Bachelorarbeit, 2017
74 Seiten, Note: 2,8
Abbildungsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1 Einleitung: Die Frankophonie in Nordamerika – Einordnung des « français acadien »
2 Herangehensweise und Forschungsstand
3 Geschichtlicher Hintergrund
3.1 Einleitung
3.2 Die Entdeckung und Namensgebung
3.3 Die Gründung Akadiens: Anfänge in der Nouvelle-France
3.4 Auseinandersetzungen zwischen den Briten und Franzosen – Probleme bei der Besiedlung
3.5 Akadien im Besitz der Engländer
3.6 Das dunkle Kapitel Akadiens: « Le Grand Dérangement »
3.7 Gründe für die Auswanderung und das Leben im „Paradies“
3.8 Akadien zwischen Renaissance und Moderne
3.9 Zur Herkunft des « français acadien » und der Kolonisten
4 Varietätenlinguistik: Das historische Akadien, das «français acadien» und die Akadier der Gegenwart
4.1 Einleitung
4.2 Aktuelle geographische und sprachliche Situation: Provinzen, Sprecherzahlen und der Status des Französischen
4.3 Über das « français acadien »
4.4 Gründe für die Unterschiede der französischen Varietäten in Kanada
4.5 Die Akadier in der heutigen Zeit
4.6 Probleme bei der Erhaltung der Varietät und stattfindende Entwicklungen
4.7 Assimilation der Akadier an die anglophone Umgebung
5 Lexikologie: Die Wortschatzanalyse des Akadischen zwischen Tradition und Innovation
5.1 Kurzes Zwischenfazit und Einleitung in die Wortschatzanalyse
5.2 Bereits getroffene Zukunftsaussichten verschiedener Autoren für das « français acadien »
5.3 Allgemeine Besonderheiten: Kontrastiver Vergleich zum Standardfranzösischen
5.3.1 Phonologie – Analyse der Phoneme und der phonologischen Oppositionen und der lautlichen Besonderheiten im « français acadien »
5.3.2 Morphologie
5.3.3 Syntax
5.4 Erhaltung sprachlicher Besonderheiten in der Acadie
5.4.1 Neuschottland
5.4.2 Neubraunschweig
5.4.3 Magdalenen-Inseln und Neufundland
5.5 Wortschatzanalyse nach G. Massignon
5.5.1 Einführung
5.5.2 Beispiele für Konservatismus und Anpassung
5.5.3 Wortkategorien des täglichen Lebens
5.5.4 Regionalismen
5.5.5 „Akadianismen“ – Exempel einer Wortgruppe unbekannten Ursprungs
5.5.6 Wörter aus der Zeit der Kolonialisierung
5.5.7 Wortneubildungen – Beispiele für Derivate
5.5.8 Polyvalenz
5.5.9 Neologismen
5.5.10 Anglizismen
5.6 Eigenständige Wortschatzanalyse zwischen Tradition und Innovation
5.6.1 Einführung
5.6.2 Analyse eines akadischen Glossars und Diktionärs
5.6.3 Wortbeispiele aus einem Internetvideo und Vergleich zum akadischen Glossar und Diktionär
5.6.4 Analyse eines aktuelleren Korpus aus der Provinz Neubraunschweig
5.6.5 « Le Chiac » – eine besondere Sprachkontaktvarietät
6 Fazit und Schlusswort
7 Literatur- und Quellenverzeichnis
Abbildung 1: Geografische Lage der akadischen Domäne.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Weltweit gibt es etwa 75 Millionen Menschen, deren Erstsprache Französisch ist.[1] Die Angaben über die Sprecherzahlen stimmen nicht immer überein, da in Statistiken oftmals auch Menschen einbezogen werden, die Französisch u. a. als Zweitsprache, Amtssprache oder Verkehrssprache benutzen. Der Begriff „Frankophonie“ kann unterschiedlich definiert werden. Wenn das Adjektiv francophone für qui parle français steht, umfasst der Begriff damit grundsätzlich den Gebrauch des Französischen auf vier Kontinenten.[2] Nach dem senegalesischen Staatspräsidenten Léopold Sédar-Senghor bezeichnet Frankophonie aber vielmehr eine Werte- und Kulturgemeinschaft und führt zu einer semantischen Bereicherung des Begriffes:
« La Francophonie, c’est cet humanisme intégral, qui se tisse autour de la terre : cette symbiose des ’énergies dormantes’ de tous les continents, de toutes les races, qui se réveillent à leur chaleur contemporaine. »[3]
Warum diese Definition der Frankophonie besonders gut zum Thema passt, wird im Verlauf der Arbeit begründet.
Im Jahre 1991 wurde Französisch in Nordamerika von ca. 7,7 Millionen Menschen gesprochen (von den insgesamt 277 Millionen Menschen waren das nur ca. 3 Prozent), darunter in Kanada, in den USA sowie weiteren kleineren Gebieten in der Karibik und den zu Frankreich gehörenden Inselgruppen südlich von Neufundland. Erfurt gibt an, dass in Kanada 23 Prozent der Bevölkerung (= 6,9 Millionen Menschen) frankophon gewesen seien und in der Provinz Québec, in Ontario und in den östlichen maritimen Provinzen Neubraunschweig, Neuschottland und auf der Prinz-Edward-Insel lebten. Diese maritimen Provinzen sind heutzutage als die historische Region „Akadien“ bekannt. Es gibt deutliche regionale und soziale Unterschiede der französischen Sprache in Kanada. In diesen an der Ostküste Kanadas liegenden Regionen wird das « français acadien » gesprochen. Dabei handelt es sich um eine Varietät, die sich während der französischen Kolonialzeit des 17. Jahrhunderts entwickelte.[4] Der besondere Charakter, welcher das « français acadien » ausmacht, und der aktuelle Status der Varietät sind das Resultat vieler Faktoren, wie Geschichte, Sprachpolitik und Soziales, welche die Gemeinschaft der französischen Sprache, die heutzutage in der Acadie lebt, markiert.[5] Eine ähnliche Varietät, das Cadien, wird heute in Louisiana, USA, gesprochen und weist Gemeinsamkeiten mit dem Akadischen in Kanada auf, weshalb diese ebenfalls im folgenden geschichtlichen Teil kurz erwähnt wird.[6]
Aufgrund der geographischen Lage von Kanada und der Überzahl von anglophonen Sprechern (von ca. 30 Millionen Kanadiern sprechen nur ein Viertel Französisch, obwohl es neben dem Englischen als Amtssprache dient) ist es fraglich, ob dort gerade innerhalb des Französischen als Minderheitssprache das « français acadien », welches von nur ca. 280.000 Menschen um das Jahr 2000 gesprochen wurde[7], auch in Zukunft erhalten bleiben kann.
Das Thema wurde aufgrund des großen Interesses an Kanada, der Kultur und der Varietäten des Französischen, die dort gesprochen werden, ausgesucht. Zudem besteht auch ein großes Interesse an der Auseinandersetzung des Wortschatzes in Form einer Korpusanalyse. Das Thema der Arbeit ist deshalb so faszinierend, da die behandelte Varietät sich seit bereits vier Jahrhunderten hält, obwohl diese laut der getroffenen Zukunftsaussichten einiger Autoren zur heutigen Zeit gar nicht mehr existieren dürfte. Das « français acadien » ist das bleibende Resultat französischer Auswanderer, die sich dazu bereit erklärten, ein neues Leben in Nordamerika zu führen. Die Geschehnisse aus der Vergangenheit haben sie so geprägt, dass sie eine eigene Identität und „Sprache“ entwickelten, welche von vielen Akadiern bis heute noch zu bewahren versucht wird.
Die vorliegende Arbeit befasst sich mit dem « français acadien » und seinem Wortschatz zwischen Tradition und Innovation. Dem Thema soll sich aus sprachwissenschaftlicher, aber auch aus landeskundlicher Sicht genähert werden. In den ersten beiden Kapiteln werden deshalb zunächst die Herausbildung des « français acadien » und der geschichtliche Hintergrund sowie das „Akadien“ der Gegenwart und die sprachlichen Besonderheiten definiert und anhand dessen in der darauffolgenden Wortschatzanalyse in Form von Beispielen und Wortkategorien aufgezeigt, wie zukunftsorientiert (innovativ) und beständig (traditionell) das « français acadien » ist. Der Wortschatz des « français acadien » und dessen theoretische und praktische Analyse bilden somit den Hauptteil der Arbeit. Bei der praktischen Wortschatzanalyse werden Videos und ein Interview analysiert, in denen Akadisch gesprochen wird.
Im Fazit und Schlusswort werden die Ergebnisse final ausgewertet. Dabei werden die Sachverhalte, die der Wortschatz schon zu Beginn seiner Entstehung enthielt, sowie die Erneuerungen und Erweiterungen zusammengefasst. Abschließend wird eine mögliche Zukunftsaussicht in Bezug auf das weitere Bestehen des « français acadien » getroffen.
Die Arbeit orientiert sich an bestehender Fachliteratur zur Frankophonie, der Geschichte Akadiens und dem Wortschatz sowie zu dessen praktischer Analyse an einem Interview, einem Dokumentarfilm, zwei Videos und sozialen Netzwerken über das Leben in Akadien und den täglichen Gebrauch des « français acadien ». Allgemein gibt es Literatur aus der Zeit ab dem 19. Jahrhundert bis heute. Die Literatur ist hauptsächlich in französischer Sprache verfasst, es gibt aber auch deutsche und englische Werke. Es gibt viel Literatur zu den Themen Geschichte, Sprachpolitik, Soziolingusistik, Korpusanalysen, syntaktische und morphosyntaktische Analysen. Wichtige Werke für die Analyse des Wortschatzes sind das Glossaire acadien von Poirier, das Dictionnaire du français acadien von Cormier und die Wortschatzanalyse Les parlers français d’Acadie nach Massignon. Die Wortschatzanalys nach Massignon ist das wichtigste Werk und eines der wenigen, das sich konkret mit der Wortschatzanalyse des « français acadien » beschäftigt. Wenig Literatur gibt es zur Phonologie und Phonetik des Akadischen. Die Autoren der verwendeten Werke sind meist Historiker, Politologen, Romanisten und Linguisten, darunter auch viele Professoren. Literatur, die die Bedeutung und Zukunftsaussicht des « français acadien » anhand einer Wortschatzanalyse feststellt, gibt es bisher nicht. Ziel dieser Arbeit ist es deshalb, dazu einen Beitrag zu leisten, um damit den Forschungsstand zu erweitern.
Dieses Kapitel hat zur Aufgabe, den geschichtlichen Hintergrund des « français acadien » zu erläutern. Es gilt folglich, der Frage nachzugehen, wie es dazu kommt, dass der Gebrauch der französischen Sprache in Kanada, neben der Provinz Québec und Ontario, auch in der historischen Region Akadien an der Ostküste bestehend ist. Wie bereits in der Einleitung erwähnt, sind dafür zunächst die landeskundlichen Aspekte zu betrachten. Dazu gehört ein Überblick über die Entdeckung und Namensgebung, die Gründung der Nouvelle-France, die Kolonialzeit und konfliktreiche Jahrzehnte zwischen Franzosen und Briten und die Entwicklung zwischen Renaissance und Moderne. Anschließend wird auf die Ursprünge des « français acadien » und auf die Herkunft der Siedler eingegangen.
Schon im 15. Jahrhundert befanden sich die beiden Oppositionen Frankreich und England auf der Suche nach der Nordwest-Passage. Es war der Florentiner Giovanni da Verrazano, der auf Befehl des französischen Königs Franz I. im Jahre 1524 den Atlantik überquerte und nach Neufundland segelte sowie die gesamte Ostküste Nordamerikas bis nach Florida entlang segelte.[8] Das von ihm entdeckte Gebiet wurde zu Ehren der französischen Krone „Nova Franza“ getauft. Verrazano bewunderte die Vegetation einiger Küstenlandschaften und verglich sie mit dem Idyllenbild „Arkadien“. Daraus resultierte folglich die erste Namensgebung.[9] Der Ursprung des Namens könnte allerdings auch in der Indianersprache liegen, bei der das Wort Acadie vom Lexem „Algatig“ aus der Sprache der Mi’kmaqs abgeleitet worden ist. Wieder anderen Quellen nach zu urteilen, ist der Name Acadie von dem indianischen Wort „Quoddy“ abgeleitet und französisiert worden und in der Verbindung mit Toponymen ähnlich wie „fruchtbares Land“ übersetzt worden.[10] Auf damaligen Nordamerika- bzw. Neufrankreich-Karten ist noch der Name „Lacardia“ zu lesen, aber auch die Varianten „La Cadie“ und „Lacadyc“ sind in den Quellen zu finden. Während des 17. Jahrhunderts verloren beide Ortsbeschreibungen das „L“ und das „r“, sodass nur noch das Toponym Acadie bestehen blieb.[11]
Der französische Leutnant Du Gua de Monts errichtete im Jahre 1604 die erste Siedlung, was auch die erste Gründung einer beständigen Kolonie auf dem nordamerikanischen Kontinent gewesen ist[12], nachdem er von Le Havre aus mit mehreren Schiffen in Richtung des neuen Kontinents segelte. Zur damaligen Zeit regierte in Frankreich Heinrich VI., der den Handel unterstützen und vorantreiben wollte.[13] Du Gua war mit drei Partnern, darunter dem königlichen katholischen Kartographen S. M. de Champlain, J. de Biencourt und Sieur de Poutrincourt unterwegs. Sie verfolgten das Ziel, ein Pelzhandelskontor zu gründen. Nach einmonatiger Reise erreichten sie die Baie-Française, wo Champlain einen natürlichen Hafen entdeckte und ihm den Namen „Port-Royal“[14] gab, welcher später den Hauptstützpunkt Akadiens bildete.[15] De Monts, dessen Unternehmen durch den Fellhandel boomte, übergab 1604 die akadische Kolonie an Poutrincourt weiter, um sich mit Champlain zusammen ins Landesinnere zu begeben. Champlain wollte seinem Wunsch, den Seeweg über den Westen in Richtung Indien zu finden, nachgehen. Also erforschte er den Sankt-Lorenz-Strom, wo er an den Ufern bis ins Jahr 1635 eine Großzahl an Niederlassungen aufbaute. 1608 errichtete er am nördlichen Ufer eine Stelle, zu der die Algonkin-Indianer „Québec“ sagten, was übersetzt „wo der Fluss enger wird“ hieß. Québec entstand an einem Platz, an dem Güter umgeschlagen wurden, und der als ein Stützpunkt auf dem Weg nach Asien diente. Diese neuen Stützpunkte am Stankt-Lorenz-Strom wurden von da an Nouvelle-France genannt.[16]
Die bereits bestehenden Konflikte und Auseinandersetzungen der beiden Großmächte England und Frankreich nahmen nach der Gründung der ersten Siedlung auf Seiten der Franzosen auf nordamerikanischem Land ihren Lauf. Dabei stritten sie sich um die Vorherrschaft Akadiens.[17]
Nach der Zerstörung von Port-Royal durch die Briten im Jahre 1613 kehrten die meisten französischen Siedler nach Frankreich zurück. Da sich dort aber keine englischen Siedler niederließen, blieb Akadien in Wirklichkeit französisch.[18] Im Jahre 1621 übergab der König von England und Schottland die maritimen Provinzen an Sir William Alexander, der das Gebiet „Nova Scotia“ taufte.[19] Durch den Kardinal Richelieu wurde die Kolonialisierung in Nordamerika verstärkt, indem er die Compagnie des Cents-Associés 1627 gründete. Von nun an beteiligten sich nicht nur private Gesellschaften an der Übernahme der Kolonialisierung, sondern auch der Staat selbst. Ein entfernter Verwandter Richelieus, Isaac de Razilly, nahm die Besiedlung der beiden Kolonien Akadien und Neu-Frankreich in die Hände, nachdem die Engländer den Besitz der Kolonie von den Franzosen 1632 zum Frieden von Saint-Germain schlussendlich anerkannten. Er war bei der Besiedlung anfangs noch zögerlich, sodass er mit nur dreihundert Kolonisten in die wieder französischen Kolonien zurückkehrte.[20] Akadien war nun fast durchgängig französisch. Die Engländer schafften es allerdings zwischen 1654 und 1668 erneut, die Region zu besetzen, deren Kontrolle von Massachusetts ausging. Der Frieden von Breda im Jahre 1667 brachte die Kolonie zwar wieder in französische Hände, doch die Engländer zogen sich erst vier Jahre später zurück. In dieser englischen Phase entwickelten sich enge Handelsbeziehungen zu Boston. Des Weiteren endete die Ausgabe von Grundherrschaften, obwohl das Gebiet bis 1710 französisch blieb.[21] Im Jahre 1670, nicht einmal hundert Jahre seit dem Bestehen der ersten dauerhaften französischen Kolonie, dominierten die englischen Kolonien die französischen hinsichtlich der Bewohnerzahl und zeigten so ihre starke Präsenz und Dominanz auf dem Kontinent. So lebten um die vierhundert Akadier in der französischen Kolonie und andere achttausend im Rest Kanadas, während Massachusetts schon fünfzigtausend Einwohner aus Europa beherbergte. Die Immigration nach Akadien stagnierte nahezu, anders als die englischen Kolonien, in die immer mehr Menschen aus Europa einwanderten. Gründe hierfür waren die differente Kolonialpolitik und Wirtschaftslage. Die in sich inkohärente französische Kolonialpolitik führte deshalb zum Verlust Akadiens und der anderen kanadischen Kolonien an England.[22] Mit einem neuen Krieg zwischen Frankreich und England fielen die restlichen französischen Besetzungen in Ohio und am Sankt-Lorenz-Strom. Als erstes fiel Québec, dann Niagara und zuletzt kapitulierte Montreal im Jahre 1760, womit auch das Ende der französischen Kolonien in Nordamerika, der Nouvelle-France, eingeleitet wurde.[23]
Durch die starke Dominanz der englischen Streitmacht kapitulierten die Franzosen. Der Frieden von Utrecht im Jahre 1713 beendete den Konflikt der Großmächte[24] und Königin Anne von England wurde neue Besitzerin Akadiens. Zu Ehren der Königin tauften sie Port-Royal in „Annapolis-Royal“ um. Die Akadier mussten sich nun unterwerfen, einen Treueschwur auf die Königin leisten oder ihr Hab und Gut verkaufen. Einem anderen Teil wurde in Nova Scotia der Aufenthalt genehmigt, jedoch unter der Bedingung, ihr Leben unter englischer Herrschaft fortzuführen. Als ein weiterer Konfliktpunkt galt auch der Streit um die Konfession, da die Akadier dem katholischen Glauben angehörig waren (und bis heute geblieben sind), während die Engländer Protestanten waren. Trotz englischer Herrschaft kommunizierten die Akadier unter sich auf Französisch.[25] Entlang des Sankt-Lorenz-Stroms verblieben bedeutungsvolle militärische Stützpunkte, nämlich Québec, Montreal und zwei Inseln im Norden von Nova Scotia, auf der Île Saint-Jean und Île-Royale (heute unter dem Namen Kap-Breton-Insel bekannt). Dort errichteten die Franzosen die größte Festung in Nordamerika des 18. Jahrhunderts, die nach König Ludwig XVI. benannte Louisbourg. In dieser Festung konnten fünfhundert Soldaten stationiert werden. Diese Zahl wurde jedoch niemals erreicht, sodass Louisbourg nur von Zivilisten bewohnt wurde. Die Île-Royale wurde auch für die Fischerei vor Neufundland benutzt, um den Fang nach Europa zu verladen. Somit bildete sich aus der Festung der Stadt ein wichtiges Handelszentrum. Der wirtschaftliche Aufschwung währte dreißig Jahre, währenddessen ließen sich dort vor allem Kaufleute, Seeleute und Handwerker aus Frankreich nieder. Während der Bau der Festung zum Ende kam, begann in England eine neue Ära. Das Haus Hannover übernahm die Macht und betrieb eine deutlich radikalere Expansionspolitik auf dem nordamerikanischen Kontinent. In Nova Scotia wurde ein weiteres Mal von den Akadiern erwartet, dass sie einen Treueschwur auf Georg II. leisteten und Untertanen der englischen Krone wurden. Zudem mussten sie im Falle einer Auseinandersetzung Frankreich gegenüber neutral bleiben.[26] Viele leisteten den Eid, in der Hoffnung, in Ruhe und Frieden in den Dörfern weiterleben zu können und galten damit als sogenannte „French neutrals“ (französische Unparteiische).[27] Doch es stellte sich heraus, dass das Formular keine Garantie auf eine sichere Zukunft war.
In einem akadischen Lied mit dem Titel « L’Acadie n’a pas de frontières » heißt es in der ersten Zeile des Liedtextes: « On nous a un jour déportés [...] ».[28]
Um die vierzig Jahre hielt ein harmonisches Leben unter englischer Herrschaft an. Doch als England im Jahre 1755 beschloss, aus Nova Scotia eine rein britische Kolonie zu machen und die katholischen Akadier durch Zivilisten des Vereinigten Königreichs zu ersetzen, wurde das dunkelste Kapitel akadischer Geschichte eingeleitet, nämlich die Zeit der Massenvertreibung (« Le Grand Dérangement »). Die leitende Hand war dabei der Gouverneur Charles Lorenz, der im akadischen Volk, obwohl es einen Eid geschworen hat, eine Reihe von Rebellen und Unruhestiftern sah. Die Vertreibung galt somit als eine frühe Form der ethnischen Säuberung.[29]
Was sich einst die Akadier nach langer Zeit aufgebaut hatten, wurde im Handschlag zerstört, um ihnen alle Hoffnung auf eine Rückkehr zunichte zu machen.[30] So wurden die Akadier auf Schiffe verfrachtet, um von den Engländern nach einem bestimmten System in andere Kolonien deportiert zu werden. Laut den Angaben von Ertler handelte es sich insgesamt um 12.660 Akadier, die nach Frankreich zurückgebracht oder an weitere Regionen „abgegeben“ wurden. In den Regionen wurden die Akadier auf unterschiedliche Weise in Empfang genommen. Während sie in Massachusetts mit offenen Armen empfangen wurden, lehnten die Regionen Virginia und North Carolina sie ab und schickten sie als Kriegsgefangene in Richtung England. Die Mehrheit der Akadier, ca. 3.500, wurde nach dem Friedensvertrag von Paris nach Frankreich gebracht und siedelte sich in der Bretagne oder in der Region Poitou an. In Georgia hatten sie das Recht bekommen, Schiffe für eine Rückfahrt anzufertigen. Die nach Maryland gebrachten Akadier machten sich, neben denjenigen, die nach der Deportation in der Bretagne und Poitou ankamen, auf den Weg nach Louisiana (einer zu dieser Zeit vernachlässigten, französischen Kolonie mit kleiner Bevölkerung). Die sogenannten Cajuns aus Louisinana behielten bis zur heutigen Zeit ihre Kultur und Sprache (das « français cadien »). Viele wanderten nicht nur nach Akadien, sondern auch nach Neuschottland aus. Einige Akadier flüchteten in Wälder oder auf die Halbinsel Gaspé, um sich vor der Deportation zu verstecken. Einige Menschen schafften es sogar nach Québec, während es andere auf die sich noch im französischen Besitz befindlichen Inseln Royale und Saint-Jean zog. Und so kam es, dass die Akadier über die halbe Welt verteilt wurden. Neben der Verteilung der Akadier verfolgte England das Ziel, die Festung Louisbourg endgültig in Besitz zu nehmen. Und so ging im Jahre 1760 der Plan des Premierministers William Pitt, die Festung einzunehmen, aufgrund von Unterbesetzung, zu wenig Munition und Unterstützung der Franzosen aus dem Mutterland Frankreich auf. Somit gingen auch die Inseln Royale und Saint-Jean an die Engländer. Sie setzten während der Verteilung ihre neue Kolonialpolitik im von ihnen eroberten Gebiet fort und siedelten insgesamt 12.000 englische „Planters“ an.[31]
Zu Beginn der kolonialen Epoche richteten sich die Europäer nach dem Feudalsystem ihres Heimatkontinentes. Dabei wurden mit einer königlichen Verfassung eine oder mehrere Personen beauftragt, bestimmte Gebiete zu bevölkern und „die Ressourcen auszubeuten“. Unter den sich für bereit erklärten französischen Kolonisten waren zum Großteil Seeleute, Handwerker und Bauern, die harte Arbeit auf dem Feld gewohnt waren. Erst im Jahre 1636 kamen die ersten Familien nach Akadien. Im Jahre 1682 kamen die letzten Siedler an und ab 1713 wurde die Einwanderung aus Frankreich komplett beendet. Die Gründe für eine Auswanderung lagen in den in Europa stattfindenden religiösen Verfolgungen und Bürgerkriegen. Die Bauern im Umland waren zu harter Arbeit verdammt, um Steuern und Abgaben an die Obrigkeit zu zahlen.[32] Die Menschen, die sich am Anfang schwertaten, ihre Heimat zu verlassen und sich in einem „unbekannten Land“ anzusiedeln, wurden von der Hoffnung geleitet, dass sie in der neuen Welt in den Besitz von großem und gutem Land für sich und ihre Nachkommen gelangen würden, wie es ihnen in Europa verwehrt geblieben war. Darüber hinaus wurden sie von den positiven Beschreibungen der neuen Welt und den Möglichkeiten überzeugt, die sie dort erwarten würden.[33]
Im Dokumentarfilm wird ein Einblick in das Leben der akadischen Familien ermöglicht. Dort wird ein positives, harmonisches und patriarchales Leben im Einklang mit der Natur beschrieben. Sie genossen in der „Neuen Welt“ ihre Freiheit ohne eine Obrigkeit. Die Siedler ließen sich entlang der französischen Küste Baie-Française, der heutigen Bay of Fundy, nieder. Es wurde Viehzucht und Landwirtschaft betrieben. Alles wurde an Ort und Stelle hergestellt. Nur die älteren Siedler erinnerten sich an ihre Heimat in Frankreich, jedoch weniger nostalgisch. Auf das goldene Zeitalter, das Bestehen von Akadien seit hundert Jahren, fokussierte sich später die Sehnsucht eines ganzen Volkes, als es in der Zeit der Massenvertreibung seine geliebte Heimat verlassen musste.[34]
Da Frankreich seine Gebiete in Nordamerika verlor und Akadien somit offiziell aufhörte zu existieren, stellte sich bereits Léon Thériault die Frage:
« Car qu’est-ce que l’Acadie depuis 1763? Sans territoire officiel, sans statut politique, l’Acadie n’aurait-elle pas cessé d’exister en 1763, de sorte qu’elle ne serait maintenant qu’une construction de l’esprit? »[35]
Die im Jahre 1763 zurückkehrenden Akadier erhielten ihre Felder und Anwesen nicht zurück, weil diese bereits von englischen Zivilisten eingenommen waren. Sie durften nur noch in kleinen Gemeinschaften weit weg von politischen Zentren der Provinzen leben und durften sich somit auch nicht am politischen und sozialen Leben beteiligen.[36] Somit entstanden akadische Provinzen in der Nouvelle-Écosse (Cap-de-Sable, Pubnico, la Baie-Sainte-Marie, l’Île Madame et Chéticamp) auf der ehemaligen Île-Royale, welche heutzutage der Nouvelle-Écosse angehörig ist), auf der Île-du-Prince-Édouard und im aktuellen Nouveau-Brunswick (im Norden, Osten und im Tal des Flusses Saint-Jean).[37] Eine genaue Anzahl der Akadier, die während der Massenvertreibung zurückgeblieben waren, ist nicht zu finden.[38] So lebten 1771 um die 8.400 Akadier in den maritimen Provinzen, die ihren Lebensunterhalt mit Landwirtschaft, Fischerei und Viehzucht aufrechterhielten.[39] Zu dieser Zeit fiel es den Menschen noch schwer, sich eine Zukunft aufzubauen. Doch aufgrund von vielen Schulen und Priestern konnte sich eine akadische Elite herausbilden und die Gesellschaft begann, sich zu organisieren. Mit der Eröffnung der Tracadie im Jahre 1854 gab es erstmals eine frankophone höhere Bildungseinrichtung in Akadien. Fortschritte in der Politik gab es bereits Jahre davor. 1836 wurde dem ersten akadischen Abgeordneten ein Sitz im Parlament von Neuschottland zuteil. Im Jahre 1871 gab es bereits 87.000 Einwohner. Trotz des großen Anstiegs der Bevölkerung konnten die Akadier aufgrund ihres geringen Einflusses nicht verhindern, dass im Jahre 1867 die Nouvelle-Écosse in die kanadische Konföderation eintrat.[40] Schon im Laufe der „Rekolonialisierung“ entwickelte das Volk seine eigene Identität und wurde sich seiner Vergangenheit bewusst. Es gibt Historiker, die diesen Prozess als « l’enracinement » bezeichnen.[41] Seit der Unionsakte von 1840 erhielten Québec und Ontario Selbstverwaltung, wodurch die Akadier neuen Mut fassten.[42] Somit entstand eine erste permanente und offizielle Organisation als Regierung, nämlich die Societété nationale l’Assomption. Diese verfolgt bis heute das Ziel, die akadische Kultur zu fördern und die Sprache sowie den katholischen Glauben zu verbreiten. Sie interessiert sich auch für die weiterführenden Schulen und bewährt ein enges und konstantes Verhältnis zu allen anderen akadischen Gruppen sowie den Schwesterregionen wie Québec, Neuengland und dem Mutterland Frankreich.[43] Im Jahre 1884 kam es dann zu einer Herausbildung der akadischen Nationalflagge[44] und einer eigenen Hymne, der „Ave Maris Stella“. Der Wahlspruch spiegelte die Einstellung der akadischen Bevölkerung wieder: « L’union fait la force ».
Schon im 19. Jahrhundert begann in der Provinz Neubraunschweig eine Anpassung des Französischen, indem die Anzahl der anglophonen Bevölkerung zwischen 1811 und 1911 stark zurückging. Auch der Unterricht an den Schulen fand schließlich fast überall auf Französisch statt. Bis zur Jahrhundertwende hat sich die „Akadianisierung“ in fast allen Lebensbereichen vollzogen. Louis-J. Robichaud wurde akadischer Premierminister von Neubraunschweig und erzielte wichtige sprachpolitische Maßnahmen, zum Beispiel das Loi sur les langues officielles du Nouveau-Brunswick von 1968, in dem entschieden wurde, dass Englisch und Französisch als die offiziellen Sprachen von Neubraunschweig fungieren.[45] Somit wurde in der einzig offiziell zweisprachigen Provinz in Kanada eine „Rehabilitierung“ des Französischen eingeleitet. Ein Symbol hierfür war beispielsweise die Gründung der frankophonen Université de Moncton.[46] Auf der Convention d’Orientation nationale du Nouveau-Brunswick (CONA) favorisierte man die Gründung einer eigenständigen Provinz Acadie. Allerdings fand diese Bewegung keinen regen Zuspruch. Damit wurde die französische und englische Sprachgemeinschaft in Neubraunschweig im Jahre 1981 mit dem Amtssprachengesetz Loi 88 gleichgesetzt.[47] Seit 1996 gibt es auch frankophone Schulen und die französischsprachige Université-Sainte-Anne in Neuschottland.[48]
Wiesmath schreibt, dass der Linguist P. Poirier in seinen Recherchen der Herkunft des « français acadien » habe nachgehen wollen, indem er die Behauptung, dass es sich dabei um ein Patois handele, überprüft habe. Er wollte beweisen, dass das « français acadien » vom wahren Französisch abstammt (« du français véritable »), deren Form aber archaischer als das Französische aus Frankreich war. Darüber hinaus gab er an, dass die Aussprache im Gegensatz zum français québécois weniger dialektisch klinge. In seinem Glossaire acadien aus dem Jahre 1927 heißt es, dass diese „Sprache“ von den Sprechern konserviert worden sei und bereits von Vorahnen im 17. Jahrhundert während der Regierungszeit des Sonnenkönigs gesprochen worden sei und diese den „Ruhm“ von Racine, Corneille etc. hätten miterleben dürfen. Poirier verglich das Idiom mit einem „Rohdiamanten“ (« un diamant brut ») und einem Brillanten, die beide vom selben Stein abstammten. Die Bedeutung ist also, dass das Französische dem Brillianten entspricht und das « français acadien » dem Rohdiamenten, die aber beide die gleiche Herkunft besitzen. Er bestätigte also, dass das « français acadien » seine Wurzeln im „wahren Französisch“ habe und sich diese „Sprache“ seit Razilly und d’Aulnay nicht verändert habe.[49]
Zur Herausbildung der Varietät ist es auch wichtig zu klären, aus welchem Teil Frankreichs die Siedler in die nordamerikanischen Kolonien kamen. Dazu wies Massignon nach, dass mehr als die Hälfte der Siedler Akadiens aus einem genau lokalisierbarem Gebiet in Westfrankreich stammte, die in die heutige Provinz Neufundland einwanderte (« [...] en fin de compte, un bloc originaire des provinces dites du Centre-Ouest de la France (Poitou, Aunis, Saintonge, Angoumois). »).[50] Die Siedler, die meistens von bäuerlicher Herkunft waren, gebrauchten das stark von westfranzösischen Dialekten geprägte français populaire, welches große orthographische Unterschiede des Schriftfranzösischen aus dem 17. und 18. Jahrhundert aufwies.[51] Darüber hinaus ist auch davon auszugehen, dass die ersten Siedler beim Sprechen auch Elemente von benachbarten, zentralfranzösischen Dialekten benutzten. Das Forminventar des Akadischen stimmte mehr mit den Varietäten des Französischen in Nordamerika überein, welche aus sprachhistorischer Sicht eher ihren Ursprung in nord- und zentralfranzösischen Dialekten haben. Es gilt als schwer nachzuweisen, wann die sprachlichen Anpassungsprozesse ihren Lauf nahmen.[52] Hinzukommend machte das « français acadien » aufgrund des fehlenden Kontakts zum Mutterland Frankreich eine vom hexagonalen Französisch unabhängige Entwicklung durch.[53] In Punkt 4.4 wird nochmals auf die französischen Varietäten in Nordamerika eingegangen.
Den Hauptteil der Arbeit bilden zum einen die linguistische Teildisziplin der Varietätenlinguistik, zum anderen die Lexikologie in Kapitel 5. In diesem Kapitel wird auf die aktuelle geographische und sprachliche Situation in den Provinzen, die das heutige „Akadien“ umfassen, und auf die Sprecherzahlen eingegangen. Zudem ist auch wichtig zu klären, welchen Status das « français acadien » in den einzelnen Gebieten besitzt. Es gilt darüber hinaus auch zu klären, wie es zu den Unterschieden bei der Weiterentwicklung in Relation zu anderen französischen Varietäten in Kanada gekommen ist. Hinzukommend werden Informationen über die Akadier der heutigen Zeit enthüllt, um stückweise zu erklären, warum auch diese französische Varietät in Nordamerika noch bis heute standhaft geblieben ist. Zum Schluss des Kapitels werden die Entwicklungen, die das « français acadien » über sich ergehen lassen muss, und die Assimilierung zum Anglophonen erläutert.
Das damals im Jahre 1604 gegründete Akadien existiert heutzutage aus geographischer Sicht nicht mehr.[54] Die heutige geographische Lage geht essentiell auf die Periode der Kolonialsierung nach dem « Grand Dérangement » zurück.[55] Auch Boudreau beschreibt die geographische Lage als schwierig abzugrenzen, da es noch nie genaue Grenzen gegeben habe und auch heute nicht gebe.[56] Bock spricht von einem Akadien, das während einer Ungewissheit (« précarité ») gegründet worden sei und sich nie ganz habe freimachen können (« n’a jamais réussi à s’en affranchir complètement »); er bezieht sich somit auf die Vergangenheit und das Schicksal der ehemaligen französischen Kolonie.[57] Neumann-Holzschuh schreibt, dass bis heute kein kompaktes französischsprachiges Siedlungsgebiet bestehend sei.[58] Im Allgemeinen gilt die heutige soziolinguistische Situation als komplex.[59]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Geografische Lage der akadischen Domäne.[60]
Heutzutage wird das « français acadien », wie in Abbildung 1 dargestellt, in den maritimen Provinzen Nouveau-Brunswick (Neubraunschweig), Nouvelle-Écosse (Neuschottland), Île-du-Prince-Édouard (Prinz-Edward-Insel), Îles-de-la-Madeleine (Magdalenen-Inseln), Terre-Neuve (Neufundland), welches erst seit 1948 zu Kanada gehört, als eine Mundart des Französischen gebraucht. In der Forschung über Akadien wird zum einen zwischen der Acadie des Maritimes, die sich aus den Provinzen Nouveau-Brunswick, Nouvelle-Écosse und der Île-du-Prince-Édouard zusammengesetzt, und zum anderen der Acadie de l’Atlantique, zu der die Provinzen Île-de-la-Madeleine und Neufundland (mit Labrador) gehören, unterschieden.[61] Die Magdalenen-Inseln gehören seit der Massenvertreibung im Jahre 1755 sprachlich zu Akadien, jedoch stellen sie administrativ einen Teil Québecs dar. Die einzige offizielle Sprache ist Französisch, anders als in den Atlantikprovinzen.[62]
Weil die Nouvelle-Écosse das Territorium des historischen Akadiens umfasst, sind die Regionen in dieser Provinz besonders isoliert und verstreut. Hier benutzen die Sprecher ein konservativeres Akadisch als beispielsweise das in Neubraunschweig.[63] In dieser Provinz, sowie auch auf der Prinz-Edward-Insel sind die frankophonen Sprecher in der Minderheit. In Neubraunschweig hingegen leben rund 85 Prozent aller Akadier und somit die Mehrheit des Volkes, was insgesamt einem Drittel der gesamten Bevölkerung der Provinz entspricht.[64] Bock spricht hier von einem bewohnten Territorium, das in den Provinzen Neuschottland, der Prinz-Edward-Insel und Neufundland beneidet werde (« ils occupent une place relativement enviable »).[65] Die Sprachenfrage von Neubraunschweig war immer von größerer Bedeutung als die in Neuschottland. Neubraunschweig zählt, wie bereits erwähnt, zur einzigen Provinz, die offiziell zwei Amtssprachen, nämlich Englisch und Französisch, besitzt. Somit hat das Französische auch den günstigsten Status in dieser Provinz. Jedoch hat es bis zur heutigen Zeit keinen besonderen Status auf der Prinz-Edward-Insel, Neufundland und auch in Neuschottland. Hier ist französisch-englischer Bilingualismus in der frankophonen Sprachgruppe breitflächig verbreitet und führt besonders aufgrund der Situation des Französischen als Minderheitensprache zu einer Unsicherheit bei der Sprachenwahl.[66] Diese Tatsache fördert den Übergang zur englischen Sprache. Im Folgenden wird noch näher auf das Phänomen der Anpassung eingegangen.
Im Jahre 1996 waren von den insgesamt ca. 730.000 Einwohnern der Provinz Neubraunschweig ungefähr 240.000 Menschen, was 32,9 Prozent entspricht, französische Sprecher. In Neuschottland waren von den ca. 900.000 Bürgern schon damals nur 3,9 Prozent frankophon, ähnlich wie auf der Prinz-Edward-Insel, dort waren es nämlich 4,2 Prozent der ca. 133.000 Bewohner.[67] Siebzehn Jahre später, nämlich 2013, gab Boudreau an, dass von den 740.000 in Neubraunschweig lebenden frankophonen Menschen die Zahl 32,8 Prozent betrage. In Neuschottland sind es 910.000, von denen 3,8 Prozent Französisch sprechen, und auf der Prinz-Edward-Insel benutzen 4 Prozent der 140.000 Einwohner die französische Sprache.[68] Somit kann die Aussage von Neumann-Holzschuh, dass die Anzahl der frankophonen Sprecher eine sinkende Tendenz aufweise, bestätigt werden, obwohl es sich hierbei nur um minimale Differenzen handelt.[69] Laut den Angaben von Ertler kommt man im Jahr 2005 auf 279.555 Akadier; dies entspricht ungefähr den Angaben von Wiesmath zu Beginn der Arbeit, jedoch mit einer sinkenden Tendenz und somit kann die Aussage von Neumann-Holzschuh erneut als verifiziert angesehen werden.[70] Auch Pöll spricht von einer sinkenden Tendenz der Sprecherzahlen.[71]
Da das Französisch in Nordamerika, speziell in Kanada, in erster Linie auch durch seine Präsenz in der Literatur, die seit Jahrzehnten an Umfang zugenommen hat, besticht, zeugt die Entwicklung und der Stellenwert des « français acadien » von besonderem Wissensdrang. Die Varietät besaß innerhalb der Frankophonie in Kanada eine Sonderrolle, welche aufgrund des Französisch‘ in Québec noch zu wenig Beachtung erhält.[72]
Obwohl die Varietät als besonders homogen angesehen wird, kann sie in den Regionen aufgrund ihrer Kolonialgeschichte, des politischen Status‘, der Bevölkerungsdichte und des kulturellen Kontextes variieren.[73] Auch Neumann-Holzschuh geht in ihrem Bericht darauf ein, dass das Akadische vor der Massenvertreibung im Jahre 1755 noch homogen gewesen sei und die heutige sprachliche Diversität das Resultat der Siedlungsgeschichte nach der Vertreibung sei.[74] Die akadischen Varietäten unterscheiden sich in bedeutsamen Merkmalen voneinander, sodass die französischen Überseevarietäten zum einen zum Standardfranzösischen und zum anderen den Kreolsprachen zugeordnet werden können. Es gibt darüber hinaus nicht nur die diatopische Variation, sondern auch die der verschiedenen Altersstufen.[75]
In Wiesmath ist nachzulesen, dass der festgehaltene und niedergeschriebene Korpus der Varietät aus dem alltäglichen, mündlichen Gebrauch stamme. Daraus resultieren mögliche Varianten in der Orthographie.[76] Die Varietät findet auch heutzutage nur für die mündliche Kommunikation Gebrauch. Die Varietät weist trotz diverser Einflüsse eine gewisse Stabilität auf. Um dem « français acadien » die Chance auf weiteres Bestehen in einer modernen Gesellschaft zu geben, wurde ein Projekt für die Entwicklung einer Norm des Akadischen an der Universität von Moncton eingeleitet.[77]
Was als ein Phänomen für sich gilt, ist die Tatsache, dass die Mundart, obwohl sie jahrhundertelang unbeeinflusst von den Entwicklungen des Standardfranzösischen geblieben ist, noch heute als veraltet geltende Formen, welche auch in französischen Dialekten zur heutigen Zeit in Frankreich vorkommen, beinhaltet. Durch die besondere sprachhistorische Situation konnten sich im « français acadien » eine große Anzahl an Archaismen und auch Regionalismen bewahren, wodurch es zu einer der bedeutendsten Quellen zur Erforschung des gesprochenen Französisch des 17. und 18. Jahrhunderts wurde.[78]
Das Akadische in den maritimen Provinzen an der Ostküste von Kanada, in Neufundland und das français québécois weisen, obgleich der vielen Gemeinsamkeiten, auch deutliche Unterschiede auf, welche auf verschiedene Faktoren zurückzuführen sind. Die Unterschiede zu Québec beispielsweise kommen dadurch zustande, weil das dialektale Substrat im Akadischen wegen der Überlegenheit des poitevinischen Elements gleichbleibender gewesen ist. Es kam eine sogenannte « focalisation indéniablement différente des deux variétés » zustande. Somit entwickelte sich in Québec in Bezug auf die sprachlichen Phänomene ein Kontinuum, wohingegen in Akadien durch die große Massenvertreibung ein Bruch in der Sprache vorgefallen ist. Da der Kontakt zwischen Nova Scotia und Frankreich im Jahre 1713 abgebrochen wurde, entfaltete sich das « français acadien » als eine Minoritätensprache, die sich keinen Normierungen unterziehen musste, zu einer „dachlosen“ Außenmundart.[79] Ein weiterer Grund für die Unterschiede besteht darin, dass auch die Kolonisten aus unterschiedlichen Regionen stammten. Die Siedler Québecs waren Sprecher nord- oder zentralfranzösischer Dialekte, anders als die Akadiens. Auch Neumann-Holzschuh betont neben Wiesmath, dass die heutige geographische Situation der einzelnen « air acadiaphones » das Ergebnis der großen Massenvertreibung sei. Sie spricht hier von einer räumlichen Diskontinuität. Mit der Massenvertreibung zerbrach die « unité acadienne », sodass sich die Varietäten des Akadischen, beispielsweise das «cadien», über mehr als zwei Jahrhunderte unabhängig voneinander hinweg entwickelten.[80]
Die Wurzeln aller Akadier reichen vier Jahrhunderte bis zur Gründung Akadiens zurück. Unter ihnen herrscht heutzutage der Wille, ihre Identität, Kultur und auch Sprache in einem Meer an anglophonen Sprechern zu erhalten. Laut Wiesmath trifft der Begriff „Akadier“ zum einen auf die Nachkommen derjenigen Siedler zu, welche das Gebiet während der Deportation nicht verließen, und zum anderen auf die Französischsprachigen, die später zum Leben nach Akadien gekommen sind.[81]
Die akadische Schriftstellerin Antonine Maillet äußert sich im Dokumentarfilm, der die Geschichte Akadiens erzählt, wie folgt:
„[...] Akadien ist wirklich die Geschichte einer Familie. Einer Familie mit Festen, ihren Hochzeiten, ihren Beerdigungen. Es ist viel passiert. Wir haben viel Freud und Leid erlebt. [...] Wir sind als Sippe in alle Winde verstreut. Von der Vertreibung sind nur wenige zurückgekommen. Sie versteckten sich in den Wäldern, aus Angst wieder deportiert zu werden. Und als wir hundert Jahre später aus unserem Versteck herauskamen, waren wir ein Volk. Die Familie hatte sich explosionsartig vermehrt.“[82]
Die traumatischen Erlebnisse aus der Zeit des « Grand Dérangement » schweißte das Volk allerdings zusammen, sodass diese Massenvertreibung noch heute als einer der Gründungsmythen für das akadische Volk geltend ist.[83] Bock sieht im « Grand Dérangement » einen für immer bleibenden Träger für eine starke Belastung im Bewusstsein der Akadier (« toujours porteur d’une forte charge émotive »).[84] Sie spielt im kollektiven Gedächtnis der Menschen die zentrale Rolle und wird auch in literarischen Werken, aber auch in der Musik, thematisiert. Beispielsweise singt der Sänger namens Zachary Richard jedes Jahr am 15. August in seinem Lied « réveille » über die Vertreibung. Es ist der Tag, an dem die Akadier ihr Überleben feiern. Antonine Maillet nennt im Film auch einen weiteren Gründungsmythos, nämlich den des verlorenen Paradieses Akadien durch die große Vertreibung, das mit dem Idyllenbild Arkadien von Verranzano verglichen wurde.
Die heutige Nationalflagge der akadischen Nation entspricht der Französischen, nur trägt die blau gefärbte Fläche einen Stern, der die Überfahrt auf dem Atlantik, den die Vorfahren auf sich nehmen mussten, symbolisiert.[85] Sie steht also für den Patriotismus, der auch bei ihren Vorfahren, den Franzosen, verbreitet ist.
Auf den heutigen Social-Media-Plattformen, wie zum Beispiel Instagram, finden sich unter den Profilen kanadischer Jugendlicher Bilder mit dieser akadischen Flagge mit den „Hashtags“[86] #acadien oder #bon15aout zur Feier des Nationalfeiertages.[87] Der Stolz und auch die Liebe zum Land „Akadien“ sind auch unter den Jugendlichen verbreitet. Wie bereits erwähnt, gibt es das Land Akadien heutzutage nicht mehr im eigentlichen Sinne, sondern es ist vielmehr eine Werte- und Kulturgemeinschaft, die sich durch ihre Erinnerungen definiert und die Sprache ihrer Vorfahren zu erhalten versucht. Aus diesem Grund ist das in der Einleitung zu Beginn der Arbeit aufgeführte Zitat von Seghor auch so passend für die Akadier und ihr « français acadien ». Allerdings gibt schon Poirier in seinem glossaire acadien an, dass es bereits zu seiner Zeit Jugendliche gegeben habe, welche die häufig gebrauchten Redewendungen der Eltern nicht mehr verstanden hätten und sich sogar über die lokale Mundart lustig gemacht hätten. Poirier appelliert auch an die Akadier, ihre Varietät zu bewahren, indem sie zusammen eine Gemeinschaft bildeten.[88]
Um an dieser Stelle kurz auf die zentrale Frage zurückzukommen, ob das « français acadien » auch in Zukunft bestehen bleiben wird, kann diese zum Teil anhand der Einstellung der Sprecher beantwortet werden. Aufgrund der Geschichte, geographischen Situation und des Status‘ des Französischen in den kanadischen Provinzen ist das « français acadien » von den sprachlichen Einflüssen des Englischen gezeichnet. Hierbei wird eine potentielle Gefahr für den Erhalt der französischen Varietät gesehen. Jedoch bilden diese anglophonen Einflüsse nicht das einzige Problem bei der Erhaltung des « français acadien ».
Wie bereits davor erwähnt, hat das « français acadien » Schwierigkeiten, sich aufgrund der englischen Einflüsse, denen die Jugendlichen besonders durch Medien ausgesetzt sind, und auch wegen seines hauptsächlich mündlichen Gebrauchs durchzusetzen. Laut Neumann-Holzschuh gilt als eines der Hauptprobleme die Tatsache, dass das Akadische zur heutigen Zeit in vielen einzelnen Gebieten im Osten Kanadas gesprochen werde, welche weder politisch noch geographisch eine Einheit bildeten und die somit dem Erhalt der Varietät des nordamerikanischen Französisch im Wege stehen könnten (wie es bei den bereits erwähnten Magdalenen-Inseln der Fall ist, welche aus geographischer Sicht Québec angehörig sind). Hinzukommend ist das « français acadien » einem ständigen Druck durch das Standardfranzösische ausgesetzt, welches an staatlichen Institutionen, Schulen und Universitäten verwendet wird und auch im alltäglichen Leben auftaucht und somit traditionelle Sprachformen auf lautlicher, grammatikalischer und lexikalischer Ebene isoliert. Daraus resultieren eine sprachliche Unsicherheit der Sprecher und eine Instabilität des Idioms.
Die Varietät ist dabei, sich weiterzuentwickeln. Dabei erfolgt die Weiterentwicklung des traditionellen « français acadien », abhängig von der Gegend mit verschiedener Intensität, entweder in eine Richtung des „mehr oder weniger anglisierten Nicht-Standardfranzösischen“ (« français non-standard plus ou moins anglicisé ») oder zum Standardfranzösischen. Neumann-Holzschuh schreibt auch, dass es in der Acadie noch zu keiner érosion linguistique gekommen sei. Zudem findet Sprachwechsel, sofern er überhaupt stattfindet, nur plötzlich und unvermittelt von der einen Generation auf die nachkommende statt. Auch King machte ähnliche Beobachtungen des Sprachwechsels in Neufundland und stellte fest, dass die Bewahrung älterer Strukturen in der Sprache vom Alter abhängig sei.[89]
Die Anpassung der Akadier an die anglophone Umgebung fand bereits in den siebziger Jahren statt. Die Gründe dafür sind die geographische Zerstreuung, die Urbanisierung, die Arbeitsangebote, die Heirat zwischen anglophonen und frankophonen Eheleuten, bei der die frankophonen Sprecher ihre Sprache durch Englisch ersetzten (als einer der häufigsten Gründe)[90] und die englische „Massenkommunikation“. Es gab zudem auch Familien, welche durch die globale Wirtschaftskrise von 1975 aus den USA wieder zurückkamen und sich bereits an die sprachlichen Konventionen gewöhnt hatten. Die Beibehaltung des Akadischen erfolgt auf dem Land einfacher, da in fast allen Städten eine anglophone Dominanz vorherrscht. Auch Dubois sieht in der Isoliertheit der akadischen Gemeinschaften eine Möglichkeit für den Erhalt ihres Französischen.[91] Einen weiteren Grund der Assimilierung bilden die Massenmedien, die sich ebenfalls in den siebziger Jahren vermehrt haben. Viele der Radio- und Fernsehsendungen und auch der Printmedien werden in den kanadischen maritimen Provinzen in anglo-kanadischer oder amerikanischer Sprache ausgestrahlt. Zudem trägt Musik zur Assimilierung des Anglophonen bei. So hören um die 90 Prozent aller akadischen Jugendlichen englische Musik. Die Mehrheit der jungen Menschen schaut bzw. hört sich anglophone Fernseh- und Radiosendungen an. Die Kinder der frankophon- und anglophonsprachigen Eltern lernen in Abhängigkeit von der Muttersprache, die die Eltern sprechen, und auch in Abhängigkeit von der in der Region von der Mehrheit gesprochenen Sprache die Sprache. Im Jahre 1991 erlernte die Mehrheit der Kinder aus Mischehen außerhalb Québecs in Kanada die englische Sprache als ihre Muttersprache. Die unterschiedlichen Assimilierungsraten gehen allerdings auch auf die verschiedenen Regionen und ihre Sprachsituationen zurück. Da auf der Prinz-Edward-Insel und in Neuschottland die französische Sprache von der Minderheit der Bevölkerung gebraucht wird, ist die Anpassung an die englische Sprache größer als in der Provinz Neubraunschweig. Im Jahre 1990 lag die Rate auf der Prinz-Edward-Insel bei 46,6 Prozent, in Neuschottland bei 38,8 Prozent und in Neubraunschweig bei nur ca. 11 Prozent. Laut Péronnet kommen an dieser Stelle die Bedeutung und der Einfluss der akadischen Minderheit zum Vorschein. Zwischen den Städten und dem Land gibt es deutliche Unterschiede in der Anpassungsrate. Beispielsweise liegt diese im nördlichen ländlichen Gebiet von Neubraunschweig bei nur 3 Prozent, wohingegen sie in der Stadt Halifax-Darmouth in Nova Scotia bei mehr als der Hälfte, nämlich bei 59,7 Prozent, liegt.[92]
Das Kapitel der Lexikologie bildet den Schwerpunkt der Arbeit. Mithilfe der verschiedenen Korpusanalysen wird der Wortschatz in Bezug auf Tradition und Innovation betrachtet. Da bereits kurz erwähnt wurde, dass im Wortschatz viele Archaismen und Regionalismen in den vier Jahrhunderten seit der Herausbildung der Varietät erhalten geblieben sind, lässt sich daraus schließen, dass der Wortschatz traditionell geprägt ist und sich auch in Zukunft bewahren wird. Dagegen könnten die ständigen englischen Einflüsse und der Druck des Standardfranzösischen in Neubraunschweig auf die Varietät gegen eine Erhaltung sprechen.
Die Analyse beantwortet darüber hinaus die Frage, wie stark sich eine Varietät, welche sich trotz großer geographischer Entfernung von der Standardvariation herausgebildet hat, unterscheidet. Hierfür werden allgemeine Besonderheiten der Varietät aus phonologischer, morphologischer sowie orthographischer und syntaktischer Sicht gezeigt, um diese dann bei der Untersuchung aktuellerer Korpora hervorzuheben.
Außerdem wird auf die Veränderung im Wortschatz eingegangen. Dabei wird aus diachroner Sicht eine synchrone Untersuchung durchgeführt. Sprachwandel ist, genauso wie gesellschaftlicher und kultureller Wandel, omnipräsent. Die Menschen benutzen ihre Sprache zur Kommunikation des alltäglichen Lebens und dementsprechend verändert sich der Wortschatz.[93]
Es gibt einige Autoren, die bereits ein eigenes Urteil hinsichtlich der zukünftigen Beständigkeit bzw. des Verschwindens der Varietät gefällt haben.
Der Linguist P. Poirier hat, wie schon zuvor erwähnt, konstatiert, dass die Varietät sich nicht verändert habe und beständig geblieben sei. Seine Aussage kann anhand des reichen Teils von Archaismen im Wortschatz bestätigt werden. Auf der anderen Seite nennt er die Anglizismen, die ihm zufolge zu einer Substitution der Wörter aus dem Altfranzösischen führten und welche er als sogenannte « intrus » („Eindringlinge“) negativ konnotiert:
« Il est vrai qu’il se glissé, dans ces derniers temps, un certain nombre, un nombre malheureusement trop grand, de vocables anglais qui se substituent à nos bonss vieux mots acadiens. Mais ces intrus, passés au cible, peuvent être rejetés assez facilement avec les drosses et le mauvais grain. Ils le peuvent aujourd’hui, mais cela se pourra-t-il faire dans cinquante, dans cent ans? »[94]
Auch Motapanyane steht in ihrem Werk dem Erhalt des Akadischen kritisch entgegen. Hierfür nennt sie die Assimilation der Frankophonen in Neubraunschweig, den Druck des Standardfranzösischen auf die Varietät und die Tatsache, dass das « français acadien » nur mit älteren Sprechern in Verbindung gebracht wird. Sie deutet an, dass Forscher keine Sprecher des Akadischen in zwanzig Jahren finden würden. Aus heutiger Sicht ist diese Annahme bzw. Zukunftsaussicht nicht zutreffend, da es aktuell immer noch Sprecher des « français acadien » gibt. Somit war es also die Entscheidung der Akadier, ihre „Sprache“ zu behalten.[95] Auch Péronnet schließt sich der Meinung von Motapanyane an, indem sie ebenfalls betont, dass die Chancen zur Erhaltung des « français acadien » gering seien, obwohl die akadischen „Nationalisten“ für das weitere Bestehen kämpften und Siege in Form von akadischen Schulen und Universitäten davongetragen hätten.[96] Péronnet begründet ihre Annahme aufgrund des Lebens der Akadier in isolierten und zerstreuten Gemeinschaften und ohne ein „wirklich wiedererkennbares Territorium“.[97] Auch Fritzenkötter erwähnt in ihrer wissenschaftlichen Arbeit einen möglichen Sprachtod in der Provinz Neuschottland, indem sie Jugendliche mittels eines schriftlichen Fragebogens befragte, welcher das Verschwinden der Varietät durch den Einfluss des Englischen begründete; einige machten das an Bildungsinstitutionen unterrichtete Standardfranzösisch verantwortlich und wieder andere sahen die Assimilation an einen anglophonen Elternteil als Grund für das Aufgeben des Akadischen. Jedoch können auch frankophone Elternteile ihre Sprachkenntnisse nicht immer an die nachfolgende Generation weitergeben. Auch an den Bildungsinstitutionen, an denen Französisch unterrichtet wird, haben die Schüler Schwierigkeiten bei der Formulierung von schriftlichen Arbeiten in Französisch und formulieren diese daraufhin in Englisch. Insgesamt gaben zwei Drittel aller Jugendlichen an, dass das « français acadien » keine Zukunft habe.[98]
Da das « français acadien » als eine gesprochene Mundart für den mündlichen Gebrauch fungiert, ist es von großem Interesse, die phonologischen Besonderheiten zu erörtern.
Im Allgemeinen unterscheiden sich die Varietäten des Französischen in Kanada in der Lautung deutlich von den europäischen Varietäten.[99] Die Merkmale, die im Folgenden aufgeführt werden, lassen sich aus dem traditionellen « français acadien » zurückführen.[100] Zu Beginn werden die Konsonanten auf Besonderheiten geprüft, im Anschluss erfolgt die Analyse der Vokale. Die Diphthongierung, die Akzentsetzung sowie die Liaison werden ebenfalls kurz als ein Teil der besonderen distinktiven Merkmale des « français acadien » erläutert.
Als erstes Phänomen der Aussprache kann die apikale Realisierung des Phonems /r/ genannt werden.[101] Der Laut wird also mit der Zungenspitze in den Alveolen erzeugt. Man kann auch von einem „instabilen“ /r/ sprechen, da es beispielsweise nicht am Schluss der Verben auf „-er“ oder „-ir“ benutzt wird. Auch in den Wörtern miroir und mouchoir wurde das /r/ während des 17. Jahrhunderts in Frankreich im Gegensatz zu heute nicht realisiert. Die Akadier jedoch sprechen es immer noch nicht aus, genauso wie es auch bei dem Wort toujours der Fall ist. Bei dem /r/ handelt es sich um einen stimmhaften Vibranten am Wortanfang, welcher als veraltet gilt.[102] Ein anderes Merkmal findet sich bei der Endung der Verben im Infinitiv. Hierbei entfiel bei der Endung auf „-ir“ im 16. Jahrhundert das finale /r/, sodass es auch heutzutage in der Acadie nicht zu hören ist. Unter jungen frankophonen Sprechern in Neubraunschweig ist die Realisierung des dorso-velarem /r/ verbreitet. Der Laut wird mit dem Zungenrücken, der sich dem weichen Gaumen annähert, erzeugt. Dieser wird dann gebraucht, wenn auf das /r/ in der Mitte eines Wortes ein Konsonant folgt oder wenn es am Wortende steht. Somit fand im Akadischen in Neubraunschweig eine Innovation statt.
Des Weiteren gilt die deutliche Bewahrung des aspirierten /h/, dem h-aspiré, als ein weiteres traditionelles Merkmal in der Aussprache des akadischen Französisch. Im Standardfranzösischen der heutigen Zeit überwiegt das h-muet, das stumme /h/, jedoch gibt es Wörter, die immer noch mit dem aspirierten Konsonanten realisiert werden, wie beispielsweise la haine oder le hérisson.[103] Ein Beispiel eines akadischen Wortes mit der Bewahrung des h-aspiré findet sich in « hardes » für das standardfranzösische Wort vêtements oder bei onze bzw. « honze » geschrieben.
Bei dem stimmlosen, apiko-dentalen Konsonanten /t/ findet keine Realisierung am Wortauslaut statt. Sobald sich das Phonem /i/ und ein weiterer Vokal in der Silbe eines Wortes befinden, wird es zu einem „tsch“, also einem [tʃ] palatalisiert, wie in tien [tʃiɛ̃] oder tiendre [tʃiɛ̃d] beispielsweise. Außerdem wird das /t/ am Ende des Wortes, wie im Wort heurt, bei der verbalen Redewendung « fait (comme de) », bei muet oder auch bei « flaquet » realisiert . [104] Eine weitere phonologische Besonderheit besteht dementsprechend in der ausgeprägten Palatalisierung von Phonemen. Auch bei dem /d/ und dem /k/ und /g/ vor palatalen Vokalen und Halbvokalen kommt es zu einer Palatalisierung. Diese Besonderheit bildet das typischste Merkmal des « français acadien ».[105] Somit wird das Wort Acadien als [akadʒɛ̃] als ein Beispiel für das Phonem /d/, das Wort guerre als [dʒɛr] und qui als [tʃi] ausgesprochen. Auffallend hierbei ist, dass das /k/ zu [tʃ] und das /g/ zu [dʒ] palatalisiert wird. Bei dem Phonem /k/ ist noch zu erwähnen, dass Sprecher, die von den palatalisierten Formen Gebrauch machen, auch die nicht-palatalisierten Formen verstehen würden.
Auch bei dem Phonem /s/ gibt es Besonderheiten. Im akadischen Französisch wird der finale Konsonant (normalerweise /l/ oder /r/) nicht ausgesprochen, wie in muscle [mysk] oder in « piastre »[106] [pjas]. Dort, wo das Standardfranzösische eine Konsonantengruppe mit einem /s/ im Wortauslaut besitzt, hat das « français acadien » nur ein auslautendes /s/, wie es im Wort est der Fall ist, welches [ɛs] ausgesprochen wird.[107] Ein anderes Wortbeispiel, bei dem eine Bewahrung des /s/ vorliegt, ist « mus ».[108] Obwohl gesagt wird, dass sich das « français acadien » als eine Varietät Kanadas in der Aussprache vom Französischen unterscheidet, gibt es auch Wörter, wie zum Beispiel « jin » für juin, « jornée » oder « parousse » für paroisse, bei denen die Aussprache zu der Aussprache einiger Departments Frankreichs analog ist oder « santuaire » für sanctuaire, das der dialektalen Aussprache des West- und Zentralfranzösischen entspricht.[109] Beispielsweise wird das Wort voiture im Poitou nach der Schreibweise im akadischen Glossar von Poirier « wêture » oder « ouêture » realisiert, womit bei der zweiten Schreibweise des französischen Wortes für „Auto“ ein Diphthong gebildet wird.[110]
Die Diphthongierung des in Neubraunschweig gesprochenen Akadischen gilt als distinktives Merkmal, welches sich vom français québécois und von anderen Regionen, in dem Akadisch gebraucht wird, unterscheiden lässt. Bei der Diphthongierung wird ein Vokal durch eine Folge aus zwei Vokalen ersetzt[111], wie beispielsweise in betonten und geschlossenen Silben nach einem /z/ wie in [vɒuz] für vase. Jüngere Sprecher des Akadischen in Neubraunschweig realisieren zum Teil das /o/ als einen Diphthong in betonten und geschlossenen Silben, wenn es auf ein /z/ folgt, wie in [ʃouz] für chose. Hierbei könnte es sich um einen Einfluss aus dem Französischen oder dem Akadischen [ʃu:z] handeln.[112] Ein weiteres Beispiel für eine Diphthongierung besteht darin, dass der Diphtong [wɛ] anstelle von [wa] wie in den Lexemen ersetzt wird, wie es in den Wörtern « nouère » für noir, « ouère » für voir oder « souef » für soif der Fall ist.[113] Im Allgemeinen schreibt er auch, dass Wörter mit der Endung auf „-oir“ nach dem gleichen Prinzip ausgesprochen würden.[114]
Als erste Besonderheit in der Aussprache der Vokale kann das /u/ erwähnt werden, welches anstelle des /o/ ausgesprochen wird, wie in den Wörtern « douner » für donner oder auch in « houme » für homme. Des Weiteren gilt die Öffnung von /ɛ/ zu einem /a/ vor dem Konsonanten /r/ als weitere Besonderheit bei den Vokalen. Auch die Schließung von offenem [ɛ], [ɔ] und [œ] zu [e], [o], [ø] gilt als ein weiteres Merkmal der Aussprache des « français acadien ».[115] Beispielsweise wird das hervorgehobene Personalpronomen der dritten Person Plural eux für ils als [zø] in den Atlantikprovinzen ausgesprochen. Auch beim Vokal /i/ kommt es ebenfalls zur Palatalisierung, sofern ein /t/ oder ein /d/ vor ihm steht. Daraus resultiert die Aussprache in [tʃɛ̃] für das französische Wort tien nach dem /t/ oder in [dʒø] für Dieu nach dem Konsonanten /d/. Das /ɒ/ist der Vokal, welcher am offensten und am längsten realisiert wird. In manchen Wörtern in der Nähe eines Nasalvokals wird dieser Laut halb nasaliert ausgesprochen. Die Funktion dieser Nasalvokale kann im Allgemeinen in den Regionen, in denen das « français acadien » gebraucht wird, variieren. Beispielsweise werden unter jungen frankophonen Sprechern in Neubraunschweig die Nasalvokale ähnlich wie die des Standardfranzösischen ausgesprochen.[116] Ein anderes phonologisches Phänomen besteht darin, dass anstelle eines /e/ ein /a/ gesprochen wird, wie bei « herbière » für das Wort aus dem Altfranzösischen « erbière ».[117]
Die akadischen Vokale werden in den zweitletzten, offenen Silben oft lange ausgesprochen. Ein solches Phänomen ist häufig mit einer schwungvollen Realisierung eines vorhergehenden Konsonanten verbunden und zum Großteil für die Vokale /ɒ/, /ɛ/, /o/, /ø/ zutreffend. Man hört es innerhalb der Wortgruppen, die entweder eng miteinander verbunden sind, oder in einzelnen Wörtern, wie in [dedʒø:le] oder [dedʒœ:le] für dégueuler, in [brɒ:se] für brasser, [sɛ:re] für das Lexem serrer. In betonten Silben wird der Anfangskonsonant, wenn es sich nicht um einen Plosiv handelt, länger ausgesprochen. Sobald ein Plosiv vorliegt, wird dieser mit mehr Energie ausgesprochen und der Vokal wird dafür länger realisiert. Des Weiteren wird die Stimme bei jeder betonten Silbe höher, selbst am Ende eines Satzes.[118]
Poirier schreibt, dass es im « français acadien » mehrere Liaisons gäbe, die in der Académie française nicht als unbekannt gälten, wie zum Beispiel « huit-z-hommes », « donne moi-z-en », « avant-z-hier » oder « viens-n’-en chercher » mit einer Liaison, aber auch ohne, also nur viens en chercher. Beim letzten wird das /s/ in der konjugierten Verbform viens nicht ausgesprochen. Es gibt zudem auch die sogenannten unregelmäßigen Liaisons sowie zahlreiche andere, die bei den Sprechern der Dialekte aus Frankreich zu hören sind:[119]
Beispiel 1: « Je l’ai rencontré devant z’hier » (« français acadien »)
Je l’ai rencontré devant hier (Standardfranzösisch)
Beispiel 2: « Sellier, donnez-moi-z’en,
donnez-moi-z’en toujours. » (« français acadien »)
Sellier, donnez-m’en,
Donnez-m’en toujours. (Standardfranzösisch)
Wie beim zweiten Beispiel ersichtlich ist, unterscheidet sich die Schreibung im Standardfranzösischen. Das kommt dadurch zustande, weil das Pronomen moi verzerrt wird und man donnez-m’en schreibt.[120] Die Sorte der Liaison im akadischen Französisch kommt wieder in der gesprochenen Sprache, dem langue parlé, vor. Sie wurde bis zum französischen Königshof des 16. Jahrhunderts gehört, wie beispielsweise « on z’y va » oder « on z’y est ».
In Frankreich wurde lange Zeit ein /l/ anstelle des heute bekannten /t/ bei der Liaison für die Euphonie eingefügt. Im Folgenden wird ein Beispiel des akadischen Französisch aufgeführt:
Beispiel 3: « Ralliez-vous, me dira-l’on;
Pourquoi a-lon de lé jusques au-dessous des talons?;
Et les recouvre l’on de menues broussailles? »
Im Plural artikulieren die Sprecher des « français acadien » die Liaison deutlich hörbar, wie in den Beispielen « avecques eux » oder « avecques elles ». Im Singular ist wiederum keine Liaison herauszuhören. Jedoch wurde Ende des 16. Jahrhunderts entschieden, dass, wenn das /s/ bei den Personalpronomen im Plural ils und das nachfolgende Wort mit einem Vokal oder Konsonanten beginnt, keine Liaison vorliegt. Die Akadier sprechen es nach dieser Vorschrift aus, wie es in Frankreich zu der damaligen Zeit ausgesprochen wurde.[121]
Auch auf der morphologischen[122] und syntaktischen Ebene gibt es Abweichungen bzw. Differenzen, die ebenfalls auf eine Bewahrung eines archaischen Sprachstandes zurückgehen.[123] Somit beziehen sich diese Merkmale auf die traditionelle Seite des Wortschatzes, dennoch gibt es auch Ausnahmen, die durch eine genauere Analyse das Gegenteil beweisen. Die morphologischen Besonderheiten sind aus dem Grund von Interesse, da der niedergeschriebene Korpus nur durch das Hören der gesprochenen Varietät notiert wurde, sodass orthographische Abweichungen in großer Zahl vorhanden und nicht unüblich sind.[124]
Die Präposition à dient zum Ausdruck einer Possession, die im Standardfranzösischen aber mit der Präposition de durch die Académie ersetzt wurde. Sie übernimmt auch weitere semantische Funktionen, die aus dem Altfranzösischen stammen. Poirier schreibt in seinem glossaire acadien, dass die Präposition mit à noch unter einigen alten Autoren und auch von dem akadischen Volk gebraucht werde. Im folgenden Beispiel wird die Possession ausgedrückt:
Beispiel 4: « La maison à Placide » (« français acadien »)
La maison de Placide (Standardfranzösisch)
Des Weiteren wird bei verbalen Redewendungen mit einer Präposition, wie bei essayer de faire qc. im akadischen Französisch ein à gesetzt, obwohl es von der Académie française umgeschrieben worden ist; es wird noch heute so gebraucht, wie es bereits von den Vorfahren gesprochen wurde. Auch bei den Verben ohne Präposition im Standardfranzösischen, wie aider qn., wird im « français acadien » ein à hinzugefügt. Auch hier handelt es sich um eine Übernahme aus dem Altfranzösischen.
Die dritte Funktion der Präposition besteht darin, einen Ausdruck der Gewohnheit und der Häufigkeit zu ergänzen. Somit steht sie in Wendungen wie beispielsweise « à tous les jour », à chaque samedi und à toutes les fois. Im Standardfranzösischen steht bei diesen Ausdrücken keine Präposition.
Die letzte Bedeutung des à besteht darin, dass sie das Personalpronomen der dritten Person Singular substituieren kann. Dies ist laut Poirier auch in Zentralfrankreich und in der Normandie verbreitet.
Beispiel 5: « A viendra de soir. » (« français acadien »)
Elle viendra ce soir. (Standardfranzösisch)
Das à steht im Satz des akadischen Französisch für « alle », der alten Form des Personalpronomens elle. Da im Altfranzösischen vor den Liquiden /l/ und /r/ ein /a/ auf Kosten des /e/ benutzt wurde, erklärt sich auch das /a/ bei alle oder anderen Lexemen wie « tarre » oder « mar » für terre und mer. Es folgt ein weiteres Beispiel, in dem das Personalpronomen « alle » vorkommt:[125]
Beispiel 6: « La pluie, alle muille. » (« français acadien »)
La pluie, elle muille. (Standardfranzösisch)
Der Grund, warum beim fünften Beispiel das de im akadischen Französisch für das Demonstrativpronomen ce im Standardfranzösischen steht, hat etwas mit der Funktion der Präposition de zu tun. Auch ihre Bedeutungen aus dem Altfranzösischen wurden zum Großteil beibehalten. Beispielsweise leitet sich auch das Wort demain für Morgen vom Lateinischen „de mane“ ab. Auch wird das de für Redewendungen mit durant ersetzt.
Beispiel 7: « Vous partirez de nuit pour le large. » (« français acadien »)
Vous partirez durant la nuit pour le large. (Standardfranzösisch)
Heutzutage wird im Französischen bei den Zeitangaben in der Zukunft, beispielsweise il est minuit dans trois minutes oder il est midi dans un quart, die spätere Zeit mithilfe des Wortes dans ausgedrückt. Im Akadischen übernimmt wiederum die Präposition de die Funktion, wie es wieder einmal aus dem Altfranzösischen entnommen wurde:
Beispiel 8: « Il est vingt minutes de midi. /
Il manque vingt minutes de midi. » (« français acadien »)
Il est midi dans vingt minutes. (Standardfranzösisch)
Beispiel 9: « Il manque dix minutes de matin. » (« français acadien »)
Il est matin dans dix minutes. (Standardfranzösisch)
In anderen Fällen ersetzt das de auch die Präposition pour, wie zum Beispiel bei « de moi » für pour moi.
Auch die Präposition dedans erfüllt eine spezielle Bedeutung. Sobald man « mettre les animeaux dedans » gesagt hat, meint man damit, sie in den Stall zu lassen (« les mettre à l’étable »).
Die temporale und lokale Präposition en hatte im Altfranzösischen viele Funktionen, die durch die Académie française aus dem Standardfranzösischen verschwanden, wohingegen sich einige in der Acadie bewahrt haben. So sagen die Akadier beispielsweise « en nuit » anstatt de nuit.
Die Konjunktion comme wird, wie es im français populaire der Fall ist, für den Komparativ, der eine Gleichheit darstellen soll, benutzt, wie zum Beispiel « pareil comme » oder « autant comme ». Auch die Schriftsteller des 16. Jahrhunderts schrieben, wie die Akadier sprechen. Zugleich findet man weitere Funktionen der Konjunktion, die das Standardfranzösische nicht kennt. Beispielsweise fragen sie in der indirekten Frage « Demandez-lui comme il s’appelle » anstatt Demandez- lui comment il s’appelle.
Im akadischen Französisch wird die Konjunktion puisque mit « d’abord que » ausgedrückt, wie in « D’ dabord qu’il le dit, il faut le croire » oder für lorsque wie bei « Je n’en ai pas douté, d’abord que je l’ai vu », wie es Molière in seinem Werk L’École des femmes schrieb.
Eine weitere morphologische Besonderheit bilden die Verben, die in Poiriers Glossar gefunden wurden, wie zum Beispiel « abattouer » und die orthographischen Varianten « aberouer » bzw. « aberver » oder « abeurver ». Beim Verb « abattouer » handelt es sich im heutigen Standardfranzösischen um das Verb abattre. Es leitet sich von dem Substantiv abatoir ab. Obwohl es sich um einen Archaismus handelt, bezieht sich die vollzogene Analogieform der Verben im Französischen, die auf „-er“ enden, auf eine Innovation seitens der Morphologie im Wortschatz. Heute gibt es im Standardfranzösischen das Verb abreuver, welches vom Lateinischen „abrevare“ abgeleitet wurde. Später wurde das Wort aus dem Keltischen „abeuvre“ zu abeuvrer abgeleitet. Die Transposition des /r/ erfolgte im 17. Jahrhundert. Somit deutet auch diese Transformation des Verbes auf eine morphologische Innovation im Wortschatz des « français acadien » hin, jedoch handelt es sich dabei um Archaismen.[126] Beispiele für ortographische Varianten sind « assayer » für essayer, « Baston » für Boston, « coëffe » für coiffe, « déboulement » für éboulement, « déjuner » für déjeuner, « errière » für arrière, « Est-ce pas? » als verkürzte Verneinung für N’est-ce pas?, « estoumac » für estomac, « faigniant » oder « fainiant » für fainéant, « harbe » für herbe, « haïne »[127] für haine, « invectimer » für invectiver oder « jornée » für journée, « malcommode » für incommode, « malhureux » für malheureux, « marte » für martre, « mécredi » oder « méquerdi » für mercredi, « mésaccord » für désaccord, « ménuit » für minuit, « n’on » für l’on aus dem Altfranzösischen, auch in Zentralfrankreich verbreitet, « nunne part » für nulle part, « quatte » für quatre, « queuqu’un » für quelqu’un, « velà » für voilà oder die Kontraktion « Yousque » für Où est-ce que. Poirier spricht auch von einer Transposition von Buchstaben bzw. einer Metathese und gibt Exempel wie « venderdi » für vendredi, « feurtiller » für frétiller, « farsure » für fressure oder « ferdaine » für fredaine, « formage » für fromage und viele weitere Wörter. Außerdem wird das Demonstrativpronomen celui-là im akadischen Französisch in « c’ti (-là) » umgewandelt. Hierbei handelt es sich um ein morphologisches Merkmal, das im Akadischen der Atlantikprovinzen verbreitet ist.[128] Eine andere morphologische Besonderheit besteht im Negationspartikel ne, welcher in Kanada und in der Acadie fast unverwendet ist. Dieses Phänomen ist auf das français parlé zurückzuführen, bei dem der Negationspartikel ne eine hohe Ausfallrate hat und somit die postverbale Negation vorliegt.[129]
Hinzukommend wurde bei dem Personalpronomen il das /l/ vor einem Konsonanten weggelassen, wie zum Beispiel bei « I vient » oder « I dort », vor einem Vokal aber ausgesprochen und auch so orthographisch festgehalten.
Wie bereits in der kurzen Einführung erwähnt worden ist, erklären sich die orthographischen Varianten durch das Hören bzw. „Verhören“[130] bei der Verschriftlichung des akadischen Korpus’. Das kann man wieder an dem Beispiel « segond » für second für die Allgemeinheit bestätigen. Man realisiert die Ordnungszahl auch heute noch in Frankreich als [s(ə)gɔ͂][131] aufgrund der progressiven Assimilation des stimmhaften Vokals /e/. Somit kann im Großen und Ganzen konstatiert werden, dass die Realisierung der Wörter, die Phonetik, eng mit der Orthographie zusammenhängen. Diese orthographischen Varianten lassen sich auch bei den neu in den Wortschatz aufgenommenen Wörtern im Diktionär konstatieren.
Die alte Art für die Konjugation der Verben, welche man im 16. Jahrhundert bereits verwendete, hat sich auch im « français acadien » erhalten. Beginnend kann konstatiert werden, dass vor allem in Neuschottland bis heute das Subjektpronomen je der Form der ersten Person Plural bei der Konjugation der Verben entspricht. Neumann-Holzschuh bezeichnet diese Form als das sogenannte « je collectif », so lautet zum Beispiel die erste Form im Singular des Verbes passer konjugiert « je passons » für nous passons oder « j’ons » und « j’avons » für nous avons.[132] Poirier erklärt die Herkunft des zubenannten « je pluriel » im Lateinischen. Es gab ebenfalls die Form „unus“, welche zuweilen einen pluralistischen Sinn hatte und so auch ins Französische gekommen ist. Diese Form hatte im 16. und 17. Jahrhundert ihre Blütezeit.
[...]
[1] Vgl. Erfurt (2005: 13).
[2] Ebd. 9.
[3] Senghor (1962), zitiert nach Pöll (1998: 5).
[4] Vgl. Erfurt/Laue (1995: 137ff.).
[5] Vgl. Cormier (1999: 12).
[6] Vgl. Kolboom (2005: 807).
[7] Vgl. Wiesmath (2006: 17).
[8] Vgl. Kolboom (2005: 15ff.).
[9] Vgl. Dokumentarfilm.
[10] Vgl. Ertler (2005: 20).
[11] Vgl. Kolboom (2005: 16).
[12] Vgl. Ertler (2005: 33).
[13] Vgl. Dokumentarfilm.
[14] Vgl. Pöll (1998: 82).
[15] Vgl. Dokumentarfilm.
[16] Vgl. Ertler (2005: 24ff.).
[17] Vgl. Dokumentarfilm.
[18] Vgl. Ertler (2005: 29).
[19] Vgl. Hübner (2015).
[20] Vgl. Ertler (2005: 27ff.) und Massignon (1962: 33).
[21] Vgl. Hübner (2015).
[22] Vgl. Ertler (2005: 33ff.).
[23] Vgl. Dokumentarfilm.
[24] Vgl. Boudreau (2016: 24) und Basque (1999: 161).
[25] Vgl. Wiesmath (2006: 25).
[26] Vgl. Dokumentarfilm.
[27] Vgl. Wiesmath (2006: 25).
[28] Vgl. Kolboom (2005: 12).
[29] Vgl. Basque (1999: 161).
[30] Vgl. Dokumentarfilm.
[31] Vgl. Ertler (2005: 71ff.).
[32] Vgl. Dokumentarfilm.
[33] Vgl. Ertler (2005: 28).
[34] Vgl. Dokumentarfilm.
[35] Ertler (2005: 76).
[36] Vgl. Boudreau (2013: 24).
[37] Vgl. Wiesmath (2006: 26).
[38] Vgl. Ertler (2005: 78).
[39] Vgl. Valdman (2005: 82).
[40] Vgl. Wiesmath (2006: 26f.) und Valdman (2005: 82).
[41] Vgl. Valdman (2005: 83).
[42] Vgl. Ertler (2005: 97).
[43] Vgl. Cormier (1967).
[44] Vgl. Valdman (2005: 83).
[45] Vgl. Ertler (2005: 107).
[46] Vgl. Kolboom (2005: 798).
[47] Vgl. Pöll (1998: 82).
[48] Vgl. Kolboom (2005: 798).
[49] Vgl. Wiesmath (2006: 31f.) und Poirier (1993: 1).
[50] Vgl. Kolboom (2005: 796) und Wiesmath (2006: 33f.) und Massignon (1962: 68).
[51] Diese Behauptung zeigt die Analyse der sprachlichen Phänomene des « français acadien ».
[52] Vgl. Kolboom (2005: 801).
[53] Vgl. Heinemann (2008: 41).
[54] Vgl. Péronnet (1989: 3).
[55] Vgl. Wiesmath (2006: 42).
[56] Vgl. Boudreau (2013: 24).
[57] Vgl. Basque (1999: 161).
[58] Vgl. Heinemann (2008: 41).
[59] Vgl. Auger (2005: 86).
[60] Cormier (1999: 50).
[61] Vgl. Kolboom (2005: 795).
[62] Vgl. Kolboom (2005: 798)
[63] Ebd. 805.
[64] Vgl. Born (2001: 152).
[65] Vgl. Basque (1999: 162).
[66] Vgl. Pöll (1998: 82).
[67] Vgl. Born (2001: 153).
[68] Vgl. Boudreau (2013: 24).
[69] Vgl. Kolboom (2005: 798).
[70] Vgl. Ertler (2005: 121ff.).
[71] Vgl. Pöll (1998: 82).
[72] Vgl. Kolboom (2005: 795) und Heinemann (2008: 41).
[73] Vgl. Wiesmath (2006: 43) und Dubois (1996: 124).
[74] Vgl. Kolboom (2005: 804).
[75] Vgl. Fritzenkötter (2015: 103).
[76] Diesen Sachverhalt veranschaulicht die Wortschatzanalyse.
[77] Vgl. Kolboom (2005: 804).
[78] Ebd. 801.
[79] Ebd.
[80] Vgl. Heinemann (2008: 41).
[81] Vgl. Kolboom (2005: 39).
[82] Antonine Maillet in dem Film Die Akadier. Odyssee eines Volkes (Eva und Georg Bense, Arte/ZDF, 1998).
[83] Vgl. Ertler (2005: 71) und Boudreau (2013: 24).
[84] Vgl. Basque (1999: 161).
[85] Vgl. Dokumentarfilm.
[86] Ein „Hashtag“ ist ein mit einem Doppelkreuz versehenes Schlagwort, welches das Auffinden von Nachrichten mit bestimmten Inhalten und Themen in sozialen Netzwerken ermöglicht.
[87] Vgl. Instagram.
[88] Vgl. Poirier (1993: 1).
[89] Vgl. Kolboom (2005: 806).
[90] Vgl. Dubois (1996: 47).
[91] Vgl. Valdman (2005: 83).
[92] Vgl. Ertler (2005: 119f.).
[93] Vgl. Elsen (2013: 35).
[94] Vgl. Poirier (1993: 1).
[95] Vgl. Motapanyane (1997: 5).
[96] Vgl. Péronnet (1989: 5).
[97] Der Aussage von Péronnet kann durch die von Ertler, der in den ländlichen Gemeinschaften eine größere Wahrscheinlichkeit für den Erhalt der Varietät sieht, widersprochen werden. Auch Dubois sieht in der Zerstreutheit der akadischen Etablissements und der Isoliertheit einen Grund für den Erhalt des Akadischen.
[98] Vgl. Fritzenkötter (2015: 95ff.).
[99] Vgl. Erfurt/Laue (1995: 148).
[100] Vgl. Kolboom (2005: 803).
[101] Ebd.
[102] Es handelt es sich um Basiswissen.
[103] Es handelt sich um Basiswissen.
[104] Alle Wortbeispiele beziehen sich auf das Glossar von Poirier.
[105] Vgl. Kolboom (2005: 803).
[106] Ein Wort aus dem kanadischen Französisch mit der Übersetzung „der Dollar“.
[107] Vgl. Montapanyane (1997: 6ff.).
[108] Vgl. Poirier (1993: 276); es handelt sich dabei um un petit veau dans la langue enfantine.
[109] Vgl. Poirier (1993: 235).
[110] Ebd. 397.
[111] Auch hier handelt es sich um Basiswissen aus der Vorlesung im zweiten Semester.
[112] Vgl. Montapanyane (1997: 11).
[113] Diese Beispiele stammen aus Kolboom und Poirier.
[114] Vgl. Poirier (1993: 288f.).
[115] Auch diese Beispiele finden sich in Kolboom und Poirier.
[116] Vgl. Montapanyane (1997: 10f.).
[117] Vgl. Poirier (1993: 223).
[118] Vgl. Montapanyane (1997: 12).
[119] Vgl. Poirier (1993: 247).
[120] Vgl. Piault (2013).
[121] Vgl. Poirier (1993: 247f.).
[122] Alle Wortbeispiele stammen aus dem Glossar von Poirier.
[123] Vgl. Kolboom (2005: 803).
[124] Mündliche Aussage von Wiesmath und eigenständige Erarbeitung.
[125] Vgl. Poirier (1993: 3).
[126] Alle Wortbeispiele stammen aus dem Glossar von Poirier.
[127] Bei dem Verb haïr wird das Trema bei den konjugierten Verbformen im akadischen Französisch beibehalten, im Gegensatz zum Standardfranzösischen.
[128] Diese Wortbeispiele stammen aus Kolboom (2005: 803).
[129] Vgl. Barme (2012: 78).
[130] Vgl. Poirier (1993: 74). Der Linguist erwähnt, dass eine Konfusion aufgrund schlechter Aussprache vorliegen könne, wie bei dem Wort sauvage, das als « chauvage » aufgefasst werde.
[131] In diesem Fall entspricht die Transkription der Aussprache der femininen Form, nämlich seconde, ist aber bei der Betrachtung des verschriftlichen Wortes nicht von Relevanz.
[132] Vgl. Kolboom (2005: 803) und Poirier (1993: 103).
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