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Bachelorarbeit, 2018
51 Seiten, Note: 2,3
Einleitung
1. Forschungsproblem
1.1. Forschungsstand
1.1.1. Merkmale des plattformbasierten Geschaftsmodells
1.1.2. Die Arbeits- und Beschaftigungsverhaltnisse
1.1.3. Solidarisierung der FahrradkurierInnen
1.2. Forschungsfrage Theoretischer Rahmen und Vorgehensweise
2. Die Arbeitsbeziehungen als Forschungsfeld
2.1. Mobilisierungstheorie
2.1.1. Das disruptive Potenzial assoziativer Macht
2.1.2. Auswahl und Anwendung des theoretischen Rahmens
2.2. Vorgehensweise Erklarungen zur Organisationsfahigkeit von FahrradkurierInnen
3. Merkmale der selbstorganisierten Bewegung
3.1. Betriebsratsgrundung und die Rolle der Gewerkschaften
3.2. Basisgewerkschaften als zugangliche Alternative
Fazit
A Abkurzungsverzeichnis i
B Empirisches Datenmaterial: Fokusgruppe und Stellungnahmen
C Erklarung zur Prufungsleistung
In Hinblick auf die defizitaren Beschaftigungsverhaltnisse von Fahrradkurieren, liegt es in deren Interesse den Organisationsgrad strategisch zu erhohen damit soziale Absicherung und faire sowie wertgeschatzte Arbeit nicht nur Fahrradkuri- erlnnen gewahrt wird, sondern auch in anderen Tatigkeitsfeldern einen hoheren Stellenwert einnimmt. Wenn die in der Gig-Okonomie auf Abruf arbeitenden FahrradkurierInnen strukturell bedingt weder uber Mitbestimmung noch uber eine Interessenvertretung verfugen, dann ergeben sich Handlungsspielraume in Bezug auf die Selbstorganisation.
Diese Arbeit bezieht sich auf die Mischformen traditioneller gewerkschaftlicher Praktiken und alternativen gewerkschaftsahnlichen Organisationsformen. In- wiefern es gelingen kann eine gemeinsame Identitat und Representation zu en- twickeln ist dann ein wesentlicher Aspekt, wenn es darum geht sich als Arbeit- skrafte mit prekaren Arbeitsbedingungen zu organisieren. Die Phasen der Selbstorganisation werden mit organisierungstheoretischen Ansatzen unter Beruck- sichtigung des Konzepts der Organisationsmacht erklart. Der empirische Teil um- fasst die Ergebnisse eines Fokusgruppen-Gespraches und gewerkschaftliche Posi- tionierungen. Unter diesem Gesichtspunkt ist es aus wissenschaftlicher wie gesellschaftlicher Perspektive relevant den Organisationsprozess von Fahrradkuri- erInnen anhand organisierungstheoretischer Ansatze aus den Arbeitsbeziehungen und der materialistischen Organisationssoziologie empirisch zu untersuchen.
Die Fortschritte in der digitalen Vernetzung, technologische Neuerungen und die durch Finanzialisierung vorangetriebene Bereitstellung von Risikokapital (Heires, Nolke 2011) haben in jungster Zeit das Aufkommen und den Aufstieg von Unternehmen in der Plattformokonomie befordert (Srnicek 2017).
Die Spezifitat plattformbetreibender Unternehmen liegt in der vereinfachenden, nutzerfreundlichen sowie transparenten Vermittlung von Dienstleistungen.
Als Intermediare mit einer eigenentwickelten sozio-technischen Infrastruktur, die die FahrradkurierInnen und die Smartphone-Anwendung einschlieBt, ubernehmen Lieferdienste die ortsabhangige Koordination in mindestens bilateralen Markt- strukturen (Dittmann, Kuchinke 2015; Healy et al. 2017; De Stefano 2016: 3). Deliveroo, Foodora und Lieferando (s. Tabelle) stehen im Zentrum des Forschungsproblems, da sie einen Einfluss auf die Arbeitsbeziehungen in der deutschen Plattformokonomie haben. Im weltweiten Umsatzvergleich belegt Deutschland den zwolften Platz (134 Mio. €) unter den Online-Lieferdiensten (Statista 2018, Platform-to-Consumer Delivery). Das jahrliche Umsatzwachstum betragt 5,1%. Im Wettbewerb um die Vormachtstellung investieren die Dachfirmen der Essenslieferdienste jahrlich zwischen circa 78,0 und 93,4 Millionen in Werbung. Die Ausgaben fur das Marketing haben eine steigende Tendenz (Gassmann 2018).
Tabelle: Kennzahlen der Lieferdienste
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Gassmann 2018, eigene Darstellung: approximierte Angaben.
Plattformbasierte Dienstleistungen sind ein profitables Geschaftsmodell fur Holding-Gesellschaften als borsennotierte Unternehmen. Ein solches Dachunternehmen ist unter anderem Delivery Hero und damit ein spekulativer Anreiz fur Startup-Investoren wie Fidelity und T. Rowe Price:
Die Berliner Firmen Hello Fresh [...] und Delivery Hero (Lieferheld) zahlen mit ihrer Bewertung von 2,9 Milliarden bzw. 3,1 Milliarden US-Dollar zu den „deutschen Einhornern“. Lieferando gehort zum niederlandischen Unternehmen (Takeaway.com) mit elf verschiedenen Lieferdiensten.“
(Schmidt 2017: 20)
Im Grunde genommen arbeiten die KurierInnen bei Foodora angestellt und bei Deliveroo selbststandig, obwohl sich dies nicht verallgemeinern lasst, da auch gemischte wechselhafte Beschaftigungsverhaltnisse moglich sind. Uber die Smartphone-App erhalten die FaharradkurierInnen Auftrage, Bestellungen von Kunden an kooperierenden Restaurants abzuholen und an den Endkunden auszuliefern (s. Abb.). Die Plattformen vermitteln zum einen gegen eine Provision Restaurants an die Endkunden und stellen zum anderen eigene FahrerInnen zur Auslieferung zur Verfugung, wofur die Endkunden eine fixe Liefergebuhr entrichten (Leist et al. 2017: 11).
Abbildung: Grundsatzliche Funktionsweise einer Online-Bestellplattform
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Schreyer, Schrape 2018: 15.
Mittels kundenzentrierter Werbestrategien, der Gemeinschaftsorientierung in der AuBendarstellung und der Kontrolle durch die Auswertung plattformbasierender Daten, streben Plattformunternehmen die Marktfuhrung in einem bestimmten Marktsegment an (Dolata 2017). Ein weiteres zentrales Merkmal ist der niederschwellige Zugang, sowohl aus Sicht der Nutzer den Bestellungsprozess betreffend, als auch seitens der Arbeitskraftanbietenden, die auBer der Einwilligung der Allgemeinen Geschaftsbedingungen, lediglich einen Account auf der Plattform erstellen mussen. Ahnlich wie auch andere Formen prekarer Arbeit, wie im Falle atypische Beschaftigungsverhaltnisse, gibt es zweifellos auch in der plattformbasierten Arbeit einige sozialpolitische Schwachstellen, vor allem Gesetzeslucken in der rechtlichen Fassung arbeitnehmerahnlicher Personen.
Das Nachhaltigkeitsversprechen von Plattformunternehmen gesellschaftliche Ver- antwortung zu tragen, respektive einer Corporate Social Responsibility (CSR), endet spatestens dann, wenn es um nachhaltige Arbeitsbedingungen geht.
Die Plattformunternehmen machen sich die legale Grauzone zunutze, indem sie rechtliche Regularien umgehen und sich so strategische und finanzielle Vorteile verschaffen, woran grundsatzlich nichts neu ist (Vandaele 2018:9).
Zum AusmaB plattformbasierter Arbeit lassen sich kaum wissenschaftliche Beitrage finden, noch weniger landerubergreifende Studien, wenn man berucksichtigt, dass die meisten Plattformunternehmen multinational operieren. Die vorhandene Datengrundlage stoBt mitunter an ihre Grenze, sodass die bisher gering an der Zahl befindlichen empirischen Erhebungen unausweichlich sind (Heiland 2018: 137). Daruber hinaus beziehen sich wirtschaftswissenschaftliche und arbeitsrechtliche Beitrage nicht auf einzelne Branchen und Tatigkeitsfelder, sondern bilden angesichts der Entwicklungen erste differenzierende Typisierungen. AuBerdem stellen sie arbeitsrechtliche Bezuge her, besonders in Hinblick auf arbeitnehmerahnliche Personen und Selbststandige (Eichhorst, Spermann 2015).
Unterschieden wird unter anderem zwischen Gig Work, Auftragen auf Nachfrage beispielsweise in Form einer Haushaltsdienstleistung als „einzelner Auftritt“ (Performance) und Crowd Work, der Auslagerung von Einzelauftragen, besonders im kreativ-digitalen Bereich (Al-Ani, Stumpp 2015; Leist et al. 2017).
In Anlehnung an nicht-digitale Industrien wie im Fordistischen Akkumulationsregime, stellen Hausarbeit und eine in kleine Arbeitsschritte gegliederte Produktionsweise keinesfalls ein neues Phanomen dar. Auch digital vermittelte Arbeit und die damit einhergehenden Neologismen und Klassifizierungen sind nichts anderes als eine Fortsetzung der kapitalistischen Inwertsetzung von Arbeit, die man, charakteristisch fur den Neoliberalismus, schon seit den 1970er-Jahren beobachten kann (Vandaele 2018: 9).
Indessen zeigt sich das Spannungsverhaltnis der Plattformokonomie. Wenn man die Veranderungen in den Arbeitsbeziehungen genauer betrachtet, dann ist entgegen des Fortschritts durch Digitalisierung ebenso das digitale Prekariat vermeintlich modern.
Noch praziser betreffen diese Umstande Arbeitskrafte mit sachgrundlosen Befristungen, dem Arbeitsrecht widersprechende Arbeitsbedingungen und Betriebsrate, die nicht ausreichend geschutzt sind. Daruber hinaus verstarkt die algorithmische Arbeitskoordination Gesundheits- und Sicherheitsrisiken (ebd.: 10).
Schreyer und Schrape (2018: 20) argumentieren, dass der signaturgebende Kern der plattformbasierten Arbeitskoordination im Prinzip der Kontrolle durch Technik (Kybernetisierung) besteht. Nahgelegen ist auch das Prinzip der „Akkumulation durch Enteignung“, worin die vom Geographen David Harvey (2004) geschilderten Zustande hervortreten, wobei es um die anhaltende Akkumulationskrise und die daraus resultierende Suche nach neuen Anlagemoglichkeiten geht (Demirovic 2011: 18).
Diesbezuglich werden Unternehmen im Rahmen des kapitalmarktorientierten Steuerungsmodells des Shareholder-Values gewinnorientiert reorganisiert.
Als Folgeerscheinung auBert sich dies unter den Beschaftigten der unteren und mittleren Klassen in massiven Krisentendenzen, primar in der Arbeit und massiven Umbruchen in den Lebensweise: permanenter interner Wettbewerb durch Leistungsbilanzierung, Umstrukturierungen in der Arbeitsorganisation, Lohnkurzungen, ausgehohlte Sozialleistungen, Flexibilisierung und Verlangerung der Arbeitszeiten (vgl. Schor 2017; Piketty 2015 mit einem Fokus auf Ungleichheit).
Weitere gesellschaftliche Auswirkungen sind existentielle Unsicherheit, Armut, Zunahme belastungsbedingter Krankheiten und Erschopfungs- und Belastungs- tendenzen der Subjekte (Demirovic 2011: 19).
Offiziell mussen die FahrerInnen selbst eine Kranken-, Unfall- und Haftpflichtversicherung abschlieBen, aber viele der Selbststandigen verzichten auf diese Kosten und fahren auf eigenes Risiko (Lehmann 2016). Durch derartige Arbeitssteuerung- und Kontrolle wird die Ausbeutung der Arbeitskrafte intensiviert (Dyer-Whiteford 2015: 132). In Hinblick auf die KurierInnen in der Plattformokonomie, werden die Arbeitszeiten, Interaktionen mit der Applikation sowie individuelle Leistungsdaten in der unternehmenseigenen Datenbank gespeichert und an die FahrerInnen zuruckgespiegelt.
Deshalb behaupten Kritiker, dass die daraus resultierenden fehlenden arbeitgeberseitigen Verbindlichkeiten im Rahmen der Schutzrechte fur die Arbeitskraftanbietenden mit einer Verlagerung unternehmerischer Risiken auf die selbststandigen Fahrer einhergehen. Zusatzlich verfugen diese in der Regel uber keine formalisierten Mitbestimmungsrechte und sehen sich mit immer weitlaufigeren juristisch vordefinierten Allgemeinen Nutzungsbedingungen (AGB) konfrontiert. AuBerdem sind algorithmisch vermittelte Aktivitaten aller NutzerInnen und die dazugehorigen Bewertungen fur das plattformbetreibende Unternehmen einsehbar und ruckverfolgbar. Dadurch werden vor allem die ArbeiterInnen zu glasernen Variablen.
Jede vollzogene Tatigkeit kann bereits als Referenz fur die nachste Transaktion betrachtet werden; nicht nur die Ausfuhrung, sondern auch die erhobenen Kosten fur eine Tatigkeit werden in der personlichen Partizipationshistorie abgebildet, wodurch auch der Konkurrenzdruck unter den Arbeitskraften ansteigt (Schmidt 2017). In Anbetracht dessen stehen die zunehmende Kommodifizierung und der Abbau etablierter Regulationsdispositive im Vordergrund (Heiland 2018: 136).
Im Zentrum der Analyse geht es in der Untersuchung primar um die Arbeitsbedingungen im Kontext des regulatorischen Versagens staatlicher Instanzen.
Die Chance fur drastische sozialpolitische Reformen und Regulierung zu Gunsten der Arbeitskrafte sei nach der globalen Finanzkrise 2008 nicht genutzt worden (Avdagic, Baccaro 2014).
Aufgrund des Konkurrenz- und Leistungsdrucks um Arbeitsschichten und der algorithmischen Uberwachung sowie der Atomisierung der Arbeitskrafte, wird der plattformbasierten Arbeit eine entsolidarisierende Wirkung zugeschrieben (Wewer 2016; Kucklick 2014).
Den feinen Unterschied macht der technologische Einfluss in Bezug auf Arbeit in der Plattformokonomie. Mit einer Applikation lasst sich nicht verhandeln: Dennoch kontrolliert und uberwacht sie die Arbeitsprozesse der FahrradkurierInnen und legt die Spielregeln fest (Srnicek 2017: 47).
Was das angeht ist die institutionelle Macht der Plattformarbeiter nicht gegeben. Besonders kommt dies zu tragen im Zusammenhang mit dem Status der selbststandig tatigen Arbeitskrafte. Im Fall einer Selbststandigkeit genieBen FahrradkurierInnen sparliche soziale Sicherheiten. Hinzu kommt, dass es ihnen nicht gestattet ist, sich Gewerkschaften oder Betriebsraten anzuschlieBen um kollektive Tarifverhandlungen fuhren zu konnen. Aufgrund dessen liegt es im besonderen Interesse selbststandiger FahrradkurierInnen grundsatzliche Mitbestimmung zu erlangen und das Recht auf Verhandlungsmacht wahrzunehmen.
In Hinblick auf die Moglichkeiten der Interessenvertretung herrscht ein paralleles Nebeneinander, eine Gleichzeitigkeit, sozusagen, formaler Gewerkschaften und alternativer gewerkschaftsahnlicher Organisationen, die sich den Anliegen einschlieBlich der rechtlichen Forderungen neuer prekarer Beschaftigtengruppen annehmen.
Die Mobilisierungswelle auBert sich in den seit 2016 in verschiedenen Landern stattfindenden Protestbewegungen. PlattformarbeiterInnen haben sich in Turin, Wien, Brighton (UK), London, Koln und in weiteren westeuropaischen Stadten bereits initiativ organisiert.
Die beispielhaften Aufstande gegen Foodora im norditalienischen Turin zeigen auf, dass die FahrradkurierInnen nicht zufrieden mit ihren Arbeitsbedingungen sind, die aufgrund ihrer Eigenheit flachendeckend verbesserungswurdig sind. Danach liegt das Hauptproblem in der Inwertsetzungslogik der sich nach und nach in neuen nationalen Okonomien ausbreitenden Plattformunternehmen. Besonders vielversprechend ist der Ausbau dieser Markte in liberaleren Marktwirtschaften mit flexiblen Arbeits- und Beschaftigungsverhaltnissen. Auf europaischer Ebene muss man daher die Einzelheiten dieser Arbeitsform, vor allem respektive der Ausbeutung und den Lucken im Arbeitsrecht, fassen konnen.
Die Besonderheiten arbeitnehmerahnlicher Personen und die damit verbundenen Herausforderungen wurden erlautert. Ferner seien kollektive Arbeiterbewegungen durch Tarifverhandlungen und Streiks in einem traditionellen Rahmen, aber auch in Zusammenarbeit mit (basisdemokratischen) Graswurzel-Bewegungen und innovativen Formen der Solidaritat, die auch offentliches Interesse wecken konnen, moglich (Tassinari, Maccarrone 2017: 356; Animento et al. 2017).
Die plattformubergreifende Mobilisierung zwischen Foodora, Deliveroo und Lieferando ist zwar komplex, jedoch gelingt diese vor allem mittels informell- alternativer Kooperationen. Zu der Vernetzung einzelner gewerkschaftsahnlicher Kampagnen werde ich im empirischen Teil dieser Arbeit tiefgrundiger erlautern.
Die zunehmende Entwicklung plattformubergreifender Organisationsversuche belegt, dass es durch die Digitalisierung eben nicht nur zur Atomisierung von Arbeitskraften kommt, sondern, dass demungeachtet Kooperation und Solidaritat unter den FahrradkurierInnen als Pfeiler der Gegenwehr stehen. Mit Rucksicht auf die algorithmische Arbeitskoordination und die strukturelle Unterordnung, stehen letztere im Vordergrund der Organisierungsbewegung.
Gerade die Ausgangssituation der grenzuberschreitenden Vernetzung einer ansonsten isolierten Gruppe durch das Internet, kann einen entscheidenden Vorteil beim Aufbau kollektiver Strukturen darstellen (Leist et al. 2017: 64):
“Tendenziell kann die Gewerkschaftsbewegung unter Verwendung kommunikationstechnologischer Medien neue Potenziale in Hinblick auf Austausch, Kooperation, Mobilisierung, [...] und Sichtbarkeit entwickeln. AuBerdem mussen die Beziehungen unter den Arbeitskraften gestarkt werden damit Druck auf Plattformunternehmen ausgeubt werden kann. Die Absicht des Protests liegt in der Verbesserung von Mitbestimmung angesichts nicht geschutzter ArbeiterInnenrechte.“ (Aloisi 2015: 682; Degryse 2016: 75)
Zu den Eigenarten, die in der Literatur zur Gig-Okonomie angefuhrt wurden, zahlen demnach okonomische Faktoren - Wettbewerb und Investitionen -, soziale Aspekte wie Arbeitsbedingungen und die Merkmale und Auspragungen der Teil- habe, wie Mitbestimmung und Interessenvertretung.
Aufgrund der Komplexitat derartiger Zusammenhange ist es nachvollziehbar, dass eine Forschungsfrage, welche die Organisationsfahigkeit von Arbeitskraften in der Plattformokonomie thematisiert, nicht universell erklart werden kann. Genauer muss sich diese auf einen greifbaren Kontext beziehen. Als zuganglich erweist sich bei dieser Themenvielfalt nichtsdestotrotz die Beschaftigung mit kooperativen Elementen in der Arbeiterbewegung. Trotz der offentlichen Prasenz im Kontext der Werbeauftritte von Lieferdiensten, aber auch der negativen Berichterstattung in Hinblick auf das digitale Prekariat, fallen die wissenschaftlichen Beitrage in den Gesellschaftswissenschaften verhaltnismaBig schmal aus.
Die Forschungsfrage lautet insofern: “Warum und wie, trotz aller Wider spruche, ist es FahrradkurierInnen gelungen Kooperation untereinander aufzubauen und sich anschliefiend zu organisieren ?”
Die Frage bedarf zunachst noch einer weiteren Konkretisierung. Es muss klargestellt werden, in welchem AusmaB die Kooperationen reprasentativ sind.
In Anlehnung daran werden auch FahrradkurierInnen berucksichtigt, die sich aus unterschiedlichen Grunden der Bewegung nicht anschlieBen.
Als weitere Einflussfaktoren werden die unternehmerischen Human Resource Management-Strategien in Hinblick auf die Verhinderung der Betriebsrate und die „Arbeitsvertrag-Politik“ herangezogen.
Okonomischen Ansatzen zufolge, geht es in einer Konfliktsituation darum den groBtmoglichen Nutzen beider Interessenseiten in der Einigung zu finden, was uber einen klassischen Kompromiss, wo die Parteien auf einzelne Forderungen ('trade-offs) verzichten, hinausgeht (Harvard- und Michigan-Konzept). In diesen Konzepten ist eine nachhaltige und langfristige Zusammenarbeit vordergrundig (Fisher et al. 2013).
Daruber hinaus sind die Positionierungen einzelner Branchenverbande und der Monopol-Charakter institutionalisierter Gewerkschaften ein integraler Bestandteil der theoretisch fundierten Untersuchung. Diese Beobachtung scheint zunachst in Kontrast zum offentlichen Ansehen vermeintlich nachhaltiger Plattformunternehmen zu stehen. Im Zusammenhang jedoch mit den facettenreichen Defiziten in den Arbeits- und Beschaftigungsverhaltnissen, erweist sich die Fragestellung als relevantes Kriterium hinsichtlich ausgleichenden Praktiken in sozialpolitischen Problemfeldern.
Weitere Hindernisse, die in der Beantwortung der Fragestellung berucksichtigt werden, beziehen sich auf die Spezifika in der Organisierung im Vergleich zu herkommlichen Arbeitsbeziehungen und traditionellen Gewerkschaften.
Diese umfassen das fehlende Zugehorigkeitsgefuhl unter den FahrradkurierInnen als Unterschied zu industriellen Belegschaften. Einer der Grunde dafur liegt in der Zersplitterung der ArbeiterInnen (Degner, Kocher 2018: 248). Bedingt durch die technischen Arbeitsbedingungen mangelt es bei der Arbeit der FahrradkurierInnen an naturlich-menschlicher Interaktion, was im Zusammenhang mit dem Konkurrenzdruck und dem Wettbewerb in der R/der-Hierarchie steht.
Auch pragt dieses Arbeitsfeld ein Gefuhl der Anonymitat unter den FahrerInnen, welches mitunter an der hohen Fluktuation aufgrund des groBen Anteils studentischer FahrerInnen liegt. Ein weiteres Charakteristikum, das Arbeiterbewegungen in der Gig-Okonomie impliziert, bezieht sich auf migrantische FahrradkurierInnen, deren Job mit Aufenthaltserlaubnissen verknupft ist, sodass auch die Existenzangste dieser FahrerInnen die Organisationsbereitschaft beeintrachtigen konnen.
SchlieBlich muss mit in die Erklarung der Organisierung von FahrradkurierInnen einbezogen werden, dass sich die Mehrheit der ArbeiterInnen vor Vergeltungs- maBnahmen seitens der Plattformbetreiber furchten, die derartige Aktivitaten mit Argwohn verfolgen (Leist et al. 2017: 64).
In Bezug auf die Relevanz der Forschungsfrage, leistet die Untersuchung der in- formellen Organisierung einen sozialwissenschaftlichen Beitrag, um die Heraus- forderungen und Motive von „Arbeit nach Abruf ‘ (on-demand work) genauer zu deuten.
[...]
Diplomarbeit, 112 Seiten
Politik - Politische Systeme - Allgemeines und Vergleiche
Bachelorarbeit, 54 Seiten
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