Bachelorarbeit, 2017
44 Seiten, Note: 1,7
Abkürzungsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
1 Problemstellung
2 Rechtsentwicklung und Zielsetzung des IFRS 15
3 Anwendung und Analyse der Umsatzrealisation nach IFRS 15
3.1 Der sachliche und zeitliche Anwendungsbereich des IFRS 15
3.2 Der konzeptionelle Ansatz des IFRS 15
3.3 Das Fünf-Schritte-Modell
3.3.1 Identifikation von Kundenverträgen
3.3.2 Identifikation separater Leistungsverpflichtungen
3.3.3 Bestimmung des Transaktionspreises
3.3.4 Allokation des Transaktionspreises
3.3.5 Erfüllung von Leistungsverpflichtungen
3.4 Ausgewählte Sonderthemen bei der Bilanzierung von Umsatzerlösen
3.4.1 Vertragsmodifikationen im Rahmen des IFRS 15
3.4.2 Bilanzielle Behandlung von Lizenzen nach IFRS 15
3.4.3 Bilanzierung der Kosten der Vertragserlangung und -erfüllung
3.5 Angabepflichten im Anhang
4 Kritische Analyse der Bilanzierung von Umsatzerlösen nach IFRS 15
5 Thesenförmige Zusammenfassung
Literaturverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Erlöserfassung nach (a) Fertigungsgrad, (b) alternativem Nutzen
Abbildung 2: Das Fünf-Schritte-Modell
Abbildung 3: Anpassungsbedarf infolge der Erstanwendung von IFRS 15
„Die Regelungen zur Realisierung von Erlösen stellen einen, wenn nicht sogar den Kernbereich jedes Rechnungslegungssystems dar. Dies liegt zum einen daran, dass grundsätzlich jedes Unternehmen von den Vorschriften zur Erlöserfassung betroffen ist, zum anderen an der hervorgehobenen Bedeutung der Größe „Umsatzerlöse“ inner- halb der Rechnungslegung.“1 Mit diesen einleitenden Worten, bringt Brune die Be- deutung der Umsatzerlöse in der Rechnungslegung auf den Punkt. Gerade externe Ad- ressaten, wie aktuelle und potentielle Kapitalgeber haben daher ein gesteigertes Inte- resse an Informationen über diese Größe.2 Das zentrale Ziel der internationalen Rech- nungslegung ist die Vermittlung entscheidungsrelevanter Informationen für die Ab- schlussadressaten.3 Daher bedarf es hierfür eines Standards, dessen Anwendung Er- gebnisse hervorbringt, die den im Rahmenkonzept kodifizierten grundlegenden quali- tativen Anforderungen an die Relevanz und Glaubwürdigkeit gerecht werden.4
Nach jahrelanger Diskussion und Entwicklung tritt daher zu Beginn des Jahres 2018 der neue prinzipienbasierte Standard zur Erlösrealisation International Financial Re- porting Standards (IFRS) 15 „Revenue from Contracts with Costumers“ in Kraft. Der Beweggrund des IASB für den IFRS 15 war die Vereinheitlichung der Grundsätze und die Einschränkung von Ermessensspielräumen durch die Beseitigung der zuvor herr- schenden mangelnden Regelungstiefe und Inkonsistenzen. Hierdurch konnten mo- derne Geschäftspraktiken z.T. nicht mehr adäquat buchhalterisch abgebildet werden.5 Dahinzukommend sollte die Harmonisierung der IFRS-Rechnungslegung mit dem United States Generally Accepted Accounting Principles (US-GAAP) vorangetrieben werden, um Umsatzinformationen vorschriftsübergreifend vergleichbarer zu machen.6 Aus diesem Grund entspricht der IFRS 15 dem US-GAAP Financial Accounting Standards Board (FASB) Accounting Standards Codification (ASC) Topic 606.7
Da durch den IFRS 15 ein derart wichtiger Bereich der externen Rechnungslegung neu geregelt wird, ist es nicht verwunderlich, dass sich bei der Neuregelung der Erfassung von Umsatzerlösen die Geister scheiden.8 So bezeichnen Kritiker die Neuregelungen als Absurdität, wohingegen Befürworter diese als Meilenstein betiteln.9 Doch ist die Kritik wirklich berechtigt? Wie ist der IFRS 15 aufgebaut und schafft er es Umsatzer- löse verständlich und vor allem vergleichbar abzubilden? Ob und inwieweit es der neue Standard schafft, diesen Ansprüchen gerecht zu werden und die Information der Abschlussadressaten verbessert, soll die Leitfrage dieser Arbeit darstellen. Aufgrund der Aktualität und Dynamik der Thematik erfolgte diese Arbeit zu einem Großteil anhand der Auswertung des Standards und Artikeln in Fachzeitschriften. Der Charakter der Arbeit ist somit konzeptioneller Art. Auf Monographien und Kommen- tare wurde bspw. zur Beschreibung der Regelungen des IFRS 15 ebenfalls zurückge- griffen. Zur Beantwortung der Leitfrage wird in den jeweiligen Abschnitten die An- wendung des Standards beschrieben und anschließend analysiert. Hierfür wird der de- skriptive Teil mit der Analyse verbunden, um einen bruchstückhaften Charakter zu vermeiden. In der Analyse werden dabei jeweils einzelne Aspekte des IFRS 15 kritisch betrachtet und auf den Beitrag zur Erreichung der Zielsetzungen des IFRS 15 über- prüft. Zusätzlich werden in den einzelnen Abschnitten Effekte und Schwachstellen der Bilanzierung nach IFRS 15 aufgezeigt und wenn notwendig mit den bisherigen Nor- men verglichen. Hieran schließt sich wenn möglich eine kritische Anmerkung an. Dies wird zusätzlich für ausgewählte Neuerungen im Rahmen des IFRS 15 durchgeführt, für die der neue Standard wichtige Änderungen vorsieht. Im Einzelnen betrifft dies die Bilanzierung von Lizenzen, Vertragskosten und -modifikationen. Folgeänderungen die formal neu sind, aber keine inhaltlichen Änderungen mit sich bringen, werden aus Mangel an Relevanz nicht beschrieben und analysiert. Darüber hinaus erhebt diese Arbeit keinen Anspruch auf Vollständigkeit in Bezug auf die Neu- erungen, da die Beschreibung und Analyse aller 129 Paragraphen, der Klarstellungen und der Anhänge, den Rahmen dieser Arbeit bei weitem überschreiten würde. Auf die genauere Erläuterung der Übergangs- und Erstanwendungsvorschriften wird in dieser Arbeit ebenfalls verzichtet. Diese sorgen zwar für eine einfachere Implementierung der neuen Vorschriften, allerdings tragen sie nicht dem Informationsgewinn zur Klä- rung der Leitfrage bei. Kapitel 4 verfolgt anschließend einen ganzheitlichen Ansatz, in der die Analyseergebnisse zusammenfassend dargestellt werden. Hierdurch wird beantwortet werden, ob durch die Einführung des IFRS 15 signifikante Verbesserun- gen für die Information der Abschlussadressaten herbeigeführt werden.
Den IFRS 15 begleitet eine lange Entwicklungsgeschichte. Bereits 2002 wurde die Überholung der Vorschriften zur Umsatzrealisation erstmals in die Agenda des Inter- national Accounting Standards Board (IASB) aufgenommen. Doch erst 2008 erfolgte die Veröffentlichung des Diskussionspapiers, bevor in den Jahren 2010, sowie 2011, die Standardentwürfe folgten. Am 28.05.2014 wurde schlussendlich der finale Stan- dard IFRS 15 „Erlöse aus Verträgen mit Kunden“ ausgegeben.10 Zusätzlich wurden im Jahre 2016 Klarstellungen an den IFRS 15 veröffentlicht, um weitere Anwendungs- fragen zu klären und Erleichterungen bei der Erstanwendung einzuräumen.11 Ziel der Standardsetter war die Schaffung eines einheitlichen und umfassenden Regelwerks zur Bilanzierung von Umsatzerlösen, um die Vergleichbarkeit und Konsistenz der Bilan- zierung zu erhöhen und die Komplexität bei der Anwendung zu reduzieren.12 Zudem sollten die erlösbezogenen Angabepflichten verbessert werden, um die Entscheidungs- nützlichkeit der Informationen über Umsatzerlöse zu fördern.13 Als Ergebnis liegt nun ein prinzipienbasierter Standard vor, der um zahlreiche Anwendungsinstruktionen und Einzelfallregelungen ergänzt wurde.14 Dieser fasst folgende bisher geltende Standards zusammen: International Accounting Standards (IAS) 11, IAS 18, sowie die zugehö- rigen, einzelfallspezifischen Interpretationen International Financial Reporting Inter- pretations Comittee (IFRIC) 13, IFRIC 15, IFRIC 18 und Standing Interpretations Co- mittee (SIC)-31.15 Diese Zusammenfassung zu einem einheitlichen Regelwerk erleich- tert die Erstellung des Abschlusses, da Verweise auf andere Standards und Interpreta- tionen entfallen.16 Durch den IFRS 15 wurde zudem auf Regelungslücken und Un- schärfen reagiert, indem Unstimmigkeiten und Schwächen aus bisherigen Regelungen eliminiert wurden. So enthielten IAS 11 und IAS 18 bspw. keine Leitlinien für die Bilanzierung von Mehrkomponentengeschäften.17
IFRS 15.1 formuliert das grundlegende Ziel des neuen Standards: Die Bereitstellung entscheidungsnützlicher Informationen zu Art, Umfang, zeitlichem Anfall und Unsi- cherheiten, sowie den Cashflows aus den Umsatzerlösen.18 In IFRS 15.2 wird zudem das Kernprinzip definiert. Demnach soll die Übertragung versprochener Güter und Dienstleistungen in der Höhe des Entgelts dargestellt werden, das ein Unternehmen im Austausch für diese Güter und Dienstleistungen erwarten kann.19 Verglichen mit den IAS 11 und IAS 18, enthält der IFRS 15 eine allumfassendere Zielsetzung. So zielte der IAS 18 bisher auf die Behandlung von Erlösen aus bestimmten Geschäftsvorfällen und Ereignissen ab und der IAS 11 auf die Bilanzierung von Aufwendungen und Er- trägen in Verbindung mit Fertigungsaufträgen. Dahingegen zielt der IFRS 15 nun auf die Bereitstellung nützlicher Informationen über Art, Betrag, Zeitpunkt und Unsicher- heiten von Umsatzerlösen aus Kundenverträgen ab, wodurch ein globalerer Berichts- ansatz entsteht.20 Hierbei beschränkt sich der neue Standard nicht mehr nur auf die Konkretisierung des Realisationszeitpunktes, sondern geht zudem verstärkt auf Be- wertung, Ausweis und Anhangangaben ein. Gerade aufgrund der zuvor herrschenden mangelnden Regelungstiefe und vor dem Hintergrund der übergeordneten Informa- tionsfunktion der IFRS-Abschlüsse, erweist sich diese umfassendere Regelung als fol- gerichtig und förderlich für die Information der Abschlussadressaten, da hierdurch bspw. Ermessens- und Interpretationsspielräume gemindert werden.21 Eine weitere Änderung ist die stärkere Prinzipienorientierung des IFRS 15. So finden sich an ver- schiedenen Stellen des Standards Verweise auf das charakteristische Kernprinzip aus IFRS 15.2. Durch die vielen, im Anhang spezifizierten Anwendungsleitlinien, wurde die intendierte Erreichung einer vollständigen Prinzipienorientierung allerdings immer wieder konterkariert.22
Der verpflichtende zeitliche Anwendungsbereich gilt für alle Berichtsperioden, die nach oder am 01.01.2018 beginnen. Eine vorzeitige Anwendung des IFRS 15 ist zu- lässig.23 Der sachliche Anwendungsbereich des IFRS 15 erstreckt sich auf Verträge mit den Kunden eines Unternehmens. Hierbei erfolgt die Anwendung des IFRS 15 grundsätzlich auf einzelvertraglicher Basis. Aus Vereinfachungsgründen können Ver- träge mit ähnlichen Eigenschaften gemäß IFRS 15.4 hingegen auch zu einem Portfolio zusammengefasst werden, sofern erwartet werden kann, dass die Zusammenfassung keine materiellen Abweichungen hervorbringt.24 In IFRS 15.5 werden zudem konkrete Vertragsarten aus dem sachlichen Anwendungsbereich ausgeschlossen: Leasingver- träge i.S.d. IAS 17, Versicherungsverträge i.S.v. IFRS 4, Finanzinstrumente oder ähn- liche vertragliche Rechte oder Pflichten i.S.v. IFRS 9, IFRS 10, IFRS 11, IAS 27 und IAS 28, sowie bestimmte nicht monetäre (Tausch-)Geschäfte.25 Es ist zudem möglich, dass Kundenverträge im Einzelfall nur teilweise in den Anwendungsbereich des IFRS 15 fallen, während auf den übrigen Teil andere Standards anzuwenden sind. Dies kann bspw. bei kombinierten Leasing- und Kundenverträgen (i.S.v. IFRS 15) der Fall sein. Hierbei sind die Leistungsverpflichtungen mit Leasing-Charakter nach IAS 17 zu bi- lanzieren, während die restlichen Vertragsbestandteile gemäß IFRS 15.7(a) in den An- wendungsbereich des IFRS 15 fallen.26 Betrachtet man die zuvor geltenden Regelun- gen, so war bei der Anwendung des IAS 18 und IAS 11 eine fallgruppenspezifische Abgrenzung der Verträge nach der betrieblichen Wertschöpfung notwendig. Der sach- liche Anwendungsbereich des IFRS 15 richtet sich nun aber nach einem einheitlichen Merkmal: Dem Kundenvertrag. Hierdurch entfällt die fallgruppenspezifische Ab- grenzung und vereinfacht hierdurch die Erstellung des Abschlusses.27 Zur Abgrenzung wurde zudem der Tatbestand einer Kundenbeziehung in den Standard aufgenommen. Bedeutend ist dies, da hierdurch explizit eine leistungswirtschaftliche Austauschbezie- hung gefordert wird. Dividenden- und Zinserträge fallen hierdurch meist aus dem An- wendungsbereich des IFRS 15, da meist keine Kundenbeziehung vorliegt. Dadurch werden Dividenden und Zinsen nicht als Umsatzerlös, sondern als sonstiger Ertrag ausgewiesen. Dies unterstützt die Verständlichkeit der Umsatzinformationen, da diese meist nicht zur gewöhnlichen Geschäftstätigkeit eines Unternehmens gehören.28
Die Neuregelungen des IFRS 15 orientieren sich am bilanzorientierten asset-liability- approach. In Übereinstimmung mit dem Rahmenkonzept des IFRS werden hierdurch Erträge als positive Nettovermögensänderungen definiert, die nicht durch Transaktio- nen mit den Anteilseignern des Unternehmens entstanden sind. Umgesetzt wird dies durch ein vertragsbasiertes Ertragsrealisationsmodell, in welchem die rechtlichen Leistungsverpflichtungen und -ansprüche über die Laufzeit des Vertrages gemäß IFRS 15.105 saldiert als Nettoposition auszuweisen sind. Bei Vertragsschluss weist diese Nettoposition einen Wert von Null auf, sodass gemäß IFRS 15.BC19 weder Vermö- genswerte, noch Verbindlichkeiten ausgewiesen werden. Erst mit Erfüllung einer Leis- tungsverpflichtung verändert sich der Wert der Nettoposition. Ist der Wert der Ansprü- che bspw. größer als der der zugehörigen Leistungsverpflichtungen, so ergibt sich ge- mäß IFRS 15.107 ein Netto-Vermögenswert, welcher zur einer Forderung wird sobald sich ein unbedingter Entgeltanspruch ergibt. Die daraus entstehenden Wertänderungen bilden die Basis der Umsatzrealisation.29 Erlöse werden dabei als Erträge definiert, die im Rahmen der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit des Unternehmens anfallen und sind grundsätzlich zu erfassen, wenn eine Leistungsverpflichtung erbracht wurde und die Verfügungsmacht an den Empfänger der Leistung übertragen wurde.30 Der Kontroll- übergang dient damit gemäß IFRS 15.31 als maßgebliches Kriterium. Kontrolle be- sitzt gemäß IFRS 15.33 derjenige, der über den Vermögenswert verfügen und Nutzen aus diesem ziehen kann, bzw. Dritten den Zugang verwehren kann.31
Zusammengefasst verfolgt der IFRS 15 somit ein neues konsistenteres Bilanzierungs- konzept, der den Kontrollübergang als maßgebliches Realisationskriterium vorsieht. IAS 18 richtete sich hingegen noch am Übergang von Chancen und Risiken. Dieser Ansatz war nach Meinung des IASB und FASB zu ermessensbehaftet und führte zu einer inkonsistenten Erfassung der Umsätze.32 Die im weiteren Verlauf erläuterte Bei- behaltung der Teilgewinnrealisierung zeigt jedoch, dass der IASB im Laufe des Stan- dardsetzungsprozesses von einer vollständigen konzeptionellen Durchsetzung des as- set-liability-approach abgewichen ist.33 Die Realisation der Umsätze nach IFRS 15 ist gemäß IFRS 15.IN7 anhand eines fünfstufigen Models vorgesehen, das zusammenfas- send in Abbildung 2 dargestellt und im weiteren Verlauf erläutert werden soll.34
Bei der Identifikation von Kundenverträgen stellt der Kundenvertrag die Grundlage für die Umsatzrealisation nach IFRS 15 dar. Daher sind sämtliche Vertragsbeziehun- gen mit Kunden systematisch zu erfassen.35 Für die Identifikation der Kundenverträge ist zu prüfen, ob es sich bei der Gegenpartei um einen Kunden handelt und ob ein Vertrag vorliegt. Gemäß IFRS 15.6 ist ein Kunde als Gegenpartei definiert, die einen Vertrag über den Erhalt von Gütern oder Dienstleistungen aus der gewöhnlichen Ge- schäftstätigkeit des Unternehmens abgeschlossen hat und dafür eine Gegenleistung bzw. Entgelt entrichtet.36 Ein Vertrag liegt gemäß IFRS 15.10 vor, sobald eine münd- liche oder schriftliche Vereinbarung, bzw. Vereinbarung im Rahmen der üblichen Ge- schäftspraxis zwischen mindestens zwei Parteien getroffen wird, die in Abhängigkeit des jeweils geltenden Rechtssystems durchsetzbare Rechte begründet.37 Da die Ver- tragsgestaltung und die daraus entstehenden Ansprüche länder-, branchen- und unter- nehmensbedingt variieren, obliegt es dem Ermessen der Unternehmen, ob ein Vertrag vorliegt. Erfüllt ein Sachverhalt sowohl die Definition des Vertrags als auch die des Kunden, so liegt ein Kundenvertrag vor. Dieser ist bilanziell zu erfassen, sofern fol- gende Kriterien aus IFRS 15.9 kumulativ erfüllt sind:
1. Die Vertragsparteien akzeptieren den Vertrag und sind zur Erfüllung der ver- einbarten Leistungsverpflichtungen verpflichtet.
2. Das Unternehmen kann die Rechte und Zahlungsmodalitäten aller Vertrags- parteien im Hinblick auf die übertragenen Leistungen identifizieren.
3. Der Vertrag hat wirtschaftliche Substanz. D.h. Risiko, Zeitpunkt oder Höhe der künftigen Cashflows des Unternehmens werden durch den Vertrag erwartungs- gemäß beeinflusst.
4. Die Vereinnahmung des Entgeltes für die übertragene Leistung ist wahrschein- lich. Hierbei ist sowohl die Zahlungsfähigkeit, als auch -absicht zum Fällig- keitszeitpunkt zu berücksichtigen.
Vor der Erfüllung dieser Kriterien ist eine Vereinnahmung der Erlöse aus einem Kun- denvertrag (noch) nicht möglich. Gemäß IFRS 15.12 fällt ein Vertrag außerdem (noch) nicht in den Anwendungsbereich des IFRS 15, wenn beiden Parteien das Recht zusteht, den Vertrag ohne Entschädigung vor der vereinbarten Leistungserbringung zu kündi- gen oder davon zurückzutreten. Dabei handelt es sich z.B. um beidseitig schwebende Geschäfte.38
Erfüllt ein Vertrag die Kriterien aus IFRS 15.9 zu Vertragsbeginn nicht, so hat das Unternehmen den Kundenvertrag während der Vertragslaufzeit gemäß IFRS 15.14 fortlaufend auf Erfüllung der Kriterien zu prüfen.39 Waren die Definitionsmerkmale aus IFRS 15.9 allerdings zu einem Zeitpunkt bereits kumulativ erfüllt, so sieht der IFRS 15.13 eine erneute Beurteilung vor, wenn während der Vertragslaufzeit wesent- liche Änderungen der einschlägigen Fakten und Umstände vorliegen. Ein Beispiel hierfür ist eine signifikante Bonitätsverschlechterung eines Kunden, die die Wahr- scheinlichkeit der Vereinnahmung des Transaktionspreises beeinflusst.40 Wurde der Transaktionspreis durch den Kunden entrichtet, während eine oder mehrere Kriterien des IFRS 15.9 nicht erfüllt sind, so sind diese Umsatzerlöse ge- mäß IFRS 15.15 nur in folgenden Fällen realisierbar: Es bestehen keine weiteren zu übertragenden Leistungsverpflichtungen und wesentliche Bestandteile des Transakti- onspreises sind bezahlt und nicht rückerstattungsfähig oder der gesamte Vertrag wurde beendet und der Transaktionspreis nicht ist rückerstattungsfähig. Eine Umsatzrealisa- tion vor Erfüllung dieser Voraussetzungen ist nicht möglich und die erhaltene Gegen- leistung ist solange als Verbindlichkeit auszuweisen, bis eine dieser Voraussetzungen erfüllt ist, oder die Kriterien des IFRS 15.9 nachträglich erfüllt werden.41 Werden mehrere Verträge zeitnah oder gleichzeitig mit einem Kunden geschlossen, so sind die Verträge gemäß IFRS 15.17 bilanziell zusammenzufassen, wenn mindes- tens einer der folgenden Sachverhalte erfüllt ist: Bei der Verhandlung der Verträge wurden die Verträge als Paket mit einem wirtschaftlichen Ziel verhandelt. Die Gegen- leistung hängt vom Preis oder der Erfüllung des anderen Vertrags ab. Oder die in den Verträgen zugesagten Waren und Dienstleistungen stellen eine einzige Leistungsver- pflichtung i.S.v. IFRS 15 dar.42
Analysiert man den ersten Schritt des Fünf-Schritte-Modells, so finden sich hier be- reits erste Ermessensspielräume. U.a. das Kriterium der Einbringlichkeit der erwar- tungsgemäß vereinnahmten Gegenleistung im Rahmen des IFRS 15.9 zeigt sich stark ermessensbehaftet, da es sich dabei nicht zwangsläufig um den vollständigen Trans- aktionspreis handeln muss. Vielmehr ist auf den Betrag abzustellen, den das Unter- nehmen alternativ im Rahmen einer Preiskonzession akzeptieren würde. Da es sich hierbei aber um eine unternehmensspezifische Risikoentscheidung handelt, kann das Unternehmen bei der Beurteilung nicht unwesentliche Ermessensspielräume nutzen.43
Das explizit geforderte Kriterium der wirtschaftlichen Substanz ist ebenfalls als Bei- spiel für Ermessensspielräume zu nennen. In der Praxis wird es schwierig sein, den tatsächlichen wirtschaftlichen Gehalt aufzuzeigen. Somit kann es gerade bei komple- xen Verträgen problematisch sein dieses Kriterium zu widerlegen.44 So könnte ein Un- ternehmen mit betrügerischen Absichten seine Umsatzerlöse im Extremfall durch zir- kuläre Transaktionen mit (nahestehenden) Drittparteien künstlich erhöhen, bei de- nen i.d.R. reale Waren- und Zahlungsströme stattfinden. Solche Transaktionen können durch externe Adressaten und Analysten oft nur schwer aufgedeckt werden.45 Dennoch ist die explizite Forderung eines Vertragsbestandes zweckmäßig, um Umsatzmanipu- lationen im Zusammenhang mit Transaktionen jeglicher Art explizit zu verbieten. Da- her ist es insgesamt dennoch gelungen, konkrete Leitlinien für die Identifikation von Kunden zu formulieren, obwohl die Eliminierung bilanzpolitischer, oder sogar miss- bräuchlicher, Spielräume nicht abschließend gelungen ist. Die Regelungen stellen ei- nen wesentlichen Fortschritt ggü. vorhergehenden Regelungen dar, da sich IAS 18 und IAS 11 über den Vertragstatbestand gänzlich ausschwiegen. Es kam daher bisher zu uneinheitlichen Ansätzen, anhand welcher Kriterien sich Vertragsverhältnisse konkre- tisiert haben müssen, bevor auf deren Basis verlässlich bewertbare Erlöse begründet werden können. Zudem ist positiv zu beurteilen, dass der IFRS 15 auch das bilanzielle Vorgehen klar regelt, wenn die Kriterien zur Erlösrealisation nicht erfüllt sind.46
Unmittelbar auf die Identifikation der Kundenverträge folgt die Identifikation separa- ter Leistungsverpflichtungen eines Kundenertrages. Als Leistungsverpflichtung defi- niert sich jede vertragliche Zusage über eigenständige Güter oder Dienstleistungen, oder eigenständige Bündel aus Gütern und Dienstleistungen. Kundenverträge sind hierfür gemäß IFRS 15.22 zu Vertragsbeginn auf abgrenzbare Leistungsverpflichtun- gen zu prüfen, da abgrenzbare Einzelleistungen als separate Leistungsverpflichtung zu bilanzieren sind. Die Abgrenzbarkeit stellt somit das zentrale Kriterium dar.47 Zu be- achten ist hierbei, dass gemäß IFRS 15.24 nicht nur explizit vereinbarte Leistungen relevant sind. Es sind auch Leistungen zu berücksichtigen die sich implizit ergeben, sofern der Kunde dessen Erhalt bei Vertragsschluss erwarten kann. Die Identifikation separater Leistungsverpflichtungen wird vorgenommen, da die zeitliche Verteilung der Umsatzerlöse beeinflusst wird, wenn Leistungsverpflichtungen eines Vertrages nicht zeitgleich erfüllt werden. Hierfür sind die Abgrenzbarkeit der einzelnen Leistun- gen und die Abgrenzbarkeit im Kontext des Vertrages zu prüfen.48 Die Abgrenzbar- keit der einzelnen Leistungen liegt vor, wenn ein Gut oder eine Dienstleistung dem Kunden gemäß IFRS 15.27 einzeln oder zusammen mit anderen jederzeit verfügbaren Ressourcen wirtschaftlichen Nutzen stiftet (abstrakte Abgrenzbarkeit).49 Bei den an- deren jederzeit verfügbaren Ressourcen handelt es sich gemäß IFRS 15.28 um separat erwerbbare Güter oder Dienstleistungen. Nicht unproblematisch ist hierbei allerdings die Beurteilung der Nutzenstiftung, da dies aus Kundensicht zu beurteilen ist.50 Die Abgrenzbarkeit im Kontext des Vertrages (vertragsspezifische Abgrenzbarkeit) ist anhand IFRS 15.29 zu prüfen. Hierbei wird beurteilt, inwieweit die Leistungsverspre- chen von Gütern und Dienstleistungen eines Vertrages trennbar sind.51 Die Abgrenz- barkeit liegt demnach nicht vor, wenn einer der folgenden Indikatoren erfüllt ist:
a) Die Zusammenführung des Gutes oder der Dienstleistung mit anderen Gütern und Dienstleistungen ist keine wesentliche Dienstleistung des Unternehmens.
b) Andere im Vertrag enthaltene Güter oder Dienstleistungen, werden durch die zu liefernden Güter oder Dienstleistungen nicht wesentlich verändert oder kun- denspezifisch angepasst.
c) Es besteht keine wesentliche Abhängigkeit von der Verfügbarkeit anderer ver- traglich zugesicherter Leistungen und Güter. Kunden können das Gut z.B. auch ohne die anderen zugesicherten Güter oder Dienstleistungen kaufen.
Ist sowohl die abstrakte, als auch die vertragsspezifische Abgrenzbarkeit gegeben, so qualifiziert sich das Leistungsversprechen als separate Leistungsverpflichtung. Ist ein zugesagtes Gut oder eine Dienstleistung nicht eigenständig, so muss diese gemäß IFRS 15.30 mit anderen zugesagten Gütern und Dienstleistungen zusammengefasst werden, bis ein abgrenzbares Bündel aus Gütern und Dienstleistungen identifizierbar ist.52 Ent- hält ein Vertrag oder Portfolio aus Verträgen mehrere abgrenzbare Leistungsverpflich- tungen, so liegt ein Mehrkomponentenvertrag vor.53
[...]
1 Brune (2016), S. 19.
2 Vgl. Küting/Reuter (2004), S. 230-231.
3 Vgl. Göbel (1999), S. 294.
4 Vgl. Lam (2016), S. 43.
5 Vgl. Zülch/Hendler (2017), S. 499.
6 Vgl. Zülch/Fischer (2014), S. 1696.
7 Vgl. Grote/Hold (2014), S. 2.
8 Vgl. Zülch/Fischer (2014), S. 1696.
9 Vgl. Becker (2014).
10 Vgl. Morich (2014), S. 1997.
11 Vgl. Nardmann/Geberth/Haussmann (2016), S. 321.
12 Vgl. Küting/Lam (2012), S. 2353.
13 Vgl. Lam (2016), S. 217-218.
14 Vgl. Baur/Lüpold/Witte (2014), S. 469.
15 Vgl. Zülch/Hendel (2017), S. 500.
16 Vgl. Bösser/Grote/Pilhofer (2015), S. 51.
17 Vgl. Morich (2014), S. 1998.
18 Vgl. Breidenbach (2014), S. 632.
19 Vgl. Schurbohm-Ebneth/Ohmen (2015), S. 7.
20 Vgl. Lam (2016), S. 217-219.
21 Vgl. Grote/Hold/Pilhofer (2014a), S. 343.
22 Vgl. Brune (2015), S. 119.
23 Vgl. Deloitte & Touche GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft (2016a). 4
24 Vgl. Schmidt/Barekzai/Hüttermann (2015), S. 77.
25 Vgl. Petersen/Bansbach/Dornbach (2016), IFRS 15.5(a)-(d).
26 Vgl. Fischer (2015), S. 11.
27 Vgl. Lüdenbach/Hoffmann/Freiberg (2016), §25, Rz. 11.
28 Vgl. Lam (2016), S. 220-226.
29 Vgl. Schmidt/Barekzai/Hüttermann (2015), S. 78.
30 Vgl. Petersen/Bansbach/Dornbach (2016), IFRS 15.App.A.
31 Vgl. Baetge/Celik (2014), S. 366.
32 Vgl. Hagemann (2015), S. 28-29.
33 Vgl. Grote/Hold/Pilhofer (2014b), S. 407.
34 Vgl. Zülch/Fischer (2014), S. 1696.
35 Vgl. Breidenbach (2016), S. 852.
36 Vgl. KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft (2016), S. 189.
37 Vgl. Knobloch/Anton (2015), S. 1520.
38 Vgl. Petersen/Bansbach/Dornbach (2016), IFRS 15.9-15.12. 7
39 Vgl. Deloitte & Touche GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft (2016b).
40 Vgl. Grote/Hold/Pilhofer (2014b), S. 408.
41 Vgl. Petersen/Bansbach/Dornbach (2016), IFRS 15.15-15.16.
42 Vgl. Fischer (2015), S. 12-13.
43 Vgl. Baur/Lüpold/Witte (2014), S. 470-471.
44 Vgl. Knobloch/Anton (2015), S. 1519.
45 Vgl. Berger (2010), S. 52.
46 Vgl. Lam (2016), S. 225-226.
47 Vgl. Petersen/Bansbach/Dornbach (2016), IFRS 15.22. 9
48 Vgl. Lüdenbach/Hoffmann/Freiberg (2016), §25, Rz. 52-53.
49 Vgl. Nardmann/Geberth/Haussmann (2016), S. 321.
50 Vgl. Petersen/Bansbach/Dornbach (2016), IFRS 15.27(a) i.V.m. IFRS 15.28.
51 Vgl. Hold/Harms (2016), S. 900.
52 Vgl. Knobloch/Anton (2015), S. 1521-1522.
53 Vgl. Lüdenbach (2015), S. 84.
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