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Bachelorarbeit, 2015
46 Seiten, Note: 1
1. Einleitung
2. Bedeutung des Abendmahls
2.1. Die Suche nach Wahrheit und Heilsgewissheit
2.2. Luthers Abendmahlsverständnis
2.3. Die Bedeutung des Worts
2.4. Was ist ein Sakrament?
2.5. Entwicklung des Abendmahlsverständnisses
2.6. Unterschiede zwischen den Reformatoren
3. Biographischer Überblick zu Karlstadt
4. Karlstadts Verhältnis zu Luther
5. Theologische Position und Kirchenverständnis Karlstadts
6. Von dem widerchristlichen mißbrauch des hern brodt vnd kelch.
6.1. Warum wurde diese Schrift gewählt
6.2. Zeit/Ort und Anlass
6.3. Literarische Gestalt
6.4. Aufbau
6.4.1. Einleitung
6.4.2. Ob das Sacrament die sünde vergäbe.
6.4.2.1. Verkündigung des Todes des Herrn
6.4.2.2. Was gedechtnüs sey.
6.4.2.3. Unwürdigkeit
6.4.3. Das sacrament ist kein Arrabo / Arra/Pfandt/oder gottispfennig.
7. Nachwirkungen
8. Resümee
9. Literaturverzeichnis
Im Abendmahlsstreit mit Karlstadt[1] geht es grundlegend nicht um Verfahrens- oder Liturgiefragen einer Abendmahlsfeier. Es geht vielmehr um das Verständnis von Gott, Christus und dem Menschen. Von Wort, Sünde, Glaube und Rechtfertigung. Das Abendmahl ist wie ein Fokalpunkt, in dem alle diese Fragen mitbedacht werden müssen. Die zentrale Frage lautet dabei schlicht und ergreifend: Wie kommt Gott zum Menschen?
Meine These, die ich im Zuge der Arbeit entwickelt habe, ist, dass Luther hart bleiben musste, denn Karlstadts Verständnis war zu radikal und war gegen alles, wofür Luther stand. Der Streit war aber nicht nur eine politische Machtfrage, es ging in der Tat um die Suche nach der Wahrheit und der Heilsgewissheit. Und es ging um ein Absichern der noch jungen und keinesfalls sicheren Reformation. Karlstadts Position und sein Vorgehen hätten das junge Pflänzlein vielleicht sehr schnell verdorren lassen. Letztlich hatten beide Positives im Sinn, denn das Abendmahl war gerade zu der Zeit, als die Menschen verzweifelt mit der Schuld und ihrer Vergebung kämpften, ein theologischer aber auch weltlicher Lebensmittelpunkt. Man denke nur an das Ablassunwesen, das auf dem Nährboden dieser Heilsungewissheit und der Furcht vor einem abgewandten Gott gedeihen konnte. Oder Luthers Kampf mit dem Bösen und seiner Suche nach dem gnädigen Gott.
Karlstadt und Luther, alte Weggefährten und Freunde, gingen lange einen gemeinsamen Weg und Karlstadts Abendmahlsverständnis wäre unter Umständen für Luther noch akzeptabel gewesen, wenn Karlstadt an einem bestimmten Punkt seiner Argumentation stehen geblieben wäre. Dies ist jedenfalls eine der Schlüsse, die ich aus der Bearbeitung der Quelle ziehe.
Karlstadt scheint mir einer der letzten Fälle einer damnatio memoriae[2] zu sein, denn es gibt vergleichsweise wenig Literatur über ihn, somit besteht die Gefahr einer zu geringen Diversifikation von Meinungen und Forschungsergebnissen. Aber dieses Wagnis will und muss eingegangen werden, will man sich an das Karlstadt’sche Abendmahlsverständnis heranwagen.
Den von mir für diese Arbeit gewählten Quellentext zitiere ich aus der Version von 1524[3]. Da in diesem Text eine für unsere Ohren nicht mehr ganz geläufige Sprache gesprochen wird, habe ich eine Übertragung in heutiges Deutsch vorgenommen, die aber keinen Anspruch auf Korrektheit erhebt. Diese Übertragung soll nur der besseren Verständlichkeit dienen.
Karlstadt’s Zitate aus der Bibel habe ich nicht selbst übertragen, sondern aus der Luther-Übersetzung 1984 entnommen.
Was hat es mit dem Abendmahl auf sich? Warum entzündeten sich im Laufe der Geschichte immer wieder die Gemüter und mitunter auch die Scheiterhaufen an ihm? Zu beinahe allen Zeiten streiten Theologen in diesem einen zentralen Punkt des Christentums.
Die Bedeutung des Abendmahls wird noch offensichtlicher, wenn man sich vor Augen hält, dass es in den reformatorischen Kirchen nur zwei Sakramente gibt: Die Taufe und das Abendmahl. Diese beiden Sakramente werden von vielen Theologen als heilsnotwendig angesehen, ebenso wie die Wortverkündigung. Begründet wird das mit dem Neuen Testament:
- Das Abendmahl schenkt, wie die Taufe, die Sündenvergebung (Mt 26,28),
- bei ihm gibt es Fleisch und Blut Christi (1Kor 11,24f; Mk 14,22ff), welches für die Gläubigen gegeben wurde.
- Das Abendmahl vergewissert den Bund, der durch Christi Tod gestiftet wurde (1Kor 11,25; Mk 14,24).
- Es nimmt das Eschaton vorweg (1Kor 11,26; Mk 14,25) und schließlich
- verleiht es schon jetzt das ewige Leben (Joh 6,54).
Alle Reformatoren, sowohl Luther, die Schweizer, die Straßburger als auch Karlstadt, waren sich mit ihrer Kritik am Messopfercharakter des Abendmahls einig. Es ist allein die Deutung des Verhältnisses zwischen den Elementen und Jesus, die die Differenz und die Trennung über die Jahrhunderte begründete[4].
Für die Arbeit soll Luthers Position als Ausgangspunkt herangezogen werden, denn um eine deskriptive und vergleichende Darstellung zu machen, braucht man einen Referenzpunkt auf den hin man alles vergleicht. In diesem Fall sind das Luther und sein sich im Lauf der Zeit entwickelndes Abendmahlsverständnis. Nachdem sich Luther vom katholischen Abendmahlsverständnis entfernt hat, war es Andreas Rudolff Bodenstein, genannt Karlstadt[5], der ihn als erstes herausforderte.
Kennzeichnend für Luthers Abendmahlsverständnis ist die Realpräsenz im Vollzug: Christus ist in Brot und Wein real gegenwärtig, die Elemente sind realer Leib und reales Blut Christi. Die Ausrichtung auf eine rein innere Geisteserfahrung, wie es für Karlstadt kennzeichnend war, sah Luther als eine Gefahr an. Für Luther war klar, dass nur etwas, das von außen kommt, Heilsgewissheit geben kann. Brot und Wein stehen gerade deshalb für diese so wichtige Externität[6].
Während Luther also von der Realpräsenz Christi im Abendmahl ausgeht, vertritt Karlstadt die Position, das Abendmahl sei ein Gedächtnismahl, der Geist werde ohne Wort und Sakrament unmittelbar gegeben. Er vertritt somit ein spiritualistisches Abendmahlsverständnis.
Als sogenannte Buchreligion hat das Wort eine herausragende Bedeutung für das Christentum; jedenfalls seit der Reformation und speziell für die reformatorischen Kirchen. Sie „verstanden [und verstehen, Einf. DB] ihre Existenz wesentlich von der Wortbedingtheit des Evangeliums her, was für sie das Verständnis der Sakramentsbezogenheit der Kirche einschloss.“[7] Man denke in diesem Zusammenhang auch nur an den reformatorischen Grundsatz der sola scriptura.
Dem Wort kommt nicht eine hohle, beliebig ersetzbare Summe von Frequenzen gleich. Es ist vielmehr heilskräftig (1Kor 1,18; 2,4; Röm 1,16). Besonders deutlich wird die Bedeutung des Wortes in Joh 1,1:
Joh 1,1: Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort.
Diese Fokussierung auf das Wort ist gut alttestamentarisch. Man denke nur an die vielen יְהוָה֙וַיְהִי֙ דְּבַ֣ר, also die „das Wort Gottes geschah...“. Da sich Gott in der Geschichte mehrmals dem Menschen mittels seines Wortes zugewandt hat und die Heilige Schrift als Wort Gottes in den reformatorischen Kirchen von solcher zentralen Bedeutung ist, kommt auch dem Wort im Zusammenhang mit dem Abendmahl eine besondere und jedenfalls beachtenswerte Bedeutung zu. Das geht sogar so weit, dass es im Zuge des Abendmahlsstreits der Reformatoren immer wieder „um nur ein Wort“ und dessen Interpretation gehen wird.
Für Luther ist das Wort Gottes nicht nur des Menschen Weg zur Gerechtigkeit, sondern das Mittel, das Gott nutzt, um den Menschen zu rechtfertigen. Damit war die Frontlinie in der Auseinandersetzung zwischen Luther und Zwingli, der von Karlstadt beeinflusst wurde und de facto Karlstadts Position erbte, gezogen. Zwingli betonte bis 1529 stets, dass die einzige Gnadengabe Gottes nicht das Sakrament als solches, sondern Jesus Christus als der Christus pro nobis sei. Selbstverständlich erwuchs auch für Zwingli der Glauben aus dem Wort. Aber Predigt des Wortes und Austeilung des Sakraments bezeugen das Heil. Die Vergegenwärtigung geschieht hingegen durch den Heiligen Geist.[8]
Nach lutherischem Verständnis ist schon das Wort etwas Sakramentales. Mehr noch, auch die Sakramente sind ein Wortgeschehen. Nach CA VII versteht sich die lutherische Kirche als die Kirche, in der die Sakramente dem Evangelium gemäß gereicht werden.
CA VII: „[...] welche ist die versamlung aller gleubigen, bey welchen das Evangelium rein gepredigt und die heiligen Sacrament laut des Evangelii gereicht werden. […]“[9]
In CA XIII wird von den Lutherischen festgehalten, dass die Sakramente nicht nur äußerliche, einen Christen kenntlich machende Zeichen sind, sondern es sind vielmehr wirksame Zeichen und Zeugnisse göttlichen Willens. Sie sollen den Glauben wecken und stärken. Gleichzeitig fordern die Sakramente aber Glauben, da nur durch den Glauben die Sakramente richtig gebraucht werden:
CA XIII: „Vom brauch der Sacrament wirt geleret, das die Sacrament eingesatzt sind nicht allein darümb, das sie zeichen sind, dabey man eusserlich die Christen kennen möge, sondern das es zeichen und zeugnus sind Göttlichs willens gegen uns, unseren glauben dadurch zuerwecken und zu stercken, derhalben sie auch glauben foddern und denn recht gebraucht werden, so mans im glauben empfahet und den glauben dadurch sterckt.
Darümb werden die jehnigen verworffen, so leren, die Sacrament machen dazu gerecht ex opere operato, one glauben und leren nicht, das dieser glaub dazu gethan sol werden, das zu vergebnung der sund angeboten werde, welche durch glauben, nicht durchs werck erlangt wirt.“[10]
Eine – fast schon typisch lutherische – Parallele zur bekannten Aussage in der Freiheitsschrift:
„Eyn Christen mensch ist eyn freyer Herr über alle ding und niemandt unterthan.
Eyn Christen mensch ist eyn dienstpar knecht aller ding und yderman unterthan.“[11]
Bezeichnend ist, dass CA XIII, immerhin mehr als ein halbes Jahrzehnt nach dem Abendmahlsstreit mit Karlstadt, seine Position in keiner Weise rezipiert und nur eine Polemik gegen die katholische Position des ex opere operato ist. Hier kommt vom lutherischen Standpunkt aus gesehen ein klarer Kontrast zu Karlstadts Position heraus: mit CA XIII wird klar, dass das Reichen der Sakramente so zu erfolgen hat, wie es in den Evangelien geschrieben steht; das Wort hat also eine wesentliche Bedeutung.
Nach dem bisher Ausgeführten ist klar, dass das Abendmahl ein Sakrament ist, jedenfalls aus lutherischer Sicht. Was versteht man also unter Sakrament?
Laut Duden bedeutet Sakrament von seiner Herkunft her entweder Geheimnis oder „Treueeid“, bzw. etwas das man seiner „Gottheit weiht“, es wird aber auch als „von Jesus Christus eingesetzte zeichenhafte Handlung, die in traditionellen Formen vollzogen wird und nach christlichem Glauben dem Menschen in sinnlich wahrnehmbarer Weise die Gnade Gottes übermittelt“[12] definiert. Als Geheimnis, als Mysterion, wurde es in der Alten Kirche verstanden[13] ; auch Luther hielt schließlich an dieser Bedeutung des Begriffs fest. Nach Augustinus ist das Sakrament ein sichtbares Wort: wenn das Wort zum Element tritt, dann entsteht nach Augustinus das Sakrament. Im Streit mit den Donatisten vertritt Augustinus die Meinung, dass die Wirkung des Sakraments nicht vom Lebenswandel bzw. von der Würdigkeit des Spenders abhängig ist. Es geht also klar um die Worthaftigkeit des Sakraments[14]. 1520 führt Luther in seiner Schrift „De captivitate Babylonica“[15] aus, dass ein Sakrament dadurch gekennzeichnet sei, dass sich ein äußerlich sichtbares Zeichen mit einem Verheißungswort (promissio) in dem Sakrament verbindet. Das bedeutet also: ein Sakrament ohne Wort ist kein Sakrament. Heute verstehen wir unter der Wirkung des Sakraments die „Vermittlung der Gemeinschaft mit dem in Jesus Christus offenbaren Gott, wie der Geist sie bewirkt und der Glaube sie wahrnimmt.“[16]
Somit ist m.E. die Definition von Sakrament als Mysterion, als Geheimnis, eine sehr gute, denn rational zu fassen ist diese Vermittlung der Gemeinschaft mit Gott nicht.
Der Begriff „ Sakrament “ wird im Verlauf der Arbeit noch eine wichtige Rolle spielen. In welcher Form ihn Karlstadt verstanden hat, hat sich mir nicht erschlossen. Ich vermute fast im katholischen Sinne (siehe Fußnote 12). Dies würde jedenfalls seine Reaktionen und Argumentationen besser verständlich machen und ich denke, historisch gesehen würde das auch Sinn ergeben. Letztlich spielt das allerdings keine Rolle, weil er das Sakrament sowieso ablehnte; zumindest im Zusammenhang mit dem Abendmahl.
Um die Tragweite des Abendmahlsstreits besser verstehen zu können, muss man sich vergegenwärtigen, dass sich die Menschen jener Zeit davor ängstigten, einen Fehler bei der würdigen Begehung des Sakraments und der sich ereignenden Begegnung mit Christus zu machen. Es war nicht nur eine „normale“ Angst, es war die Angst um das ewige Verlorensein, ein ewiges Leben im Folter und Schmerz verursachenden Fegefeuer.
Erstmals hat Johannes von Damaskus (650–ca. 754) innerhalb der Kirche die Lehre von der Verwandlung von Brot und Wein in Leib und Blut Christi vertreten. Er ist somit ein Vertreter der Strömung einer realistischen Abendmahlslehre. Demgegenüber stehen die Vertreter der symbolisch-spiritualistischen Lehre wie Cyprian (200–258) und Clemens von Alexandrien (ca. 150–215) bzw. Origenes[17] (185–254)[18]. Die realistische Abendmahlsauffassung wurde beim 4. Laterankonzil (1215) mit der Lehre von der Transsubstantiation dogmatisiert. Dabei wird Brot und Wein durch eine Wesensverwandlung eines Priesters[19] in Fleisch und Blut Christi verwandelt[20].
Das reformatorische Heilsmittelverständnis[21] unterscheidet sich von jenen des Mittelalters in folgenden Punkten:
1. Die Verkündigung ist selbst Heilsmittel.
2. Das Wort ist seinerseits Kern und Stern des Sakraments, aber kein Auslöser für einen Automatismus, da Sakramente nur dem das Heil vermitteln, der ihrem Wort glaubt. Sakramente wirken also nicht schon allein dadurch, dass man sie vollzieht – ex opere operato, wie in der röm.-kath. Kirche –, sondern durch den Glauben – das gut reformatorische sola fide – an das Wort.
3. Die Zahl der Sakramente wird auf die, die Christus eingesetzt hat, also auf drei[22], reduziert.
So bleiben als Heilsmittel die Verkündigung und die drei Sakramente Taufe, Absolution und Abendmahl, wobei die Absolution/Beichte in späterer Folge im liturgischen Gebrauch zurücktritt und mit dem Abendmahl „kombiniert“ wird.
Man kann sich heute kaum mehr vorstellen, dass es wegen des Abendmahls zu Streitigkeiten, ja zu gegenseitigen Verwünschungen und Verdammungen unter den Reformatoren gekommen ist. Auf beiden Seiten, die Lutheraner auf der einen und die Karlstadtianer und in deren Gefolge die Schweizer Reformatoren auf der anderen Seite, verhärteten sich die Fronten zusehends.
Hier möchte ich kurz auf die Positionen Luthers und Zwinglis eingehen. Zwar fand die Auseinandersetzung zwischen den beiden zu einem Zeitpunkt statt, zu dem sie mit Karlstadt schon ausgestanden war; Karlstadt hatte seine Thesen längst widerrufen. Dennoch, zur Erhellung der Sachlage passt es an dieser Stelle recht gut, da Zwingli wesentlich von Karlstadt beeinflusst war und sozusagen als sein geistiges Kind in dieser Frage gelten kann.
Bei den Marburger Religionsgesprächen 1529 konnten sich Luther und Zwingli in 14 von 15 Punkten einigen, und man war auf Seiten der Politik zuversichtlich, die protestantischen Reihen gegen die Katholiken schließen zu können. Doch zu früh gefreut. Eine Einigung scheiterte am letzten Punkt, der Frage nach dem Verständnis und der Bedeutung des Abendmahls. Die Streitigkeiten wurden mit einer Verve geführt, die man sich heute kaum mehr vorstellen kann. Dennoch hatten beide Seiten nur das eine im Blick: Die Wahrheit und die Heilsgewissheit. Eine Einigung wäre überraschenderweise noch möglich gewesen. Die Lutheraner boten als Kompromiss sogar noch eine Formel an: „ Leib und Blut Christi sind wahrhaftiglich im Abendmahl gegenwärtig “[23]. Zwingli hätte auch angenommen. Mehr noch, Johannes Oekolampad (1482–1531) gestand später sogar, dass es gar keiner Formel bedurft hätte, sie hätten unbeschadet der verschiedenen Ansichten mit den Lutheranern zusammengehen können.
Doch es war der gewieften Propaganda der Katholiken um Johannes Eck (1494–1554) zu „verdanken“, dass es anders kam. Eck suchte aus politischen Gründen einen Keil zwischen die beiden Reformatoren zu treiben. Er nutzte geschickt die Wesensunterschiede zwischen Luther und Zwingli aus. Luther wollte so wenig wie möglich ändern, nur das Nötigste. Er lebte in einem hierarchischen, monarchistischen System und war dies und nichts anderes gewohnt. Der unabhängige, freie Schweizer und mit Erasmus von Rotterdam (geistig) verbundene Humanist Zwingli hingegen wollte so viel wie möglich ändern. Eck verketzerte Zwingli und betonte, dass die lutherische Sicht die bei weitem bessere sei, weil katholischer. Diese Meinung verbreitete sich im Volk und so konnte Zwingli schließlich nicht der lutherischen Formel zustimmen. Er fürchtete schlicht um die Erfolge seiner Reformation, wenn er mit einer Einigung mit den Lutherischen aus Marburg zurückkehrt[24]. Ecks Winkelzüge zeigten Wirkung und der Keil bestand mehr oder weniger ausgeprägt bis 1973.
Während sich also im Laufe der Diskussionen als theoretisches Gebilde auf der lutherischen Seite die Realpräsenz durchsetzt[25], so ist auf der reformierten Seite das Abendmahl im strengen Sinne kein Heilsmittel. Es spendet kein Heil, sondern es erinnert und versichert[26].
CA X: Von dem Abendmal des Herrn wirt also geleret, das warer leib und blut Christi wahrhafftiglich unter gestalt des brods und weins im Abentmal gegenwertig sey und da ausgeteilt und genommen wirt. Derhalben wirt auch die gegenlahr verworfen.[27]
Und dieser kirchentrennende Unterschied zwischen den vielen Kirchen auf Basis der Schweizer Reformatoren einerseits und den Lutheranern andererseits blieb – wie bereits o.a. – bis 1973[28] mehr oder wenig bestehen. Er beruhte im Kern „nur“ auf dem exegetischen Unterschied eines Wortes: τοῦτό in 1Kor 11,24. Die „Kirchenspaltung“ lässt sich somit auf die Frage, wie das zu übersetzen bzw. zu interpretieren sei, zusammenfassen. Sollte man es
- als „ dies ist “, wie es von Luther tat und dabei auf das Brot weisend oder
- als „ das bedeutet “, auf Jesu eigenen Leib weisend, wie es die Reformierten – als erstes Zwingli – nach dem Vorbild Karlstadts taten lesen?[29]
Wie aber kam Karlstadt auf diese Idee? Die Zeit der Reformation war auch die Zeit des aufstrebenden Humanismus und der Ad-fontes-Bewegung. Als solche gab es neue philologische Bestrebungen und man sah anders auf überlieferte Texte. Die philologischen Überlegungen[30] führen bei Karlstadt dazu, „eine spiritualisierte Deutung der Begegnung mit Christus in den Vordergrund zu stellen, die gar die Notwendigkeit der Einnahme des Abendmahls in Frage stellte.“[31]. Was – wie bereits erwähnt – heute nicht nachvollziehbar scheint, liegt an diesem einen Wort und seiner Interpretation. Wozu das gedanklich führte, ob die Einnahme des Abendmahls überhaupt notwendig ist, ist im Gegenzug dazu auch für uns Menschen des 21. Jahrhunderts verständlich und nachvollziehbar.
Aus dem oben Ausgeführten zum Wort (cf. 2.3) geht hervor, wie wichtig das Wort an sich ist. Somit sollte es für uns ein wenig besser nachvollziehbar sein, warum mit solcher Inbrunst gestritten wurde. Nicht der Rechthaberei wegen, sondern einzig und allein der Suche nach der Heilsgewissheit, der Suche nach der Wahrheit willen.
[...]
[1] Der erste Abendmahlsstreit war im 9., der zweite im 11. Jh.
[2] Hier mehr im Sinne eines Analogieschlusses denn als effektive damnatio gemeint.
[3] Downloadbar auf der Seite der Österreichischen Nationalbibliothek unter http://data.onb.ac.at/ABO/%2BZ184764909
[4] Vgl. Leppin, Volker: Das Ringen um die Gegenwart Christi in der Geschichte. in: Abendmahl, hg. von Hermut Löhr et al., Themen der Theologie, Bd. 3, Mohr Siebeck, Stuttgart, 2012, 95–136, 119.
[5] Im weiteren Verlauf dieser Arbeit werde ich Bodenstein nur mehr Andreas Karlstadt nennen. Unter diesem Namen (dem Namen seines Heimatortes), ist er gemeinhin bekannt.
[6] Vgl. Bühler, Pierre: Der Abendmahlsstreit der Reformatoren. ThZ 35, 1979. 228–241.
[7] Iserloh, Erwin: III/3. Reformationszeit, Art. Abendmahl, in: TRE, 1, 1995, 43–229: 107,4–7.
[8] Vgl. Iserloh, Erwin: III/3. Reformationszeit, Art. Abendmahl, in: TRE, 1, 1995, 43–229: 107,26–38.
[9] BSELK, 63–225: 102,8–10 (BSLK 61).
[10] BSELK, 63–225: 108,1–10 (BSLK 68).
[11] WA 7, 12–38: 21,1–4.
[12] Vgl. Duden-online: Sakrament, Bibliographisches Institut – Dudenverlag, http://www.duden.de/node/640427/revisions/1388903/view [aufgerufen am: 07. April 2015]. Vor allem in der katholischen Kirche wird mit Sakrament auch das Mittel, also z.B. die Hostie, verstanden, mit dem das Sakrament gespendet wird. Dieser Definition schließe ich mich – nicht nur aus konfessionellen Überlegungen – nicht an.
[13] Vgl. Stephan, Horst: Glaubenslehre : Der evangelische Glaube und seine Weltanschauung. Töpelmann, Gießen, 2. Aufl. 1927, 220.
[14] Vgl. Köhler, Walther: Von den Anfängen bis zur Reformation. Bd. 1. Dogmengeschichte als Geschichte des christlichen Selbstbewußtseins, Niehans, Zürich, 3. Aufl. 1951, 206f.
[15] Vgl. WA 6, 484–573.
[16] Wenz, Günther: II. Systematisch-theologisch, Art. Sakramente, in: TRE, 29, 1998, 663–703: 691,6–8.
[17] eigentlich Ὠριγένης, also Horigenes, somit bedeutet sein Name „von Gott Horus Stammender“
[18] Vgl. Köhler, Walther: Von den Anfängen bis zur Reformation. Bd. 1. Dogmengeschichte als Geschichte des christlichen Selbstbewußtseins, Niehans, Zürich, 3. Aufl. 1951, 215 ff.
[19] Der Priester, als eine von der Masse der „normalen“ Gläubigen herausgehobene Person, nimmt als Mittler zwischen der jeweiligen Gottheit und den Menschen eine besondere Rolle ein. So gesehen sind Priester dem reformatorischen Verständnis nach fremd; es braucht keinen Mittler zwischen dem Gläubigen und Gott. Das aber wiederum, vor dem Hintergrund des reformatorischen Ansatzes des Priestertums aller Gläubigen, wirft ein interessantes Licht: Alle Protestanten sind diesem Grundsatz nach Priester, gleichzeitig verneint der Protestantismus aber die Existenz von so etwas wie Priestern. Ein interessantes – ich würde fast sagen gut-lutherisches – Paradoxon, auf das hier aber leider nicht weiter eingegangen werden kann.
[20] Vgl. Köhler, Walther: Von den Anfängen bis zur Reformation. Bd. 1. Dogmengeschichte als Geschichte des christlichen Selbstbewußtseins, Niehans, Zürich, 3. Aufl. 1951, 314.
[21] Vgl. Pöhlmann, Horst Georg: Abriss der Dogmatik : Ein Kompendium. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh, 6. Aufl. 2002, 302.
[22] Zu den Sakramenten tritt die Verkündigung als Heilsmittel hinzu, ohne nun dezidiert als Sakrament bezeichnet zu werden.
[23] Köhler, Walther: Luther und Zwingli. ZThK 6/33, 1925. 454-472: 469. Es wurde hier von reformierter Seite eingewandt, dass man nicht wisse, was unter „wahrhaftiglich“ zu verstehen sei. Und in der Tat scheint dies eine interessante Wortschöpfung der Lutheraner zu sein, ein Wort, das man als Variable sehen könnte. Sozusagen ein fast schon gleichzeitig spitzbübischer wie verzweifelter Schachzug, ja vielleicht sogar eine Finte, die aber letztlich nicht erfolgreich war.
[24] Vgl. Köhler, Walther: Luther und Zwingli. ZThK 6/33, 1925. 454-472: 467–470.
[25] Vgl. CA X – Brot und Wein SIND Fleisch und Blut Christi; Christus ist beim Abendmahl REAL ANWESEND
[26] Vgl. Heidelberger Katechismus, Frage 75.
[27] BSELK, 63–225: 104,8–10 (BSLK 64).
[28] Abschluss der Leuenberger Konkordie am 16. März 1973, der die Trennung der reformatorischen Kirchen beendet. Seither gilt Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft zwischen den Mitgliedskirchen, ebenso werden gegenseitig Ordination und Ämter anerkannt.
[29] Es sei allerdings angemerkt, dass die Schweizer unter Zwingli ein mehr signifikantes Verständnis hatten, während Karlstadt – in einem Rückgriff auf seine Vergangenheit als Mystiker? – ein spiritualistisches hat. Dennoch kann er m.E. mit Fug und Recht als Wegbegleiter des reformierten Abendmahlsverständnisses bezeichnet werden.
[30] Im Wesentlichen, ob mit „dies ist mein Leib“ das Brot oder der Körper Jesu gemeint ist.
[31] Leppin, Volker: Das Ringen um die Gegenwart Christi in der Geschichte. in: Abendmahl, hg. von Hermut Löhr et al., Themen der Theologie, Bd. 3, Mohr Siebeck, Stuttgart, 2012, 95–136, 120.