Doktorarbeit / Dissertation, 2004
392 Seiten, Note: cum laude
Vorwort und Danksagungen
A Qualitätsmanagement in der Jugend- und Sozialhilfe – Kontext und methodischer Ansatz der Arbeit
1. Aktualität und Herkunft des Qualitätsdiskurses im Humandienstleistungsbereich
2. Der Qualitätsdiskurs in der sozialwissenschaftlichen und psychologischen Fachliteratur
3. Erkenntnisinteresse, Fragestellungen und Gliederung der Arbeit
3.1 Erkenntnisinteresse
3.2 Fragestellungen
3.3 Gliederung
4. Literaturanalytischer Teil der Arbeit (Abschnitte B und C)
4.1 Sozialpolitischer Kontext
4.1.1 Struktur des deutschen Sozialsystems und Rolle freier Träger
4.1.2 Ökonomisierung des Sozialen
4.1.3 Modernisierung der öffentlichen Verwaltung
4.1.4 Aufgaben der Jugend- und Sozialhilfe
4.1.5 Das Qualitätsthema in der Jugend- und Sozialhilfe
4.2 Methodik
4.2.1 Literaturrecherchen: Suchbegriffe und -ergebnisse
4.2.1.1 Recherchen im sozialwissenschaftlichen Bereich
4.2.1.2 Recherchen in psychologischen und allgemeinen Datenbanken
4.2.1.3 Recherchen im betriebswirtschaftlichen Bereich
4.2.2 Anmerkungen zur Literaturauswahl
5. Empirischer Teil der Arbeit (Abschnitt D)
5.1 Vorbemerkungen
5.2 Hypothesen
5.2.1 Hypothesen zur Ausgestaltung des Qualitätsmanagements
5.2.2 Hypothesen zum Einsatz von Qualitätsbeauftragten
5.3 Methodik
5.3.1 Auswahl der Untersuchungsgruppen
5.3.2 Variablenauswahl und Untersuchungsplanung
5.3.3 Untersuchungsinstrumente
5.3.4 Umfang und Rekrutierung der Stichproben
5.3.5 Adressaten der Befragung
5.3.6 Durchführung der Befragung
5.3.7 Einbeziehung von Vorstudien und Vergleichsuntersuchungen
B Qualitätsmanagement als interdisziplinäres Konzept – Grundlagen und Schnittmengen
1. Qualitätsspezifische Grundlagen im Überblick
1.1 Kurze Geschichte der Qualität und ihres Managements
1.2 Qualität
1.3 Qualitätsmodelle
1.4 Qualitätsmanagement (QM)
1.5 QM-Modelle
1.6 Qualitätstechniken und -instrumente
1.7 QM-Kontextkonzepte
1.8 QM-Implementierungskonzepte
2. Verortung des Qualitätsmanagements in Wissenschaft und Praxis
3. Qualitätsmanagement und Konzepte der Organisationsforschung
3.1 Organisationsdiagnose und -analyse
3.1.1 Organisationsstruktur
3.1.2 Organisationskultur
3.1.3 Organisationsklima
3.2 Organisationsentwicklung und Change Management
3.3 Personalentwicklung und Human Resource Management
3.4 Qualitätsmanagement und Evaluation
3.5 Controlling und Balanced Scorecard
3.6 Mitarbeiterbeteiligung und Empowerment
3.7 Lernende Organisation und organisationales Lernen
3.8 Kritik des Qualitätsdiskurses und das Konzept des Sensemaking
4. Resümee: Zur Konvergenz und Integration der Ansätze
C Qualitätsmanagement in sozialen Handlungsfeldern – Konzepte und Instrumente
1. Qualitäts(management)-Konzepte für Soziale Dienste im Überblick
1.1 Beschreibung und Bewertung von Qualitätskonzepten
1.2 Formale Systematisierung von Qualitätskonzepten
1.3 Ergebnisse der Literaturrecherchen zu Qualitätskonzepten
1.4 Darstellung und Kritik ausgewählter Universalkonzepte
1.4.1 Qualitätsmanagement nach DIN EN ISO 9000 ff.
1.4.1.1 Vorbemerkungen
1.4.1.2 Darstellung des Ansatzes
1.4.1.3 Beurteilung des Ansatzes
1.4.2 Das Konzept des Total Quality Management (TQM)
1.4.2.1 Darstellung des Ansatzes
1.4.2.2 Beurteilung des Ansatzes
1.4.3 Das Konzept des Kontinuierlichen Verbesserungsprozesses
(KVP)
1.4.3.1 Darstellung des Ansatzes
1.4.3.2 Beurteilung des Ansatzes
1.4.4 Das Konzept der European Foundation for Quality Management
(EFQM)
1.4.4.1 Darstellung des Ansatzes
1.4.4.2 Beurteilung des Ansatzes
1.4.5 Integriertes/Integratives QM nach dem St. Galler Management
Konzept
1.4.5.1 Darstellung des Ansatzes
1.4.5.2 Beurteilung des Ansatzes
2. Instrumente des Qualitätsmanagements in Sozialen Diensten
2.1 Stellenwert der Technik im Qualitätsmanagement
2.2 Darstellung und Kritik ausgewählter Instrumente
2.2.1 Qualitätsleitbild
2.2.2 Qualitäts(management)handbuch
2.2.3 Qualitätszirkel
2.2.4 Qualitätsbeauftragte (QB)
2.2.5 Benchmarking
2.2.6 Prozessmanagement
2.2.7 Ideenmanagement/Vorschlagswesen
2.2.8 Beschwerdemanagement
2.2.9 Wissensmanagement
3. Resümee: Essentials eines Qualitätsmanagements in sozialen Handlungsfeldern
D Praxis des Qualitätsmanagements in der Jugend- und Sozialhilfe – Empirische Befunde zur Umsetzung, Akzeptanz und Nutzenbewertung
1. Befunde aus Mitarbeiterbefragungen
1.1 Vorbemerkungen
1.2 Einstellung zum Qualitätsmanagement
1.2.1 Angaben zur Methodik und Stichprobe
1.2.2 Ergebnisse
1.2.3 Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse
1.3 Vorkehrungen zur Entlastung und Verbesserung der Arbeit / Maßnahmen zur Qualitätsentwicklung (I)
1.3.1 Angaben zur Methodik und Stichprobe
1.3.2 Ergebnisse
1.3.3 Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse
1.4 Maßnahmen zur Qualitätsentwicklung (II)
1.4.1 Angaben zur Methodik und Stichprobe
1.4.2 Ergebnisse
1.4.3 Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse
2. Befunde aus Leitungsbefragungen
2.1 Maßnahmen zum Qualitätsmanagement
2.1.1 Angaben zur Methodik und Stichprobe
2.1.2 Ergebnisse
2.1.3 Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse
2.2 Einstellung zum Qualitätsmanagement, Stellenwertzuschreibung
und Akzeptanz
2.2.1 Angaben zur Methodik und Stichprobe
2.2.2 Ergebnisse
2.2.3 Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse
3. Befunde aus Befragungen von Qualitätsbeauftragten
3.1 Angaben zur Methodik und Stichprobe
3.2 Ergebnisse
3.3 Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse
4. Befunde einer Befragung von Einrichtungen und Diensten (Hauptstudie)
4.1 Bestimmung der Grundgesamtheiten und Quotierung der Stichproben
4.2 Verfahren der Stichprobenentnahme
4.3 Rücklauf
4.3.1 Gesamtrücklauf
4.3.2 Rücklauf nach Faktoren
4.3.3 Repräsentativität des Rücklaufs
4.3.4 Interkorrelationen der Faktoren im Rücklauf
4.3.5 Mögliche Gründe für geringen Rücklauf
4.4 Auswertungsverfahren
4.5 Behandlung von mehrfach vertretenen Einrichtungen
4.6 Ergebnisse
4.6.1 Organisation des Qualitätsmanagements
4.6.1.1 Aufbau- und Ablaufbeschreibung
4.6.1.2 QM-System
4.6.1.3 Art des QM-Systems
4.6.2 Programmatik
4.6.2.1 Grundsätze zur Qualitätspolitik
4.6.2.2 Grundsätze zur Führung
4.6.2.3 Leitbild für die Gesamteinrichtung
4.6.3 Instrumente
4.6.3.1 QM-Handbuch
4.6.3.2 Qualitätszirkel
4.6.3.3 Vorschlagswesen und Ideenmanagement
4.6.3.4 Beschwerdemanagement
4.6.3.5 Personalentwicklungskonzept
4.6.3.6 Evaluation
4.6.3.7 Controlling
4.6.4 Beteiligung der MitarbeiterInnen
4.6.5 Qualifizierung der MitarbeiterInnen
4.6.6 Signifikante Interkorrelationen der Ordinalvariablen
4.6.7 Maßnahmen zur Qualitätsentwicklung
4.6.7.1 Nutzenbewertung
4.6.7.2 Zusammenhänge zwischen UV und Nutzenbewertung
4.6.8 Qualitäts(management)beauftragte
4.6.8.1 Institutionalisierung des Instruments
4.6.8.2 Entscheidungsgründe gegen die Funktionsstelle QB
4.6.8.3 Zusammenhänge zwischen UV und Funktionsstelle QB
4.6.8.4 Strukturmerkmale der Funktionsstelle QB
4.6.8.5 Personen- und Ausbildungsmerkmale von QB
4.6.8.6 Tätigkeiten von QB
4.6.8.7 Typisierung von Tätigkeiten
4.6.8.8 Bewertung der Zweckmäßigkeit
4.6.8.9 Konfliktpotenziale in der Praxis
4.7 Prüfung der Hypothesen dieser Studie
4.7.1 Hypothesen zur Ausgestaltung des QM
4.7.2 Hypothesen zum Einsatz von QB
4.8 Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse
4.8.1 Vorbemerkungen
4.8.2 Fragenkomplex "Umsetzung von QM"
4.8.3 Fragenkomplex "Qualitätsentwicklungsmaßnahmen"
4.8.4 Fragenkomplex "Qualitätsbeauftragte/r"
5. Resümee: Folgerungen für die Praxis
E Zusammenfassung und Ausblick
1. Qualitätsmanagement und Organisationsforschung
1.1 Vorbemerkungen
1.2 Kontext, Grundlagen und thematische Schnittmengen
2. Qualitätsmanagement in sozialen Handlungsfeldern
2.1 Konzepte und Instrumente
2.2 Empirische Befunde zum QM in der Jugend- und Sozialhilfe
2.2.1 Einstellung zum Qualitätsmanagement
2.2.2 Ausgestaltung des Qualitätsmanagements
2.2.3 Nutzenbewertung von Maßnahmen zur Qualitätsentwicklung
2.2.4 Einsatz von Qualitätsbeauftragten
3. Ausblick: Zur Zukunft des Qualitätsmanagements
F Quellenverzeichnis
G Lebenslauf
Über Qualitätsmanagement zu dissertieren, ist nicht mehr besonders originell. Zu zahlreich sind die in unterschiedlichen Disziplinen und Branchen publizierten Studien, die sich mit Fragen der Ideo-logie, Implementation und Effektivität vor allem eines "Total Quality Management" befassen. Längst ist das Thema vom industriellen Produktionsbereich über den gewerblichen Dienstleistungs-sektor in soziale Handlungsfelder gelangt. Qualitätsmanagement, salopp: QM, ist zu einem boomenden Querschnittsfach geworden, zu dem Ingenieur-, Verwaltungs-, Arbeits-, Politik- und Rechtswissenschaften, Betriebswirtschaftslehre, Informatik, Organisationstheorie, Ethik und Päd-agogik ihre Beiträge leisten. Allerdings dominieren die technischen und ökonomischen Disziplinen, während sich Psychologie und Sozialwissenschaften, zumal mit empirischer Forschung, bislang relativ zurückgehalten haben (und damit die Legitimationsbasis für vorliegende Arbeit liefern).
QM ist jedoch keineswegs der Dernier Cri der Modernisierungsdebatte. Die Ausweitung des Anwendungsbereichs auf den öffentlichen Sektor sozialer Dienstleistungen hat erheblich dazu beigetragen, das Konzept der Qualität und ihres Managements zu problematisieren und von seiner technizistischen Verhaftung zu lösen. Besonders AutorInnen sozialwissenschaftlicher Provenienz plädieren für eine postmoderne Überwindung des Qualitätsdiskurses. Die hier vorgelegte Studie greift diese Kritik punktuell auf, setzt jedoch empirisch am Status Quo an und befasst sich pragma-tisch mit den derzeitigen Erscheinungsformen des QM in ausgesuchten sozialen Handlungsfeldern. Als stakeholder, also potenziell an den Ergebnissen dieser Organisationsdiagnose interessierte Gruppen, kommen sowohl die MitarbeiterInnen und das Management (z. B. hinsichtlich einer Posi-tionierung der eigenen Organisation im Betriebsvergleich), als auch Trägergruppen und Externe (z. B. in Bezug auf Träger- und Arbeitsfeldvergleiche bei der Umsetzung von QM) in Betracht.
Die Studie entstand nicht als typische Postgraduierten-Arbeit, sondern fügt sich – wenn auch mit einem höheren theoretischen und methodischen Anspruch – nahtlos ein in eine Reihe praxisorien-tierter Untersuchungen im Feld der Kinder- und Jugendhilfe, die der Autor seit Mitte der Neunzi-gerjahre durchführen konnte. Parallel zur kontinuierlichen Arbeit an einem elektronischen Hand-buch zum Qualitätsmanagement in sozialen Handlungsfeldern und der dazu erforderlichen perma-nenten Literaturrecherche, entstand das Bedürfnis, nicht nur zu sichten, zusammenzufassen und zu kommentieren, sondern empirisch unterbelichtete Fragestellungen selbst in Forschungs-Angriff zu nehmen. Ergebnis ist die hier vorgelegte Arbeit, in der sich beide Motive vereinen – einerseits den Stand der Diskussion und Theoriebildung des Qualitätsmanagements speziell unter Aspekten der Konvergenz mit anderen Disziplinen der Organisationsforschung darzustellen, andererseits eine konkrete und bislang vernachlässigte Fragestellung empirisch aufzugreifen: Umsetzung und Ausgestaltung des QM und des Instruments "Qualitätsbeauftragte/r" in der Jugend- und Sozialhilfe.
Für den externen Doktoranden mit festem Wohnsitz über 100 km vom Studienort entfernt war Selbständigkeit oberste Devise. Dennoch wäre die Studie nicht begonnen oder abgeschlossen worden, wenn nicht hilfreiche Geister ihre Unterstützung gewährt hätten, denen ich an dieser Stelle herzlich danken möchte:
- allen voran Frau Prof. Dr. Margarete Boos, Lehrstuhl für Sozial- und Kommuni-kationspsychologie an der Universität Göttingen, für ihre doktormütterliche Betreuung;
- Frau Prof. Dr. Ilona Ostner, Lehrstuhl für Sozialpolitik an der Universität Göttingen, für Ihre spontane Bereitschaft, als Korreferentin zu fungieren;
- Frau Beate Irskens, wissenschaftliche Referentin beim Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge, Berlin, (z. Zt. Bertelsmann Stiftung Gütersloh) für ihre tatkräftige Unter-stützung bei Planung und Durchführung der Befragungsaktion;
- Herrn Dr. Björn Hagen, Geschäftsführer des Evangelischen Erziehungsverbandes (EREV), Hannover, und seinen Mitarbeiterinnen für die freundliche Kooperation bei Litera-turrecherchen und Stichprobengewinnung;
- Herrn Dipl.-Psych. Erich Hirschfeld, freier Heim- und Erziehungsberater, Detmold, für seine engagierte Rekrutierung zusätzlicher UntersuchungsteilnehmerInnen;
- MitarbeiterInnen des Georg-Elias-Müller-Instituts für stets bereitwillige Gelegenheitshilfe;
- last, not least meiner Frau Siegrun Gerull, Lehrerin und Finanzier, Hessisch Oldendorf, ohne deren aktive Duldung das Projekt die Startlöcher nicht verlassen hätte.
Klaus-Peter Gerull
Hessisch Oldendorf, im November 2004
Neben dem Dauerbrenner-Thema der öffentlichen Finanznot und der aus dem Ruder gelaufenen Kosten ist im Humandienstleistungsbereich seit Anfang der Neunzigerjahre kaum ein Diskussionsgegenstand so prominent geworden wie Qualität und deren möglichst effektive und effiziente Steuerung durch Qualitätsmanagement. Die damit angeschnittenen Fragen haben angesichts veränderter Rechtsgrundlagen und verschärfter Wettbewerbssituation für viele sozialwirtschaftliche Organisationen existentielle Bedeutung erlangt.
Konzentrierten sich gesetzgeberische Reformaktivitäten zunächst auf den Gesundheits-bereich, gerieten nach und nach auch andere soziale Arbeitsfelder in den Sog dieser Entwicklungen. So sind die meisten Einrichtungen und Dienste inzwischen explizit verpflichtet – wenn auch in unterschiedlicher Diktion und Regelungstiefe – zu Maßnahmen
- der Qualitätsentwicklung und -bewertung (z. B. Achtes Buch Sozialgesetzbuch/SGB VIII – Kinder- und Jugendhilfe),
- der Qualitätssicherung (z. B. SGB V – Gesetzliche Krankenversicherung),
- des Qualitätsmanagements (z. B. SGB XI – Soziale Pflegeversicherung) und
- der Qualitätsüberprüfung (z. B. SGB III – Arbeitsförderung).
Als exemplarisch für ein stark bundesgesetzlich normiertes Vorgehen kann das neue Pflege-Qualitätssicherungsgesetz (PQsG, Deutscher Bundestag, 2001) gelten, das die Träger von Pflegeeinrichtungen zur Qualitätsentwicklung und -sicherung verpflichtet und dazu neben einem umfassenden internen Qualitätsmanagement auch die Teilnahme an externen Prüfverfahren vorschreibt. Am wenigsten normiert ist dagegen der Bereich der Kinder- und Jugendhilfe. Hier gibt es lediglich auf Landesebene konkretere Vorgaben, die aber allenthalben stärker auf die Elemente Selbstbewertung und Dialog zwischen öffentlichen und freien Trägern abheben, als z. B. eine externe Prüfung oder Zertifizierung vorzusehen.
Weitere Beispiele für neue Anforderungen in diesem Kontext sind zu führende Wirksamkeitsdialoge (Landesjugendplan Nordrhein-Westfalen, vgl. Projektgruppe WANJA, 2000, S. 11) und künftig vorzulegende jährliche Qualitätsberichte (Beschluss der Gesundheitsministerkonferenz 1999, vgl. Fiene, Kirchner & Ollenschläger, 2001, S. 132).
Wenngleich diese Entwicklung maßgeblich durch die Gesundheitsstrukturreform von 1989 und die Veröffentlichungen der Kommunalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungs-vereinfachung (KGSt, 1993, 1994, 1995) beeinflusst wurde, so stellen diese ihrerseits eher Wirkungen als Ursachen in einem komplexen Bedingungsgefüge dar, in dem u. a. der Kostendruck der produzierenden Wirtschaft und die Finanzschwäche der öffentlichen Hand eine zentrale Rolle spielen.
Systematisch lässt sich dieses Bedingungsgefüge differenzieren in gesellschaftliche, volkswirtschaftliche, sozialpolitische, betriebswirtschaftliche sowie fachliche und berufspolitische Faktoren.
Zu den gesellschaftlichen Gründen – die hier nur im Rahmen dieser Einführung thematisiert werden – zählen ein Wandel der Erwartungen an die Leistungen des Bildungs-, Gesundheits- und Sozialsystems (Stichworte "Individualisierung", "Selbsthilfe- und Bürgerrechtsbewegung", vgl. Schädler, 2001, S. 16 ff.) und eine zunehmende Sensibilität der Verbraucher, Klienten, Bürger und anderer "KundInnen" gegenüber Qualitätsfragen. Dies sind in erster Linie Fragen nach dem Gebrauchswert von Produkten und Dienstleistungen, häufig veranlasst durch wahrgenommene Mängel, Verdrossenheit über vorgefundene Zustände oder medienwirksam aufbereitete nationale Misserfolge (Stichwort "PISA-Studie").
Gewachsen z. B.
- ist das Bedürfnis nach individuell zugeschnittenen und kundenfreundlich erbrachten Dienstleistungen auf Seiten selbstbewusster BürgerInnen,
- ist der Stellenwert von Mitbestimmung und Selbstverwirklichung im Beruf auf Seiten demokratiebewusster MitarbeiterInnen,
- sind Erwartungen an eine möglichst hochwertige Gegenleistung bei zunehmender finanzieller Selbstbeteiligung auf Seiten anspruchsbewusster LeistungsempfängerInnen,
- ist nicht zuletzt die Abhängigkeit überforderter KonsumentInnen von – vermeintlich – objektiven Ratio-nalitätskriterien zur Entscheidungsfindung in einer unübersichtlichen Informations- und Warenwelt.
Zu den volkswirtschaftlichen und sozialpolitischen Gründen gehören vor allem:
- die zur Beseitigung nichttarifärer Handelshemmnisse entwickelten internationalen Qualitätssicherungs-Standards, die zunehmend auch im Dienstleistungsbereich Ver-breitung finden (s. Kap. B 1.1),
- die rezessionsbedingte Krise der öffentlichen Haushalte, stagnierende Sozialbudgets und der einsetzende Umbau bzw. Abbau sozialstaatlicher Leistungen nach Maßgabe zunehmend neoliberaler Wirtschaftspolitik, davon ausgehend, dass der Sozialstaat bisheriger Prägung zu teuer und dabei verhältnismäßig ineffektiv sei (s. Kap. A 4.1.2),
- die forciert betriebene Reorganisation der öffentlichen Verwaltungen nach Maßgabe betriebswirtschaftlicher Prinzipien (s. Kap. A 4.1.3),
- die Stärkung der Position von Sozialleistungsträgern gegenüber den leistungs-erbringenden Einrichtungen, u. a. durch die Einführung leistungsbezogener Finanzie-rungssysteme und Legitimationsanforderungen (s. Kap. A 4.1.5),
- die sich verschärfende Konkurrenz zwischen freigemeinnützigen und privat-gewerblichen Anbietern sozialer Dienstleistungen durch Öffnung des Marktes, Nieder-lassungs- und Dienstleistungsfreiheit im Zuge des europäischen Einigungsprozesses (s. Kap. A 4.1.1).
Mitverantwortlich für den Boom des Qualitätsthemas waren insbesondere auch betriebswirtschaftliche Gründe:
- die Notwendigkeit der Kostensenkung durch Maßnahmen frühzeitiger Fehler-erkennung und -vermeidung, Reduzierung von organisationsinternen Reibungs-verlusten sowie von Ausschuss, Nacharbeiten und Reklamationen (s. Kap. B 1.1),
- die aus Japan importierte Erkenntnis der Bedeutung "verschlankter" Organisation, "beherrschter" Geschäftsprozesse, "kontinuierlicher" Verbesserung und verwandter Managementprinzipien für eine kunden- und zugleich erfolgsorientierte Unter-nehmenspolitik (s. Kap. B 1.1),
- die in bestimmten Branchen üblich gewordenen Kundenforderungen nach zertifizierter Qualitätsfähigkeit von Geschäftspartnern und deren regelmäßiger Überprüfung durch akkreditierte Stellen (s. Kap. B 1.1),
- die leichtere Abwehr von Produkthaftungsansprüchen durch Nachweis systematischer Maßnahmen zur Qualitätssicherung, analog die Senkung des Strafrechts- und Haftungsrisikos durch Organisationsverschulden und Behandlungsfehler (vgl. Böckels, 2002).
Wenngleich somit die wesentliche Dynamik des aktuellen Qualitätsthemas durch Impulse ausgelöst wurde, die nicht aus den sozialen Professionen selbst stammen, sondern auf primär wirtschaftlichen und gesetzgeberischen Druck zurückgehen, so ist doch die Behandlung von Qualitätsfragen jenseits aller Konjunkturen, sozialrechtlichen und betriebswirtschaftlichen Notwendigkeiten und Moden immer schon Bestandteil professioneller Arbeit gewesen (Gerull, 1999b, S. 13). Insofern müssen als viertes Einflussbündel auch fachliche und berufspolitische Gründe genannt werden, insbesondere:
- die nicht nur nach außen, einer kritischen Öffentlichkeit gegenüber, sondern auch nach innen, an die Akteure gerichtete, verbesserungswürdige Legitimation als Profession, als ein Laienhandeln gegenüber fachlich überlegenes Handeln, welches einen individuellen und gesellschaftlichen Nutzen stiftet – den es im Zuge eines Qualitätsmanagements klarer zu beschreiben und nachzuweisen gilt (vgl. Engelhardt, 1999; König, 2000).
Sommerfeld & Haller (2003, S. 65) sprechen von der Ablösung des Konzepts des "Vertrauens" durch das Konzept der "Accountability". Wendt (1999, S. 12) versteht darunter eine aktive Rechenschafts-legung, durch die ein Unternehmen gegenüber Partnern, Kunden und Öffentlichkeit die Werte ausweist, die es erzeugt oder erhält; darüber hinaus wird die Funktion der Selbstbestätigung und Explizierung des Wertes eigenen Tuns betont (S. 13).
- die mit systematischer Qualitätsarbeit verbundenen Möglichkeiten, Akteure in einem durch Unsicherheit, Rollenkonflikte und "Technologiedefizit"(Luhmann & Schorr, 1982) charakterisierten Handlungsfeld zu qualifizieren (Stichwort "Personalent-wicklung"), indem z. B. mehr Klarheit über zielführende Arbeitsabläufe (Stichwort "Prozessmanagement"), mehr Rückmeldung über das eigene Tun (Stichwort "Selbst-/Evaluation"), allgemein mehr Aufmerksamkeit für die Passung von Mensch und Organisation obwaltet (Stichwort "Organisationsentwicklung"), ohne die Besonder-heiten Sozialer Arbeit aus dem Blick zu verlieren (vgl. Engelhardt, 1999);
- der wachsende Widerstand gegen eine "Kolonialisierung"(Sommerfeld & Haller, 2003, S. 84) der Sozialen Arbeit durch betriebswirtschaftliche Managementkonzepte, die sich einer technisch-formalisierenden Begrifflichkeit und Methodik bedienen und die sozialen Fachsprachen mit erheblichen Auswirkungen auf die kognitiven Strukturen der Akteure zu überwuchern drohen (vgl. Merchel, 2000; König, 2000);
- eine verstärkte (Rück-)Besinnung auf genuin sozialwissenschaftliche Beiträge (z. B. Selbstevaluation, Supervision) zur Bearbeitung der Qualitätsfrage, namentlich zur Professionalisierung der Organisationsformen sozialer Dienstleistungen und zur Kompetenzsteigerung ihrer Akteure (vgl. B. Müller, 2000; von Spiegel, 2000a, 2002; Spreyermann, 1996).
Mit der ausdrücklichen Betonung der Qualitätskategorie richtet sich die Managementan-forderung nicht mehr nur auf die "Hardware" sozialer Einrichtungen und Dienste, sondern ebenso auf die "Software", auf das sozialpädagogische, pflegerische, therapeutische, beratende Handeln. Das eigentlich Neue der aktuellen Qualitätsdiskussion zeigt sich danach vor allem in fünf Punkten (vgl. Merchel, 2001):
1. der Einbeziehung nicht nur strukturqualitativer Aspekte (z. B. in Entgeltverhandlungen) – früher zumeist mit fachlichen Standards (z. B. Fachpersonalquote) gleichgesetzt –, sondern ausdrücklich auch prozess- und ergebnisbezogener Kriterien;
2. der Forderung nach stärkerer Konkretisierung und Plausibilität der Standards und Konzepte, nicht zuletzt im Sinne einer Beschreibung des aktuellen state of the art, um fachliche Fehlervarianz zu reduzieren;
3. der Integration strukturierter und kontinuierlicher Verfahren der Qualitätsbewertung in den Leistungsprozess;
4. der stärkeren Berücksichtigung des einrichtungsübergreifenden Kontextes im Sinne von Infrastrukturqualität;
5. der Verbindung fachlicher und sozialpolitischer Aspekte des Qualitätsthemas – in der Sozial- und Jugendhilfe durch die Verkoppelung der drei Vereinbarungsarten über Leistung, Qualität/Prüfung und Entgelt/Vergütung ausgestaltet (s. Kap. A 4.1.5).
Von der Qualitätsdiskussion werden mehrheitlich Impulse erhofft, die Professionalisierung der Hilfesysteme zum Nutzen der "VerbraucherInnen" voranzubringen (z. B. Späth, 1999; Merchel, 2001). Allerdings dürften die Erwartungen der verschiedenen Interessengruppen nicht alle miteinander zu vereinbaren sein (Gerull, 2000, S. 6f), was den diskursiven Charakter des Qualitätskonstrukts im Sozialbereich unterstreicht (s. Kap. B 3.8):
- Kostenträger wollen Ausgabenbegrenzung und Planungssicherheit,
- LeistungsempfängerInnen suchen bedürfnisgerechte und qualifizierte Unterstützung,
- die Öffentlichkeit erwartet zielgenaue und wirksame Aufgabenerledigung,
- Einrichtungsträger sind an Image und Auslastung ihrer Angebote interessiert,
- Fachdisziplinen an Leistungserbringung nach dem "Stand der Kunst" und
- MitarbeiterInnen an guten Arbeitsbedingungen.
Die beschriebenen Veränderungen der relevanten Umweltbedingungen für sozialwirt-schaftliche Organisationen[1] sind nicht auf nationale Kontexte beschränkt, sondern haben zumindest für die Industrieländer inter- bzw. transnationale Dimensionen erreicht (Köpp & Neumann, 2002, S. 1). Die gemeinhin unter der Bezeichnung Qualitätsdebatte oder Qualitätsdiskurs erörterten Fragestellungen – in den USA auch als quality movement charakterisiert (vgl. Cole & Scott, 2000) – sind zu einem zentralen Thema des zeitgenös-sischen Modernisierungsdiskurses geworden. Dessen Erscheinungsformen unterscheiden sich kaum: "Immer geht es um Fragen der Messung, Standardisierung und Kontrolle, um Effektivität und Effizienz sowie vor allem um Management"(Köpp & Neumann, 2002, S. 11).
Welche Herausforderung die deutsche Qualitätsdebatte für die leistungserbringenden sozialen Einrichtungen und Dienste, ihre Träger, Interessenverbände und professionellen Kooperationspartner in Politik und Forschung bedeutete, lässt sich ermessen, wenn man sich die Entwicklung einschlägiger Fachpublikationen bibliometrisch vor Augen führt.
Wenngleich zu einem großen Teil von berufsmäßigen Profiteuren der Debatte (Fach-autorInnen, FortbildnerInnen, UnternehmensberaterInnen, FunktionärInnen, ReferentInnen u. a.) und Leitungskräften mit mehr oder minder großer Affinität zum Managerialismus[2] verfasst, bringt die schiere Zahl von Buch- und Zeitschriftenbeiträgen, Positionspapieren und Erfahrungsberichten gut zum Ausdruck, welche materiellen und immateriellen Ressourcen in das Thema investiert wurden und immer noch werden.
Im Vordergrund vieler Veröffentlichungen stehen sozialrechtliche Regelungen, deren mögliche Folgen und betriebswirtschaftliche Anforderungen für Einrichtungen und Dienste diskutiert und/oder durch praktische Empfehlungen und Handlungsanleitungen ergänzt werden, während grundlagentheoretische Beiträge eher selten anzutreffen sind (vgl. Köpp & Neumann, 2002, S. 4).
Ohne inhaltlich und/oder arbeitsfeldspezifisch zu differenzieren, verdeutlicht nachstehende Abbildung den quantitativen Literatur-Output am Beispiel der Sozialen Arbeit und ihrer Grenzbereiche; dabei wird nicht einmal annähernd der Anspruch auf Vollständigkeit erhoben (vgl. Kap. A 4.2.1.1).
Abb. 1
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: eigene Recherchen
Qualitätsmanagement wird explizit bereits seit Längerem in Lehrbüchern der Sozialwirt-schaft bzw. des Sozialmanagements (z. B. Arnold & Maelicke, 1998; Badelt, 1997; Hauser, Neubarth, Obermair, 1997; Merchel, 2001) und in zahlreichen Monographien (z. B. Knorr & Halfar, 2000; Maelicke, 1996; Müller-Kohlenberg & Münstermann, 2000; Peterander & Speck, 1999; Schubert & Zink, 2001) behandelt, wenn auch überwiegend in Form theoretisch unverbundener Einzeldarstellungen, Erfahrungsberichte und Kongress-beiträge – was angesichts der Tatsache, dass Qualitätsmanagement kein einheitliches oder standardisiertes Phänomen darstellt (Pollitt, 2000, S. 68), nicht verwundern kann. Die An-zahl arbeitsfeldspezifischer Musteranleitungen und Lehrmaterialien, Hand- und Werkbü-cher geht darüber noch hinaus und macht einen beträchtlichen Teil der im Diagramm erfassten Beiträge aus.
Für den Bereich der Sozialwissenschaften lässt sich somit konstatieren, dass sich ein breiter, mit Modellen, Verfahrensvorschlägen und Konzepten angereicherter Publikations-markt entwickelt hat (vgl. Köpp & Neumann, 2002, S. 3 ff.).
Ganz anders stellen sich die Verhältnisse im Bereich der Psychologie dar, die aufgrund des organisationsdiagnostischen – und damit stark Psychologie affinen (vgl. Büssing, 2004, S. 560) – Schwerpunktes der vorliegenden Arbeit (s. Kap. A 5.3.3) ausführlicher erörtert werden sollen.
Zu den laut Diagrammtitel einbezogenen Grenzbereichen gehören auch psychologische Beiträge aus der Kinder- und Jugendhilfe, Jugendpsychiatrie und Heilpädagogik. Aus dem Bereich der Erziehungsberatung wurde z. B. bereits 1998 ein zweibändiges Werk zum Qualitätsmanagement vorgelegt, das zahlreiche Aspekte der Diskussion thematisiert (Dietzfelbinger & Haid-Loh, 1998). Klinisch tätige Psychologen waren ohnehin relativ früh von deren Auswirkungen im Gesundheitswesen tangiert und meldeten sich zu Wort (Schwarz, 2000).
Im Verhältnis zur Gesamtzahl der einschlägigen Publikationen muss jedoch festgestellt werden: Das Qualitätsthema scheint auf breiter Front noch nicht in der akademischen Psychologie angekommen zu sein!
Dieser Eindruck bestätigt sich besonders augenfällig in jener Teildisziplin, die sich mit "Zusammenhängen des Erlebens und Verhaltens bzw. Handelns des Menschen mit Struktur-, Prozess- und Zielcharakteristika von Organisationen" befasst (Schuler, 2004, S. 10) – die Organisationspsychologie. Ein Qualitätsmanagement im Sinne umfassender qualitätsbezogener Kontextsteuerung (vgl. Schiepek & Bauer, 1998, S. 27) in einer Organisation ist – so sollte man meinen – genuiner Forschungsgegenstand einer zeitgemäßen Organisationspsychologie, die zunehmend auch den Einfluss von Makrovariablen auf Person, Gruppe und Organisationsverhalten in den Blick nimmt (Weinert, 1998, S. 61 ff.).
Bei Durchsicht aktueller Lehrbücher der Wirtschafts-, Arbeits- und Organisations-psychologie (z. B. Frieling & Sonntag, 1999; Gebert & Rosenstiel, 2002; Hoyos & Frey, 1999; Kirchler, 2003; Rosenstiel, 2000; Schuler, 2004; Ulich, 2001; Weinert, 1998; Wiswede, 2000) fällt indes der geringe Anteil auf, der diesem Thema gewidmet ist.
Der Qualitätsbegriff als Index-Kategorie kommt nur in zusammengesetzten Termini vor wie "Qualität der Arbeit/des Lebens/des Arbeitslebens"(z. B. Weinert, S. 6, 57, 194 ff., 400 ff.; Schuler, S. 48, 161, 563f, 594; Ulich, S. 51),"Qualitätsaudit"(z. B. Frieling & Sonntag, S. 65) oder "Qualitätszirkel"(z. B. Rosenstiel, S. 102 ff., 208, 280; Frieling & Sonntag, S. 178, 435; Wiswede, S. 192; Weinert, S. 8, 20, 58, 182, 398 ff., 493, 496; Schuler, S. 389, 402, 405, 446 ff., 563).
Qualitätsmanagement wird bei Wiswede, Kirchler, Frieling & Sonntag, Rosenstiel und Gebert & Rosenstiel gar nicht und bei Weinert nur in Verbindung mit der Entwicklung der Organisationsstruktur (S. 644f) und der Organisationsstrategie/-philosophie des Total Quality Management kurz erwähnt (S. 678f), ebenso bei Ulich (S. 359), während der Begriff bei Schuler immerhin elfmal auftaucht und im Rahmen der Diagnose von Qualität auf knapp vier Seiten exemplarisch erörtert wird (Büssing, in Schuler, S. 591 ff.).
Eine Ausnahme bildet das Kapitel "Qualitätssicherung und Qualitätsmanagement" von Schultz-Gambard, Lauche & Hron in Hoyos & Frey (1999), das sich unter den erwähnten Lehrbüchern als einziges systematisch mit dem Thema befasst und dessen psychologische Implikationen ansatzweise diskutiert (S. 94 ff.). Auch diese AutorInnen konstatieren jedoch: "Die Psychologie hat ... TQM nicht als wichtigen Forschungsgegenstand erkannt ..."(S. 94).
Recherchen im aktuellen Fachwortverzeichnis der American Psychological Association (APA) und in mehreren amerikanischen Hand- und Lehrbüchern der Industrie- und Organisationspsychologie ergeben ein ähnliches Bild.
In der jüngsten Auflage des Thesaurus of Psychological Index Terms (Walker, 2001) ist unter quality management oder quality assurance Fehlanzeige zu vermelden; lediglich quality circles, quality control, quality of care, quality of education, quality of life, quality of services und quality of work life kommen im Index vor.
Hellriegel, Slocum & Woodman (1995), Aamodt (1996), Muchinsky (2000) und DuBrin (2002) verwenden den Begriff des quality management gar nicht bzw. nur in Verbindung mit Total Quality Management (z. B. DuBrin, S. 295f). Bei Hellriegel et al. wird TQM als Stichwort relativ häufig erwähnt und als eines von mehreren "organizational issues for the 1990s"(S.11f) auf gut einer Seite gewürdigt. Sogar die ISO 9000 findet als vor allem in Europa angewandtes Qualitätssicherungs-System bei den Autoren Beachtung (S. 211f). Ansonsten wird Qualität nur als quality of work life (Hellriegel et al., S. 659, 695; Aamodt, S. 270 ff.; Muchinsky, S. 6f, 453f), quality circles (Hellriegel et al., S. 701; Aaamodt, S. 445), und quality-enhancement strategy (Muchinsky, S. 173) thematisiert.
Dass die randständige Position des Qualitätsthemas in Lehrbüchern der Psychologie kein Charakteristikum dieser – naturgemäß nicht immer topaktuellen – Publikationsform ist, bestätigt sich bei Durchsicht namhafter psychologischer Datenbanken und Bibliotheks-register, auch unter Einschluss internationaler Zeitschriftenbeiträge (PSYNDEXplus, PsycInfo u. a., s. Kap. A 4.2.1.2).
Über die Gründe für die Vernachlässigung eines im Humandienstleistungsbereich derart breit diskutierten Gegenstandes durch die akademische Psychologie kann nur spekuliert werden:
- Ist das Thema seiner ingenieurwissenschaftlichen und betriebswirtschaftlichen Provenienz wegen (s. Kap. B 1.1) nicht "psychologisch" genug, um wenigstens im Rahmen der Organisationspsychologie eine bedeutendere Rolle zu spielen? Diese Annahme fällt schwer, weist doch die psychologische Forschung namentlich im Gewande ihrer früher so bezeichneten Teildisziplinen Angewandte Psychologie, Arbeits- und Betriebspsychologie seit jeher eine starke Affinität zur industriellen Arbeitswelt und anderen Großorganisationen auf.
"Insofern wurde der Taylorismus in Verbindung mit der Experimentalpsychologie zum 'Türöffner' in den Betrieben und der Erste Weltkrieg aufgrund entsprechender Nachfrage nach psychologischer Beratung zum 'Schrittmacher' der angewandten Wirtschaftspsychologie"(Rüegsegger, 1986, zit. nach Bungard, Holling & Schultz-Gambard, 1996, S. 10).
- Ist das Thema mit seiner in weiten Teilen unspezifischen Substanz und den allenfalls punktuell originären Beiträgen seiner Propagandisten (s. Kap. B 3.) bereits hinlänglich von organisationspsychologischer Forschung absorbiert? Handelt es sich also in erster Linie um das Abfüllen alten Weins in neue Schläuche? Eine derart selbstbewusste Einstellung zu einem geradezu boomenden Markt neuer bzw. neu entdeckter Wissensprodukte sollte sich auf entsprechende Analysen gründen, die es jedoch in der psychologischen Fachliteratur nicht gibt – quod erat demonstrandum.
- Ist das Thema als aus der Praxis industrieller Produktion transportiertes Erfahrungs-wissen mit erst rudimentärer theoretischer Verankerung in den Bezugswissenschaften – namentlich der Betriebswirtschaftslehre (s. Kap. B 1.1, 2.) – nicht "würdig" oder ergiebig genug, um von der akademischen Psychologie als lohnenswertes Forschungs-gebiet wahrgenommen zu werden? Dies wäre erstaunlich, wo sich doch die Organisa-tionspsychologie ihrer Wurzeln im industriellen Fertigungsbereich und im Umfeld militärischer Verwertungsinteressen keineswegs zu schämen scheint.
"Die Psychodiagnostik konnte sich innerhalb weniger Jahrzehnte explosionsartig ausweiten, weil naheliegende Interessen beim Militär, im Arbeitsleben und im klinischen Bereich zu Forschungs-aufträgen für Psychologen führten"(Bungard et al., 1996, S. 11).
- Ist das Thema wissenschaftlich bereits obsolet und für die Psychologie "erledigt", noch bevor die deutsche Forschung sich seiner angenommen hat? Spiegelt sich darin die Trendsetterfunktion amerikanischer AutorInnen wider, welche die mit dem Label "Total Quality Management" (TQM, s. Kap. C 1.4.2) assoziierte Qualitätsbewegung als passee betrachten (vgl. DuBrin, 2002, S. 296)? Dies wäre eine denkwürdige, volkswirtschaftlich u. U. hochrationale Variante der zuvor formulierten Option, eigene Forschungsbemühungen wegen mutmaßlicher Unergiebigkeit zu unterlassen.
- Oder ist das Thema bislang einfach "verschlafen" und in seiner Dringlichkeit unterschätzt worden? Ist die zögerliche Befassung womöglich darauf zurückzuführen, dass rechtlich verbindliche Vorgaben zur Qualitätssicherung bzw. -entwicklung (zur Nomenklatur s. Kap. C 1.1), wie sie die Praxisfelder Soziale Arbeit, Bildung und Gesundheitswesen seit Jahren kennen, erst allmählich ins Blickfeld der Psycholo-gInnen geraten (s. Kap. A 4.1.5)? Dafür spricht, dass sich die bislang gründlichsten Bemühungen um das Thema im Bereich der Klinischen Psychologie abspielen, mithin in einem Fachgebiet, das von den rechtlichen Rahmenbedingungen – derzeit am deutlichsten in Form des Pflege-Qualitätssicherungsgesetzes (Deutscher Bundestag, 2001) ausgestaltet –, in zunehmendem Maße tangiert ist.
Dessen ungeachtet klagte der Vorsitzende der Fachgruppe Qualitätsmanagement in der Sektion Klinische Psychologie: "Wir müssen uns hierbei den Vorwurf gefallen lassen, dass wir durch mangelnde Kenntnis der Bedeutung der QM-Thematik für die Organisationsentwicklung ... eine historische Chance vertan haben, als im Bereich der stationären Versorgung diese Thematik auf unterschiedlichsten Ebenen diskutiert wurde"(Schwarz, 2000, S. 2).
Andererseits:
So wenig Qualität im Sinne des Bemühens um Fachlichkeit und Nutzenstiftung eine Erfindung des Qualitätsmanagements ist, so unstreitig dürfte sein, dass die Güte z. B. von unternehmerischen Problemlöse-, Führungs- und Entscheidungsprozessen sowie Strategien des Managements, durch geeignete Maßnahmen und Vorkehrungen solche Qualität zu optimieren, implizit schon lange – spätestens seit der humanistischen Neuorientierung der Disziplin in den Siebzigerjahren (vgl. Greif, 2004, S. 48) – im Zentrum organisations-psychologischen Interesses stehen. Stellvertretend seien hier nur die Bereiche der Personalauswahl und -entwicklung genannt, in denen es letztlich um qualitative Verbesserungen zugunsten von Organisationszielen und beteiligten Menschen ging und geht.
"Der Gefahr entgegenzutreten, dass Menschen allein als Produktionsfaktoren betrachtet werden, dass individuelle Interessen grundsätzlich der wirtschaftlichen und technischen Rationalität geopfert werden, bleibt … im Berufsleben eine ubiquitäre Aufgabe"(Schuler, 2004, S. 12).
Dies könnte als Indiz dafür betrachtet werden, dass die unter dem Label "Qualitätsmanagement" subsumierten praktischen und wissenschaftlichen Fragestellungen doch mehr oder minder in allgemein organisationstheoretischen und speziell organisationspsychologischen Konzepten aufgehen, jedenfalls was ihre klassischen Psychologie affinen Themen anbelangt: z. B. Einstellungen, Interaktion, Selektion, Führung. Dass darüber hinaus andere Disziplinen maßgeblich tangiert sind, ändert daran nichts; denn keine Organisation agiert entlang der von wissenschaftlicher Systematik gezogenen Grenzen.
Organisationspsychologie bearbeitet das weite (Gegenstands)-"Feld zusammen mit vielen Nachbardiszi-plinen, wie der Betriebswirtschaft, den Ingenieurwissenschaften, der Arbeitsmedizin, der Betriebspädagogik oder der Organisationssoziologie sowie der interdisziplinär angelegten Arbeitswissenschaft und Ergonomie". "Das Besondere der Organisationspsychologie im Vergleich zu anderen Anwendungsfächern der Psychologie ... liegt in ihrer historischen, theoretischen und methodischen Vernetzung mit ihren Nachbardisziplinen"(Greif, 2004, S. 19).
Explizit werden die Fragestellungen des Qualitätsmanagements erst in jüngster Zeit als psychologische Themen begriffen (vgl. Schultz-Gambard et al., 1999, S. 94) und als Anwendungsgebiet organisationspsychologischer Forschung betrachtet. Erst vereinzelt taucht der Begriff des Qualitätsmanagements neben Themen wie Gruppenarbeit oder Organisationsentwicklung in Vorlesungsverzeichnissen und -unterlagen auf, z. B. auf der Website des arbeits- und organisationspsychologischen Bereichs der Universität Mannheim (www. psychologie.uni-mannheim.de/psycho1/info). Insofern verwundert nicht, dass die systematische Behandlung des Themas selbst in aktuellsten Lehrbüchern zu wünschen übrig lässt.
Von der zuvor geschilderten Situation ausgehend und im Anschluss an Vorüberlegungen zum literaturanalytischen und empirischen Teil der Studie (Kap. A 4. und 5.), will diese Arbeit vor allem Folgendes leisten:
1. soll das Qualitätsthema in Wissenschaft und Praxis verortet und der interdisziplinäre Charakter eines QM beleuchtet werden (Kap. B 1. - 4.). Grundlage bildet die Analyse einschlägiger Fachliteratur aus Sozialwissenschaften, Psychologie und Betriebswirt-schaftslehre.
2. soll überprüft werden, inwieweit sich QM in wesentlichen Facetten mit organisations-theoretischen Konzepten vereinbaren lässt (Kap. B 3.). Dabei geht es um die Ermitt-lung relevanter Schnittmengen und die mögliche (Teil-)Transformation QM-typischer Ansätze in Sprache und Praxis der Organisationsforschung. Grundlage bildet wiederum die Analyse der recherchierten Quellen.
3. soll der Frage nachgegangen werden, ob und wie weit sich ein QM, dessen Konzeptualisierung den Ingenieurwissenschaften und der betriebswirtschaftlichen Praxis entstammt, auch für die Optimierung sozialer Dienstleistungen eignet. Dabei geht es um eine Klärung zentraler Begriffe sowie um eine Systematisierung, Darstellung und Bewertung der bekanntesten Konzepte aus Sicht der Praxis, soweit einschlägige Erfahrungen in der Fachliteratur berichtet sind (Kap. C 1. - 3.). Grundlage bildet die Literaturanalyse des Autors im Bereich der Sozialen Arbeit und relevanter Grenzbereiche (Gerull 1996 - 2004).
4. soll empirisch untersucht werden, welche Umsetzung, Akzeptanz und Nutzenbewer-tung durch professionelle Akteure ein QM im Allgemeinen und diverse Maßnahmen der Qualitätsentwicklung im Besonderen erfahren (Kap. D 1. - 4.). Dabei geht es vor allem um die aktuelle Praxis in sozialen Einrichtungen und Diensten, namentlich der Jugend- und Sozialhilfe, auch im Vergleich zu früheren Erhebungszeitpunkten (s. Punkt 6). Grundlage bildet eine bundesweite Befragung von Qualitätsbeauftragten und Leitungskräften aus Tätigkeitsfeldern der Sozialen Arbeit.
5. soll im Rahmen dieser Befragung speziell das Instrument des/der Qualitätsbeauftragten untersucht und hinsichtlich seiner konkreten Ausgestaltung in der institutionellen Praxis beleuchtet werden. Dabei geht es einerseits um die empirische Prüfung von Hypothesen über vermutete Korrelationsbeziehungen (Kap. D 4.7), andererseits um die beschreibende und explorierende Darstellung eines bislang weitgehend "unvermesse-nen" Werkzeugs des Qualitätsmanagements aus Sicht konkreter AnwenderInnen, einschließlich deren eigener Rollen- und Konfliktwahrnehmung (Kap. D 4.6.8).
6. soll zu weiteren, eher als Nebenprodukt zu betrachtenden, Fragestellungen (u. a. zur Nutzeneinschätzung bestimmter Maßnahmen der Qualitätsoptimierung, zur Einstellung sozialer Fachkräfte zum Qualitätsmanagement) auf empirisches Material des Autors – teilweise aus Vorjahren – zurückgegriffen werden, das nach Möglichkeit zu den aktuellen Daten sowie zu Ergebnissen anderer Autoren (Wetzler, 2003; Peters, Dörfer & Schollmeyer, o. J.) in Beziehung gesetzt werden kann (Kap. D 1. - 3.).
Der innovative Wert der literaturanalytischen Untersuchung besteht weniger in der Erörterung der sich abzeichnenden Integration des QM in einen größeren theoretischen Kontext, als vielmehr in der umfangreichen Recherche- und Systematisierungsarbeit, die Ausgangspunkt für weitere Konzeptualisierungen sein kann.
Im empirischen Teil der Untersuchung wird insofern Neuland betreten, als nicht auf ähnliche Studien rekurriert werden konnte. Wenngleich Verfahren der deskriptiven Statistik, Korrelationsmaße, Varianzanalysen und Signifikanztests, punktuell auch Klassifikationsverfahren (Faktorenanalyse) zur Anwendung gelangen, befasst sich die Arbeit nicht primär mit empirisch zu prüfenden Hypothesen zum untersuchten Gegenstandsbereich. Angesichts der skizzierten Enthaltsamkeit bisheriger organisations-diagnostischer Forschung erscheint es legitim, zunächst einmal einen Teil des Feldes bestandsmäßig erfassen zu wollen und die Ergebnisse eher in einen "Entdeckungs-" als in einen "Begründungszusammenhang" zu stellen (vgl. Wiswede, 2000, S. 40). Insofern überwiegt der explorative und deskriptive, populationsbeschreibende Charakter der Untersuchung und das Analyseniveau ist eher molar als molekular.
Die nachstehenden Fragen sind im Rahmen der Studien nur teilweise als Hypothesen (s. Kap. A 5.2) expliziert, implizit aber sämtlich in den zuvor formulierten Erkenntnis-interessen angesprochen. Die Aufzählung entspricht dabei grob der textlichen Gliederung der Arbeit (s. Kap. A 3.3) und verweist auf den Zusammenhang, in dem diesbezügliche Sachverhalte thematisiert und Fragen im Einzelnen erörtert werden.
1. Untersuchungsfragen zum Komplex "QM und Organisationsforschung":
- In welchem Kontext steht die Befassung mit Qualität und QM?
- Welche Grundbegriffe gilt es zu klären?
- Wo lässt sich das Thema wissenschaftssystematisch und praktisch verorten?
- Wo liegen konzeptionelle Schnittstellen zwischen QM und Organisationsforschung?
- Lassen sich Ansätze des QM unter organisationspsychologische/-theoretische Labels subsumieren?
- Welche Qualitäts- und QM-Konzepte werden diskutiert und wie sind sie bezüglich der Besonderheit sozialer Dienstleistungen zu bewerten?
- Welche Instrumente des QM spielen in der Praxis eine wichtige Rolle?
2. Untersuchungsfragen zum Komplex "QM in sozialen Einrichtungen und Diensten":
- Wie hat sich die Umsetzung von QM in der Praxis entwickelt?
- Nach welchen Konzepten organisieren soziale Einrichtungen und Dienste ihr QM?
- Welche Strukturelemente und Maßnahmen kommen dabei zur Anwendung?
- Kovariieren bestimmte Strukturen mit der Trägerschaft, Einrichtungsgröße und/oder dem Arbeitsfeld?
- Wie wird der Nutzen bestimmter Maßnahmen zur Qualitätsentwicklung von Prakti-kerInnen eingeschätzt?
- Gibt es diesbezüglich Hinweise auf Unterschiede zwischen Leitung, Qualitäts-beauftragten und Mitarbeiterschaft?
- Wie stehen soziale Fachkräfte generell zum QM?
- Gibt es Hinweise auf einrichtungs-, gruppen- und/oder zeitpunktspezifische Unter-schiede in dieser Frage?
3. Untersuchungsfragen zum Komplex "Erfahrungen mit dem Instrument des/der Qualitätsbeauftragten in sozialen Einrichtungen und Diensten":
- Welchen Stellenwert hat das Instrument in der Praxis?
- Wie ist das Instrument strukturell und personell ausgestaltet?
- Kovariieren Verbreitung und Ausgestaltung mit Strukturvariablen der Einrichtungen?
- Wie wird das Instrument von den Akteuren und ggf. von Nicht-Akteuren bewertet?
- Aus welchen Gründen wenden Einrichtungen das Instrument nicht an?
- Welche Tätigkeiten und Rollen üben Qualitätsbeauftragte in der Praxis aus?
- Kovariieren die Tätigkeiten/Rollen mit Strukturvariablen der Einrichtung oder Personenmerkmalen?
- Wo liegen die wesentlichen Konfliktpotenziale bei der Anwendung des Instruments?
Der literaturanalytische Teil der Studie hat überwiegend synoptischen Charakter. Ausgehend von einer einleitenden Erörterung wesentlicher Bedingungsfaktoren des sozialpolitischen Kontextes (Kap. A 4.1), werden in prägnanten Übersichtskapiteln die spezifischen Grundlagen des Qualitätsmanagements (Kap. B 1.) und Schnittmengen zur Organisationsforschung (Kap. B 2. und 3.) dargestellt, bevor ein Resümee zur Konvergenz und Integration der Ansätze gezogen wird (Kap. B 4.). Nach einem systematischen Überblick zu Konzepten (Kap. C 1.) und Instrumenten (Kap. C 2.) steht die Frage nach Essentials eines Qualitätsmanagements in sozialen Handlungsfeldern (Kap. C 3.) im Mittelpunkt.
In ihrem empirischen Teil ist die Studie vorwiegend organisationsdiagnostisch ausgerichtet und fokussiert auf qualitätsbezogene Strukturen und Prozesse in sozialen Einrichtungen und Diensten. Die unter Einbeziehung von Vor- und Vergleichsstudien dargestellten Befunde sind nach den primären Zielgruppen bzw. Datenquellen gegliedert: Mitarbeiterbefragungen (Kap. D 1.), Leitungsbefragungen (Kap. D 2.), Befragungen von Qualitätsbeauftragten (Kap. D 3.) und schließlich die als Hauptstudie durchgeführte bundesweite Befragung von Einrichtungen und Diensten (Kap. D 4.). Als Resümee werden Folgerungen für die Praxis (Kap. D 5.) diskutiert.
Eine Zusammenfassung der wichtigsten Befunde und ein Ausblick auf den zukünftigen Stellenwert des Qualitätsmanagements im Allgemeinen und eines QM in sozialen Handlungsfeldern im Besonderen schließen den Kreis (Kap. E).
Die Bundesrepublik Deutschland ist nach ihrer Verfassung, dem Grundgesetz, ein demokratischer und sozialer Bundesstaat (Art. 20 Abs. 1 GG). Auch die verfassungs-mäßige Ordnung der sechzehn Bundesländer muss den Grundsätzen des republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaates im Sinne dieses Grundgesetzes entsprechen (Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG). Der Sozialstaatsgrundsatz legitimiert den Gesetzgeber, leistend und gestaltend tätig zu werden, indem er sich um soziale Gerechtigkeit bemüht und die Sicherheit der BürgerInnen zu gewährleisten sucht.
Allerdings ist trotz bundesgesetzlicher Regelungen die inhaltliche Konkretisierung sozialer Dienstleistungen keineswegs einheitlich vorgegeben, sondern eine Angelegenheit sozialpolitischer Aushandlungsprozesse zwischen Bund, Ländern und Gemeinden unter Beteiligung freigemeinnütziger Wohlfahrtsverbände. Im Rahmen der bundesweit geltenden Normen, die im Sozialgesetzbuch I ausformuliert sind, verfügen namentlich die Kommu-nen über eigene Gestaltungsspielräume, z. B. was Menge und Qualitätsstandards von Leistungen, pluralistische Trägerlandschaft und Angebote von Diensten und Einrichtungen anbelangt (Backhaus-Maul, 1998, S. 26).
Dem Sozialstaatspostulat verpflichtet sind jedoch nicht allein der Bund und seine Verwaltungseinheiten; vielmehr verwirklichen sich entsprechende Grundsätze auch im solidarischen und sozialen Verhalten der BürgerInnen, in individueller und kollektiver Selbsthilfe sowie durch mitmenschlichen Beistand in Notsituationen (Wienand, 1999, S. 10). Ungeachtet dieser notwendigen "privaten Fürsorge", die in ihren unterschiedlichen Ausgestaltungen zum "Sozialkapital" einer Gesellschaft beiträgt (J. Müller, 2002), beruht das bundesdeutsche Netz der sozialen Sicherung im Wesentlichen auf den drei Säulen der
- Sozialversicherung (nach einer neueren Systematisierung auch als soziale Vorsorge bezeichnet, Schulin & Igl, 2002) als einer weitgehend beitragsfinanzierten Solidargemeinschaft zur Absicherung des Lebensstandards gegen Risiken infolge von Krankheit, Pflegebedürftigkeit, Unfall, Berufs- und Erwerbsunfähigkeit, Erreichen der Altersgrenze oder Arbeitslosigkeit;
- Versorgung (auch als soziale Entschädigung bezeichnet, Schulin & Igl, 2002) als einer aus allgemeinen Steuermitteln finanzierten Absicherung des Lebensstandards bestimmter Personengruppen – z. B. Beamte, Soldaten und Zivildienstleistende – sowie zum begrenzten Ausgleich von Schäden, für die das Gemeinwesen gesteigerte Verantwortung trägt, z. B. Kriegsopfer, Opfer von Gewalttaten und Impfgeschädigte;
- öffentlichen Fürsorge (bzw. soziale Förderung und Sozialhilfe, Schulin & Igl, 2002) als einer aus überwiegend kommunalen Steuermitteln finanzierten und gegenüber anderen staatlichen Sozialleistungen und familiärem Unterhalt nachrangigen Hilfe bei individueller Bedürftigkeit. Die entsprechenden Leistungen lassen sich differenzieren in ein
1. besonderes Hilfe- und Fördersystem (Ausbildungs- und Berufsförderung, Kinder- und Erziehungsgeld, Unterhaltsvorschuss, Wohngeld, Kinder- und Jugendhilfe) und ein
2. allgemeines Hilfe- und Fördersystem (Sozialhilfe zur Sicherung des Existenzminimums und zur Hilfe und Förderung in besonderen Bedarfslagen wie Krankheit, Behinderung, Pflegebedürftigkeit, vgl. Wienand, 1999, S. 13).
Leitziele dieses sozialen Sicherungssystems sind größtmögliche Gerechtigkeit, Solidarität, Bürgernähe, organisatorische Vielfalt (keine Einheitsversicherung), Effektivität und Effizienz. Sozialpolitischer Kristallisationspunkt für die Frage nach den richtigen Strukturen ist das Subsidiaritätsprinzip. Mit den Worten des Bundesverfassungsgerichts bedeutet dies, "dass in erster Linie die kleinere Gemeinschaft wirken soll und mit staatlichen Mitteln erst dann einzugreifen ist, wenn es unausweichlich wird." Kann der Einzelne sich nicht selbst helfen, sollen also zuerst die Familie, die Nachbarschaft, die Selbsthilfegruppe, die freie Wohlfahrtspflege, die Gemeinde und zuletzt die staatliche Institution helfend einspringen (a.a.O., S. 10f).
"Vor allem im Verhältnis von öffentlicher und freier Wohlfahrtspflege ist die Subsidiarität staatlichen, insbesondere kommunalen Handelns ein zentrales Thema. Die Träger der freien Wohlfahrtspflege machen für ihre soziale Arbeit einen bedingten Vorrang geltend, der auch in Grundnormen des Sozialrechts seinen Niederschlag gefunden hat, zumal freie Träger vielfach als Pioniere neu auftretende soziale Notlagen aufgreifen und in innovativer Weise überwinden helfen
Die Bedeutung des Subsidiaritätsprinzips wurde bei der Revision des Vertrages der Europäischen Union in Maastricht besonders unterstrichen und als übergreifendes politisches Prinzip für die Abgrenzung von Gemeinschaftszuständigkeit und Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten anerkannt. Aus dem Subsidiaritätsprinzip wird auch der Vorrang nationaler Sozialpolitik abgeleitet ..."(a.a.O., S. 11).
Von einer grundsätzlichen Bedrohung des Subsidiaritätsprinzips als Folge des europäischen Einigungsprozesses kann somit keine Rede sein; vielmehr sieht der Entwurf für einen "Vertrag über eine Verfassung für Europa" eine konsequente Anwendung und Absicherung dieses Verfassungsprinzips ausdrücklich vor (Calliess, 2004, S. 24). Im Zuge eines Trends zu neoliberaler Wirtschaftspraxis und Gesetzgebung sehen sich die Verbände, Dienste und Einrichtungen der freien Wohlfahrtspflege, organisiert in den Spitzenverbän-den
- der Arbeiterwohlfahrt,
- des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche in Deutschland,
- des Deutschen Caritasverbandes,
- des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes (seit 1990 "Der Paritätische"),
- des Deutschen Roten Kreuzes und
- der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland
jedoch verstärkter Konkurrenz durch selbstorganisierte Gruppen und privat-gewerbliche Träger gegenüber. Fehlentwicklungen zu bürokratisierten Großorganisationen und die immer weniger tragende weltanschauliche Bindungsfähigkeit in dem "an Kleinstaaterei erinnernde[n] Wohlfahrtsverbandswesen"(Boeßenecker, 2001, S. 108) trugen hierzu entscheidend bei.
Inwiefern die weiterhin bestehende nationalstaatliche Privilegierung frei-gemeinnütziger Unternehmen in Deutschland – die sich vor allem in der Freistellung von diversen Steuerpflichten und in steuerlichen Anreizen für Dritte äußert, den frei-gemeinnützigen Trägern Geld-, Sach- und Zeitspenden zukommen zu lassen – mit europäischem Wettbewerbsrecht vereinbar ist (z. B. dem Verbot von Beihilfen), ist derzeit noch unsicher und Gegenstand juristischer Gutachten (Schruth, 2003).
Die Monopolkommission der Bundesregierung (12. Hauptgutachten, zit. nach Wetzler, 2003, S. 15f) verwies jedoch bereits 1998 darauf, dass die Stellung der freien Wohl-fahrtspflege im sozialen Versorgungssystem eine Kartellbildung und die Bundes-arbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege (BAG FW) ein staatlich unterstütztes Kartell sei, in dem die Koordination der Leistungen abseits der wettbewerblichen Ordnung in einem weitgehend gegen die Konkurrenz abgeschotteten System stattfinde. Die Steuerbefreiung im Zusammenhang mit dem Gemeinnützigkeitsstatus wird in diesem Gutachten als Diskriminierung privat-gewerblicher Anbieter betrachtet.
Im internationalen Vergleich gilt das deutsche Sozialleistungssystem, seit Gründung der Bundesrepublik als umfassendes und lückenloses Netzwerk geknüpft, als "weder ausgeufert noch herausragend"(Alber, 1998, S. 225), aber auch als relativ unmodern, weil perspektivisch vergangenheits-, statt zukunftsorientiert (Schmid, o. J., S. 20f). Die desolate Situation der öffentlichen Haushalte – und hier im Besonderen die der kommunalen[3] – ist unmittelbar verknüpft mit der Strapazierung dieses Netzes durch Wiedervereinigung, Wirtschaftskrise, hohe Arbeitslosigkeit und demographische Entwicklung. Die Zusammen-hänge mit der aktuellen Debatte über die Grenzen des Sozial- und Wohlfahrtsstaates und dessen notwendiger Modernisierung sind evident.
Dass im Kontext der öffentlichen Haushaltssituation auch die Qualität der mit zunehmend verknappten Mitteln finanzierten Sozialleistungen auf den Prüfstand geriet, entbehrt insofern nicht der sachlichen Logik: Wenn schon nicht mehr alles Wünschbare geleistet werden kann/soll, gilt es, die Mittel dort einzusetzen, wo sie sozialpolitisch treffgenau denen zugute kommen, die ihrer am nötigsten bedürfen ("allokative Effizienz") und im Sinne inhaltlich-fachlicher Zielerreichung ("Effektivität") den größten Nutzen stiften (vgl. Trube, Regus & Depner, 2001, S. 229). Die dafür notwendigen Entscheidungen bedürfen möglichst rationaler, transparenter und verbindlicher Qualitätskriterien, um fachlich wie politisch legitimiert werden zu können. Darüber hinaus werden dem lange Zeit ungehindert expandierenden Sozialleistungssystem Ineffizienzen und erhebliche Rationalisierungs-möglichkeiten unterstellt (z. B. Schoch, 2000, S. 1), die zu beseitigen bzw. zu erschließen professionellere Formen des Managements, insbesondere des Qualitätsmanagements beitragen sollen.
Sozialrechtliche Änderungen der letzten Jahre stehen eindeutig in diesem Zusammenhang und führen in Richtung einer Ökonomisierung der Arbeit in Einrichtungen und Diensten. Diese kann als Prozess verstanden werden, "… in dem politisch vereinbarte Standards abgelöst werden durch eine stärkere ’Monetarisierung’, d. h. Festlegung von output-Zielen, Controlling von input und output, Vergleichbarkeit von Produkten und Betonung von Effizienz als Kontrollkriterien"(Heinze, Schmid & Strünck, 1997, S. 256).
Will man die Entwicklung dieser "Ökonomisierung des Sozialen" nachzeichnen, fallen mindestens zwei Begriffe ins Auge: Lean Management und Marktwirtschaft.
Das Konzept des Lean Management stammt aus der japanischen Erfolgswirtschaft der Achtzigerjahre und bezog sich als Lean Production zunächst auf die als "zweite Revolution in der Autoindustrie" bezeichnete Produktionsweise bei Toyota (Womack, Jones & Ross, 1992). "Lean" steht symbolisch für alle Maßnahmen, die darauf abzielen, Überflüssiges aus der Betriebsführung zu entfernen und durch "Verschlankung" des Einsatzes von Personal, Sachmitteln, Produktionsflächen, Entwicklungszeiten und anderen Kostenfaktoren die Effizienz zu erhöhen.
Wesentliche Merkmale dieses Konzepts sind:
- Reduktion von Hierarchieebenen/Abflachung von Hierarchien,
- Abbau von "nicht-produktivem" Personal, Priorität der Wertschöpfung,
- Verlagerung von Autonomie auf kleine Einheiten, Teamarbeit,
- Übertragung von Selbstverantwortlichkeit und Selbstkontrolle im Rahmen von Zielvereinbarungen,
- differenziertes Controlling- und Berichtssystem als Steuerungsinstrument,
- hohe Kunden- und Marktorientierung,
- kontinuierlicher Verbesserungsprozess im Sinne kleiner, beherrschter Schritte,
- strikte Orientierung an Qualität als strategischem Erfolgsfaktor im Sinne von erfüllten Kundenerwartungen und möglichst weitgehender Fehlervermeidung.
Waren für die Verbreitung des Lean Management in der Betriebswirtschaft vor allem die industriellen Erfolge dieses Produktions- und Betriebsführungssystems verantwortlich, so zeichnet sich seit den Achtzigerjahren auch auf der Ebene ganzer Volkswirtschaften ein Umdenken ab. Während die zumeist sozialdemokratisch geprägten Wohlfahrtsstaaten an die Grenzen ihres Wachstums stießen, verkündeten in den USA und Großbritannien so genannte "Monetaristen" im Gefolge Milton Friedmans eine neue Wirtschaftspolitik, die an die klassische Theorie von der Selbstregulierung einer Wirtschaft anknüpft und dem Staat nur ein sehr begrenztes Eingriffsrecht in die ökonomischen Abläufe und das "freie Spiel der Kräfte" zugesteht. Diese Wirtschaftspolitik wurde alsbald unter den Bezeichnungen "Reagonomics" und "Thatcherism" bekannt und propagiert eine am Modell der freien Marktwirtschaft orientierte Sozialpolitik (vgl. Kurzlechner, 1999).
Es wird von den Vertretern dieses so genannten "neoklassischen Paradigmas"(Etzioni, 1994, S. 20, zit. nach Kurzlechner, 1999, S. 46) angenommen, dass der Sozialstaat bisheriger Prägung teuer und dabei verhältnismäßig ineffektiv sei. Von der Einführung marktwirtschaftlicher Elemente wie Privatisierung, Deregulierung und Wettbewerb auf Seiten der Anbieter verspricht man sich mehr Effizienz und Qualität.
Diese Sichtweise, die auf der als "überheblich" kritisierten (Fukuyama, 1995, S. 33, zit. nach Kurzlechner, 1999, S. 49) Übertragung marktökonomisch durchaus erfolgreicher Prinzipien auf menschliches Verhalten im Allgemeinen beruht, ist stark inspiriert vom klassischen Liberalismus, Utilitarismus und Rationalismus, also von Weltanschauungen, die auf die individuelle Freiheit vernunftorientierter, nutzenmaximierender Bürger setzen. Die ausufernde Euro-Bürokratie und verkrustete Strukturen des Wohlfahrtsstaates haben mit einigungsbedingter Verspätung inzwischen auch in Deutschland die politische Großwetterlage in diesem neoliberalen Sinne bestimmt, allerdings auch heftige Kritik an einer zu weit gehenden Ökonomisierung des Sozialen hervorgerufen.
Der enormen politischen Bedeutung wegen, die sich mit den hier nur anzudiskutierenden Fragen verknüpft und die auch Rolle und Stellenwert eines Qualitätsmanagements maßgeblich tangieren, sei ein Teil dieser Kritik kurz gewürdigt:
Maaser (2002, S. 135 ff.) konstatiert, dass sich im Gefolge des sozialstaatlichen Legitimationsdiskurses – Stichworte: Versorgungsstaat, Missbrauchsdebatte, Mitnahme-effekte – ein neues Verständnis von Wohlfahrtskultur herausbilde, das als sozialethische Verlagerung von der Gerechtigkeits- auf die Barmherzigkeitsperspektive bezeichnet werden könne. Die Zurücknahme von selbstverständlich gewordenen Rechten und die stärkere Individualisierung gesellschaftlicher Risiken werden als ethisch zu reflektierende Veränderungen auf der strukturqualitativen Makroebene betrachtet.
B. Müller (1996) problematisiert die Übertragung von Marktmechanismen auf soziale Handlungsfelder und hält für deren Anwendbarkeit den ursprünglichen Charakter des Marktes als Ort des Austauschs für entscheidend: dass Partner im Bewusstsein gegenseitiger Abhängigkeit etwas voneinander wollen, sich jedoch nicht bedingungslos verpflichtet sind und nicht gegenseitig ihren Willen aufzwingen können, sich aber an bestimmte Spielregeln halten müssen (a.a.O., S. 76). Eine solche Dienstleistungsethik als Ethik fairer Zweckbündnisse wird sozialen Handlungsfeldern zwar als grundsätzlich angemessen betrachtet, jedoch nicht als hinreichend, weil sie immer funktionalen Charakter habe, also von einem Zweck-Mittel-Verhältnis her gedacht sei (S. 78). Darüber hinaus wird jedoch eine Ethik der Fürsorge und eine politische Ethik für notwendig gehalten, um dem Charakter sozialer Handlungsfelder gerecht zu werden (S. 77f).
Auch Depner & Trube (2001, S. 233 ff.) betonen die Notwendigkeit extrafunktionaler Qualitätskriterien und verbinden damit die Frage nach einer universalistischen Ethik des Sozialen, damit Soziale Arbeit nicht zum willfährigen Handwerkszeug gesellschaftlicher Selektionsprozesse verkomme (S. 237). Die Autoren sehen einen Entwicklungstrend vom Wohlfahrtsstaat zum Wettbewerbs- bzw. zum "aktivierenden" Sozialstaat.
Kurzgefasst lautet ihre Analyse (S. 217f): Globalisierung und internationaler Wettbewerb führen auf der nationalen Ebene zunehmend zur Marginalisierung der quasi "konkurrenzuntüchtigen" Personen, deren typische Problemlagen allerdings zumeist individualisierend diagnostiziert werden. Sie sind deswegen Adressaten der Sozialen Arbeit (und nicht der Sozialpolitik), der jedoch immer weniger Ressourcen zur Verfügung stehen, da für den Nationalstaat aufgrund von internationalisierten Geld- und Güterströmen zunehmend Steuerabschöpfungsmöglichkeiten verloren gehen. Aufgrund dessen entwickelt sich zumeist zusätzlich noch ein Trend zur Senkung von Sozialabgaben, um in der weltweiten Standortkonkurrenz dem flexiblen Kapital die "besseren" Konditionen anzubieten. Dies verknappt wiederum die Geldmittel für soziale Leistungen, so dass die praktische Sozialarbeit unter noch größeren Effizienzdruck kommt. Sie hat nachzuweisen, dass sie die Modernisierungsopfer doch noch durch "qualitativ hochwertige" Interventionen aktivieren kann, um sie möglichst unabhängig von konsumtiven staatlichen Transferleistungen zu machen.
Ostner (2004) erkennt gleichfalls eine Veränderung in der Logik des sozialen Ausgleichs und der Bedeutung der Solidarität im neuen "Europäischen Sozialmodell". Die Verknüp-fung von Sozialleistungen und Beschäftigungsbereitschaft bzw. das "Pochen auf strikte Reziprozität"(S. 53) werden als Anzeichen für eine "Amerikanisierung des Sozialen" bewertet.
Der Rückzug aus aktiver Sozialstaatlichkeit und die Hoffnung der Protagonisten einer ("europäischen") Zivilgesellschaft und des ("amerikanischen") Kommunitarismus, dass Bürger sich selbstbestimmt in einer demokratischen Wohlfahrtsgesellschaft[4] (Keupp, 2000, S. 41) organisieren, statt sich vom Versorgungsstaat alimentieren zu lassen, verschleiert nach Depner & Trube (a.a.O.) allerdings , wem diese Entwicklung letztlich nütze und schade:
Sie "schadet dem klassischen Klientel der Sozialen Arbeit, und von der Zivilgesellschaft profitieren die, denen es bereits jetzt schon materiell gut geht, die in ihrem sozialen Status und in ihrer personalen Identität nicht beschädigt sind und die die weiteren Modernisierungsschübe unserer Gesellschaft nicht nur nicht fürchten müssen, sondern denen sich hier neue Handlungsspielräume eröffnen"(S. 224).
Heiner (1996a, S. 28f) weist auf einen maßgeblichen Unterschied zwischen Human-dienstleistungen und Güterproduktion hin:
"Die Qualität von Humandienstleistungen hängt entscheidend davon ab, welche Vorstellung eine Gesellschaft und dabei auch die zuständigen Berufe davon haben, wie man mit Menschen umgehen sollte, was man ihnen zumuten darf und was man ihnen schuldet. Diese ethische und normative Dimension des Qualitätsbegriffes ist für Humandienstleistungen zentral, während es bei der Produktion von Gütern nur um das Ethos der Zuverlässigkeit geht."
Speck (2002, S. 6) betrachtet das Wirtschaftssystem als ein eigenes, selbstreferenziell konstituiertes System, das sich am eigenen Wachstum orientiere und zu dessen Aufgabe es nicht gehöre, sich an der Lösung anderer Probleme, zum Beispiel sozialer, zu beteiligen. Moralisches Handeln sei für die Wirtschaft nicht nur entbehrlich, sondern geradezu dysfunktional (Luhmann, 1987, zit. nach Speck, 1999, S. 21). Die fortschreitende Ökonomisierung teile die Gesellschaft immer deutlicher in "Gewinner" und "Verlierer"(Speck, 2002, S. 6 ff.).
Speck (a.a.O.) warnt: "Die gegenwärtige Überhitzung des wirtschaftlichen Wettbewerbs forciert den Eigennutz, auch der verschiedenen Korporationen. Das Soziale droht dabei zu einem Epi-Phänomen zu degenerieren".
Nach Schmidt-Grunert (1997, S. 113) besteht ein offensichtlicher Zusammenhang zwischen der Expansion des sozialen Sektors und dem Wachstum von Armut und Verelendung in der Gesellschaft. Die zunehmend geforderte Rolle als Ausfallbürge für ein Versagen von Wirtschaft und Politik ist auch für Prölß (1999, S. 106) der Grund für den beschleunigten Professionalisierungsschub der sozialen Berufe seit den Siebzigerjahren.
Die im Gefolge der öffentlichen Haushaltskrise inzwischen betriebene staatliche Sparpolitik hält Schmidt-Grunert deshalb mitnichten einem überproportionalen Wachstum des sozialen Bereichs, "funktionalem Dilettantismus" oder Verschwendung geschuldet, sondern diese wird als Ausdruck eines politischen Willens bewertet, staatliche Leistungen abzubauen (a.a.O., S. 109 ff.). Während in der Tradition der Sozialen Arbeit stets die Auffassung vertreten worden sei, dass der soziale Sektor seiner Kompensationsaufgabe nur gerecht werden könne, wenn er nicht den Zwängen der freien Marktwirtschaft unterworfen sei, werde die Ökonomie nunmehr mit Hoffnungen belegt, "aus weniger mehr" zu machen (S. 115).
Die kritische Auseinandersetzung mit der "BWL-isierung" der Sozialen Arbeit (Schmidt-Grunert, 1997) schließt jedoch eine "maßvolle und bedachte Ökonomisierung"(Hauser et al., 1997, S. III) und ein Lernen von der Wirtschaft ohne Berührungsängste nicht aus, z. B. im Hinblick auf ein besseres Marketing (Hütte, 1998, S. 120). Im Gegenteil: Die "Rückführung [hier: der Sozialpädagogik, P. G.] aus den subventionierten Kunstgärten in die ökonomischen Lebenswirklichkeiten" wird als nicht zu unterschätzender Qualitätsbeitrag bewertet (a.a.O., S. 121).
Die Befrachtung der Ökonomie mit überzogenen Heilserwartungen entspricht indes wohl mehr dem menschlichen Bedürfnis nach eindeutigen Auswegen aus einer Krise; denn
"Krisenbeschreibungen und -beschwörungen gehören ... zu den Grundfigurationen der modernen Gesellschaftstheorie, die ja auch (fast) immer Theorie der Gesellschaftsreform sein will. Die – selbstverständlich – wissenschaftliche Analyse der Krise geht einher mit einem Lösungsangebot, dem Aufzeigen eines Ausweges, dem Versprechen einer umfassenden Bewältigung und damit auch Beendigung der Krise. Die Einlösung des Versprechens ist freilich mit einem entscheidenden Akteurwechsel verbunden: Damit es zur (Er-)Lösung kommt, ist die strenge, ‘orthodoxe’, ‘methodische’ Befolgung des von den einen (der Avantgarde) gewiesenen Weges seitens der jeweils ‘anderen’ ... unbedingt notwendig; diese dürfen bzw. müssen dazu allerdings meist erst noch befähigt, sprich: erzogen werden"(Volz, 2000, S. 169).
Vieles spricht dafür, dass sich die Geschichte derartiger gesellschaftlicher Grundfigura-tionen auch gegenwärtig wiederholt. Ein markantes Beispiel hierfür liefert auch die ange-strebte Modernisierung der öffentlichen Verwaltung.
Anfang der Neunzigerjahre begann das betriebswirtschaftliche Modell des Unternehmens die traditionelle Sichtweise öffentlicher Verwaltungen und ihrer Organisationsformen abzulösen. Das Neue Steuerungsmodell (NSM), namentlich propagiert von der Kommunalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung (KGSt), der "Innovationsagentur des Deutschen Städte- und Gemeindetages"(B. Müller, 1996a, S. 8), begann seinen Siegeszug durch die bundesdeutschen Amtsstuben.
Das zentrale Motiv der Diskussionen um die Umstrukturierung der öffentlichen Verwaltungen "von der Behörde zum Dienstleistungsunternehmen" war bzw. ist die Hoffnung, die Handlungsfähigkeit des kommunalen Systems angesichts stagnierender oder rückläufiger Finanzmittel zu erhalten. Die Kritik richtete sich dabei insbesondere gegen die zentralen Organisationsstrukturen der Verwaltung, die großen Macht- und Entscheidungsbefugnisse der Querschnittsämter, die Orientierung am Input, ein veraltetes Finanzmanagementsystem und schwach ausgebildete Leistungsanreize im Vergütungssystem des öffentlichen Dienstes (Struck, 1995, S. 285). Den Kommunalverwaltungen wurde eine Management-, Attraktivitäts- und Legitimitätslücke attestiert. Defizite wurden in der effektiven Steuerung, der Motivierung von MitarbeiterInnen und der Rechtfertigung der Leistungen gegenüber den Bürgern ausgemacht (KGSt, 1993).
Als charakteristisch für die traditionelle Steuerung öffentlicher Verwaltungen gilt die Inputorientierung. Dabei wurde/wird der Verwaltung seitens der Politik ein Input in Form von Sach-, Finanz- und Personalmitteln zur Verfügung gestellt, ohne dass hinreichend deutlich war/ist, welche Leistungen im Einzelnen damit erbracht werden sollen. Demgegenüber betont das Konzept der Outputsteuerung, dass der gesamte Prozess von Planung, Durchführung und Kontrolle des Verwaltungshandelns strikt an den beabsichtigten und tatsächlichen Ergebnissen des Handelns ausgerichtet werden soll (Jordan & Reisman, 1998, S. 60).
Die beschriebenen Probleme sollten durch Anleihen beim Konzept des Lean Management (s. o.) gelöst werden. Die wichtigsten Elemente dieses Neuen Steuerungsmodells (auch als New Public Management, NPM, diskutiert) sind (vgl. Struck, 1995; Kühn, 1995; Jordan & Reisman, 1998):
- die Übertragung betriebswirtschaftlicher Managementtechniken auf dafür geeignete Teile der Kommunalverwaltung ("Konzernmodell: Leitbild Dienstleistungsunternehmen"),
- ein verändertes Verhältnis von Politik und Verwaltung (hier Zuständigkeit für strategische Planung und Kontrolle längerfristiger Richtungsentscheidungen, dort operative Umsetzung und Controlling der politischen Leitwerte, Steuerung mittels Kontraktmanagement),
- die grundlegende Orientierung am Output der Verwaltung, d. h. ihren in Produk-tbeschreibungen zu definierenden Leistungen und den zuzuordnenden Kosten (Budgetierung als Teil des Kontraktmanagements zur Absteckung des Ressourcenrahmens, innerhalb dessen flexibler als bisher agiert werden kann),
- die Zusammenführung von Leistungs- und Budgetverantwortung auf der Basis der Selbststeuerung von Ämtern und Diensten sowie eine veränderte Darstellungsform kommunaler Haushalte (dezentrale Ressourcenverantwortung, Einführung des kaufmännischen Rechnungswesens statt der bisherigen Kameralistik),
- die Einführung eines systematischen Controllings (strategisches und operatives, zentrales und dezentrales Steuerungsinstrument durch rechtzeitige Informationsbeschaffung und -verarbeitung, z. B. über Kennzahlen),
- das Postulat der Orientierung an den Bedürfnissen der Abnehmer der kommunalen Dienstleistungen (Kundenorientierung),
- die systematische Einführung von Markt- und Wettbewerbselementen in die Verwaltungsorganisation (Personalmanagement, Qualitätsmanagement, Benchmarking),
- die Auslagerung von Leistungserbringungen auf preiswertere nichtöffentliche Anbieter (contracting out).
Für eine Bewertung des Neuen Steuerungsmodells muss maßgeblich sein, wie die neuen Steuerungselemente im Bereich der öffentlichen Verwaltung umgesetzt werden. Als Instrumente sind sie potenziell vernünftig und stellen gegenüber der bisherigen Praxis einen Fortschritt dar.
Doch auch der in den Siebziger- und Achtzigerjahren unternommene Versuch einer "Neuordnung der sozialen Dienste" im Zuge der kommunalen Gebietsreformen erfolgte in gut gemeinter Absicht ohne durchschlagenden Erfolg. Trotz zum Teil drastischer Veränderungen innerhalb des organisatorischen Gefüges blieben die beabsichtigten Effekte einer innovatorischen Praxis aus. Die seinerzeit stattgefundenen Verwaltungsreformen können jedoch als eine notwendige Voraussetzung für modernisierte Soziale Arbeit angesehen werden, wie sie im Zuge der Neuen Steuerungsmodelle nun vor allem über ein verbessertes Personalmanagement erreicht werden soll (Flösser & Otto, 1992, S. 10 ff.).
Kritik am Ansatz des NPM ist vielfach geübt worden: an der vermeintlich dahinter stehenden Sozialabbaumentalität, an der Verbetriebswirtschaftlichung der Sozialen Arbeit, am vordergründigen Sparkonzept, an der Unangemessenheit für die freie Wohlfahrts-pflege, an der Gefährdung gewachsener Partnerschaften zwischen öffentlichen und freien Trägern, an der Missbrauchsmöglichkeit von Instrumenten. Andere AutorInnen sehen dagegen Chancen, verkrustete Strukturen auch bei freien Trägern aufzubrechen und Angebotsformen kritisch zu revidieren. An dieser Stelle seien lediglich einige Aspekte im Zusammenhang mit Qualitätsmanagement aufgegriffen.
So bemängelt Klatetzki (1996) die Vernachlässigung der kundenorientierten Perspektive. Qualität werde in der Praxis letztlich immer durch Experten definiert. Deren Bestimmung der Qualitätseigenschaften anzubietender Dienstleistungen erfolge mit Hilfe von Konzepten, in denen mehr oder weniger plausible Begründungen dafür formuliert seien, für wen, warum, was, wie und mit welchen personellen, sachlichen und finanziellen Ressourcen zu tun sei. Eine direkte Qualitätsbestimmung durch Kinder, Jugendliche und Sorgeberechtigte gebe es bislang dabei nicht (a.a.O., S. 58). Dagegen hält Klatetzki (S. 60) die Orientierung des KGSt-Modells am Output, spezifiziert in der Produktbeschreibung und quantifiziert über Kennzahlen, für grundsätzlich sinnvoll. Während nämlich die Ergebnisqualität im Sinne von Outcome nie eindeutig dem Handeln der leistungserbringenden Organisation zuzuordnen sei, lenke die Outputorientierung den Blick auf die geeigneten Strukturen und Umsetzungsprozesse (hier: der Jugendhilfe).
Heiner (1996, S. 217) kritisiert dagegen, dass die KGSt mit ihren Produktbeschreibungen dazu verleite, geplante Aktivitäten bereits als "Erfolg" zu werten, wenn sie nur durchgeführt wurden, und andere Maßnahmen nicht zu entwickeln, weil sie in der offiziellen Produktbeschreibung nicht enthalten seien. Im Text der KGSt werde die im Titel anklingende programmatische Unterscheidung zwischen Output und Outcome nur am Rande erwähnt und die Grenzen dieser Outputorientierung würden nicht reflektiert. Diese Grenzen werden von Heiner vor allem in der Festschreibung und Normierung gesehen, die mit der präzisen Produktbeschreibung im Sinne von Tätigkeitsdokumentationen verbunden seien. Dies sei aber nur bei Mindeststandards vertretbar, während ansonsten fachliche Standards nur exemplarisch und niemals komplett konkretisiert werden könnten.
Inwieweit das durch das Neue Steuerungsmodell angeregte Instrument der Produkt- bzw. Leistungsbeschreibung die Praxis in sozialen Handlungsfeldern befruchtet, muss abgewartet werden. Jedenfalls dürfte der Gewinn für manche Einrichtung bereits darin bestanden haben, unter Beteiligung der Fachkräfte die eigenen Leistungstätigkeiten näher zu betrachten und zu systematisieren. Allerdings stellt sich die Frage, ob sich alle sozialen Dienstleistungen in Produkten erfassen und abbilden lassen (Meinhold & Matul, 2003, S. 77).
Die mit den Instrumenten der Budgetierung, des Kontraktmanagements und des Controllings verknüpften Erwartungen stellen für die meisten freien Träger im Unter-schied zu öffentlichen Verwaltungen kein Neuland dar. In der öffentlichen Verwaltungs-praxis entzündet sich jedoch zunehmend Kritik an Ungereimtheiten im Zusammenhang mit Produktbudgets und Kontrakten (a.a.O., S. 77f).
Das ursprüngliche Vorbild all dieser Bemühungen, die Verwaltungsmodernisierung der niederländischen Stadt Tilburg ("Tilburger Modell"), gilt inzwischen im eigenen Land hinsichtlich der erhofften Einsparpotenziale als gescheitert (Boeßenecker, 2001, S. 104). Auch in Deutschland greift zunehmende Ernüchterung um sich (a.a.O.). Aus Sicht der BürgerInnen kann jedoch vielerorts konzediert werden, dass ein Stück Kundenorientierung in die Praxis der Amtsstuben unverkennbar Einzug gehalten hat.
Die Leitziele einer leistungsorientierten öffentlichen Verwaltung, wie sie sich unter dem Einfluss neuer Steuerungsmodelle auch im Sozialbereich zu etablieren beginnen, sind mithin keineswegs diskreditiert:
- Verbesserung der Funktionsfähigkeit,
- Vereinfachung der Organisation unter bestmöglicher Nutzung vorhandener Ressourcen,
- mehr Flexibilität, Eigenverantwortung und Selbststeuerung,
- mehr Bürger- bzw. Kundennähe, Transparenz und Akzeptanz in der Öffentlichkeit.
Zu den sozialstaatlichen Grundpositionen gehört die Überzeugung, dass jeder junge Mensch einen Anspruch darauf hat, in seinem Entwicklungsprozess so gefördert zu werden, dass er als Erwachsener zu einem autonomen und zugleich in die soziale Gemeinschaft eingebundenen Leben fähig ist. Diese Überzeugung spiegelt sich in den Leitparagraphen des Sozialgesetzbuches VIII (Kinder- und Jugendhilfegesetz, KJHG): Recht auf Erziehung, Elternverantwortung, Aufgaben der Jugendhilfe.
Der Begriff KJHG bezeichnet eigentlich nur das 1990 verabschiedete Reformgesetz, mit dem das (Reichs)Jugendwohlfahrtsgesetz von 1922 abgelöst wurde; darin sind neben der Neuordnung des Rechts der Kinder- und Jugendhilfe noch eine Anzahl weiterer Gesetzesänderungen, Übergangs- und Schlussvor-schriften enthalten. Den Kern des KJHG bildet das Achte Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII), in dessen Paragraphen die jeweils gültigen Rechtsvorschriften für die Kinder- und Jugendhilfe als Teil des Sozialrechts formuliert sind (Wiesner, 2001, S. 330f).
Zu Garanten des Rechtsanspruchs junger Menschen bestimmt das Grundgesetz vorrangig die Eltern, daneben auch die Schule. Der Jugendhilfe kommt eine Unterstützungs- und Ergänzungsfunktion zu. Zur Erfüllung ihrer Präventions- und Schutzaufgaben hat Jugendhilfe ein breit gefächertes Leistungsangebot bereitzustellen, das für alle jungen Menschen und ihre Familien zugänglich sein soll. Dieses Leistungsangebot wird im KJHG unterteilt in institutionelle Angebote der allgemeinen Förderung (wie z. B. Jugend-sozialarbeit, Kindertageseinrichtungen) und in individuelle Hilfen (z. B. Hilfen zur Erziehung, Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche).
Während die Angebote allgemeiner Förderung ohne Prüfung einer besonderen Berechtigung in Anspruch genommen werden können, wird das Recht auf eine individuelle Hilfe davon abhängig gemacht, ob ein entsprechender Bedarf festgestellt werden kann. Vor der Leistungsgewährung obliegen dem Jugendamt als zuständigem öffentlichen Träger der Jugendhilfe somit entsprechende Ermittlungsaufgaben (Harnach-Beck, 1997).
Hilfe zur Erziehung wird bewilligt, wenn eine dem Wohl des Kindes oder des Jugendlichen entsprechende Erziehung nicht gewährleistet ist und die Hilfe für seine Entwicklung geeignet und notwendig ist. Hilfe zur Erziehung kommt also nicht erst in Betracht, wenn das Wohl des Kindes oder Jugendlichen gefährdet ist, sondern der Gesetzgeber stellt bewusst Maßnahmen zur Unterstützung der elterlichen Erziehungsverantwortung unterhalb der Eingriffsschwelle der §§ 1666, 1666a des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) bereit, die das Familiengericht zu Eingriffen in das elterliche Sorgerecht befugen (Wiesner, 2001, S. 336). Die Leistungsberechtigten haben bezüglich der leistungserbringenden Einrichtungen und Dienste ein Wunsch- und Wahlrecht, dem seitens des Jugendamtes zu entsprechen ist, sofern nicht unverhältnismäßige Mehrkosten damit verbunden sind (§ 5 SGB VIII).
Die Gesamtverantwortung für die Bereitstellung eines bedarfsgerechten Angebots einschließlich der Planung liegt beim Träger der öffentlichen Jugendhilfe (§ 79 SGB VIII). Dessen zentrales Entscheidungsorgan – der Jugendhilfeausschuss – ist jedoch plural zusammengesetzt: zwei Fünftel seiner Mitglieder werden auf Vorschlag der anerkannten Träger der freien Jugendhilfe gewählt.
Die Sozialhilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) ist das allgemeine Basissystem der sozialen Sicherung in Deutschland und funktioniert als "Netz unter dem Netz" der gehobenen Sicherungssysteme – Sozialversicherung und Versorgung (Wienand, 1999, S. 34).
"Wer nicht in der Lage ist, aus eigenen Kräften seinen Lebensunterhalt zu bestreiten oder in besonderen Lebenslagen sich selbst zu helfen, und auch von anderer Seite keine ausreichende Hilfe erhält, hat ein Recht auf persönliche und wirtschaftliche Hilfe, die seinem besonderen Bedarf entspricht, ihn zur Selbsthilfe befähigt, die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft ermöglicht und die Führung eines menschenwürdigen Lebens sichert" (§ 9 SGB I).
Auf Leistungen der Sozialhilfe hat der Hilfesuchende in der Regel einen Rechtsanspruch; über Art, Form und Maß entscheidet der Sozialhilfeträger nach der Besonderheit des Einzelfalls. Die Hilfe kann in persönlicher Hilfe (vor allem Beratung), in Geld- oder Sachleistungen bestehen und muss grundsätzlich nicht zurückgezahlt werden, es sei denn, die Hilfe wurde von vornherein als Darlehen gewährt oder die Bedürftigkeit wurde schuldhaft herbeigeführt (Wienand, 1999, S. 36).
Leistungen der Sozialhilfe werden unterteilt in Hilfe zum Lebensunterhalt und Hilfe in besonderen Lebenslagen. Erstere dient der Existenzsicherung; sie kann einmalig oder als laufende Leistung gewährt werden. Bei der Berechnung werden Einkünfte und Vermögen unter Anrechnung bestimmter Freibeträge berücksichtigt; auch wird geprüft, ob eventuell Dritte zu Unterhaltsansprüchen herangezogen werden können. Dies trifft gleichermaßen für die Hilfe in besonderen Lebenslagen zu, die vor allem Krankenhilfe (§ 37 BSHG), Eingliederungshilfe für Behinderte (§§ 39 ff. BSHG) und Hilfe zur Pflege (§§ 68 ff. BSHG) umfasst.
Sowohl für die Jugend- als auch die Sozialhilfe gilt, dass die öffentlichen Träger von der Schaffung eigener Einrichtungen absehen sollen, sofern geeignete Einrichtungen, Dienste und Veranstaltungen von anerkannten freien Trägern vorhanden sind, ausgebaut oder geschaffen werden können (sinngemäß § 93 Abs. 1 BSHG, § 4 Abs. 2 SGB VIII).
Eingebettet in die beschriebenen Bestrebungen, öffentliche Verwaltungen nach Maßgabe Neuer Steuerungsmodelle (KGSt, 1993) zu reformieren, kam die stark betriebs-wirtschaftlich geprägte Diskussion über z. B. Controlling, Produktbeschreibungen, Lean Management und Dienstleistungsorientierung mit der "Unwiderstehlichkeit einer Dampfwalze"(B. Müller, 1996a, S. 8) auch über die öffentlichen und freien Träger der Jugend- und Sozialhilfe. Mit der Novellierung einschlägiger Rechtsvorschriften – hier: §§ 78 ff. Achtes Buch Sozialgesetzbuch (KJHG) und §§ 93 ff. Bundessozialhilfegesetz (BSHG) zum 01.01.1999 – wurden sozialrechtlich neue Weichen gestellt. Damit wurde analog zur Angebotssteuerung im Kranken- und Pflegeversicherungsbereich (SGB V und SGB XI) das bereits 1993 eingeführte Vereinbarungsprinzip zwischen Leistungsträgern und Leistungserbringern ausgebaut und verfeinert (Wiesner, 2001; Schoch, 2000).
Dem Gesetzgeber ging es vor allem darum, durch stärkere Markt- und Wettbewerbs-orientierung eine Dämpfung der Kostenentwicklung zu erzielen, ohne die Qualität der erbrachten Leistungen zu Lasten der Berechtigten zu gefährden. Die traditionelle Bevorzugung der freigemeinnützigen Wohlfahrtsverbände wurde abgeschafft. § 93 BSHG stellt für den Abschluss von Vereinbarungen – bei Gleichheit von Inhalt, Umfang und Qualität der Leistungen – nunmehr allein auf die Höhe der Vergütung ab (Schoch, 2000, S. 7). Dies gilt entsprechend auch für § 78a SGB VIII.
Teuber, Stiemert-Strecker & Seckinger (2000, S. 10) führen in diesem Zusammenhang aus: "Das alte korporatistische Arrangement …, das quasi ein Monopol der Sozialverbände und -vereine für die Erbringung sozialer Leistungen beinhaltete, steht immer mehr in Frage, und es entwickelt sich … eine Konkurrenz zwischen den unterschiedlichen Anbieterformen sozialer Dienste. Gilt es nun die Entscheidung für eines der Angebote zu begründen, wird Qualität zu einem herausragenden Kriterium, vor allem auch deshalb, weil in allen Sozialgesetzen die Verpflichtung zur Leistungserbringung an die reale Bedürftigkeit und nicht an die Finanzierbarkeit gekoppelt ist."
Die wesentlichen Neuregelungen in den Vereinbarungen zur qualitätsorientierten Arbeit in Einrichtungen der Jugend- und Sozialhilfe sind in nachstehenden Gesetzesauszügen expliziert.
§ 93 Abs. 2 BSHG: Einrichtungen
Wird die Leistung in einer Einrichtung erbracht, ist der Träger der Sozialhilfe zur Übernahme der Vergütung für die Leistung nur verpflichtet, wenn mit dem Träger der Einrichtung oder seinem Verband eine Vereinbarung über
1. Inhalt, Umfang und Qualität der Leistungen (Leistungsvereinbarung),
2. die Vergütung, die sich aus Pauschalen und Beträgen für einzelne Leistungsbereiche zusammensetzt (Vergütungsvereinbarung) und
3. die Prüfung der Wirtschaftlichkeit und Qualität der Leistungen (Prüfungsvereinbarung)
besteht.
Die Vereinbarungen müssen den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit, Sparsamkeit und Leistungsfähigkeit entsprechen.
§ 93a Abs. 1 BSHG: Inhalt der Vereinbarungen
Die Vereinbarung über die Leistung muss die wesentlichen Leistungsmerkmale festlegen, mindestens jedoch die betriebsnotwendigen Anlagen der Einrichtung, den von ihr zu betreuenden Personenkreis, Art, Ziel und Qualität der Leistung, Qualifikation des Personals sowie die erforderliche sächliche und personelle Ausstattung. In die Vereinbarung ist die Verpflichtung der Einrichtung aufzunehmen, im Rahmen des vereinbarten Leistungsangebotes Hilfeempfänger aufzunehmen und zu betreuen. Die Leistungen müssen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein und dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten.
§ 78b SGB VIII: Voraussetzungen für die Übernahme des Leistungsentgelts
(1) Wird die Leistung ganz oder teilweise in einer Einrichtung erbracht, so ist der Träger der öffentlichen Jugendhilfe zur Übernahme des Entgelts gegenüber dem Leistungsberechtigten verpflichtet, wenn mit dem Träger der Einrichtung oder seinem Verband Vereinbarungen über
1. Inhalt, Umfang und Qualität der Leistungsangebote (Leistungsvereinbarung),
2. differenzierte Entgelte für die Leistungsangebote und die betriebsnotwendigen Investitionen (Entgeltvereinbarung) und
3. Grundsätze und Maßstäbe für die Bewertung der Qualität der Leistungsangebote sowie über geeignete Maßnahmen zu ihrer Gewährleistung (Qualitätsentwicklungsvereinbarung) abgeschlossen worden sind.
(2) Die Vereinbarungen sind mit den Trägern abzuschließen, die unter Berücksichtigung der Grundätze der Leistungsfähigkeit, Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zur Erbringung der Leistung geeignet sind.
(3) Ist eine der Vereinbarungen nach Absatz 1 nicht abgeschlossen, so ist der Träger der öffentlichen Jugendhilfe zur Übernahme des Leistungsentgelts nur verpflichtet, wenn dies insbesondere nach Maßgabe der Hilfeplanung (§ 36) im Einzelfall geboten ist.
Der Anwendungsbereich für diese bundesrechtlichen Rahmenvorschriften ist im BSHG (§ 93) auf Leistungen in voll- und teilstationären Einrichtungen (incl. ambulanter Dienste, Schoch, 2000, S. 6), im SGB VIII (§ 78a) auf teilstationäre und stationäre Leistungen bezogen.
Dazu zählen: Betreuung/Unterkunft in sozialpädagogisch begleiteten Wohnformen, Leistungen in gemeinsamen Wohnformen für Mütter/Väter und Kinder sowie zur Unterstützung bei notwendiger Unterbringung zur Erfüllung der Schulpflicht, Hilfen zur Erziehung in Tagesgruppen, Heimen/betreuten Wohnformen oder Einzelbetreuung außerhalb der eigenen Familie, Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche in teilstationären und stationären Einrichtungen und Wohnformen, Hilfe für junge Volljährige sowie Leistungen zum Unterhalt, die im Zusammenhang mit den zuvor genannten Leistungen gewährt werden. Den Ländern wird die Möglichkeit eröffnet, weitere Leistungen in den Anwendungsbereich einzubeziehen.
Aus diesem Spektrum rekrutiert sich die erste der weiter unten beschriebenen Untersuchungsgruppen dieser Studie.
Repräsentativität im Hinblick auf die gesamte Angebotspalette der Einrichtungen und Dienste konnte dabei nicht angestrebt werden, wohl aber eine grobe Differenzierung der Aufgabenfelder nach den Schwerpunkten "Hilfe zur Erziehung" und "Hilfe in besonderen Lebenslagen".
Bedingt durch das in Deutschland obwaltende sozialpolitische Gestaltungsprinzip der Subsidiarität, befinden sich die weitaus meisten Anbieter von Leistungen im genannten Anwendungsbereich in Trägerschaft der freien Wohlfahrtspflege. Ihnen als Partner – mitunter auch eher als Gegner, die fürchten, vom jeweils anderen "über den Tisch gezogen" zu werden (Hinte, in KGSt, 1998, S. 9) – stehen in dem gesetzlich geforderten Vereinbarungsverfahren über Leistungen, Qualität und Entgelte die leistungsgewährenden und -finanzierenden öffentlichen Jugend- und Sozialhilfeverwaltungen gegenüber, in der Regel also die kommunalen Jugendämter sowie die örtlichen und überörtlichen Träger der Sozialhilfe (Landes-, Sozialämter).
Vor dem erst 2001 kodifizierten Rehabilitationsrecht (SGB IX: Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen) war SGB VIII (Kinder- und Jugendhilfegesetz) das bis dahin letzte der Sozialgesetze, in die das Qualitätsthema explizit aufgenommen wurde. Angesichts der spezifischen Schwierigkeit dieses Arbeitsfeldes, seine Prozesse im technisch-qualitätssichernden Sinne zu planen und zu steuern, wurde im Unterschied zur Sozialhilfe der Akzent weniger auf das administrativ-kontrollierende Motiv der Qualitäts prüfung gelegt, sondern der Impuls fachlicher Qualitäts entwicklung betont (Merchel, 2001, S. 23). Dem KJHG werden deshalb im Vergleich zum BSHG, aber auch zum SGB III (Arbeitsförderung), SGB V (Krankenversicherung) und SGB XI (Pflegeversicherung) die größten Potenziale für eine fachpolitisch offensive Verarbeitung des Qualitätsthemas attestiert (a.a.O., S. 24).
Während in weiten Teilen der Sozialhilfe der finanzielle und Sachleistungsaspekt gegenüber der persönlichen Hilfestellung dominiert – etwa in Form der regulären oder erweiterten Hilfe zum Lebensunterhalt – und die Leistungsgewährung der Logik des Verwaltungs-Verfahrensrechts (SGB X) unterliegt, befindet sich die Kinder- und Jugendhilfe aufgrund ihres sozialpädagogischen Auftrags, wie er in den Leitparagraphen des KJHG zum Ausdruck kommt, in einer besonderen Situation. Speziell im Bereich der Hilfen zur Erziehung ist deshalb fachlich umstritten, ob die Regeln des Verwaltungs-verfahrensrechts, das eine behördliche Entscheidung aus der Anwendung einer Rechtsnorm auf einen konkreten Sachverhalt ableitet, der Eigenart pädagogischer Entscheidungen überhaupt gerecht werden (Wiesner, 2001, S. 341f).
In der Fachdiskussion wird, ausgehend von einem Hilfeverständnis als personenbezogener sozialer Dienstleistung, wegen deren Prozesshaftigkeit, Vorläufigkeit und Interaktions-intensität ein kooperatives Verfahren gefordert, das auf einer vertrauensvollen Beziehung zwischen der zuständigen Fachkraft und den Leistungsadressaten basiert (a.a.O., S. 342). In diesem Verfahren kommt dem Hilfeplan nach § 36 SGB VIII eine entscheidende Rolle als Instrument der Prozesssteuerung zu.
Namentlich für den Jugendhilfebereich – grundsätzlich aber auch für die Sozialhilfe – lässt sich deshalb konstatieren, dass der Gesetzgeber mit dem verwendeten Begriff der Vereinbarung auf ein Verfahren abzielt, das dem diskursiven Charakter des Qualitäts-konzepts in sozialen Handlungsfeldern, also seiner Relativität und Aushandlungs-bedürftigkeit, angemessen ist. In diesem Diskurs nehmen die leistungs erbringenden Einrichtungen einerseits und die (unter anderem) leistungs gewährenden Verwaltungen andererseits die Rollen von Kooperationspartnern ein.
Wie Münder im Frankfurter Kommentar zum KJHG betont, beinhaltet "...der Rechtsbegriff der Vereinbarung ... das Zustandekommen eines Vertrages durch zwei übereinstimmende Willenserklärungen über die wesentlichen Vertragsgegenstände. ... Wesentliche Voraussetzung für das Vorliegen einer Vereinbarung ist somit die Tatsache, dass keine der Parteien der Vereinbarung letztlich einseitig den Vertragsinhalt festlegt ..., sondern es zu zweiseitigen, ausgehandelten Ergebnissen kommt"(Münder, 2002).
Auf eine Erörterung des rechtlich komplexen Dreiecksverhältnisses zwischen Leistungsberechtigtem, Sozialhilfeträger und leistungserbringender Einrichtung – das in der Sozialhilfe auch zu einem Vier- oder gar Fünfecksverhältnis werden kann, wenn Renten- und Pflegeversicherungsansprüche auf den Sozialhilfeträger übergehen –, sei hier verzichtet (vgl. Schoch, 2000).
Legt man diese idealtypische Auffassung zugrunde, handelt es sich bei der Beziehung zwischen den öffentlichen Kostenträgern und leistungserbringenden Einrichtungen nicht um ein einseitiges Auftraggeber-Auftragnehmer-Verhältnis, in dem zunächst nur den Leistungsanbietern und ihren Verbänden die Aufgabe einer vereinbarungsgemäßen Qualitätsentwicklung obliegt (Wabnitz, 1999, S. 24). Vielmehr richten sich Erwartungen hinsichtlich eines zeitgemäßen Qualitätsmanagements auch an die öffentlichen Träger selbst.
Diese angestrebte, real allerdings in sehr unterschiedlichem Maße praktizierte "Qualitäts-Partnerschaft" (positive Beispiele sind beschrieben bei Link, Schöpflin & Gruhler, 1999, sowie bei Koch, 2003) von Jugend- und Sozialhilfeverwaltungen einerseits und Leistungsanbietern in Einrichtungen und Diensten andererseits galt es, in der Untersuchung angemessen zu berücksichtigen.
Die zweite der weiter unten beschriebenen Zielgruppen rekrutiert sich deshalb aus dem Bereich der Jugend- und Sozialämter. Dabei stand die Frage im Vordergrund, ob sich die unterstellte Absicht des Gesetzgebers, beide Vereinbarungsparteien in Sachen Qualitäts-entwicklung in die Pflicht zu nehmen, in entsprechenden Aktivitäten auf beiden Seiten der Praxis niederschlagen.
Im Online-Katalog der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek (SUB) Göttingen sind in den Studienbereichen der Sozialwissenschaftlichen Fakultät (Soziologie, Politikwissenschaft, Medien- und Kommunikationswissenschaft, Ethnologie, Pädagogik und Sportwissenschaft) nur vereinzelte Einträge zum Stichwort "Qualitätsmanagement" zu finden.
Dass dies den tatsächlichen Publikationsstand nur sehr unzulänglich widerspiegelt und offenbar mehr über den Zustand der Bibliotheksbudgets aussagt als über die fachpubli-zistischen Aktivitäten der jeweiligen Forschungs- und Praxisbereiche, belegt eine Studie des Autors, die auch Grundlage der Ausführungen in Kap. A 2. gewesen ist.
Im Rahmen eines zweijährigen Forschungsprojektes zur Qualitätsentwicklung in Einrichtungen und Diensten der Erziehungshilfe (Gerull, 1998a) sichtete der Autor systematisch den gesamten Bibliotheksbestand des Evangelischen Erziehungsverbandes (EREV) mit über 50 Zeitschriften aus dem Sozialbereich sowie die Jahresregister bundesdeutscher Verlage mit dem Programmschwerpunkt Sozial- und Bildungswesen (vgl. Gerull, 2000, S. 8f). Die Recherche stützte sich auf Buch- und Zeitschriftenpublikationen, Verbandsperiodika, amtliche Mitteilungen und "graue Literatur" mit explizitem Bezug auf Qualität, Qualitätsmanagement, Qualitätsentwicklung o. Ä. im Haupt- oder Untertitel.
Wenngleich die Kinder- und Jugendhilfe den thematischen Fokus bildete, wurde wegen der zumeist arbeitsfeldübergreifenden und/oder interdisziplinären Konzeption zahlreicher Fachzeitschriften (z. B. SocialManagement, Theorie und Praxis der Sozialen Arbeit, Unsere Jugend, Zeitschrift für Jugendkriminalrecht und Jugendhilfe, Blätter der Wohlfahrtspflege, Neue Praxis, Kindheit und Entwicklung, Sozialmagazin, Sozialwirtschaft aktuell, Nachrichten des Deutschen Vereins) ein breiter Überblick zur Aktualität des Qualitätsthemas in sozialen Handlungsfeldern gewonnen.
Die Recherche wird seither fortgeschrieben und umfasst aktuell die auf der beschriebenen Grundlage ermittelten Publikationen bis Anfang 2004 (s. Abb. 1, Kap. A 1.), vereinzelt bis Mitte 2004.
Wie aus Abbildung 1 ersichtlich, nahm die Zahl der in Printmedien veröffentlichten Beiträge zum Qualitätsthema in der Sozialen Arbeit und ihren Grenzbereichen (z. B. Behinderten- und Altenhilfe, Heilpädagogik, psychosoziale Beratung, Sozialpsychiatrie) seit Anfang der Neunzigerjahre stetig zu, kulminierte in 1998 und stieg nach mehrjährigem Rückgang in 2003 wieder an.
Möglicherweise zeichnet sich damit eine neuerliche Intensivierung des Qualitätsdiskurses ab, wobei sich die – hier nicht untersuchte – Frage nach inhaltlich veränderten Schwerpunkten stellt. Eindrucksmäßig scheinen nicht mehr die rechtlich-administrativen Aspekte (etwa zur Umsetzung der §§ 78a ff. SGB VIII) oder Fragen zur Wahl branchenübergreifender Qualitätsmanagementkonzepte (z. B. ISO 9000 ff., EFQM) im Mittelpunkt zu stehen, sondern praxisnähere Themen wie z. B. Kunden- und Mitarbeiterbefragungen, Beschwerde-management oder Partizipationsverfahren. Möglicherweise ist der ermittelte Anstieg in 2003 jedoch nur ein Artefakt aufgrund unwissentlich veränderter Auswahlstrategie des Autors und/oder eines erweiterten Bestandes der verwendeten Verbandsbibliothek.
Eine Web-Recherche im Social Sciences Citation Index (27.08.04) ergab zum Suchbegriff "quality management" 4.723 Treffer, darunter eine Vielzahl irrelevanter "exotischer" Beiträge, die im Kontext dieser Datenbank ungewöhnlich erscheinen (z. B. "QM in der türkischen Zementindustrie"). Die differenzierte Suche erzielte folgendes Ergebnis:
- total quality management: 1.632 Treffer, nicht systematisch ausgewertet;
- service quality: 1.578 Treffer, nicht systematisch ausgewertet;
- quality movement: 49 Treffer, davon 8 substantiell (zum Bewertungsmaßstab s. Kap. 4.2.1.2);
- management representative: 2 Treffer, nicht substantiell (s. Kap. 4.2.1.2.);
- social service management: 1 Treffer, nicht substantiell;
- social + quality management: 0 Treffer;
- quality management representative: 0 Treffer;
- social service quality: 0 Treffer;
- total quality management + social services: 0 Treffer.
Zu den im Rahmen dieser Studie untersuchten Fragestellungen lieferte die SUB- und Web-Recherche somit ein enttäuschendes Resultat. Ungeachtet der Möglichkeit einer effekti-veren Suche unter anderen Begriffen und/oder in weiteren Datenbanken, basieren die Aus-führungen im literaturanalytischen Teil der Arbeit überwiegend auf kontinuierlichen Ei-genrecherchen des Autors in Fachzeitschriften und Verlagskatalogen seit 1998.
Die Recherche erfolgte Ende 2003/Anfang 2004 (Datum jeweils in Klammern angegeben) in den unten aufgeführten Datenbanken. Angegeben sind die Ergebnisse zu qualitätsbezogenen Suchthemen, die ggf. spezifiziert wurden, wenn die Zahl der Verweise zu groß war (Abbruchkriterium: mehr als 600 Treffer). In die anschließende Literaturauswertung einbezogen wurden alle Beiträge, deren Quellenbeschreibungen und/oder Abstracts substantielle Hinweise auf das zu untersuchende Thema lieferten und die im Rahmen der Fernleihe zugänglich waren.
Als "substantielle" Treffer zählen im Folgenden nur solche, die einen Titelbezug zu sozialen Dienstleistungen aufweisen oder – ungeachtet des genannten oder mutmaßlichen Anwendungsbereichs – eine inhaltliche (theoretische oder empirische) Auseinandersetzung mit dem Suchbegriff ankündigen, die für das Thema "interessant" sein könnte (z. B. "The Influence of Organizational Structure on the Effectiveness of TQM Programs").[5]
Als "nicht substantielle" Treffer sind solche bewertet, in denen der Suchbegriff lediglich aufzählend (z. B. in Inhaltsverzeichnissen), Personen (z. B. AutorInnen) oder Veranstaltungen (z. B. Ausbildungskurse) bezeichnend vorkommt, eindeutig auf nichtsoziale Handlungsfelder zugeschnitten ist oder sehr spezifisch ohne übergreifende thematische Bedeutung zu sein scheint (z. B. "Relevanz rechtlicher Regelungen für die Qualitätssicherung der Weiterbildung auf Ebene der Länder in der Bundesrepublik Deutschland").
1. PSYNDEXplus (psychologische Literatur aus den deutschsprachigen Ländern ab 1977, 01.12.2003):
Suchthemen Qualitätsmanagement -- Treffer: 0, Qualitaetsmanagement/quality management -- Treffer: 377 (überwiegend aus dem Gesundheitsbereich, selektiv einbezogen ab 1998, ansonsten 22 substantielle Treffer), Qualitaetsbeauftragte/Qualitätsbeauftragte -- Treffer: 2 (substantiell), Total Quality Management -- Treffer: 93 (überwiegend identisch mit Qualitaetsmanagement, 05.01.2004)
2. PsycInfo (internationale psychologische Literatur ab 1967, 08.12.2003):
Suchthemen quality management -- Treffer: 601 (weit überwiegend aus medizinischem Bereich und Schule, nur 12 substantielle Treffer ab 1995), quality management representative -- Treffer: 0, management representative -- Treffer: 24 (1 substantieller Treffer), Total Quality Management -- Treffer: 396 (überwiegend identisch mit quality management, 05.01.2004)
3. Metasuchmaschine der virtuellen Fachbibliothek Psychologie der Saarländischen Universitäts- und Landesbibliothek (01.12.2003):
Suchthemen Qualitaetsmanagement+Organisationspsychologie -- Treffer: 0, Qualitaetsmanagement -- Treffer: 23 (nicht substantiell), quality management -- Treffer: 92 (weit überwiegend nicht substantiell, vereinzelte substantielle Treffer nicht verfügbar)
4. Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek (SUB-Katalog ab 1994, 09.12.2003):
Suchthemen Qualitaetsmanagement/quality management -- Treffer: 572 (überwiegend aus Ingenieur- und Wirtschaftswissenschaft sowie Medizin, substantielle Treffer: 42), Qualitaetsbeauftragte -- Treffer: 1 (substantiell)
5. Gemeinsamer Verbundkatalog der SUB (GVKplus, 08.12.2003): Suchthema Qualitaetsmanagement/quality management -- Treffer: 717 (überwiegend aus Ingenieur- und Wirtschaftswissenschaft sowie Medizin, substantielle Treffer: 48)
6. altavista.com (internationale Suchmaschine, Suche weltweit englisch/deutsch, 02.12.2003):
Suchthemen Qualitaetsmanagement+Psychologie -- Treffer: 0, Qualitätsmanagement+Psychologie -- Treffer: 2 (nicht substantiell), Qualitätsmanagement+Organisationspsychologie -- Treffer: 0, Qualitätsbeauftragte -- Treffer: 2.602, Qualitätsbeauftragte+soziale Einrichtung -- Treffer: 200 (Fortbildungsangebote, zuständige Personen, Foren für Erfahrungsaustausch u. Ä., nicht substantiell), quality management representative -- Treffer: 347 (Fortbildungsangebote, zuständige Personen u. Ä., nicht substantiell), quality management representative+social services -- Treffer: 4 (nicht substantiell), quality management representative+psychology -- Treffer: 11 (nicht substantiell)
7. Google (internationale Suchmaschine, Suche weltweit englisch/deutsch, 02.12.2003):
Suchthemen Qualitätsbeauftragte -- Treffer: 3540, Qualitaetsbeauftragte -- Treffer: 3530, Qualitaetsbeauftragte+soziale Einrichtung -- Treffer: 315 (weitgehend identisch mit altavista-Recherche), quality management representative -- Treffer: 554 (weitgehend identisch mit altavista-Recherche, weit überwiegend aus dem kommerziellen und medizinischen Bereich), quality management representative+social service -- Treffer: 1 (nicht substantiell), quality management representative+psychology -- Treffer: 12 (nicht substantiell), quality management+psychology -- Treffer: 17 (nicht substantiell)
Die Rechercheergebnisse stützen den aufgrund von Lehrbuchanalysen gewonnenen Eindruck der Randständigkeit des Qualitätsthemas in der psychologisch relevanten Literatur. Zahlreiche Treffer zur thematischen Verknüpfung der Begriffe Qualität und Psychologie enthalten lediglich Hinweise auf die Qualität von Websites mit psychologischen Inhalten. Zum Vergleich: Unter dem relativ komplexen Deskriptor "Qualitätsmanagement in der sozialen Arbeit" lieferte die Suche bei Google bereits 815 deutschsprachige "hits" (23.09.2004) und die von Gerull (2004) erstellte Bibliographie zum gleichen Thema – Schwerpunkt "Kinder- und Jugendhilfe und Grenzbereiche" – umfasst über 1.000 Titel aus dem Zeitraum 1990 bis 2003 (s. Abb. 1).
Im zwölfseitigen Online-Katalog der SUB Göttingen findet sich das Stichwort "Qualitätsmanagement" unter 519 Gliederungspunkten zur systematischen Recherche im betriebswirtschaftlichen Literaturbestand explizit kein einziges Mal (!).
Implizit sind lediglich Teilfunktionen bzw. Schnittmengen unter Begriffen wie (in dieser Reihenfolge) "Philosophie und Ethik", "Verhalten/Management", "Controlling", "Unternehmensführung", "Strategische Planung", "Indikatoren", "Führungsleitbilder", "Lean Management", "Kontinuierlicher Verbesserungsprozess", "Corporate Identity", Innovationsmanagement", "Klima/Kultur", "Business Process Reengineering", "Organisationstheorie", "Humanisierung der Arbeitswelt", "Personalmanagement", "Vorschlagswesen", "Wege der Information/Kommunikation/Dokumentation" und "Marketing" subsumiert.
Dies belegt eindrucksvoll, dass auch die mutmaßlich "natürlichste" Bezugswissenschaft – die Betriebswirtschaftslehre (s. Kap. B1.1 und 2.) – bislang noch keine Integration des Qualitätsmanagements als Teilfunktion der Unternehmensführung vollzogen hat. Vielmehr entwickelte sich das praktische und theoretische Rüstzeug quasi parallel zur akademischen Wirtschaftswissenschaft in der betrieblichen Praxis und unter Federführung namhafter "Gurus" der amerikanischen und japanischen Industrie (vgl. Seghezzi, 1996).
Die Recherche beschränkte sich auf Bestände der SUB Göttingen sowie mögliche Fernleihen im Rahmen des Gemeinsamen Verbundkatalogs (GVKplus). Unter den 717 Treffern zum Thema "Qualitätsmanagement/quality management" (08.12.03) ist eine Vielzahl dem betriebswirtschaftlichen Bereich zuzuordnen. Auf einen Teil dieser Beiträge wurde im Rahmen der Studie zurückgegriffen.
Wie ein Blick in das Quellenverzeichnis (Kap. F) zeigt, dominieren deutschsprachige Buch- und Zeitschriftenbeiträge aus den letzten zehn Jahren, darunter überproportional viele aus dem Bereich der Sozialen Arbeit. Genuin psychologische Beiträge zum Qualitätsmanagement sind – wie in Kap. A 2. ausgeführt – zwangsläufig recht spärlich vertreten (mangels Masse).
Die angloamerikanische Fachliteratur zum Qualitätsmanagement bzw. zum Organisationsverhalten und Dienstleistungsmarketing wurde zwar zahlreich (rund 70 Beiträge), aber nicht umfassend systematisch ausgewertet. Die durchgeführte Recherche in der englischsprachigen psychologischen und sozialwissenschaftlichen Fachliteratur ergab bekanntlich ein ähnlich spärliches Ergebnis wie die Suche im deutschen Sprachraum; die relativ geringe Anzahl inhaltlich substantieller Fundstellen, soweit zugänglich, wurde denn auch komplett berücksichtigt. Querverweise auf nichtpsychologische Quellen wurden jedoch nur punktuell einbezogen.
Ähnlich der bundesdeutschen Situation finden sich maßgebliche Veröffentlichungen überwiegend nicht in psychologischen Lehrbüchern und Periodika, sondern in Zeitschriften aus dem wirtschafts- und verwaltungswissenschaftlichen Bereich, z. B. "Journal of Accounting and Economics", "Administrative Science Quarterly", "Human Resource Management", "Academy of Management Executive" und "Harvard Business Review"; sie wurden zumeist nur aus Sekundärquellen erschlossen.
Nicht die Sprachgrenze als solche, auch nicht die erschwerte Zugänglichkeit dieser Quellen, sondern die begründete Vermutung, dass eine erhebliche Erweiterung des Literaturpools um englischsprachige Beiträge keine inhaltlich bedeutsame Verbesserung darstellen würde, ist neben der ohnehin enormen Menge verarbeiteten Materials Grund für diese Beschränkung:
- Die intensive Befassung deutscher Dienstleistungsexperten mit der zumeist amerikanischen Marketingliteratur gewährleistet, dass deren Substanz hinreichend präsent ist in der hiesigen Diskussion (z. B. Bruhn, 2003).
"Gerade im Dienstleistungsbereich wird dies [die Orientierungsfunktion amerikanischer Marketing-Wissenschaft für deutsche Forscher, P. G.] besonders deutlich: Alle wichtigen Artikel im Zentralorgan des deutschen Marketing, der Zeitschrift 'Marketing', die in den 80er und zu Beginn der 90er Jahre zu diesem Thema erschienen sind, beschäftigen sich in erster Linie mit der Aufarbeitung der amerikanischen Entwicklungen"(Nerdinger, 1994, S. 266).
- Die starke Ausrichtung der US-amerikanischen "Industrial and Organizational Psychology" auf marktpsychologische Aspekte in gewinnorientierten Unternehmen ließ soziale Dienstleistungen relativ unterbelichtet; allerdings waren diese auch in Deutschland lange Zeit ein absolutes Stiefkind der Psychologie (vgl. Nerdinger, 1994, S. 7 ff.).
- Die zum Teil unkritische Rezeption angelsächsischer Ansätze in der Frühzeit der bundesdeutschen Qualitätsdebatte – zunächst im Pflegebereich (vgl. Ewers & Schaeffer, 1998), danach auch in anderen sozialen Arbeitsfeldern (z. B. die breite Übernahme des Qualitätsmodells von Donabedian, 1966) – verweist auf die Problematik naiver Wissensimporte, namentlich auf
- die Kulturspezifität von Einstellungen und Verhaltensmustern und die eingeschränkte Generalisierbarkeit von Modellen und Theorien, die im angloamerikanischen Kulturraum entwickelt wurden (z. B. kommunikative Darstellungsregeln im Rahmen des Impression Managements, vgl. Nerdinger, 1994, S. 124 ff.). Die praktische Verwertbarkeit von Qualitätskonzepten aus anderen Unternehmenskulturen stößt an Grenzen (z. B. "kaizen", s. Kap. C 1.4.3).
- Schließlich spielt auch eine Rolle, dass sich die amerikanische Fachliteratur vorwiegend auf das relativ diffuse TQM-Konzept (s. Kap. C 1.4.2) und seine Konkretisierung im Baldrige Award konzentriert. Auf die in Europa dominierenden Systeme ISO 9000 ff. (s. Kap. C 1.4.1) und EFQM (s. Kap. C 1.4.4) wird so gut wie kein Bezug genommen.
Hinsichtlich der Umsetzung der ISO 9000 ff. nehmen die Europäer, allen voran Briten, Deutsche und Italiener, eine Spitzenstellung weit vor Nordamerika ein (Ende 2000 ca. 54% zertifizierte Unternehmen gegenüber ca. 12%, Seghezzi, 2003, S. 287).
Die als Teil dieser Dissertation durchzuführende schriftliche Befragung von sozialen Einrichtungen und Diensten[6] konnte nicht am Reißbrett geplant werden, sondern war in mehrfacher Hinsicht thematisch und methodisch durch die Rahmenbedingungen festgelegt. Zum einen sollte in Fortsetzung und Ergänzung früherer Untersuchungen des Autors zur Qualitätsdebatte in der Sozialen Arbeit, denen der Status von Vorstudien eignet (s. Kap. A 5.3.7), aktuelles empirisches Material zu inhaltlich vergleichbaren Fragestellungen erhoben werden. Damit war der fachliche Schwerpunkt von vornherein in der Jugend- und Sozialhilfe angesiedelt. Zum anderen mussten sich Zielgruppe(n) und Verfahren für die Stichprobenentnahme nach der Kooperation kontaktierter Verbände und deren Bereitschaft richten, Adressverzeichnisse zugänglich zu machen oder Fragebögen an ausgewählte EmpfängerInnen weiterzuleiten. Die damit verbundenen Schwierigkeiten seien hier nur am Rande erwähnt.
Weder der Verband privater Träger der Kinder-, Jugend- und Sozialhilfe (VPK – Bundesverband e. V.) noch der Evangelische Erziehungsverband (EREV) als namhafte Vertreter privatgewerblicher und freigemeinnütziger Träger waren auf Anfrage bereit, die Studie offiziell zu fördern. Sie leisteten jedoch punktuelle Unterstützung in Form von Auskünften und/oder Weiterleitung von Fragebögen (EREV). Voranfragen bei den Spitzenverbänden der öffentlichen Träger ließen eine erhoffte Förderung als unrealistisch erscheinen; dies führte wiederum dazu, dass viele öffentliche Dienste eine Teilnahme an der Befragung mit der Begründung fehlender verbandsoffizieller Befürwortung ablehnten. Insbesondere zu Ämtern und Einrichtungen der Sozialhilfe war dadurch der Zugang erheblich erschwert. Maßgebliche Unterstützung leistete schließlich der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge, der ein umfangreiches Adressverzeichnis zur Verfügung stellte. Auch dadurch ließ sich insgesamt ein zahlenmäßiges Übergewicht der Jugendhilfe nicht verhindern.
Im Zentrum der empirischen Untersuchungen stehen Fragen zur Umsetzung, Akzeptanz und Nutzenbewertung von Qualitätsmanagementsystemen und spezifischen Instrumenten. Diesbezüglich sind auf der Basis von Literaturanalyse und Vorstudien bestimmte Vorannahmen zu formulieren, die es statistisch zu prüfen gilt. Die in solchen Hypothesen geäußerten Vermutungen über Wirkungen und Effekte für "unabhängig" gehaltener Variablen (Faktoren) auf "abhängige" sind im vorliegenden Zusammenhang allerdings rein korrelativer Natur (s. Kap. A 5.3.2). Sie können nicht als kausale Beziehung zwischen verursachenden Faktoren und eintretenden Wirkungen interpretiert werden, sondern lediglich als "gemeinsam in Erscheinung tretend".
Zusammenhänge zwischen Trägerschaft und Qualitätsmanagement:
1. Freie Träger verfügen über ein signifikant elaborierteres Qualitätsmanagement als öffentliche Träger; Stand der Umsetzung und/oder Vielfalt des Instrumenteneinsatzes sind weiter entwickelt.
Begründung:
Freie Träger stehen als betriebliche7 Leistungserbringer unter stärkerem Markt- und Qualitätsdruck als die relativ wettbewerbs- und wagnisgeschützten öffentlichen Leistungsgewährer/Kostenträger. Für die Jugendhilfe wird aus Reihen der Einrichtungen vielfach konstatiert, dass entgegen der impliziten Absicht des Gesetzgebers, über die §§ 78 a-g SGB VIII eine qualifizierte Kooperation öffentlicher und freier Träger im Rahmen der Leistungs-, Entgelt- und Qualitätsentwicklungs-vereinbarungen zu erreichen, auf Seiten der Jugendämter relative Zurückhaltung dem Thema gegenüber vorherrscht und Qualitätsmanagement vielfach noch als einseitige Bringschuld der freien Leistungsanbieter verstanden wird. Für die Sozialhilfe werden analoge Beobachtungen berichtet (Wetzler, 2003).
2. Nullhypothese:
Freie und öffentliche Träger unterscheiden sich in der Umsetzung systematischen Qualitätsmanagements und/oder in der Vielfalt des Instrumenteneinsatzes nicht signifikant.
Zusammenhänge zwischen Arbeitsfeld und Qualitätsmanagement:
Wegen der Dominanz freier Träger als Leistungserbringer und der unumkehrbaren Rolle der öffentlichen Träger als Leistungsgewährer, Kostenträger und Gesamtverantwortliche im Hilfeprozess ist der Faktor Arbeitsfeld stark mit dem Faktor Trägerschaft konfundiert. Jugend- und Sozialämter sind dementsprechend immer in öffentlicher, Erziehungshilfe-einrichtungen überwiegend in freier Trägerschaft. Die diesbezügliche Hypothese lautet demnach analog:
1. Betriebliche Einrichtungen der Kinder-, Jugend- und Sozialhilfe weisen ein signifikant elaborierteres Qualitätsmanagement auf als Einrichtungen und Dienste der Jugend- und Sozialhilfeverwaltung.
Die Begründung deckt sich mit der zum Faktor Trägerschaft formulierten.
2. Innerhalb der Gruppe öffentlicher Verwaltungen weisen Jugendämter eine signifikant stärkere Aktivität in Sachen QM auf als Sozialämter.
Begründung:
Der Bereich der Jugendhilfe wurde im Zusammenhang mit der Einführung Neuer Steuerungsmodelle früh exemplarisch diskutiert (KGSt, 1994) und vielfach zum Experimentierfeld kooperativer Qualitätsentwicklungsprojekte gemacht (z. B. Link et al., 1999; Koch, 2003; Schröer, Schwarzmann, Stark & Straus, 2000). Dies sollte sich in einer relativ zu anderen öffentlichen Verwaltungen fortgeschrittenen Umsetzung von Qualitätsmanagement ausdrücken.
3. Nullhypothesen:
(a) Zwischen den in der Studie eindeutig unterscheidbaren Arbeitsfeldern der Jugend- und Sozialhilfeverwaltung einerseits und den leistungserbringenden Einrichtungen andererseits gibt es keine signifikanten Differenzen in Bezug auf Umsetzungsstand und Ausgestaltung des Qualitätsmanagements.
(b) Innerhalb der Gruppe der Jugend- und Sozialhilfeverwaltungen gibt es diesbezüglich keine Unterschiede.
Zusammenhänge zwischen Einrichtungsgröße und Qualitätsmanagement:
1. Einrichtungen und Dienste der Kinder-, Jugend- und Sozialhilfe weisen ein umso elaborierteres Qualitätsmanagement auf, je größer sie sind.
Begründung:
Qualitätsmanagement im Sinne der in dieser Studie erfragten systematisierten Weise ist eine organisationale Antwort auf die Frage nach der optimalen Koordination arbeits-teiliger Prozesse. Die Notwendigkeit, die Qualität dieser Prozesse zu managen, steigt mit zunehmender Organisationskomplexität, hier operationalisiert als wachsende Zahl beteiligter MitarbeiterInnen.
2. Nullhypothese:
Die in beschriebener Weise operationalisierte Größe der Einrichtungen und Dienste hat keinen signifikanten Einfluss auf Umsetzungsstand und Ausgestaltung des Qualitätsmanagements.
Die Frage, ob die Umsetzung von Qualitätsmanagement und die Vielfalt in der Praxis angewandter Instrumente mit einem oder mehreren der untersuchten Faktoren (UV) korreliert, ist theoretisch unabhängig von der Frage zu stellen, ob eine unterschiedliche Präferenz für die Anwendung eines bestimmten Instruments, nämlich das des/der Qualitätsbeauftragten (QB), anzutreffen ist. Praktisch gibt es jedoch ein Abhängigkeits-verhältnis zwischen der Wahl eines bestimmten QM-Systems und der Institutionalisierung von QB: nur in der ISO 9000 ff. wird dieses Instrument obligatorisch gefordert. Seine Zweck- oder Unzweckmäßigkeit ist damit zwar nicht determiniert, wohl aber die flächendeckende Anwendung in Einrichtungen, die ein zertifizierungsfähiges Qualitätsmanagement nach ISO implementieren.
Sollte sich eine signifikante Bevorzugung der ISO in bestimmten Trägergruppen oder Arbeitsfeldern ergeben – was hypothetisch anzunehmen kein Anlass bestand –, wäre der Nachweis einer dort größeren Anwendungsfrequenz des Instruments QB trivial. Aus diesem Grunde wird auf die Formulierung eines hypothetischen Träger- oder Arbeitsfeldeffektes verzichtet. Als relevante Hypothese verbleibt ein vermuteter Zusammenhang mit dem Faktor Einrichtungsgröße.
Zusammenhänge zwischen Einrichtungsgröße und Einsatz von Qualitätsbeauftragten:
1. Das Instrument QB wird in sehr großen (Mitarbeiterzahl > 150) und großen Einrichtungen (Mitarbeiterzahl > 75) signifikant häufiger verwendet als in mittelgroßen (Mitarbeiterzahl > 30) und in diesen häufiger als in kleinen und kleinsten (Mitarbeiterzahl < 31) Einrichtungen. M. a. W., die Anwendungshäufigkeit steigt mit der Mitarbeiterzahl (linear?) an.
Begründung:
Ergänzend zur ansonsten gleichen Begründung wie weiter oben ist anzunehmen, dass sich mit zunehmender Einrichtungsgröße die Zweckmäßigkeit einer Delegation und Zentralisierung von Qualitätskompetenzen erhöht, zugleich das Erfordernis, dezentrale Prozesse zu steuern, zu moderieren oder flankierend zu unterstützen. Hierfür ist das Instrument des/der QB genuin vorgesehen.
2. Nullhypothese:
In der Anwendung des Instruments QB gibt es in der Stichprobe keinen signifikanten Unterschied zwischen Einrichtungen verschiedener Größe.
Hypothesen zu Konfliktpotenzialen und zur Zweckmäßigkeit von Qualitätsbeauftragten:
Neben möglichen Einflüssen der Faktoren sind eine Reihe weiterer Fragen von Interesse, die sich auf die potenziell unterschiedliche Beurteilung des Instruments QB durch StelleninhaberInnen und leitende Nicht-StelleninhaberInnen beziehen. Im Falle ausreichenden Doppel-Rücklaufs aus Einrichtungen mit QB (Versionen 1 und 2 des Fragebogens, s. Kap. A 5.3.3) gilt es, folgende Annahmen zu überprüfen:
1. Das Konfliktpotenzial der Funktionsstelle QB bzw. wahrgenommene Hindernisse in der Rollenausübung werden von QB selbst stärker eingeschätzt als von Leitungskräften aus Einrichtungen mit QB.
Begründung:
Die QB-Stelle wird – so jedenfalls der Vorkenntnisstand zum Zeitpunkt der Untersuchungsplanung – in der Regel freiwillig angestrebt und nach eigener Bewerbung durch Leitungsentscheidung besetzt. Namentlich im Falle auftretender Widrigkeiten in der Praxis dürfte die Attribuierung rollen- und/oder umfeldbedingter Gründe psychologisch funktional sein, um das Selbstkonzept von QB zu schützen. Zur Reduzierung kognitiver Dissonanzen dürften Probleme weniger der eigenen Person zugerechnet, sondern externalisiert werden. Leitungskräfte – in der Regel für die Stellenbildung und -besetzung, zugleich aber oft auch für das Konfliktpotenzial mitverantwortlich – reduzieren ihrerseits kognitive Dissonanzen, indem sie auftretende Widrigkeiten, welche die Zweckmäßigkeit ihrer eigenen Entscheidung in Frage stellen können, in ihrer Bedeutung minimieren.
Nullhypothese: kein Unterschied.
2. Leitungskräfte beurteilen die Zweckmäßigkeit der Funktionsstelle QB signifikant positiver als Qualitätsbeauftragte selbst.
Die Begründung folgt der zuvor formulierten Argumentation:
Wenn QB in stärkerem Maße die Konflikthaftigkeit ihrer Rolle wahrnehmen, sollte dies mit häufigeren Zweifeln einhergehen, was die Zweckmäßigkeit der Stelle anbelangt – jedenfalls unter den gegebenen Bedingungen, zu denen auch Leitungsverhalten gehört. Für Leitungskräfte bedeuten solche Zweifel unter Umständen das Eingeständnis eigener Fehleinschätzung und/oder Konfliktbeteiligung, sofern sie – was hier unterstellt wird – selbst für die Ressourcenzuweisung und Stellenkonstruktion verantwortlich waren/sind. Auftretende Probleme dürften primär der Person des/der QB und weniger der Funktionsstelle selbst zugerechnet werden.
Nullhypothese: kein Unterschied.
Aus Gründen forschungspraktischer Handhabbarkeit wurde unter Ausschluss von Leistungsanbietern in öffentlicher Trägerschaft die erste Untersuchungsgruppe auf teilstationäre und stationäre Einrichtungen der Kinder-, Jugend- und Sozialhilfe in freier Trägerschaft begrenzt.
Dieser Ausschluss erfolgte, um die unvermeidliche Konfundierung der Variablen "öffentliche Trägerschaft" und "Arbeitsfeld" (s. o.) wenigstens in Bezug auf die leistungserbringenden Einrichtungen zu vermeiden. Bei den abzuschließenden Vereinbarungen über Leistungen, Entgelte und Qualität sitzt der öffentliche Träger solcher Einrichtungen nämlich quasi mit sich selbst am Verhandlungstisch.
Auf Seiten der Jugendhilfe wurden somit Organisationen freigemeinnütziger und privatgewerblicher Träger einbezogen, die auf der Grundlage des Kinder- und Jugendhilfegesetzes (SGB VIII) Hilfen zur Erziehung insbesondere nach Maßgabe der §§ 28-35, Eingliederungshilfe für behinderte Kinder und Jugendliche nach § 35a sowie Hilfe für junge Volljährige nach § 41 erbringen.
Im Einzelnen: Erziehungsberatung (§ 28), Soziale Gruppenarbeit (§ 29), Erziehungsbeistand, Betreuungshelfer (§ 30), Sozialpädagogische Familienhilfe (§ 31), Erziehung in einer Tagesgruppe (§ 32), Vollzeitpflege (§ 33), Heimerziehung, sonstige betreute Wohnform (§ 34), Intensive Sozialpädagogische Einzelbetreuung (§ 35), Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche (§ 35a). Letztere wurde mit der ersten Novellierung des SGB VIII 1993 in das Kinder- und Jugendhilferecht integriert.
Auf Seiten der Sozialhilfe waren insbesondere Einrichtungen angesprochen, in denen Hilfe in besonderen Lebenslagen nach §§ 27 ff. Bundessozialhilfegesetz (BSHG) gewährt wird, namentlich Eingliederungshilfe für behinderte Menschen nach §§ 39 ff., Hilfe zur Pflege nach §§ 68 ff. und Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten nach § 72. Aufgrund eingeschränkter Zugangsmöglichkeiten zum Kreis der Sozialhilfe-Einrichtungen und Dienste (s. Kap. A 5.1) wurde allerdings mit einer nur schmalen empirischen Basis gerechnet. Den Kern der ersten Zielgruppe bildeten somit die Einrichtungen der Erziehungshilfe, Eingliederungshilfe für behinderte Kinder und Jugendliche sowie Hilfe für junge Volljährige.
Die zweite Untersuchungsgruppe der leistungsgewährenden, -kontrollierenden und -finanzierenden Jugend- und Sozialhilfeverwaltungen wurde durch den Kreis der Jugend- und Sozialämter zuzüglich der Jugendhilfeverwaltungen von Gemeinden und Gemeinde-verbänden ohne Jugendamt als örtlichen Trägern der Jugend- bzw. Sozialhilfe definiert.
Auf die unterschiedliche Akzentuierung des Kontroll- bzw. Qualitätsentwicklungsaspekts in Sozial- und Jugendhilfe wurde bereits hingewiesen. Für die Sozialhilfe ist gleichsam bezeichnend, dass Qualität mit Prüfung konnotiert wird und nicht von Qualitätsentwicklungs-, sondern von Prüfungsvereinbarung die Rede ist. Fraglich ist, ob diese Art der Thematisierung von Qualität über die traditionelle Form der Heimaufsicht hinausführt (vgl. Merchel, 2001, S. 21f).
Beide Zielgruppen konnten sowohl als separate Grundgesamtheiten untersucht und unter den Aspekten der öffentlichen vs. freien Trägerschaft bzw. von Leistungsgewährern vs. Leistungsanbietern verglichen, im Sinne der gemeinsamen Verantwortung für den personenorientierten Hilfeprozess aber auch als eine Population (Total-Grundgesamtheit) betrachtet werden (s. Kap. D 4.1). Überdies war bei ausreichendem Rücklauf auch eine Binnendifferenzierung vorgesehen: Jugendamt vs. Sozialamt bzw. Erziehungshilfen vs. sonstige Aufgaben.
Ob eine bestimmte Variable als unabhängige (UV) oder abhängige Variable (AV) fungiert, hängt vor allem von der Verwendung im jeweiligen Forschungskontext ab (Hager, 1987, S. 50). Die UV stellt die vermutete Einflussgröße (Faktor) dar, also eine mögliche Ursache für die Ausprägung der betrachteten AV, unabhängig davon, ob die UV vom Versuchs-leiter systematisch, als von ihm herstellbare Bedingung ("Treatment"), variiert werden kann oder lediglich als eine von mehreren vorgegebenen Möglichkeiten ausgewählt und zugewiesen wird (z. B. Geschlecht, Intelligenzniveau, Firmenzugehörigkeit der ProbandInnen).
Im Falle der geplanten Befragung kamen nur solche zugewiesenen Variablen als UV in Betracht, und zwar folgende:
- das Arbeitsfeld der ProbandInnen, das möglicherweise durch unterschiedliche Rechtsnormen, Tätigkeitsmerkmale (z. B. eher verwaltungs- vs. klienten-orientiert) oder verbandliche Strategieempfehlungen mit differenten Positionierungen zum QM-Thema einschließlich des Stellenwertes von Qualitätsbeauftragten einhergeht;
- die Größe der (weitgehend) selbständig agierenden Organisationseinheit (Gesamt- oder Teileinrichtung/Dienststelle), auf die sich die Angaben im Fragebogen beziehen sollten, und die aufgrund unterschiedlicher Anforderungen, z. B. an die Standardi-sierung von Prozessabläufen, möglicherweise Auswirkungen auf Umsetzungsstand und Wahl des verwendeten QM-Konzepts und die Institutionalisierung von speziell Beauftragten hat;
- die Trägerschaft der Einrichtung/des Dienstes, insofern diese – potenziell in Wechselwirkung mit den anderen Faktoren stehend – Umsetzung und Ausgestaltung des Qualitätsmanagements beeinflussen könnte.
Die Faktoren Arbeitsfeld und Trägerschaft sind qualitative Variablen mit mehreren Nominalstufen, während die Einrichtungsgröße ein quantitatives Merkmal darstellt.
Im Falle des Arbeitsfeldes sollte die zweckmäßige Stufenzahl im Nachhinein festgelegt werden, da das entsprechende Item des Fragebogens offen formuliert war und die in Population und Stichprobe repräsentierten Felder anteilsmäßig nicht bekannt waren (die Einrichtungs- oder Dienststellenadressen ließen zumeist keine eindeutigen Rückschlüsse auf den Arbeitsschwerpunkt zu). Deshalb schien eine Differenzierung aufgrund des tatsächlichen Rücklaufs am sinnvollsten. Diese Differenzierung umfasste schließlich folgende Kategorien: Jugend- und Sozialämter, Erziehungshilfeeinrichtungen, Kinder-tagesstätten/Fachberatungsdienste, Schule/Berufsbildung/Arbeitsförderung, Altenpfle-ge/Behindertenhilfe/Sozialpsychiatrie. Bei zu geringen Zellenbesetzungen sollten diese Gruppen teilweise zusammengefasst werden.
Der (fixierte) Faktor Trägerschaft ging mit den drei möglichen Nominalstufen öffentlich, freigemeinnützig und privatgewerblich in den Versuchsplan ein; jede Kategorie war durch eine eigene Stichprobe repräsentiert. Für den Fall ausreichenden Rücklaufs war die zusätzliche Differenzierung der freien Träger nach Spitzenverbandszugehörigkeit vorgesehen; für den Fall nicht ausreichenden Rücklaufs aus dem privatgewerblichen Bereich konnten beide freien Trägergruppen zusammengefasst werden.
Die kontinuierliche Variable der Einrichtungsgröße wurde anhand des tatsächlichen Rücklaufs auf vier Ordinalstufen reduziert, um eine überschaubare Anzahl von Klassen gleichen Umfangs zu erhalten und mögliche Zusammenhänge kreuztabellarisch darstellen zu können. Die Ordinalstufen entsprachen den jeweiligen Quartilen der Verteilung und keinem inhaltlichen Zuordnungskriterium: kleinste und kleine Einrichtungen mit bis zu 30 MitarbeiterInnen, mittelgroße Einrichtungen mit 31 bis 75 MitarbeiterInnen, große Einrichtungen mit 76 bis 150 und sehr große mit 151 und mehr MitarbeiterInnen.
Die Frage der Sinnhaftigkeit dieser Größenkategorisierung stellt sich ungeachtet der statistisch zweck-mäßigen Vorgehensweise. Es kann durchaus diskutiert werden, ob nicht eine stark dezentralisierte, überregional tätige Einrichtung mit 70 MitarbeiterInnen organisationspsychologisch "größer" ist als eine stationäre Einrichtung mit 150 Beschäftigten "unter einem Dach". Solche Fragen mussten hier jedoch ausgeklammert bleiben.
Da die Zugehörigkeit der verfügbaren Untersuchungseinheiten zu den verschiedenen Faktorstufen nicht vorab bekannt war, schon gar nicht durch Zufallsauswahl realisiert werden konnte, sondern sich allein aufgrund des Stichprobenrücklaufs ergeben würde, hatten wir es von vornherein nicht mit einem experimentellen, sondern allenfalls einem quasi-experimentellen Design (Cook & Campbell, 1979) zu tun. Auch dieses setzt jedoch voraus, dass eine eindeutige zeitliche Abfolge (Sequenz) zwischen UV und AV besteht, dergestalt, dass zuerst die UV selegiert und variiert und anschließend die AV systematisch beobachtet/gemessen wird (Hager, 1987, S. 72).
Diese Voraussetzung war in der Studie nicht zu erfüllen, weil nicht mit einer Zufalls-, sondern einer Gelegenheitsstichprobe gearbeitet werden musste (s. Kap. A 5.3.4). Die Zielsetzung der Untersuchung bestand auch gar nicht darin, Einrichtungen und Dienste nach ihrer Zugehörigkeit zu einer der genannten Faktorstufen auszuwählen und dann auf die jeweilige Ausprägung der AV zu messen, um Einflüsse dieser Faktoren zu überprüfen. Möglicherweise unterschieden sich die solcherart ausgesuchten Einheiten ja bezüglich der AV schon, bevor sie einer bestimmten Faktorkombination zugehörig wurden, z. B. wenn eine Einrichtung sich erst zu einer bestimmten Größenstufe entwickelt hatte, nachdem bereits ein QM-System eingeführt worden war. Beobachtbare Zusammenhänge zwischen UV und AV wären somit nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit der UV zuzuordnen gewesen, sondern hätten ebenso gut durch gruppenspezifische Merkmale "verursacht" worden sein können, die bereits vor der Untersuchung bestanden. Die Äquivalenz der zu vergleichenden Gruppen wäre mangelhaft gewesen und alternative Hypothesen über das Zustandekommen etwaiger Unterschiede in der AV hätten u. U. gleich große oder stärkere Plausibilität besessen.
Es war somit fraglich, ob im vorliegenden Kontext überhaupt von Variablen gesprochen werden konnte, die sich als UV und AV sinnvoll voneinander hätten unterscheiden bzw. trennen lassen (Hager, 1987, S. 50). Vielmehr haben wir es offenbar mit der Registrierung von Unterschieden und Zusammenhängen zu tun, die zwar möglicherweise regelhaft sind, aber keine Aussagen über Ursache-Wirkungs-Beziehungen implizieren. Solche Untersuchungen heißen gemeinhin Korrelationsstudien.
Damit ist auch die vorliegende Arbeit methodologisch korrekt charakterisiert: Es geht um die Bestandsaufnahme QM-bezogener Strukturen und Bewertungen an Personen, die Einrichtungen und Dienste unterschiedlicher Größe, Arbeitsfelder und Trägerschaften repräsentieren. Korrelative Zusammenhänge zwischen diesen Faktoren sollten zwar auf der Basis bestimmter Annahmen (Hypothesen, s. o.) untersucht werden, allerdings nicht im Rahmen systematischer Bedingungsvariation der unabhängigen Variablen.
Trotz dieser relativierenden Vorüberlegungen wird auf die sprachübliche Unterscheidung von UV und AV im Folgenden nicht verzichtet, zumal die Varianzanalyse als Auswer-tungsverfahren eine Rolle spielt und darin explizit diese Begriffe verwendet werden. Es geht jedoch lediglich darum, die qualitativen Variablen Arbeitsfeld, Einrichtungsgröße und Trägerschaft – ggf. auch nominalskalierte Charakteristika von Qualitätsbeauftragten (hier: Geschlecht) – hinsichtlich etwaiger Mittelwertsunterschiede auf den quantitativen Variablen sowie auf Kontingenzen zu anderen qualitativen Merkmalen zu untersuchen. Potenziell signifikante Differenzen bzw. Zusammenhänge sollten nicht als Folge eines Ursache-Wirkungs-Verhältnisses interpretiert werden, sondern als bloße Korrelationsbeziehung.
Auf eine rücklaufbedingt eingeschränkte Umsetzung des Untersuchungsplans sei bereits an dieser Stelle hingewiesen. Die hier als unabhängig deklarierten Variablen interkorrelieren mehr oder weniger stark, vor allem die Faktoren Trägerschaft und Arbeitsfeld (s. o.). Die durch diese Konfundierung schwer unterscheidbare "Wirkung" der einzelnen UV auf die AV hätte durch einen ausbalancierten komplexen Versuchsplan im Prinzip kontrolliert werden können, insofern bestimmte Wechselwirkungen sichtbar geworden wären. Selbst unter Reduzierung der möglichen Arbeitsfelder auf drei (Jugend-/Sozialhilfeverwaltungen, Erziehungshilfeeinrichtungen, Sonstige) hätte für ein solches 3 x 3 x 4-Design jedoch eine wesentlich größere Stichprobe zur Verfügung stehen müssen, als sich im Rücklauf letztlich ergab. Stattdessen konnte nur durch Kreuztabellierung versucht werden, die jeweiligen Interaktionseffekte erkennbar zu machen und bei der Interpretation der Befunde zu berücksichtigen.
Als unter den gegebenen Rahmenbedingungen (s. Kap. A 5.1) einzig realisierbare Methode – im Hinblick auf Verfahrenskontinuität zu den durchgeführten Vorstudien sowie Vergleichbarkeit zu anderen Untersuchungen jedoch ohnehin zweckmäßig und forschungsökonomisch sinnvoll – wurde eine anonyme postalische Befragung mit einem vollstandardisierten Fragebogen in drei Versionen gewählt. Um zum Zwecke eines möglichen und wünschenswerten Gruppenvergleichs auch Arbeitsfelder aus Grenzbe-reichen der Jugend- und Sozialhilfe anzusprechen, wurde das Untersuchungsinstrument neutral betitelt als Fragebogen zum Qualitätsmanagement/für Qualitätsbeauftragte in sozialen Einrichtungen und Diensten.
Der Fragebogen wurde vom Umfang und Layout so dimensioniert, dass er von einem sachkundigen Probanden in etwa 15 bis 30 Minuten vollständig zu bearbeiten sein sollte. Aus diesem Grunde wurden bis auf ein Item (Arbeitsfeld) alle Fragen geschlossen formuliert, bisweilen ergänzt um ein Antwortfeld "Sonstiges". Angehängt wurde eine offene Schlussfrage zu Fortbildungswünschen von Qualitätsbeauftragten; die Auswertung dieser Frage war allerdings nicht Bestandteil dieser Arbeit.
Um hinsichtlich der Angaben zum Instrument des/der QB mögliche Zusammenhänge zwischen Strukturvariablen der Einrichtungen, Personenvariablen der RolleninhaberInnen und Gruppenzugehörigkeit der InformantInnen prüfen zu können, wurde der Fragebogen – von einem gemeinsamen Fragenpool zum Qualitätsmanagement abgesehen – in drei Versionen und für drei Personengruppen konstruiert:
1. Selbstbewertung durch Qualitätsbeauftragte (Version 1),
2. Fremdbewertung durch Leitungskräfte aus Einrichtungen mit QB (Version 2) sowie
3. Fremdbewertung durch Leitungskräfte von Einrichtungen ohne QB (Version 3, als Variante von 2 mit Filterfrage).
Die Auswahl der Items orientierte sich des deskriptiven Schwerpunktes der Studie wegen an den wichtigsten und am häufigsten verwendeten Grundkonzepten der Organisations-diagnose (Scholl, 2004, S. 530). Solche sind im Sinne von Zustandsbeschreibungen:
- Organisationsziele (angestrebte zukünftige Zustände): im Rahmen der Studie als Grundsätze zur Qualitätspolitik und als Leitbild einbezogen;
- Organisationsverfassung (gesetzliche, satzungsmäßige u. a. Regelungen zur Machtverteilung, Rechenschaftspflicht etc.): im Rahmen der Studie als Führungsgrundsätze und Trägerschaft einbezogen;
- Organisationsstruktur (Regelsystem für Arbeitsteilung und Koordination): im Rahmen der Studie als Aufbau- und Ablaufbeschreibung sowie als Strukturmerkmale der Funktionsstelle Qualitätsbeauftragte/r einbezogen;
- Organisationsform (Einlinien- oder Mehrliniensysteme): im Rahmen der Studie nicht speziell, sondern als Aspekt der Organisationsstruktur betrachtet (hier: Größe der Einrichtung);
- Technologie (technische Hilfsmittel, Know-how, Arbeitsgestaltung etc.): im Rahmen der Studie als diverse Instrumente des Qualitätsmanagements einbezogen (QM-Handbuch, Qualitätszirkel u. a.);
- Organisationskultur und -klima (gemeinsame Werte und Normen, Wahrnehmung der Organisation durch die Mitglieder): im Rahmen der Studie als Konfliktpotenziale und Rollenwahrnehmung von Qualitätsbeauftragten einbezogen.
Obwohl es, wie Scholl (2004, S. 540) betont, schwierig ist, Zustandsbeschreibungen einer Organisation von den organisationalen Prozessen zu trennen, soll nachstehend versucht werden, auch bezüglich der häufigsten Prozesskonzepte eine Zuordnung zum Aufbau des Untersuchungsinstruments in der vorliegenden Studie vorzunehmen:
- Entscheidungsprozesse: im Rahmen der Studie nicht explizit einbezogen;
- Machtausübung und Einflussnahme: im Rahmen der Studie nicht explizit einbezogen;
- Partizipation: im Rahmen der Studie als Beteiligung am QM-Prozess sowie implizit in Form diverser Instrumente des Qualitätsmanagements (z. B. Vorschlagswesen) einbezogen;
- Konflikt und Kooperation: im Rahmen der Studie als Konfliktpotenziale einbezogen;
- Information, Kommunikation und Wissen: im Rahmen der Studie als Qualifizierung der MitarbeiterInnen sowie in Form diverser QM-Instrumente (z. B. Evaluation) und Maßnahmen zur Qualitätsentwicklung einbezogen.
Zum Themenkomplex "QM in sozialen Einrichtungen und Diensten" sollte somit eine möglichst breite Bestandsaufnahme gewährleistet sein, indem die in der einschlägigen Fachliteratur diskutierten Standardkonzepte und Instrumente durch wenigstens ein Item repräsentiert waren.
Darüber hinaus galt es, zum Themenkomplex "Qualitätsbeauftragte/r" auf der Grundlage existierender Stellenbeschreibungen und Erfahrungsberichte die für relevant gehaltenen Aspekte anzusprechen.
Im Einzelnen enthielt der Fragebogen in seinen drei Versionen folgende Itemgruppen:
- 3 Items zu Arbeitsfeld, Trägerschaft und Größe der Einrichtung/des Dienstes (alle Versionen)
- 13 Items zur Struktur des Qualitätsmanagements (alle Versionen)
- 2 Items zur Beteiligung und Qualifizierung der MitarbeiterInnen (alle Versionen)
- 33 Items zum eingeschätzten Nutzen von Maßnahmen der Arbeitsoptimierung (alle Versionen)
- 65 Items zu Qualitätsbeauftragten (Version 1; Version 2 nur 37; Version 3 nur 1):
- 7 Items zu Stellencharakteristika (Version 1 und 2),
- 6 Items zu Personencharakteristika (Version 1 und 2),
- 3 Items zur Zweckmäßigkeit des Instruments (Version 1 und 2),
- 14 Items zu Konfliktpotenzialen (Version 1 und 2),
- 7 Items zur Rollenwahrnehmung bzw. Rollenerwartung (Version 1 bzw. 2),
- 28 Items zu Aufgaben und Tätigkeiten (Version 1),
- 1 Item für Einrichtungen ohne QB (Version 3),
Insgesamt bestand Version 1 aus 117 (incl. offener Schlussfrage), Version 2 aus 88 und Version 3 aus 52 Items.
Die Items waren nicht dimensional geordnet, sondern inhomogen. Einige bezogen sich auf eher globale Aspekte betrieblicher Interaktion (z. B. "Ziehen an einem Strang"), andere auf eher spezifische Instrumente (z. B. Kundenpfadanalyse). Der Operationalisierungsgrad war unterschiedlich, ebenso die Differenziertheit der Antwortskalen sowie das Skalenniveau. Inhaltlich repräsentierten die Items zumeist singuläre Aspekte eines Themas und waren teils faktenorientiert, teils einstellungsbezogen. Insgesamt war das Untersuchungs-instrument als vorwiegend beschreibend und Hypothesen erkundend zu charakterisieren (vgl. Moser, 2004, S. 91).
Der Fragebogen wurde an fünf sachkundigen Einzelpersonen prä-getestet. Dies schien hinreichend, da die Mehrzahl der Items bereits in früheren Befragungen verwendet (und zuvor prä-getestet) worden war und für Vergleichszwecke ohnehin nicht substantiell verändert werden sollte. Für inhaltlich neue Aspekte war dessen ungeachtet zu überprüfen, ob wesentliche Gütekriterien erfüllt waren, vor allem Verständlichkeit, Eindeutigkeit, Relevanz und Eindimensionalität. Dies wurde im Prätest von allen Personen bestätigt; vorzunehmende Korrekturen waren minimal, itemkritische Kommentare im Rücklauf kein Thema. Dennoch erwies sich bei der Auswertung der eine oder andere Schwachpunkt, auf den im Text hingewiesen wird.
Für verlässliche Aussagen zur Umsetzung und Ausgestaltung von Qualitätsmanagement in Einrichtungen und Diensten bundesdeutscher Jugend- und Sozialhilfe – als einem wesent-lichen konzeptionellen Element Neuer Steuerungsmodelle – wäre eine Vollerhebung in den ausgewählten Zielgruppen mit offizieller Unterstützung durch die Spitzenverbände der öffentlichen und freien Wohlfahrtspflege wünschenswert gewesen. Sowohl vom Aufwand als auch von den Aussichten her, diese Unterstützung zu erhalten, war ein solches Vorhaben jedoch von vornherein illusorisch, zumal angesichts der Vielzahl empirischer Studien, die in diesem Arbeitsbereich durchgeführt werden.
In Frage kam somit nur eine Teilerhebung im Zielgruppenbereich. Hinsichtlich des Rücklaufs galt es aufgrund von Erfahrungen mit ähnlich angelegten Untersuchungen (Gerull, 1998a; Peters et al., o. J.; Wetzler, 2003), die Erwartungen mit etwa 20 bis 30% nicht zu hoch zu schrauben.
Da in der Studie auch zufallskritische Entscheidungen auf der Basis statistischer Prüfverfahren vorgesehen waren (Signifikanzniveau α = .05), wurde versucht, den optimalen Stichprobenumfang ungeachtet mutmaßlich verletzter parametrischer Voraussetzungen nach folgender Formel zu schätzen: n = [z (1 – α) – z (β)]2 / ε2 (Cassel, 2004, Kap. 7.6, S. 50). Darin ist n der gesuchte Stichprobenumfang, α das gewählte Signifikanzniveau, β die damit korrespondierende Wahrscheinlichkeit eines Fehlers der zweiten Art und ε die Effektgröße (standardisierte Mittelwertsdifferenz), die ein Maß für die Trennschärfe einer Vergleichs-messung darstellt. Unter Berücksichtigung der zumeist verwendeten sechsstufigen Likertskalen wurde der kritische Wert für die Effektgröße mit 0,60 festgelegt, bei dessen Erreichen oder Überschreiten die zu testende Hypothese als bestätigt betrachtet werden sollte (hier nur zur Errechnung der optimalen Stichprobengröße verwendet).
Die so ermittelte Stichprobengröße von 29 musste wegen der vorgesehenen mehrstufigen Gruppenvergleiche – maximale Stufenzahl = 4 (Quartile der Einrichtungsgröße) – vervierfacht werden, um den optimalen Umfang der Untersuchungsstichprobe zu ergeben: 4 x 29 = 116 (ohne Berücksichtigung von Interaktions-effekten). Bei einem erwarteten Rücklauf von ca. 25% resultierte daraus eine anzustrebende Gesamt-stichprobe von n = 116 : 0,25 = 464.
Als mutmaßlich ausreichende Stichprobengröße, um alle Fragestellungen der Studie auf statistisch hinreichender Grundlage zu untersuchen, wurde daher ein Pool von ca. 450 Einheiten erachtet, in dem die Zielgruppen möglichst proportional zu ihren jeweiligen Grundgesamtheiten vertreten sein sollten (s. Kap. D 4.3.3).
Die gesamte Gruppe der öffentlichen Träger konnte dabei nur mit Hilfe des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge erschlossen werden.
Der Deutsche Verein ist der zentrale Zusammenschluss der öffentlichen und freien Träger sozialer Arbeit und repräsentiert bundesweit die gesamte Palette der öffentlichen und privaten Wohlfahrtspflege. Aus einer dankenswerterweise zur Verfügung gestellten Anschriftenliste mit rund 350 Organisationen bzw. Organisa-tionsmitgliedern, die Anfang 2004 im Zusammenhang mit QM-bezogenen Anfragen, Anmeldungen oder Kursteilnahmen beim Deutschen Verein registriert waren, rekrutierten sich die im Folgenden Hauptstichprobe genannten Untersuchungseinheiten.
Diese Hauptstichprobe enthielt Personen, Einrichtungen und Dienste aus dem Sozial-, Gesundheits- und Bildungsbereich des gesamten Bundesgebiets, jedoch waren die einzelnen Arbeitsfelder und Trägerorganisationen sehr unterschiedlich repräsentiert. Mit einem Anteil von fast 70% dominierte die von öffentlichen Trägern geleistete Jugend- und Sozialhilfe, während freigemeinnützige und privatgewerbliche Träger nur mit knapp einem Drittel vertreten waren, weit überwiegend in der Kinder- und Jugendhilfe, zu einem geringen Anteil in anderen sozialen Handlungsfeldern tätig.
Die Dominanz des Jugend- und Sozialhilfebereichs in dieser Gelegenheitsstichprobe war an sich ein Glücksfall im Sinne der Zielgruppendefinition; auf diese Weise war nur eine geringfügige Bereinigung des Anschriftenpools um fachfremde AdressatInnen bei öffentlichen und freien Trägern erforderlich. Allerdings warf das trägerbezogene Ungleichgewicht die Notwendigkeit einer besseren Repräsentanz der verschiedenen freien Träger auf. Betroffen waren namentlich die in den Spitzenverbänden von Caritas, Diakonischem Werk, Paritätischem, Arbeiterwohlfahrt und Deutschem Roten Kreuz vertretenen Organisationen, die den weitaus größten Teil der leistungserbringenden Einrichtungen im Sozialwesen darstellen – in der Erziehungshilfe z. B. mit 4.751 von 7.346 Einrichtungen rund 65% (s. Kap. D 4.1, Tab. 10).
Noch stärker unterrepräsentiert war der relativ stark expandierende Bereich der privat-gewerblichen Träger; zweifelsfrei ließen sich von über 100 freien Einrichtungen in der Hauptstichprobe nur 5 diesem Sektor zuordnen. Durch Einbeziehung zusätzlicher Untersuchungseinheiten aus dem freigemeinnützigen und privatgewerblichen Bereich galt es deshalb, das Verhältnis der Trägergruppen auszutarieren und die formelmäßig ermittelte Stichprobengröße zumindest annähernd zu erreichen. Dies gelang durch Rekrutierung von Mitgliedseinrichtungen des Evangelischen Erziehungsverbandes (EREV) sowie des Bundesverbandes privater Träger der freien Kinder-, Jugend- und Sozialhilfe e. V. (VPK); darüber hinaus konnten mehrere Organisationen unterschiedlicher Träger im ostwestfä-lischen Raum über einen freiberuflichen Heimberater für die Befragung gewonnen werden.
Der EREV repräsentiert als evangelischer Fachverband auf Bundesebene mit über 500 Mitgliedern den nach Einrichtungszahl größten Anbieter von Erziehungshilfen in Deutschland, das Diakonische Werk der Evangelischen Kirche. Konkret handelte es sich bei der Stichprobe um die im Organ des EREV-Fachbeirats vertretenen rund 50 Einrichtungen, die ihrerseits einen nahezu kompletten Querschnitt der Jugendhilfe-angebote freigemeinnütziger Träger überhaupt darstellen. Wenngleich somit in fachlicher Hinsicht Repräsentanz der Stichprobe für die Erziehungshilfe allgemein angenommen werden kann, geriet der Gesamtanteil diakonischer Einrichtungen dadurch fast doppelt so hoch, wie es dem relativen Anteil an Einrichtungen freier Träger entspricht. Im Rücklauf verringerte sich allerdings dieses Übergewicht (s. Kap. D 4.3.2).
Der VPK ist nach Verbandsangaben die einzige bundesweite Vertretung der privaten Träger der freien Kinder-, Jugend- und Sozialhilfe und zählte zum Untersuchungszeitpunkt 363 Mitgliedseinrichtungen. Die Frage, ob der Verband fachlich und strukturell die Grundgesamtheit aller Einrichtungen in privater Trägerschaft repräsentiert, kann nach Datenlage nicht entschieden werden, zumal die bundesamtliche Statistik (s. Kap. D 4.1) nicht ausweist, ob der VPK den Wirtschaftsunternehmen oder der Kategorie "Sonstige juristische Personen, andere Vereinigungen" zugeordnet wurde. Die Zuordnung des VPK zu den Wirtschaftsunternehmen wird jedoch für plausibel gehalten und im Folgenden unterstellt. Tangiert wäre im Falle einer Fehlzuordnung lediglich die Stichprobenquote an der Teilpopulation.
Als Adressaten der Befragung fungierten die Qualitätsbeauftragten und/oder Leitungs-kräfte mit Zuständigkeit für das Qualitätsmanagement der Einrichtungen und Dienste – sofern überhaupt vorhanden oder vorgesehen.
Bei der Untersuchungsplanung wurde davon ausgegangen, dass auch Einrichtungen ohne ausgewiesene/n QB aufschlussreiche Informationen zum Instrument beizusteuern in der Lage wären. So konnte es Einrichtungen geben, die sich aufgrund gemachter Erfahrungen wieder von dem Instrument getrennt hatten, die mithin gerade sehr kompetent in dieser Frage sein durften. Des Weiteren mochte der Entscheidung, die Funktionsstelle nicht auszuweisen, ein sehr reflektierter Argumentationsprozess vorangegangen sein, in dem anderenorts gemachte Erfahrungen berücksichtigt wurden. Und schließlich konnte ein kompetentes Urteil auch auf rein analytischem Wege zustande gekommen sein.
Durch primäre Ansprache der QB galt es "zwei Fliegen mit einer Klappe" zu schlagen: Zum einen sollte differenziertes Material zum Instrument aus Binnensicht der Akteure, zum anderen zum Stand der Umsetzung von Qualitätsmanagement insgesamt gewonnen werden. Es konnte mit gutem Grund angenommen werden, dass die Bearbeitung beider Fragenkomplexe beim/bei der QB in den bestmöglichen Händen ruhte, fiel dies doch in dessen/deren genuinen Zuständigkeitsbereich; zudem konnte ein Interesse an empirischem (Vergleichs-)Material über die eigene Rolle und Funktion unterstellt werden, da in der Fachliteratur allenfalls anekdotische Beiträge dazu vorlagen. Beides wurde als gute Voraussetzung für eine ausreichende Rücklaufquote angesehen (eine Hoffnung, die sich nicht ganz erfüllte). Sofern ein/e QB als AnsprechpartnerIn nicht vorhanden war, sollte durch allgemeine Fragen zum Instrument gewährleistet werden, dass sich auch ein kompetenter Anderer zu einem Teil dieses Themenkomplexes aus der "Außensicht" äußern konnte. Auch in diesem Falle wäre ein substantieller Datenbeitrag zu erwarten gewesen, der bei ausreichender Stichprobengröße Vergleichsmöglichkeiten zur "Binnensicht" eröffnete.
Allein auf der Basis der einzuholenden Selbstauskünfte der QB und der Angaben von Leitungspersonen, die mutmaßlich an der Stellenbesetzung verantwortlich mitgewirkt haben dürften, waren naturgemäß keine bzw. nur eingeschränkt intersubjektive Aussagen zur tatsächlichen, "objektiven" Wirksamkeit und Zweckmäßigkeit des Instruments möglich. Vielmehr konnte von vornherein eine gewisse Reaktivität der Ergebnisse unterstellt werden, z. B. eine Schönfärbung zur Selbstbestätigung der eigenen Rolle und Entscheidung oder zur kognitiven Dissonanzreduktion.
Dies betont noch einmal den explorativen und deskriptiven Charakter der Untersuchung. Es ging im Rahmen des Designs nicht darum, die Überlegenheit des Faktors QB gegenüber einer Vergleichsgruppe ohne QB nachzuweisen, sondern zu beschreiben, welche Struktur-, Personen- und Tätigkeitsmerkmale, Gründe für und wider, Nutzeneinschätzungen und Konfliktpotenziale ohne Anspruch auf Repräsentativität im Feld vorkommen. Sofern es die rücklaufenden Daten erlauben würden, waren verschiedene Hypothesen testbar; anderen-falls würde die Untersuchung nur ihren explorativen Auftrag zu erfüllen in der Lage sein.
Alle Einheiten der Gesamtstichprobe erhielten je einen Fragebogen der Version 1 und 2/3; insgesamt wurden somit mehr als 800 Fragebögen verschickt bzw. verteilt. Zur Unterstüt-zung der Aktion und mutmaßlichen Erhöhung der Rücklaufquote wurde dem Fragebogen ein gemeinsames Anschreiben des Autors und einer wissenschaftlichen Referentin des Deutschen Vereins beigefügt, in dem das ausdrückliche Interesse des Verbands an den Ergebnissen betont wurde.
Zudem wurde als Anreiz angeboten, beim Autor ein Kapitel des Handbuchs auf CD-ROM "Qualitätsmanage-ment sozialer Dienstleistungen"(Gerull, 2004), und zwar die nach Stichworten und Arbeitsfeldern sortierte Bibliographie, als PDF-Datei abzurufen. (Davon machten allerdings nur 20% der Rücklaufs Gebrauch, was nicht unbedingt für die Attraktivität des gewählten Anreizes spricht.)
Die Anschreiben und Fragebögen für die Hauptstichprobe wurden Anfang Februar 2004, diejenigen (Anschreiben leicht modifiziert) für die Zusatzstichprobe der privaten Träger Ende Februar auf dem Postwege zugestellt. Den VertreterInnen der evangelischen Erziehungshilfeeinrichtungen wurden die Bögen nebst (gleichfalls leicht modifiziertem) Anschreiben anlässlich einer Fachbeiratssitzung des EREV Ende März von einem Mitglied der Geschäftsstelle ausgehändigt.
Deadline für den Rücklauf war zunächst Anfang April; aufgrund mehrerer Anfragen und des ohnehin schleppenden Eingangs der Fragebögen wurde diese Frist bis Ende Mai 2004 verlängert. Auf diese Weise konnte ein kleines Kontingent ostwestfälischer Einrichtungen noch zusätzlich in die Untersuchung einbezogen werden.
Die im Begleitschreiben begründete Bitte um Mitarbeit wandte sich zum Teil an einzelne Fachkräfte der Einrichtungen und Dienste – sofern namentlich bekannt – mit der Instruktion, den jeweils passenden Fragebogen (Version 1 oder 2/3) selbst zu beantworten – sofern zuständig – oder an den/die QB bzw. an die Leitung/Geschäftsführung weiterzu-geben. Mit derselben Maßgabe wurden auch die nicht namentlich adressierten Bögen versehen. Ggf. sollten nicht benötigte Fragebögen der Version 1 und 2 (für Einrichtungen mit Qualitätsbeauftragten) ignoriert und nur die Version 3 (für Einrichtungen ohne Qualitätsbeauftragten) bearbeitet werden.
Einrichtungen mit QB wurden für den Fall einer Beantwortung der Versionen 1 und 2 durch verschiedene MitarbeiterInnen darum gebeten, die Bögen zusammen in dem beigefügten (adressierten, jedoch unfrankierten) Umschlag zurückzusenden. Die dadurch bedingte Doppelrepräsentanz dieser Einrichtungen wurde in der Auswertung berücksichtigt (s. Kap. D 4.5).
Die vorliegende Studie steht in der Kontinuität größerer und kleinerer Untersuchungen, die der Autor zwischen 1997 und 2003 durchführen konnte. Dabei handelt es sich um standardisierte schriftliche Befragungen von Belegschaften, Leitungskräften und KursteilnehmerInnen, weit überwiegend aus dem Bereich der Erziehungshilfe. Wenngleich die eingesetzten Untersuchungsinstrumente nicht voll identisch sind, teilweise in verändertem Kontext eingesetzt wurden und Signifikanzprüfungen etwaiger Unterschiede wegen teils lückenhafter Kennwerte nur vereinzelt in Betracht kamen, ergaben sich potenziell interessante Vergleichsaspekte.
Nachfolgende Datenbestände und Kennwerte aus eigenen Vorstudien standen dafür zur Verfügung:
1. Mitarbeiterbefragung in großer Einrichtung der Erziehungshilfe, April 1997, 80 MitarbeiterInnen, Rücklaufquote 81,2% (n = 65); Häufigkeitsverteilungen und Mittelwerte der Gesamtstichprobe;
2. Mitarbeiterbefragung in sehr großer Einrichtung der Erziehungshilfe, Januar/Februar 1998, 216 MitarbeiterInnen, Rücklaufquote 86,1% (n = 186); Häufigkeitsverteilungen, Mittelwerte und Varianzanalysen;
3. verbandliche Mitgliederbefragung, August 1998, 393 Einrichtungsleitungen der Erziehungshilfe, Rücklaufquote 30,5% (n = 120); Häufigkeitsverteilungen, Mittelwerte und Varianzanalysen;
4. Mitarbeiterbefragung in großer Einrichtung der Erziehungshilfe, Januar 2000, 95 MitarbeiterInnen, Rücklaufquote 82% (n = 78); Häufigkeitsverteilungen, vollständige deskriptive Statistik und Varianzanalysen;
5. Mitarbeiterbefragung in mittelgroßer Einrichtung der Erziehungshilfe, Februar 2003, 44 MitarbeiterInnen, Rücklaufquote 95,3% (n = 42); Rohdaten, Häufigkeits-verteilungen und vollständige deskriptive Statistik;
6. Teilnehmerbefragung eines Selbstevaluationskurses, August 2000, 18 Fachkräfte der Erziehungshilfe, Rücklaufquote 66% (n = 12); Rang- und Mittelwerte;
7. Teilnehmerbefragung eines Akademiekurses für Qualitätsbeauftragte, Oktober 2002, 22 Fachkräfte der Jugend- und Sozialhilfe, Rücklaufquote 100% (n = 22); Rangwerte;
8. Teilnehmerbefragung eines Akademiekurses für Qualitätsbeauftragte, November 2003, 19 Fachkräfte der Jugend- und Sozialhilfe, Rücklaufquote 100% (n = 19); Roh- und Rangwerte.
Die im Rahmen dieser Dissertation durchgeführte aktuelle Untersuchung (Hauptstudie) begründet sich vor allem darin, dass der Frage nach Umsetzungsstand und Ausgestaltungs-formen eines sozialwirtschaftlichen Qualitätsmanagements bislang wenig empirische Aufmerksamkeit gewidmet wurde. Ungeachtet zahlreicher Evaluationen, wie sie auf der Ebene einzelner Einrichtungen, Verbände, Kommunen oder Forschungsgruppen durchgeführt wurden und werden, liegt nach eigenen Literatur- und Internet-Recherchen des Autors im Bereich der Sozialen Arbeit kein aktuelles Datenmaterial vor, das die Situation in der Jugend- und Sozialhilfe insgesamt beleuchtet. Zum viel diskutierten Instrument des/der Qualitätsbeauftragten ist – von eher anekdotischen und/oder programmatischen Beiträgen abgesehen – nahezu völlige Fehlanzeige zu vermelden.
Die von Berner & Leisering (2003) publizierten Ergebnisse zur kommunalen Sozialhilfeverwaltung betreffen zwar unter anderem die Umsetzung des Neuen Steuerungsmodells an bundesdeutschen Sozialämtern, nehmen aber an keiner Stelle explizit Bezug auf Elemente des Qualitätsmanagements .
Die von Gerull (1998) im Rahmen einer Mitgliederbefragung des Evangelischen Erziehungsverbandes (EREV) erhobenen Daten dienten seinerzeit der ersten Orientierung in einem durch Veröffentlichungsflut und allgemeine Verunsicherung charakterisierten Praxisumfeld, dürften jedoch längst überholt sein.
Das von Peters geleitete Forschungsprojekt "Qualitätsentwicklung in der Jugendhilfe" – Datenerhebungs-zeitraum Ende 1999 bis Anfang 2000 – sollte hier teilweise Abhilfe schaffen können, harrt aber immer noch seiner vollständigen Publikation und fokussierte zudem auf eher allgemeine Fragestellungen der Qualitäts-debatte (www.fh-erfurt.de/so/projekte/qualitaet).
Eine Ende 2001 durchgeführte Untersuchung im Bereich der stationären Behindertenhilfe (Wetzler, 2003) liefert zwar ein informatives Schlaglicht, ist jedoch in weiten Teilen wenig differenziert und für die Jugend- und Sozialhilfe nicht repräsentativ.
Von J. F. W. Müller (2004) im Rahmen einer Dissertation durchgeführte Fallstudien (n = 9) in Altenhilfe-einrichtungen erlauben aufgrund des qualitativen Untersuchungsansatzes keinerlei Vergleiche
Dass sich empirische Forschung im angesprochenen Bereich schwierig gestaltet, kann allen erwähnten Untersuchungen entnommen werden und blieb auch der vorliegenden Studie nicht erspart. Empfundener Zeitmangel angesichts des umfangreichen Fragebogens, Befürchtungen, sich durch allzu offenherzige Selbstauskünfte verbandspolitisch unzweckmäßig zu verhalten, Vermeidenwollen von Fehlanzeigen, Widerstände gegen vermeintliche Datensammelaktionen ohne erkennbaren praktischen Nährwert und ähnliche Befindlichkeitskonstellationen auf Seiten der potenziellen BefragungsteilnehmerInnen äußerten sich auch hier in einer eher unbefriedigenden Rücklaufquote (rund 21%, s. Kap. D 4.3.1).
Dennoch werden die Ergebnisse für aufschlussreich gehalten, um einen allgemeinen Überblick zur Umsetzung und Ausgestaltung von Qualitätsmanagement in der Jugend- und Sozialhilfe zu gewinnen, sei es zum Zwecke der eigenen Positionierung im Vergleich, sei es zur differenzierten Bestandsaufnahme speziell zum Instrument des/der QB.
Von den oben erwähnten Untersuchungen eröffnen vor allem die nachfolgenden zwei punktuell interessante Vergleichsmöglichkeiten:
- Peters et al. (o. J.): 110 nach Zufall ausgewählte Mitgliedseinrichtungen der Internationalen Gesellschaft für Heimerziehung (IGfH) und zusätzliche Online-Befragung, Befragungszeitraum Januar bis April 2000, Rücklaufquote 30%.
- Wetzler (2003): rund 1.400 Wohneinrichtungen der Behindertenhilfe bundesweit, Befragungszeitraum Ende 2001, Rücklaufquote rund 16% (n = 216).
Die Beschäftigung mit Qualität ist uralt. Gesetzlich vorgeschriebene Anforderungen an Bauwerke etwa sind schon aus babylonischen Zeiten überliefert (Codex Hammurabi) und im Mittelalter spielte der Qualitätsgedanke in den Regeln und Normen der Zünfte eine zentrale Rolle (Seghezzi, 1996, S. 5). Amtliche Beschauzeichen bestätigten die Qualität geprüfter Produkte, Meisterzeichen identifizierten den Hersteller. Aus ihnen entwickelten sich mit zunehmender Industrialisierung die Fabrik- und Qualitätsmarken (Wolters, Albrecht & Schwabe, 1995, S. 5).
Die Herkunftskennzeichnung für Produkte, wie sie ein britisches Gesetz von 1887 aus protektionistischen Gründen vorschrieb, wandelte sich als "Made in Germany" vom Brandmal zum ausgesprochenen Qualitätsbegriff. Da die internationale Konkurrenz aufholte, verlor dieses ungewollt zum Gütesiegel gewordene Zeichen später einen erheblichen Teil seiner Wirkung. Es bedurfte neuer Methoden und Etikettierungen, um Qualität als kaufentscheidungsrelevantes Produktmerkmal zu entwickeln und nachzuweisen.
KundInnen wollen von einem Produkt in erster Linie einen Nutzen haben; sie wünschen sich jedoch auch einen angemessenen Preis und eine gute Verfügbarkeit in benötigter Menge, indem es z. B. zum gewünschten Zeitpunkt auf einfache Art beschafft werden kann (vgl. Seghezzi, 1994, S. 11). Um den Kundenbedürfnissen gerecht zu werden, müssen Anbieter von Produkten ihrerseits die Qualität, Kosten und Lieferbereitschaft bezüglich Menge und Termin optimal gestalten. In diesem unternehmerischen Spannungsviereck (Seghezzi, 2003, S. 20) aus Qualität, Geld, Quantität und Zeit sind die einzelnen Faktoren ständig gegeneinander abzuwägen, um den besten Erfolg zu erzielen.
Bis Anfang des 20. Jahrhunderts lag die innerbetriebliche Verantwortung hierfür in einer Hand. Mit Einführung der industriellen Arbeitsteilung, wie sie vor allem mit dem Namen des Amerikaners Frederick W. Taylor und dem von ihm begründeten scientific management ("Taylorismus") verbunden ist, wurde diese Verantwortung aufgespalten.
"Überspitzt ausgedrückt wurde die Arbeitsvorbereitung für die Kosten, die Fertigung für die Zeiten und die Qualitätskontrolle für die Qualität verantwortlich gemacht. Dadurch entwickelte sich in den Fertigungsabteilungen eine Art ‘Schmugglermentalität’. Es kam nicht mehr darauf an, fehlerfreie Produkte zu fertigen, sondern ‘durch die Kontrolle zu kommen’. Gleichzeitig führte dies zu einer Vielzahl von Qualitätsprüfern. In vielen Betrieben waren mehr als 10% der Belegschaft in der Qualitätsprüfung beschäftigt"(Seghezzi, 1996, S. 5). Entsprach ein fertiges Produkt nicht den Anforderungen, wurde es aussortiert oder nachbearbeitet.
Spätestens seit den Sechzigerjahren steht nicht mehr diese Endkontrolle des Produkts im Mittelpunkt der Qualitätskontrolle. Solche Prüfungen erhöhen nämlich nicht die Qualität, sondern dienen nur zur Trennung von "gut" und "schlecht"(Daumenlang & Palm, 1997, S. 356). Da Fehler sich umso kostspieliger auswirken, je später sie im Produktionsprozess auftreten oder auffallen, sind Endkontrollen letztlich teurer als Fehler vermeidende Maßnahmen (Wolters et al., 1995, S. 16). Aufgrund dieser Erkenntnis geriet zunehmend die vorbeugende Gestaltung und ständige Verbesserung der betrieblichen Prozesse ins Blickfeld, um möglichst gar keine Qualitätsfehler entstehen zu lassen und Qualität optimal zu bewirtschaften. Dabei veränderten sich auch die Rollen der MitarbeiterInnen, des Managements und der KundInnen, deren Einbeziehung in die Leistungserstellung zunehmend umfassender geriet.
Ein solches "Qualitätsmanagement" – lange Zeit unter Bezeichnungen wie Qualitäts-kontrolle oder Qualitätssicherung firmierend – entstand in der Praxis auf pragmatische Art (Seghezzi, 1994, S. 11); seine Umsetzung in theoretische Konzepte und die Gestaltung als eigene Disziplin im Rahmen der Unternehmensführung entwickelten sich erst viel später (vgl. Kap. B 2.). In Europa wurde Qualität zwar traditionell groß geschrieben, jedoch nicht im eigentlichen Sinne systematisch bewirtschaftet wie die übrigen Faktoren des unternehmerischen Spannungsvierecks im Rahmen von Logistik, Materialwirtschaft, Finanz- und Rechnungswesen (a.a.O., S. 12). Es verwundert daher nicht, dass diese Entwicklung sich in Ländern vollzog, die keine lange Tradition mit hoher Produktqualität haben, nämlich in Japan und in den USA (S. 2).
Eine Rolle für die seither nicht mehr nachlassende Aktualität des Qualitätsthemas in der Wirtschaft spielt die empirisch gesicherte Erkenntnis, dass zwischen der Qualität von Produkten bzw. Dienstleistungen und dem wirtschaftlichen Erfolg von Unternehmen ein positiver Zusammenhang besteht; Qualität ist ein entscheidender Erfolgsfaktor (Eversheim, 1997, S. 4 ff.). Dementsprechend wird der Frage zunehmende Bedeutung beigemessen: Wie kann eine Organisation/ein Projekt/ein Prozess/ein Produkt oder – um die Terminologie der internationalen Normungsbehörde ISO aufzugreifen – eine Einheit so gesteuert werden, dass Qualität systematisch optimiert wird und keine "Glückssache" ist (Gerull, 2000, S. 1-9). Qualitätsmanagement ist jener Teil der Gesamtführungsaufgabe, der dieser Frage gewidmet ist und Antworten in Form von Konzepten und Werkzeugen zu geben verspricht, die sich u. a. in den Bereichen Marketing, Organisation und Psychologie bewährt haben; Qualitätsmanagement "erfindet" das Qualitätsthema nicht neu, sondern "bringt es auf den Punkt"(Bretzke, 1995, S. 424).
Mit zunehmender Globalisierung der Märkte wurde es wichtig, einheitliche Anforderungen an Qualitätssysteme zu formulieren, die weltweit Akzeptanz finden (Seghezzi, 1996, S. 204). Diese Entwicklung wurde durch die hohen Qualitätsforderungen im militärischen Bereich und in der Luft- und Raumfahrt nachhaltig beeinflusst. Die aus den Forderungen der militärischen Beschaffungsstellen entstandenen Systeme bildeten den Ursprung der späteren DIN EN ISO 9000-Normenfamilie (s. Kap. C 1.4.1), die bereits in etwa 130 Ländern anerkannt wird (Zollondz, 2002, S. 46) und in über 80 Ländern institutionalisiert ist. Sie ist weltweit das angeblich in kürzester Zeit verbreitete Normenwerk überhaupt (Wolters et al., 1995, S. 3).
Mit der Normenreihe ISO 9000 wurden erstmals Unternehmensführungssysteme in Normen aufgenommen, während diese sich zuvor auf Maße, technische Eigenschaften und ähnliche Sachverhalte beschränkten (Seghezzi, 1996, S. 205). Inzwischen sind eine Vielzahl von branchenübergreifenden oder branchenspezifischen, mehr oder minder umfassenden, originären oder adaptierten Systemen und Verfahren auf dem Markt, die mit oder ohne Möglichkeit zur Zertifizierung, intern oder extern ausgerichtet, mit diagnostischer oder Prozess entwickelnder Fokussierung, in Selbstführung oder mit externer Begleitung implementiert werden können. Sie werden in Kap. C 1. systematisiert und teilweise ausführlicher erörtert.
Qualitätsmanagement setzt eine Vorstellung von Qualität voraus, auch wenn diese nicht immer explizit formuliert sein muss. Es ist deshalb zweckmäßig, zunächst solche Vor-stellungen zu untersuchen.
Qualität kann allgemein definiert werden als die Beschaffenheit eines Produkts, einer Dienstleistung, eines Unternehmens oder einer anderen Einheit (s. o.), gemessen an den Bedürfnissen der Anspruchsgruppen (Seghezzi, 1996, S. 17), das sind alle an dem Produkt interessierten bzw. davon betroffenen Personen (auch stakeholder genannt), vor allem die KundInnen.
Qualität lässt sich aber nicht nur neutral als Beschaffenheit einer Einheit im Hinblick auf gestellte Anforderungen definieren, sondern wird häufig auch wertend als Güte im Sinne von Zweckerfüllung verstanden. Einem solchen Verständnis von Qualität folgend, kann man unterschiedliche Anspruchsklassen bilden, wie etwa die Sterne-Kategorisierung im Hotelbereich. Dabei wird festgelegt, welche Eigenschaften jeweils zu erfüllen sind, um einer bestimmten Qualitätsklasse oder -stufe zugeordnet werden zu können. Beschaffenheit und Anspruchsklasse sind Kernbegriffe modernen Qualitätsmanagements (Zollondz, 2002, S. 145).
Definitionen von Qualität – eine Auswahl
- Qualität ist die Beschaffenheit (eines Produkts), gemessen an den Bedürfnissen der Anspruchsgruppen (Seghezzi, 1996).
- Qualität ist die Relation zwischen einem Ist-Zustand und einer Soll-Forderung
(Daumenlang & Palm, 1997).
- Qualität ist die Gesamtheit von Eigenschaften und Merkmalen eines Produkts oder einer Tätigkeit, die sich auf deren Eignung zur Erfüllung gegebener Erfordernisse beziehen (DIN 55 350).
- Qualität ist der Übereinstimmungsgrad zwischen versprochener und erbrachter Leistung (Gerull, 2001).
- Qualität: Beschaffenheit, Güte oder Wert einer Sache oder Dienstleistung (Kommerell, 2000).
- Qualität ist realisierte Beschaffenheit einer Einheit bezüglich Qualitätsforderung an diese
(Geiger, 1998).
- Qualität: Grad, in dem ein Satz inhärenter Merkmale (An)forderungen erfüllt (ISO 9000:2000).
Von allen Versuchen, den Qualitätsbegriff so allgemein wie möglich zu bestimmen, ist die konzept- und branchenneutrale Definition der ISO 9000:2000 die einzige international normierte; sie entspricht inhaltlich voll derjenigen von Geiger (siehe Kasten), ist sprachlich allerdings so abstrakt formuliert, dass die ISO es für nötig hielt, der Definition zwei Anmerkungen hinzuzufügen:
"Qualität: Grad, in dem ein Satz inhärenter Merkmale (An)forderungen erfüllt"(ISO 9000:2000)
Anmerkung 1: Die Benennung "Qualität" kann zusammen mit Adjektiven wie schlecht, gut oder ausgezeichnet verwendet werden.
Anmerkung 2: "Inhärent" bedeutet im Gegensatz zu "zugeordnet" "einer Einheit innewohnend", insbesondere als ständiges Merkmal.
Mit Einheit ist dabei der Bezugspunkt für die Qualitätsbetrachtung gemeint, also das, was einzeln beschrieben und betrachtet werden kann: das Ergebnis einer Tätigkeit, diese Tätigkeit selbst, eine Person, ein System oder eine Kombination daraus (Geiger, 1998, zit. nach Zollondz, 2002, S. 155). Von Bedeutung ist diese Definition nicht allein deshalb, weil sie international abgestimmt ist und damit als Grundlage verschiedenster Qualitätsmanage-ment-Konzepte dienen kann, sondern auch, weil sie die Brücke von einer nur produktbezo-genen Qualitätsbetrachtung zum umfassenden Qualitätsverständnis des Total Quality Management (s. Kap. C 1.4.2) schlägt. Da Einheiten beliebig gewählt und kombiniert werden können, sind alle denkbaren zusätzlichen Einheiten möglich (Zollondz, 2002, S. 158). Während die "inhärenten" Merkmale der Einheit für die Qualität des Angebotspro-dukts (z. B. Pflege bei Dekubitus) direkt maßgeblich sind, also unmittelbaren Qualitätsbezug aufweisen (z. B. die fachlich einwandfreie einzelne Pflegehandlung), lassen sich einem Vorschlag von Geiger entsprechend "zugeordnete" Einheiten mit mittelbarem Qualitäts-bezug (z. B. die Freundlichkeit der Krankenschwester) sowie ohne direkten Qualitätsbezug zum Angebotsprodukt (z. B. das Image des Krankenhauses) unterscheiden (Zollondz, 2002, S. 158; Beispiele P. G.).
Der erweiterte Qualitätsbegriff im TQM wäre somit wie folgt zu definieren:
"Im TQM ist Qualität die realisierte Beschaffenheit von Einheiten mit unmittelbarem, mittelbarem und keinem direkten Qualitätsbezug bezüglich Qualitätsforderung und anderer Forderungen an diese Einheit"(Zollondz, a.a.O.).
Modelle sind "analoge Realitätsausschnitte"(Schlottke, 1998, S. 543f) zum Zwecke der Veranschaulichung oder Ableitung damit zusammenhängender Fragestellungen (Drever & Fröhlich, 1968, S. 152). Diesem Zweck dienen auch Qualitätsmodelle. Sie setzen zumeist einen Begriff von Qualität voraus, ohne ihn immer zu explizieren. Zollondz (2002, S. 163 ff.; 2001, S. 589 ff.) beschreibt eine Auswahl allgemeiner und spezieller Qualitätsmodelle, die nachstehend in Grundzügen aufgeführt, kurz kommentiert und um Bemerkungen zu weiteren Modellen ergänzt werden:
- Qualitätskreis-Modell von Masing (1990, nach Zollondz, 2002, S. 164 ff.):
Dieses Modell war Gegenstand der inzwischen nicht mehr gültigen Empfehlungsnorm ISO 9004:1994. Ausgehend von den Kundenforderungen, sind den Phasen der Planung, Realisierung und Nutzung von Produkten verschiedene Unternehmensfunktionen wie Marktforschung, Beschaffung, Fertigung, Prüfung usw. zugeordnet. In jeder Phase müssen die Verantwortlichen qualitätssichernde Maßnahmen treffen. Als logische Folge der Qualitätsarbeit aller Beteiligten ergibt sich das Qualitätsprodukt. Das Modell lässt sich ohne weiteres auf (standardisierbare) Dienstleistungen übertragen, stößt aber bei interaktiven Leistungsprozessen rasch an Grenzen.
- Qualitätsregelkreis-Modell von Pfeifer (1996, nach Zollondz, 2002, S. 167 ff.):
Es handelt sich um eine auf Qualität bezogene Anwendung des kybernetischen Modells mit den Elementen Regelgröße (hier: Qualität), Störgröße (z. B. ungeplante Einwirkungen), Stellgröße (z. B. durchgeführte Maßnahme), Sollgröße (hier: Qualitätsforderung), Regelstrecke (z. B. Prozess) und Regler (z. B. Qualitätstechnik). Das Modell ist stark von ingenieurwissenschaftlichem Denken geprägt und stößt seines technischen Charakters wegen im Sozialbereich auf Vorbehalte.
- Qualitäts-Termin-Kosten-Kreis von Geiger (1998, nach Zollondz, 2002, S. 170 ff.):
Das Modell geht über die Qualitätsbezogenheit des Qualitätskreises (s. o.) hinaus und beschreibt das Zusammenwirken der Aspekte Zeit, Qualität und Kosten. Dem Modell wird ein universeller Charakter im Managementdenken zugeschrieben, weil es die Parallelität der jeweiligen Tätigkeiten betont. Daraus lässt sich ableiten, dass ein Qualitätsmanagement nicht – wie z. B. eine Vertriebsabteilung – einer eigenen Aufbauorganisation bedarf, sondern eine integrale Funktion darstellt. Die Grundgedanken des Modells finden sich bereits in dem erwähnten unternehmerischen Spannungsviereck wieder und spielen vor allem im Konzept des Integrierten Qualitätsmanagements (Seghezzi, 1994, 1996, 2003) eine zentrale Rolle (s. Kap. C 1.4.5). Im sozialen Dienst-leistungsbereich ist es erst vereinzelt aufgegriffen worden, obwohl es grundsätzlich geeignet erscheint.
- Wertschöpfungsanalyse von Weth (nach Zollondz, 2002, S. 173 ff.):
Wertschöpfung entsteht aus der Differenz zwischen dem Wert eines Produkts vor und nach der Verarbeitung. Dabei spielt Verschwendung eine entscheidende Rolle. Die Wertschöpfungsanalyse prüft, welchen Beitrag die jeweiligen Prozesselemente zur Wertschöpfung beitragen. Das Modell wurde von Weth auf das Qualitätsmanagement übertragen. Die Relevanz für soziale Dienstleistungen ist fraglich.
- Partialanalytisches Qualitätsmodell von Garvin (1984, nach Zollondz, 2001, S. 589f):
Das für die Diskussion der Dienstleistungsqualität sehr einflussreich gewordene Modell differenziert nach folgenden Qualitätsansätzen: absolute (transcendent) Qualität, Qualität des Produkts (product-based), Qualität für den Kunden (user-based), Qualität der Herstellung (manufacturing-based) und Qualität als Wert (value-based). Im Sozialbereich werden analoge Bezugsgrößen u. a. als sozialtechnologischer, expertokratischer und adressatenorientierter Qualitätsansatz diskutiert (Piel, 1996; Gerull, 2000). Keiner wird allein der Komplexität sozialer Dienstleistungen gerecht.
- Dienstleistungsqualitätsmodell von Donabedian (1966, nach Zollondz, 2002, S. 147 ff.):
Das ursprünglich auf medizinische Pflegeleistungen bezogene Qualitätsmodell unterscheidet drei Dimensionen: Strukturqualität (structure), Prozessqualität (process) und Ergebnisqualität (outcome). Structure umfasst vor allem die zur Dienstleistungserstellung notwendigen fachlichen, personellen und sächlichen Ressourcen; process bezeichnet die Gesamtheit der Aktivitäten im Verlauf der Dienstleistungserbringung; outcome steht für eine Änderung des Patientenzustandes, sofern diese sich auf die erbrachte Leistung zurückführen lässt (Meyer & Westerbarkey, 1995, S. 86). Das Modell wurde, ausgehend vom Pflegebereich, in weiten Teilen der deutschen Sozialarbeit übernommen, obwohl es die Rolle der AdressatInnen nicht explizit berücksichtigt (zur Kritik s. Gerull, 2004, Kap. 1.4.6).
Gelegentlich werden einzelne Kategorien anders benannt – z. B. Produkt- statt Ergebnisqualität (Trube, Regus & Depner, 2001), Potenzial- statt Strukturqualität (Eversheim, 1997) –, kontextspezifisch ersetzt – z. B. Orientierungs- statt Ergebnisqualität (Tietze, Schuster & Rossbach, 1997) – oder um eine vierte und fünfte ergänzt – Konzeptqualität (von Spiegel, 1994), Normqualität (Vilain, 2003), Procederequalität (Trube et al., 2001), Beziehungs- und Erlebnisqualität (Ackermann, 2003). Die Reihe ließe sich fortsetzen (technische, Rahmen-, Handlungs-, Wirkungsprozess-, Verfahrens-, Verrichtungsqualität u.a.m.).
- Dienstleistungsqualitätsmodell von Grönroos (1984, nach Zollondz, 2002, S. 174 ff.):
Das kundenorientierte Qualitätsmodell geht von einem abwägenden Beurteilungsprozess beim Nachfrager (Kunde, Adressat usw.) aus, in welchem dieser seine Erwartungen an das Dienstleistungsergebnis (Soll-Wert) mit der tatsächlichen Leistung (Ist-Wert) vergleicht (Meyer & Westerbarkey, 1995, S. 86). Unterschieden wird eine eher objektiv zu bestimmende technische Qualität ("Was" erhält der Nachfrager?) und eine eher subjektiv wahrgenommene funktionale Qualität ("Wie" wird dem Nachfrager die technische Qualität dargeboten?); für das Gesamtqualitätsurteil bzw. die Zufriedenheit des Kunden wird die funktionale Qualität für bedeutsamer gehalten. Der Ansatz dürfte im Sozialbereich als zu "konsumeristisch" auf Vorbehalte stoßen.
- Dienstleistungsqualitätsmodell von Meyer & Mattmüller (1987, nach Zollondz, 2002, S. 176 ff.):
Das Modell erweitert das Qualitätsmodell von Donabedian und verbindet es mit dem zuvor beschriebenen kundenorientierten Ansatz von Grönroos. Unterschieden werden die Dimensionen der Potenzialqualität des Anbieters und des Nachfragers, der Prozess- und Ergebnisqualität. Bei der Potenzialqualität des Anbieters wird zwischen dem Spezifizierungspotenzial (individuelle und spezifizierte Problemlösungen) und dem Kontaktpotenzial differenziert; die Potenzialqualität des Nachfragers wird in Integrations- und Interaktivitätspotenziale unterteilt (Einbringungsbereitschaft und Auswirkungen von Kundenkontakten untereinander). Das Modell wird im Sozialbereich trotz seiner Vorteile gegenüber dem Donabedian- Modell kaum verwendet.
- Dienstleistungsqualitätsmodell von Parasuraman, Zeithaml & Berry (1985, nach Zollondz, 2002, S. 178 ff.):
Dieses, in der deutschen Fachliteratur breit rezipierte, Modell der Servicequalität wurde im Rahmen empirischer Studien entwickelt und benennt fünf Gruppen von Merkmalen, welche die Qualität von Dienstleistungen bestimmen: Annehmlichkeiten des tangiblen Umfeldes, Verlässlichkeit der Leistungsausführung, Reagibilität bei Problemen, Leistungskompetenz, Einfühlungsvermögen. Messinstrument für diese Merkmale ist ein spezieller Fragebogen ("ServQual", Zeithaml, Parasuraman & Berry, 1992). Im Sozialbereich stößt eine direkte Übertragung des Modells an Grenzen, für die auch das "Hilfe-Kontrolle-Dilemma" verantwortlich ist (vgl. Meinhold & Matul, 2003, S. 41f).
Auch Zollondz (2002, S. 183) resümiert, dass keines dieser Qualitätsmodelle völlig befriedigen könne, vor allem im Hinblick auf soziale Dienstleistungen. In der sozialen, pädagogischen und pflegerischen Praxis hat sich dessen ungeachtet das Modell von Donabedian als geläufigstes Gliederungssystem (z. B. für Leistungsbeschreibungen) durchgesetzt. Vereinzelt wird auch das Modell von Meyer & Mattmüller verwendet (Lemme & Ochs, 1998; Gerull, 2004) oder unter Einbeziehung zusätzlicher bzw. anders benannter Dimensionen (Heiner, 1996; von Spiegel, 1994; Trube et al., 2001) zu einem eklektischen Qualitätsmodell sozialer Dienstleistungen integriert (Gerull, 2004, Kap. 1.4.6.3).
Ein von Zollondz (2001, 2002) nicht berücksichtigtes Qualitätsmodell, das nach Nerdinger (1994, S. 206 ff.) einen völlig neuen Gedanken in die Diskussion einbringt, stammt von Klaus (1991), der Qualität als Epiphänomen der Interaktion zwischen Dienstleister und Bedientem im Sinne einer gemeinsam geteilten Erfahrung der Zielerfüllung versteht. Diese Qualität könne nicht direkt gestaltet und kontrolliert werden, wohl aber Elemente der "Konfiguration"(Klaus, a.a.O., S. 259).
Wie Klaus (S. 261f) empirisch bestätigen konnte, entsteht "gute" Bedienungsqualität aus dem kumulativen Zusammentreffen von drei Aspekten: Kongruenz der wechselseitig aufeinander bezogenen Verhaltensweisen der Interaktionspartner (z. B. Beachtung von Umgangsnormen), Grad an sachlicher Aufgabenerfüllung, der erzielt und von den Interaktionspartnern wahrgenommen wird (Erreichen des Sachzwecks der Interaktion) und Grad an emotionaler Zufriedenheit, der von den Interaktionspartnern empfunden wird (z. B. Gefühl der Einbeziehung).
Von den in diesem Kapitel kurz dargestellten Qualitätsmodellen scheinen jene von Klaus und Meyer-Mattmüller am besten geeignet, den Charakteristika sozialer Dienstleistungen gerecht zu werden. Anstatt Qualität einseitig aus der Zufriedenheit der "Bedienten" abzuleiten – unter dem Stichwort Konsumerismus ein auch in Psychotherapie und Sozialarbeit viel diskutiertes Thema (z. B. Piel, 1996; Fourali, 1999) –, oder sie "expertokratisch" definieren zu lassen, wird Qualität bei Klaus als Merkmal einer gemeinsam geteilten Erfahrung beider Interaktionspartner betrachtet, während Meyer & Mattmüller den notwendigen Eigenbeitrag der "KundInnen" über die Potenzialqualität der Nachfrager thematisieren (ausführlicher diskutiert bei Gerull, 2004, Kap. 1.4.6).
[...]
[1] Der Begriff verdeutlicht, dass auch Anbieter sozialer Dienstleistungen "wirtschaften" müssen, dabei jedoch durch andere Zielsetzungen und Rahmenbedingungen geprägt sind als gewinnorientierte Unternehmen der Erwerbs-wirtschaft (Arnold & Maelicke, 1998, S. 20). Der Begriff "Nonprofit-Organisation (NPO)" wird synonym verwendet.
[2] "Leitidee des Managerialismus ist die Neuordnung und Standardisierung von Arbeitsprozessen, um diese effizienter gestalten und umstellen zu können. Diese Aufgabe umfasst auch die Anforderung eines ökonomischen Umgangs mit den Humanressourcen und dementsprechend konstituiert der Managerialismus auch eine Technik 'zeitgenössischer Menschenführung' ..."(Wohlfahrt, o. J., S. 6). Sommerfeld & Haller (2003, S. 62) diskutieren den Begriff im Kontext der Befürchtung, dass die ohnehin fragile Professionalisierung der Sozialen Arbeit durch die "Subsumtion unter eine fremde Macht" – hier: der Betriebswirtschaft – ins Stocken gerät oder gar definitiv zerbricht.
[3] Die Entwicklung der sozialpolitischen Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern einerseits und Kommunen andererseits lässt sich als Zentralisierung von Entscheidungskompetenzen und Dezentralisierung der Aufgabenerbringung darstellen, wobei die Länder eine Vermittlungsposition einnehmen. Diese Aufgaben- und Kostenüberwälzung durch den Bundesgesetzgeber hat zur Folge, dass die kommunalen Gestaltungsspielräume vielerorts gegen Null tendieren (Backhaus-Maul, 1998, S. 39).
[4] Die demokratische Wohlfahrtsgesellschaft ist geprägt von der "Rekonstruktion des Sozialen durch eine aktive und kompetente Gesellschaft." "Aufgabe der Politik ist es nicht, die Gesellschaft zu bedienen, sondern sie zu aktivieren"(Dettling, 1995, zit. nach Keupp, 2000, S. 41).
[5] Viele davon hielten bei Lektüre nicht, was sie im Titel zu versprechen schienen; allerdings dürften angesichts des recht subjektiven Auswahlkriteriums auch etliche Beiträge herausgefiltert worden sein, weil ihre Titel einen zu geringen Aufforderungscharakter hatten - quasi ein "Fehler zweiter Art", wenn man die Annahme der Irrelevanz als Null-Hypothese betrachtet.
[6] Der Begriff "Soziale Dienste" umfasst sowohl die professionell, organisiert und entgeltlich erbrachten Dienstlei-stungen der sozialen, sozialpädagogischen, erzieherischen und gesundheitlichen Berufe und Einrichtungen, als auch solche Geldleistungen, die den Betroffenen dazu dienen, sich eigene Unterstützungsleistungen zu organisieren (Frerichs, Leichsenring, Naegele, Reichert & Stadler-Vida, 2003, S. 11).
7 Ein Betrieb kann definiert werden als "organisierte Wirtschaftseinheit, in der verfügbare Mittel unter Wagnissen zur Erstellung von Leistungen und Abgabe dieser Leistungen an außenstehende Bedarfsträger eingesetzt werden"(Lechner, Egger & Schauer, 1989, zit. nach Horak, 1995, S. 12). Nach dieser Definition sind auch Nonprofit-Organisationen Betriebe mit den Spezifika der Zweckbindung und fehlender Gewinnausschüttung. Öffentliche Dienste setzen ihre Mittel zwar nicht unter dem hier "Wagnis" genannten wirtschaftlichen Risiko ein; allerdings geraten die Grenzen durch Umstrukturierungs- und Auslagerungsprozesse zunehmend ins Fließen.
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