Examensarbeit, 2017
35 Seiten, Note: 1,0
Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
1. Problemstellung
1.1 Themenfindung
1.2 Bezug zum Modul und zu den Ausbildungsstandards
1.3 Leitfrage und Zielvorstellung
2. Unterrichtspraxis
2.1 Unterrichtliche Voraussetzungen
2.2 Vorstellung des Unterrichtsgegenstandes
2.3 Didaktische Überlegungen
2.4 Methodische Überlegungen
3. Evaluation und persönliches Resümee
3.1 Angewandte Evaluationsverfahren
3.2 Ergebnisse der angewandten Evaluationsverfahren
3.2.1 Im Verlauf der zweiten Sequenz
3.2.2 Im Verlauf der dritten Sequenz
3.2.3 Am Ende der Unterrichtseinheit
3.3 Überprüfung der Evaluationsergebnisse in Bezug auf die Zielvorstellung und die Leitfrage
3.4 Schlussfolgerung für eine erneute Umsetzung und Resümee
Literaturverzeichnis
Anhang
Abb.1: Dimensionen der Kommunikationskompetenz in Anlehnung an den Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen für Sprachen (GER)
Abb.2: Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) durch Argumentation im Fach Geographie
Abb.3: Analysespinne zur Einordnung und Gewichtung der Kompetenzbereiche bezüglich der Hauptintention
Abb.4: Produkte aus dem Tropischen Regenwald
Abb.5: Eigene Darstellung des Argumentationsmodells von Toulmin
Abb.6: Verteilung der Lernenden hinsichtlich ihrer Wertzuschreibung zu einem der drei Aspekte der Nachhaltigkeit
Abb.7: Bewertung der Anwendung des Schemas von Toulmin als Hausaufgabe
Abb.8: Einflussreiche Faktoren zur Begründung von Schülerentscheidungen
Abb.9: Schülerentscheidungen vor und nach der Anwendung des Schemas von Toulmin
Abb.10: Bewertung der Anwendung des Schemas von Toulmin in der Hausaufgabe im Vergleich zum Kompetenztest
Abb.11: Argumentation über Ressourcenkonflikte ermöglicht Umwelthandeln im Sinne einer Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE)
Tab.1: Übersicht der Ausbildungsschwerpunkte
Tab.2: Sequenzierung der Unterrichtseinheit in drei Phasen und inhaltliche Ausgestaltung
Tab.3: Ablauf der Evaluationsverfahren
Tab.4: Item 14 Bewertungskompetenz
Schülerinnen und Schüler soll es ermöglicht werden, „(...) aktiv an der Analyse und Bewertung von nicht nachhaltigen Entwicklungsprozessen teilzuhaben, sich an Kriterien der Nachhaltigkeit im eigenen Leben zu orientieren und nachhaltige Entwicklungsprozesse gemeinsam mit anderen lokal wie global in Gang zu setzen.“ (DE HAAN 2007, S.4)
Im Sinne einer Bildung für nachhaltige Entwicklung sollen Schülerinnen und Schüler[1], wie im einleitenden Zitat angegeben, wertorientiert sach- und raumgerecht tätig werden. Diese Raumverhaltenskompetenz vor dem Hintergrund der Nachhaltigkeit ist die Richtlinie der Geographiedidaktik (MSB SH 2015, S.12). Die zunehmend komplexeren Entwicklungen unserer Zeit, wie Globalisierung, Klimawandel und weitere Kernprobleme des gesellschaftlichen Lebens, verlangen, sich „mit guten Gründen fachlich, sachlich und persönlich zu entscheiden und zu handeln“ (MSB SH 2016, S.8f; 2015, S.18). Gerade die Geographie als Brückenfach bietet ein besonderes Potential, da sie naturwissenschaftliche und gesellschaftswissenschaftliche Bildung verknüpft (MSB SH 2016, S.8). Im Unterricht erfolgt diese Wissens- und Kompetenzvermittlung in Form von Kommunikationsangeboten. Die interaktive Auseinandersetzung und die kommunikative Darstellung von Lernprodukten und deren Reflexion tragen zu einem konstruktivistischen Lernen bei. Denn fachliches Wissen kann nur durch Kommunikation individuell „in Wert“ gesetzt werden und somit bei Problemlösungen zur Verfügung stehen (BUDKE 2012 S.8). Die Kommunikationskompetenz ist damit Voraussetzung für den Erwerb von Fachwissen und fachlichem Können und im Zusammenhang mit der Raumverhaltenskompetenz gerade dann von Bedeutung, wenn keine eindeutigen Entscheidungen zu treffen sind (MSB SH 2015, S.17).
Mit den nationalen Bildungsstandards als Folge des PISA- Schocks ist die Kommunikationskompetenz wichtiger Bestandteil aller Fächer (BUDKE u. MEYER 2015, S.12). Nach BUDKE (2012, S.11f) kann die Kommunikationskompetenz in drei Teilbereiche eingeteilt werden: Beschreiben, Erklären, Argumentieren. Die Teilbereiche entsprechen den drei Anforderungsbereichen von Aufgaben, sodass die Argumentation, welche im dritten Anforderungsbereich zu verorten ist, als besondere Herausforderung und Bereicherung im Unterricht angesehen werden kann (BUDKE 2012, S.12). Nach einer Studie von WUTTKE (2005, S.79- 86) werden Lernprozesse besonders vertieft, wenn im Unterricht qualitativ hochwertige Argumentationssequenzen genutzt werden. Diese begünstigen die Strukturierung des Wissens und dienen insbesondere der Bewusstmachung und Verknüpfung mit Vorwissen. Weitere wissenschaftlich belegte Hinweise deuten darauf, dass die Argumentationskompetenz besonders verständnisfördernd ist (BUDKE 2012, S.13). Die Argumentation zwischen den SuS fungiert dabei als Verfahren zur Problemlösung, bei welchem strittige Behauptungen durch Begründungen widerlegt oder bestätigt werden, mit dem Ziel sein Gegenüber zu überzeugen. Diese Art der Erschließung und Deutung der Welt ist damit Voraussetzung der Raumverhaltenskompetenz (BUDKE u. UHLENWINKEL 2011, S.114f).
Trotz dieser lohnenswerten Aspekte wird nur selten im Geographieunterricht und in wenigen Schulbüchern die Argumentationskompetenz geschult, worauf die Erhebung der tatsächlichen Argumentationsfähigkeit von BUDKE (2011, S.117) hinweist. In einem Lehrerinterview wurden Gründe wie Unsicherheiten in der sinnvollen Themenwahl oder der methodischen Umsetzung, die dazugehörige effektive Vor- und Nachbereitung, als auch die Möglichkeiten der Leistungsbewertung aufgeführt. Bekannte und relativ häufig eingesetzte Methoden zur Förderung der Argumentationskompetenz stellen Diskussionen, Debatten und Planspiele dar (BUDKE 2012, S.15). Übertragen in das empirisch validierte Kommunikationskompetenzmodell des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen (GER) entsprächen diese Methoden der Kompetenzdimension „Kommunikationsinteraktion“ und beinhalten somit die Kompetenzdimensionen „Produktion“ und „Rezeption“ (BUDKE u. UHLENWINKEL 2011, S.115f). Der Kommunikationsinteraktion geht folglich das Lernen der Rezeption und Produktion von Argumenten voraus. „Ziel jeden Unterrichts, der Argumentationskompetenz vermitteln möchte, müsste es sein, die Schüler zu befähigen die Grundstrukturen von Argumenten zu erkennen, Behauptungen, Belege und Schlüsse zu identifizieren und mit ihrer Hilfe eigene Argumentationen in geographischen Kontexten, die sich an verschiedenen Argumentationsmustern orientieren, zu entwerfen.“, so BUDKE (2012, S.13). Dazu eignet sich das Argumentationsmodell von Toulmin, da es als Reflexionswerkzeug Werte hinter Aussagen entschlüsselt und den Aufbau von Argumentationen durch die vorgegebene Struktur verstehen lässt (MEYER u. FELZMANN 2011, S.141, BUDKE 2012, S.12).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb.1: Dimensionen der Kommunikationskompetenz in Anlehnung an den Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen für Sprachen (GER) (verändert nach BUDKE 2012, S.9)
Ausgehend von den Lernenden, eine motivierte und diskussionsfreudige 7. Klasse, stellte ich fest, dass sie Schwierigkeiten haben, sich aufeinander zu beziehen und ihre Meinungen zu belegen. Eine Diskussion bringt somit nicht den gewünschten Kompetenzzuwachs, da zunächst einmal die Argumentationsrezeption geschult werden muss. Aufgrund des bereits erwähnten theoretischen Hintergrundes sollen die Lernenden ihre Argumentationsrezeption im Zusammenhang mit der geographischen Wertorientierung im Sinne der Nachhaltigkeit schulen. Mit Hilfe des Gedankenexperimentes wird eine Methode vorgestellt, welche die Argumentationsrezeption in einer 7. Klasse zum Thema Tropischer Regenwald fördert, das Schema von Toulmin schrittweise einführt und somit zur Bildung für nachhaltige Entwicklung beiträgt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb.2: Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) durch Argumentation im Fach Geographie (leder 2015, S.138)
Diese Hausarbeit soll mit der beispielhaften Unterrichtseinheit einen Beitrag dazu leisten, Unsicherheiten bezüglich der Förderung von Argumentationsrezeption in der Sekundarstufe I zu verringern.
Die Unterrichtseinheit basiert auf Erkenntnissen aus verschiedenen Modulen und den verbindlichen Ausbildungsstandards. Eine geeignete Methode zur Argumentationsrezeption wurde im Geographiemodul „Methoden im Geographieunterricht“ vermittelt. Das Argumentationsmodell von Toulmin stammt aus Diercke Methoden „Thinking through Geographie“ (VAKAN 2007). Im Pädagogikmodul wurde die handlungsorientierte Lernschleife (MATTES 2011, S.28f) thematisiert und das Biologiemodul lehrte das Verständnis von Werten und Normen. Des Weiteren wurden verschiedene Modelle des Bewertungsprozesses vorgestellt. Bezüglich der Allgemeinen Ausbildungsstandards (AAS) und der fachspezifischen Ausbildungsstandards in Geographie (ASG) liegen der Unterrichtseinheit folgende Standards zugrunde. Wobei zu erwähnen ist, dass die Standards Bestandteil des täglichen Unterrichts sind (IQSH 2016a, S.10f; IQSH 2016b, S.9).
Tab.1 : Übersicht der Ausbildungsschwerpunkte (verändert nach iqsh 2016a, S.10f; iqsh 2016b, s.9).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die AAS werden weiter in vier Teilbereiche der Prozessqualität (I Planung, Durchführung und Evaluation von Unterricht; II Mitgestaltung und Entwicklung von Schule; III Pädagogik und Beratung; IV Selbstmanagement) und in den Bereich der Ergebnisqualität (V Pädagogische Effekte und Bildungseffekte) unterteilt.
Um die SuS letztlich in ihrer Raumverhaltenskompetenz zu fördern, sollen ihnen in Anlehnung an die Empfehlung von MEYER und FElZmANN (2011, S.137) zunächst Strukturen eines ethischen Urteils und dabei vor allem die zur Begründung notwendigen Norm- und Wertvorstellungen bewusst gemacht werden. Diesbezüglich trafen auch BUDKE und UHLENWINKEL (2011, S.127) nach der Auswertung ihrer Pilotstudie folgende Schlussfolgerung: „Da häufig nur unbegründete Behauptungen aufgestellt oder Belege genannt wurden, die aber nicht auf die Behauptung bezogen wurden, erscheint es sinnvoll, den Schülern theoretisches Wissen darüber zu vermitteln, aus welchen Elementen Argumentationen generell bestehen.“ Sie weisen explizit auf das Strukturschema von Toulmin hin, das zunächst zu analysieren und dann mit eigenen Argumentationen zu füllen sei. Die genannte Argumentationsrezeption fördert also das Entschlüsseln, Verstehen und das Bewerten von fachspezifischen Diskursen (BUDKE 2012, S.9). Das Argumentationsmodell von Toulmin deckt somit Argumentationsstrukturen und die hinter Entscheidungen stehenden Normen und Werte auf. Auf dieser Grundlage können Argumente hinterfragt und interpretiert werden. Es dient in Form eines Reflexionswerkzeuges zum vertiefenden Verständnis von ethischen Urteilen (MEYER u. FELZMANN 2011, S.141). Dabei muss zwischen nicht ethischen und ethischen Urteilen unterschieden werden. Nicht ethische Urteile sagen etwas über die Angemessenheit, Richtigkeit oder Gültigkeit aus und entsprechen damit dem Operator „Beurteilen“, wohingegen ethische Urteile auf Wertmaßstäben basieren und dementsprechend mit dem Operator „Bewerten“ versehen sind (MEYER u. FELZMANN 2011, S.132). Dieses Bewertungsstrukturwissen befähigt SuS im Sinne einer Bildung für nachhaltige Entwicklung sich „mit guten Gründen fachlich, sachlich und persönlich zu entscheiden“ (MSB SH 2016, S.18).
Zusammenfassend lässt sich die Hausarbeit somit unter folgende Leitfrage stellen:
„Inwiefern trägt das Argumentationsmodell von Toulmin als Reflexionswerkzeug von Argumentationsstrukturen bei?“
Vor diesem Hintergrund, der Themenwahl (vgl. 2.2), den didaktischen (vgl. 2.3) und methodischen Überlegungen (vgl. 2.4) lautet die Hauptintention für die Unterrichtseinheit:
Indem die SuS in einer komplexen Entscheidungsaufgabe zur Nutzung eines Stückes Tropischen Regenwaldes das Argumentationsmodell von Toulmin anwenden, um ihre Entscheidungen zu begründen, reflektieren sie den Aufbau von ethischen Argumentationsstrukturen.
Wie zuvor herausgestellt, werden mit Hilfe des Schemas von Toulmin Werte hinter Entscheidungen entschlüsselt. Dies zeigt die Verflechtung zwischen der Förderung von Argumentationsrezeption und dem damit einhergehenden Einfluss auf die Bewertungskompetenz. Nur in Abhängigkeit voneinander können Kompetenzen erworben werden, was letztlich in die Mehrdimensionalität der geographischen Gesamtkompetenz mündet (MSB SH 2015, S.16). Die Lernenden erwerben Fachwissen über die Beziehung von Mensch und Umwelt und deren Zusammenwirken in Form verschiedener Nutzungsansprüche an den Tropischen Regenwald (F4 S17).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb.3: Analysespinne zur Einordnung und Gewichtung der Kompetenzbereiche bezüglich der Hauptintention (verändert nach DGfG 2012, S.34)
Die Kenntnis zur räumlichen Orientierung basiert in dieser Unterrichtseinheit auf der Einordnung dieses geographischen Sachverhaltes in das räumliche Ordnungssystem, die Verteilung der weltweiten Landschaftszonen und deren einflussreiche Bedeutung (O1 S2, O2 S3). Die Struktur des Argumentationsmodells von Toulmin ermöglicht Informationen in Form von Argumenten auszuwerten (M1 S3). Die Argumentationsrezeption wird in den Fachanforderungen nicht als Teilbereich der Kommunikationskompetenz dargestellt, schult jedoch die Lernenden darin, geographisch relevante Mitteilungen fach-, situations- und adressatengerecht nach dem Konzept von Toulmin zu organisieren und zu präsentieren (K1 S4).
In Folge der ethischen Urteilsbildung lernen die SuS Nachhaltigkeit als Wert zu benennen und geographische Sachverhalte in Hinblick auf diesen Wert zu bewerten (B4 S7,8). Damit werden sie befähigt, in ihren individuellen Handlungsfeldern die Gegenwart und Zukunft auf der Erde nachhaltig zu gestalten (H1 S1, S4). Des Weiteren können die Lernenden das Argumentationsmodell von Toulmin zur Erkennung von nachhaltigem Handeln einsetzen, sodass sie zur Reflexion eigener und fremder Wertorientierung befähigt sind (H3 S10). Der nahtlose Übergang zwischen den Kompetenzen lässt sich abschließend in einer für diese Unterrichtseinheit gewichteten Analysespinne abbilden.
Seit Beginn des Schuljahres 2016/2017 unterrichte ich die 7. Klasse eigenverantwortlich je zweistündig in Biologie und Geographie. In die Klasse gehen insgesamt elf Schülerinnen und 14 Schüler. Die Lerngruppe zeigt hinsichtlich geographischer Themen großes Interesse und viel Motivation. Die Lernatmosphäre ist von Hilfsbereitschaft und einem freundlichen Miteinander geprägt, sodass die SuS in verschiedenen Gruppen engagiert mitarbeiten. Dieses Verhalten der Lerngruppe zeigt sich nicht nur in Geographie, sondern auch in Biologie und kann von anderen Lehrkräften bestätigt werden.
Ungefähr acht Lernende bereichern regelmäßig mit guten bis sehr guten Beiträgen den Unterricht. Ein Schüler bringt sein Vorwissen besonders ein, bearbeitet jedoch schriftliche Aufgaben nicht zielorientiert. Daneben beteiligen sich fünf Lernende mündlich sehr wenig. Aufgefordert geben zwei dieser SuS gute bis sehr gute Antworten und bereichern den Erkenntnisprozess.
Die Lerngruppe verhält sich hinsichtlich kontroverser Themen recht diskursiv, wobei Mängel bei der Begründung der eigenen Meinung festzustellen sind. Um gute Voraussetzungen zur Formulierung eigener Argumentationen und zum Führen von Diskussionen zu schaffen, sollen die SuS diesbezüglich geschult werden. Die Förderung der Argumentationsrezeption ist für die Lerngruppe in Bezug auf das Leistungsvermögen herausfordernd, sodass während der Unterrichtseinheit je nach Bedarf Hilfen auf unterschiedlichem Niveau zur Verfügung stehen (MSB SH 2016, S.21). Die Hilfen sollen das Verständnis für das Reflexionswerkzeug und die abstrakten Begriffe wie „Norm“ und „Wert“ unterstützen. Obwohl sich die Lernenden mit der Schulung der Argumentationsrezeption im Anforderungsbereich III befinden, kann durch ihr erworbenes Vorwissen und den zur Verfügung stehenden Hilfen eine Überforderung vermieden werden.
Um voneinander zu profitieren und das soziale Miteinander immer wieder zu stärken, bieten sich Partner- und Gruppenarbeiten an. Eine hohe Aktivierung und Beteiligung aller SuS kann auch in Reflexionsphasen stattfinden, indem ein Austausch in Kleingruppen stattfindet. Denn gerade in dieser Phase ermöglicht die Kleingruppe, dass sich alle Mitglieder aktiv mit dem eigenen Lernen auseinandersetzen und den anderen davon berichten. Jeder Lernende soll erkennen, dass er oder sie einen wichtigen Beitrag für das Weiterkommen aller leistet und von der Gruppe wertgeschätzt wird. Dies kann während einer Reflexion im Plenum nur ansatzweise geleistet werden. Des Weiteren erscheinen aktivierende und eigenverantwortliche Arbeitsphasen besonders lohnenswert, da der Stundenplan den Geographieunterricht freitags in der 4. und 5. Stunde vorsieht.
Die Lernenden beschäftigen sich im Biologieunterricht bereits mit dem Tropischen Regenwald, da die Fachanforderungen Biologie und das interne Schulcurriculum für die 7. Klasse im zweiten Halbjahr das Thema Ökosystem vorsehen. Zudem planen wir in diesem Zusammenhang eine Ausstellung zum Tag des Artenschutzes. Dazu wird im Biologieunterricht die weltweite Verteilung des Tropischen Regenwaldes und dessen Bedeutung für die Artenvielfalt und für den Menschen thematisiert. Die Nutzungsansprüche an den Tropischen Regenwald stellen ein sehr diskursives Thema dar, an welchem kontroverse Standpunkte analysiert werden können (vgl. 2.2). Aufgrund dessen bietet sich die Einbettung der Unterrichtseinheit in einen fächerübergreifenden Unterricht an.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb.4: Produkte aus dem Tropischen Regenwald (Abenteuer regenwald 2017).
Diese Abbildung stellt ansatzweise die Vernetzung zwischen unserer Lebenswelt und dem Tropischen Regenwald dar, jedoch ist diese weitaus weitreichender als abgebildet. Die Verflechtung betrifft nicht nur Lebensmittel, sondern hat Einfluss auf Bereiche wie Wohnen, Musik und Körperhygiene. Immer häufiger werben Lebensmittelläden, Baumärkte und auch Musikfirmen mit nachhaltig zertifizierter Ware. Der uns weit weg erscheinende Tropische Regenwald ist plötzlich ganz nah und für viele von großer Bedeutung, wenn sie auf die genutzten Regenwaldprodukte aufmerksam gemacht werden. Dieser Einfluss im alltäglichen Handeln sollte den SuS bewusst gemacht werden, da sich damit die Attraktivität dieses Lerngegenstandes erhöht. Da der Raum des Tropischen Regenwaldes von Jahr zu Jahr schrumpft und eine einflussreiche Rolle in Bezug auf das Klimasystem und die biologische Vielfalt spielt (BMU 2011, S.3- 9), stellen die unterschiedlichen und teilweise irreversiblen Nutzungsansprüche den Haken an der Sache dar. Die Vielfältigkeit und kontroversen Nutzungsformen (ERNST KLETT VERLAG 2012, S.50- 51 ; WESTERMANN SCHROEDEL 2010, S.48- 49; BMU 2011, S.8) dienen im Besonderen zur Förderung der Argumentationsrezeption gerade im Hinblick darauf, dass es keine eindeutig zu treffende Entscheidung gibt (MSB SH 2015, S.17). Es gilt, die Differenzen zwischen den Entscheidungsmöglichkeiten zu entschlüsseln, Standpunkte zu verstehen und zu bewerten (LEDER 2015, S.142). Daraus ergeben sich wiederum die Lernprodukte in Form des Argumentationsmodells von Toulmin, anhand dessen die entscheidungsbeeinflussenden Normen und Werte reflektiert werden. Somit ist eine inhaltliche und kompetenzorientierte Passung des Lernproduktes gegeben.
Nach BUDKE et al. (2015, S.273) wird von vielen Lernenden der Schutz des Regenwaldes als „unbedingt notwendig“ und vor dem „Hintergrund des Nutzens für sie selbst“ in Form der Sauerstoffproduktion als sehr wichtig erachtet. Diesen naturalistischen Fehlschluss erwähnen auch MEYER und FELZMANN in ihrem Artikel in Bezug auf moralische Kontexte in der Biologie (2011, S.13). Um nicht dem naturalistischen Fehlschluss zu erliegen, müssen die SuS über Vorwissen zu Nutzungsformen im Tropischen Regenwald und dessen Bedeutung für den Menschen verfügen.
In Biologie wird der Unterrichtsgegenstand den SuS durch das Mitbringen verschiedener Produkte aus dem Tropischen Regenwald näher gebracht und somit an die Lebenswelt der Lerngruppe angeknüpft. Des Weiteren werden die objektiven Raumkonzepte im Fach Biologie (vgl. 2.1) behandelt, sodass in der vorliegenden Unterrichtseinheit überwiegend subjektive Raumkonzepte genutzt und anhand dessen die Raumnutzungskonflikte deutlich gemacht werden. Die SuS schlüpfen in eine Lerngeschichte, die sie mit zu den Ureinwohnern und deren Lebensweise im Tropischen Regenwald nimmt. Durch Begegnungen mit weiteren Personen, die Nutzungsansprüche an den Tropischen Regenwald stellen, setzen sie sich mit der nicht vermehrbaren Ressource Raum auseinander (MSB SH 2015, S.12). Insbesondere zur Vermittlung des geographischen Wertes der Nachhaltigkeit bietet der Unterrichtsgegenstand viele verschiedene Beispiele wie das FSC- Zertifikat (ERNST KLETT VERLAG 2007), Fairtrade Schokolade (GePa 2017) und Agroforstwirt- schaft (WESTERMANN SCHROEDEL 2010, S.48- 49).
Die Unterrichtseinheit „Tropischer Regenwald“ ist unter dem verbindlichen Thema „Afrika- Abhängigkeiten von Naturraum und Bevölkerungsentwicklung und seine wirtschaftlichen Potentiale“ und damit innerhalb des verbindlichen Arbeitsschwerpunktes „Räume und ihre Abhängigkeiten und Potenziale“ zu finden (MSB SH 2015, S.25). Das schulinterne Fachcurriculum der Lornsenschule setzt diese Thematik in der 7. Klasse an. Das Thema bietet die Möglichkeit, kontroverse Nutzungsformen im Sinne der Argumentationsrezeption zu entschlüsseln, zu verstehen und zu bewerten (BUDKE 2012, S.9; vgl. 2.2).
Es sind verschiedene Unterrichtsgänge denkbar. MEYER und FELZMANN (2011, S.137) empfehlen zunächst die Struktur eines ethischen Urteils und dabei vor allem die zur Begründung notwendigen Norm- und Wertvorstellungen bewusst zu machen. Dies birgt jedoch die Gefahr, dass die Lernenden durch mangelndes Wissen über die Hintergründe der verschiedenen Nutzungsformen, einen naturalistischen Fehlschluss ziehen (vgl. 2.1). Zur Vorbeugung dessen, müssen die SuS erst einmal Vorwissen zu den verschiedenen Nutzungsansprüchen erlangen. Das hohe Anforderungsniveau, welches mit der Umsetzung des Argumentationsmodelles von Toulmin für eine 7. Klasse einhergeht, spricht für die Thematisierung der Nutzungsmöglichkeiten zu Beginn der Unterrichtseinheit. Zum einen wird mit dem Modell eine Argumentation gegliedert und zum anderen wird diese auf dessen Geltungsbeziehung analysiert. Die Geltungsbeziehung besteht bei ethischen Argumentationen aus der entscheidungswirksamen Norm und dem dahinter stehenden Wert.
Da mein vorliegendes Beispiel (FELZMANN 2012, S.59f) für die Jahrgänge 9- 13 entworfen wurde, werden für meine Lerngruppe einige Veränderungen vorgenommen. Vorab werden die Lernenden bezüglich verschiedener Nutzungsformen geschult, um im Anschluss eigene ethische Argumentationen zu erstellen. Des Weiteren wird das Schema von Toulmin insofern abgewandelt, dass es für die SuS bekannte Begriffe beinhaltet. Lediglich „Norm“ und „Wert“ bleiben erhalten und werden durch Fragen verständlich vermittelt. Zum Eintragen der Norm, wird die Entscheidung mithilfe der Formulierung von allgemeinen „Sollen“- Sätzen begründet („Man soll grundsätzlich...“). Anschließend wird die Frage gestellt, „Wer oder was ist dir hierbei 'wert'- voll“, um den Wert zu ergründen (FELZMANN 2012, S.63). BUDKE und UHLENWINKEL (2011, S.127f) empfehlen ein Argumentationsdomino als weitere Übung, um komplexere Argumente mittels Textbauteilen zusammensetzen zu lassen. Diese Idee wird dahingehend abgewandelt, dass bereits zu Beginn Argumentationsdominos als Hilfe zur Verfügung stehen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb.5: Eigene Darstellung des Argumentationsmodells von Toulmin (verändert nach FELZMANN 2012, S. 60)
Daraus folgt, dass die Unterrichtseinheit in drei Sequenzen eingeteilt ist. In einer ersten Sequenz erlangen die SuS Vorwissen über Nutzungskonflikte im Tropischen Regenwald, welche die Voraussetzung für die zweite Sequenz darstellen. Diese wird durch die Vorstellung des Advance Organizers eingeleitet. Wie zu Beginn einer handlungsorientierten Lernschleife wird die Basis für das darauffolgende eigenverantwortliche Arbeiten gelegt (MATTES 2011, S.29). Die Vorgehensweise und das Ziel der nächsten Stunden wird den
Lernenden mit einer Powerpointpräsentation transparent dargestellt und führt mit einem anschaulichen Beispiel in die Thematik ein. Dadurch werden der Einbau und die Verankerung der zu behandelnden Lerninhalte ermöglicht (HAUBRICH 2006, S.122). Mit dieser systematischen, unterrichtsstrukturellen Unterstützung im Sinne des Macroscaffoldings erhalten die Lernenden Orientierung und Hilfestellung (SESEMANN 2016, S.10f).
Das Erstellen eines Wertequadrates, wie es VANKAN (2007, S.139) dem Schema von Toulmin vorausstellt, ist in diesem Fall nicht möglich, da die drei Aspekte der Nachhaltigkeit nicht adäquat in das Quadrat zu überführen sind. Das Argumentationsmodell basiert auf Werten, die Entscheidungen beeinflussen. Mit dieser Unterrichtseinheit werden den SuS folglich Normen und Werte vermittelt, sodass mithilfe der angewandten Methode der geographische Wert der Nachhaltigkeit geschult werden soll. Neben diesen Grundsätzen erschien ein Meinungsstrahl als Argumentationshilfe (MAYENFELS u. LÜCKE 2012, S.64) ungeeignet, da es nicht einfach nur um das Für und Wider der Nutzung des Tropischen Regenwaldes geht.
In Form eines Gedankenexperimentes, welches sich als methodische Strukturierungshilfe für ethische Argumentationen eignet (FELZMANN 2011, S.56), wird das Schema von Toulmin in einer handlungsorientierten Lernschleife von den SuS eigenverantwortlich erlernt (MATTES 2011, S.28f). Dies bildet die zweite Sequenz der Unterrichtseinheit. In der eigenverantwortlichen Arbeitsphase ist das Modell „Sieben Schritte zur ethischen Entscheidung“ integriert (DULITZ u. KATTMANN 1990), wobei die Reihenfolge der einzelnen Schritte zum Teil vertauscht wurde, da zunächst Normen analysiert und anschließend Werte angesprochen werden. Hinzukommend wird eine weitere Schleife in die handlungsorientierte Lernschleife eingefügt, da sich Phasen des eigenverantwortlichen Arbeitens mit Gruppenarbeiten abwechseln.
Die dritte und abschließende Sequenz stellt die Evaluation dar. Die Lernenden sollen in Einzelarbeit die Aussagen über die Herstellung einer Fairtrade Schokolade mit dem Schema von Toulmin analysieren. Da Norm- und Wertvorstellungen oftmals unbewusst Einfluss nehmen (MEYER u. FELZMANN 2011, S.132), soll ein möglicher Entscheidungswandel bewusst gemacht werden. Dies wird durch ein Meinungsbild zum Kauf von einer preisgünstigeren „normalen“ und einer Fairtrade Schokolade vor und nach der Anwendung des Reflexionswerkzeuges umgesetzt.
Die Unterrichtseinheit setzt folgende Leitlinien der Geographiedidaktik um. Dabei entspricht das Sequenzieren der Unterrichtseinheit einer Differenzierung der Anforderung (Leitlinie 6). Einige wichtige objektive Raumkonzepte wurden bereits der Unterrichtseinheit vorgeschaltet, da die SuS auch in Biologie an dem Thema „Tropischer Regenwald und Artenvielfalt“ arbeiten. Die Lernenden erlangen in dieser vorgestellten Unterrichtseinheit Vorwissen unter dem Gesichtspunkt der subjektiven Raumkonzepte (Leitlinie 5), die nach JUNKER (2012, S.47) im Unterricht eher selten eingesetzt werden, aber besonders lohnenswert sind. Im Sinne des konkreten, alltäglichen Handelns werden die Lernenden dazu motiviert, nachhaltig produzierte Ware in ihren Einkäufen zu berücksichtigen (MSB SH 2016, S.8f).
Obwohl der Tropische Regenwald zunächst weit entfernt scheint, beeinflusst er das Leben der SuS. Neben gewöhnlichen Alltagsprodukten stammen auch Möbel und Medikamente aus dem Tropischen Regenwald. Zunehmend wird mit nachhaltig zertifizierter Ware in Werbeprospekten geworben, so unter anderem mit Faitrade Schokolade. Somit hat diese Thematik im Sinne Klafkis (HAUBRICH 2006, S.269) nicht nur eine Gegen- warts- und Zukunftsbedeutung, sondern ist sowohl für die Gesellschaft als auch für die Lernenden bedeutsam. Die SuS gehen aus dieser Unterrichtseinheit nicht nur mit einem
[...]
[1] Im Folgenden werden Schülerinnen und Schüler mit SuS abgekürzt.
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