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Bachelorarbeit, 2014
47 Seiten, Note: 14 (1,0)
Einleitung
1. Forschungsstand und Einordnung der Leitfrage
2. Begriffsbestimmungen
2.1 Schönheit und Ideal
2.2 Schönheitsideal
2.3 Zur Formulierung ‚unterliegen‘
3. Westliche Körperkonzepte
3.1 Schlank und schlauchförmig
3.2 Fit und fettfrei
3.3 Jugendlichkeit
3.4 Zwischenfazit– Ein Ideal wider die Natur
4. Die gesellschaftliche Relevanz von Körperschönheit
4.1 Die Bedeutung der weiblichen Schönheit
5. Konsequenzen
5.1 Körpermodellierung
5.2 Der perfekte Körper für alle?
5.3 Der Körpermythos der Machbarkeit
5.4 Körperunzufriedenheit und Körperunsicherheit
5.5 Essstörungen – Anorexie und Bulimie
5.6 Globale Homogenisierung von Frauenkörpern
6. Fazit
6.1 Zusammenfassung und Ausblick
6.2 Eigene Stellungnahme
Literaturverzeichnis
Schönheit und Körperlichkeit erhalten im öffentlichen wie im privaten Leben der westlichen Bevölkerung im 21. Jahrhundert eine zuvor nie dagewesene Bedeutung. So sind an ein schönes Äußeres wichtige soziale und persönliche Vorteile geknüpft, welche es laut Nina Degele (2004: 140) zu einem „Mittel des Erfolgs“ werden ließen.
Waltraud Posch (1999: 33f.) macht u. A. deutlich, dass der Körper im Europa vergangener Zeiten durch Kleidung weitgehend bedeckt war und sich von der Öffentlichkeit und den Blicken Anderer distanzierte. Heute wird er dagegen in Medien, in wissenschaftlicher wie pseudowissenschaftlicher (Ratgeber-) Literatur offen präsentiert, inszeniert und thematisiert (vgl. u. A. Posch 2009: 19f.). In ihrem Buch mit dem Titel „Körper machen Leute“, konstatiert Posch (1999) einen Wandel bezüglich Schönheitsdefinitionen: Im Gegensatz zu vergangenen Zeiten, in denen der Adel Schönheit symbolisierte und diese durch weite, pompöse Kleidung ausdrückte, wird die Auffassung darüber, was schön ist, heute anstelle von schöner Kleidung viel stärker über einen schönen Körper definiert.
Die gesellschaftliche Bedeutung der Körperschönheit ist gestiegen und das gegenwärtige Schönheitsideal ist dementsprechend enorm eng gefasst. Trotz des zunehmenden Anspruchs an männliche Attraktivität, sind Frauen dem Schönheitsdruck nach wie vor stärker unterworfen (vgl. u. A. Görtler 2012: 11); der weibliche Körper bildet nach Otto Penz (2010: 35) „[…]den Brennpunkt des medialen Interesses wie des Schönheitsdiskurses insgesamt“. Schönheit existiert als System symbolischer Herrschaft (Penz 2010: 36) nicht nur zwischen den Geschlechtern, sondern auch zwischen verschiedenen Klassen[1]– um soziale und ökonomische Vorherrschaft zu zeigen, grenzen sich Frauen der Oberklasse durch die Repräsentation des ‚guten Geschmacks‘ bewusst von den niederen Klassen ab. Dennoch unterliegen Frauen und der weibliche Körper klassenübergreifend stärker als Männer dem durch das kursierende Ideal erzeugten Schönheitsdruck (vgl. ebd.: 35).
Nie zuvor verfügten Frauen westlicher Gesellschaften über so viele Freiheiten wie zu gegenwärtiger Zeit. Der Bereich des Schönheitsdrucks, welcher Freiheit einschränken kann, scheint dabei allerdings eine Ausnahme, da er mit enormer Persistenz mit dem weiblichen Geschlecht verbunden ist (vgl. Deuser et. al. 1995: 53, Penz 2010: 35). Die enge Verknüpfung von Weiblichkeit und Schönheit kann zu einem geschlechtlichen Ungleichgewicht beitragen (vgl. u. A. Görtler 2012: 39), was im Laufe dieser Arbeit u. A. verdeutlicht werden soll.
Vor diesem Hintergrund lautet die zu bearbeitende Fragestellung:
„Inwiefern unterliegen insbesondere Frauen und der Frauenkörper dem gegenwärtigen Schönheitsideal der westlichen Welt?“
Diese Leitfrage wird durch Analyse, Aufbereitung und Auswertung einschlägiger körper-, und geschlechtersoziologischer Literatur anhand von empirischen und theoretischen Darlegungen beantwortet. Sie ist in drei Unterfragen aufgegliedert, die im Hauptteil in logisch aufeinander aufbauenden Kapiteln bearbeitet werden:
- 3. Kapitel: In welchem Ausmaß wird insbesondere der Frauenkörper durch das gegenwärtige Schönheitsidealnormiert? (Westliche Körperkonzepte)
- 4. Kapitel: Warum ist das Schönheitsideal insbesondere für Frauenbedeutsambezüglich ihrer Lebensführung? Zur Veranschaulichung und Beantwortung dienen hierbei u. A. Bourdieus Theorien zum ‚Körper als Kapital‘. (Die gesellschaftliche Relevanz von Körperschönheit)
- 5. Kapitel: Was kann der gesellschaftliche Schönheitsdruck bei Frauen und ihrem Körperbewirken?(Konsequenzen)
Zuvor wird im ersten Kapitel als Themeneinstieg der zugehörige Stand der Forschung aufgeführt und die Leitfrage in diesen eingeordnet. Im anschließenden Kapitel wird sie näher untersucht, indem die BegriffeSchönheit,Ideal,Schönheitsidealund die Formulierung „unterliegen“ Erläuterung finden. Die Arbeit endet mit einer Zusammenfassung, einem Ausblick auf künftige Entwicklungen und einer eigenen Stellungnahme zum Thema.
Aus der Geschlechtsspezifik des Themas heraus verständlich, liegt der Fokus auf dem weiblichen Körper, wobei der männliche Körper in Relation dazu thematisiert wird. Ein weiterer Fokus der Arbeit sind die Körper westlich- zivilisierter Frauen. Körper nicht-westlicher Frauen finden im letzten Unterkapitel im Hinblick auf die Homogenisierung westlicher Frauenideale auch Erwähnung, um die weitreichenden Auswirkungen des westlichen Ideals zu verdeutlichen.
Ein kritisch-normativer Blickwinkel – zu bemerken an hin und wieder provokanten Aussagen und Zitaten – zieht sich durch die gesamte Arbeit, da es zu einem persönlichen Anliegen geworden ist, den Schönheitsdruck und die Kluft zwischen Schönheitsideal und Realität aufzuzeigen, um so für eine erneute Körperzufriedenheit und eine Freude an der Körpervielfalt zu plädieren.
Für die Sozialwissenschaften ist es bedeutsam, die durch das Schönheitsideal entstehenden Normierungen, Bedeutungen und Konsequenzen zu analysieren, um insbesondere negativen Konsequenzen, die das eigene Leben beeinträchtigen, besser entgegenwirken und geschlechtsspezifische Ungleichheiten reduzieren zu können. Die Brisanz des Themas entsteht durch die steigende Intensität und die (weltweite) Ausweitung des Schönheitsdrucks auf beide Geschlechter.
Der dieser Arbeit zugehörige Stand der Forschung speist sich aus dem Bereich derKörpersoziologieund derFrauen- und Geschlechterforschung.
Die gesteigerte gesellschaftliche Bedeutung und Thematisierung von Körper und Schönheit, die seit den letzten Jahrzehnten zu beobachten ist, regte eine zeitverzögerte, intensive Auseinandersetzung in den Wissenschaften an. Neben Naturwissenschaften wie Biologie, Zoologie, Medizin nahmen sich nun auch die Sozial-, Geistes-, und Kulturwissenschaften dem Thema an. Beginnend in den 80er-Jahren im angloamerikanischen Raum, entstand die Teildisziplin „Soziologie des Körpers“ Ende der 90er-Jahre auch im deutschsprachigen Raum. Ab diesem Zeitpunkt und verstärkt in den 2000ern entwickelte sie sich rasant und ist mittlerweile institutionell fest verankert. (Vgl. Gugutzer 2006: 9ff.)
Als wichtige deutschsprachige Autor/innen sind hier u. A. Gugutzer (z.B. 2006, 2013), Schroer (zB. 2013), Jäger (zB. 2004), und Koppetsch (zB. 2000) zu nennen.
Seit der Hinwendung der Soziologie zum menschlichen Körper, gilt er nicht mehr als vorsozial. Die Disziplin ‚entdeckte‘ vielmehr den menschlichen Körper als empirischen wie theoretischen Gegenstand soziologischer Forschung, da man am Körper, an körperbezogenen Verhaltensweisen und körperlicher Schönheit wichtige Erkenntnisse über die jeweilige Gesellschaft erlangen kann und der Körper umgekehrt gesellschaftliche Wandlungsprozesse hervorrufen kann. (Vgl. u. A. Dangendorf 2012; Antoni-Komar 2012). Robert Gugutzer (2006: 13) hält fest, dass der Körper damit immer zugleichProduktundProduzentder Gesellschaft ist, welche als die zwei großen – analytisch getrennten – Dimensionen der Körpersoziologie bezeichnet werden können (vgl. ebd.: 13).
Die vorliegende Arbeit befasst sich mit dem Körper als Produkt der Gesellschaft. Robert Gugutzer (2006: 13) teilt diese Dimension in die TeilgebieteKörperformung(Wie wirkt Gesellschaft auf den menschlichen Körper ein?),Körperdiskurse(Wie wird der Körper diskursiv hervorgebracht?),Körperumwelten(Wie wird der Körper kommuniziert?),Körperrepräsentationen(Was symbolisiert der Körper?) undKörper als Ort von Leibeserfahrungen(Wie wird der Körper gespürt?) (vgl. ebd.: 14ff.). Diese Arbeit lässt sich in erster Linie dem Bereich der (weiblichen) Körperformung und in zweiter Linie dem Bereich der Körperrepräsentation zuordnen. Sie fokussiert den Körper als Objekt gesellschaftlicher Steuerung und knüpft damit an Aspekte an, die Klassiker wie Foucault (Der disziplinierte Körper, s. 1976), Elias (Der zivilisierte Körper, s. 1976) und Bourdieu (Der Körper als Kapital, s. 1982) bereits thematisierten. Darlegungen zum disziplinierten und zivilisierten Körper veranschaulichen den Körper als Produkt historischer Entwicklungen. Soziale Körper der Gegenwart und welche Vor- und Nachteile mit diesen einhergehen, werden von Bourdieu im ‚Körper als Kapital‘ thematisiert. Dieser stellt einen Teilaspekt der Arbeit dar.
Wie Bourdieu, thematisiert auch die Frauen- und Geschlechterforschung den Körper als Kategorie sozialer Ungleichheit. Der Fokus liegt hier auf dem Machtungleichgewicht zwischen den Geschlechtern. Die Frauen- und Geschlechterforschung stellte den Körper und dessen sozialen Status von Anfang an ins Zentrum der Aufmerksamkeit, da die gängigen Geschlechtskategorisierungen stets aufgrund der biologischen Körperlichkeit von Individuen vorgenommen wurden (vgl. Görtler 2012: 10). Dass Schönheit mehr mit Weiblichkeit als mit Männlichkeit assoziiert wird – was gleichzeitig Bevorzugung wie Benachteiligung hervorrufen kann – war immer etablierter Ausgangspunkt der Forschung. Deshalb konzentriert sich die entsprechende Forschung überwiegend auf den weiblichen Körper und thematisiert diesen verstärkt hinsichtlich der Belastungen, Benachteiligungen und Einengungen durch Schönheitsdruck für Frauen. (Vgl. Raab/Soeffner 2005: 174)
Weibliche Körpernormierungenund körperlicheKonsequenzendurch den Druck von Schönheitsidealen sind dementsprechend ein umfassend erforschtes Feld (u. A. Posch 2009, Penz 2010, Görtler 2012). Das Thema der gesellschaftsrelevantenBedeutungvon Körperlichkeit im alltäglichen Miteinander stellt in der Soziologie allerdings, im Verhältnis zu ihrer Geschichte, ein neues und wenig erforschtes Gebiet dar (vgl. Koppetsch 2000: 10).
Die Materialgrundlage der Arbeit besteht insbesondere aus Literatur von Robert Gugutzer (2006 und 2013) zu Aspekten der Körpersoziologie; aus Literatur von Nina Degele (2004), Otto Penz (2001 und 2010), Susie Orbach (2011), Sarah Dangendorf (2012) und Waltraud Posch (1999 und 2009) hinsichtlich der Soziologie der (weiblichen)Schönheit und des (weiblichen)Körpers; aus Literatur von Birgit Görtler (2012) und Pierre Bourdieu (1982) insbesondere zu Aspekten des Körpers als Kategorie sozialer Ungleichheit.
Die Leitfrage „Inwiefern unterliegen insbesondere Frauen und der Frauenkörper dem gegenwärtigen Schönheitsideal der westlichen Welt?“ findet im Folgenden nähere Betrachtung, indem die BegriffeSchönheit,Ideal,Schönheitsidealund die Formulierung „unterliegen“ in der angegebenen Reihenfolge erläutert werden.
Was unter einemSchönheitsidealverstanden wird, ist abhängig von der jeweiligen Wissenschaft, denn der BegriffSchönheitselbst gehört zu den „gleichermaßen umstrittenen wie unhintergehbaren Begriffen der europäischen Kultur“ (Liessmann 2010: 7).
Um zu erläutern, welches Verständnis von Schönheitsideal dieser Arbeit zu Grunde liegt, gilt zunächst zu fragen: Was istSchönheit?
Die Beantwortung dieser Frage ist komplex, der Begriff entzieht sich (glücklicherweise, wie ich meine) einer wissenschaftlich korrekten und unumstrittenen Definition (vgl. u. A. Degele 2004: 10; Posch 2009: 21). Schönheit hat allerdings einen eindeutigen Gegenpol: die Hässlichkeit und wird durch diesen relational definiert. Aus sozialwissenschaftlicher Sicht, stehen die Begriffe in einem Spannungsbogen, der sich historisch und auch innerhalb einzelner Biographien immer wieder ändern kann (vgl. Posch 2009: 21). Naturwissenschaftliche, meist soziobiologisch und evolutionstheoretisch ausgerichtete Schönheitsforscher/innen sind diesbezüglich anderer Meinung. Insbesondere hinsichtlich der Gesichtsschönheit geht man hier häufig von einer angeborenen Vorliebe für die immer gleichen, als zeitlos, universell und überkulturell ästhetisch geltenden Schönheitsmerkmalen aus (zB. der goldene Schnitt, die Makellosigkeit der Haut, Proportioniertheit) (vgl. Dangendorf 2012: 52f.). Aus soziologischer Sicht muss man kritisch auf die kulturelle Variabilität von Schönheit und Hässlichkeit verweisen.[2]Insbesondere Schönheitsideale des Körpers, welche der Gegenstand dieser Arbeit sind, gelten historisch gesehen als sehr wandlungsfähig, da es diesbezüglich schon viele verschiedene Varianten im Laufe der Geschichte gab (vgl. Degele 2004: 11).
Ein ‚Mittelweg‘ könnte folgende Möglichkeit sein: Posch (2009: 21) konstatiert, Schönheit sei nicht ausschließlich subjektiv (vor allem die Gesichtsproportionen betreffend), aber auch keine rein objektive Größe (vor allem die Figur betreffend).
Der Begriff der Schönheit ist zwar nicht eindeutig zu definieren, eindeutig ist aus sozialwissenschaftlicher Sicht jedoch, wovon die Bezeichnung abhängt: Was man als schön empfindet, ist stark von der jeweiligenZeitepocheund demkulturellen Kontextabhängig (vgl. Görtler 2012: 13): Die fragile, blasshäutige Schönheit der bürgerlichen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts hebt sich deutlich vom athletischen, sonnengebräunten Ideal der Spätmoderne ab (vgl. Penz 2010: 13). Noch in den 50er- Jahren herrschte ein weibliches Körperideal mit vielen Rundungen und üppigen Hüften. Gemeinhin eher unbekannt, würde Marylin Monroe, das Sexsymbol und der Inbegriff der Schönheit ihrer Zeit, mit Kleidergröße 40/42 in der westlichen Welt heute als mollig gelten (vgl. Merta 2008: 380, Posch 1999: 41).
Die Bezeichnung ‚schön‘ hängt neben der Zeitepoche auch von der jeweiligen Kultur und ihren äußeren Lebensbedingungen ab. Im Niger werden junge Frauen während ihrer Verlobungszeit von ihrer Familie „zwangsgemästet, um bei der Hochzeit nicht nur dick, sondern richtig fett zu sein, um für den Ehemann eine ‚gute Partie‘ darzustellen.“ (Kilanowski 1999: 18). In vielen afrikanischen und asiatischen Gesellschaften, in denen Menschen Hunger leiden und eine niedrige Lebenserwartung haben, wird besonders das Alter und die Korpulenz verehrt (vgl. u. A. Posch 2009: 25). Korpulenz steht für Gesundheit und Wohlstand, bei Frauen zusätzlich für Fruchtbarkeit. Menschen „mit schlohweißem Haar grenzen ans Exotische“(Posch 1999: 14) und symbolisieren Weisheit und Lebenserfahrung.
Hier wird die Bedeutung des BegriffesIdealverständlich. Abgeleitet vom griechischen Wort „Idea“(= Vorstellung, Idee) wird ein Ideal definiert als „Inbegriff der Vollkommenheit“, des „Mustergültigen“, als „höchster Wert angestrebtes Ziel“ (Brockhaus Universal Lexikon 2003: 3199). Per Definition ist ein Ideal also etwas Exklusives und schwer Erreichbares. Etwas, das nicht durchschnittlich, sondern herausragend und nicht für jeden Menschen zugänglich ist (vgl. Posch 2009: 24ff.). Wie im dritten und fünften Kapitel erläutert wird, ist das derzeitige Schönheitsideal häufig nicht nur schwer erreichbar, sondern oft unerreichbar und illusorisch. Im bourdieuschen Sinne fungiert ein Ideal also als Aus- und Abgrenzungsmechanismus: Wenn alle Menschen ein Ideal erreichen könnten, wäre es nicht mehr erstrebenswert und es würde sich wandeln. „Wenn jede Frau den perfekten Busen, jeder Mann seinen Waschbrettbauch hat, dann wird das gewöhnlich sein. Das Schöne […] wird in neuer Form erscheinen.“ (Trapp 2001: 74)
Zusammengenommen ist ein Schönheitsideal, sozialwissenschaftlich betrachtet, also die zeitepochen- und kulturspezifische weitgehende Übereinkunft darüber, was als schön und erstrebenswert gilt, insbesondere deshalb, weil es schwer zu erreichen ist und einen gewissen Seltenheitswert beinhaltet.
Wie wird diese Übereinkunft geprägt? In einer Mediengesellschaft wie die westliche, sind es die Massenmedien, die die Definitionsmacht über ‚schön‘ und ‚nicht-schön‘ innehaben (vgl. Gugutzer 2007: 5). Wichtig anzumerken ist, dass es sich hierbei, in Anlehnung an die Unterscheidung von Koppetsch (vgl. 2000: 107), nicht um innere Schönheit, Ausstrahlung oder Authentizität handelt, sondern um die in der vorliegenden Arbeit relevante, rein bildhafte und äußere Erscheinung. Anhand des letzten Unterkapitels der Arbeit wird deutlich, dass diese Definitionsmacht über äußerliche Schönheit vonwestlichenMassenmedien geprägt ist und eine internationale Allgemeingültigkeit voraussetzt.
Äußerliche (Körper-)Schönheit variiert unabhängig von Zeit und Kultur auch nach individuellem Geschmack (vgl. Görtler 2012: 13). Allerdings wird der individuelle Geschmack in größerem Maße als gemeinhin angenommen, von den jeweils geltenden medial produzierten und durch eigenes Schönheitshandeln reproduzierten Schönheitsidealen unbewusst beeinflusst. Deshalb kann in vielen Facetten von einem nur scheinbar eigenen Empfinden gesprochen werden (vgl. Posch 2009: 164ff.).
Wird in dieser Arbeit der Begriff Schönheitsideal verwendet, ist damit nach Nina Degele (2004) die westliche „massenmedial produzierte und im Alltag relevante Auffassung darüber, was Schönheit als hegemoniale Norm im medial-öffentlichen Diskurs ist oder sein soll“ (ebd.: 11) gemeint.
Hat sich ein Ideal einmal etabliert, so wissen die Menschen einer jeweiligen Kultur und Zeitepoche recht übereinstimmend, was schön ist und was nicht (vgl. Deuser et. al. 1995: 36f). Inwiefern man diese Vorstellungen übernimmt, sie einen beeinflussen oder man sich von ihnen abgrenzt, ist individuell unterschiedlich und wird im Folgenden nähere Betrachtung finden.
Eine Grundannahme der vorliegenden Arbeit lautet mit Bezug auf Posch (2009: 167f.), dass jeder Mensch teils bewusst, teils unbewusst die Schönheitsideale seiner Zeit internalisiert und ihnen mehr oder weniger ‚unterliegt‘. In Gesellschaften wie den westlichen, die von Individualität, Autonomie und Authentizität[3]geprägt sind, würden diese Normen und Zwänge lediglich weniger als von außen kommend wahrgenommen und tendenziell als die eigenen, autonomen Wünsche interpretiert werden (vgl. ebd.: 167f.). Foucault merkt in seinem Werk „Überwachen und Strafen“ (1976)in diesem Zusammenhang an, dass gesellschaftliche Verbote und Gebote bezüglich des Körpers sogar umso stärker wirken, je stärker sie internalisiert sind und nicht als von außen aufgezwungen wahrgenommen werden (vgl. Foucault 1994: 392f.).
Durch Werbung, Medien und Kommunikation wird eine Gesellschaft von Schönheitsidealen beeinflusst, diese werden einverleibt und sowohl individuell als auch kollektiv reproduziert (vgl. Filter/Reich 2012). In welchem Maße man diesen Idealen unterliegt, ihnen Bedeutung beimisst, nachzukommen versucht und negative Konsequenzen davon trägt, ist individuell wie geschlechts- und milieu- und altersspezifisch unterschiedlich (vgl. u. A. Bourdieu 1982). Gegenstand dieser Arbeit ist der geschlechtsspezifische Schönheitsdruck und folglich das geschlechtsspezifische ‚Unterliegen‘, wobei hinsichtlich der Gruppe der Frauen – im Bewusstsein aller Komplexitätsreduktion - nicht individuell und milieuspezifisch unterschieden werden kann.
Wie erwähnt, weiß die jeweilige Zeitepoche recht übereinstimmend, was als ‚schön‘ gilt und was nicht (vgl. Deuser et. al.: 1995: 36f). Das somit eindeutig beschreibbare, gegenwärtige Schönheitsideal der westlichen Welt soll Thema des folgenden Teils der Arbeit sein.
Die themenrelevante Literatur hält übereinstimmend fest, dass die drei wichtigen westlichen Schönheitskriterien des Körpers Schlankheit, Fitness und Jugendlichkeit sind, welche zusammengenommen ‚Sexyness‘ symbolisieren (vgl. u. A. Degele 2004, Penz 2010, Posch 2009, Görtler 2012).
Penz (2010: 36) merkt außerdem an, dass diese Schönheitskriterien im bourdieuschen Sinne vor allen Dingen die Maßstäbe der gehobenen Klasse sind, die jedoch Allgemeingültigkeit beanspruchen. Sie repräsentieren den ‚guten Geschmack‘ und sind gerade deshalb begehrenswert, da sie sich von ‚niederen Geschmäckern‘ abgrenzen können.
Im Folgenden wird jedes Schönheitskriterium vorrangig für den weiblichen Körper erläutert und dahingehend analysiert, inwiefern es diesen normiert und formt. Um die Kluft zwischen Ideal und Realität aufzuzeigen, werden Körpermaße von durchschnittlichen deutschen Frauen und Männern als Repräsentanten der westlich-zivilisierten Bevölkerung herangezogen. Abschließend wird das Körperkonzept jeweils in den gesellschaftlichen Kontext gestellt und somit verständlich gemacht.
Während im vergangenen Europa, wie in der Barockzeit, aber auch in den 30er/40ern und noch in den 50er-Jahren des 20. Jahrhunderts runde, fülligere Frauenkörper als schön galten, liegen heute dünne Frauenkörper im Trend. Seit den 60er Jahren, in denen das magere Model ‚Twiggy‘[4]Marilyn Monroe als Schönheitsikone ablöste, hat sich ein immer dünneres Schlankheitsideal für Frauen herausgebildet. Das Schönheitsideal entsprach in der Geschichte noch nie einem so dünnen Körperbau wie heute: Die ‚Traummaße‘ betragen die Körpermaße 90-60-90 (Brust, Taille, Hüfte in Zentimetern), eine Körpergröße zwischen 1,70 und 1,80 cm, bei einem Gewicht, zwischen 50 und 60 kg. (Vgl. Posch 2009: 86 ff., Marta 2008)
Neben einem extremschlankenKörper entspricht dem gegenwärtigen weiblichen Ideal auch einschlauchförmigerKörper, der „tubular body“: Hoch gewachsen, lange Beine, wenige bis keine Kurven und kantig. Üppige, weibliche Rundungen entsprechen heute immer weniger dem Trend. Schlanke Oberschenkel (keine „Reiterhosen“) und ein flacher Bauch gelten als schön. Eine Ausnahme bildet der Busen, der gemäß dem Ideal als einziges weibliches Körpermerkmal üppig ist. (Vgl. Posch 1999: 70)
Obwohl weniger eng gefasst, sind die Schönheitsnormen für Männer ebenfalls durch einen schlanken, großen und muskulösen Körperbau (insbesondere Oberkörper und Bauch), einen straffen Hintern und einen zunehmend brust- und rückenhaarlosen Körper definiert. Eine vergleichbare exakte Idealformel für Körpermaße wie ‚100-85-100‘ existiert jedoch nicht (vgl. Posch 2009: 86). Das bedeutet, es existiert auch ein recht umfassendes Schönheitsideal für Mannes; das Frauenideal unterliegt aber einer stärkeren Restriktion und exakteren Angaben.
Die Maße 90-60-90 entsprechen, entgegen einer vermutlich weit verbreiteten Auffassung, nicht denen eines wohlgeformten oder gesunden Körpers: Posch (2009: 86ff.) arbeitet heraus, dass der gewünschte Taillenumfang von 60cm bei erwachsenen Frauen dem eines vierjährigen Kindes gleicht: Im Durchschnitt beträgt der Taillenumfang von vierjährigen Kindern 59 cm, für fünfjährige 61 cm, wie Maßtabellen für Kleinkindkleidung[5]zeigen. Weiterhin gleicht der Hüftumfang von 90cm laut des deutschen Kinder- und Jugendgesundheitssurveys (KiGGS[6]) durchschnittlich dem 13- Jähriger Mädchen in Deutschland. Schon 14-Jährige Mädchen liegen mit durchschnittlich 92,6 cm und 17- jährige Mädchen mit durchschnittlich 96,4 cm über dem Ideal erwachsener Frauen.
Auch die ideale Körpergröße weicht stark von der Realität ab und gleicht nicht der durchschnittlichen deutschen Frau, sondern dem durchschnittlichen deutschen Mann: Nach Messungen der vomBundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutzin Auftrag gegebenen repräsentativenNationalen VerzehrsstudieIIwar der deutsche Durchschnittsmann in den Jahren 2005 bis 2007 1,77 m groß. Die durchschnittliche deutsche Frau war in diesem Zeitraum dagegen 1,63 m groß (vgl. Max Rubner-Institut 2008: 77f.).
[...]
[1]Penz (2010) bezieht sich mit dem Begriff ‚Klasse‘ auf Bourdieu, der sie als Gruppe mit ähnlichen Lebensbedingungen und vergleichbarem Habitus versteht. Der Begriff Klasse ist in den Geisteswissenschaften jedoch eher dem Begriff des Milieus gewichen, da dieser neben vertikalen Gesellschaftspositionen (Einkommen, sozialer Status) auch horizontale (Einstellung, Lebensstil) mit einbezieht und so eine komplexere Wirklichkeit abbildet. (vgl. u. A. Dangendorf 2012: 53f.).
[2]Noch nachvollziehbarer wird die Kritik, wenn man wie Degele (2004: 12) weiter darauf verweist, dass (natur-)wissenschaftliche Definitionen von Schönheitsnormen von Beginn an rassistisch und sexistisch geprägt waren. Auch heute würde somit noch zu Hauf Ausschluss und Benachteiligung stattfinden.
[3]Zur Individualisierung in modernen Gesellschaften vgl. u. A. Beck/Beck- Gernsheim(1994), Bauman (1997), Kron/Jörges (2008)
[4]‚Twiggy‘, *1949 London, geb. Lesley Hornby war das erste international bekannte Topmodel aus den 60er-Jahren. Sie erhielt den Spitznamen ‚Twigs‘ (Zweiglein) aufgrund ihrer extrem dünnen Figur mit den Maßen 78-55-80 bei Karrierestart (vgl. Schneeberger 2010: 1).
[5]vgl. KinderkatalogeJAKO-O2008/2009,baby-walz2008/2009
[6]vgl. Stolzenberg/ Kahl/ Bergmann 2007, S. 664