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Bachelorarbeit, 2017
42 Seiten, Note: 1,0
1 Einleitende Bemerkungen
2 Sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen
2.1 Kritische Betrachtung der Bezeichnung ‚Sexueller Missbrauch‘
2.2 Definitionen, Häufigkeit und Auswirkungen sexueller Gewalt an Kindern
2.3 Täterprofile und Täterstrategien
2.4 Kindzentrierte Präventionsansätze als Antwort auf Täterstrategien
3 Mediatisierung und Sexualisierung der Kindheit
3.1 Begriffsbestimmungen und Beschreibung der Wechselwirkung zwischen Mediatisierung und Sexualisierung
3.2 Zur Verbreitung und Bedeutung von Medien im kindlichen Lebenslauf
3.3 Der Sexualisierungsdiskurs unter besonderer Berücksichtigung der medialen Repräsentation von Frauen und Symbolik der Mädchenfigur
4 „Das Recht auf körperliche und sexuelle Selbstbestimmung“ – Diskussion einer Präventionsbotschaft bezüglich sexueller Gewalt im Kontext der Selbstsexualisierung frühadoleszenter Mädchen
5 Fazit und Implikationen für die Prävention sexueller Gewalt von Kindern und Jugendlichen
Literaturverzeichnis
„Die Modefirma, die sexy Hotpants für 8-jährige Mädchen herstellt, junge Frauen, die im Wettbewerb um ein Fotoshooting nackt in Discos auftreten, oder die vielen entwürdigenden Castingshows im Fernsehen sind lediglich Symptome ein und desselben gesellschaftlichen Zustands“ (Voigt, 2016, S.132).
Im Kontext dieses gesellschaftlichen Zustands könnte die Proklamation des Rechtes auf körperliche und sexuelle Selbstbestimmung, eines der Kernthemen hinsichtlich der Prävention von sexueller Gewalt (Deegener, 2010, S.180), aus der Sicht von Kindern und Jugendlichen widersprüchlich wirken. „Dein Körper gehört ganz allein dir“ (Deegener, 2010, S.180) hören sie einerseits und sehen andererseits im Fernsehen, Internet, etc. sexualisierte Darstellungen, insbesondere von Frauen, die unter Umständen das Gegenteil implizieren. Im Rahmen der vorliegenden Ausführungen soll eine Auseinandersetzung mit den ambivalenten Botschaften erfolgen, denen Kinder und Jugendliche, insbesondere Mädchen, ausgesetzt sind und die hinsichtlich der Prävention von sexueller Gewalt relevant sind.
Prävention wird hier vor dem Hintergrund einer Gesellschaft diskutiert, die einerseits sexuelle Gewalt und Prävention nach der Aufdeckung einer Reihe von Vorfällen in schulischen und kirchlichen Einrichtungen im Jahr 2010[1] öffentlich zu thematisieren beginnt (Fegert & Rassenhofer, 2015, S.4), andererseits zur Sexualisierung und gar Pornografisierung (Schuegraf & Tillmann, 2011) tendiere, welche unter anderem eine sexualisierte „‘Aufheizung‘ des elektronischen Raums der Medien“ (Richard, 2010, S.185) bewirke. Digitale, mediale Räume werden wiederum zunehmend auch von Minderjährigen genutzt (Feierabend, Plankenhorn & Rathgeb, 2017; Feierabend, Karg & Rathgeb, 2016) und in Mitten dieser erhitzten Atmosphäre, umgeben von sexualisierten Botschaften und (Selbst-)Darstellungen in sozialen Netzwerken, Musikvideos, Filmen, in der Werbung, vermittelt über Mode und Spielsachen (u.a. Gunter, 2014; Schuegraf & Tillmann, 2011), wird von Kindern und Jugendlichen in westlichen Gesellschaften[2] erwartet, dass sie lernen ein positives Selbst- und Körperbild zu entwickeln und Grenzen zu setzen, um sich vor sexueller Gewalt schützen zu können – eine anspruchsvolle Aufgabe.
Da zum Einen Sexualisierung, zumeist im Zusammenhang mit Frauen und Mädchen thematisiert wird (siehe 3.3) und die von sexueller Gewalt betroffenen Personen zu einem großen Teil weiblich sind (Bieneck, Stadler & Pfeiffer, 2011, S.40), zum anderen um den Umfang zu begrenzen, steht innerhalb der vorliegenden Ausführungen die indirekte Sexualisierung und daraus resultierende Selbstsexualisierung von Mädchen im Fokus. Doch an dieser Stelle soll betont werden, dass auch Jungen und Männer durch medial vermittelte (Körper-)Ideale sowie die daraus resultierende (Selbst-)Objektifizierung in ihrem Selbstbild beeinflusst werden können (Vandenbosch & Eggermont, 2013). Dies sollte im Zuge von Präventionsarbeit mit Jungen ebenfalls berücksichtigt werden.
Zu Beginn wird ein Überblick bezüglich sexueller Gewalt an Kindern geboten, wobei auch Täterstrategien und die daran anknüpfenden, allgemeinen Präventionsthemen beschrieben werden. Es folgt eine Auseinandersetzung mit aktuellen Sexualisierungs- und Mediatisierungsprozessen[3] unter besonderer Berücksichtigung kindlicher Lebenswelten. Als Schwerpunkt wird hier die gesellschaftliche Konstruktion beziehungsweise mediale Repräsentation von Frauen sowie die Bedeutung der Mädchenfigur als Emblem für Unschuld in der postfeministischen Ära und betrachtet.
Um das Spanungsfeld, in welchem sich Mädchen befinden exemplarisch zu verdeutlichen, erfolgt im Anschluss eine Diskussion kindzentrierter Botschaften auf Grundlage des Präventionsthemas „Das Recht auf körperliche und sexuelle Selbstbestimmung“ (Deegener, 2010, S.180) im Kontext der Selbstsexualisierung frühadoleszenter Mädchen, welche als Folge der Introjektion medial vermittelter Sexualisierung gelten kann. An dieser Stelle wird sich auf Untersuchungen von Voigt (2016), Dangendorf (2012) sowie Renold und Ringrose (2011) bezogen.
Welche Implikationen sich letztlich hinsichtlich der medial vermittelten Sexualisierung von Mädchen für die Präventionsarbeit ergeben, wird abschließend zusammengefasst.
Obwohl die Bezeichnung ‚Sexueller Missbrauch‘ sowohl im klinischen und rechtlichen Kontext, als auch im alltäglichen Sprachgebrauch weit verbreitet ist (Gründer & Stemmer-Lück, 2013) und selbst die Initiative des Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (2016) den Titel „Kein Raum für Missbrauch“ trägt, wird innerhalb der vorliegenden Ausführungen auf den Begriff ‚Missbrauch‘ verzichtet, da er „impliziert, dass Menschen gebraucht oder missbraucht werden“ (Stemmer-Lück, 2013, S.15) und von einigen Betroffenen abgelehnt wird (Winter, 2015, S.11). Zwar sei bekannt, dass Täter angaben, ihre Opfer wie „Sexualobjekte“ (Deegener, 2010, S.22) oder „Gebrauchsgegenstände“ (Gründer & Stemmer-Lück, 2013, S.15) ‚miss-braucht‘ zu haben, doch ein ‚zweckmäßiger Gebrauch‘ einer Person zur sexuellen Befriedigung einer anderen sei schlichtweg nicht möglich (Kappeler, 2014, S.8; Winter, 2015, S.11). Der Gebrauch einer Person spricht für sexuelle Objektifizierung, und damit im weitesten Sinn für Entmenschlichung, und stellt bereits ein Merkmal der Sexualisierung dar, wie unter Punkt 3.1. näher ausgeführt wird. Kappeler (2014) betont darüber hinaus, dass es sich bei dem Begriff ‚Missbrauch‘ um eine Vokabel der „Sprache der Verschleierung und Verharmlosung“ (S.8) handele, wie es auch bei Umschreibungen wie „‚Er hat sich vergriffen‘ oder ‚vergangen‘“ (S.8) der Fall sei. Demzufolge werden im Rahmen dieses Textes die Bezeichnungen sexuelle oder sexualisierte Gewalt verwendet.[4]
Es existiert keine einheitliche psychologische Definition sexueller Gewalt an Kindern und Jugendlichen (Gründer & Stemmer Lück, 2013, S.15). Die Diskussion und Bewertung sei durch den jeweiligen kulturellen und ideologischen Kontext geprägt (Bange, 2003, S.21; Bundschuh, 2001, S.40). Derzeit gebräuchliche sozialwissenschaftliche Definitionen orientieren sich am Konzept des wissentlichen Einverständnisses (informed consent), wonach sexuelle Gewalt im Allgemeinen sexuelle Handlungen an oder vor Personen einschließe, denen diese aufgrund ihres allgemeinen Entwicklungs- und Wissensstandes nicht zustimmen können, weil sie nicht in der Lage sind, die Folgen zu ermessen (Basile, Smith, Breiding, Black & Mahendra, 2014, S.11; Deegener, 2010, S.20-22). Kinder können somit nicht in sexuelle Kontakte einwilligen, da sie gegenüber Erwachsenen nicht als gleichberechtigte Partner*innen gelten würden (Bange, 2003, S.22). Eine vermeintliche Einwilligung des Kindes ist auch rechtlich hinsichtlich der Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung[5], des StGB, im Speziellen gemäß §176 ‚Sexueller Missbrauch‘ an Kindern irrelevant: Sexuelle Handlungen an und mit Personen unter 14 Jahren sind in jedem Fall strafbar (Jud, 2015, S.54). Eine von Tätern oft zu ihrer Entlastung angegebene Zustimmung des Kindes (Jud, 2015, S.54), sei als „Unterwerfung oder Anpassung an die Wünsche des Täters“ (Gründer & Stemmer-Lück, 2013, S.16) aufzufassen[6], wobei hier auch die vielfältigen Abhängigkeitsverhältnisse, in denen sich Kinder oder Jugendliche befinden, das Machtgefälle zwischen Tätern und Betroffenen und Loyalitätskonflikte zu berücksichtigen seien (Deegener, 2010; Gründer & Stemmer-Lück, 2013). Einige Forscher setzten eine bestimmte Altersdifferenz zwischen Täter und Betroffenen fest, um sicher von der Unfähigkeit zum wissentlichen Einverständnis ausgehen zu können[7] (Bange, 2003, S.22; Deegener, 2010, S.21). Bei Kindern bis zum 12. Lebensjahr gelte eine Differenz von 5 Jahren, bei älteren Kindern und Jugendlichen von 10 Jahren als ausschlaggebend (Deegener, 2010, S.21).
Bezüglich der Formen sexueller Gewalt wird zwischen Handlungen ohne und mit direktem Körperkontakt (hands-on- und hands-off-Handlungen) unterschieden, wobei Körperkontakt penetrative Handlungen umfasst sowie alle „absichtlichen Berührungen – auch über der Kleidung – der Genitalien, der Leistengegend, der inneren Oberschenkel, des Anus und der Brüste durch die Täter am Kind oder das Verlangen der Täter, an diesen Stellen berührt zu werden“ (Jud, 2015, S.44). Exhibitionistische Handlungen, das Zeigen von pornographischen Aufnahmen oder die sexualisierte Darstellung des Kindes, verbale sexuelle Belästigung und das Ermöglichen von Kinderprostitution stellen Hands-off Handlungen dar (Jud, 2015, S.44).
Enders (2003a) macht, unabhängig von der rechtlichen Kategorisierung, auf die subtilen, vielfältigen Ausprägungen sexueller Ausbeutung aufmerksam und erklärt: „Sexuelle Gewalt gegen Mädchen und Jungen fängt bei heimlichen, vorsichtigen Berührungen, verletzenden Redensarten und Blicken an“ (S.29), denn somit erlange das Kind oder der/die Jugendliche „durch die Reduzierung zum Sexualobjekt Bedeutung“ (S.33) und lerne „dass sie/ er mit körperlicher Attraktivität und Genitalien ausgestattet ist, um Erwachsene, älteren Kindern und Jugendlichen ‚Lust‘ zu verschaffen“ (S.33). Mit anderen Worten: Sie werden und sehen sich selbst als sexualisiert (siehe 3.1). Dies ist vor allem in Bezug auf die Häufigkeit hinsichtlich der Altersstruktur und der zu diesem Zeitpunkt anstehenden Entwicklungsaufgaben[8] betroffener Kinder von Bedeutung. Laut einer Studie aus den USA steige die Häufigkeit sexueller Gewalt ab dem Alter von 9 bis zu 15 Jahren an (Finkelhor, Turner, Ormrod & Hamby, 2009, S.6). Innerhalb dieser Zeitspanne, welche den Übergang zur beziehungsweise den Verlauf der Frühadoleszenz darstelle (Resch & Weisbrod, 2012, S.242), erfolge laut Manning (2010), der sich auf die von Havighurst (1956) analysierten Entwicklungsaufgaben bezieht, unter anderem die Auseinandersetzung mit der eigenen sexuellen Orientierung und dem eigenen sozialen Geschlecht (Manning, 2010, S.76). Ziel sei unter anderem der Aufbau eines positiven Selbstwertgefühls, akzeptierender Haltungen gegenüber Peers beziehungsweise Angehörigen beider biologischen Geschlechter (Manning, 2010, S.77). Erfahrene sexuelle Gewalt beeinflusst, wie anhand Enders (2003a) Erläuterung deutlich wird, unter anderem die Bewältigung dieser Entwicklungsaufgaben hinsichtlich der Wahrnehmung der Identität sowie des eigenen Körpers („Sexualobjekt“, Enders, 2003a, S.33) und bezüglich der Wahrnehmung und Gestaltung zwischenmenschlicher Interaktionen. Darüber hinaus kann, wie Goldbeck (2015) zusammenfasst, erfahrene sexuelle Gewalt neben kurzfristigen physischen und psychischen Auswirkungen, langfristige, zum Teil bis ins Erwachsenenalter persistierende, komplexe psychische Störungen nach sich ziehen. Dies ist insbesondere von Bedeutung, da es sich bei sexueller Gewalt an Kindern und Jugendlichen um kein seltenes Phänomen handelt.
Die Häufigkeitsangaben variieren jedoch je nach Studie aufgrund unterschiedlicher Befragungsformen und Festlegungen der Intensitätslevel beziehungsweise Definition (Deegener, 2010, S.32). Die Bundeskriminalstatistik kann zwar einen Einblick in das Hellfeld – die Zahl der aktenkundig gewordenen Fälle – gewähren, doch es wird überdies von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen (Winter, 2013, S.33). Laut der KFN-Studie, des ersten Forschungsberichts zur zweiten Repräsentativbefragung ‚Sexuellen Missbrauchs‘ gaben 8,0% der heute 31-40-jährigen weiblichen Befragten an, bis zu ihrem 16. Lebensjahr sexuelle Gewalt mit Körperkontakt erlitten zu haben; bezüglich der 21-30jährigen waren es 6,4%, bei den 16-20-jährigen 2,4% und bei den männlichen Befragten ergaben sich die Zahlen: 1,8%, 1,1%, 0,6% (Bieneck, Stadler & Pfeiffer, 2011, S.40). Im Vergleich zur KFN-Untersuchung im Jahr 1992 sei ein deutlicher Rückgang ersichtlich (Bieneck et al., 2011, S.40), wobei geringe Modifizierungen der Kriterien bereits deutliche Änderungen zur Folge hätten (Zimmermann, Neumann, Çelik, Kindler, 2011, S.122). Winter (2013, S.34) gibt diesbezüglich zu bedenken, dass keine Menschen befragt wurden, die sich in öffentlicher Obhut befinden, obwohl gerade in psychiatrischen Einrichtungen, im Strafvollzug oder in Heimen der Prozentsatz der von sexueller Gewalt betroffener Personen hoch sei. Desweiteren wurden in der KFN-Studie keine Menschen über 40 Jahren befragt, entgegen der Tatsache, dass in der Kindheit erlebte sexuelle Gewalt oftmals erst nach dem 40. Lebensjahr bewusst erinnert werden würde (Winter, 2013, S.34). Der geringe Prozentsatz hinsichtlich der 16-20-jährigen sei Winter (2013) zufolge gegebenenfalls dadurch zu erklären, dass Personen dieser Altersklasse zum Großteil noch im elterlichen Haushalt und „damit im Zweifelsfall mit den Tätern unter einem Dach“ (S.35) leben. „Wie naiv muss man sein, um bei diesem Setting eine Einflussnahme auszuschließen?“ (Winter, 2013, S.35).
In einer unlängst erschienen online-Studie von Dombert et al. (2016) berichteten 3,2% der 8718 befragten deutschen Männer von sexuellen Handlungen an und mit Kindern im Alter von bis zu 12 Jahren (S.220). Aufgrund der Annahme, dass einige der Teilnehmer begangene sexuelle Übergriffe aus Angst vor Entdeckung oder aus Scham verschwiegen haben könnten und hinsichtlich der Tatsache, dass Täter sich gegebenenfalls bis zu ihrer Verurteilung vielen Kindern gegenüber sexuell übergriffig verhalten (Enders, 2003b, S.55; Salter, 2006, S.10), könnte weiterhin von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen werden
Sexuelle Gewalt an Kindern wird nicht, wie fälschlicherweise in der Öffentlichkeit häufig angenommen, ausschließlich von pädosexuellen beziehungsweise ‚pädophilen[9] Tätern begangen (Kuhle, Grundmann & Beier, 2015, S.110). Pädosexualität bezeichnet eine sexuelle Präferenzstruktur, welche durch die ausschließliche oder teilweise Ausrichtung auf das kindliche Körperschema gekennzeichnet ist[10], sie bedinge jedoch nicht grundsätzlich sexuelle Verhaltensstörungen, wie sexuelle Handlungen, vor und an Kindern und Jugendlichen (Bundschuh, 2001, S.27-28; Beier & Loewit, 2011, S.61). Offiziellen Statistiken zufolge sei der überwiegende Anteil der Täter männlich (Deegener, 2010; Kuhle et al., 2015). Desweiteren wird ein hoher Anteil sexueller Gewalttaten an Kindern – prozentuale Angaben variieren hier je nach Methodik der Studie – von Ersatzhandlungstätern begangen (Kuhle et al., S.110), bei Frauen handele es sich fast ausschließlich um Ersatzhandlungen (Kuhle et al., 2015, S.117). Übergriffe auf Kinder oder Jugendliche können hier als Ersatz für erwünschte Beziehungen mit altersentsprechenden Partnern gelten (Beier & Loewit, 2011; Kuhle et al., 2015; Salter, 2006). Es finden sich unterschiedlich betitelte, jedoch ähnlich beschriebene Subtypen von Ersatzhandlungstätern (Gründer & Stemmer-Lück, 2013; Salter, 2006). Eine häufig zitierte Klassifikation stammt von Beier (1998) und umfasst Täter mit antisozialer Persönlichkeitsstruktur, soziosexuell unerfahrene, beispielsweise jugendliche, beziehungsweise sozial wenig integrierte Einzelgänger sowie intelligenzgeminderte Täter. Als Besonderheit seien Täter aus allgemein grenzverletzendem, familiärem Umfeld genannt, wobei hier oftmals nur eine Generation zwischen Tätern und Betroffenen läge (Beier, 2005; zitiert nach Kuhle et al., 2015, S.111).
Weitere in der Öffentlichkeit verbreitete Fehlannahmen, beziehen sich zum Einen auf das Bild des impulsiven, fremden Triebtäters, welches nicht der Realität entspräche (Gründer & Stemmer-Lück, 2013), andererseits auf die Vorstellung, sexuelle Gewalt ereigne sich hauptsächlich im innerfamiliären Bereich, was ebenfalls nicht empirisch belegt wurde (Deegener, 2010). Derzeit wird davon ausgegangen, dass es sich zu jeweils 25% der Täter um Fremde oder Angehörige handele und zu 50% um Bekannte (Deegener, 2010, S.37). Bei innerfamiliärer sowie sexueller Gewalt durch Bekannte sei meist ein strategisches, geplantes Vorgehen der Fall (Bange, 2015, S.106), wobei dem sexuellen Übergriff eine Vorbereitungs- und Desensiblisierungsphase, das „Grooming“ vorausgehe (u.a. Bennett & O’Donohue, 2014; Pollack & McIver, 2015; van Dam, 2006). Hierbei handele es sich um: „A process by which a person prepares a child, significant adults and the environment for the abuse of this child. Specific goals include gaining access to the child, gaining the child’s compliance and maintaining the child’s secrecy to avoid disclosure“ (Craven, Brown & Gilchrist, S.297)[11]. Grooming-Strategien zielen demnach sowohl auf die Manipulation des Kindes und des Umfeldes ab, als auch auf die Verschleierung der Motive des Täters und dessen gesellschaftlich-institutionelle Einbindung. So würden Groomer oft Berufe, Hobbies und ehrenamtliche Tätigen wählen, über die sie mit Kindern in Kontakt kommen (Deegener, 2010; Enders, 2003b; van Dam, 2006). Vorgesetzten, Kollegen, den jeweiligen Familien und Kindern gegenüber präsentieren sie sich als überaus verlässliche, engagierte, vertrauenswürdige und hilfsbereite Mitarbeiter, Helfer und Freunde (u.a. Enders, 2003b; Gründer & Stemmer-Lück, 2013; van Dam, 2006; McAlinden, 2006), während sie gezielt Kontakt zu emotional bedürftigen (Deegener, 2010, S.133; Elliott, 1995; Gründer & Stemmer-Lück, 2013, S.65), intelligenzgeminderten, physisch beeinträchtigten oder (sprachlich) entwicklungsverzögerten Kindern suchen (Deegener, 2010, S.133). Schon die von Conte, Wolf und Smith (1989) interviewten Täter postulierten, eine „special ability“ (S.299) zur Identifikation vulnerabler Kinder zu besitzen. Daneben scheint auch die Attraktivität und die Aufmachung für die Auswahl eines Kindes von Bedeutung zu sein (Elliott, Browne & Kilcoyne, 1995, S.584).
[...]
[1] Hier wird auf die öffentlich und politisch ausgetragene Debatte um den „Missbrauchsskandal“ Bezug genommen, ausgelöst durch die im Jahr 2010 aufgedeckten sexuellen Übergriffe am Canisius-Kolleg, im Kloster Ettal sowie in der Odenwaldschule (Fegert & Rassenhofer, 2015, S.4). Am 24. März 2010 hat das Bundesministerium der Justiz in Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (2011) daraufhin den Runden Tisch ‚Sexueller Kindesmissbrauch in Abhängigkeits- und Machtverhältnissen in privaten und öffentlichen Einrichtungen und im familiären Bereich‘ eingerichtet um zu signalisieren, dass „Politik und Zivilgesellschaft sich gründlich, umfassend und dauerhaft des Themas annehmen – auch dann, wenn es aus den Medienberichten verschwunden sein wird“ (S.6).
[2] Gunter (2014) zufolge zeigte sich das Phänomen der Sexualisierung beziehungsweise Sexualisierung der Kindheit in Untersuchungen der Vereinigten Staaten von Amerika, des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirlands sowie in australischen Studien. Doch Dangendorf (2012) bezeichnet speziell die Sexualisierung von Mädchen als kulturübergreifenden Trend westlicher Gesellschaften (S.13).
[3] In der Kommunikationswissenschaft werden die Begriffe „Mediation“, „Mediatization“, „Medialisierung“ und „Mediatisierung“ laut Meyen (2009) zum Teil als Synonyme verstanden, wobei auch deutlich voneinander abweichende Auslegungen existieren würden. Im Rahmen dieser Ausführungen wird sich auf die Definition von „Mediatisierung“ nach Krotz (2007) bezogen (Näheres dazu unter Punkt 3a). Da einige der hier zitierten Autor*innen die Formulierung „Medialisierung“ verwenden, ist hier auch diese Schreibweise zu finden. Inhaltich sind die Begriffe im Rahmen dieser Ausführungen synonym zu verstehen.
[4] Sofern der Begriff ‚Sexueller Missbrauch‘ nicht zu umgehen ist, da sich auf derzeit rechtliche, klinische, o.a. feststehende Termini bezogen wird, erscheint die Formulierung hier in Anführungszeichen.
[5] Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung im Kontext sexueller Gewalt an Kindern und Jugendlichen: §176 Sexueller Missbrauch von Kindern (unter 14 Jahre), §176a Schwerer sexueller Missbrauch von Kindern, §176b Sexueller Missbrauch von Kindern mit Todesfolge, §174 Sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen, §180 Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger (unter 16 Jahren), §182 Sexueller Missbrauch von Jugendlichen (unter 18) des StGB, 13. Abschnitt (Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, 1998).
[6] Eine Zustimmung könne unterschiedlich interpretiert werden. Deegener (2010) weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass sexuelle Handlungen von Kindern zum Teil auch als angenehm erlebt werden können, sowie mit Stolz und dem Gefühl des Erwachsen-Seins verbunden sein können, wobei dadurch wiederum Verwirrung sowie Schuld-Schamgefühle zunehmen würden (S.83-85).
[7] Strafrechtlich ist dies allerdings nicht wirksam: „So darf strafrechtlich gesehen z. B. ein 15-Jähriger keine sexuellen Handlungen an seiner 13-jahrigen Freundin vornehmen – er wurde sich ggf. gemäß. § 176 StGB strafbar machen (Jud, 2015, S.54).
[8] Nach Havighurst (1956) stehen Menschen zu bestimmten Zeitpunkten ihrer Entwicklung beziehungsweise innerhalb bestimmter Intervalle Aufgaben gegenüber, deren erfolgreiche Bewältigung zur Zufriedenheit und wiederum Erfolg bei der Bewältigung nachfolgender Aufgaben führt, wohingegen ein Scheitern Schwierigkeiten und negative Bewertungen und Gefühle nach sich zieht (S.215). Diese sogenannten Entwicklungsaufgaben entspringen drei Quellen: „(1) physical maturation, (2) cultural pressure (the expectations of society), and (3) individual aspirations or values“ (Havighurst, 1956, S.215).
[9] Der Begriff ‚Pädophilie‘ wird in einigen Publikationen sowie im Rahmen dieser Ausführungen aus einem ähnlich Grund vermieden wie die Bezeichnung ‚Missbrauch‘: ‚Pädophilie‘ wurde dem Griechischen entlehnt und bedeutet „Liebe zu Kindern“, wobei hier das sexuelle Begehren von Kindern und die den Betroffenen angetane Gewalt nicht ausgedrückt wird (Bundschuh, 2001, S.25). Anstelle von ‚Pädophilie‘ wird hier in Anlehnung an Bundschuh (2001) ‚Pädosexualität‘ verwendet.
[10] Daneben existiert die hebephile Präferenzstruktur welche die Ausrichtung auf das pubertäre Körperschema umschreibt (Beier & Loewit, 2011).
[11] Da keine allgemein gültige Definition existiert, wurde hier eine Variante gewählt, welche die wichtigsten, von diversen Autoren genannten Aspekte integriert.