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Bachelorarbeit, 2017
54 Seiten, Note: 2,0
Abkürzungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
1. Einleitung
2. Problemhintergrund
2.2 Diabetes mellitus Typ II – Erkrankung und Herausforderungen
2.3 Epidemiologie und Public Health Relevanz
3. Methodik
4.Gesundheitskompetenz bei chronischen Erkrankungen
4.1 Definitionen und Konzept Gesundheitskompetenz
4.2 Health Literacy Pathway Model
4.3 Zusammenhang von Gesundheitskompetenz und Gesundheitsoutcomes bei chronischen Erkrankungen
5 Typ-II-Diabetes – Therapie und Gesundheitskompetenz
5.1 Therapiekonzept bei T2DM
5.2 Kompetenzen im Umgang mit T2DM
5.3 Selbstmanagement und Empowerment
6. Förderung von Gesundheitskompetenz
6.1 Ansätze zur Förderung von Gesundheitskompetenz
6.2 Förderung der Gesundheitskompetenz älterer Menschen - IROHLA
6.3 Patientenuniversität an der Medizinischen Hochschule Hannover
7. Diskussion
8. Fazit
Literaturverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tab. 1 Lebenszeitprävalenz des bekannten Diabetes nach Geschlecht
Abb. 1 Health Literacy-Niveau nach Sozialstatus in Deutschland
Abb. 2 Stufenmodell der Gesundheitskompetenz
Abb. 3 Health Literacy Pathway Model
Abb. 4 Potential points for intervention for health literacy
Abb. 5 IROHLA-Interventionsmodell
Etwa 6 Millionen Menschen leiden 2017 in Deutschland an einem Diabetes mellitus, davon werden über 90 Prozent dem Diabetes mellitus Typ II (T2DM) zugeordnet (diabetesDE- Deutsche Diabetes-Hilfe und Deutsche Diabetes Gesellschaft [DDG], 2017). Dieser tritt vorwiegend im höheren Lebensalter auf. Zusätzlich wird die Dunkelziffer der nicht erkannten Diabeteserkrankungen in Deutschland auf etwa 2 Millionen geschätzt. Dies ergibt sich aufgrund fehlender oder unspezifischer Symptome, wovon die meisten Fälle den Typ II Diabetikern[1] zuzuordnen sind (diabetesDE- Deutsche Diabetes-Hilfe und Deutsche Diabetes Gesellschaft [DDG], 2016). Im Zuge der Verbreitung neuer Kommunikationstechnologien, wie dem Internet, besteht heute Zugang zu einer unendlichen Zahl an Informationen. Diese im Zusammenhang mit gesundheitsrelevanten Themen zu nutzen, um Entscheidungen für das Gesundheitsverhalten zu treffen, stellt eine Herausforderung dar. Hier fehlt die Rolle des Gatekeepers, der Informationen als Experte vorfiltert und dann an den Nutzer weitergibt. Experten wie Ärzte, Pflegepersonal oder Apotheker sind demnach nicht mehr die einzigen Quellen für gesundheitsrelevante Informationen (Rains, 2007). Für den Umgang mit Gesundheitsinformationen, Auswahl an Präventionsmaßnahmen und um Entscheidungen im Krankheitsfall treffen zu können, sind bestimmte kognitive und soziale Fähigkeiten notwendig, die international als Health Literacy[2] und im deutschsprachigen Raum als Gesundheitskompetenz bezeichnet werden. Eine eingeschränkte Gesundheitskompetenz hat laut bisheriger Studien negative Auswirkungen auf den Gesundheitszustand, das Gesundheitsverhalten, bestimmte Risikofaktoren und die Nutzung und Kosten des Gesundheitssystems (Jordan & Hoebel, 2015).
Daher befasst sich diese Bachelorarbeit mit der Frage, welche Bedeutung Gesundheitskompetenz in der Tertiärprävention bei Erwachsenen mit Diabetes mellitus Typ II hat und welche Ansätze zur Förderung der Gesundheitskompetenz in Deutschland bereits vorhanden sind. Betrachtet wird hier nur die Gruppe der Erwachsenen ab 50 Jahren, da ab diesem Alter die Prävalenz sprunghaft ansteigt und somit von größerer Bedeutung ist als die Gruppe der Erwachsenen unter 50 Jahren. Nicht betrachtet wird der Diabetes mellitus Typ I sowie Maßnahmen der Primär- und Sekundärprävention. Dabei können bestimmte Maßnahmen der Tertiärprävention mit denen der Primärprävention übereinstimmen. Bei der Gruppe der Erwachsenen werden diejenigen mit Migrationshintergrund in dieser Arbeit nicht betrachtet, da für diese Bevölkerungsgruppe spezifische Herausforderungen gelten und nicht mit der Allgemeinbevölkerung gemeinsam betrachtet werden sollten.
Zur Beantwortung der Fragestellungen werden zunächst Informationen zum Verständnis und der Relevanz des Themas bezüglich des demografischen Wandels und der Bedeutung für das Gesundheitssystem gegeben. Damit im weiteren Verlauf der Arbeit die Hintergründe über die Erkrankung Diabetes mellitus Typ II bekannt sind, wird ein Überblick über die Erkrankung, das Auftreten in der Bevölkerung und die finanziellen Konsequenzen für das Gesundheitssystem gegeben. Das Konzept der Gesundheitskompetenz wird mithilfe der ersten Definition der Weltgesundheitsorganisation [WHO] und des Joint Committee on National Health Education Standards vorgestellt. Anschließend wird der aktuelle Status der Gesundheitskompetenz unter anderem anhand der Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland (DEGS1) des Robert Koch-Instituts [RKI], des Health Literacy Survey Germany (HLS-GER), des European Health Literacy Survey (HLS-EU) und weiteren internationalen Studien beschrieben und welche Zusammenhänge es mit Faktoren wie Alter, Bildung und Geschlecht gibt. Der aktuelle Forschungsstand über Gesundheitskompetenz bei chronischer Erkrankung wird zur Beantwortung der Fragestellung verwendet, woraufhin notwendige Kompetenzen im alltäglichen Umgang mit der Erkrankung T2DM erschlossen werden und diese mit den Kompetenzen des Konzepts der Gesundheitskompetenz gegenübergestellt werden. Dies dient als Grundlage, um die Bedeutung von Gesundheitskompetenz in der Tertiärprävention herauszuarbeiten. Abschließend wird ein Überblick über Ansätze zur Förderung von Gesundheitskompetenz gegeben. Als Beispiel für Deutschland wird das Projekt der Patientenuniversität an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) vorgestellt. Abschließend wird ein zusammenfassender Überblick über die Bedeutung von Gesundheitskompetenz als Tertiärprävention bei Erwachsenen mit Diabetes mellitus Typ II und ein Ausblick auf weiteren Forschungsbedarf im Bereich Health Literacy und Förderungsinterventionen gegeben.
Im Zuge des demografischen Wandels kommt es zu einer fortschreitenden Alterung der Bevölkerung. Die Anzahl der alten und sehr alten Menschen nimmt kontinuierlich zu, während gleichzeitig die Anzahl an jungen Menschen weniger wird. Im Jahr 1970 waren nur 2 Prozent der Bevölkerung über 80 Jahre. Bis zum Jahr 2050 werden voraussichtlich 15 Prozent über 80 Jahre sein. Deshalb ist mit einem direkten Einfluss auf die Zunahme chronischer Erkrankungen wie Diabetes zu rechnen, was einen steigenden Versorgungsbedarf mit sich zieht. Beim Diabetes mellitus wird mit einer Steigerung der Prävalenz pro 100.000 Einwohner ab dem Jahr 2007 bis zum Jahr 2050 um 44-46 Prozent gerechnet (Peters, Pritzkuleit, Beske & Katalinic, 2010). Die steigende Lebenserwartung der Bevölkerung und die Zunahme an Menschen mit einer chronischen Erkrankung begleiten den demografischen Wandel (Barlow, Wright, Sheasby, Turner & Hainsworth, 2002). Im Zusammenhang mit dem demografischen Wandel und einer alternden Bevölkerung werden verschiedene Theorien zur Krankheitsentwicklung mit steigender Lebenserwartung diskutiert. Die Expansionstheorie geht bei einer längeren Lebenszeit auch von einer längeren Zeit in Krankheit und Behinderung aus (Gruenberg, 2005). Die Kompressionstheorie hingegen geht von einer Verdichtung von Krankheit und Behinderung in einem festgesetzten Zeitfenster vor dem Tod aus, wodurch sich Krankheit und Behinderung mit zunehmendem Lebensalter nach hinten verschiebt und komprimiert (Fries, 1980).
In der Arzt-Patienten-Beziehung herrscht dazu der Wandel weg von der paternalistischen[3] Beziehung zu mehr Einbindung des Patienten in die Behandlung. Vor allem bei chronischen Erkrankungen liegt immer mehr Verantwortung in der alltäglichen Behandlung der Erkrankung beim Patienten. Die Patienten werden dabei als Experten ihrer Erkrankung gesehen. Grundlage dafür ist das Selbstmanagement der Erkrankung (Barlow et al., 2002). Selbstmanagement wird diskutiert als alltägliche Fähigkeiten und Fertigkeiten, die ein Individuum benötigt, um die Auswirkungen der Erkrankung zu kontrollieren oder zu minimieren (Clark et al., 1991).
Damit dies möglich ist, müssen Patienten über die notwendigen Informationen verfügen und in der Lage sein, Asymmetrien in der Interaktion feststellen und ausgleichen zu können. Statt der früheren Asymmetrie in der Arzt-Patienten-Beziehung und der Entscheidungsübernahme durch die Gesundheitsprofessionen treten immer mehr Patientenpräferenzen in den Vordergrund und erlangen eine gewisse Relevanz in der Behandlung (Schaeffer & Pelikan, 2017). Gesundheitskompetenz wird allerdings nicht nur in der veränderten Patientenrolle benötigt, sondern in allen Bereichen des alltäglichen Lebens in der modernen Gesellschaft, wie zum Beispiel in der Arbeitswelt, der Freizeitgestaltung, als Konsumenten oder Bürger, um auch in diesen Bereichen gesundheitsrelevante Entscheidungen treffen zu können (Kickbusch, 2006).
Der Gesundheitsmarkt und die Erkenntnisse ändern sich immer schneller. Die Auswahl an Behandlungsmöglichkeiten wird immer größer, und die Zahl an Medikamenten auf dem Markt nimmt stetig zu. Auch die Organisation des Gesundheitssystems verändert sich, und somit wird auch der Zugang zum Gesundheitssystem stetig neu definiert (Kickbusch, 2006). Dies hat zur Folge, dass auch die Rolle des Individuums immer wieder neu definiert wird, „sie wird immer wichtiger, aber auch immer vielfältiger“ (Kickbusch, 2006, S. 68). Kickbusch (2006) beschreibt die drei Rollen des Bürgers als Konsument auf dem Gesundheitsmarkt, als Patienten im Gesundheitssystem und als Bürger in der Gesundheitsgesellschaft. Durch die Zunahme an Gesundheitsinformationen und die „Expansion von Wahlmöglichkeiten“ (Kickbusch, 2006, S. 69) in unserer Gesellschaft, gewinnen Partizipation und Kompetenz immer mehr an Bedeutung. Zur Bewältigung der Informationsflut und des Überangebots müssen die Handlungsfähigkeiten und Kompetenzen der Bürger gefördert werden, was Einfluss haben wird auf die Entwicklung des Gesundheitssystems und die Gesundheitsgesellschaft (Kickbusch, 2006).
Durch mangelnde Gesundheitskompetenz entstehen zudem zusätzliche Kosten im Gesundheitssystem. In den USA belasten Schätzungen zufolge jährlich 73 Milliarden Dollar zusätzlich das Gesundheitssystem (Kickbusch, 2006). Auch in der Schweiz geht man davon aus, dass Gesundheitskompetenz wichtige ökonomische Auswirkungen hat. Gesundheitskompetenzen haben direkte und indirekte, durch einen verbesserten Gesundheitszustand entstehende, Auswirkungen auf das Gesundheitssystem, die Wirtschaft und auch auf die Gesellschaft (Kickbusch, 2006).
Der Typ-II-Diabetes wird heute weniger als selbstständige Erkrankung angesehen, die isoliert betrachtet werden kann. Vielmehr wird diese im unmittelbaren Zusammenhang mit Erkrankungen wie Adipositas, Hypertonie (Bluthochdruck) und Hyperlipidämie (erhöhter Cholesterinwert) gesehen. Diese sind verantwortlich für einige Folgeerkrankungen, hauptsächlich für arterielle Verschlusskrankheiten und koronare Herzerkrankungen (Hasche & Deitschun, 1996). Beim Diabetes mellitus Typ II ist, anders als bei dem Typ I, die körpereigene Insulinproduktion noch erhalten und kann im Anfangsstadium sogar erhöht sein. Das Problem liegt beim Typ-II-Diabetes in den Zielzellen, die eine verminderte Insulinempfindlichkeit aufweisen. Dadurch kommt es zu einer Insulinresistenz. Die Manifestation dieser Erkrankung hängt dabei von exogenen Faktoren wie Übergewicht, Bewegungsmangel und Überernährung ab. Diabetes mellitus Typ II ist Teil des metabolischen Syndroms, welches mit stammbetonter Adipositas, erhöhten Blutfettspiegeln und Hypertonie einhergeht. Zu den Symptomen, die sich langsam über mehrere Monate bis Jahre entwickeln, zählen zunächst Schwäche, Leistungsminderung, Juckreiz und Pilzinfektionen. Erst später treten die mit Diabetes verbundenen Symptome wie Durst, Polyurie (erhöhte Urinausscheidung) und Gewichtsabnahme auf (Menche & Asmussen-Clausen, 2011, S. 830). Der Typ-2-Diabetes betrifft vorwiegend Menschen im Erwachsenenalter (Heidemann, Du & Schubert, 2013). Nicht nur Übergewicht und Bewegungsmangel begünstigen die Zunahme der Diabetes mellitus Typ II Diagnosen. Durch den mit dem demografischen Wandel steigenden Anteil älterer Menschen ist mit einem weiteren Anstieg Betroffener zu rechnen (International Diabetes Federation, 2009, zit. n. Rathmann, Kowall & Meisinger, 2010).
Patienten mit einem Diabetes mellitus Typ II haben ein höheres Risiko für Folgeerkrankungen wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Schlaganfall, periphere Durchblutungsstörungen, Erkrankungen der Augen und der Nieren, Depressionen sowie Nervenerkrankungen. Das Risiko für diese Erkrankungen steigt, wenn weitere Faktoren hinzukommen (DDG, 2016). Einige davon sind durch den Patienten beeinflussbar und setzen eine gewisse Gesundheitskompetenz (Health Literacy) und selbstregulierende Fähigkeiten (Selbstmanagement) voraus. Dies hat aus gesundheitswissenschaftlicher Perspektive eine wesentliche Bedeutung, da durch präventives und gesundheitsförderliches Verhalten der Betroffenen, Komplikationen und Folgekosten reduziert werden können. Auch für die Gesundheitskommunikation ist dieses Thema relevant. Gesundheitskommunikation wird nach Schnabel (2009) definiert als „Gesamtheit aller mehr oder weniger organisierten Bemühungen, die Botschaft der Gesundheit auf allen vermittlungsrelevanten Ebenen (…) durch den Einsatz möglichst vieler zielführender Strategien (…) zu verbreiten“ (S.39). Im Zusammenhang damit geht es auch um die Förderung von Gesundheitskompetenzen sowie die Aufbereitung und Nutzung gesundheitsrelevanter Informationen, um eine bestmögliche Krankheitsbewältigung zu ermöglichen und Krankheitsverschlechterungen und Komorbiditäten so weit wie möglich zu verhindern. Weiter heißt es in der Definition nach Schnabel (2009), dass durch diese Bemühungen die Verhaltensweisen und Einstellungen der Menschen dahingehend beeinflusst werden sollen, dass sie zu einer selbstbestimmten Lebensführung befähigt werden, die mit Vermeidung von Krankheitsrisiken und Stärkung von Gesundheitsressourcen einhergeht. Die Ziele der Maßnahmen von Gesundheitskommunikation decken sich mit denen, die mit einer Steigerung der Gesundheitskompetenz verbunden sind und stehen somit in engem Zusammenhang.
Chronische Erkrankungen haben anders als Akutkrankheiten neben Langfristigkeit und Dauerhaftigkeit auch eine besondere Verlaufsdynamik. Die Verlaufskurve weist einen stetigen Phasenwechsel zwischen krisenhaften, stabilen und instabilen Phasen auf. Diese Phasen zeichnen sich durch Unkalkulierbarkeit und Ungewissheit über die Dauer und Umschwünge in andere Phasen aus. Das stellt eine große und belastende Anforderung für die Betroffenen dar. Diese sich ständig wechselnden und unberechenbaren Situation bewältigen zu können, verlangt den Betroffenen unterschiedliche Kompetenzen ab. Das dafür benötigte Wissen sich anzueignen und diese Kompetenzen zu entwickeln, ist für die Betroffenen nicht einfach, gerade dann, wenn keine angemessenen Unterstützungsangebote bei den erforderlichen Lernprozessen zur Verfügung stehen. Auch auf der Ebene der Versorgungsnutzung sind bestimmte Kompetenzen unabdingbar. Typisch für chronische Erkrankungen ist ein steigender Versorgungsbedarf in der Verlaufskurve. Dies bedeutet Interaktionen mit verschiedenen Instanzen und Gesundheitsprofessionen, wobei nicht immer sofort klar ist, welche Stellen bei welchen Problemlagen und Fragen aufzusuchen sind (Schaeffer, 2017). Damit gehen weitere Herausforderungen einher, wie die Suche nach geeigneten Behandlungsmethoden und der damit verbundenen Informationsbeschaffung. Diese gestaltet sich angesichts der Intransparenz des vorherrschenden Versorgungssystems und der Instanzenvielfalt als schwierig (Schaeffer, 2006). Nielsen-Bohlman (2004) gibt beispielhaft Ziele und die dafür benötigten Kompetenzen an. Um sich im Gesundheitssystem bewegen zu können, müssen Individuen in der Lage sein, gesundheitsbezogene Formulare ausfüllen zu können, gedruckte Patienteninformationen zu verstehen oder sich in einer komplexen Umgebung wie in einem Krankenhaus zurechtzufinden. Aber auch eine aktive Interaktion mit Gesundheitsexperten setzt einige Kompetenzen voraus. Dafür muss der Betroffene Aufklärung fordern, eigenständig Fragen stellen, angemessene Entscheidungen anhand erhaltener Informationen treffen und in Zusammenarbeit mit dem Gesundheitsexperten einen angemessenen Umgang mit einer chronischen Erkrankung entwickeln (Nielsen-Bohlman, 2004). Da vor allem chronisch Kranke, wie auch die T2DM-Erkrankten, vermehrte Kontakte zu Gesundheitsprofessionen und dem Gesundheitssystem haben, sind diese Kompetenzen notwendige Voraussetzung für eine selbstbestimmte und angemessene Krankheitsbewältigung.
Die erhöhten Bewältigungsanforderungen sowie der vermehrte Kontakt zum Gesundheitssystem begründen die Betrachtung der Gruppe der chronisch Kranken, da diese besonders auf Gesundheitskompetenzen angewiesen sind, sich im Gesundheitssystem sicher bewegen können müssen, eine Vielzahl an Informationen über ihre Erkrankung erhalten, selbst finden müssen und diese für eine kritische Entscheidungsfindung hinsichtlich ihrer Erkrankung benötigen. Zudem müssen diese Informationen von ihnen nutzbar sein, um ihr Selbstmanagement zu fördern und somit einen positiven Einfluss auf den Krankheitsverlauf nehmen können.
In der bundesweit angelegten Studie DEGS1 gaben 7,2 Prozent der Bevölkerung zwischen 18 und 79 Jahren an, dass bei ihnen ein vom Arzt diagnostizierter Typ II Diabetes vorliegt. Ab dem 50. Lebensjahr stieg die Prävalenz sprunghaft an, bei den 70- bis 79-jährigen bis auf 20 Prozent (Lange, 2012). Die Gesamtkosten für Diabetes mellitus haben in den vergangenen Jahren eine steigende Tendenz, wobei die höchsten Krankheitskosten, aufgrund der steigenden Prävalenz mit zunehmendem Alter, für Erwachsene ab 50 Jahren liegen (Statistisches Bundesamt, 2017).
Tab. 1: Lebenszeitprävalenz des bekannten Diabetes nach Geschlecht
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten [4]
Tab. 1 zeigt sowohl für Männer als auch für Frauen mit niedrigem Sozialstatus eine höhere Lebenszeitprävalenz (10,9 Prozent) für den bekannten Diabetes als für diejenigen mit hohem Sozialstatus (4,8 Prozent). Bei niedrigem und mittlerem Sozialstatus haben Frauen eine etwas höhere Lebenszeitprävalenz als Männer. Bei der Gruppe mit hohem Sozialstatus liegt die Lebenszeitprävalenz bei den Männern allerdings etwa doppelt so hoch wie bei den Frauen. Die Lebenszeitprävalenz bei den Männern des mittleren (6,1 Prozent) und hohen (6,2 Prozent) Sozialstatus besteht allerdings kaum ein Unterschied. Bei den Frauen sinkt die Lebenszeitprävalenz mit zunehmendem Sozialstatus (Jordan & Hoebel, 2015). Des Weiteren steigt mit zunehmendem Lebensalter das Krankheitsrisiko, vor allem für chronische Krankheiten (Lange, 2012).
Die Anzahl an Typ-2-Diabetikern ist bereits heute von Bedeutung und wird aufgrund des demografischen Wandels, die eine immer älter werdende Bevölkerung zur Folge hat, und durch die Zunahme an Menschen mit Übergewicht und Bewegungsmangel (International Diabetes Federation, 2009, zit. n. Rathmann et al., 2010) auch in Zukunft weiter ansteigen. Dadurch können die Kosten für die Behandlung des Diabetes sowie seiner Begleit- und Folgeerkrankungen in Zukunft eine steigende Belastung für das Gesundheitssystem darstellen. Denn vor allem die indirekten Kosten der Vielzahl an meist schweren diabetesassoziierten Komplikationen stellen ein ökonomisches Problem dar (Braun, 2001). Die Pro-Kopf-Kosten eines Diabetikers (nicht getrennt nach Typ-1 und Typ-2, ist in diesem Studienmodell nicht möglich gewesen) steigen stetig an. Standardisiert auf die Bevölkerung Deutschlands lagen die Pro-Kopf-Kosten eines Diabetikers im Jahr 2000 bei 5197 Euro, 2005 sind diese bereits auf 5608 Euro angestiegen und 2009 bereits auf 5958 Euro. Die reinen Diabetes-Exzess-Kosten, das bedeutet ausschließliche Kosten für die Behandlung des Diabetes, lagen im Jahr 2000 bei 2400 Euro und im Jahr 2009 bei 2608 Euro. Das bedeutet, dass im Jahr 2009 circa 56 Prozent der Kosten eines Diabetikers auf die Diabetes-Exzess-Kosten zurückzuführen sind. Geht man laut Studie davon aus, dass alle Einwohner Deutschlands gesetzlich versichert sind und die Erkrankungsstruktur der AOK-Hessen-Versicherten für Deutschland repräsentativ ist, verursachten erkannte und behandelte Diabetiker im Jahr 2009 direkte Krankheitskosten von 47,7 Mrd. Euro. Dies entspricht einer Steigerung von 70,4 Prozent im Vergleich zum Jahr 2000 mit 27,8 Mrd. Euro (Köster, Huppertz, Hauner, Schubert & Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung, 2013). Obwohl die Werte für alle Diabetiker zusammengefasst sind, lässt sich daraus schließen, dass die Typ-II-Diabetiker den größten Anteil an den Kosten haben, da 90 Prozent der Diabetisdiagnosen auf den Typ-II zurückzuführen sind.
Die Folge- und Begleiterkrankungen beeinträchtigen zusätzlich die Lebensqualität der Betroffenen und sind zudem Haupttodesursache (Hasche & Deitschun, 1996). Der Umgang mit gesundheitlichen Herausforderungen, sei es in der Krankheitsbewältigung, Prävention oder Gesundheitsförderung, setzt ein bestimmtes Maß an gesundheitlicher Grundbildung und Gesundheitskompetenz voraus, damit Nutzer Gesundheitsinformationen verstehen und sich im komplexen Gesundheitssystem bewegen und mit verschiedenen Gesundheitsprofessionen interagieren und kommunizieren können (Schaeffer & Pelikan, 2017). Zudem hat sich die Verlaufsform chronischer Erkrankungen dahingehend verändert, dass diese aufgrund des medizinischen Fortschritts länger andauern und vielschichtiger geworden sind. Vor allem im höheren Alter kann es dadurch zu Multimorbidität und negativen Begleiterscheinungen von Krankheits- und Therapiefolgen kommen. Die Bewältigung einer chronischen Erkrankung fordert den Betroffenen somit langejähriges Engagement ab, um die Folgen und das Fortschreiten der Erkrankung so gering wie möglich zu halten (Schaeffer, 2009).
Daher ist es von Bedeutung, die Auswirkungen und Folgeerscheinungen des Typ-II-Diabetes im Rahmen der Tertiärprävention zu reduzieren und im besten Fall zu verhindern. Welche Bedeutung Gesundheitskompetenz dabei in der Tertiärprävention hat und welche Ansätze zur Förderung der Gesundheitskompetenz bereits bestehen, soll im Folgenden analysiert und beschrieben werden.
Um die Bedeutung von Gesundheitskompetenz für die Tertiärprävention bei Erwachsenen herauszuarbeiten und Förderungsansätze von Gesundheitskompetenz darstellen zu können, wurde für diese Arbeit eine literaturbasierte Recherche genutzt. Als Grundlage dafür wurden Gesundheitsberichte des RKI und internationale wissenschaftliche Reviews verwendet. Diese geben einen Überblick über die unterschiedlichen Aspekte von Gesundheitskompetenz bzw. T2DM, aktuelle Forschungsergebnisse und Zusammenhänge bzw. Einflussfaktoren. In der Datenbank PubMed wurde mithilfe der Suchbegriffe Health Literacy, T2DM, diabetes, prevention, HLS-EU Survey, Gesundheitskompetenz, healthy aging, Patientenschulung, Patientenorientierung und Alterung zu Recherchezwecken nach entsprechender Literatur gesucht. In Reviews zum Thema Health Literacy wurde vielfach auf den Health Literacy Survey und internationale Studien verwiesen. Fachbücher zu den Bereichen Diabetes Typ II, Gesundheitskompetenz, Patientenorientierung und Heath Literacy gaben eine Auswahl an Definitionen und umfangreichen Erläuterungen zum Konzept und seiner Bedeutung für das Gesundheitssystem, die Gesellschaft und ihre gesundheitlichen Outcomes. Ebenfalls über diese Literatur wurden für das Thema Health Literacy relevante Autoren wie Nutbeam, Kickbusch, Schaeffer und Sørensen gefunden, die vielfach in der Fachliteratur zitiert wurden. Diese wurden bei der weiteren Literaturrecherche beachtet. Ein weiterer relevanter Faktor war die Aktualität der vorgefundenen Definitionen und wissenschaftlichen Texte. Es wird zwar auch eine Entwicklung der Definition von Health Literacy dargestellt, jedoch soll zur Beantwortung der Fragestellung vorwiegend aktuelle Literatur verwendet werden. Dies gilt auch für die Versorgung und Therapie des T2DM. Dazu wurde über die DDG die Versorgungsleitlinie Therapie und die der Schulung herangezogen. Diese dient Medizinern aber auch anderen Akteuren des Gesundheitswesens als offizielle evidenzbasierte Grundlage für die Diagnostik und Therapie des T2DM.
Die Internetrecherche wurde genutzt, um ergänzend zur PubMed-Suche weitere Aspekte, Projekte und Quellen zum Thema Health Literacy, T2DM und Förderung von Gesundheitskompetenz zu finden. Dabei wurden hauptsächlich wissenschaftliche Fachartikel aber auch Leitlinien und vorgestellte Projekte zur Förderung von Gesundheitskompetenz verwendet. Ebenfalls wurden darüber aktuelle Fachartikel zu den genannten Bereichen verwendet, die eine Übersicht über aktuelle Diskussionen und den aktuellen Stand der Forschung bieten konnten. Die aktuelle Literatur befasst sich bereits mit dem Projekt der Patientenuniversität an der Medizinischen Hochschule Hannover. Weitere Informationen dazu waren in Publikationen, die durch die Internetseite des Projektes angegeben waren, auffindbar. Eine Pressemeldung des Bundesministeriums für Gesundheit berichtete über die aktuelle Bildung der Allianz für Gesundheitskompetenz und gab den Anlass, dies kurz in der Arbeit als Ausblick auf die Relevanz und aktuelle Diskussion in die Deutschland zu benennen.
Studien wurden danach ausgewählt, ob sie den Zusammenhang zwischen Gesundheitskompetenz und einer chronischen Erkrankung bzw. die Folgen mangelnder Gesundheitskompetenz für die Bewältigung einer chronischen Erkrankung untersucht hat. Weniger wurden allgemeine Studien zu Health Literacy verwendet. Diese dienten hauptsächlich de Verständnis für das Thema Gesundheitskompetenz. Studien zum Thema Diabetes wurden auf die Betrachtung des Typ-II beschränkt. Zum Thema Gesundheitskompetenz wurde fast ausschließlich Literatur ab dem Jahr 2000 verwendet, um die Aktualität der Forschung, Konzepte und Diskussion zu gewährleisten.
Grundsätzlich ist festzustellen, dass das Thema Gesundheitskompetenz hauptsächlich in englischsprachiger Literatur zu finden ist. Selten sind englische Veröffentlichungen übersetzt worden, zum Teil wurden diese in deutschen Quellen zitiert. Der HLS-EU Survey wurde in Deutschland durch den HLS-GER, ein Projekt der Universität Bielefeld, ergänzt. Dazu gibt es einen ausführlichen Ergebnisbericht, der repräsentative Daten für die Situation in Deutschland bereitstellt. Weitere Studien sind international durchgeführt worden. Definitionen und Konzepte wurden der internationalen Literatur entnommen und in der Arbeit zum Teil übersetzt.
Aus der Public-Health-Perspektive ist es notwendig, Gesundheitskompetenz nicht nur in Bezug auf den Einzelnen, sondern im Blick auf die Befähigung (Empowerment) für gesundheitsrelevante Entscheidungen der Gesamtbevölkerung zu betrachten (Jordan & Hoebel, 2015).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1: Health Literacy-Niveau nach Sozialstatus in Deutschland
Quelle: Schaeffer, Vogt, Berens & Hurrelmann, 2017
Abb. 1 zeigt, dass der Sozialstatus mit dem Health Literacy-Niveau korreliert. Von der Bevölkerungsgruppe mit einem niedrigen Sozialstatus besitzen nur 21,7 Prozent ein exzellentes oder ausreichendes Health Literacy-Niveau. Bei den Menschen mit hohem Sozialstatus haben bereits 62,2 Prozent ein exzellentes oder ausreichendes Health Literacy-Niveau (Schaeffer et al., 2017). Auch das Risiko für bestimmte chronische Erkrankungen, wie der Diabetes mellitus, ist bei Armut, also einem niedrigen Sozialstatus, erhöht (Lange, 2012).
Patienten mit einer eingeschränkten funktionalen Gesundheitskompetenz haben unter anderem Probleme mit dem Lesen von Informationen auf Medikamentenverpackungen, Bewerten von Blutzuckerwerten, dem Lesen und Verstehen von Informationsbroschüren oder Einverständniserklärungen. Eine eingeschränkte Gesundheitskompetenz kann sich aber auch auf die kommunikativen Fähigkeiten und das Einschätzen von Risikofaktoren auswirken. Aufgrund der komplexen, technischen und Selbstmanagementanforderungen an den Patienten kann eine eingeschränkte Gesundheitskompetenz vor allem in der Versorgung von chronisch Kranken eine entscheidende Barriere darstellen. Mangelnde Gesundheitskompetenz ist bei Menschen mit einer chronischen Erkrankung wie dem T2DM verbreitet (Schillinger, 2002). Das Gesundheitskompetenz-Niveau korreliert mit dem Gesundheitszustand: Menschen mit eingeschränkter Gesundheitskompetenz haben einen schlechteren Gesundheitszustand als solche mit einem höheren Gesundheitskompetenz-Niveau (Dewalt, Berkman, Sheridan, Lohr & Pignone, 2004).
Unter der englischen Begriffsbezeichnung literacy wurden über Jahrzehnte hauptsächlich basale Lese-, Rechen- und Schreibfähigkeiten für die Anforderungen des Alltags verstanden. In diesem Kontext wird health literacy als Fähigkeit verstanden, Gesundheitsinformationen zu lesen, zu verstehen und zu nutzen. Diese Fähigkeit bezieht sich vor allem auf den klinisch-medizinischen Kontext im Gesundheitswesen, daher wird er als klinischer Ansatz zur Gesundheitskompetenz bezeichnet (Lenartz, 2012, S. 20-21). Osborne (2005) bezeichnet Health Literacy als essentielle Grundlage in Bezug auf die gesamte gesundheitliche Versorgung. Außerdem wird darauf hingewiesen, dass Health Literacy nicht nur die betrifft, denen basale Lese- und Schreibfähigkeiten zum Verständnis von Informationen fehlen. Denn Ursache für Missverständnisse oder Nicht-verstehen von gesundheitsrelevanten Informationen können ebenfalls das Alter, Behinderungen/Beeinträchtigungen, Sprache, Kultur und Emotionen sein. Health Literacy ist dabei ein Faktor in allen Formen der Gesundheitskommunikation, ob per Telefon, Email, Piktogrammen, Internet, innerhalb von Gruppen und Schulungen, technischen Kommunikationsgeräten und allen weiteren Kommunikationsmöglichkeiten (Osborne, 2005). Die WHO schreibt Gesundheitskompetenz eine große Bedeutung zu, indem sie sagt, dass verbesserte Gesundheitskompetenz notwendig ist, damit Menschen die Kontrolle über ihre Gesundheit verbessern und Krankheiten und Risiken besser bewältigen können. Kommunikationsstrategien, die den Zugang zu Informationen ermöglichen und die Nutzung dieser verbessern, können Gesundheitskompetenzen, Entscheidungsfindung, Risikowahrnehmung und –bewertung verbessern und zu entscheidungsfähigen Individuen, Gruppen und Organisationen führen. (WHO, 2001, zit. n. Osborne, 2005).
Die WHO definiert in ihrem Glossar Gesundheitskompetenz erstmals 1998 wie folgt:
„Health literacy represents the cognitive and social skills which determine the motivation and ability of individuals to gain access to, understand and use information on ways which promote and maintain good health. (…) Health literacy implies the achievement of a level of knowledge, personal skills and confidence to take action to improve personal and community health by changing personal lifestyles and living conditions.“ (World Health Organization [WHO], 1998, S. 357).
Nach dieser Definition ist Gesundheitskompetenz ein Bestandteil von Empowerment und umfasst kognitive und literale Fähigkeiten, um Gesundheitsinformationen zu verstehen und zur Gesunderhaltung zu nutzen. 1998 definiert das Joint Committee on National Health Education Standards auf dieser Grundlage Gesundheitskompetenz als Fähigkeit und Kompetenz, grundlegende Gesundheitsinformationen und Gesundheitsangebote zu erreichen, zu verstehen und zu interpretieren und diese Informationen und Angebote zu nutzen, um die Gesundheit zu verbessern (Nielsen-Bohlman, 2004). Lenartz bezeichnet deshalb Gesundheitskompetenz als „eine wesentliche Voraussetzung für den Erhalt und die Stärkung von Gesundheit und Wohlbefinden“ (Lenartz, 2012, S. 19-20). Demnach ist Gesundheitskompetenz ein Bestandteil von Empowerment, also der „Befähigung des Individuums zu gesundheitlicher Autonomie und eigenständiger Gesundheitssicherung“ (Schaeffer et al., 2017, S. 5).
Diese Definitionen zeigen, dass das Konzept Gesundheitskompetenz inzwischen breiter gefasst wird als ursprünglich, wo es hauptsächlich um die literalen Fähigkeiten und Kompetenzen ging. Hier werden nun auch Ansätze aus den Erziehungs- und Sozialwissenschaften im Hinblick auf gesundheitliche Herausforderungen in modernen Gesellschaften eingebracht (Schaeffer & Pelikan, 2017). Aus den konzeptuellen Ansätzen von Nutbeam wird deutlich, dass Gesundheitskompetenz einen relationalen, interaktiven oder kontextualen Charakter haben kann (Nutbeam, 2000). Demnach hängt das aktuelle Ausmaß der Gesundheitskompetenz einer Person von der individuellen Verfassung sowie den situativen Anforderungen bzw. der Komplexität der Systeme, in denen sie sich bewegt, ab (Pelikan & Ganahl, 2017).
Nutbeam unterscheidet drei Dimensionen von Gesundheitskompetenz (Abb. 2). Die funktionale Gesundheitskompetenz beschreibt dabei die Definition der WHO, welche die bereits genannten basalen, kognitiven Fähigkeiten umfasst. Diese dienen dazu, gesundheitsrelevante Informationen zu verstehen und umzusetzen. Die interaktive Gesundheitskompetenz baut darauf auf und beschreibt die fortgeschrittenen kognitiven und sozialen Fähigkeiten, die es uns ermöglichen, eine aktive Rolle in der Gesellschaft in Bezug auf unsere Gesundheit einzunehmen. Die kritische Gesundheitskompetenz baut auf der interaktiven Gesundheitskompetenz auf und ermöglicht es dem Einzelnen zusätzlich Informationen und Anweisungen kritisch zu betrachten und Entscheidungen bezüglich der Gesundheit abwägen zu können (Nutbeam, 2000).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 2: Stufenmodell der Gesundheitskompetenz
Quelle: Nutbeam, 2000
Paasche-Orlow und Wolf (2007) beziehen in dieses Konzept neben den literalen Fähigkeiten auch sozio-demografische Faktoren und Faktoren wie soziale Unterstützung und Einkommen mit ein. Ebenso geben sie dem Kontext von Health Literacy eine Bedeutung. Nicht nur die Fähigkeiten selbst, sondern auch der soziale Kontext, indem die Fähigkeiten und Fertigkeiten angewendet werden, ist zu berücksichtigen (Paasche-Orlow & Wolf, 2007).
Ein allgemeingültiges Konzept, welches die verschiedenen Sichtweisen und Dimensionen von Health Literacy betrachtet, gibt es bisher nicht. Es gibt unterschiedliche Ansätze, die ihren Fokus entweder auf kognitive Fähigkeiten oder zum Teil auch auf persönliche Voraussetzungen wie Motivation und Interesse, Rahmenbedingungen des Umfeldes oder systemische Voraussetzungen im Gesundheitssystem legen. Im Zusammenhang mit Informationsweitergabe und Wissensvermittlung spielen hauptsächlich literale Fähigkeiten eine Rolle. Im Zusammenhang mit Selbstmanagement, Empowerment und Patientenschulung werden weitere Faktoren mit in das Konzept einbezogen.
Wenn man sich mit dem Thema Gesundheitskompetenz auseinandersetzt ist es nicht nur wichtig die einzelnen Kompetenzen zu betrachten, sondern auch, wie sich diese im Lauf der Zeit entwickeln können. Dazu wurde mithilfe einer qualitativen Studie das Health Literacy Pathway Model entwickelt (Edwards, Wood, Davies & Edwards, 2012). Dieses beschränkt sich nicht nur auf kognitive Fähigkeiten, sondern bezieht weitere Faktoren, die Einfluss auf Health Literacy haben können, mit ein. Gerade Patienten mit einer chronischen Erkrankung müssen bestimmte Kompetenzen und Selbstmanagement-Fähigkeiten besitzen, um diese zu bewältigen. Im Falle einer chronischen Erkrankung erwerben die Betroffenen Health Literacy in verschiedenen Stadien von der Wissensaneignung bis zur fundierten Entscheidungsfindung. Edwards et al. (2012) beschreiben in den Ergebnissen ihrer Studie, dass Studienteilnehmer ein besseres Selbstmanagement besaßen, wenn sie großes Wissen über ihren Zustand und die Wirkungsweise ihrer Medikamente besitzen. Patienten mit Diabetes sprachen insbesondere davon, wie sie ihre Diät und Medikation organisierten, um ihren Blutzucker zu kontrollieren. Abb. 3 zeigt das Health Literacy Pathway Model nach Edwards et al. (2012). Level eins befasst sich mit dem Prozess von Gesundheits-kompetenz. Der erste Schritt ist das Erwerben von generellem Gesundheitswissen aber auch von Wissen über die eigene Gesundheit. Dies erfolgt über Lesen von gesundheitsbezogenen Informationen, Interaktionen mit Gesundheitsexperten und Diskussionen mit Freunden und Familie.
Schritt zwei ist die Entwicklung von gesundheitsbezogenen Kompetenzen. Dies umfasst das Lesen, Sprechen, Problemlösen und Entscheidungen treffen zu können mithilfe von Informationen. Dieser Bereich beinhaltet auch die Selbstmanagementfähigkeiten. Schritt 1 und 2 bedingen sich gegenseitig, wodurch sich sowohl das Wissen als auch die Kompetenzen verbessern können. Schritt drei beinhaltet Health Literacy-Handeln. Das bedeutet, dass der Betroffene aktiv mit Gesundheitsexperten kommuniziert und Informationen austauscht, dabei nach Behandlungen oder Leistungen verlangt, eigene Bedürfnisse und Probleme benennt und Entscheidungen treffen kann. Diese Kompetenzen sind Grundlage für Schritt 4, das Produzieren von eigenen Entscheidungsoptionen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 3: Health Literacy Pathway Model, Quelle: Edwards et al., 2012
Diese werden mithilfe von Interaktionen mit Gesundheitsexperten sowie dem Austausch mit Freunden und Familie erstellt und ermöglichen eine unabhängige fundierte Entscheidung in Schritt fünf. Jede Stufe korreliert mit der vorherigen und nachfolgenden Stufe des Prozesses (Edwards et al., 2012).
Level zwei bildet die Outcomes (Ergebnisse) der einzelnen Stufen ab. Teil a ist dabei das wachsende Wissen und Verständnis, den eigenen Zustand zu managen. Teil b beinhaltet die aktive Teilnahme bei Arztbesuchen. Die eigene Motivation, Stimmung und Unterstützer fördern den Entwicklungsprozess von Health Literacy. Persönliche oder gesellschaftliche Barrieren, negative Erfahrungen und mentale Aspekte können Rückschritte für den Prozess bedeuten. Für jede neue gesundheitliche Situation beginnt dieser Prozess wieder beim Erlangen von Gesundheitswissen und kann dann auf die nächsten Schritte aufbauen. Dieses Modell hilft dem Verständnis der Entwicklung dieser Kompetenzen und dem Ausüben von gesundheitbezogenem Verhalten und kann als Grundlage zur Förderung dieser Kompetenzen genutzt werden (Edwards et al., 2012). Das Modell stellt die unterschiedlichen Einflussfaktoren und Schritte bei der Entwicklung von Health Literacy dar. Dies kann helfen, Interventionen zu entwickeln, Barrieren zu erkennen und die Entwicklungsfaktoren von Gesundheits-kompetenz zu verstehen. Es bietet ein breit gefasstes Verständnis von Einflussfaktoren, die nicht nur kognitive Fähigkeiten des Individuums sondern auch gesellschaftliche, situative und emotionale Aspekte mit einbezieht.
Fehlen kognitive Fähigkeiten im Umgang mit Informationen und in der Entscheidungsfindung bezüglich einer Erkrankung, kann man davon ausgehen, dass die Krankheitsbewältigung beeinträchtigt ist. Welche Auswirkungen mangelnde Gesundheitskompetenz auf die Bewältigung einer chronischen Erkrankung haben kann, beschreiben einige Studien. Diese betrachten zum Teil spezifisch die Gruppe der T2DM-Patienten und welche direkten Auswirkungen mangelndes Wissen und mangelnde Kompetenzen haben. Zum Teil wurde allgemein untersucht, welchen Zusammenhang es zwischen Gesundheitskompetenz und chronischen Erkrankungen gibt.
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[1] Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die gleichzeitige Verwendung männlicher und weiblicher Sprachformen verzichtet. Sämtliche Bezeichnungen gelten gleichermaßen für beiderlei Geschlecht.
[2] Die Begriffe Health Literacy und Gesundheitskompetenz werden in dieser Arbeit synonym verwendet
[3] Autorität und alleinige Entscheidung liegt bei der Behandlung beim Arzt
[4] Sozialstatus: Index, in den Angaben zu schulischer und beruflicher Ausbildung, beruflicher Stellung sowie Haushaltsnettoeinkommen (bedarfsgewichtet) eingehen.