Für neue Kunden:
Für bereits registrierte Kunden:
Bachelorarbeit, 2014
59 Seiten, Note: 1,7
Abkürzungsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
1 Einleitung
2 Das Kindschaftsrecht
2.1 Reformen des Familienrechts
2.2 Das Umgangsrecht und seine Bedeutung
2.3 Die Ausgestaltung des Umgangs
2.4 Die Anhörung des Kindes
2.5 Der Wille des Kindes
2.6 Das Hinwirken auf Einvernehmen
3 Konflikterleben in hochkonflikthaften Trennungs- und Scheidungsfamilien
3.1 Die Psychodynamik des Trennungserlebens
3.2 Eingeschränkte Eltern-Kind-Beziehung
3.3 Mangelnde Bindungsqualität
4 Störungen des Umgangs
4.1 Die Umgangsvereitelung bzw. Verweigerung
4.2 Die Umgangsverweigerung durch das Kind
4.2.1 Die Streitvermeidung
4.2.2 Die instrumentalisierte Loyalität
4.2.3 Die Kränkung und seelische Verletzung
5 Chancen und Grenzen einer Intervention
5.1 Streitvermeidung
5.2 Instrumentalisierte Loyalität
5.3 Kränkung und seelische Verletzung
6 Umgangsausschluss
7 Interventionen
7.1 Die Mediation
7.2 Das themenzentrierte Kinder-Interview
7.3 Die Kinderberatung
8 Zusammenfassung des Theorieteils mit Lösungsansatz
9 Forschungsstand und Theorie
9.1 Theoretischer und empirischer Forschungsstand
9.2 Theoretisches Modell der Studie
9.3 Fragestellung und Hypothesen
10 Methode
10.1 Untersuchungsdesign
10.2 Instrumente und Messgeräte
10.3 Stichprobenkonstruktion
10.4 Untersuchungsdurchführung
10.5 Datenanalyse
11 Ergebnisse
11.1 Stichprobenbeschreibung
11.2 Ergebnisse zu den einzelnen Fragestellungen und Hypothesen
11.3 Weitere Befunde
12 Diskussion
13 Anlagen
14 Literaturverzeichnis
An dieser Stelle möchte ich mich ganz herzlich bei allen bedanken, die mir bei der Erstellung der vorliegenden Arbeit auf unterschiedliche Weise geholfen haben.
Bei meinem Erstgutachter, Herrn Professor Dr. Schäfer, der während einer Familienrechtsvorlesung im Sommer 2012 mein Interesse auf dieses Thema lenkte sowie meinem Zweitgutachter, Herrn Professor Dr. Röchling, der sich spontan als Zweitgutachter bereit erklärte.
Bei dem Direktor des Amtsgerichtes Viersen, Günther Wexel, der es mir ermöglichte, eine empirische Sozialforschung im Landgerichtsbezirk Mönchengladbach durchzuführen. Bei den Familienrichterinnen und Richtern, die trotz ihres hohen Arbeitsaufkommens dennoch die Zeit fanden, den Fragebogen auszufüllen.
Bei Marion Dreßen und Elke Groth für ihre Geduld bei den zahlreichen Korrekturen.
Ein besonders liebevoller Dank gilt meiner Familie für die endlose Geduld und Unterstützung während der Erstellung dieser Arbeit. Besonders meinen Kindern, die oft auf mich verzichten mussten.
Danke.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1: Entwicklung hochkonfliktärer Umgangsrechtssachen
Abb. 2: Einschätzung Eltern-Kind-Beziehung
Abb. 3: Wer initiierte die Umgangsverweigerung hauptsächlich
Abb. 4: Gründe der Umgangsverweigerung
Das Familienbild hat sich in den letzten Jahrzehnten stark gewandelt (vgl. Grzanna/Schmidt 2007, S. 310 f.). Gründe für diesen Wandel sind in der Veränderung der Geschlechterrollen zu finden. Aufgrund einer verbesserten Bildungsbeteiligung, verbunden mit einer zunehmenden Erwerbstätigkeit, führen Frauen heute ein zunehmend ökonomisch unabhängiges Leben. Vor diesem Hintergrund hat sich die Zahl der Scheidungen seit 1965 verdreifacht (vgl. Peuckert 2012, S. 343). Aller Voraussicht nach werden in den kommenden 25 Jahren 40 % aller Ehen durch eine Scheidung gelöst werden. Ein ähnliches Bild zeichnet sich bei den Trennungen ab. Ihre Rate übersteigt das Dreifache der o. g. Scheidungsrate.
Diesen Aufwärtstrend belegt das Statistische Bundesamt alljährlich. So wurden 2013 84.844 Ehescheidungen mit 136.064 minderjährigen Kindern registriert (Statistisches Bundesamt 2014, Online-Zugriff: 06.10.2014). Unberücksichtigt bleibt bei dieser Statistik die Zahl der Kinder, deren Eltern sich ohne eine formale Ehescheidung trennten, sodass von einer höheren Zahl als der hier angegebenen ausgegangen werden kann.
Hierbei nehmen Schätzungen zufolge ca. 5 % aller Trennungen bzw. Scheidungen einen hochkonflikthaften Verlauf, der geprägt ist von Emotionen wie Hass, Rache und Vergeltung (vgl. Dietrich et. al. 2010, S. 10). Da eine einheitliche Definition zu Hochkonfliktfamilien bislang fehlt, lautet ein Definitionsversuch: „Hochkonfliktfamilien ® Scheidungs- und Trennungsfamilien, in denen ein so hohes Konfliktniveau vorliegt, dass Beeinträchtigungen
1. auf den Ebenen des Verhaltens und/oder Persönlichkeit mindestens eines Elternteils,
2. der Beziehung zwischen den Eltern untereinander
3. und der Beziehung der Elternteile mit dem Kind, sowie
4. der Nutzung in institutioneller Hilfe zur Klärung der Konflikte so erheblich sind, dass
1. eine Reduktion der Konflikte und Klärung von Alltagsfragen auch mit rechtlichen und/oder beraterischen Hilfen deutlich erschwert ist und
2. eine Gefährdung der Kinder deshalb wahrscheinlich ist“
(Fichtner 2009, S. 5). Dabei streiten hochkonflikthafte Eltern in Trennungs- und Scheidungsangelegenheiten vorrangig um das Sorge- und Umgangsrecht ihres Kindes. Vor diesem Hintergrund steht nicht nur das Recht, sondern auch die Beteiligten, insbesondere die Kinder, vor einer großen Herausforderung (vgl. Zimmer 2011, S. 1 f.). Die lang anhaltenden, intensiven und destruktiven Elternkonflikte bezüglich des Umgangs stellen ein erhebliches Entwicklungsrisiko für das Kind dar. Die betroffenen Kinder werden zunehmend in den elterlichen Konflikt hineingezogen, den sie auf unterschiedliche Weise bewältigen.
Um ein kindeswohlförderndes Umgangsrecht zu schaffen, trat am 1. Juli 1998 das Gesetz zur Reform des Kindschaftsrechts in Kraft, welches erstmalig die Rechte des Kindes in den Vordergrund stellte (vgl. Weber/Alberstötter 2013, S. 10 f.). Insbesondere in Sorge- und Umgangsverfahren wurden die Rechte des Kindes gestärkt und weiterentwickelt. Vor diesem Hintergrund trat am 1. September 2009 das Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) in Kraft, welches sich dem Verfahren in Kindschaftssachen (§ 151 FamFG) widmet.
Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, zu beleuchten, ob das aktuelle Recht den Anforderungen bei einer Umgangsverweigerung gerecht wird. Den Kern der Arbeit bildet die Fragestellung, warum Kinder den Umgang mit dem umgangsberechtigten Elternteil verweigern und mit welchen Interventionen einer Umgangsverweigerung ggf. begegnet werden kann. Es soll ferner beleuchtet werden, ob der Umgang mit dem Kind tatsächlich immer seinem Wohl dient und wie dem Kind geholfen werden kann, aus dem Dilemma herauszufinden.
Die vorliegende Arbeit ist in einen theoretischen Teil (A) und einen empirischen Teil (B) unterteilt.
Im theoretischen Teil wird zunächst ein Überblick über das aktuelle Umgangsrecht vermittelt und welche Kriterien bei der Ausgestaltung des Umgangs beachtet werden sollten. Des Weiteren wird auf die familiengerichtliche Anhörung des Kindes im Verfahren sowie dem Konflikterleben und seinen Auswirkungen auf die Eltern-Kind-Beziehung eingegangen. Anschließend werden drei Formen von Umgangsstörungen seitens des Kindes vorgestellt. Schließlich wird ein Umgangsausschluss und hieran anschließend drei Interventionsmöglichkeiten vorgestellt. Abschließend werden die theoretisch gewonnenen Kenntnisse zusammengefasst sowie ein Lösungsansatz vorgestellt.
Obwohl in der vorliegenden Arbeit der Blick auf das Kind gerichtet ist, wird es zeitweise unumgänglich sein, auch einen Blick auf die Eltern zu richten, um die kindlichen Reaktionen nachvollziehen zu können.
Da zu diesem Phänomen lediglich das Deutsche Jugendinstitut (DJI) sowie die Bundeskonferenz für Erziehungsberatung (BKE) aktuelle Forschungsdaten bereitstellen, knüpft die vorliegende Arbeit hauptsächlich an diesen Forschungsständen an.
Im empirischen Teil (B) sollen die zuvor im theoretischen Teil (A) gewonnenen Kenntnisse mittels einer quantitativen Sozialforschung abgerundet werden. Dazu wird auf den theoretischen und empirischen Forschungsstand eingegangen. Aufgrund von bislang fehlenden empirischen Daten zum Thema „Umgangsrecht“ wird im Rahmen der vorliegenden Bachelorarbeit dieses Phänomen aufgegriffen und erforscht. Im Mittelpunkt stehen dabei die Fragen nach der Eltern-Kind-Beziehung, welche Gründe für eine Umgangsverweigerung eruiert werden, ob das Kind Vorstellungen und Wünsche zum Umgang äußert und ob diesen Äußerungen bei der richterlichen Entscheidung an Bedeutung beigemessen wird. Abschließend wird der Frage nachgegangen, ob das Kind in die Beratungsarbeit mit einbezogen wird. Dazu dienen die aktuellen theoretischen Erkenntnisse der BKE. Auf dieser Grundlage werden die Fragestellungen entwickelt, die zu neuen Erkenntnissen führen sollen. Zur methodischen Herangehensweisen dient der Grundlagenfragebogen des DJI, der weiterentwickelt, modifiziert und an die aktuellen Forschungsergebnisse angepasst wird. Schließlich erfolgt die Auswertung der Forschungsergebnisse. Abschließend werden die vorliegenden Ergebnisse zusammengefasst und Anregungen für die Praxis dargestellt.
A. Theoretischer Teil
Auch das Recht hat sich dem gesellschaftlichen Wandel von Familienlebensmustern angepasst (vgl. BMJ 2014, S. 2 f.). Vor dem Hintergrund einer steigenden Anzahl von Trennungen/Scheidungen (T/S) hat die Reform des Kindschaftsrechts seit 1998 zahlreiche Nachbesserungen vorgenommen. Mit dem Inkrafttreten des Kindschaftsreformgesetzes (KindRG) steht dem Kind und seinen Eltern ein einheitliches Umgangsrecht zu, das nicht mehr zwischen ehelichen bzw. nicht-ehelichen Kindern unterscheidet (vgl. Balloff/Koritz 2006, S. 44).
Seit dem 19. Mai 2013 besteht die gemeinsame elterliche Sorge auch nach der Trennung der Eltern weiter fort und seit dem 13. Juli 2013 ist dem biologischen, nicht rechtlichem Vater ein Umgangsrecht eingeräumt worden, sofern er ein berechtigtes Interesse an dem Kind bekundet und der Umgang dem Kindeswohl dient (vgl. Schwab 2013, S. 244 f.). Im Mittelpunkt stehen stets das Kind und seine Beziehung zu seiner Familie.
Das am 1. September 2009 in Kraft getretene Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) steht für die Weiterentwicklung des Kindschaftsreformgesetzes (vgl. Weber/ Alberstötter 2013, S. 10). Es stellt das Kind im Verfahren von Kindschaftssachen, hier dem Umgangsrecht, in den Mittelpunkt (§ 151 FamFG).
Das Umgangsrecht gemäß § 1684 BGB ist ein höchstpersönliches Recht und kann nicht übertragen werden (vgl. Völker/Clausius 2012, S. 213). Es wird nach der Trennung der Eltern aktiv, unabhängig davon, ob die Eltern miteinander verheiratet sind oder nicht (vgl. Röchling 2009, S. 248). Da der Umgang des Kindes mit beiden Eltern dem Kindeswohl dient und ebenso für die Entwicklung des Kindes von Bedeutung ist, dient das Umgangsrecht der Aufrechterhaltung der familiären Beziehung und Bindung zu dem Elternteil, bei dem das Kind nicht seinen Lebensmittelpunkt hat (vgl. Schwab 2013, S. 363 ff.). Das Umgangsrecht leitet sich vom natürlichen Recht der Eltern und der damit verbundenen Verantwortung gemäß Art. 6 Abs. 2, S. 1 GG ab. Dabei kann der Umgangskontakt in Form von Besuchen, Telefonaten oder in schriftlicher Form erfolgen. Das Umgangsrecht findet zum einen seine Anwendung, wenn einem Elternteil das alleinige Sorgerecht übertragen wurde - in diesem Fall ist der andere Elternteil umgangsberechtigt und verpflichtet - und zum anderen bei einem gemeinsamen Sorgerecht - dann ist der Elternteil umgangsberechtigt und verpflichtet, bei dem das Kind nicht seinen Lebensmittelpunkt hat. Das Kind hat ein Recht auf Umgang mit seinen Eltern und die Eltern sind berechtigt und verpflichtet, einen Umgang mit dem Kind zu pflegen. Eine einheitliche Regelung bezüglich der Ausgestaltung des Umgangs gibt es nicht. Gelingt es den Eltern nicht, eine Einigung über den Umgangskontakt zu erzielen, wirkt sich dies schädigend auf die weitere Entwicklung des Kindes aus. Grund für Auseinandersetzungen sind oftmals Feindseligkeiten unter den Eltern. Um solchen Feindseligkeiten entgegenzuwirken, weist das Gesetz gemäß § 1684 Abs. 2 BGB auf das Wohlverhaltensgebot hin, dass Eltern alles zu unterlassen haben, was das Verhältnis des Kindes zum jeweiligen anderen Elternteil beeinträchtigt oder die Erziehung erschwert.
Auch das Kind verfügt über ein Umgangsrecht gegenüber seinen Eltern. So muss „der Elternteil, in dessen Obhut es sich befindet, (…) ihm Umgang mit dem anderen Elternteil gestatten“ (Schwab 2013, S. 367). „Der andere Elternteil ist dem Kind zur Ausübung des Umgangs grundsätzlich verpflichtet“ (Schwab 2013, S. 367). Etwaige Zwangsmittel sollen eine Signalwirkung erzeugen, mit welcher der Gesetzgeber verdeutlicht, dass das Recht des Kindes vor dem Recht der Eltern steht (vgl. Zimmer 2011, S. 232 f.). Allerdings stößt eine Durchsetzung des Umgangsrecht an ihre Grenzen. Denn oftmals stellt sich die Frage, ob eine Durchsetzung des Umgangsrechts gegen den Willen des Kindes nicht seiner Persönlichkeitsentwicklung schadet (vgl. Schwab 2013, S. 367).
Eine einheitliche Regelung bezüglich der Ausgestaltung des Umgangs gibt es nicht, weshalb die Beteiligten frei entscheiden können, wie sie den Umgangskontakt regeln möchten (vgl. Rafi 2012, S. 120 f.). Vordergründig steht jedoch immer das Kindeswohl. Gerade bei hochkonflikthafter Elternschaft empfiehlt sich eine genaue Regelung, wann das Kind von wem wo abgeholt bzw. zurückgebracht wird. Grundsätzlich sollten die Besuchskontakte in einer angenehmen und entspannten Atmosphäre stattfinden, weshalb gerade hochkonflikthafte Eltern bemüht sein sollten, nicht aufeinander zu treffen (vgl. Zimmer 2011, S. 264 f.). Dabei sollte der Umgangskontakt zeitlich eingehalten werden, aber auch regelmäßig überprüft werden, ob er noch den Anforderungen des Kindes gerecht wird. Gerade mit steigendem Alter des Kindes werden sich die Anforderungen verändern. Grundsätzlich empfiehlt es sich, jüngere Kinder in häufigen, jedoch kürzeren Abständen zu treffen, um einer Entfremdung des Umgangsberechtigten vorzubeugen. Auch Sonderregelungen, wie beispielsweise eine Krankheit des Kindes, berufliche Abwesenheit eines Elternteils etc. sollten in die Überlegungen der Umgangsgestaltung mit einfließen (vgl. Rafi 2012, S. 121).
Da das Recht zwischen der privaten Verantwortung der Eltern und der öffentlichen Verantwortung durch den Staat unterscheidet, übernimmt der Staat seine Verantwortung in Form von Unterstützungs- und Hilfeleistungen (vgl. Wiesner 2005, S. 282). Hierzu berät das Jugendamt die Eltern bei der Ausübung des Umgangsrechts (§ 18 SGB VIII). Das Ziel der Unterstützungsangebote ist, die bestehenden Bindungen nach einer T/S zu erhalten bzw. weiterzuentwickeln (vgl. Köckeritz 2004, S. 337 f.). Dabei soll das Kind von Loyalitätskonflikten entlastet werden und die Eltern gestärkt werden, sich emotional ihrem Kind zuzuwenden.
Im Falle einer Kindeswohlgefährdung kann das Familiengericht den Umgang einschränken, indem es den Umgangsberechtigten für eine bestimmte Zeit bzw. Dauer ausschließt (§ 1684 Abs. 4 BGB). Dabei hat das Gericht stets den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten, d. h. der Eingriff ins Elternrecht muss geeignet, erforderlich sowie zumutbar sein und sollte die geringste schädliche Alternative darstellen (vgl. Wiesner 2005, S. 292). Gerichtliche Umgangsregelungen können gemäß §§ 89, 90 FamFG mit Zwangsmitteln (Ordnungsgeld, Ordnungshaft) vollstreckt werden (vgl. Schwab 2013, S. 366). Zwangsmaßnahmen sollen jedoch nur eine abschreckende Wirkung erzeugen, dienen aber sicherlich nicht dem Kindeswohl.
Gelingt es den Eltern nicht, eine einvernehmliche Umgangsregelung zu treffen, trifft das Familiengericht, in dessen Bezirk das Kind seinen Wohnsitz hat, eine Umgangsregelung (§ 152 Abs. 2 FamFG). Dabei ist das Verfahren vorrangig und beschleunigt durchzuführen (§ 155 FamFG), d. h., dass das Familiengericht „spätestens einen Monat nach Beginn des Verfahrens einen Termin zur mündlichen Anhörung bestimmen muss“ (Völker/Clausius 2012, S. 277). Grund hierfür ist, einer Ausbreitung von Eskalationen entgegen zu wirken (vgl. Röchling 2009, S. 267).
Seit dem 1. September 2009 bildet die familiengerichtliche Anhörung des Kindes (§ 159 FamFG) einen festen Bestandteil im Verfahren und verdeutlicht einmal mehr seine Stellung, im Mittelpunkt des Verfahrens zu stehen (vgl. Grabow 2013, S. 179 ff.). Da das Kind als Grundrechtsträger von einer familienrechtlichen Entscheidung unmittelbar betroffen ist, steht ihm das Recht der persönlichen Anhörung zu, um seinem Willen Ausdruck zu verleihen. Dabei hat der Begriff des Kindeswillens zum einen die Funktion zu eruieren, zu welchem Elternteil das Kind eine stärkere Bindung aufgebaut hat und zum anderen hebt der Kindeswille die Autonomie des Kindes im Verfahren hervor. Da das Gesetz keine Angaben über das Mindestalter für eine Anhörung macht, ist man in der Praxis dazu übergegangen, Kinder ab drei bis vier Jahren zu hören (vgl. Grabow 2013, S. 182). Ist das Kind noch zu jung um sich selbst zu artikulieren, versucht sich das Gericht einen Eindruck zu verschaffen, indem es die Interaktion zwischen dem Kind und seiner Bezugsperson beobachtet. Von einer persönlichen Anhörung ist abzusehen, wenn die Anhörung des Kindes eine Beeinträchtigung seiner Gesundheit darstellen würde oder das Kind keine Bindung zu einem Elternteil entwickeln konnte. Die anfangs geäußerten Bedenken, dass eine Anhörung eine unzumutbare Belastung für das Kind darstellen würde, konnten nicht bestätigt werden (vgl. Grabow 2013, S. 179). Grundsätzlich unterliegt die Anhörung dem richterlichen Ermessen. Hierbei hat der Richter das Kind über den Grund, den Ablauf sowie den möglichen Ausgang des Verfahrens in einer altersentsprechenden Weise aufzuklären (vgl. Grabow 2013, S. 183 f.). (Aus Gründen der leichteren Lesbarkeit wird in dieser Arbeit nur die männliche Form verwendet). Dies setzt vielfach die Fähigkeit des Richters voraus, sich in die psychische Situation des Kindes einzufühlen. Dazu soll das Gericht eine geschützte Atmosphäre schaffen, in der das Kind seine Wünsche und Vorstellungen frei äußern kann. Allerdings darf ihm keine Entscheidung über seine Zukunft zugemutet werden.
Bei einer gerichtlichen Ausgestaltung des Umgangsrechts hat das Familiengericht den Willen des Kindes, entsprechend seines Alters, seiner Persönlichkeitsentwicklung, seiner Interessen sowie seiner Situation und der seiner Eltern abzuwägen (vgl. Schwab 2013, S. 365 f.). Dabei ist jede Entscheidung gemäß § 1697a BGB am Kindeswohlprinzip auszurichten. Allerdings sollte stets abgeklärt werden, ob der Wille aufgrund von unbewussten oder bewussten eigennützigen Interessen eines Elternteils entstanden ist, oder auf die eigene Entscheidung des Kindes zurückzuführen ist (vgl. Zimmer 2011, S. 259). Deshalb sollte das Familiengericht bemüht sein, den tatsächlichen Willen eines Kindes akribisch zu eruieren, um einer Fehlentscheidung vorzubeugen (vgl. Zimmer 2011, S. 271). Hierbei sollten Willensäußerungen zum Umgangskontakt insbesondere berücksichtigen, ob das Kind eigene Vorstellungen zur Besuchsregelung hat und wie diese konkret aussehen bzw. ob es Wünsche bezüglich der Ausgestaltung des Kontaktes hat (vgl. Westhoff et. al. 2000, S. 45). Zudem unterliegt der Kindeswille u. a. den entwicklungsbedingten Veränderungen des Kindes bzw. Jugendlichen (vgl. Schwab 2013, S. 317). Eine bewusste Ablehnung eines Umgangs kann zum einen Ausdruck eines Spannungsverhältnis elterlicher Erziehungskonflikte und zum anderen Ausdruck von Belastungen sein, hervorgerufen durch das elterliche Konfliktpotenzial.
Es stellt sich somit die Frage, warum das Kind einen Umgang mit dem Umgangsberechtigten ablehnt und welche Folgen eine Nichtbeachtung der kindlichen Willensäußerung mit sich bringen würden.
Zum Wohle des Kindes verpflichtet das FamFG verschiedene Professionen zu einer konstruktiven Zusammenarbeit (vgl. Niedersächsisches Justizministerium 2010, S. 63). Im Rahmen eines Hinwirkens auf Einvernehmen (§ 156 FamFG) unterstützt das Familiengericht die Eltern, eigenverantwortliche Konfliktlösungen zu finden und weist sie auf die entsprechenden Beratungsangebote hin oder verordnet sie. In geeigneten Fällen soll das Gericht auf die Möglichkeit der Mediation oder der sonstigen außergerichtlichen Streitbeilegung hinweisen, kann diese jedoch nicht mit Zwangsmitteln durchsetzen.
Da gerade hochkonflikthafte Eltern längere Verfahren mit entsprechend vielen beteiligten Professionen einbinden, erscheint das Hinwirken auf eine einvernehmliche Lösung schwierig (vgl. Rafi 2012, S. 141 ff.). Richter entscheiden den Konflikt per Beschluss, ohne ihn zu klären. Ihre Entscheidung stützen sie auf Gutachten, wobei sie die aktuelle Situation im Fokus haben, nicht aber den Prozess des Konfliktes. Jugendamtsmitarbeiter gestalten das Gerichtsverfahren mit und erfüllen ihre Aufgabe, Eltern und Kinder beim Umgang zu unterstützen (§ 17 Abs. 2 SGB VIII). Sachverständige stellen ihr Fachwissen zur Verfügung und sollen auf ein Einvernehmen hinwirken (§ 30 FamFG i.V.m. §§ 403, 404a ZPO) und Verfahrenspfleger werden bestellt, um die Wahrnehmung der kindlichen Interessen zu vertreten und am Verfahren mitzuwirken (§ 158 FamFG) (vgl. Rafi 2012, S. 144).
Unter der Beteiligung der o. g. Professionen ergeben sich sowohl Vor- als auch Nachteile für die am Verfahren beteiligten Personen (vgl. Rafi 2012, S. 147). Einen Vorteil bietet die Zusammenarbeit und Kooperation aller Beteiligten dann, wenn sie der frühen Positionierung entgegenwirkt und somit zu einer einvernehmlichen Entscheidung führt. Sie bildet jedoch einen Nachteil, wenn die beteiligten Professionen versuchen, den Konflikt auf ihre Weise zu klären, indem Jugendamtsmitarbeiter, Sachverständige bzw. Verfahrenspfleger sich positionieren. In diesem Fall sollte die Überlegung angestellt werden, ob es dem Kindeswohl nicht dienlicher wäre, wenn nur ein Berater bzw. Gutachter mit einem entsprechend fachlich geschultem Wissen versucht, das kindliche Leid zu eruieren (vgl. Zimmer 2011, S. 302).
Zudem zielen gerichtlich verordnete Beratungen zwar auf die Herstellung eines Umgangskontaktes ab, berücksichtigen jedoch nicht das Konfliktpotenzial (vgl. Spengler 2012, S. 43 f.). Ohne die Berücksichtigung des Konfliktpotenzials erscheint der Erfolg der Beratung jedoch nahezu aussichtslos.
Um dem Kind bei der Bewältigung der Trennungskrise zu helfen, ist es erforderlich zu verstehen, wie es dem Kind geht, welche Bedeutung es im Einzelnen der Situation beimisst und wie sich diese Ereignisse auf seine Entwicklung und seine Persönlichkeit auswirken (vgl. Figdor 2004, S. 15).
Die Krise, abgeleitet vom griechischem „crisis“, bedeutet übersetzt so viel wie Streit bzw. Entscheidung nach einem Konflikt (vgl. Filipp 2010, S. 13 ff.). Eine Krise wird bei einem bedeutsamen emotionalen Ereignis bzw. einer einschneidenden Veränderung der Lebensumstände für eine begrenzte Zeit ausgelöst. Das seelische Gleichgewicht wird gestört und auf gewohnte Bewältigungsmuster kann nicht zurückgegriffen werden. Einschneidende Lebensereignisse, wie eine T/S, rufen zudem soziale Veränderungen innerhalb der Familie hervor.
Mit dem Fortgang eines Elternteils wird dem Kind bewusst, dass die T/S ein unwiderrufliches endgültiges Ereignis darstellt, das mit dem Tod eines Elternteils vergleichbar ist (vgl. Figdor 2004, S. 28). Sie geht oftmals mit einem Verlust einer wichtigen Bindung einher (vgl. Maywald 2001, S. 156).
Mit der eigentlichen T/S der Eltern ist der jahrelang vorausgegangene konfliktreiche Prozess der Trennung nicht beendet, denn die sog. Nachtrennungsphase bringt weitere einschneidende Veränderungen mit sich, da Besuchsregeln mit dem Umgangsberechtigten ausgehandelt werden müssen und das soziale Umfeld neu strukturiert werden muss (vgl. Hötker-Ponath 2012, S. 129).
Somit erhalten die Umgangskontakte eine besondere Bedeutung, denn bei der Übergabe des Kindes kreuzen sich seine beiden Lebenswelten, was oft zu Konflikten im Familiensystem führt (vgl. Westhoff et. al. 2000, S. 72 f.). Deshalb stellen sich an dieser Stelle Fragen, unter welchen Bedingungen die Kontakte stattfinden bzw. ob die Durchführung der Kontakte mit Schwierigkeiten verbunden sind, wie das Kind diese erlebt und wie es sich nach den Besuchen verhält.
Die Konflikte der Eltern, eine Unterbrechung des Umgangskontakts sowie ein posttraumatisches Beziehungsverhältnis beeinträchtigen die Entwicklungschancen des Kindes nachteilig (vgl. Figdor 2004, S. 210 f.). Eine Extremsituation stellt dabei ein über Jahre andauernder Prozess um Umgangsregelungen dar. Während die konflikthaften Interaktionen der Eltern im Laufe der Zeit im kindlichen Gedächtnis verblassen, wirken hingegen der Kontaktabbruch zu einem Elternteil sowie gerichtliche Umgangsregelungen lange nach (vgl. Köckeritz 2004, S. 336). Rückblickend berichten T/S Kinder, dass sie den Umgangsberechtigten als einen Fremden wahrgenommen haben und sich während des Umgangskontakts wie Gäste fühlten (vgl. Beal, Hochman, 1992, S. 74). So rückte der neue Partner des Elternteils in den Mittelpunkt und drängte die Kinder ins Abseits (vgl. Beal, Hochmann, 1992, S. 40).
Abschließend ist zu ergänzen, dass T/S Kinder ein erhöhtes Risiko bezüglich einer eigenen T/S darstellen (vgl. Figdor 2004, S. 220). Als Gründe werden überdurchschnittliche Kränkbarkeit, Abnabelungsprobleme in der Pubertät bzw. Adoleszenz sowie Schwierigkeiten in Liebesbeziehungen und triangulären Beziehungskonstellationen genannt.
Um den Herausforderungen des Erziehungsalltags gewachsen zu sein, sollten Eltern zum Wohle ihrer Kinder ein gut funktionierendes Team bilden (vgl. Schneewind 2010, S. 163). Für eine gesunde Persönlichkeitsentwicklung des Kindes sollten die Eltern deshalb wichtige entwicklungsfördernde Grundvoraussetzungen wie persönliche, emotionale, soziale sowie moralische Fertigkeiten schaffen (vgl. Schneewind 2008, S. 135).
Treten anhaltende elterliche Konflikte auf, wirkt sich diese Situation negativ auf die Kinder aus und sie sind bestrebt, möglichst schnell für eine Wiederherstellung der positiven Elternbeziehung zu sorgen (vgl. Schneewind 2010, S. 165 f.). Dabei treten elterliche Konflikte in unterschiedlicher Häufigkeit und Intensität auf. Die vorherrschenden Konfliktstile zwischen den Eltern werden auf den Umgang mit dem Kind übertragen und äußern sich in elterlicher Feindseligkeit. Als Erklärung für das Ausdehnen der Elternkonflikte auf das Kind, dem sogenannten spill-over Effekt, gilt die Umlenkung des Partnerkonflikts auf die Eltern-Kind-Beziehung. Dabei übernimmt das Kind das Konfliktverhalten seiner Eltern als Verhaltensmodell. Während der Partnerkonflikte kann es u. a. zu einem unterschiedlichen Erziehungsverhalten der einzelnen Partner/Elternteile kommen. Oftmals kann der Elternteil, bei dem das Kind seinen Lebensmittelpunkt hat, kaum die kindlichen Bedürfnisse wahrnehmen und drängt es in eine Erwachsenenrolle, in der es als Gesprächspartner bzw. Partnerersatz (Parentifizierung) fungiert (vgl. Dietrich et. al. 2010, S. 22).
Vor diesem Hintergrund gleiten die Beteiligten immer tiefer in den Konflikt (vgl. Glasl 2013, S. 235). Die Dynamik bindet viel Energie und entzieht sich letztendlich jeder Vernunft. Mit jeder Eskalationsstufe treten die Konfliktpartner in rigidere Kategorien ein, die das eigene Verhalten immer stärker einengen und gleichzeitig Handlungsalternativen ausschließen. Die Konfliktpartner versuchen jeweils, die Situation für sich zu bestimmen, was letztendlich zu der Überzeugung führt, dass ein sachlicher Fortschritt nur ohne den anderen möglich ist (vgl. Glasl 2013, S. 303).
Im psychologischen Sinn wird unter einer Bindung das emotionale Band zwischen den Eltern und dem Kind verstanden (vgl. Eppel 2007, S. 89 f.). Dabei ist die Bindungsperson nicht austauschbar, da sich eine Bindung zu ihr über einen längeren Zeitraum entwickelt hat. Um die kindlichen Signale zu empfangen, muss die Bindungsperson über eine Feinfühligkeit verfügen, die kindlichen Signale wahrzunehmen und sich in die Situation des Kindes einzufühlen. Dies erfordert räumliche Nähe und die Fähigkeit, die eigenen Bedürfnisse gegen die Bedürfnisse des Kindes abgrenzen zu können (vgl. Plass/Wiegand-Grefe 2012, S. 76).
Da die T/S für das Kind eine neue, zunächst nicht einzuschätzende Situation darstellt, wird es verstärkt versuchen, die Unterstützung seiner Bindungspersonen zu suchen (vgl. Kindler/Schwabe-Hölle 2002, S. 10). Hierbei wird es mit drei Bedrohungen konfrontiert: 1. der Trennung einer Bindungsperson; 2. verminderter Verfügbarkeit der verbleibenden Bezugsperson; 3. Anpassen von Vertrautem an die neue Situation (vgl. Kindler/Schwabe-Hölle in 2002, S. 12).
Die permanenten Konflikte zwischen den Eltern lösen beim Kind Trennungsängste aus, auf die es mit einem verstärkten Bindungsverhalten (Klammern) reagiert (vgl. Dettenborn/Walter 2002, S. 43 f.). Hieraus eine sichere Bindung zu interpretieren, bedeutet, sich dem tatsächlichen Sachverhalt zu verschließen. Andererseits kann eine kindliche Kontaktverweigerung nach einer T/S nicht unbedingt mit einer Auflösung der vorhandenen Bindung interpretiert werden. Dieses Verhalten ist losgelöst von den vorhandenen Bindungen zu betrachten und stellt lediglich eine unsichere Situation dar, in der das Kind bemüht ist, sich den verfügbaren Elternteil zu erhalten und nicht durch die Nähe zum anderen Elternteil zu gefährden. Vor diesem Hintergrund erscheint es zunächst schwierig, auf den ersten Blick eine eindeutige Zuordnung zu bestehenden oder zu erhaltenden Bindungen zu treffen.
Oftmals bewerten Eltern die Verhaltensauffälligkeiten des Kindes nach dem Umgangskontakt sowie die Kontaktverweigerung des Kindes mit dem Umgangsberechtigten als eine Beeinflussung des Kindes durch den jeweils anderen Elternteil (vgl. Figdor 2004, S. 162 ff.). Eltern scheinen auf einen Anhaltspunkt einer möglichen Aufhetzung durch den Ex-Partner zu warten, um ihren aufgestauten Emotionen wie Hass, Rache und Schuldabwehr freien Lauf lassen zu können. Je aufgeklärter Eltern über ihre Wohlverhaltenspflicht sind, umso subtiler führen sie den Kampf um die Zuneigung und Loyalität des Kindes (vgl. Figdor 2004, S. 165).
Dabei stellt eine Umgangsverweigerung seitens des Kindes nicht zwingend einen beeinflussten Willen dar, sondern kann auch Ausdruck einer Bewältigung von Belastungen sein, hervorgerufen durch das elterliche Konfliktpotenzial (vgl. Köckeritz 2004, S. 332).
[...]