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Examensarbeit, 2014
69 Seiten, Note: 1,3
1. Einleitung
2. Politik, Einwanderung und Integration ab den 1950.er-Jahren
2.1. Das Leben im Gastarbeiterland
2.2. Die Ausländerpädagogik: Erste Reaktion der Politik
2.3. Interkulturelle Pädagogik – Kulturübergreifendes Zusammenleben
3. Integration durch Sport
3.1. Hinführung zum Themenfeld „Integration durch Sport“
3.2. Integrationspotenzial des organisierten Sports
3.3. Beteiligung der Migranten am organisierten Vereinssport
3.3.1. Anteil der Migranten an deutschen Sportvereinen
3.3.2. Die Altersstruktur der Vereinsmitglieder mit Migrations-hintergrund
3.3.3. Anteil der Migranten an deutschen Sportvereinen nach Geschlecht
3.3.4. Die am häufigsten betriebene Sportarten von Migranten
3.3.5. Empirische Befunde
4. Der Deutsch Olympische Sportbund (DOSB)
4.1. Zielgruppen
4.2. Ziele des Programmes „Integration durch Sport“
4.2.1. Integration zum Sport - Gleichberechtigte Teilhabe der Zielgruppen auf allen Ebenen:
4.2.2. Integration durch Sport in die Gesellschaft
4.2.3. Weitere Ziele des Programms „Integration durch Sport“
5. Zwischenfazit
6. Projekte im Kindes- und Jugendalter
6.1. Projekt „Kopf und Ball – Dribbel dich zu guten Noten“
6.1.1. Projektbeschreibung
6.1.2. Ziele des Projektes „Kopf und Ball“
6.1.3. Zusammenfassende Betrachtung des Projekts
6.2. Projekt: „Integrationswoche trifft Hagen“
6.2.1. Projektbeschreibung „Integrationswoche trifft Hagen“
6.2.2. Ziele des Projektes
6.2.3. Zusammenfassende Betrachtung des Projekts
7. Projekt „ Aktiv im Wasser - Migrantinnen im Sport“
7.1. Projektbeschreibung
7.2. Ziele des Projektes „ Aktiv im Wasser – Migrantinnen im Sport“
7.3. Theoretischer Bezugsrahmen
7.4. Gründe für die schwachausgeprägte Teilnahme von Migrantinnen am Vereinssport
7.5. Zusammenfassende Betrachtung des Projektes
8. Der Vergleich der Projekte
8.1. Vereinseinrichtung, Projektort und –Anbindung
8.2. Soziale Herkunft, religiöse und kulturelle Orientierung der Teilnehmer
8.3. Preis der Projektteilnahme
8.4. Analyse der Übungsleiter/innen
8.5. Kompetenzförderung
9. Fazit und Ausblick
10. Literaturverzeichnis
10.1. Internetquellen
11. Abbildungsverzeichnis
11.1. Tabellenverzeichnis
Die Thematik Migranten und soziale Integration ist ein in der deutschen Bundesrepublik sehr wichtiges und immer wieder diskutiertes Thema. Spätestens seit Beginn der soziale Gastarbeiterbewegung in den 1950er Jahren haben sich die demographischen Strukturen sowie das soziale und kulturelle Leben in diesem Land verändert: Deutschland ist multikulturell geworden.
Vielfalt bedeutet Potential
Kulturelle Vielfalt bietet für die Menschen in Deutschland große Potentiale und Chancen für eine bunte Gesellschaft. Folglich werden neue Kulturen und Gewohnheiten kennengelernt und respektiert. Andererseits beinhaltet sie aber auch das Risiko des gegenseitigen Abschottens und tiefgründiger Konflikte. Daher gewinnt in der Pädagogik die interkulturelle Bildung an Bedeutung, da sie das Zusammenleben von Menschen mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen fördert.
Sport als Kommunikations- und Integrationsförderer
Der demographische Wandel bringt neue Herausforderungen und Notwendigkeiten mit sich, um die große Zahl von Menschen mit Migrations-hintergrund am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu lassen. An diesem Punkt rückt das sportliche Engagement der Kulturen in den Vordergrund. Die Sozialwissenschaften sowie die Politik sind der Meinung, dass Sport als Integrationsförderer dienen und die Aufgaben der Integration meistern kann. Ingo Weiss, der Vorsitzende der deutschen Sportjugend (DSJ), meint, dass „beim gemeinsamen Sporttreiben Integration gelebt wird.“1 Dementsprechend wird dem Sport ein hohes integratives Potenzial zugeschrieben. Welche Funktionen erfüllt der sportliche Aspekt, wenn es um die Integration in die Gesellschaft geht?
Die folgende wissenschaftliche Hausarbeit beschäftigt sich mit der Frage, welche Chancen der Vereinssport bezüglich der Integration von Migrantinnen und Migranten bietet. Infolgedessen wird Bezug zur erziehungswissenschaftlichen Pädagogik genommen und eng mit dem DOSB (Deutsch Olympischer Sportbund) kooperiert, der in Folge seiner Aufgabe Projekte im Bereich „Integration durch Sport“ leitet. Außerdem stellt sich die Frage, welchen Schritt man gehen muss, um die Zielgruppe „Menschen mit Migrationshintergrund“ zu erreichen, und welche Personen dabei eine wichtige Rolle spielen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Ein Gastarbeiter empfangen von seinen Landsleuten in der Bergbauleitstelle Essen. Quelle: planet-wissen.de
Die Migration hat in Deutschland eine lange Geschichte. In der Literatur werden unzählige Gründe für eine Auswanderung aus dem Heimatland genannt: „Hungersnöte, Massenarbeitslosigkeit, Zerstörung durch Krieg, religiöse oder politische Unfreiheit.“2 Perspektivlosigkeit und Motive für ein neues wohlhabendes Leben sind die Hauptargumente von Migranten. In der Migrationsgeschichte von Deutschland gab es viele Migrationswellen. Es soll jedoch im Folgenden auf die Einwanderungsgeschichte der Gastarbeiter eingegangen werden.
Ab dem Jahr 1955 wurden Arbeiter aus dem östlichen Teil Europas angeworben, um die stark wachsende Wirtschaft und die dabei benötigte Arbeitskraft in der Bundesrepublik Deutschland weiter aufzubauen. Die meisten Gastarbeiter (siehe Abb. 1) kamen zunächst alleine, ohne Familienangehörige. Der größte Teil der Gastarbeiter kam aus den Ländern Türkei, dem ehem. Jugoslawien, Polen, Italien und aus den arabischen Ländern. Viele dieser Menschen kamen aus ihren heimatlichen Regionen, wo sie meistens im bäuerlichen oder landwirtschaftlichen Primärsektor aktiv waren.3 Sie kamen mit den Gedanken, einen großen Teil des Einkommens nach Hause zu schicken oder zu sparen, um sich später im Heimatland eine bessere Existenz aufbauen zu können.4 Daher akzeptierten sie die körperlich schwere Arbeit, die die Einheimischen in Deutschland ungern machen wollten. Die Menschen hatten primär keine Absichten, sich dauerhaft im Gastarbeiterland niederzulassen. Das wirtschaftliche Geld-Verdienen war das Hauptmerkmal ihrer Migration. Die Kultur und Tradition des Gastarbeiterlandes waren daher nicht von hoher Bedeutung. Auch aus deutscher Sicht hatte die Integration der Gastarbeiter in die deutsche Gesellschaft keine hohe Priorität, da man dachte, dass sie spätestens nach dem Wirtschaftswunder das Land wieder verlassen würden. Denn zumindest theoretisch galt das "Rotationsprinzip": „Nach einem temporären Arbeitsaufenthalt sollte die Rückkehr in das jeweilige Herkunftsland folgen“5 . So wurden die Gastarbeiter in Unterkünfte einquartiert, die ziemlich nah an der Fabrik lagen, in denen sie unter Landsleuten waren und in denen das Erlernen der deutschen Sprache nicht gegeben war. Politisch gesehen war daher ein längerfristiger Aufenthalt der Gastarbeiter nicht geplant.
Mit der ansteigenden Wohlhabenheit der Gastarbeiter änderte sich auch die Meinung über das Verlassen des Gastarbeiterlandes Deutschland. Da das "Rotationsprinzip" nicht wirklich funktionierte und die Aufenthaltszeiten der ausländischen Beschäftigten sich aufgrund vorhandener Arbeit zunehmend verlängerten, setzte nach einigen Jahren der Nachzug von Familienangehörigen ein.6 Frauen und Kinder mit wesentlichen Defiziten in der Bildung sowie in der deutschen Sprache kamen nach Deutschland.
Mit der Einwanderung der Kinder aus Gastarbeiterfamilien geriet die Bundesrepublik, sowie auch die angewendete Schulbildung in Schwierigkeiten. Die Erziehungswissenschaft richtete erst Mitte der 1970er Jahre ihr Augenmerk auf die Probleme der Gastarbeiter. Bis zu diesem Zeitpunkt wurden die Kinder der Gastarbeiter normal wie deutsche Schüler behandelt, ohne Rücksicht auf die vorhandenen sprachlichen Gegebenheiten zu nehmen. Man spricht daher von einer Bildungslücke bei den Migranten zwischen 1950 und 1975.7 Da die Kinder der Schulpflicht unterlagen, „gerieten bald die fehlenden institutionellen und bildungspolitischen Voraussetzungen zur Eingliederung der ausländischen Schülerinnen und Schüler in den Blick“8 und wurden infolgedessen öffentlich thematisiert. Zahlreiche Initiativgruppen hatten diese Defizite der Schulbildung erkannt und eröffneten in größeren Städten Lerngruppen, um die sprachlichen Defizite der Migrantenkinder zu verbessern. Das Problem war jedoch, dass diese Gruppen nicht flächendeckend gearbeitet haben. Also war der Erfolg dieser Gruppen nur bedingt gegeben.9
Die Geburtsstunde der Ausländerpädagogik
1971 beschloss das Kultusministerium „die flächendeckende Einrichtung von Vorbereitungsklassen und die Einführung des muttersprachlichen Unterrichts.“10 Die Probleme der Kinder wurden dabei auf zwei Ebenen thematisiert:
1. Die Sozialisationsdefizite und die sprachlichen Mängel wurden als Ursache für den schulischen Misserfolg betrachtet. Es wurden Wege gesucht, Anpassungsmöglichkeiten an das deutsche Schulsystem zu eröffnen.
2. Des Weiteren sollte dem Umstand Rechnung getragen werden, dass die Kinder und Jugendlichen aus anderen kulturellen Zusammenhängen stammten, die ausschlaggebend für eine erfolgreiche Integration in die Gesellschaft wären.
Mit dieser Beschreibung und Kennzeichnung der defizitären Lage des Schulsystems begann die Blütezeit der Ausländerpädagogik. Wie der Name schon sagt, waren die Zielgruppe ausländische Kinder, aber auch deren Lehrkräfte, die in das Schulsystem integriert werden sollten. Auf der anderen Seite sollte die „Rückkehrfähigkeit der Ausländerkinder durch zumeist am Nachmittag stattfindenden muttersprachlichen Ergänzungsunterricht bewahrt bleiben.“11 Das Ziel war „die Erhaltung der Verbindung der Schüler zur Sprache und Kultur ihrer Heimat.“12 Darüber hinaus war zu beobachten, dass die Konflikte zwischen Gastarbeiterfamilien und Einheimischen drastisch zugenommen hatten. Man erhoffte sich durch die Ausländerpädagogik eine Minderung dieser Konflikte.
Misserfolg der Ausländerpädagogik
Trotz aller Bemühungen, die Ausländerpädagogik umzusetzen, blieben die Erfolge vergleichsweise gering. Die angestrebten Ziele der Förderpädagogik wurden nicht erreicht. Der Grund dafür war die dargestellte Defizit-Hypothese, nach der die soziokulturelle Vielfalt ein Störfaktor, das familiäre Umfeld autoritär und einseitig war und es erzieherische Defizite in den Haushalten der Migranten gab. Ziel war es, diese Defizite zu mindern, ohne jedoch die wirklichen Bedingungen zu berücksichtigen. Darüber hinaus wurde an der Ausländerpädagogik kritisiert, dass sie die Hilfebedürftigkeit der Migranten in den Vordergrund stelle und eine Entfremdung zwischen Migranten und ihren Kindern fördere, da der Förderungsprozess nur bei den Kindern angewendet wurde.13 Auerheimer fasste den Misserfolg wie folgt zusammen: Die pädagogischen und bildungspolitischen Antworten auf die Arbeitsmigration „waren stark pragmatisch orientiert und kurzfristig angelegt, weil damals niemand von uns oder fast niemand in der Bundesrepublik an Einwanderung im klassischen Sinne glauben wollte.“14
Mit der endgültigen Einsicht, dass die ausländischen Mitbürger keine vorübergehende Erscheinung im deutschen Schulsystem sind, begann um 1980 eine neue „Diskussion unter veränderten Vorzeichen.“15 Im Gegensatz zum Ansatz der Ausländerpädagogik setzt die interkulturelle Pädagogik gleichermaßen sowohl bei den ausländischen als auch bei den deutschen Schülern an. Sie sieht die Veränderung der „multikulturell“ gewordenen Gesellschaft nicht als Belastung an, sondern als Bereicherung „des gesellschaftlichen wie des individuellen Lebens.“16 Unterschiede zwischen den Kulturen wurden nun nicht mehr als Defizite gesehen, sondern als Differenzen, die akzeptiert und integriert werden müssen. Holzbrecher behauptet daher, dass interkulturelle Erziehung pädagogische Bemühungen sind, um auf die Globalisierungsbedingungen zu reagieren und Antworten auf die gesellschaftlichen Herausforderungen zu finden.17
Die Zielvorstellung aller interkulturellen migrationspädagogischen Überlegungen ist, dass die verschiedenen Kulturen als Werkzeug der Problemlösung dienen können. So wird die interkulturelle Pädagogik nicht nur innerhalb der Schule bei den Kindern angewendet, sondern auch außerhalb bei den Eltern. Sie soll so der Entfremdung zwischen Eltern und Kind entgegenwirken. Die interkulturelle Pädagogik hat vor diesem Hintergrund die Aufgabe, „den Angehörigen der unterschiedlichen ethnischen Gruppen die politischen Spielregeln einer modernen Staatsbürgerschaft näherzubringen“18 , was soviel heißt wie, sie zu lehren, dass Ethnizität ein bereicherndes Element des Lebens ist Doch was hat diese Thematik nun mit dem Sport zu tun?
Nach der Definition des Statistischen Bundesamtes sind Menschen mit Migrationshintergrund diejenigen, die nach 1949 auf das heutige Gebiet der Bundesrepublik zugewandert sind.19 Des Weiteren zählen dazu nach den Statistiken auch „alle in Deutschland geborenen Ausländer und alle in Deutschland als Deutsche Geborenen mit zumindest einem zugewanderten oder als Ausländer in Deutschland geborenen Elternteil.“20
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Ausländer nach den häufigsten Staatsangehörigkeiten (Quelle: BAMF 2009, S.11)
2010 lebten laut dieser Definition 15,7 Mio. Menschen mit Migrations-hintergrund (19,3% der Gesamtbevölkerung) in Deutschland. Schaut man sich nun die Zahlen der Menschen mit eigener Migrationserfahrung an, so wird deutlich, dass ca. 6,7 Mio. Menschen mit Migrationsgeschichte im klassischen Sinne in Deutschland leben (siehe Abb. 2).
Die größte zugewanderte ethnische Gruppe sind demnach 1.658.083 Personen aus der Türkei (24,8%). Mit großem Abstand folgen italienische (7,7%), polnische (6,0%) und ehemalige jugoslawische Migranten (siehe Abb. 2).
Die Zahlen und Daten zeigen deutlich, dass Deutschland multikulturell geworden ist. Um die damit einhergehenden Probleme der Bevölkerung zu analysieren, ist es wichtig zu überlegen, wie man entsprechende integrative Prozesse in Gang setzt. Die vielen Menschen mit Migrationshintergrund benötigen neue Wege und Ansätze, um am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu können. Es stellt sich daher die Frage, ob man diese Probleme, die die Zuwanderung mit sich bringt, nur durch Bildung und Sprachverbesserungen lösen kann. Der organisierte Sport bietet daher eine Chance, um diese Anregungen und Ziele zu fördern, weil der Sport für jeden gleich und frei zugänglich ist.
„Der Sport übt mehr Anziehungskraft auf junge Menschen mit Migrationshintergrund aus als jedes noch so wissenschaftlich begründete Bildungsprogramm.“ 21
Die Einflussmöglichkeiten des Sports auf das jugendliche Selbstkonzept sind enorm. Der Integration fördernde und die Persönlichkeit beeinflussende Effekt des Sports betrifft nachweislich jeden, der am organisierten Sport aktiv teilnimmt. Die Förderung und der Erhalt der psychischen und physischen Gesundheit des Menschen ist speziell für jugendliche Migranten von großer Bedeutung, „da diese neben dem normalen Alltagsstress, der auf die Jugendlichen einwirkt, sich zusätzlich mit den durch die Migration hervorgerufenen Belastungen auseinander setzen müssen.“22 Ca. 91.000 Sportvereine in der Bundesrepublik bieten mit ihren unterschiedlichen Sportangeboten einen flächendeckenden Zugang für alle Bevölkerungs-schichten und -gruppen an. Ein einzigartiges Merkmal, das neben einer Reihe positiver Eigenschaften ausgezeichnet ist, ist folgendes: Der Sport ist sowohl kultur- als auch schichtübergreifend, „hat für Kinder und Jugendliche genauso wie für Erwachsene eine enorme Bedeutung im Alltag und fußt auf allgemeingültigen Regeln.“23 Die grundsätzlichen Regeln des Sporttreibens sind universell und neutral, sodass sprachliche Barrieren durch nonverbale Kommunikationsversuche überwunden werden können. Aufgrund ihrer politischen und religiösen Neutralität sind Sportvereine offen für alle Menschen.24 Merkmale wie Nationalität, Hautfarbe oder Weltanschauung, die in anderen gesellschaftlichen Zusammenhängen eine wichtige Rolle spielen können, verlieren daher an Bedeutung.25
Kleindienst-Cachay sieht vor allem trotz der eingeschränkten Teilnahme von Migranten in Vereinen ein erhebliches Integrationspotenzial im Sport, und zwar in den folgenden Bereichen:26
Sprachlicher Aspekt der Sportintegration: Durch den vermehrten Kontakt zu Deutschen und anderen ethnischen Gruppen im organisierten Sport verbessern sich die sprachlichen Kompetenzen der Migranten. Im Sport sind die Teilnehmer gezwungen, deutsch zu sprechen, um die Teamfähigkeit zu verbessern und die vorurteilsbehaftete Sprach- und Kulturbarriere zu überwinden.
Sozialer Aspekt der Integration: In einer Studie im Mai 2006 wurde dargestellt, dass immerhin 40% der befragten Personen einen oder mehrere Migranten über ihren Sportverein kennengelernt haben. Des Weiteren geben 49% an, dass multikulturelle Freundschaften durch die Schule, die Arbeit oder die Universität entstanden sind.27 Der Sport ist ein Ort des sozialen Austausches, der die Freizeitkontakte zwischen Deutschen und Personen mit Migrationshintergrund vermehrt.
Struktureller Aspekt der Integration: Der verbesserte Kontakt im sozio-ethnischen Bereich fördert aufgrund der verbesserten sprachlichen Kompetenzen und aufgrund der motivierenden Anregung durch die Sportkameraden Bildungsabschlüsse. Infolgedessen haben Migrantinnen und Migranten verbesserte Einstellungschancen im Arbeitsmarkt, wo sie sich jedoch erst einmal beweisen müssen. Eine interessante Statistik über die Nachteile am Arbeitsmarkt für Bewerber mit türkischen Namen hat eine Konstanzer Studie veröffentlicht. Forscher einer Studiengruppe der Universität Konstanz hatten in einem Feldversuch über 1000 Bewerbungen auf Praktikumsstellen für Wirtschaftsstudenten verschickt. Dazu verwendeten sie fiktive deutsche und türkische Namen mit jedoch inhaltlich gleichwertigen Bewerbungsunterlagen. Dazu hatten diese fiktiven Bewerber nicht nur vergleichbare Qualifikationen und Fähigkeiten, sondern waren ausnahmslos deutsche Staatsbürger. Das Ergebnis: Bewerber mit türkischen Namen erhielten insgesamt 14 Prozent weniger positive Resonanz. Im Vergleich dazu war die Ungleichbehandlung in kleineren Unternehmen sogar noch ausgeprägter. Hier hatten die fiktiven türkischen Bewerber trotz gleicher Voraussetzungen wie ihre deutschen Mitbewerber eine um 24 Prozent geringere Chance auf ein Vorstellungsgespräch.28
Personaler Aspekt der Integration: Die ständige Frage „Bist du Deutscher?“ oder auch „Aus welchen Land kommst du?“, die sicherlich bei den Fragenden auf reinem Interesse beruht und keine negativen Aspekte hervorrufen soll, führt bei Personen mit Migrationshintergrund zu dem Bewusstsein, dass sie anders sind. Charakteristisch ist, dass sie hybride Identitäten29 haben, d.h., dass sie zwischen den Kulturen des Heimatlandes und des Einwanderungslandes hin- und hergerissen werden. Vor allem im Bereich des Kindes- und Jugendalters kann diese Abgrenzungserfahrung zu einem sozialen Dilemma führen. Das Dilemma der meisten Personen mit Migrationshintergrund in Deutschland will ich hier einmal kurz darstellen: In Deutschland werden diese Personen, obwohl sie in Deutschland groß geworden sind und die deutsche Schule besucht haben, als „Deutsche mit Migrationshintergrund“, „Türken“, „Marokkaner“ oder gar als „Ausländer“ bezeichnet. Dasselbe Problem der Ausgrenzung oder des Andersseins haben sie aber auch in ihrer Heimat. So merken die Einheimischen relativ schnell, zum Beispiel in einem Dialog, dass diese Personen nicht aus ihrem Land stammen. Sie sind kulturelle Jongleure, Bastelexistenzen und gelten als „Menschen zwischen zwei Stühlen“. Sie sind Menschen mit Migrationshintergrund oder aber andere Deutsche.30
Der Sport fördert die Zufriedenheit mit dem Leben im Aufnahmeland durch die verbesserten sozialen Kontakte und die soziale Anerkennung, die u.a. durch Erfolge im Sport entstehen.
Identifikatorischer Aspekt der Integration: Mit der sozialen Integration des Sports wird Deutschland als Lebensmittelpunkt der Migranten durch die verbesserten Lebenschancen, die soziale Anerkennung und angesichts des Dilemmas der hybriden Identität gefördert.
Im Folgenden soll empirisch dargestellt werden, wie die aktuelle Beteiligung der Sportler mit Migrationsgeschichte an deutschen Vereinen aussieht. Es ist festzuhalten, dass der Forschungsstand über die Beteiligung der Migranten und Migrantinnen im Vereinssport noch wenig durch empirische Studien untersucht ist. Im Folgenden soll der Frage nachgegangen werden, wie sich die Beteiligung am organisierten Sport nach Geschlecht, nach Altersstruktur und nach Sportart verändert. Dabei wird auf die empirische Studie von Kleindienst-Cachay et al. zurückgegriffen.31
Auf die Frage, „ob die Sportvereine Mitglieder mit Migrationshintergrund haben und wie viele dies sind, ergab sich im Durchschnitt ein Wert von 14,8%.“32 (siehe Abb. 3). Die untersuchten Daten aller Sportvereine aus Bielefeld und Duisburg zeigen einen interessanten Umstand: Mehr als ein Drittel der Vereine, nämlich 36 %, gaben an, dass sie mehr als 10% Migrationsanteil haben. Im Umkehrschluss heißt das, dass zwei Drittel der Vereine entweder keinen oder nur einen geringen Anteil an Mitgliedern mit Migrationshintergrund haben. Daher lässt sich ein Phänomen beobachten „das man mit »Verinselung« der Migrantinnen und Migranten in der Sportvereinslandschaft bezeichnen könnte“33, d.h. eine Konzentration von Mitgliedern auf bestimmte Vereinstypen, die aus ethnischen Gründen bevorzugt werden.
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Abbildung 3: Mitglieder mit Migrationshintergrund an deutschen Sportvereinen (nach Kleindienst-Cachay et. al 2012, S.120.)
Betrachtet man nun die Altersstruktur der aktiven Vereinsmitglieder, die einen Migrationshintergrund haben, so ist zu verzeichnen, dass relativ viele Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre in Sportvereinen aktiv teilnehmen (58 %, siehe Abb. 4). Speziell die männlichen Kinder sind in der Sportart Fußball häufig vertreten. Die Ergebnisse zeigen, dass die Integration und Einbindung vor allem der männlichen Kinder und Jugendlichen mit Migrationshintergrund recht gut zu gelingen erscheint. Im Vergleich dazu sehen die Zahlen der Erwachsenen und Senioren jedoch eher mager aus. Ein Grund für die veränderten Werte scheint darin zu liegen, „dass es einerseits schwierig ist, die bereits inkludierten Kinder und Jugendlichen als Mitglieder im Erwachsenenalter an die Vereine zu binden.“34 Mit fortschreitendem Alter und mit dem Einsetzen der Pubertät steigen viele Jugendliche mit Migrationshintergrund aus Sportvereinen aus. Andererseits ist es schwierig, Migrantinnen und Migranten im Erwachsenenalter für eine Teilnahme am organisierten Sport zu gewinnen. Nur 17,3 % der befragten Personen mit Migrationshintergrund waren demnach Erwachsene zwischen 31 und 60 Jahren. Noch dramatischer ist die Zahl der Senioren ab 61 Jahren, welche bei 3,5 % liegt.
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Abbildung 4: Altersstruktur von Migranten an deutschen Vereinen (nach Kleindienst-Cachay et. al 2012, S. 127.)
Insgesamt ist festzuhalten, dass die Beteiligung der Migranten im Kindes- und Jugendalter relativ gut ist. Mit ansteigendem Alter, vor allem ab 18 Jahren, sinkt die Beteiligung in den Sportvereinen. Des Weiteren zeigen sich auch Zusammenhänge zwischen Altersstruktur und Sportart: Vereine, die Fußball anbieten, haben im Vergleich zu Vereinen ohne Fußball „den höchsten Anteil an jungen, erwachsenen Mitgliedern (18 – 30 Jahre) mit Migrationshintergrund.“35 Keine Sportart zeigt nur annähernd so viele aktive Mitglieder mit Migrationshintergrund wie der Fußball. Das zeigt, dass die Migranten sich in dieser Sportart wiederfinden, welche demnach ein großes Potenzial für die Integration bietet.
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Abbildung 5: Mitglieder mit Migrationshintergrund an deutschen Sportvereinen (nach Kleindienst-Cachay et. al 2012, S. 127.)
Die vorhandenen Ergebnisse zeigen große Differenzen, wenn man die Vereinsmitglieder mit Migrationsgeschichte nach Geschlechtern trennt. Es herrscht ein Verhältnis von knapp 70 % männlichen zu 30 % weiblichen Teilnehmern (siehe Abb. 5) an den Vereinen. Interessant ist, dass es eine sehr große Streubreite gibt: Auf der einen Seite gibt es Vereine, die wenige oder gar keine weiblichen Mitglieder mit Migrationshintergrund zu verzeichnen haben, aber andererseits gibt es auch Vereine, die hohe Anteile von ca. 95 % Frauen mit Migrationshintergrund haben. Dies ist damit zu begründen, dass die Geschlechter je nach Sportart andere Interessen haben. So ist festzustellen, dass die Mehrzahl der Fußballvereine überproportional viele männliche Mitglieder und gar keine oder nur wenige weibliche Mitglieder haben. Bei Vereinen, „die Fußball nicht im Programm haben, bewegt sich der Frauenanteil bei den Mitgliedern mit Migrationshintergrund zwischen 40 % und 60 %.“36 Neben dem Geschlecht korreliert die Beteiligung auch mit dem Herkunftsland der Teilnehmer. Differenziert wurden jugendliche Mädchen, die aus der Türkei, Russland, Polen sowie aus anderen Ländern stammen. „Die Befunde zeigen, dass diese Mädchen im Durchschnitt etwa vier Stunden pro Woche in ihrer Freizeit sportlich aktiv sind und etwas mehr als jedes fünfte Mädchen in einem Sportverein organisiert ist.“37
Tabelle 1: Die am häufigsten betriebene Sportaktivität von Menschen mit Migrations-hintergrund (nach Kleindienst-Cachay et. al 2012, S. 129.)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Bei den Vorlieben für Sportarten ist der Fußball klar und deutlich dominant: Bei der Studie gaben 57 % der Vereine an, dass Fußball am häufigsten von ihren Mitgliedern mit Migrationshintergrund betrieben werde. Mit großem Abstand folgen mit 14 % Kampfsportarten, mit 10 % Turnen und mit 9 % Schwimmen (siehe Tab. 1).
Wie lässt sich das große Interesse an Fußball und Kampfsportarten erklären? Der Fußball ist weltweit und auch in den Ländern der Migranten der populärste „Nationalsport“. Sie können ihre Interessen mit der Sportart identifizieren. Das Interesse gilt auch bei Migrantinnen, die sich „dagegen bislang kaum für die von vielen Mädchen und Frauen ohne Migrationshintergrund favorisierten Sportspiele Handball, Basketball und Volleyball motivieren lassen.“38
Die dargestellten empirischen Untersuchungen von Cachay und Digel (siehe Kapitel 3.3.) ergeben neue Erkenntnisse für das Projekt „Integration und Sport“. Sie zeigen, welche Sportarten von Migranten bevorzugt werden und wie sich die Teilnahme am organisierten Sport mit dem Alter der Migranten ändert.
[...]
1 DSJ 2010, S. 139.
2 Finkelstein 2005, S. 11.
3 Vgl. Pflegerl 1977, S. 15.
4 Vgl. Süssmuth 2006, S. 63.
5 Bade u. Oltmer 2004, S. 127.
6 Vgl. Bade u. Oltmer 2004, S. 127.
7 Vgl. Kiesel 1996, S. 76.
8 ebd.
9 Vgl. ebd.
10 Kiesel 1996, S. 77.
[11] Mecheril 2010, S. 57.
[12] Niekrawitz 1990, S. 14.
[13] Vgl. Kiesel 1996, S. 76 .
14 Auernheimer 2005, S. 17.
15 Mecheril 2010, S. 57.
16 Nieke 1991, S. 4.
17 Vgl. Holzbrecher 2004, S. 87.
18 Kiesel 1996, S. 81.
19 Vgl. Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung 2010.
20 ebd.
21 Bach 2008.
22 Kleindienst-Cachay 2006a, S. 82.
23 DOSB 2013, S. 2.
24 Vgl. Özdemir 2014, S. 6.
25 Vgl. ebd, S. 3.
26 Vgl. Kleindienst-Cachay 2006b, S. 10ff.
27 ebd. S. 10.
28 Vgl. Universität Konstanz 2009.
29 Vgl. Foroutan, u. Schäfer (2009). S. 11-18.
30 Vgl. ebd.
31 Vgl. Kleindienst-Cachay et. al 2012, S. 119 – 160.
32 Kleindienst-Cachay et. al 2012, S.120.
33 ebd.
34 Kleindienst-Cachay et. al 2012, S. 127.
35 Kleindienst-Cachay et al. 2012, S. 127.
36 Kleindienst-Cachay et al. 2012, S. 127.
37 ebd.
38 Kleindienst-Cachay et al. 2012, S. 129.