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Bachelorarbeit, 2017
50 Seiten, Note: 1,6
1 Mütter und Kinder gemeinsam in Haft
2 Strafvollzug in Deutschland
2.1 Definition Strafvollzug
2.2 Aufbau und Struktur des Erwachsenenvollzuges
2.3 Besonderheiten des Frauenvollzuges
2.4 Statistische Angaben zum Strafvollzug in Deutschland
2.5 Praktische Umsetzung am Beispiel des Frauenvollzuges Chemnitz
3 Bindung von Müttern und Kindern im Strafvollzug
3.1 Bindung – eine Auseinandersetzung mit dem Begriff
3.2 Folgen von Trennung – Frühtraumatisierung
3.3 Bindungsstörungen
4 Lebensbewältigung und Handlungsfähigkeiten von Müttern im Strafvollzug
5 Lebensweltorientierung von Müttern und ihrer Kinder im Strafvollzug
6 Straffällig gewordene Mütter und ihre Kinder - eine alternative Unterbringung zu Strafvollzug
7 Konzepterstellung
8 Fazit
Quellenverzeichnis
Anlagen
Anlage 1 – Konzeption der Mutter-Kind-Wohngruppe der JVA Chemnitz
Anlage 2 – Auszüge aus Gesetzestexten
Anlage 3 – Auszug der Konzept „Seehaus Störmthal“
Anlage 4 – Konzept einer neu zu eröffnenden Einrichtung für straffällige Mütter und ihre Kinder
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Bestand weiblicher und männlicher Strafgefangener in Deutschland von 2006 bis 2016
Abbildung 2: Anzahl der Plätze in Mutter-Kind-Einrichtungen sowie das Höchstalter der Kinder
Von Beginn an ist die Entwicklung eines Kindes ohne die Mutter nicht möglich. Bereits durch die Schwangerschaft und die sich daraus resultierende Geburt sind Mutter und Kind durch ein untrennbares Band verbunden. Dennoch gibt es immer wieder Lebensumstände, die ein gemeinsames Leben gar nicht oder nur unter sehr besonderen Umständen ermöglichen. Die Verbüßung einer Haftstrafe der Mutter ist einer dieser besonderen Umstände. Sie verliert nicht nur ihren sozialen Status, ihre körperliche und wirtschaftliche Freiheit, sondern sie steht vor der Entscheidung wo ihr(e) Kind(er) untergebracht werden soll(en).
Diese Arbeit soll die gemeinsame Unterbringung von Mutter und Kind im Zwangskontext – also in Haft – näher beleuchten.
Die Verfasserin strebt an in dieser Arbeit die Fragestellungen zu klären, welche Auswirkungen sowohl eine langfristige Trennung durch den Aufenthalt der Mutter in einer Justizvollzugsanstalt, als auch eine gemeinsame Unterbringung für das Kind haben kann. Ziel ist es, ein Konzept für eine Einrichtung zu entwickeln, in der sowohl der rechtlich angeordnete Vollzug der Freiheitsstrafe der Mutter, als auch die Bedürfnisse der Kinder berücksichtigt werden. Eine langfristige Studie über die Entwicklung von Kindern in dieser besonderen Lebenssituation ist durch die begrenzte Bearbeitungszeit sowie Seitenzahl dieser Arbeit nicht möglich.
Die Ausgangslage dieser Arbeit wird bestimmt durch die intrinsische Motivation der Verfasserin sowie einem Mangel an Forschungen und Konzepten zu diesem speziellen Thema.
Im ersten Teil der Arbeit wird das Thema theoretisch untersucht. Zunächst wird die aktuelle Lage in Deutschland durch rechtliche Grundlagen[1], statistische Angaben sowie die Umsetzung an einem Praxisbeispiel, dargestellt. Nachfolgend werden die Bindungstheorie sowie die Folgen von Trennung durch Fachliteratur von John Bowlby, Dr. Bettina Bonus und Dr. Karl-Heinz Brisch erklärt. Zur Erläuterung des Konzeptes der Lebensbewältigung und Handlungsfähigkeit sowie des Konzeptes der Lebenswelt- und Sozialraumorientierung werden die Erkenntnisse von Dr. Lothar Böhnisch und Hans Thiersch herangezogen und in Bezug auf eine gemeinsame Unterbringung von Mutter und Kindern in einer Justizvollzugsanstalt untersucht.
Nach den Schlussfolgerungen der theoretischen Untersuchungen wird das Konzept zur gemeinsamen Unterbringung erstellt, welche neben den Adressaten[2] und der Zielstellung auch die methodisch-didaktischen Umsetzung sowie die benötigten Ressourcen beschreibt.
Abschließend erfolgt eine kritische Reflexion der Arbeit sowie weiter Forschungsmöglichkeiten zu diesem speziellen Thema.
„Im Allgemeinen versteht man unter Strafvollzug die Art und Weise der Durchführung der freiheitsentziehenden Kriminalsanktionen, und zwar von der Aufnahme des Verurteilten in die Anstalt bis zur dessen Entlassung.“[3]
Diese Anstalten sind grundsätzlich in Jugend- und Erwachsenenvollzug sowie Männer- und Frauenvollzug unterteilt. Darunter ist die Untersuchungshaft eine spezielle Form des Strafvollzugs. Im nächsten Abschnitt wird noch etwas näher auf unterschiedliche Unterbringungsformen, gesetzliche Grundlagen sowie statistische Angaben eingegangen, wobei sich auf die Thematik des Erwachsenenvollzuges beschränkt und somit die Untersuchungshaft sowie der Jugendvollzug nicht berücksichtigt wird.
Der Strafvollzug in Deutschland war ab dem 01.01.1977 durch das „Gesetz über den Vollzug der Freiheitsstrafe und der freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung“ (Strafvollzugsgesetz bzw. StVollzG) geregelt. Das Bundesjustizministerium war bis dahin zuständig für die gesetzliche Rahmenregelung des Strafvollzugs und die dazugehörigen bundeseinheitlichen Verwaltungsvorschriften. Die Bundesländer erließen lediglich die Ausführungsvorschriften in eigener Zuständigkeit. Mit der am 30. Juni 2006 vom Bundestag beschlossenen und am 1. September 2006 in Kraft getretenen Föderalismusreform erfolgte eine Rückgabe der Zuständigkeit für den Justizvollzug wieder an die Länder, wie es vor 1977 der Fall war.[4]
Durch diese Änderung standen die Länder vor der Aufgabe, jeweils ein eigenes Strafvollzugsgesetz zu erlassen. Bis zum heutigen Zeitpunkt haben 11 von 16 Bundesländern ein eigenes Gesetz verabschiedet: Baden-Württemberg (JStVollzGB BW), Bayern (BayStVollzG), Brandenburg (BbgJVollzG), Hamburg (HmbStVollzG), Hessen (HStVollzG), Mecklenburg-Vorpommern (StVollzG M-V), Niedersachsen (NJVollzG), Saarland (SLStVollzG), Reinland-Pfalz (LJVollzG), Sachsen (SächsStVollzG) und Thüringen (ThürJVollzGB).
Den Bundesländern Berlin, Bremen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein steht die Gesetzgebung noch bevor. Aktuell, bis zur Erstellung eigener Landesgesetze, orientierten sich diese Länder an einem Musterentwurf (ME StVollzG), welcher ursprünglich einmal von zehn Bundesländern gemeinsam entwickelt wurde. Lediglich Nordrein-Westfalen richtet sich bis zum Erlass eines eigenen Strafvollzugsgesetzes an das Strafvollzugsgesetz des Bundes.[5]
Die Aufgaben des Justizvollzuges sind u.a. gesetzlich festgeschrieben im §2 StVollzG: „Im Vollzug der Freiheitsstrafe soll der Gefangene fähig werden, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen.“ Dieser Satz beschreibt das Vollzugsziel. Weiter heißt es: „Der Vollzug der Freiheitsstrafe dient auch dem Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten.“
Mit der Verwendung des Wortes „auch“ hat der Gesetzgeber den Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten als nachrangiges Instrument eingesetzt.[6] Bei der Erstellung der eigenen Landesstrafvollzugsgesetze hat sich ein Großteil der Bundesländer auf die Gleichstellung der beiden Vollzugsziele geeinigt.[7]
Die Grundlage für die Entscheidung, in welcher Justizvollzugsanstalt der/die Straffällige die Strafe zu verbüßen und am Erreichen der Vollzugsziele mitzuwirken hat[8], ist der § 152 StVollzG – der Vollstreckungsplan.
Dieser besagt, dass die Zuständigkeit nach allgemeinen Merkmalen zu bestimmen ist. Die Möglichkeit des Vollzuges der Freiheitsstrafe besteht im offenen bzw. geschlossenem Vollzug, Untersuchungshaft, Strafarrest, Jugendstrafe, einstweilige Unterbringung, Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in einer Entziehungsanstalt.[9] In den nachfolgenden Abschnitten wird auf ausgewählte Unterbringungsmöglichkeiten noch etwas näher eingegangen.
Trennung nach Geschlecht und Haftart
Die wichtigsten Organisationsgrundsätze des deutschen Strafrechts sind im § 140 StVollzG – Trennung des Vollzugs – und § 141 StVollzG – Differenzierung – verankert. Der Trennungsgrundsatz besagt, dass Inhaftierte generell geschlechtergetrennt untergebracht werden sollen. Ziel ist der Schutz von Intim- und Sexualbereich. Lediglich bei der Teilnahme von schulischen und beruflichen Angeboten ist ein gemeinsamer Aufenthalt möglich, gem. § 140 Abs. 3 StVollzG. Aus gesondertem Grund kann, gem. §140 Abs. 2 Satz StVollzG, die Unterbringung in einer gesonderten Abteilung der Männervollzugsanstalt erfolgen. In der Praxis wird diese Sonderregelung mehrheitlich genutzt, da der Bedarf an eigenständigen Frauenanstalten zu gering ist (siehe Kapitel 2.3.). Zu der gesetzlich angeordneten Trennung nach Geschlecht kommt noch, nach §141 Abs.1 StVollzG, die Aufteilung der Haftanstalten oder Abteilungen nach den unterschiedlichen Bedürfnissen der Inhaftierten, sodass eine abgestimmte Behandlung gewährleistet werden kann[10].
Der geschlossene und offene Vollzug
Eine weitere Möglichkeit dieser Aufteilung ist die Trennung der Inhaftierten durch die Abteilungen „geschlossener Vollzug“ und „offener Vollzug“.
Ersteres zeichnet sich vor allem durch hohe Sicherheitsmaßnahmen aus. Vorgesehen ist die geschlossene Unterbringungsart für die Verurteilten bzw. Inhaftierten, welche eine lange Haftzeit verbüßen müssen. Zudem handelt es sich bei den Insassen häufig um Wiederholungstäter und nicht selten um Straftäter, bei denen Flucht- und/oder Missbrauchsgefahr besteht.[11]
In den überwiegenden Fällen werden jedoch auch Kurzstraftäter von Beginn an in der geschlossenen Unterbringung verwahrt. Dies stellt insofern eine Problematik dar, dass die Prüfung der Anstalt hinsichtlich der Eignung für den offenen Vollzug oftmals mehrere Monate dauert. Das hat zur Folge, dass Straftäter, welche eigentlich für den offenen Vollzug geeignet wären, ihre Strafe im geschlossene Vollzug absitzen müssen und somit wesentlich weniger Haftlockerungen bekommen.
Die Voraussetzungen für die Verbüßung der Haftstrafe im offenen Vollzug sind gem. § 10 Abs. 1 StVollzG die Zustimmung des Gefangenen für die Unterbringungsform, die Erfüllung besonderer Anforderungen (unbestimmter Rechtsbegriff) und das Ausschließen einer Flucht- und Missbrauchsgefahr.
Im offenen Vollzug werden nicht nur Ersttäter oder Inhaftierte mit Kurzstrafen untergebracht, sondern auch Gefangene, bei denen die Vorbereitung auf die Entlassung, aufgrund langer Haftzeit, sinnvoll erscheint. Denn vor allem der offene Vollzug schafft für die Menschen eine gute Basis zur Erreichung des Vollzugszieles (siehe Kapitel 2.2). Die reduzierten Kontrollen verlangen von den Inhaftierten unter anderen Aspekte wie Selbstbestimmung, Verantwortung, Disziplin und Resozialisierung. Außerdem ist die Ausübung einer Beschäftigung sowie der persönliche Kontakt und Austausch mit Menschen außerhalb der Justizvollzugsanstalt möglich, welcher der Entlassungsvorbereitung gilt.[12]
Eine für die Verfasserin sehr entscheidende und zu berücksichtigende Besonderheit des Frauenvollzuges wird in der Konzeption der Mutter-Kind-Einrichtung der JVA Chemnitz (siehe auch Kapitel 2.5.) beschrieben: „Der überwiegende Teil der weiblichen Gefangenen ist zum Zeitpunkt der Inhaftierung bereits Mutter […] und/oder schwanger.“[13] Unter anderem aus diesem Grund trägt der familiäre und gesellschaftliche Bezug häufig mehr Gewicht als bei Männern. Der Entzug der Freiheit bedeutet demnach besonders für Frauen eine extreme emotionale Belastung und bedarf verstärkter Aufmerksamkeit sowie intensiveren Behandlungs- und Unterstützungsmaßnahmen.[14]
Aufgrund der wesentlich geringeren Anzahl der Haftanstalten für Frauen (siehe Kapitel 2.2 und 2.4.) ist bereits eine Unterbringung in einer Anstalt problematisch. Das hat zur Folge, dass Frauen häufig in einer Abteilung einer Männeranstalt untergebracht werden, in diesen jedoch nicht die nötigen Resozialisierungsmaßnahmen erfahren können. Hinzu kommt, dass aufgrund der vergleichsweisen geringen Anzahl der Frauenanstalten eine heimatnahe Unterbringung teilweise unmöglich ist. Das Resultat sind extrem eingeschränkte Besuchskontakte, da es vielen Familien aus wirtschaftlichen Gründen nicht möglich ist, ihre Angehörige regelmäßig zu besuchen, wenn diese teilweise in hunderten Kilometern Entfernung untergebracht sind.[15]
Rechtlich betrachtet haben die Besonderheiten für Frauen nur wenig Raum gefunden. Lediglich die §§ 76-80 StVollzG enthalten individuelle Bestimmungen für den Frauenvollzug. Inhaltlich regeln sie jedoch nur den Fall von Schwangerschaft, Geburt und die Zeit nach der Entbindung sowie die gemeinsame Unterbringung von Müttern mit Kindern[16] (§80 StVollzG – siehe Kapitel 2.6.).
Zum angegebenen Stichtag, dem 31. August 2016, gab es in Deutschland 183 Justizvollzugsanstalten, darunter 14 für den offenen Vollzug, mit einer Belegungsfähigkeit von insgesamt 73.461 Plätzen, davon 4.224 Plätze für weibliche Strafgefangene. Der tatsächliche Bestand der Gefangenen und Verwahrten in den Justizvollzugsanstalten lag bei 63.100, davon waren 3.690 Frauen (offener und geschlossener Vollzug). Das heißt der Anteil weiblicher Strafgefangener liegt bei gerade einmal 5,8 %. Die Belegungen sind unterteilt in Untersuchungshaft, Freiheitsstrafen, Jugendstrafen, Sicherungsverwahrung und sonstige Freiheitsentziehung.[17] Vergleicht man diese Zahlen mit den Angaben von vor 10 Jahren, so lässt sich ein Rückgang der Justizvollzugsanstalten feststellen. Zum 31. August 2006 existierten in Deutschland 196 Justizvollzugsanstalten, darunter 19 für den offenen Vollzug. In absoluten Zahlen bedeutet das eine Minimierung von 8 Einrichtungen des geschlossenen und 5 Einrichtungen des offenen Vollzuges. Hierbei kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass es sich auch um Zusammenlegungen von zwei, oder mehreren Haftanstalten handelt. Aussagekräftiger sind dagegen die Zahlen der Belegungsfähigkeit und der tatsächlichen Belegung. Insgesamt konnten die Justizvollzugsanstalten im August 2006 79.979 Gefangene und Verwahrte aufnehmen, davon 4.258 weibliche (offener und geschlossener Vollzug). Demnach kann von einem prozentualen Rückgang der Belegungsfähigkeit von 8,1% der Plätze für männlichen und von 13,3 % der Plätze für weiblichen Inhaftierten ausgegangen werden[18]. An dem nachfolgenden Diagramm ist erkennbar, dass auch die tatsächliche Belegung bei männlichen, wie auch weiblichen Insassen in den letzten zehn Jahren rückläufig war, wenn auch nicht durchweg kontinuierlich.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Bestand weiblicher und männlicher Strafgefangener in Deutschland von 2006 bis 2016
Prozentual handelt es sich bei den männlichen Insassen um einen Rückgang von 18,7% und bei den weiblichen Gefangenen um 9,1%[19] im Zeitraum von 2006 bis 2016. Junker weist jedoch auf ein methodisch bedingtes Problem der Stichtagsuntersuchung als Datenerhebungsmethode hin: Frauen verbüßen in der Regel kürzere Freiheitsstrafen als Männer. Die Wahrscheinlichkeit, dass Frauen, die irgendwann einmal inhaftiert sind, in der Stichtagserhebung erfasst werden, ist somit viel geringer, als bei männlichen Inhaftierten. Dieser Faktor trägt insgesamt dazu bei, dass die Anzahl der inhaftierten Frauen unterschätzt wird.[20]
Gleichartig detaillierte statistische Angaben zur Belegung der Mutter-Kind-Einrichtungen in Deutschland gibt es nicht. Die nachfolgende Tabelle zeigt aus diesem Grund ausschließlich die Einrichtungen mit der Belegungskapazität, aufgeteilt in geschlossenen sowie offenen Vollzug.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten[21] [22] [23] [24] [25] [26] [27]
Abbildung 2: Anzahl der Plätze in Mutter-Kind-Einrichtungen sowie das Höchstalter der Kinder
Hierbei ist besonders die ungleiche Verteilung der Platzkapazität zwischen offenem und geschlossenen Vollzug zu bemerken (30 zu 83). Hinzukommt, dass eine Unterbringung im geschlossenen Vollzug nur für Kinder möglich ist, die ihr drittes Lebensjahr noch nicht erreicht haben.
Zur Vollständigkeit sollte erwähnt werden, dass es in anderen Justizvollzugsanstalten weitere Unterbringungsmöglichkeiten, jedoch keine Mutter-Kind-Einrichtungen nach den §§ 80, 142 StVollzG gibt.[28] Beispielsweise können in Berlin an drei verschiedenen Standorten (Pankow, Reinickendorf, Neukölln) bis zu sechs Mütter mit Kindern untergebracht werden. Jedoch gibt es hierbei teilweise keine separate Schlafmöglichkeit für die Kinder, sodass eine Unterbringung nur bis zum ersten Lebensjahr des Kindes möglich ist.[29]
In der Zeit vom Mai 2010[30] bis Oktober 2013 wurden erstmals Vater-Kind-Plätze im offenen Vollzug für drei Väter mit jeweils bis zu zwei Kindern bereitgestellt. Dieses Angebot wurde auf Grund fehlender Nachfrage wieder eingestellt. Insgesamt gab es nur sehr wenige Anträge, welche alle aufgrund der Nicht-Eignung des Vaters für den offenen Vollzug abgelehnt wurden.[31]
Die Justizvollzugsanstalt Chemnitz ist der zentrale Frauenvollzug der Freistaaten Sachsen und Thüringen. Dieser weist eine aktuelle Belegungskapazität von 241 Plätzen im geschlossenen Vollzug, 14 Plätze im Jugendarrest und 5 Plätze in der Mutter-Kind-Einrichtung[32] im offenen Vollzug auf.[33]
Die § 80 StVollzG und § 27 SächsJStVollzG bilden in dieser Institution für die gemeinsame Unterbringung von Mutter und Kind die gesetzliche Grundlage.
Die Mutter muss hierfür selbstständig vor Inhaftierung einen Antrag auf einen Platz in der Mutter-Kind-Wohngruppe stellen. Neben der Mutter-Kind-Bindung und dem körperlichen und psychischen Zustand des Kindes werden auch die Aufnahmekriterien der Mutter in den offenen Vollzug sowie in diese spezielle Einrichtung geprüft. Eine Drogen-, Alkohol-, und/oder Medikamentenproblematik der Mutter oder eine schwerwiegende Behinderung bzw. infektiöse Krankheit (z.B. Hepatitis oder Röteln) des Kindes schließen eine Aufnahme beispielsweise aus. Eine Bescheinigung über den Gesundheitszustand des Kindes muss vom Kinderarzt vorgelegt werden.[34]
Des Weiteren muss die Mutter noch vor Antritt die finanziellen Mittel zur Versorgung des Kindes geklärt haben. Die Kinder werden grundsätzlich nicht über die Anstalt versorgt, die Verantwortung hierfür trägt allein die Mutter. Um die Kosten zu decken stehen der Mutter mehrere Möglichkeiten zur Verfügung, welche anschließend aufgezählt werden:
- Kindergeld[35]
- Elterngeld[36]
- Kindesunterhalt[37]
- Wirtschaftliche Erziehungshilfe[38]
Außerdem muss vor Antritt der Haftstrafe in der Wohngruppe der Krankenversicherungsschutz des Kindes geklärt werden.[39] Nach § 16 Abs.1 SGB V ruht ab Haftantritt der Leistungsanspruch der Mutter, eine Familienversicherung des Kindes ist somit ausgeschlossen.
Die endgültige Entscheidung über die Unterbringung in dieser Wohnform trifft, nach Rücksprache mit dem Jugendamt, der Anstaltsleiter.
Eine Besonderheit in der Mutter-Kind-Wohngruppe der JVA Chemnitz besteht darin, dass das Kind zum voraussichtlichen Zeitpunkt der Entlassung der Mutter nicht älter als drei Jahre sein sollte.[40]
In den meisten offenen Vollzügen Deutschlands besteht die Möglichkeit der Unterbringung bis zum Schuleintritt der Kinder.[41]
Zudem ist in Chemnitz aufgrund örtlicher Gegebenheiten nur eine Aufnahme von Müttern mit einem Kind vorgesehen. Nur in Einzelfällen kann eine Aufnahme auch mit zwei Kindern erfolgen.
Erfolgt eine Aufnahme, leben die Kinder in einem separaten Gebäude auf dem Anstaltsgelände, an dessen Fenstern sich keine Gitter befinden. In den Hafträumen befinden sich, neben dem üblichen Mobiliar, das Kinderbett, eine Wickelunterlage und ein Hochstuhl. Allen Müttern und Kindern stehen zur gemeinsamen Nutzung ein Wickel- und Waschraum, eine Küche, ein Freizeitraum, Waschmaschinen und Wäschetrockner zur Verfügung. Auf dem Außengelände befinden sich altersgerechte Spielmöglichkeiten, welche während der Aufenthalte im Freien genutzt werden können.
Wöchentlich findet, verpflichtend für alle Inhaftierten der Mutter-Kind-WG, die Gesprächsgruppe „MUKI-Aktuell“ statt. Gemeinsam mit dem Anstaltsleiter, dem Sozial- und dem Stationsdienst können u.a. Anliegen besprochen, Freizeitmaßnahmen geplant und vorbereitet sowie über ein geordnetes Zusammenleben diskutiert werden. Die Kinder sollen, neben den vielfältigen Freizeitaktivitäten der JVA, wie z.B. Kochen, Backen, Yoga und Babyschwimmen, nach Möglichkeit tagsüber auch eine öffentliche Kindertagesstätte besuchen. Voraussetzung hierfür ist die Beantragung des Platzes durch die Mutter sowie die finanzielle Absicherung des Kita-Platzes durch die jeweilige Kommune, aus der die Mutter kommt.[42]
Des Weiteren ist es vor allem an den Wochenenden für die Kinder wichtig, Zeit außerhalb der Anstalt zu verbringen. Hintergrund ist die Gewöhnung an Umweltreize (Straßenlärm, Menschen beim Einkauf u.a.) sowie das Halten eines regelmäßigen Kontaktes zur Herkunftsfamilie und wichtigen Bezugspersonen. Die Mutter kann, beispielsweise für den Umgang mit dem Kindsvater oder den Großeltern, einen Antrag auf zwei verlängerte Wochenendurlaube für das Kind stellen. Die Beamten der Justizvollzugsanstalt möchten dem Kind somit die Möglichkeit geben, eine emotionale Bindung außerhalb der Anstalt aufzubauen bzw. aufrechtzuerhalten.[43]
„Mit dem Begriff Bindung wird eine enge soziale Beziehung zu bestimmten Personen, die Schutz oder Unterstützung bieten können, bezeichnet.“[44]
Bereits vor über 50 Jahren entwickelte John Bowlby, ein Londoner Psychiater und Psychoanalytiker, die Bindungstheorie. Er beschreibt „das innere Arbeitsmodell“ und entwickelt gemeinsam mit seiner Schülerin Mary Ainsworth „die fremde Situation“, eine empirische Untersuchungsmethode, welche das Bindungsverhalten etwa einjähriger Kinder aufzeigen sollte. Die Methode umfasste verschiedene, jeweils dreiminütige Situationen, in denen das Kind, jeweils mit und ohne Bezugsperson, in einem Raum mit einer für das Kind fremden Person war. Bowlby und Ainsworth erkannten vier Hauptbindungsmuster: die sichere Bindung, die eine gesunde Entwicklung des Kindes erwarten lässt, sowie die drei Untergruppen der unsicheren Bindung. Diesbezüglich kann es sich um unsicher-vermeidendes, unsicher-ambivalentes sowie unsicher-desorganisiertes Verhalten handeln. Inzwischen wurden die Erkenntnisse auch in Deutschland von Bindungsforschern aufgegriffen und unzählige Studien dazu durchgeführt. Im Allgemeinen bestätigen diese die Aussagen der beiden.[45]
Für die Entwicklung einer sicheren Bindung war für Bowlby und Ainsworth das Verhalten der Pflegeperson vor dem ersten Lebensjahr gegenüber dem Kind ausschlaggebend. Mütter mit bindungssicheren Kindern waren verfügbarer für das Kind und dabei kooperativer und feinfühliger. Die Kinder suchten bei Leid ihre Nähe, konnten sich jedoch wieder gut lösen, wenn sie getröstet waren. Sie zeigten in Interaktion mit der Mutter weniger Aggression und Ängstlichkeit, sie vertrauten der Verfügbarkeit der Mutter und gingen auf Ge- und Verbote der Mutter ein. Jungen und Mädchen weniger feinfühliger Mütter zeigten hingegen entweder eine außergewöhnliche Unabhängigkeit von ihren Müttern, vermischt mit einzelnen Abschnitten unvermittelten Ärgers, oder eine gesteigerte Unzufriedenheit und Ängstlichkeit.
[...]
[1] Zur besseren Lesbarkeit befinden sich die beschriebenen Gesetzesauszüge im Anhang dieser Arbeit.
[2] In dem Text findet aus Gründen der sprachlichen Vereinfachung und der besseren Lesbarkeit lediglich die männliche Form Verwendung. Die Ausführungen beziehen sich gleichermaßen auf weibliche und männliche Personen.
[3] Kaiser/ Schöch (2002): 3
[4] Deutsche AIDS-Hilfe (2014): 8ff
[5] Feest 08.09.2011
[6] vgl. Gottwald/Sarachmann 2014: 6; vgl. Feest 2011: 87f.
[7] vgl. Feest (2011): 88
Entsprechende Bestimmungen befinden sich im §2 BayStVollzG, §2 BdbJVollzG, §2 HmbStVollzG, §2 HStVollzG, §2 StVollzG M-V, §5 NJVollzG, §2 LJVollzG, §2 SächsStVollzG, §2 ThürJVollzGB
[8] vgl. §4 StVollzG
[9] vgl. Gottwald/Sarachmann (2014): 8ff, §152 Abs. 3 StVollzG
[10] vgl. Gottwald/Sarachmann (2014): 9 ff
[11] vgl. Fritsche (2005): 29, vgl. Gottwald/Sarachmann 2014: 14
[12] vgl. Gottwald/Sarachmann (2014): 10f.
[13] Konzeption JVA Chemnitz: 1
[14] vgl. Gottwald/Sarachmann 2014: 17
[15] vgl. Gottwald/ Sarachmann: 20
[16] vgl. Junker (2011): 6
[17] Statistisches Bundesamt (2016): 5
[18] Statistisches Bundesamt (2014): 116
[19] Von 73.093 Inhaftierten im Jahre 2006 auf 59410 Inhaftierten im Jahre 2016 (männlich) bzw. von 4073 weiblichen Inhaftierten auf 3690.
[20] vgl. Junker (2011): 92, ebenso Koch/Suhling (2005): 93
[21] vgl. Justizvollzugsanstalt für Frauen
[22] vgl. Mutter-Kind-Heim Preungesheim e.V.
[23] vgl. Gottwald/Sarachmann (2014): 63 ff
[24] vgl. Bayrischer Landtag: 1ff
[25] vgl. Gemeinsame Richtlinie der Senatsverwaltung für Justiz
[26] vgl. Konzeption JVA Chemnitz (2012)
[27] Bayrischer Landtag: 1ff
[28] vgl. Junker (2011): 41
[29] vgl. Gemeinsame Richtlinie der Senatsverwaltung für Justiz
[30] vgl. Freistaat Sachsen (2016): 4
[31] Das komplette Konzept dieser Einrichtung befindet sich im Anhang dieser Arbeit.
[32] Die Begriffe Mutter-Kind-Einrichtung und Mutter-Kind-Wohngruppe werden in der Konzeption synonym verwendet und sind auch in dieser die Arbeit gleichbedeutend.
[33] vgl. Freistaat Sachsen
[34] vgl. Konzeption JVA Chemnitz 2012: 1f. Die vollständige Konzeption befindet sich im Anhang 1.
[35] Die Gefangene muss selbständig einen Antrag bei der Behörde stellen.
[36] Bundeselterngeld kann für das erste bzw. für die ersten beiden Lebensjahre des Kindes gewährt werden, Landeserziehungsgeld beginnend ab dem zweiten bzw. dritten Lebensjahr.
[37] Zur Versorgung der Kinder steht den Müttern Kindesunterhalt vom Vater zu. Können diese nicht erbracht werden, kann beim zuständigen Jugendamt ein Unterhaltsvorschuss beantragt werden.
[38] Inhaftierte Mütter, ohne auszureichendes Einkommen, können einen Antrag auf Übernahme der Gebühren für die Kindertagesstätte beim zuständigen Jugendamt stellen.
[39] vgl. Konzeption JVA Chemnitz (2012): 5
[40] vgl. Konzeption JVA Chemnitz (2012): 1ff.
[41] vgl. Gottwald/Sarachmann (2014): 105
[42] vgl. Konzeption JVA Chemnitz (2012): 4
[43] vgl. Konzeption JVA Chemnitz (2012): 6f.
[44] Jungmann/Reichenbach (2009)
[45] vgl. Schleiffer: 42ff
Bachelorarbeit, 157 Seiten
Diplomarbeit, 91 Seiten
Bachelorarbeit, 49 Seiten
Bachelorarbeit, 157 Seiten
Diplomarbeit, 91 Seiten
Bachelorarbeit, 49 Seiten
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