide Disziplinen kurz definiert werden. Ich nehme einen Versuch, den Begriff des Theaterspiels aus zwei Disziplinen, nämlich Theaterpädagogik und Spielpädagogik herauszukristallisieren und zu definieren, da es für diese Arbeit relevant ist.
Man kann sagen, dass das kindliche Spiel eine wichtigste Beziehungsform des Kindes mit der Welt ist. Das Theater und das kindliche Spiel sind miteinander verwandt. In beiden Fällen besteht die Möglichkeit, dass sich die Personen in fremde Rollen verwandeln und in fiktive Welten versetzen können. Ebenfalls ist es möglich, unterschiedliche Verhaltensweisen auszuprobieren und damit zu experimentieren. (vgl. Primavesi 2014, 19)
Ein zentraler Punkt in der Theaterpädagogik ist der ästhetische Moment und die künstliche Auseinandersetzungen mit gesellschaftspolitischen Fragen. (vgl. Göhmann 2000, 5) Durch theatralisches Gestalten kann die Wirklichkeit lediglich konstruiert werden. So bekommt die Theaterpädagogik aus der Sicht vom konstruktivistischen Denken und Handeln eine Doppelbedeutung. In dem die Spieler während des Arbeitsprozess dem Publikum eine entstandene Konstruktion von Wirklichkeit bildnerisch präsentieren, integrieren die Zuschauer diese wahrgenommenen Erfahrungen in ihr eigenes Konstrukt. Infolgedessen bietet die Theaterpädagogik eine Möglichkeit, um die individuellen sozialen Erfahrungen in die fiktive Kunstwelt des Theaters bewusst umzusetzen. Die Zuschauer beobachten eine darstellende fiktive Wirklichkeitskonstruktion, die vom Spieler präsentiert wird. Diese Beobachtung erzeugt auch bei dem Spieler eine Reaktion, die sie in ihr Agieren auf die Bühne den Zuschauern wieder spiegeln. Dieses Geschehen wird wiederum durch Zuschauer beobachtet. Dadurch wird ein Beobachtungswechsel angeregt. Ein solcher Effekt in der Theaterpädagogik zeigt, dass die Erlebnisfelder auf sozialer, emotionaler, kognitiver und pragmatische Ebenen aktiviert werden. (vgl. Göhmann 2010, 16 ff.)
Der Gegenstand von Spielpädagogik ist das soziale Lernen. (vgl. Göhmann 2000, 5) Im Spiel sollen die Teilnehmenden die Möglichkeit haben, mit anderen TeilnehmerInnen in Beziehung zu treten und dabei sie selbst zu sein. Die Teilnahme soll zunächst mit allen Sinnen unserer gemeinsamen Welt ermöglicht werden. In Bezug auf diese Denkweise stehen Partizipation und Antizipation in Zentrum der Spielpädagogik. Ein spielerischer Umgang von Erwachsenen und Kindern ist aber nur dann ein pädagogischer Umgang, “wenn Erwachsene versuchen, die Selbstwerdung des Kindes ein Stück weiterzubringen, dem Kind eine selbständige Entscheidung zuzumuten oder es zu mehr eigener Entscheidungsfähigkeit und selbstbestimmten Spielaktivitäten zu ermutigen“. (Heimlich 2000, 15)
Bezogen auf diese beiden Disziplinen kann man sagen, dass sie sich beide ergänzen und somit der Begriff des Theaterspiels im Kontext kultureller Inklusion als genaue Definition erscheint.
Weiterhin werden das darstellende und szenische Spiel mit dem Theaterspiel in dieser Arbeit gleichgesetzt, da die Form der Gestaltung sowie die Methoden und Ziele sehr ähnlich sind. Wobei der Begriff des darstellenden Spiels im schulischen Kontext benutzt und im schulischen Unterricht durchgeführt wird. Das darstellende Spiel bietet den Kindern und Jugendlichen genau wie Theaterspiel eine Möglichkeit, um ihre eigenen Erfahrungen und Vorstellungen aus der realen Welt auf spielerische Weise im Prozess der Darstellung einzubringen und gleichzeitig die neuen Erfahrungen der Anderen zu erleben. Zudem wird im Prozess mit Körper und Sprache gearbeitet. Der ganze Prozess kann die Entwicklung des Selbstwertgefühles unterstützen. (vgl. http://wiki.studiumdigitale.uni-frankfurt.de 16.05.2017) Zudem wird durch darstellendes Spiel der Beziehungsgrad der Kinder erweitert. Durch eine Beobachtung der Menschen aus ihrer Umgebung besteht eine Möglichkeit, dass auf einer fiktiven Ebene Rollen übernommen werden, die aber aufgrund des Alters und der Lebensumstände der Teilnehmer noch nicht in der Lage sind, sie im ihren Lebensabschnitt anzunehmen. Die erlebten Erfahrungen sowie Gefühle sind daneben aber real. (vgl. Hoffmann 2006, 305 ff.)
Auch in dem szenischen Spiel nach Ingo Schiller, das aus spiel- und theaterpädagogischen Bereichen und Methoden des Psychodramas entstand, wird sich mit dem Inhalt, Raum und Gegenstände sowie körperlichen, mimischen, gestischen, und sprachlichen Handlungen, aber auch mit den Interaktionen der Teilnehmenden beschäftigt. Dieses Verfahren umfasst Wahrnehmungsübungen, Vorstellungsübungen, Körper- und Bewegungsübungen, Sprechübungen, Rollenschreiben, Rollengespräche, Standbilder, Szenische Improvisation, Szenisches Spiel im engeren Sinn und als letztes die szenische Vorführung. (vgl. Scheller 1998, 13 ff.)
Der Unterschied zum Theaterspiel liegt nur darin, dass wir uns in dieser Arbeit immer in einem außerschulischen Bereich befinden.
„Behinderung wird im Folgenden verstanden als Ausdruck jener kulturellen, gesellschaftlichen bzw. sozialen und ökonomischen Prozesse, deren Wirkungen sich auf Personen beziehen, die aufgrund ihrer biologisch organischen, neurophysiologisch und neuropsychologisch erklärbaren Beeinträchtigungen bestimmen, gesellschaftlichen bzw. sozial vereinbarten normativen Minimalvorstellungen und Erwartungen hinsichtlich ihrer individuellen Entwicklungen, Leistungsfähigkeiten und Verwertbarkeiten in Produktions- und Konsumtionsprozessen nicht entsprechen.“ (Lanwer 2011, 82) Diese zwar breit aufklärte, aber meiner Meinung nach sehr personenbezogener Definition der Behinderung zeigt den Umfang der Bereiche, mit denen die Behinderung in Berührung kommt. Solche Vielfalt benötigt eine detaillierte Erklärung. Im Folgenden kann diese nur teilweise erfolgen, da das Thema Behinderung sehr breit und in dieser Arbeit nicht fassbar ist. Bezogen auf das Thema wird ein besonderer Blick auf geistige Behinderung gerichtet, obwohl auch bei geistiger Behinderung auch andere Beeinträchtigungen nicht ausschließbar sind. Eine besondere Bedeutung im Zusammenhang mit geistiger Behinderung nehmen die Behinderungen wie das Down-Syndrom und die autistische Störung ein. (vgl. Biermann 2005, 107) Somit wird im folgenden der Blick auf diesen Erscheinungen an manchen Stellen ein wenig mehr gerichtet.
Ein überwiegender Teil von Kindern mit Down-Syndrom hat eine geistige Behinderung, obwohl der Entwicklungsverlauf im Vergleich mit nicht behinderten Kindern ähnlich ist. Ein Unterschied besteht in einer verzögerten Entwicklung, vor allem in der Sprachentwicklung und im Sozialverhalten. Auch bei autistischen Störungen, die auch als eine Folge der schwerer geistigen Behinderung entstehen können, ist eine tiefgreifenden Entwicklungsstörungen zu beobachten. Da liegt der Schwerpunkt nicht nur auf Sozialverhalten und Sprachentwicklung, die nicht nur verzögert, sondern sehr massiv eingeschränkt sein kann, was den kommunikativen Austausch sehr erschwert. Auch die soziale Wahrnehmung wie fehlender Blickkontakt, Nichtreagieren auf soziale Reize, fehlende oder erschwerte Gesichtsausdrücke usw. werden bei den Personen aus dem Spektrum der autistischen Störungen als Schwerpunkt gesehen. (vgl. Biermann 2005, 107 ff.)
Trotz einer langen fachlichen Diskussion über den Begriff geistige Behinderung gibt es keine einheitliche Definition, da es natürlich nicht nur aus der pädagogischen Sicht sondern auch durch andere Disziplinen und Bereiche definiert wird. Man könnte diesen Begriff mit ICD 10, aus medizinischer und psychologischer Sicht eventuell tiefer und deutlicher darlegen, aber diese Definitionen finde ich für diese Arbeit irrelevant und werde diesen Begriff aus sonderpädagogischen bzw. pädagogischen Blickwinkel anschauen und erläutern. Nichtdestotrotz möchte ich gern einen Einblick in Faktoren verschaffen, die möglicherweise eine geistige Behinderung beeinflussen können.
Sehr viele Einflüsse können zu Entstehung oder Verstärkung von geistiger Behinderung führen. Georg Theunissen teilt diese Faktoren in vier Gruppen. Die Gruppe A umfasst die biologischen, physiologischen und somatofunktionellen Faktoren. Sie beziehen sich auf Organdefekte, körperliche Fehlbildung und Schädigung, klinische Bilder und Ursachen geistiger Behinderung. Alle Faktoren aus dieser Gruppe werden als individuelle Schädigung ausgelegt und gelten wie die meisten medizinische Befunde als eine Normabweichung und negative Veränderung der normalen menschlichen Entwicklung. Die Faktoren aus Gruppe B umfassen den Lern- und Entwicklungsbereich auf kognitiver, sensorischer, motorischer und aktionaler Bereiche. Sie beziehen sich auf Beeinträchtigung der Lernfähigkeit, Entwicklungsverzögerung, Wahrnehmungsstörung usw. Obwohl wir schon in Darstellung von Faktoren auf Defizite und negative Begriffe gestoßen werden, können alle diese Faktoren genauso als positive Botschaften, individuelle Stärken und Ressourcen beschrieben werden. Ein Entwicklungsrückstand schließt die besonderen Fähigkeiten nicht aus. Deswegen sollen Faktoren aus dieser Gruppe nicht isoliert von der individuellen Lebensgeschichte und der Sozialisation in Betracht kommen. (vgl. Theunissen 2005, 35 ff.)
Eine geistige Behinderung ist ein komplexes soziales Konstrukt. Bezogen auf Entwicklungstheorie kann die geistige Behinderung durch missglückte soziale Austauschprozesse entstehen. Aufgrund von Angst vor gesellschaftlicher Ausgrenzung wegen Behinderung ihres Kindes kann auch das frühe Mutter-Vater-Kind-Verhältnis sehr stark für das Kind irritiert und beeinträchtigt erscheinen, was zu einer Diagnose „geistige Behinderung“ führen kann. (vgl. Langner 2011, 39 ff.) Solche gesellschaftliche Benachteiligung, Vernachlässigung und soziale Schädigung werden von Georg Theunissen in Gruppe C beschrieben. Auf eine Reihe mit Ausgrenzung, emotionale und soziale Vernachlässigung werden in dieser Gruppe auch unzureichende pädagogische Förderung, eingeschränkte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, Misshandlungen usw. gefasst. Auch wenn einige Faktoren aus dieser Gruppe als geistige Behinderung nicht ersichtlich in Erscheinung kommen, können sie zu einer Stigmatisierung führen. So kann beispielweise ein Kind aufgrund von Vorurteilen als geistig behindert eingeschätzt und folglich in Sonderschule eingewiesen werden. (vgl. Theunissen 2005, 37)
Besonders gern stelle ich die vierte Gruppe – Gruppe D, die sich auf Subjekt-Perspektive bezieht und an ein kompetenzorientiertes Konzept anknüpft. Damit ist gemeint, dass die Menschen mit geistiger Behinderung „als aktiv handelnde, situationswahrnehmende, -verarbeitende und –mitgestaltende, eben als kompetente Individuen betrachtet und wertgeschätzt werden“. (Theunissen 2005, 33) Durch diese Betrachtung bleiben solche Begriffe wie Defizite, negative Eigenschaften und Funktionsabweichungen im Hintergrund und verlieren an Bedeutung. Weiterhin bedeutet Kompetenzorientiert, dass man der Frage nachgeht, inwieweit und in welchen Verhältnis die Eigenschaften einer Person zu einer fördernden Umwelt stehen. Es soll ein Prozess entstehen, in dem die Anpassung an eine gegebene Situationen, eine Veränderung und Weiterentwicklung auf beiden Seiten passiert, nämlich des Individuums und der Umwelt. So kann diese Kombination bzw. „Verschmelzung“ zu einem neuen System sich entwickeln. (vgl. Theunissen 2005, 33 ff.)
Bei genauer Betrachtung der Faktoren aus Gruppe D, die Selbst- und Fremdwahrnehmung, Selbstbild, Selbstvertrauen, Krisenverarbeitungsprozesse usw. umfassen, kann man feststellen, dass es wesentlich um das Selbst-Konzept einer Person bzw. Ich-Identität geht. Georg Theunissen unterscheidet in Anlehnung an Mead und Goffman zwei wichtige Komponenten von Identität: persönliche und soziale. (vgl. Theunissen 2005, 38) Diese Komponente sowie andere Zentralpunkte der Identitätsentwicklung werden aber in dem nächsten Kapitel genauer in den Fokus genommen.
Im Verlauf der Jugendphase werden Entwicklungskrisen sowie Entwicklungsaufgaben erlebt. Wenn der Jugendliche in diesen Situationen keine Fortschritte erfährt, dann erwirbt er keine psychischen, kognitiven und sozialen Voraussetzungen, um sich als eine Persönlichkeit empfinden zu können. Somit kann die nichtexistierende Identität bei Persönlichkeitsentwicklung zu schwerwiegenden Störungen führen. (vgl. Hurrelmann 2013, 80) „ Bei allen Jugendlichen erfolgt mit Beginn der Pubertät eine zunehmende Auseinandersetzung mit der eigenen Person. Sowohl das Aussehen als auch die individuellen Kompetenzen werden verglichen und die Wertschätzung innerhalb der Gruppe der Gleichaltrigen hat eine große Bedeutung.“ (Wilken 2017, 150) Die Grundqualifikationen sozialen Rollenhandenls wie realistische Selbsteinschätzung, Einfühlungsvermögen, Rollendistanz, positive Selbstwertgefühl usw. können für einen gelingenden (oder gelungenen?) Ausgleich sehr hilfreich sein und müssen somit möglichst frühzeitig im Laufe der Sozialisation erworben werden. (vgl. Theunissen 2005, 38)
Da die Identität nicht zu sehen und nicht zu hören sowie kein wahrnehmbares und materielles Objekt ist, wird die Beschreibung und Erklärung des Begriffes erschwert. „Die Reflexion in und durch die oder den Anderen spiegelt die Prozessualität zwischen Menschen wider, die im Kern die menschliche Identität im Unterschied zu der oder dem Anderen ermöglicht“. (Lanwer 2011, 91) Im folgendem wird die Identität als ein Verhältnisbegriff bestimmt, der auch eine Abhängigkeit miteinschließt. (vgl. Lanwer 2011, 86 ff.)
Noch schwieriger wird es, wenn man Identität als eine wandelnde Definition seiner selbst genauer angeschaut wird, weil jede Person nicht nur eine Identität hat, sondern je nach dem Kontext persönliche Identität, soziale Identität, Gruppenidentität, Ich-Identität sowie kulturelle Identität als verschiedene Aspekte von Identität unterschieden werden. (vgl. Saerberg 2011, 54) Wenn diese Aspekte genau definiert sind, wird klar, dass sie zwar als einzelne Aspekten existent, aber nicht wirklich teilbar sind. Nehmen wir persönliche, soziale und Ich-Identität, die von den meisten Autoren als Unterscheidung in Betracht kommen. Die Erfahrungen aus dem eigenen Leben gehören zur persönlichen Identität. Die soziale Identität berührt den sozialen Vergleich und die gesellschaftlichen Rollen, die ein Mensch einnehmen kann. Die Ich –Identität wird als Balanceaktion zwischen den beiden Identitäten benannt. (vgl. Mürner u.a. 2011, 7) Obwohl Goffman bezeichnet als entscheidendes Problem nicht das der Findung einer Balance zwischen sozialer und persönlicher Identität, sondern wie man die Information in Bezug auf die soziale Erwartungen steuert. Man kommt auf die Fragen, ob es gezeigt oder verheimlicht, darüber geredet oder verschwiegen werden soll. (vgl. Mürner 2011, 171)
Dies ist zwar eine sehr knappe Erklärung von Aspekten der Identität, aber es wird schon deutlich, dass eine Entwicklung oder Betrachtung von einem Aspekt von Identität unzulässig ist, da sie miteinander verbunden sind. Somit werden alle Aspekte die Identität in dieser Arbeit wahrgenommen.
Meiner Meinung nach besteht bei Identitätsarbeit kein Unterschied zwischen Personen mit und ohne Behinderung. Aber es gibt einige Erweiterungspunkte, die bei Personen mit einer Behinderung eine andere Bedeutung gewinnen können. Wir versuchen, solche Punkte unter die Lupe zu nehmen.
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