Bachelorarbeit, 2016
45 Seiten, Note: 1,7
1 Einleitung
2 Familien mit Kindern im Vorschulalter
2.1 Begriffsbestimmung Familie
2.2 Lebensformen und Lebenslagen von Familien
2.3 Notwendigkeit der Unterstützung von Familien
3 Familienzentren als institutionelle Weiterentwicklung von Kindertageseinrichtungen
3.1 Begriffsbestimmung Familienzentrum
3.2 „Early Excellence“ Ansatz
3.3 Mögliche Angebotsgestaltung eines Familienzentrums
4 Implementierung von Familienzentren in NRW
4.1 Zielsetzungen des Programms „Familienzentrum NRW“
4.2 Rechtliche Grundlagen und Finanzierung
4.3 Organisationsformen der Familienzentren
4.4 Gütesiegel „Familienzentrum NRW“
5 Realisierung der Zielsetzungen und Auswirkung auf die Akteure
5.1 Aus Perspektive der Fachkräfte
5.2 Aus Perspektive der Eltern
6 Fazit und Ausblick
Literaturverzeichnis
„Nordrhein-Westfalen soll zum kinder- und familienfreundlichsten Land in Deutschland werden“ (MFGGI 2009). So verkündete im Jahre 2009 Armin Laschet, der damalige Minister für Generationen, Familie, Frauen und Integration NRW das ehrgeizige Ziel der Landesregierung. Entscheidend für diese neuen Zukunftsperspektiven für Kinder und Eltern sollten die Entwicklung von Kindertageseinrichtungen zu Familienzentren und das flächendeckende Einrichten von Familienzentren im gesamten Bundesland werden (vgl. ebd., S. 4).
Die vorliegende Arbeit thematisiert die institutionelle Weiterentwicklung von Tageseinrichtungen für Kinder und beschäftigt sich mit den Fragen: Was sind Familienzentren? Welche Zielsetzungen werden dabei verfolgt und wie wurden diese in die Tat umgesetzt? Welche Auswirkungen hat die flächendeckende Implementierung von Familienzentren in Nordrhein-Westfalen auf die Familien und Fachkräfte?
Kapitel zwei und drei stellen den theoretischen Einstieg in die Thematik dar. Eine nähere Auseinandersetzung mit dem Begriff „Familienzentrum“ sowie mit dem pädagogischen Konzept „Early Excellence“ erfolgt im dritten Kapitel. Darauf aufbauend wird die mögliche Angebotsausgestaltung im Familienzentrum am Beispiel von drei Bundesländern beschrieben.
Das vierte Kapitel beschäftigt sich mit den Zielsetzungen sowie konkreten Rahmenbedingungen für die Weiterentwicklung von Kindertageseinrichtungen am Beispiel der Familienzentren in Nordrhein-Westfalen.
Abschließend werden in Kapitel fünf die Entwicklung von Angeboten in Familienzentren sowie die Auswirkungen auf Familien und Fachkräfte anhand von Ergebnissen der wissenschaftlichen Begleitung des Programms in der Pilotphase sowie empirischen Untersuchungen aus den Jahren 2011 und 2014 umfasst.
Dieses Kapitel beschäftigt sich mit dem Begriff „Familie“ unter Berücksichtigung von verschiedenen fachlichen Aspekten. Darauf aufbauend werden Lebensformen und Lebenslagen von Familien dargestellt und die Notwendigkeit der Förderung und Unterstützung von Kindern und ihren Familien begründet.
Der Familienbegriff lässt sich nicht eindeutig bestimmen. Allgemein wird unter dem Begriff „Familie“ sowohl eine dauerhafte Lebensgemeinschaft, die aus einem Elternpaar oder einem Elternteil mit mindestens einem Kind besteht, als auch eine Gruppe aller miteinander verwandten Personen verstanden[1]. Hingegen gibt es in der aktuellen fachlichen und wissenschaftlichen Diskussion unterschiedliche Auffassungen des Familienbegriffes, die im Folgenden kurz dargestellt werden sollen.
Rechtlicher Familienbegriff
Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung (Art. 6 Abs. 1 Grundgesetz). Dennoch gibt es im deutschen Rechtssystem keine eindeutige gesetzliche Definition des Familienbegriffs. Eine allgemeingültige und verbindliche Begriffsbestimmung der Familie ist weder in der Verfassung noch in den nachgeordneten Gesetzen zu finden (vgl. Marx 2014, S. 18). Somit akzeptiert der Gesetzgeber die Familie als soziales Phänomen in seinen sämtlichen gesellschaftlichen Erscheinungsformen und will für sich die Möglichkeit offen halten, den Begriff „Familie“ in den einzelnen Normen unterschiedlich anzuwenden. Im Regelfall aber liegt dem juristischen Familienbegriff eine Ehe als rechtlich anerkannte Lebensgemeinschaft von Mann und Frau im Sinne des §1353 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) zugrunde (ebd.).
Soziologischer Familienbegriff
Im soziologischen Kontext bezieht sich die Definition des Familienbegriffs auf zwei Aspekte: Auf der Mikroebene der Gesellschaft wird jede einzelne Familie als eine besondere Form einer sozialen Gruppe verstanden, auf der Makroebene dagegen als eine Institution der Gesellschaft (vgl. Huinink/ Konietzka 2007, S. 25f). Familie als soziale Einheit soll aufgrund ihres biologisch-sozialen Doppelcharakters „die Funktion der Sicherung des Fortbestandes der Gesellschaft durch Zeugung von Nachwuchs und die Sorge um Kinder“ (Gerlach 2010, S. 42) erfüllen.
Rüdiger Peuckert (2007), einer der bedeutenden Familiensoziologen im deutschsprachigen Raum, definiert Familie als eine „Lebensform, die mindestens ein Kind und ein Elternteil umfasst und einen dauerhaften und im Inneren durch Solidarität und persönliche Verbundenheit charakterisierten Zusammenhang aufweist“ (Peuckert 2007., S. 36).
Psychologischer Familienbegriff
Bei dem psychologischen Familienbegriff stehen die familiale Beziehungen, Bindung und Verbundenheit der Familienmitglieder im Vordergrund (vgl. Jungbauer 2014, S. 14f). Diese Sichtweise impliziert dennoch einen sehr breiten Familienbegriff, der eine beträchtliche Vielfalt von Beziehungskonstellationen, die als Familie gelten können, einschließt. Es wird in Anlehnung an soziologische Konzepte angenommen, dass die erlebte Intimität und das Vorhandensein von Eltern-Kind-Beziehungen eine wesentliche Grundlage von Familie im familienpsychologischen Kontext bilden (ebd.).
Statistischer Familienbegriff
Der statistische Familienbegriff bezieht sich auf alle Eltern-Kind-Gemeinschaften: Ehepaare und alleinerziehende Mütter und Väter sowie nichteheliche und gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften mit ledigen Kindern, die in einem Haushalt zusammenleben. Dabei werden alle unverheirateten leiblichen, Stief-, Pflege- oder Adoptivkinder ohne Altersbegrenzung berücksichtigt (vgl. Statistisches Bundesamt 2012, S. 8). Nach dem Lebensformenkonzept des Mikrozensus ist für den Begriff „Familie“ nicht die Paarbeziehung, sondern die Elternschaft ausschlaggebend. Demzufolge besteht eine statistische Familie immer aus zwei Generationen (vgl. Statistisches Bundesamt 2012, S. 8).
In Zeiten zunehmender Individualisierung und Pluralisierung von Lebensformen und sozialen Milieus lebt die Familie einen raschen Wandel durch. Aufgrund von gesellschaftlichen Veränderungen sind derzeitige Familienformen sehr vielfältig und uneinheitlich (vgl. Stange/Krüger/Henschel 2013, S.54). Seit den letzten Jahrzehnten sind folgende verschiedene Struktur- und Organisationsformen des privaten Lebens entstanden (im Wesentlichen nach Peuckert, 2007):
- Einzelpersonenhaushalte
- kinderlose Ehen
- nichteheliche Lebensgemeinschaften mit und ohne Kindern
- Ein-Eltern-Familien
- Fortsetzungs- und Patchworkfamilien
- Adoptivfamilien
- gleichgeschlechtliche Partnerschaften mit und ohne Kindern
- drei- und Mehrgenerationenhaushalte (vgl. Peuckert 2007, S. 40ff).
Dennoch ist Familie im familienpolitischen Kontext „dort, wo Menschen verschiedener Generationen dauerhaft füreinander Verantwortung übernehmen, füreinander einstehen und gegenseitige Fürsorge leisten“ (vgl. BFSFJ 2014, S. 12). Der überwiegende Anteil der Bevölkerung sieht die Familie dort, „wo auch Kinder sind – unabhängig von der Lebensform der Eltern“ (ebd.).
Laut Datenreport des Statistischen Bundesamtes (vgl. bpb 2016, S. 51) lebten im Jahr 2014 in Deutschland knapp 8,1 Millionen Familien mit minderjährigen Kindern. Etwa ein Drittel aller Kinder waren im Vorschulalter (ebd., S. 54). Der Anteil von traditionellen Familien hat sich seit 2004 um 17% reduziert (ebd., S. 51). Die Anzahl der nichtehelichen Lebensgemeinschaften und der Ein-Eltern-Familien ist dagegen gestiegen und machte im Jahr 2014 jeweils 10% bzw. 20% aller Familien mit minderjährigen Kindern aus (vgl. bpb 2016, S. 54). Rund 50% der Kinder in nichtehelichen Lebensgemeinschaften und etwa ein Viertel der Kinder in Ein-Eltern-Familie waren 2014 im Vorschulalter (ebd.).
Immer mehr Kinder erfahren die Pluralität des Aufwachsens in verschiedenen Familienstrukturen. Kinder aus Trennungsfamilien erleben aufgrund von Trennung, Scheidung oder Wiederverheiratung der Eltern mehr Übergänge von der einen Familienform in die andere und wachsen häufiger in Fortsetzungsfamilien oder auch zeitgleich in verschiedenen Haushalten auf (vgl. Jurczyk/ Klinkhardt 2014, S. 7).
Im Laufe der letzten Jahrzehnte veränderten sich jedoch nicht nur die Lebensformen, sondern auch die Arbeitsverhältnisse der Eltern. Zeitliche Flexibilität und räumliche Mobilität nehmen zu und erschweren die Vereinbarung des Berufs- und Familienlebens (ebd., S. 31). Dabei arbeiten immer mehr Menschen, vor allem erwerbstätige Mütter, in atypischen Arbeitsverhältnissen wie Teilzeit, Minijobs, Leiharbeit oder in befristeten Beschäftigungen. Die Quote der Frauen im Niedriglohnbereich nimmt stetig zu. 2014 waren zwei Drittel aller Frauen in geringfügig entlohnten Beschäftigungen tätig (vgl. Bundesagentur für Arbeit 2015, S. 12). Die Tatsache, dass bei Frauen ab einem Alter von etwa dreißig Jahren die Teilzeitquote deutlich ansteigt und gegen Ende des dreißigsten Lebensjahres sogar ein Niveau von über fünfzig Prozent erreicht, fällt offensichtlich mit der Phase der Familiengründung zusammen (ebd.).
Einkommensarmut ist zunehmend auch ein Belastungsfaktor für die Familien. Die Studie „Kinder- und Familienarmut“ (vgl. Tophoven/Wenzig/ Lietzmann 2015) des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung zeigt, dass insbesondere Familien mit minderjährigen Kindern von Armut und ihren Folgen betroffen sind. 2013 wuchs jedes vierte Kind in einer einkommensschwachen Familie oder in einer Familie, die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Sozialgesetzbuch bezog, auf (ebd., S. 6).
Angelika Diller wies bereits 2005 in ihrem Grundlagenbericht (vgl. Diller 2005, S.6) darauf hin, dass bei Müttern und Vätern aus allen Sozial- und Bildungsschichten die Erziehungsunsicherheit aufgrund von beschleunigtem Werteverfall und gesellschaftlichen Wandel zunimmt. Die Studie „Eltern unter Druck“ von Merkle und Wippermann zeigte 2008, dass Eltern einem enormen und vielseitigen Druck ausgesetzt sind (vgl. Merkle/ Wippermann 2008, S. 9ff und 14). Zum einen fühlen sich viele Elternteile durch den Zeit-, Organisations- und Leistungsdruck im Alltag gestresst, zum anderen geraten sie immer mehr in den Fokus der Gesellschaft und Politik und stehen den teilweise nicht eindeutigen Erwartungen an eine „gute Elternschaft“ gegenüber (ebd.). Die Zusammenfügung von Belastungsfaktoren wie Wandel der Lebensformen, veränderte Arbeitsverhältnisse, gestiegene Flexibilitäts- und Mobilitätserwartungen an die Arbeitnehmer/innen, sinkende Einkommen und erhöhte Bildungsansprüche verunsichert und überfordert immer mehr Familien mit Kindern (vgl. Jurczyk/ Klinkhardt 2014, S. 31). Familien mit Kleinkindern sind zudem durch die Doppelbelastung hinsichtlich Erwerbs- und Familienarbeit besonders herausgefordert. Da vielerorts mangelhafte Betreuungsinfrastruktur und Arbeitsbedingungen herrschen, die die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erschweren, brauchen Mütter und Väter mehr Unterstützung, um beiden Lebensbereichen, der Familie und dem Beruf, gerecht zu werden (vgl. Bujard/ Panova, 2016, S. 19).
Dennoch bleibt Familie nach wie vor eine wichtige Instanz für Sozialisation, Aufwachsen und Wohlergehen von Kindern (vgl. Stange/ Krüger/Henschel 2013, S. 54). Damit Bindung, Fürsorge und Erziehung funktionieren, müssen den Familien die entsprechenden finanziellen und zeitlichen Ressourcen zur Verfügung stehen. Dies erfordert strukturelle Veränderungen und ganzheitliche Konzepte zur Unterstützung von Familien (ebd., S.55).
In diesem Kapitel wird zunächst der Begriff „Familienzentrum“ definiert. Darauf folgend wird auf das zugrundeliegende pädagogische Konzept „Early Excellence“ eingegangen. Anschließend werden die möglichen Unterschiede in der Angebotsgestaltung eines Familienzentrums hinsichtlich Zielgruppen- und Sozialraumorientierung am Beispiel von drei ausgewählten Bundesländern dargestellt.
Der Begriff „Familienzentrum“ ist nicht eindeutig. Diese Bezeichnung kann für sehr unterschiedliche Einrichtungsprofile stehen, z. B. für Familienbildungsstätten, Mütterzentren oder Mehrgenerationenhäuser (vgl. Diller 2015, S. 87). Seit etwa einem Jahrzehnt wird der Begriff „Familienzentrum“ jedoch verstärkt für Kindertageseinrichtungen mit erweiterter Angebotsstruktur für Kinder und deren Familien benutzt. Die institutionelle Weiterentwicklung von Kitas steht im Zusammenhang mit aktuellen familienpolitischen Diskussionen. Im Hinblick auf die neuen Herausforderungen für viele Familien entspricht das bestehende Angebot der klassischen Kindertageseinrichtungen den veränderten Bedarfen von Kinder und Eltern nicht mehr. Der Ausbau von bedarfsorientierten, integrierten Angeboten soll Kinder fördern, ihre Eltern unterstützten und entlasten sowie eine verbesserte soziale Infrastruktur entstehen lassen, die Risiken für Familien mindert. Die bedarfsgerechten und niederschwelligen Zugänge für die Familien werden durch die Verknüpfung von Angeboten der Familienbildung, -unterstützung und -förderung geschaffen (ebd.).
Inzwischen gibt es bundesweit viele verschiedene Einrichtungsprofile, die sich an den Lebenslagen der Familien aus dem Einzugsgebiet orientieren (vgl. Diller 2011, S. 297). Ein umfängliches Unterstützungssystem kann durch den Anschluss an zusätzliche regionale Angebote sowie durch die Verknüpfung mit den lokalen Strukturen aufgebaut werden. Dadurch werden sowohl Familien gefördert als auch aktivierende Impulse im Gemeinwesen gesetzt (ebd.).
Die institutionelle Weiterentwicklung von Kindertageseinrichtungen in der Praxis begann zugleich in verschiedenen Regionen. Dadurch entstanden die vielen unterschiedlichen Bezeichnungen dafür, zum Beispiel „Kinder-Eltern-Zentren“, „Early-Excellence-Centres“, „Elternkompetenzzentren“ oder „Kinder- und Familienzentren“. Obwohl es keine verbindliche Definition dafür gibt, was ein Familienzentrum ausmacht, setzte sich im Laufe der Jahre diese Bezeichnung durch. Freilich können sich auch familienbildende und -unterstützende Institutionen wie Mütter- oder Nachbarschaftszentren „Familienzentren“ nennen, diese Einrichtungen arbeiten jedoch unter anderen strukturellen, finanziellen und personellen Voraussetzungen als eine Kindertageseinrichtung (vgl. Diller/Schelle 2013, S. 6).
Stephan Maykus (2008) definiert das Familienzentrum als eine „Kindertagesstätte, die […] über die gängigen Angebote der Tagesbetreuung Möglichkeiten der Unterstützung von Familien“ (vgl. Maykus 2008, S. 84) anbietet. Die bestmögliche individuelle Förderung des Kindes sowie Hilfe und Beratung für die Familie in den unterschiedlichen Lebenslagen sind dabei von zentraler Bedeutung. Die wesentlichen Leistungsbereiche eines Familienzentrums sind neben der Tagespflege: Familienbildung, Beratung und Unterstützung von Familien und Kindern, Einbeziehung der Eltern in den institutionellen Erziehungsprozess sowie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf (ebd.).
2004 gab das Bundesfamilienministerium beim Deutschen Jugendinstitut die Studie „Häuser für Kinder und Familien“ (Diller 2005) in Auftrag. Zum einen wollte man bundesweit nach Tageseinrichtungen suchen, die über die Betreuung, Erziehung und Bildung der Kinder hinaus weitere familienorientierte Angebote und Dienste integrierten (vgl. Diller 2005, S. 2). Zum anderen sollten Einrichtungen wie beispielweise Mütterzentren, die den Familien ein umfangreiches kulturelles, soziales bzw. familienbildendes Angebot zur Verfügung stellen, untersucht werden. Die Zielsetzung war es, bundesweit Standorte zu entdecken, an denen Kinder und deren Familien niedrigschwellige bedarfsorientierte Angebote aus einer Hand erhalten. Außerdem sollten diese Angebote über die Leistungen einer normalen Einrichtung hinausgehen (vgl. Diller 2005, S. 2). Als Vorbild für die Forschung diente die „Early Excellence“ Idee. „Early Excellence Centres“ entstanden im Jahr 1997 in England über ein Pilotprogramm der Regierung mit dem Ziel, Familien „mit Angeboten aus einer Hand“ (Stöbe-Blossey 2008, S. 196) zu unterstützen. Die Bezeichnung „Early Excellence“ heißt dabei nicht, dass es sich um die pädagogische Arbeit mit privilegierten bzw. hochbegabten Kindern handelt, sondern steht für eine individuelle, qualitativ hochwertige Förderung aller Kinder. Jedes Kind soll entsprechend seiner Ausgangsvoraussetzungen und Möglichkeiten sowie unabhängig von seinem Geschlecht, seinem kulturellen bzw. sozialen Hintergrund und anderen persönlichen Merkmalen gefördert werden (vgl. Hebenstreit-Müller 2008, S. 239).
Im Jahre 2000 führte das Pestalozzi-Fröbel-Haus zum ersten Mal in Deutschland das „Early Excellence“ Konzept im Kinder- und Familienzentrum Schillerstraße in Berlin und später auch in seinen anderen Einrichtungen ein (vgl. Schlevogt, 2012, S.6). Diesem Beispiel folgten zahlreiche Kindertageseinrichtungen im gesamten Bundesgebiet. Die Stiftungen Karl Kübel und Heide Dürr unterstützten aktiv die Entwicklung von Familienzentren an verschiedenen Standorten, um das „Early Excellence“ Konzept bundesweit zu verankern (ebd.). Allerdings gibt es einen wesentlichen Unterschied: Im Gegensatz zu den britischen „Early Excellence Centres“ sind derartige Einrichtungen in Deutschland nicht nur in Stadtteilen mit besonderem Erneuerungsbedarf, sondern auch in durchschnittlichen und gehobenen Wohngegenden erforderlich, „um eine ‚Kultur des Aufwachsens‘ und damit unmittelbar verknüpfte Familienleben zu unterstützen und attraktiv zu gestalten“ (Diller 2006, S.13).
Die elementar-pädagogische Arbeit nach dem „Early Excellence“ Konzept fußt auf drei Grundannahmen. Als Erstes gilt die Exzellenz-Vermutung: Jedes Kind ist einzigartig, verfügt über ein großes Potenzial an Begabungen und kann etwas Einzigartiges leisten. Es soll im Zentrum der Betrachtung stehen und durch individuelle Lernangebote unterstützt und gefördert werden. Zum Zweiten sind die Eltern die Experten sowie die ersten und wichtigsten Erzieher ihrer Kinder. Sie werden als geschätzte Partner gesehen und in die Bildungsprozesse der Kinder aktiv einbezogen (vgl. Lepenies 2008, S. 7). Schließlich öffnet sich die Tagesseinrichtung innerhalb des Einzugsgebiets nach außen und wird so zum Zentrum für die ganze Familie, das die ganzheitlichen Hilfsangebote mit Hinblick auf die kulturellen, sozialen sowie individuellen Situationen der Familien realisiert. Das „Early Excellence“ Konzept verknüpft frühkindliche Pädagogik, den Dialog mit den Eltern sowie die Vernetzung der Einrichtung im Sozialraum, um „das gemeinsame Ziel, Bildungs- und Teilhabechancen unabhängig von sozialer und kultureller Herkunft zu ermöglichen“ (Bode-Beck 2015, S. 146) zu erreichen.
In den letzten Jahren entstanden viele unterschiedliche Modelle von Einrichtungen, die Familie als Ganzes wahrnehmen und vielfältige Entlastungs- und Förderungsangebote für Kinder und ihre Familien im nahen Sozialraum sicherstellen (vgl. Jüttner 2010, S. 105).
Angelika Diller (2005) stellte im ersten Grundlagenbericht „Eltern-Kind-Zentren“ des Deutschen Jugendinstituts (DJI) über 120 Einrichtungen, welche die klassische Kinderbetreuung mit weiteren Angeboten für Familien kombinieren, als eine „neue Generation kinder- und familienfördernder Institutionen“ (Diller 2005) vor. Ein Jahr später wurden in den Grundlagen und Rechercheergebnissen des DJI (Diller 2006) die bedeutenden Merkmale, die ein Familienzentrum ausmachen, wie folgt zusammengefasst (im Wesentlichen nach Diller 2006, S. 67f):
- fachlich- pädagogische Konzeption für die Arbeit mit Kindern, welche sich nach den Lebenslagen der Kinder richtet, das systematische Beobachtungs- und Dokumentationsverfahren sowohl zur Entwicklungsförderung der Kinder als auch zur Information der Eltern über die Entwicklungsfortschritte ihrer Kinder anwendet und mithilfe eines Frühwarnsystems zur Qualitätssteigerung beiträgt;
- ein umfassendes Angebotsspektrum, das weiterführende Beratungen, Vermittlungen und Unterstützungen durch andere Institutionen, die Möglichkeit selbst organisierter Angebote sowie die frühzeitige Beteiligung der Eltern an den Bildungsprozessen der Kinder vorsieht;
- bedarfsorientierte Unterstützungsangebote zur Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit wie beispielweise angedockte Betreuungsangebote und flexiblere Öffnungszeiten;
- eine lokale Einbindung und Zusammenarbeit sowohl mit dem kommunalen Jugendhilfekonzept und mit den bestehenden Einrichtungen im Umfeld als auch die Beteiligung an lokalen Bündnissen und Kooperation mit den strategischen Partnern zum Beispiel aus der Wirtschaft und Kultur ;
- Qualitätsentwicklungskonzept, mit dem die Qualität der Arbeit in der Einrichtung entwickelt, gesichert und überprüft werden kann (vgl. Diller 2006, S. 67f).
Die tatsächliche Angebotsgestaltung und die bedarfsorientierten Schwerpunktsetzungen eines Familienzentrums unterscheiden sich teilweise sehr deutlich voneinander. Die Angebotspalette der Einrichtung soll sich nach den Lebenslagen der Eltern sowie nach den sozialräumlichen Gegebenheiten im Einzugsgebiet richten. Im Grundlagenbericht des DJI (vgl. Diller 2006, S. 31) wird dabei anhand von Praxisbeispielen zwischen drei unterschiedlichen Sozialraumkategorien unterschieden:
- Einrichtungen in einem Sozialraum mit „besonderem Erneuerungsbedarf“,
- Einrichtungen in einem „gemischten“ Sozialraum und
- Einrichtungen in einem „gut situierten“ Sozialraum (ebd., S. 31ff).
Nach Diller (2006) arbeiten die Einrichtungen in einem Sozialraum mit „besonderem Erneuerungsbedarf“ mit Familien, die spezifische Familienbildungs- und Unterstützungsangebote aufgrund von Arbeitslosigkeit, einer problematischen Familiensituation, beengten Wohnverhältnissen oder ähnlichen negativen Faktoren brauchen (vgl. Diller 2006, S. 31). Eltern aus dem „gemischten“ Sozialraum dagegen haben einen hohen Grad von Eigenständigkeit und Selbstorganisation. Für diese Gruppe der Eltern ist es entscheidend, dass sie bei der Auswahl der Angebote mitbestimmen können (ebd., S. 32f). Einrichtungen in einem „gut situierten“ Sozialraum arbeiten mit Eltern, die hohe berufliche Mobilität sowie einen hohen Sozial- und Bildungsstatus aufweisen. Sie bilden meist einen kleineren Teil der Elternschaft und haben ähnliche Ansprüche an die Partizipationsmöglichkeiten wie Eltern aus dem „gemischten“ Sozialraum. Diese Gruppe der Eltern ist insbesondere an einer erweiterten Angebotsstruktur der Einrichtung sowie an flexibleren Öffnungszeiten, die die Vereinbarkeit von Familien und Beruf ermöglichen, interessiert (ebd., S. 33).
Hinsichtlich Angebotsgestaltung und Schwerpunktsetzung in den Programmen zum Ausbau von Familienzentren gibt es bundesweit zum Teil große Unterschiede (vgl. Gesemann/ Schwarze/ Nentwig-Gesemann 2015, S.29). In einigen Bundesländern, Kommunen und Gemeinden wird die institutionelle Weiterentwicklung von Kindertageseinrichtungen zu Eltern-Kind- bzw. Familienzentren durch die Familienpolitik gezielt gefördert (vgl. Diller 2011, S. 297f). Die meisten Großstädte in Deutschland fördern in den letzten Jahren ebenfalls Projekte, welche die Kindertagesbetreuung mit den sozialraumorientierten und familienbildenden Angeboten kombinieren (vgl. Prigge/Böhme 2014, S. 237).
Besonders anspruchsvolle Förderungsprogramme zur Weiterentwicklung von Kindertageseinrichtungen zu Eltern-Kind- und Familienzentren wurden in Hamburg, Schleswig-Holstein und Nordrheinwestfalen ins Leben gerufen. In den beiden erstgenannten Ländern wurde mit dem Ausbau von Eltern-Kind- bzw. Familienzentren bereits in der Mitte des letzten Jahrzehnts begonnen, in Schleswig-Holstein dagegen erst in den letzten Jahren (vgl. Gesemann/Schwarze/Nentwig-Gesemann 2015, S. 29). Wie im Folgenden am Beispiel der drei oben genannten Bundesländer gezeigt wird, unterscheidet sich die jeweilige Angebotsstruktur hinsichtlich Zielgruppen- und Sozialraumorientierung deutlich.
Freie und Hansestadt Hamburg
Eltern-Kind-Zentren in Hamburg setzen die Prioritäten in den Bereichen frühe Förderung von Kindern unter drei Jahren, frühe Hilfen und Stärkung der elterlichen Erziehungskompetenz, Selbsthilfe sowie Integration von Familien mit Migrationshintergrund. Die Angebotszusammenstellung der Eltern-Kind-Zentren in ausgewählten Stadtteilen soll präventiv gegen Kindeswohlgefährdung wirken und sich an erster Stelle an Familien richten, die sich in einer problematischen Lebenssituation bzw. einem problematischen Lebensumfeld befinden, welche der kindlichen Entwicklung nicht förderlich sind. Durch die Vernetzung mit anderen Einrichtungen der Familienförderung im nahen Sozialraum und Angeboten, die den jeweiligen kulturellen und sozialen Hintergrund der Betroffenen berücksichtigen, sollen diese Zielgruppen erreicht werden (vgl. Sturzenhecker 2009, S. 10ff).
Die Familienzentren in Schleswig-Holstein verknüpfen die Kinderbetreuung mit den begleitenden Hilfsangeboten im Bereich der Jugendhilfe sowie des Sozial- und Gesundheitswesens (MSGFG 2014, S. 7). Im Interesse einer bestmöglichen Nutzung vorhandener Ressourcen werden die Vernetzung und Zusammenarbeit der Einrichtungen angestrebt. Dadurch werden bereits bestehende und den Familien vertraute Einrichtungen wie zum Beispiel Kindertageseinrichtungen, Grundschulen, Familienbildungsstätten beziehungsweise Mehrgenerationenhäuser weiterentwickelt. Familienzentren sollen somit zu Anlaufstellen für Familien werden und ihnen eine wohnortnahe Unterstützung durch niedrigschwellige Angebote ermöglichen. Die Zielsetzungen von Familienzentren sind wie folgt:
- Stärkung der Elternkompetenz durch Beratung, Elternbildung und Begleitung
- Förderung einer bruchlosen Bildungsbiografie
- Ermöglichen eines effektiven Übergangs von der Kita zur Grundschule;
- Förderung von sozial besonders benachteiligten Kindern
- Förderung der Integration
- Unterstützung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, z.B. durch Ganztagsbetreuungsangebote (ebd.).
Das Konzept der Einrichtung muss dabei mindestens drei Handlungsfelder beinhalten. Das Ziel ist es, die Familien durch umfassende, ressourcen- und bedarfsorientierte Angebote bei der Lebensbewältigung zu unterstützen sowie die Partizipation von Kindern und ihren Familien zu fördern (ebd.).
Das Land Nordrhein-Westfalen setzt seit 2006 die flächendeckende Weiterentwicklung von Kindertageseinrichtungen zu Familienzentren konsequent um. Inzwischen wirkt etwa jede dritte Kindertageseinrichtung an dem „Netzwerk Familienzentren“ mit (vgl. MFKJKS 2016, S. 3). Den Kindern und ihren Familien steht landesweit ein vielfältiges Unterstützungsangebot zur Verfügung. Dieses Angebot wird jedoch seit dem Kindergartenjahr 2012/2013 vorrangig auf die Gebiete mit besonderem Unterstützungsbedarf, in denen ein besonderes Armuts- und Bildungsrisiko besteht, konzentriert (vgl. MFKJKS 2012, S. 3f). Die Unterstützungsangebote für Familien sollen aus einer Hand, wohnortnah und niederschwellig erfolgen. Als weitere Ziele von Familienzentren werden zudem Sprachförderung für Kinder, die keine Kita besuchen, die Erweiterung der Angebotsstruktur insbesondere für bildungsferne Familien und Familien mit Migrationshintergrund, die Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie die Unterstützung bei der Überwindung von familialen Alltagskonflikten genannt (MFKJKS 2016, S. 7).
Familienzentren in Nordrhein-Westfalen stehen grundsätzlich allen Kindern und Eltern im Einzugsgebiet offen. Damit kann frühe Beratung, Information und Hilfe für die Familien in allen Lebensphasen ermöglicht sowie der Zugang zu diesen Angeboten für Eltern durch die Alltagsnähe der Kindertageseinrichtung erleichtert werden (ebd., S. 7ff). Je nach räumlichen Ressourcen der Einrichtung und sozialräumlichen Bedingungen vor Ort kann eine passende Organisationsform[2] gewählt werden (ebd., S. 9-17). Das Landesprogramm „Familienzentrum NRW“ sieht auch eine Zertifizierung nach dem Gütesiegel „Familienzentren NRW“ vor, das Leistungen und Strukturen, die für die sozialraumorientierte Förderung und Unterstützung von Kindern und Familien von Bedeutung sind, beschreibt[3]. „Durch das Gütesiegel sollen keine Pauschallösungen für alle Standorte vorgegeben, sondern passgenaue Lösungen für die jeweilige Situation vor Ort ermöglicht werden“ (MFKJKS 2016, S. 19).
Um die Angebotsstruktur und die Inanspruchnahme von Familienzentren beurteilen zu können, fehlen allerdings die länderübergreifenden verbindlichen Kriterien für diese Einrichtungen genauso wie eine umfassende bundesweite empirische Erhebung darüber (vgl. Diller/Schelle 2013, S. 6). Diller und Schelle stellen fest: „Die bereits vorliegenden Praxiserfahrungen belegen, was das Angebot betrifft, große Unterschiede, die fachlich begründet sind, da Eltern sehr unterschiedliche Bedarfe haben“ (ebd.).
Wie in Kapitel 3.3 bereits ausgeführt, ist Nordrhein-Westfalen eines der ersten Bundesländer, das die politischen Rahmenbedingungen für den Ausbau und die fachliche Entwicklung von Familienzentren schaffte (vgl. Diller 2006, S.7f). Seit etwa einem Jahrzehnt wird das Landesprogramm „Familienzentrum“ flächendeckend umgesetzt und so die qualitative Weiterentwicklung der Kinder- und Familienpolitik vorangetrieben. Im Kindergartenjahr 2016/2017 arbeiten bereits rund 3.400 zertifizierte Kindertageseinrichtungen als Familienzentren (vgl. MFKJKS 2016, S.4).
Im Folgenden sollen die Zielsetzungen des Landesprojektes, rechtliche Grundlagen und Fragen zur Finanzierung sowie Organisationsformen von Familienzentren und Zertifizierungsverfahren nach Gütesiegel „Familienzentrum NRW“ dargestellt werden.
Das vorangestellte Ziel des Landesprogramms „Familienzentrum NRW“ ist, Aufgaben wie Bildung, Erziehung und Betreuung von Kindern mit den umfassenden Unterstützungsangeboten für die ganze Familie zusammenzuführen (ebd., S. 7). Familienzentren sollen Familien einen niederschwelligen Zugang zu Beratungs- und Bildungsangeboten ermöglichen, sie informieren und ihnen eine Möglichkeit zum kommunikativen Austausch geben. Die Kindertageseinrichtung ist die erste Bildungsinstitution, der Eltern ihre Kinder anvertrauen. Als Mittelpunkt eines Unterstützungsnetzwerkes im Stadtteil können Tageseinrichtungen für Kinder die möglichen Risikosituationen, Störungen der Entwicklung und Unterstützungsbedarfe frühzeitig erkennen und darauf entsprechend reagieren (ebd.).
Das Programm „Familienzentrum“ ist nicht nur auf bestimmte Zielgruppen ausgerichtet, sondern orientiert sich an den Lebenslagen aller Kinder und ihrer Familien im Sozialraum. Durch die wohnortnahen und niederschwelligen Angebote aus einer Hand soll die Familie als Ganzes angesprochen werden (ebd., S. 47).
Die strukturelle Verbindung der unterschiedlichen Angebote in den Familienzentren hat zum Ziel:
- Sprachdefizite bei allen Kindern (auch bei denen, die keine Kita besuchen) früh zu erkennen und durch entsprechende Förderung abzubauen
- Eltern in ihrer Erziehungskompetenz zu stärken sowie in Fragen der Bildung und Gesundheit möglichst früh zu beraten
- Eltern bei Alltagskonflikten niederschwellige Unterstützung anzubieten
- Familien aus bildungsfernen Schichten und mit Migrationshintergrund zu erreichen
- die Vereinbarkeit von Familie und Beruf durch bedarfsgerechte Betreuungszeiten zu verbessern
- Eltern bei der Vermittlung von Tagespflegepersonen zu unterstützen (vgl. MFSJKS 2016, S. 47).
Jedes Familienzentrum soll die Bedürfnisse von Familien im Einzugsgebiet kennen und in der Lage sein, flexibel darauf zu reagieren. Die Angebotspalette des Familienzentrums soll mit Blick auf die Bedarfe und die Nachfrage der Eltern gestaltet werden. „Flexibilität und Niedrigschwelligkeit sind die zentralen Leitlinien, die passgenaue Zugänge zu den Angeboten für Familien im Umfeld schaffen […] Nicht die Familien suchen das Angebot, sondern der Familie wird die Unterstützung angeboten“ (ebd., S. 8).
Darüber hinaus sollen die Einrichtungen mit lokalen Diensten, Institutionen und Initiativen kooperieren, um Hilfs- und Förderungsangebote für Familien mit besonderem Unterstützungsbedarf gewährleisten zu können. Das könnten beispielweise Erziehungs-, Schuldner-, Mieter-, Sozial-, Gesundheitsberatungsstellen, lokale Vereine, Stadtbüros oder Wohnungsbaugesellschaften sein. Familienzentren sollen ihr Angebot in der Öffentlichkeit bekannt machen und durch persönliche Werbung sowie verschiedene Freizeitaktivitäten im nahen Sozialraum die Kooperation mit anderen Einrichtungen und Diensten anregen (ebd., S 8f).
Seit einigen Jahren setzt die Landesregierung bei der Einrichtung neuer Familienzentren Schwerpunkte auf Prävention und besonderen Unterstützungsbedarf für Kinder und ihre Eltern in Bezug auf Chancengleichheit (vgl. MFSJKS 2012, S. 3). Familienzentren sollen auch zukünftig vorrangig in sozial benachteiligten Stadtteilen ausgebaut werden, dort wo verstärkt Familien aus bildungsfernen und einkommensschwachen Schichten sowie Zuwandererfamilien leben, weil das „in vielen Fällen mit einer Vielzahl weiterer Risiken für das Aufwachsen von Kindern verbunden ist“ (MFSJKS 2012, S. 3f).
Durch die Einbindung in die Maßnahmen der frühen Hilfen und das Modellvorhaben „Kein Kind zurück lassen“ nehmen Familienzentren in Nordrhein- Westfalen eine Schlüsselposition bei der Politik der Prävention ein. Darüber hinaus sollen die Einrichtungen die aufsuchenden Hilfen stärker ausbauen, um auch jene Kinder und Eltern zu erreichen, die noch keinen Zugang zu den Angeboten der Familienzentren haben (vgl. MFKJKS 2015, S. 218).
Die institutionelle Erziehung, Betreuung und Bildung von Kindern ist durch das Kinder- und Jugendhilfegesetz (Sozialgesetzbuch VIII) sowie durch die entsprechenden Landesausführungsgesetze geregelt. Im Folgenden wird auf die ausgewählten Einzelnormen des Kinder- und Jugendhilfegesetzes sowie auf das Gesetz des Landes Nordrhein-Westfalen zur frühen Bildung und Förderung von Kindern eingegangen.
Kinder- und Jugendhilfegesetz (Sozialgesetzbuch VIII)
Allgemeine Förderung der Erziehung in der Familie soll nach §16 des Kinder- und Jugendhilfegesetzes (SGB VIII) durch die bedarfs- und zielgruppenorientierten Angebote der Familienbildung sowie die Erziehungsberatung geschehen (vgl. BMJV o. J.). Hierfür werden die folgenden Leistungen genannt: Beratungsangebote in allgemeinen Fragen der Erziehung und Entwicklung von Kindern sowie bedarfsorientierten Angebote der Familienbildung für Familien in unterschiedlichen Lebens- und Erziehungssituationen. Insbesondere die familienbildenden Angebote sollen Eltern zur Mitarbeit sowohl in den Erziehungseinrichtungen als auch in Formen der Selbst- und Nachbarschaftshilfe befähigen (ebd.).
Der dritte Abschnitt des Kinder- und Jugendhilfegesetzes (SGB VIII) „Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen und in Kindertagespflege“ ist die zentrale Norm für die institutionelle Betreuung, Erziehung und Bildung von Kindern. Gemäß §22 Absatz 2 SGB VIII haben Tageseinrichtungen die Aufgabe, Kinder in ihrer Entwicklung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu fördern, die Erziehung und Bildung in der Familie zu unterstützen und zu ergänzen sowie den Eltern bei der Vereinbarung von Familienarbeit und Erwerbstätigkeit zu helfen (vgl. BMJV o. J.).
Der Förderungsauftrag von Kindertageseinrichtungen ist in §22 Absatz 3 SGB VIII festgelegt und umfasst Erziehung, Bildung und Betreuung des Kindes hinsichtlich seiner sozialen, emotionalen, körperlichen und geistigen Entwicklung (ebd.). Diese Formulierung verweist auf „ein ganzheitliches Bildungsverständnis; Erziehung, Bildung und Betreuung ebenso wie die verschiedenen Aspekte der Entwicklung eines Kindes werden im Zusammenhang miteinander betrachtet“ (Stöbe-Blossey 2012a, S. 81).
Träger der öffentlichen Jugendhilfe sind nach §22a Absatz 1 SGB VIII verpflichtet, die Qualität der pädagogischen Arbeit in ihren Einrichtungen durch die Entwicklung und den Einsatz einer geeigneten Konzeption sowie von Instrumenten und Verfahren zur Evaluation sicherzustellen und weiterzuentwickeln. Gemäß §22a Absatz 2 SGB VIII sollen Fachkräfte sowohl mit Eltern und Tagespflegepersonen als auch mit anderen Familienbildungsstätten, Schulen sowie Initiativen im Gemeinwesen kooperieren. Außerdem soll durch die Zusammenarbeit mit den Trägern der Sozialhilfe die Integration und Inklusion von Kindern mit Behinderungen sichergestellt werden (vgl. BMJV o. J.).
Außerdem legt der Gesetzgeber im §25 SGB VIII fest, dass Eltern und andere Erziehungsberechtigte, welche die Betreuung von Kindern privat organisieren möchten, ein Recht auf Beratung und Unterstützung seitens der Einrichtungen der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe haben (ebd.). Somit sollen auch jene Kinder, die keine Tageseinrichtung besuchen, im Sinne des Kinder- und Jugendhilfegesetzes gefördert werden.
Gesetz zur frühen Bildung und Förderung von Kindern
Das Gesetz zur frühen Bildung und Förderung von Kindern (Kinderbildungsgesetz KiBiz) löste das frühere Landesgesetz über Tageseinrichtungen für Kinder (GTK) ab und regelt seit dem 1. August 2008 die rechtlichen sowie finanziellen Rahmenbedingungen der Kindertagesbetreuung in Kindertagespflege und Kindertageseinrichtungen in Nordrhein-Westfalen (vgl. MGFFI 2008, S. 2). Das Gesetz formuliert einen eigenständigen Bildungs-, Erziehungs- und Betreuungsauftrag der Kindertageseinrichtungen in §3 Absatz 1 (vgl. MIK 2016, o. S.). Demnach sollen alle Kinder unabhängig von ihrer Herkunft die gleichen Chancen auf individuelle Förderung und Bildung von Anfang an bekommen (vgl. MGFFI 2008, S. 3). Darüber hinaus werden die integrative Förderung behinderter Kinder und der Ausbau von Betreuungsplätzen für Kinder unter drei Jahren gesetzlich festgelegt (ebd., S. 11ff).
In §3 Absatz 2 des Kinderbildungsgesetzes (vgl. MIK 2016, o. S.) werden die Ziele der Kindertageseinrichtungen und der Kindertagespflege wie folgt formuliert:
„Die Förderung des Kindes in der Entwicklung seiner Persönlichkeit und die Beratung und Information der Eltern insbesondere in Fragen der Bildung und Erziehung sind Kernaufgaben der Kindertageseinrichtungen und der Kindertagespflege. Das pädagogische Personal in den Kindertageseinrichtungen und die Tagespflegepersonen haben den Bildungs- und Erziehungsauftrag im regelmäßigen Dialog mit den Eltern durchzuführen und deren erzieherische Entscheidungen zu achten“ (ebd.).
Die institutionelle Weiterentwicklung von Kindertageseinrichtungen zu Familienzentren ist in §16 KiBiz (ebd.) von Kindern fest verankert:
„Familienzentren sind Kindertageseinrichtungen, die […] insbesondere
1. Informations- und Beratungsangebote zur Unterstützung der Eltern bei der Förderung ihrer Kinder vorhalten oder leicht zugänglich vermitteln, und Beratungs- und Hilfsangebote für Eltern und Familien bündeln und miteinander vernetzen,
2. Unterstützung bei der Vermittlung, Beratung oder Qualifizierung von Tagespflegepersonen in Absprache mit dem Jugendamt bieten,
3.die Betreuung von unter dreijährigen Kindern und Kindergartenkindern außerhalb üblicher Öffnungszeiten von Kindertageseinrichtungen gewährleisten oder vermitteln,
4. Sprachförderung für Kinder und ihre Familien anbieten […]; insbesondere sind dies Sprachfördermaßnahmen für Kinder im Alter zwischen vier Jahren und Schuleintritt mit zusätzlichem Sprachförderbedarf, die keine Kindertageseinrichtung besuchen“ (ebd.).
Gemäß §21 Absatz 7 des Gesetzes zur frühen Bildung und Förderung von Kindern haben zertifizierte Kindertageseinrichtungen, die an dem Verfahren für das vom Land anerkannte Gütesiegel „Familienzentrum NRW“ teilnehmen, Rechtsanspruch auf einen jährlichen Zuschuss in der Höhe von 13.000 EUR zusätzlich zur regulären Förderung als Tageseinrichtung (vgl. MIK 2016, o. S). Familienzentren in sozial benachteiligten Stadtteilen und Regionen erhalten jährliche Landesförderung in der Höhe von 14.000 Euro (MFKJKS 2011, o. S.).
Das Kinderbildungsgesetz wurde jedoch von Anfang an von den Trägern der Einrichtungen sowie von Gewerkschaften kritisiert und mehrfach geändert (vgl. MFKJKS 2016a, o. S.). In der Praxis wurde vor allem die sogenannte „Pro-Kopf-Pauschale“, die Koppelung von Personalstunden an die Gruppenform und die gebuchten Betreuungszeiten beanstandet. Letztgenannte bedeutete für die Einrichtung oft eine steigende Anzahl an zu betreuender Kinder, verbunden mit einem Abnehmen des zur Verfügung stehenden Personals (vgl. Haas 2009, S.7).
Die erste Revision erfolgte im Kindergartenjahr 2011/2012 (vgl. MIK 2011, o. S.) und im Kindergartenjahr 2014/2015 folgte die zweite (vgl. MIK 2014, o. S.).
Mit dem ersten Gesetz zur Änderung des Kinderbildungsgesetzes im Jahr 2011 wurden sowohl der Personalschlüssel bei der Betreuung der unter Dreijährigen verbessert als auch die Landesförderung für die Familienzentren erhöht. Darüber hinaus wurde das letzte Kindergartenjahr als wichtige Phase zum Übergang zur Schule für alle Familien beitragsfrei gestellt (vgl. MFKJKS 2011, o. S.).
Schwerpunkte bei der zweiten Revision des Kinderbildungsgesetzes waren wie folgt: verbesserte individuelle Sprachförderung der Kinder, eine Verfügungspauschale für jede Kita, mit der die Einrichtung personell verstärkt werden sollte, sowie die Finanzierung des zusätzlichen Personals für die Kindertageseinrichtungen mit einem hohen Anteil von Kindern mit besonderem Unterstützungsbedarf (vgl. MFKJKS 2014, o. S.).
Aktuell plant das Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport NRW eine weitere Änderung des Gesetzes zur frühen Bildung und Förderung von Kindern. Am 24. April 2016 beschloss das Kabinett die Einbringung eines Gesetzentwurfes zur Änderung des Kinderbildungsgesetzes in den Landtag (vgl. MFKJKS 2016a, o. S.). Die Landesregierung und die kommunalen Spitzenverbände beabsichtigen, unverzüglich Gespräche über ein neues Gesetz und eine neue Finanzierungsstruktur für die Kindertagesbetreuung aufzunehmen. Dieses soll vorrangig „die Qualität, die Personalmindeststandards in der Kindertagesbetreuung und die Vielfalt des Angebotes bis zu einer gesetzlichen Neustrukturierung sichern“ (vgl. MFKJKS 2016a, o. S). Außerdem sollen 431 Millionen Euro, die durch den Wegfall des Landesbetreuungsgeldes frei werden, vollständig für die frühkindliche Bildung eingesetzt werden. Davon sind 100 Millionen Euro für den Ausbau von zusätzlichen Betreuungsplätzen für Kinder unter drei Jahren vorgesehen (vgl. MFKJKS 2016a, o. S.).
Familienzentren sollen Angebote zur Förderung von Kindern und Unterstützung der Familien „aus einer Hand“ wohnortnah und niederschwellig gestalten und somit zum Knotenpunkt eines familienunterstützenden Netzwerkes im Stadtteil werden (vgl. MFKJKS 2016, S.7.). Das Landesprogramm „Familienzentren NRW“ beschreibt drei mögliche Organisationsformen: „Unter einem Dach“, „Lotse“ und „Galerie“. Diese Modelle sind dennoch für die Einrichtungen nicht verbindlich. Jedes Familienzentrum kann sich – je nach Bedarfslagen der Familien, personellen und räumlichen Ressourcen sowie sozialräumlichen Bedingungen – für ein passendes Modell bzw. eine Mischform oder ein Verbundmodell entscheiden (ebd., S.9).
- Modell „Unter einem Dach“
Bei dem Modell „Unter einem Dach“ werden alle zusätzlichen bedarfsorientierten Hilfs- und Unterstützungsangebote von einem Träger bereitgestellt und von der Leitung der Einrichtung koordiniert. Sämtliche niederschwellige Angebote für Eltern und Familien finden in den Räumlichkeiten der Einrichtung statt und werden überwiegend vom eigenen Personal begleitet bzw. durchgeführt. Dieses Modell stellt ein zuverlässiges, ganzheitliches Konzept dar und ist nach dem Muster der in sozial benachteiligten Stadtteilen entstandenen Sozialzentren organisiert. Dieses Modell bietet Familien in problematischen Lebenssituationen, welche durch herkömmliche Erziehungsberatungs- bzw. Familienbildungsangebote nur schwer erreicht werden können, eine umfassende niederschwellige Unterstützung an (ebd., S.9f).
- Modell „Lotse“
Bei diesem Organisationstyp übernimmt das Familienzentrum die Vermittlungsfunktion und wird somit zur ersten Anlaufstelle für Familien in schwierigen Lebensphasen (vgl. MFKJKS 2016, S. 12f). Die Einrichtung leitet die Hilfesuchenden jeweils an die zuständigen, kooperierenden Dienste, dessen Angebote sich in unmittelbarer räumlicher Nähe befinden, weiter. Die Leistungen der Kooperationspartner bleiben dabei eigenständig. Um eine gut gelingende, flexible Zusammenarbeit sicherzustellen, sollten sie aber genau aufeinander abgestimmt werden. Als potentielle Kooperationspartner können je nach Gegebenheiten im Sozialraum Schulen, Volkshochschulen, Kinderschutzbund, Familienbildungsstätten, Kirchengemeinden, heilpädagogische, logopädische und ergotherapeutische Praxen, Erziehungs- und Schuldnerberatungsstellen, Familienverbände, Jugendorganisationen, Sportvereine, Senioreneinrichtungen, Kinderarztpraxen sowie die Stadtverwaltung in Frage kommen. Die Aufgabe der Kindertageseinrichtung besteht darin, Eltern über die Art der möglichen Unterstützung sowie über Zugangs- und Kontaktmöglichkeiten frühzeitig und kompetent zu informieren (ebd.).
Im Unterschied zur Organisationsform „Unter einem Dach“ findet bei dem Modell „Lotse“ keine trägerbezogene und räumliche Zusammenführung der Kita-Leistungen mit den Zusatzleistungen des Familienzentrums statt. Dennoch bildet die Einrichtung den Mittelpunkt eines Netzwerkes und ermöglicht in eigener Verantwortung das Erbringen von notwendigen Angeboten der Kooperationspartner. Die Kindertagesstätte sollte dabei eine aktive, gestaltende Rolle in diesem Netzwerk einnehmen. Auch die abgestimmte Bedarfsanalyse und die Planung der Angebote sowie eine enge Zusammenarbeit mit den Kooperationspartnern sind bei dem Lotsenmodell von großer Bedeutung (ebd.).
Um die Verbindung zwischen den eigenständigen Bereichen herzustellen, werden die Angebote der Kooperationspartner auf Elternabenden bzw. im Rahmen von Elterngesprächen vorgestellt. Die Kursleiter/innen und Berater/innen aus den kooperierenden Diensten und Institutionen können eingeladen werden, damit die Fragen, die im Familienzentrum wiederholt entstehen, in einem Vortrag aufgegriffen und beantwortet werden können (ebd.). Auf Wunsch der Eltern besteht die Möglichkeit, die Erzieher/innen bei den Beratungsangeboten in das Beratungsgespräch einzubeziehen, um deren Beobachtungen in den Beratungsprozess einfließen zu lassen und eine gemeinsame Vorgehensweise zu vereinbaren (vgl. MFKJKS 2016, S.12f).
- Modell „Galerie“
Die Organisationsform „Galerie“ stellt eine Mischung der Modelle „Unter einem Dach“ und „Lotse“ dar (ebd., S. 15f). Die einzelnen Hilfs- und Beratungsangebote finden in den Räumlichkeiten der Kindertageseinrichtung statt. Das Gesamtangebot wird je nach lokalen Notwendigkeiten und eigenen räumlichen Ressourcen zusammengestellt. Die ergänzenden Angebote können dabei auch im unmittelbaren Umfeld durchgeführt werden. Dieses Modell unterscheidet sich von den zwei vorherigen Modellen dadurch, dass die Angebote jeweils nach Schwerpunkten von auswärtigen Fachkräften, jedoch größtenteils in den Räumen der Kindertageseinrichtungen durchgeführt werden. An der Angebotsgestaltung, -planung und -koordination sind dabei von Anfang an mehrere Partner beteiligt (ebd.).
Karin Böllert (2008) fasst die Vor- und Nachteile der drei Organisationsformen, die in verschiedenen Fachveranstaltungen zur Einführung von Familienzentren genannt wurden, wie folgt zusammen:
- Ein einheitliches Konzept, leichtere Koordination, Niedrigschwelligkeit des Angebots und ein hoher Grad an Verlässlichkeit und Ganzheitlichkeit stellen die Vorteile des Modells „Unter einem Dach“ dar. Als Nachteile werden in erster Linie die Gefahr eines großen „Durchgangsverkehrs“ in der Einrichtung, unklare Anforderungen an Qualität und Qualifikation sowie die unzureichende Flexibilität durch die trägergebundene und frühzeitige Festlegung der Angebotspalette hervorgehoben (vgl. Böllert 2008, S. 62).
- Bei der Modellvariante „Lotse“ wird vor allem die „Bündelung der Ressourcen vor Ort“ (ebd.) von mehreren Einrichtungen als positiv bewertet. Weitere Vorteile dieses Models sind die Trägervielfalt und gute Vernetzung der Einrichtungen im Sozialraum. Zu den Nachteilen zählen sowohl der große Arbeits- und Zeitaufwand für die Leitungskräfte, aufwendige Abstimmungen mit den Kooperationspartnern, ein hoher Qualifizierungsbedarf als auch mögliche bürokratische Hindernisse (vgl. Böllert 2008, S. 62).
- Das Modell „Galerie“ zeichnet sich positiv durch die flexible Nutzung der Ressourcen von Einrichtungen, das passgenaue Hilfsangebot, die erweiterte Struktur und die Kindertagesbetreuung als Kernangebot aus. Als mögliche Nachteile dieses Modells werden die unzureichenden räumlichen Kapazitäten, hoher Qualifizierungsbedarf sowie die komplexe Finanzierung genannt (ebd.).
Nach aktuellen Erkenntnissen aus der Praxis arbeiten die meisten Familienzentren in Nordrheinwestfalen nach dem Modell „Lotse“ (vgl. MFKJKS 2016, S. 16). Die Kindertageseinrichtungen sind gut im Sozialraum vernetzt und sind auf diese Weise zum ersten Ansprechpartner für die Familien, der Informationen in Bezug auf ergänzende Angebote und Leistungen der Kooperationspartner vermittelt, geworden. Durch die Kooperationsvereinbarungen können die Leistungen anderer Partner verlässlich sichergestellt werden (ebd.). Familienzentren entscheiden sich in manchen Fällen bewusst für das Modell „Lotse“ und „begreifen sich als Brücke zu Beratungs- und Bildungsstellen im Sozialraum“ (Schlevogt 2014, S. 15).
Unter den zertifizierten Familienzentren ist das Modell „Unter einem Dach“ dagegen weniger verbreitet (vgl. MFKJKS 2016, S. 16). Viele Kindertageseinrichtungen in Nordrhein-Westfalen haben keine ausreichenden räumlichen, personellen, strukturellen und organisatorischen Voraussetzungen, um ein umfassendes trägereigenes Angebot sicherzustellen zu können (ebd.).
Auch das Modell „Galerie“ ist unter zertifizierten Familienzentren seltener vertreten, weil „auch dieser Arbeitsansatz schon tradierte und gewachsene Angebotskonzepte von Trägern voraussetzt, die deutlich über die klassischen Zielbestimmungen von Kindertageseinrichtungen hinausweisen“ (ebd.).
In der Praxis schließen sich mehrere Tageseinrichtungen in einem Sozialraum zu einem Verbund zusammen (ebd., S. 16f). Diese Verbundeinrichtungen arbeiten selbstständig mit den Kooperationspartnern, die selbst keine Kindertageseinrichtung betreiben, zusammen. Um den Bezug zum Sozialraum zu erhalten, die Angebots- sowie Verantwortungsstrukturen überschaubar zu halten und das Zertifizierungsverfahren zu ermöglichen, sollte ein Verbundfamilienzentrum in der Regel auf maximal fünf Einrichtungen, die sich in einem Umkreis von drei Kilometer befinden, begrenzt sein (vgl. MFKJKS 2016, S. 16f).
Angelika Diller (2006) betont in ihrem Grundlagenbericht die Wichtigkeit der Qualitätssicherung in Bezug auf die Eltern-Kind- bzw. Familienzentren: „Da die Einrichtungen eine große Schnittmenge zum Regelangebot der Kita’s [Fehler i. O.] haben, ist die Einführung eines Markenzeichens erforderlich; ansonsten besteht die Gefahr einer Umetikettierung, ohne dass die Arbeit substanziell erweitert wird“ (Diller 2006, S. 66).
Anfang 2006 nahmen ca. 250 Einrichtungen in Nordrhein-Westfalen an der zweijährigen Pilotphase des Projektes „Familienzentrum NRW“ teil und erlangten anschließend das Gütesiegel „Familienzentrum NRW“ (vgl. Schilling/ Schreiber 2008, S.3). Das damalige Ministerium für Generationen, Familie, Frauen und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen beauftragte PädQUIS[4] damit, neben der wissenschaftlichen Begleitung des Projektes „Familienzentren NRW“ auch einen Qualitätskriterienkatalog zur Zertifizierung der Kindertageseinrichtungen zu entwickeln (ebd., S.4). Das Gütesiegel „Familienzentrum NRW“ stellt ein so genanntes konzeptgebundenes System der Qualitätssicherung dar (vgl. Stöbe-Blossey 2008a, S.101; Tietze/ Lee/ Schreiber 2008, S. 3). Dabei handelt es sich nicht um die Bewertung der pädagogischen Qualität der Einrichtung. Entscheidend sind die strukturellen Aspekte der Umsetzung des Konzeptes „Familienzentrum“ (Tietze/ Lee/ Schreiber, 2008, S.3).
Der Gütesiegelkriterienkatalog enthält Kriterien, die belegen sollen, dass es sich um niedrigschwellige und sozialraumorientierte Angebote zur Unterstützung und Förderung von Kindern und Familien handelt, die über die Kernaufgaben Bildung, Erziehung und Betreuung hinausgehen. Die Strukturen und Leistungen sollen dabei nicht für bestimmte Zielgruppen, sondern für alle Familien im Einzugsgebiet angelegt werden (vgl. Stöbe-Blossey/ Strotmann/ Tietze 2011, S.4). Das Gütesiegel „Familienzentrum NRW“ besteht aus vier Leistungsbereichen und vier Strukturbereichen. Die Leistungsbereiche enthalten das Angebotsspektrum des Familienzentrums. Die Strukturbereiche behandeln die Frage, inwiefern die Einrichtung ihre Angebote hinsichtlich der lokalen Bedingungen gestaltet, bekannt macht und kontinuierlich entwickelt (ebd.).
Stöbe-Blossey, Strotmann und Tietze (2011) unterscheiden dabei die acht folgenden Leistungs- und Strukturbereiche:
[...]
[1] Duden Online-Wörterbuch, unter: http://www.duden.de/rechtschreibung/Familie
[2] siehe Kapitel 4.3
[3] siehe Kapitel 4.4
[4] Abkürzung für Pädagogische Qualitäts-informations-systeme gGmbH, ein Forschungs- und Entwicklungsinstitut, das seit 1999 im Bereich der Frühpädagogik anwendungsbezogene Untersuchungen und empirische Grundlagenforschung durchführt (www.paedquis.de).
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