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Bachelorarbeit, 2018
34 Seiten, Note: 2,3
1. Einleitung
2. Hilfsschulen im historischen Kontext
3. Hilfsschulen im NS-Regime
3.1 Von der Eugenik zur Euthanasie
3.2 Zwangssterilisation
3.3 Die Nationalsozialistische Gesundheitspolitik
3.3.1 Hitlers Rassenhygiene
3.3.2 Legitimation der Hilfsschulen
4. Erziehung und Bildung in der Hilfsschule
4.1 Die Verwaltung der Hilfsschule
4.1.1 Lehrplan und Lehrmittel
4.1.2 Klassengröße, Schülerzahl und Stundenumfang
4.2 Die Hilfsschule als „Sammelstelle“
4.3 Die Hilfsschüler als Mitglieder der Gesellschaft
4.4 Die Ausbildung der Hilfsschullehrer
4.4.1 Das Bild der Hilfsschullehrerschaft
4.4.2 Rassenideologie als Maßstab?
5. Fazit
6. Literaturverzeichnis
Im 19. Jahrhundert entstanden die ersten Hilfsschulen und entsprachen den heutigen Sonderschulen. Ihr Hauptzweck und Grundgedanke war es, den Schüler/innen mit Behinderungen zu helfen, wie es am Begriff „Hilfsschule“ deutlich wird.1 Dabei gehe es um Kinder mit sowohl körperlicher, als auch mentaler Schwäche.2 Es stellt sich die Frage, welche genauen Funktionen und Intentionen die Hilfsschulen hatten. Sollten sie der Inklusion der Kinder dienen und sie gesellschaftsfähig machen oder verbergen sich andere Ziele hinter diesen Institutionen?
In dieser Arbeit gilt es herauszuarbeiten, welche Funktion die Hilfsschullehrerschaft und die Erziehung und Bildung der Schüler/innen in den Hilfsschulen des nationalsozialistischen Regimes hatten. Die Nationalsozialisten machten es sich zum Ziel, die jüdische Bevölkerung in all ihren Lebensbereichen systematisch zu diffamieren, sie auszugrenzen und zu ermorden. Nicht anders war ihr Umgang mit Menschen mit seelischen und körperlichen Beeinträchtigungen. Diese wurden institutionell unterdrückt, diskriminiert und ermordet. Deshalb haben die Hilfsschulen zur Epoche des Nationalsozialismus eine berechtigt zwielichtige Rolle. Nicht nur behinderte Kinder, generell alle seelisch und körperlich beeinträchtigten Menschen wurden vom NS-Regime als Minderwertige betrachtet.3
Nach der Erlassung des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ am 14. Juli 1933, wurden sie zwangssterilisiert, um ihrem Fortbestand Einhalt gebieten zu können und so die deutsche Bevölkerung zu bereinigen und die Zahl der Menschen mit seelischer oder körperlicher Beeinträchtigung zu verringern. Ihre Legitimierung fand die Zwangssterilisation in der Rassenlehre Hitlers, welche im Verlauf der Arbeit genauer erläutert wird. Ferner wird erarbeitet wie es mit dem Grundgedanken der Hilfsschulen vereinbart werden konnte, dass die beeinträchtigten Kinder nicht zur Schule geschickt worden sind, um ihnen Hilfe zu leisten, sondern um sie zu diskriminieren und gänzlich von der Gesellschaft auszuschließen, zu sterilisieren und zu ermorden?
Welche Rolle kam hier auf die Hilfsschullehrer/innen zu? Bedienten sie sich der rassenpolitischen Meinung und vollzogen die Vorgaben des NS-Regimes?
Die Verfassung schrieb Lehrer/innen vor die Rassenlehre zu unterrichten und zu indoktrinieren. Es erfolgte demnach eine Gleichschaltung der Hilfsschulen zu Gunsten der Nationalsozialisten. Die Ansichten zur Erziehung von Kindern und Jugendlichen wurden fortan nationalsozialistisch geprägt. In den Schulen ging es insbesondere um die Formung von „rassebewussten Volksgenossen“, das „[H]eranzüchten kerngesunder Körper“, gefolgt von der Ausbildung geistiger Fähigkeiten.4
Davon geht auch die aktuelle Forschung aus. Dagmar Hänsel (2003) bezeichnet die Geschichte der Hilfsschule als „blinde[n] Fleck in der Schulsystemforschung“5, weil die Sonderschule in der Schulsystemforschung komplett ausgespart wird.
Ihre dunkelsten Phasen der Geschichte durchlebten die Hilfsschulen in der NS-Zeit. Ellgar-Rüttgardt (1988) bezeichnet die Zeit vor 1933 als „Blütezeit der Heilpädagogik“6, denn die Entstehung und Entwicklung der Hilfsschulen stelle eine Veränderung in der Geschichte der Sonderpädagogik dar. Ihr Ziel war es „jenen Kindern zu helfen, die in überfüllten Volksschulklassen des ausgehenden 19. Jahrhunderts vergessen, verspottet und beiseite geschoben wurden.“7
Doch durch die Machtergreifung Hitlers 1933 erlebte diese Blütezeit einen Bruch. Alle Institutionen wurden allmählich gleichgeschaltet. Nicht nur die Politik änderte sich. Die Indoktrination und Manipulation war allumfassend und wirkte sich drastisch auf jegliche Lebensbereiche der Menschen aus. Vor allem wurden Kinder und Jugendliche institutionell indoktriniert. Das verdeutlicht die Wichtigkeit und Relevanz dieses Themas.8
Die aktuelle Forschung zur Sonderpädagogik im Nationalsozialismus geht von unausgereiften Publikationen zum Thema aus.9 Die wiederum ein widersprüchliches Bild aufwerfen, da bestimmte politische Lager deutlich werden und Wissenschaftler die Positionen der anderen unkritisch übernehmen.10 Werner Brill (2011) stellt sogar die These auf, dass so aus Meinungen Fakten geworden seien.11
Nach Werner Brill müssen die Eugenik und die Abgrenzung der behinderten Menschen zum zentralen Punkt in der Sonderpädagogik im Nationalsozialismus werden.12 Von manchen Autoren wird die Eugenik komplett außer Betracht gelassen. Obwohl das Euthanasieprogramm der Nationalsozialisten den systematischen Tod der behinderten Menschen beabsichtigte. Somit ist die Eugenik nicht von diesem Diskurs auszuschließen.
Aus diesem Grund wird in dieser Arbeit, vorerst der Fokus auf den historischen Zusammenhang, auf die Rassenhygiene und das Euthanasieprogramm Hitlers gelegt, um im weiteren Verlauf verdeutlichen zu können, wie die Erziehung und Bildung in den Hilfsschulen betrieben wurde. Die zu beantwortende Frage dieser Arbeit ist es welche Funktion Hilfsschulen in der NS-Zeit hatten. Um eine genaue Antwort erhalten zu können werden insbesondere folgende Leitfragen im Verlauf der Arbeit beantwortet: Welchem Zweck dienten die Hilfsschulen, was lehrten die Hilfsschullehrer/innen und was geschah mit den Schülern und Schülerinnen?
Elementar ist die historische Entwicklung der Hilfsschulen. Vorerst soll veranschaulicht werden, wo sie ihren Ursprung fanden und welche Funktion sie hatten. Es soll ihre Entwicklung bis 1933 dokumentiert werden.
Schon im 17. Jahrhundert hatte man die Idee behinderte und benachteiligte Kinder pädagogisch zu fördern.13 Ab dem 18. Jahrhundert wurden die ersten Hilfsschulen gegründet.
Im Jahre 1770 gründete Charles Michel Abbe de Eppe die erste Schule für Taubstumme in Paris.14 Sieben Jahre später erfolgte die Gründung einer weiteren Taubstummenschule in Leipzig.15 1857 wurde in Baden bei Wien die Heilpflege- und Erziehungsanstalt LEVANA gegründet. Es folgten noch weitere Schulen in Wien und Paris, die als Beginn und Basis der sonderpädagogischen Schulen betrachtet werden können. Ab dem 19. Jahrhundert entstanden sogenannte „Idiotenanstalten“.16 Hier lässt sich die Frage stellen, welchen Zusammenhang diese mit den Hilfsschulen hatten und wie sie sich etablieren konnten.17 Um verstehen zu können, welche Entwicklungen dazu führten, dass sich die Hilfsschule, neben den in der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts entstandenen Institutionen und Idiotenanstalten, als Schulform etablierte, muss das damalige Schulwesen betrachtet werden. Um der Armut in der Bevölkerung entgegenzuwirken wurde 1717 in Preußen die Schulpflicht eingeführt. Die Folgen der Verabschiedung dieses Gesetzes war das Schulversagen sozio-kulturell benachteiligter Gruppen.18 Die Klassenfrequenz stieg aufgrund neuer Bestimmungen wie die „Allgemeinen Bestimmungen für die preußische Volksschule“ von 1872, das Verbot der Kinderarbeit 1891 und die Auflösung von Armenschulen, stetig an.19 In den Klassen befanden sich unterschiedlich begabte Kinder, daraus resultierte die Errichtung von Nachhilfeklassen für die schwächeren, dem Anspruch der Volksschule nicht genügenden Schüler/innen.20 Aus den Nachhilfeklassen der Volksschule, die in ihrer Förderung wenig Erfolge erzielten, entwickelten sich die Hilfsschulen.21 Zur Zielgruppe der Hilfsschulen gehörten ebendie Schüler/innen an, die den Anforderungen der Volksschule nicht gerecht werden konnten. Auch Schüler aus Idiotenanstalten für geistig behinderte Kinder besuchten teilweise die Hilfsschulen. Aus diesem Grund behauptet Walter (2004) die Hilfsschulen seien als „Konkurrenzunternehmen“ zu den Idiotenanstalten zu bewerten. Lediglich Begriffe wie „Schwachbegabte“ oder „Schwachsinnige“ unterschieden die Hilfsschüler von den als „vollidiotisch“ bezeichneten Personen der Idiotenanstalten.22
Weniger begabte Schüler/innen galten nicht gleich als „idiotisch“, denn diese Klassifizierung würde die Notwendigkeit einer Bildung in einer teuren Idiotenanstalt hervorrufen.23 „Schwachbegabte“ Kinder wurden von den „idiotischen“ unterschieden und abgegrenzt.24 Das war ein Grund für Eltern ihre Kinder in die Hilfsschulen zu schicken und nicht in die Idiotenanstalt.25 Nichtsdestotrotz war die Schülerschaft der Hilfsschulen gemischt, weil diese Form der Institution unter anderem kostengünstiger war. Gleichzeitig befreiten sich die Volksschulen von den schwer erziehbaren und schwachen Kindern.26
Es werden jedoch keine konkreten Bezeichnungen über die Art der Behinderung und der damit einhergehenden Zuordnung zur Hilfsschule oder Idiotenanstalt getroffen. Die Abgrenzung der Hilfsschüler erfolgte durch die Hilfsschullehrer, die versuchten durch die Nennung möglichst eigenartiger charakteristischer Merkmale, die Hilfsschüler von den anderen Schülern abzugrenzen. Die Beschreibungen der vermeintlichen Hilfsschüler sagten wenig über den Grad ihrer Behinderung noch über ihre individuellen Lernschwächen aus. Die Selektion der vermeintlich minderbegabten Schüler/innen erfolgte durch Neologismen und diffamierenden Zuschreibungen.27
Hilfsschullehrer setzten sich für die Etablierung der Hilfsschulen ein. Daraus resultierte die Gründung des Verbands der Hilfsschulen in Deutschland im Jahre 1898, der die 1897 veröffentliche Resolution „Aufruf zur Gründung eines Verbands der Hülsschulen Deutschlands“ voranging.28 Hierbei wurde die Hilfsschule als unentbehrliche Konstitution geworben, um, unter anderem die Erweiterung der Anzahl an Hilfsschulen begründen zu können. Der Resolution ging die Aufgabe der Hilfsschulen hervor, ihre Schüler/innen mit „werkthätige[r] Liebe und Barmherzigkeit“ zu erziehen.29 Diese Einstellung veranschaulichte die vermeintlich aufopferungsvolle Rolle der Lehrerschaft. Vorrangig ging es den Lehrer/innen aber darum, Schüler/innen für die Hilfsschule zu gewinnen. Deshalb gab es wage Beschreibungen für die Aufnahme. Zur Beschreibung der Schülerschaft wurde der Begriff „geistige Armut“30 verwendet. Das bedeutete, dass alle Kinder die „geistig“ arm gewesen sind, einen Platz an der Hilfsschule bekommen konnten. Die Einschreibung der Kinder erfolgte mittels gesetzlich festgesetzter Zwangsüberweisungen.31
Sträuben sich also die Eltern absolut gegen die Aufnahme ihres Kindes in die Hilfsschule, so wird das betreffende Kind auf Grund des angeführten Gesetzesparagraphen vom Schulunterrichte ausgeschlossen. Es währt in der Regel nicht lange, so kommen die Eltern und bitten selbst um die Aufnahme ihres Kindes in die Hilfsschule, weil sie nicht wissen, was sie mit demselben zu Hause anfangen sollen.32
Die Hilfsschulen dienten demnach nicht nur zum Wohl der behinderten und benachteiligten Kinder. Sie hatten nicht nur sonderpädagogische Ziele, wie die Bildung, Erziehung und Förderung dieser Kinder. Im Gegenteil dienten sie manchmal dazu, diese Kinder von der Gesellschaft auszuschließen. Anders als für die Lehrerschaft bedeutete der Wechsel von einer Volksschule in die Hilfsschule für die Schülerschaft einen Abstieg.33
Auf dem zweiten Verbandstag des Hilfsschulverbands 1899 wurden die Schüler/innen der Hilfsschulen definiert als:
[Kinder, die an] ‘Schwachsinn höheren Grades‘ sowie an Blödsinn leiden, Blinde, Taube, Schwerhörige, Epileptiker, geistig normale Kinder, die aus äußeren Gründen oder wegen der Krankheit in der Volksschule zurückgeblieben sind, Kinder, die Schwächen nur in einzelnen Fächern aufweisen, und ‘sittlich verkommene‘ Kinder.34
Dabei bestimmten nicht die Volksschullehrer darüber, wer an die Hilfsschule herabgestuft wird, sondern die Hilfsschullehrer/innen. Trotzdem etablierten sich die Hilfsschulen nach und nach, unter anderem, weil sie Kinder aufgriffen, die gesetzlich nicht mehr zur Volksschule durften. Damit wurde ihre Existenz weitestgehend legitimiert und in Folge dessen wurden sie ein Teil des Schulsystems, sogar zu dem Zentrum für das deutsche Sonderschulsystem.35
Die Hilfsschulen hatten ihren Bestand auch im nationalsozialistischen Regime. Wie die Nazis diese Schulen zu ihren eigenen Zwecken nutzten, wie und ob sie die behinderten Schüler/innen gefördert haben, wird im Folgenden dieser Arbeit analysiert. Dazu richtet sich der Fokus im kommenden Kapitel explizit auf die Hilfsschulen im NS-Regime.
Um den Umgang mit Behinderten in den Hilfsschulen der NS-Zeit analysieren zu können, muss der Blick vorerst auf die rassenpolitischen Ziele der Nazis gerichtet werden. Die Rassenpolitik Hitlers entsteht nicht erst ab 1933. Sie hat ihre Wurzeln im Sozialdarwinismus. Die Nazis knüpften an Darwins Abhandlung „Die Entstehung der Arten durch Zuchtwahl oder die Erhaltung der Rassen im Kampf ums Dasein“ von 1859 an, um ihre rassenpolitischen Ziele zu begründen und sie zu legitimieren.36 Darin stellt Darwin die These auf, dass die Vermehrung ein Kampf ums Dasein sei und stets der Stärkere überlebe, und zwar der, der sich am besten an die Natur anpasse.37 Dies überträgt Darwin auf den Menschen und geht somit nicht von der göttlichen Schöpfungsgeschichte, sondern von der Evolutionstheorie aus.
Der Naturwissenschaftler Francis Galton, der gleichzeitig ein Freund Darwins war, schuf die Theorie der Rassenhygiene aufbauend auf Darwins Erkenntnissen. Er ist einer der ersten, der den Begriff der Eugenik in seinen Publikationen verwendet.38 Dabei unterschied er zwischen positiver und negativer Eugenik. Positive Eugenik sei die Verbreitung guten und gesunden Erbguts. Negative Eugenik bedeutet hingegen die Verbreitung schlechten und kranken Erbguts. Die Eugeniktheorie fand internationalen Zuspruch.39 Es folgten im frühen 20. Jahrhundert Gesetze zur Sterilisierung von Behinderten und Gesetzte zu Eheverboten mit Behinderten.40 Darauf stützte sich das NS-Regime und fand ihren Nährboden in den Theorien von Darwin und Galton.
Behinderte galten im NS-Regime, genau wie die jüdische Bevölkerung und Homosexuelle als „minderwertig“. Ihre Vernichtung sei die Befreiung des deutschen Volkes vom Übel.41 Um ihre Vernichtung vollziehen zu können, erließen die Nazis, das schon erwähnte Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses. Womit zugleich die Zwangssterilisierung der Behinderten hervor ging. Um ein „tausendjähriges Reich“ etablieren zu können, betrachtete Hitler die Erb- und Rassenpflege als unabdingbare Notwendigkeit. Hierbei fand er auch bei Rassenhygienikern und Vertretern des Rassismus der Weimarer Zeit den Zuspruch und die Inspiration für seine Rassenlehre. Eine fast wörtlich übernommene Aussage sozialdarwinistischer Vertreter untermalt seine Verbindung zum Darwinismus und zur Lehre der Rassenhygiene:
Ein stärkeres Geschlecht wird die Schwachen verjagen, da der Drang zum Leben in seiner letzten Form alle lächerlichen Fessel einer sogenannten Humanität der einzelnen immer wieder zerbrechen wird, um an seine Stelle, die Humanität der Natur treten zu lassen, die die Schwäche vernichtet, um der Stärke den Platz zu schenken.42
Ferner wird die Zwangsterilisation von Hitler beschönigt, indem er sie paradoxerweise als „humanste Tat der Menschheit“43 bezeichnet, denn sie diene der Reinhaltung der Rasse. Dadurch könne man „Millionen von Unglücklichen unverdientes Leid erspare[n], in der Folge aber zu einer steigenden Gesundung“44 verhelfen.
Eines der Hauptziele des NS-Regimes war die „Bereinigung“ des Volkes. Alles was als „nichtarisch“, „unrein“ und „minderwertig“ galt, sollte vernichtet, ermordet und vertrieben werden. Der von Galton und Darwin geschaffene Nährboden bot sich als ideale Basis für die Nazis an. Sie erschufen kein neues Weltbild, indem sie die Behinderten systematisch ausgrenzten und diffamierten, sie lehnten sich an die schon vorherrschende Haltung an. Zudem gingen die Nazis davon aus, dass sich die Behinderten stetig vermehrten und, dass unnötig viele Kosten in ihre Pflege investiert wurden, was der wirtschaftlichen Krise im NS-Regime zulegte.45 Deshalb suchten die Nazis nach einem Weg, die Behinderten kostengünstig zu eliminieren.
Die Eugenikbewegung startete aber nicht erst zur Nazi-Zeit. Schon 1920 wird der Diskursübergang von Eugenik zur Euthanasie durch die Veröffentlichung einer Abhandlung gekennzeichnet. Sie trägt den Titel „Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens“46. Verfasst wurde sie von zwei Hochschullehrern. Diese vertreten darin die Tötung von kranken Menschen, die unheilbar blödsinnig seien, denn sie würden über keinen eigenen Lebenswillen verfügen.47 Das ist ein wichtiger Anhaltspunkt für den zunehmenden Euthanasiegedanken. Es erschienen um 1920 weitere Aufsätze von medizinischen Wissenschaftlern in Fachzeitschriften, in denen zum Beispiel die Eheberatung zur Sozialhygiene diskutiert wurde.48 Diese Beratungen wurden in die Tat umgesetzt und es wurden Ehepaaren Gesundheitszeugnisse ausgestellt, um unerwünschten Nachwuchs verhindern zu können.49 Es wurde Sozialhygiene betrieben.
Werner Brill geht davon aus, dass es auf allen Ebenen an Rechtsbewusstsein fehlte.50 Auf medizinischer, juristischer und pädagogischer Ebene wurden jegliche Menschenrechte der Behinderten ignoriert und missachtet. Untermauert wurde die Verachtung dieser Menschenrechte 1933 durch die Nazis mit dem Erlass des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses. Aufbauend wurde 1935 das Nürnberger Rassengesetz erlassen, die als Basis für die am 01. September 1939 formulierte Euthanasie-Verordnung gilt.51
Der erste Paragraph des Gesetzes zur Verhütung des erbkranken Nachwuchses ist folgender:
Wer erbkrank ist, kann durch chirurgischen Eingriff unfruchtbar gemacht (sterilisiert) werden, wenn nach den Erfahrungen der ärztlichen Wissenschaft mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, daß seine Nachkommen an schweren körperlichen oder geistigen Erbschäden leiden werden.52
Dieses Gesetz hatte zur Folge, dass die Behinderten zwangssterilisiert wurden. Die Nazis schufen ein Fundament auf der Rechtsebene, um die Behinderten gesellschaftsunfähig machen zu können und ihre Sterilisierung vollziehen zu dürfen.
[...]
1 Vgl. Ellger-Rüttgart, Sieglind: Die Historiographie der Sonderschule. Eine kritische Analyse, a.a.O., S. 102.
2 Vgl. Kielhorn, Heinrich: Hilfsschule, Hilfsklasse für schwachbefähigte Kinder (1887). In: Klink, Job- Günter (Hrsg.): Zur Geschichte der Sonderschule, Bad Heilbrunn: Klinkhardt 1966, S. 68.
3 Ebd.
4 Vgl. Hitler, Adolf: Mein Kampf. Zwei Bände in einer Ausgabe. Erster Band: Eine Abrechnung; Zweiter Band: Die nationalsozialistische Bewegung, München 1933, S. 452.
5 Vgl. Hänsel, Dagmar: Die Sonderschule – ein blinder Fleck in der Schulsystemforschung. In: Zeitschrift für Pädagogik, 49. Jg. 2003, Heft 4.
6 Vgl. Ellger-Rüttgart, Sieglind: Die Historiographie der Sonderschule. Eine kritische Analyse. S. 102.
7 Ebd.
8 Vgl. Hänsel, Dagmar: Die Sonderschule – ein blinder Fleck in der Schulsystemforschung. In: Zeitschrift für Pädagogik, 49. Jg. 2003, Heft 4.
9 Vgl. Brill, Werner: Pädagogik der Abgrenzung. Die Implementierung der Rassenhygiene im Nationalsozialismus durch die Sonderpädagogik. Bad Heilbrunn: Klinghardt, 2011, S.9.
10 Vgl. Brill, Werner: Pädagogik der Abgrenzung. Die Implementierung der Rassenhygiene im Nationalsozialismus durch die Sonderpädagogik. Bad Heilbrunn: Klinghardt, 2011, S.9.
11 Ebd.
12 Ebd. S.10
13 Vgl. Beschel, Erich: Der Eigencharakter der Hilfsschule. Weinheim: Beltz 1965, S. 10 ff.
14 Ebd.
15 Ebd.
16 Vgl. Beschel, Erich: Der Eigencharakter der Hilfsschule. Weinheim: Beltz 1965, S. 10 ff.
17 Vgl. Walter, Paul: Schulische Integration Behinderter. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften 2004, S. 81 ff.
18 Ebd.
19 Vgl. Ellger-Rüttgard, Sieglind: Geschichte der sonderpädagogischen Institutionen, a.a.O., S. 271 ff.
20 Vgl. Beschel, Erich: Der Eigencharakter der Hilfsschule, a.a.O., S. 8 ff.
21 Vgl. Walter, Paul: Schulische Integration Behinderter, a.a.O., S. 82 ff.
22 Ebd.
23 Ebd.
24 Ebd.
25 Vgl. Walter, Paul: Schulische Integration Behinderter. S. 82 ff.
26 Vgl. Stötzner, Heinrich Ernst: Schulen für schwachbefähigte Kinder (1864). In: Klink, Job-Günter (Hrsg.): Zur Geschichte der Sonderschule, S. 54 ff.
27 Ebd.
28 Vgl. Möckel, Andreas: Erfolg – Niedergang – Neuanfang. 100 Jahre Verband Deutscher Schulen- Fachverband für Behindertenpädagogik. München, Basel: Ernst Reinhardt 1998, S. 283-284.
29 Vgl. Stötzner, Heinrich Ernst: Schulen für schwachbefähigte Kinder (1864). In: Klink, Job-Günter (Hrsg.): Zur Geschichte der Sonderschule, S. 54 ff.
30 Ebd.
31 Ebd.
32 Vgl. Hänsel, Dagmar: Die NS-Zeit als Gewinn für Hilfsschullehrer. Bad Heilbrunn: Klinghardt Verlag
2006, S. 17 ff.
33 Ebd.
34 Ebd. S.18.
35 Ebd. S.13.
36 Vgl. Rudnick, Martin: Zwangsterilisation – Behinderte und sozial Randständige, Opfer nazistischer Erbgesundheitspolitik. In: Rudnick, Martin (Hrsg.): Aussondern- Sterilisieren- Liquidieren. Die Verfolgung Behinderter im Nationalsozialismus. Berlin: Spiess 1990, S. 93 ff.
37 Ebd.
38 Ebd.
39 Ebd.
40 Ebd.
41 Vgl. Kremer, Gabriele: Die Sonderschule im Nationalsozialismus - das Beispiel Hilfsschule, a.a.O., S. 165 f.
42 Vgl. Kremer, Gabriele: Die Sonderschule im Nationalsozialismus - das Beispiel Hilfsschule, a.a.O., S. 165 f.
43 Hitler, Adolf: Mein Kampf. Zwei Bände in einer Ausgabe. Erster Band: Eine Abrechnung; Zweiter Band: Die nationalsozialistische Bewegung, a.a.O., S. 446ff.
44 Ebd.
45 Vgl. Kremer, Gabriele: Die Sonderschule im Nationalsozialismus - das Beispiel Hilfsschule. In: Horn, Klaus-Peter/ Link, Jörg-W. (Hrsg.): Erziehungsverhältnisse im Nationalsozialismus. Totaler Anspruch und Erziehungswirklichkeit. Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2011. S. 165 ff.
46 Vgl. Brill, Werner: Pädagogik der Abgrenzung. Die Implementierung der Rassenhygiene im Nationalsozialismus durch die Sonderpädagogik. Bad Heilbrunn: Klinghardt, 2011, S. 53 ff.
47 Ebd.
48 Ebd. S. 36.
49 Ebd.
50 Ebd.
51 Vgl. Thümmel, Ingeborg: Sozial- und Ideengeschichte der Schule für Geistigbehinderte im 20. Jahrhundert. Zentrale Entwicklungslinien zwischen Ausgrenzung und Partizipation. Weinheim: Beltz Verlag, 2003. S. 78 ff.
52 Vgl. Brill, Werner: Pädagogik der Abgrenzung. Die Implementierung der Rassenhygiene im Nationalsozialismus durch die Sonderpädagogik. Bad Heilbrunn: Klinghardt, 2011, S. 233.