Examensarbeit, 2018
57 Seiten, Note: 1,6
1. Einleitung
2. Prophetie – Propheten
2.1 Persönliche Kennzeichen
2.1.1 Sündlosigkeit (´isma)
2.1.2 Intelligenz (fatāna):
2.1.3 Aufrichtigkeit (sidq):
2.1.4 Vertrauenswürdigkeit (amāna):
2.1.5 Verkündigung (tablīg):
2.2 Äußerliche Zeichen – Wunder
2.3 Aufgaben der Propheten
3. Der Prophet Muhammad in der islamischen Frömmigkeit
3.1 Öffnung der Brust:
3.2 Die Nacht- und Himmelsreise:
3.3 Heilenden Kräfte des Propheten:
3.4 Die Mondspaltung:
3.4.1 Weitere Wundererscheinungen um Muhammad
3.5 Das Licht Muhammads:
3.6 Zusammenfassung
4. Das koranische Bild des Propheten Muhammad
4.1 Der Mensch-Prophet:
4.2 Muhammad – das schöne Vorbild
5. Auswertung
6. Fazit
7. Quellenverzeichnis
7.1 Literaturquellen
7.2 Internetquellen
Im Laufe der Menschheitsgeschichte wurden nach dem islamischen Verständnis den Menschen 124.000 Propheten entsandt (vgl. Kirbasoglu 2010, 127). Diese hatten die Aufgabe, die Menschen an Gott, an seine Botschaft und an ihre natürliche Veranlagung (fitra) zum Guten zu erinnern und sie dabei unterstützen, den „geraden Weg“ (sirât-i mustakîm) zu finden. Hierbei bekamen die Propheten eine Offenbarung von Gott, den sie den Menschen verkünden und vorleben sollten. Demgemäß waren Propheten nicht nur Verkünder der Botschaft Gottes, sondern auch Vorbilder für die Menschen.
In diesem Kontext stellt Adam den ersten Propheten und Muhammad den letzten Propheten Gottes dar, – gemäß der koranischen Formulierung – „das Siegel der Propheten“ (vgl. 33:40). Als „Siegel der Propheten“ wird Muhammad in der islamischen Frömmigkeit1 eine besondere Rolle, ein besonderer Rang zugeschrieben. So soll beispielsweise Gott in einer berühmten Überlieferung in Bezug auf Muhammad gesagt haben: „Wenn du nicht wärest, wenn du nicht wärest, so hätte ich die Sphären nicht geschaffen“ (Sarikaya 2014, 20). Nach dem Inhalt dieser Überlieferung soll Gott aus Liebe zum Propheten, für sein Wohlgefallen die Welten erschaffen haben. „Die gesamte Schöpfung habe also ihre Existenz Muhammad zu verdanken“ (ebd.).
In anderen ähnlichen Überlieferungen heißt es, dass Gott vor der Erschaffung der Welten sowie des himmlischen Reiches zuallererst aus seinem eigenen Licht Muhammads Licht erschaffen habe. „Gott hat mich aus seinem eigenem Licht erschaffen […]“2 (Erul 2012). Aus dem Licht Muhammads sollen anschließend die Welten, das himmlische Reich, die Menschen etc. erschaffen worden sein.
„Dann, als die Schöpfung begann, wurde Adam aus dem Lichte Muhammads geschaffen, und mehr als das – nicht nur er, sondern das gesamte Universum: das himmlische Reich, malakūt, diese Welt und das Jenseits sind aus seinem Licht, wie auch die Menschheit“ (Schimmel 1981,111).
Neben diesen Zuschreibungen gibt es weitere Überlieferungen, die Muhammads hohes Ansehen und seinen Rang auszeichnen sollen, in denen Muhammad von Wundererscheinungen begleitet wird, wie z.B., dass Bäume und Steine seine Prophetie bekundeten, er den Mond in zwei Hälften teilte, eine Himmelsreise erlebte und dort Gott begegnete, aus seinen Fingern Wasser hervorstrudelte usw. (siehe unten). Diese sind nur einige von vielen Wunderzuschreibungen, die Muhammad verherrlichen und seinen hohen Rang unter den Menschen sowie Propheten kennzeichnen sollen.
Gegenüber diesen Zuschreibungen Muhammads vonseiten der islamischen Frömmigkeit steht ein Bild vom Propheten, den der Koran als einen gewöhnlichen, sterblichen Menschen präsentiert. Ein Muhammad, der als Waisenkind aufgewachsen ist (vgl. 93:6-7), Fehler machen kann (vgl. 88:1-10); traurig wird (vgl. 18:6), liebevoll und barmherzig ist (vgl. 9:128-129), über das Zukünftige nicht Bescheid weiß (vgl. 27:65), weder sich noch anderen bei Gott Vorteile verschaffen kann (vgl. 72:21-22; 6:50), ein Vorbild für alle Gläubigen ist, auf die Forderungen seiner Gegner Wunder zu vollbringen, erwidert: „Bin ich denn etwas anderes als ein sterblicher Mensch, Gesandter?“ (Asad 2009, 17:93) usw.3
Aus dieser Gegenüberstellung lässt sich erkennen, dass ein Ungleichgewicht zwischen dem traditionellen Bild Muhammads und dem koranischen Bild herrscht. Aus diesem Grund soll in dieser Arbeit der Frage nachgegangen werden, inwieweit eine Diskrepanz zwischen dem traditionellen und koranischen Bild vom Propheten Muhammad besteht.
Auf Grundlage dieser Fragestellung wird im ersten Teil dieser Arbeit auf theoretische Grundlagen eingegangen, wer Propheten, ihre Kennzeichen und Aufgaben im islamischen Verständnis sind.
Im Anschluss daran wird die Frage in Angriff genommen, welches Bild Muhammad in der islamischen Frömmigkeit hat. Dabei soll in diesem Teil untersucht werden, worauf das Bild der islamischen Frömmigkeit vom Propheten fußt und was die Gründe für das Entstehen dieses bestimmten Muhammadbildes sind. Außerdem wird hierbei untersucht, inwieweit das traditionelle Bild des Propheten mit dem koranischen Kontext übereinstimmt. Bei der Auseinandersetzung mit diesen Fragen wird exemplarisch auf fünf berühmte Motive bzw. Überlieferungen über den Propheten zurückgegriffen und analysiert. Diese sind die Öffnung der Brust, heilende Kräfte Muhammads, das Licht Muhammads, die Mondspaltung und, die Nacht-und Himmelsreise.
Zur Gegenüberstellung zum traditionellem Bild Muhammads wird im dritten Teil erarbeitet, welches Bild der Koran vom Propheten Muhammad präsentiert. Hierbei wird auf zwei Aspekte fokussiert, die im Koran in Bezug auf den Propheten betont werden. Diese sind das Menschsein und die Vorbildlichkeit Muhammads.
Nach der Gegenüberstellung soll eine Auswertung zu der geführten Analyse erstellt werden. Dabei werden auf die Konsequenzen eines wundersamen, übermenschlichen Muhammadbildes in Bezug auf die Gläubigen aufmerksam gemacht.
Schließlich sollen im Fazit die gewonnen Erkenntnisse zusammengefasst und meine persönlichen Gedanken zu der Diskrepanz zwischen dem traditionellen und koranischen Bild vom Propheten geäußert werden.
Über das Leben des Propheten, sein Tun und Wirken gibt es vielzählige Werke und Untersuchungen. Auch darüber, wie Muhammad in der islamischen Frömmigkeit wahrgenommen wird, welche Bedeutungen er für die Muslime hat, gibt es bedeutende Beiträge von Annemarie Schimmel4, Hartmut Bobzin5, Marco Schöller6 sowie von Ibn Ishak7, die bei der Erarbeitung des Hauptteils dieser Arbeit eine gewichtige Rolle gespielt haben.
Jedoch gibt es im deutschen Sprachraum wenig Literatur, die sich kritisch und differenziert mit dem traditionellen Bild Muhammads befasst. Aus diesem bezieht sich der Teil über das Bild Muhammads in der islamischen Frömmigkeit insbesondere auf die türkischen Werke von Mehmet Azimli8, Ibrahim Sarmis9,& Musa Bagci10 sowie von Israfil Balci11, die von meiner Person übersetzt wurden.
Da sich der vierte Teil der Arbeit mit dem koranischen Bild des Propheten befasst, wurde in diesem Part überwiegend mit der Koranübersetzung und -kommentar von Muhammad Asad gearbeitet. Sich aber in diesem Teil nur auf den Koran zu beziehen, fiel schwer. Aus diesem Grund war hierbei das Werk Üc Muhammad von Mustafa Islamoglu hilfreich.
Laut Koran ist Gott der Schöpfer der Welten und der allen darin erschaffenen Wesen (vgl. 6:102). Er ist es, der den Menschen in schönster Gestalt erschaffen hat (vgl. 95:4). Der Grund für die Erschaffung des Menschen ist nach dem Koran eindeutig: „Und (sage ihnen, daß) Ich […] Menschen nicht zu einem anderen Zweck erschaffen habe, als daß sie Mich (erkennen und) anbeten mögen“ (51:56). Gleichzeitig hat Gott dem Menschen mit freiem Willen und Vernunft versehen, sodass ihm die Möglichkeit gegeben ist, zwischen Glauben und Unglauben zu wählen sowie zwischen Recht und Unrecht zu unterscheiden (vgl. 76:2-3; 18:29). Nutzt er seinen Verstand und seine Willensfreiheit auf rechtem Wege, erlangt er das Wohlgefallen Gottes und wird belohnt werden (vgl. 33:35); wählt er den zweiten Weg, entwickelt er sich zum „Niedrigsten aller Niedrigen“ (95:5).
Doch Gott hat den Menschen nicht alleine gelassen. Aus seiner Barmherzigkeit heraus hat Gott ihm als Unterstützung im Leben Propheten und mit ihnen Schriften entsandt. Die Entsendung von Propheten ist nach dem Koran so alt wie die Menschheit.12
Der Glaube an die Propheten ist eines der fünf Glaubensgrundsätze13 im Islam. Jeder gläubige Muslim14 ist verpflichtet, an alle von Gott gesandten Propheten zu glauben, ohne einen Unterschied zwischen ihnen zu machen. Gemäß dem Vers: „[…] sie alle glauben an Gott und Seine Engel und Seine Offenbarungsschriften und Seine Gesandten, ohne einen Unterschied zwischen irgendeinem Seiner Gesandten zu machen“ (2:285).
Aus dem Koran ist nicht zu entnehmen, wie viele Propheten Gott gesandt hat. Aber nach einer Überlieferung sollen ca. 124.000 Propheten gesandt worden sein (vgl. Kirbasoglu 2010, 127). Muhammad ist der letzte Prophet, den Gott entsandte. Nach Sure 33:40 wird Muhammad als „Siegel der Propheten“ bezeichnet, wodurch er in die Prophetengenealogie eingeführt und damit gleichzeitig konstatiert wird, dass er der letztgesandte Prophet ist. Obwohl ein Muslim nicht weiß, wer alle Propheten sind,15 erkennt er alle Propheten, die Muhammad vorausgingen, als wahrhaftige Propheten an.
„Siehe, Wir haben dir (o Prophet) eingegeben, geradeso wie Wir Noah und allen Propheten nach ihm eingaben – wie wir Abraham eingaben und Ismael und Isaak und Jakob und ihren Nachkommen einschließlich Jesus und Hiob und Jona und Aaron und Salomon; und wie Wir David ein Buch der göttlichen Weisheit gewährten; und wie (Wir anderen) Gesandten (eingaben), die Wir dir zuvor erwähnt haben, wie auch Gesandte, die Wir dir gegenüber nicht erwähnt haben; und wie Gott Sein Wort zu Moses sprach: (Wir sandten alle diese) Gesandten als Verkünder froher Kunde und als Warner […] “ (4:163-165).
Nach islamischem Verständnis sind Propheten Empfänger göttlicher Offenbarung, die den Auftrag haben, die Botschaft Gottes zu lesen, zu verinnerlichen und zu verkünden. Propheten sind nicht nur Boten Gottes, sondern auch „Diener Gottes“, wie dies z.B. im Glaubensbekenntnis für den Propheten Muhammad ausgedrückt wird.16 D.h., dass auch Propheten, wie die Menschen und andere Geschöpfe dieser Welt, sich an die Gebote Gottes halten müssen. Neben der Dienerschaft und Prophetie werden Propheten zudem als Warner und Verkünder froher Botschaft betitelt (vgl. 19:97). Nach gängiger Auffassung ist ein weiteres Kennzeichen von Prophetie, dass diese mit Gottes Hilfe Wunder vollbringen können (vgl. Aydemir 2012, 3).
Alle Propheten, die im Koran genannt werden, sind männlichen Geschlechts. Darüber, ob es weibliche Propheten gab, sind sich die Koranexegeten uneinig (vgl. Yavuzcan 2014, 71). Worüber aber Einigkeit herrscht, ist, dass Propheten Menschen sind (vgl. 14:11).
Wie jeder andere Mensch auch sind Propheten sterblich und den Naturgesetzen untergeben. Ihre Bedürfnisse gleichen den ihrer Mitmenschen: Sie essen, trinken, werden krank, schlafen, heiraten und sterben eines Tages (vgl. 25:7; 50:12). Alle diese Eigenschaften sind keine Mängel für Propheten. Dafür, dass sie Menschen sind und dieselben Bedürfnisse wie ihre Mitmenschen haben, können sie eine angemessene Beziehung zu anderen Menschen aufbauen und ihnen die Gottesbotschaft übermitteln. Außerdem ist ihr Menschsein wegen ihrer Leitbildfunktion und Führungsrolle von unabdingbarer Bedeutung, weil ein „Übermensch“ als Vorbild für einen Menschen nicht in Frage kommen könnte (vgl. Durmus et al., 220). Ein weiterer Grund, warum der Koran die Menschlichkeit der Propheten betont, ist, dass Gott den Unterschied zwischen Mensch bzw. Prophet und Gott klarstellen möchte (vgl. Köylü 2013, 123). Ein Prophet ist ein Mensch und besitzt keine göttlichen Eigenschaften und es darf ihm auch keine zugeschrieben werden. Damit wird das Prophetenverständnis der damaligen polytheistischen Mekkaner sowie der vorausgegangenen Völker, wie z.B. das Volk von Noah, negiert, für die überirdische Wesen wie Engel nur als Propheten in Frage kamen (vgl. 11:27; 25:7; 6:91). Dieser Aspekt lehnt zudem das Jesusbild im christlichen Glauben, in welchem Jesus als Gott und als Gottessohn verstanden wird, ab (vgl. 5:116-117).
Alle Propheten haben die Aufgabe, die Gottesbotschaft, ohne sie zu verändern, an die Menschen weiterzuleiten. Die Religion aller Propheten, ihre Glaubensgrundsätze sowie ihre Ziele sind dieselbe (die Menschen vom Unglauben bzw. Polytheismus zum Monotheismus zu führen). Die Unterschiede liegen lediglich in der Sprache, Methodik sowie in der Praxis (vgl. Islamoglu 2014, 52).
Für das Amt des Propheten werden im Koran zwei verschiedene Begriffe verwendet: Nabī und rasūl. Nabī kann als Prophet und rasūl als Gesandter übersetzt werden (vgl. Bobzin 2013, 23). Laut dem deutschen Orientalisten Hartmut Bobzin kommt das Wort rasūl mit 332 und nabī mit 75 Belegen im Koran vor (vgl. ebd. 24). Hinsichtlich der Bedeutung der beiden Begriffe gibt es im Gelehrtenkreis unterschiedliche Meinungen. Das traditionelle Verständnis besagt, es gebe einen wesentlichen Unterschied zwischen den beiden Begriffen, der darin liege, dass rasūl für diejenigen Propheten verwendet werde, die mit einer neuen Schrift kommen und eine neue Religion übermitteln. Dabei wird oft auf Moses, Jesus und Muhammad, denen die heiligen Schriften Thora, Evangelium und Koran offenbart wurden, aufgeführt. Nabī sind in diesem Zusammenhang Propheten, die keine heilige Schrift erhalten haben, sondern lediglich die vorausgegangene Botschaft und Religion fortführen und die Menschen zur Befolgung dieser aufrufen. Beruhend auf diese Unterscheidung wird der folgende Satz formuliert: Nicht jeder nabī ist ein rasūl, aber jeder rasūl ist ein nabī (Köylü 2013, 121).
Bobzin erklärt die obige Unterscheidung als nicht zutreffend (vgl. Bobzin 2013, 29f). Er verweist darauf, dass im Koran Noah, Lot, Ismael, Aaron, Elia u.a. ebenfalls als rasūl bezeichnet werden, die im traditionellen Verständnis nicht als solche gelten. Im Gegensatz sollen sowohl nabī als auch rasūl Schriften (kitab), Wunderzeichen (ayat) sowie Inspiration (Offenbarung/wahy) erhalten haben. Ein rasūl ist jemand, dessen konstitutives Merkmal, die Sendung zu einem bestimmten Volk sei. Für nabī sei das genealogische Moment entscheidend, d.h. die Abstammung von einer bestimmten Nachkommenschaft (vgl. ebd. 30). Außerdem sei die Erwählung der Propheten und ihr Bund mit Gott eine Eigenschaft der nabī bzw. Propheten17. Diejenigen Propheten, mit denen ein Bund geschlossen wurde, werden im arabischen als „ūlūl-´azm“/ „Leute der Entschlossenheit“ (vgl. Yavuzcan 2014, 70) bezeichnet. Dieser Begriff kommt im Koran im Vers 46:35 vor. Der Name der Propheten, die als „ūlūl-´azm“ bezeichnet werden, ist im Vers 33:7 zu lesen. Diese sind Noah, Abraham, Moses, Jesus und Muhammad. Der Grund für diese Betitelung kann damit begründet werden, dass sie ihren Auftrag ohne Angst verkündeten (vgl Köylu 2013, 122).&
Aber trotz dieser Nuance sei „keine scharfe Abgrenzung zwischen den Begriffen nabī und rasūl “ aufgrund ihrer oben genannten gewichtigen Gemeinsamkeiten möglich (vgl. Bobzin 2013, 30). Diese unterschiedlichen Bezeichnungen sollten nicht zu der Annahme führen, dass einige Propheten bzw. Gesandten erhabener sind als andere. Sie könnten untereinander Differenzen aufweisen und in diesen überlegener sein als andere. Denn die Prophetie ist ein von Gott erwähltes Amt. Sie kann nicht durch Selbstläuterung, durch extensiv ausgeführte Gebetseinheiten oder durch die Aneignung von Tugenden erlangt werden. Deshalb kann von einer besonderen Erhabenheit bestimmter Propheten nicht die Rede sein (vgl. Okuyan 2007, 224).
Alle Propheten haben im Auftrag Gottes gesprochen und seine Botschaft verkündet. Jedoch sind sie nicht in der Lage gewesen, etwas Zukünftiges vorauszusagen. Nur wenn Gott seinen Propheten über die Zukunft etwas offenbart hat, konnten sie darüber berichten. Der Koran legt die Worte, die die diesbezügliche Unfähigkeit des Propheten zum Ausdruck bringen, im folgendem Vers in den Mund: „[…] und (wie sie alle) weiß ich nicht, was mit mir oder mit euch geschehen wird; ich folge nur dem, was mir offenbart wird: denn ich bin nichts als ein deutlicher Warner“ (vgl. 46:9). Wissen, welches die Verstandesgrenzen des Menschen übersteigt, das Wissen über die Zukunft oder „das Eintreffen der Letzten Stunde“ besitzen sie nicht. Sure 7 Vers 189 betont diesen Aspekt ausdrücklich:
„Sie werden dich (o Prophet nach der Letzten Stunde fragen: ´Wann wird sie eintreffen? ´ Sag: ´Wahrlich, Wissen davon liegt bei meinem Erhalter allein. Keiner als Er wird sie zu ihrer Zeit offenbaren. Schwer wird sie auf den Himmeln und der Erde lasten; (und) sie wird nicht anders über euch hereinbrechen als plötzlich. ´ Sie werden dich fragen – als ob du Einsicht in dieses (Mysterium) gewinnen könntest kraft beharrlicher Erkundigung! Sag: ´Wissen davon liegt bei meinem Erhalter allein; aber die meisten Leute sind (dessen) ungewahr.´“
Der Glaube an die Wahrhaftigkeit eines Propheten war Voraussetzung, damit ein Prophet seinen göttlichen Auftrag erfüllen konnte. Wie konnte aber ein Prophet als ein wahrhaftiger Prophet identifiziert werden? Was sind die Kennzeichen des spezifisch Prophetischen? Vor allem war es für einen gläubigen Menschen wichtig, wahre Propheten von falschen Propheten abzugrenzen. Mit diesen und weiteren Fragen haben sich muslimische Gelehrte bereits im Frühislam auseinandergesetzt, um „das Prophetentum zu stärken und Kriterien von wahrer Prophetie zu entwickeln“ (Isik 2015, 72). Da ein Prophet ein von Gott auserwählter Mensch ist, sollte er doch wegen seiner göttlichen Mission unabdingbare Attribute besitzen? Oder sich von einem einfachen Menschen unterscheiden?
In der Auseinandersetzung mit diesen Fragen sind zwei Erkennungszeichen von Prophetie entstanden: Das erste sind die persönlichen Kennzeichen, die z.B. den Charakter oder das Wesen der Propheten betreffen; das zweite sind äußerliche Zeichen wie Wunder, die die Wahrhaftigkeit der Prophetie beweisen (vgl. ebd. 75).
Zu den persönlichen Kennzeichen werden folgende fünf Attribute bzw. Bedingungen für Prophetie genannt: Verkündigung (tablīg), Sündenlosigkeit (isma), Aufrichtigkeit (sidk), Vertrauenswürdigkeit (amāna) und schließlich die Intelligenz (fatāna) (vgl. ebd.). Zum Verständnis sei noch angemerkt, dass „diese Eigenschaften erst nach dem Ableben des Propheten Muhammad in Anlehnung an bestimmte Qur´anverse (und später unter der Hinzuziehung von Hadith-Werken) als Kriterien und bzw. Bedingungen der Prophetie entwickelt“ wurden (Isik 2015, 76). Im Folgenden sollen diese Bedingungen für die Prophetie dargestellt werden.
Nach dem traditionellen Verständnis wird den Propheten die Eigenschaft der Sündlosigkeit zugeschrieben. Der Begriff der Sündlosigkeit taucht weder im Koran noch in den Hadith-Werken auf, sondern er ist ein von muslimischen Gelehrten entwickelter Begriff. Die Zuschreibung der Sündlosigkeit für die Propheten kann dahingehend verstanden werden, dass hierdurch die Zuverlässigkeit und Wahrhaftigkeit der Offenbarung Gottes gewährleistet werden soll (vgl. Isik 2015, 80). In diesem Zusammenhang sind Prophet Muhammad und alle anderen Propheten frei von sündigen Taten und Verfehlungen – sowohl vor als auch nach ihrer Sendung-, die ihr Ansehen und ihrer Prophetie schaden könnten. Propheten sollen vor Satans Einflüsterungen von Gott beschützt worden sein. Aus diesem Grund kam das vorsätzliche Begehen von Sünden für sie nicht in Frage (vgl. Köylü 2013, 124). Ebenfalls ist die Zugehörigkeit zum Polytheismus vor ihrer Sendung nicht denkbar, insbesondere von Muhammad, sondern sie gehörten dem Hanif-Glauben/Ein-Gott-Glauben an. Aber kleinere Fehler, die in der islamischen Literatur als dalla/Ausrutscher bezeichnet werden, werden den Propheten in Bezug auf ihre Menschlichkeit eingeräumt. Diese Lapsus werden jedoch lediglich mit weltlichem Verhalten und meist auf die Zeit vor ihrer Sendung in Verbindung gebracht. Fehler in religiösen Angelegenheiten seien nicht möglich, weil Gott seine Propheten in solch einem Fall gewarnt hätte. Unmoralische Verhaltensweisen oder Fehlverhalten in religiöser Hinsicht würden die göttliche Mission gefährden und Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Prophetie und der Offenbarung hervorbringen. Aus diesem Grund betone der Koran mehrfach die Aufrichtigkeit seiner Propheten (ebd.).
Dass Propheten nach ihrer Sendung nicht in Versuchung geführt oder vor satanischen Einflüsterungen geschützt wurden, erscheint im Hinblick auf weitere Koranverse und Überlieferungen von Propheten Muhammad nicht einleuchtend. So heißt es beispielsweise in der Sure 47 Vers 19:
„Wisse denn (o Mensch), daß es keine Gottheit gibt außer Gott, (und solange es noch Zeit ist,) bitte um Vergebung für deine Sünden und für (die Sünden von) allen anderen gläubigen Männern und Frauen: denn Gott kennt all euer Kommen und Gehen wie euch euer (in Ruhe) Verbleiben.“
Bezüglich dieses Koranverses sagt der türkische zeitgenössische Koranexeget Bayrakli, dass der Prophet Muhammad- weil er Mensch gewesen ist- durchaus in der Lage war, Sünden zu begehen. Sonst hätte Gott ihn nicht aufgefordert, für seine Sünden um Vergebung zu bitten. Der Aspekt der Menschlichkeit und die Möglichkeit seines Fehlverhaltens beuge seine Vergöttlichung vor (Bayrakli 2008, 25). In einer anderen Sure verspricht Gott Muhammad, dass er seine Sünden verzeihen werde (vgl. 48:2). So fragt Bayrakli zurecht, wie Gott Muhammad die Sünden verzeihen kann, wenn er doch sündlos sei (vgl. ebd., 26). Hinsichtlich der Annahme, dass Propheten vor den Verführungen des Satans geschützt seien, kann der folgende Vers aufgeführt werden: „Und wenn es geschehen sollte, daß eine Einsagung von Satan dich (zu blindem Ärger) aufstachelt, suche Zuflucht bei Gott: siehe, Er ist allhörend, allwissend“ (7:200). Nach Bayrakli zeigt dieser Vers, dass der Satan durchaus Muhammad beeinflussen konnte. Deshalb befehlt Gott, dass Muhammad in solch einem Fall Schutz vor Gott suchen soll (vgl. ebd., 31).
Außerdem lesen wir in zahlreichen Hadithen, dass der Prophet Muhammad vielfach Gott wegen seiner begangenen als auch zu begehenden Fehlern um Vergebung bittet (vgl. ebd., 26f). Dies zeigt, dass der Prophet Muhammad in der Lage war, Fehler bzw. Sünden zu begehen. Die Möglichkeit des Sündigens kann auch auf andere Propheten übertragen werden, was wir z.B. im Falle von Adam und seiner Frau sowie von Propheten Jonas sehen (vgl. 2:35-37; 21:87).
Dass ein Prophet in der Lage ist, Fehler zu machen, sollte nicht als ein Mängel aufgefasst werden, sondern als ein Bestandteil des Menschseins. Da auch Propheten - wie bereits oben dargestellt – Menschen sind, können sie hiervon nicht ausgeschlossen werden. Aus diesem Grund erscheint es in solch einem Fall fraglich, die Sündlosigkeit als ein Kriterium für Prophetie aufzufassen.
In diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass die Sündlosigkeit im traditionellen Bild Muhammads eine gewichtige Rolle spielt. Auf diesen Aspekt wird Hauptteil dieser Arbeit näher eingegangen.
Eine weitere Eigenschaft, die den Propheten zugeschrieben wird, ist die Intelligenz. Alle Propheten sollen geistreiche und intelligente Personen sein. Diese Eigenschaft machte ihnen möglich, die Offenbarung zu verkünden, gegen die Einwände ihrer Zuhörer angemessen zu antworten sowie ihre Zuhörer zum Nachdenken anzuregen und zu überzeugen (vgl. Durmus 2016, 221). &
Das arabische Wort kann übersetzt Treue, Wahrheit oder Richtigkeit bedeuten (ebd.). Im Koran werden dem Propheten wie Abraham oder Ismail diese Eigenschaften zugeschrieben bzw. als sidq bezeichnet. Von Propheten wird nicht nur im religiösen Bereich Aufrichtigkeit erwartet, sondern auch in alltäglichen Situationen. Lüge oder Falschheit ist hinsichtlich der Propheten unvorstellbar, weil in solch einem Fall ihre Glaubwürdigkeit bezüglich ihrer Botschaft und ihrer Funktion in Zweifel geraten würde. Außerdem müssen ihre Handlungen mit der von ihnen verkündeten Botschaft im Einklang sein, denn sonst könnte ihr Prophetentum ebenfalls in Frage gestellt werden. Daraus lässt sich schließen, dass „sidq“ unabdingbar für Propheten gewesen ist.
Nach islamischer Auffassung waren Propheten wahrhaftige Menschen und haben ihre Mission gewissenhaft ausgeführt bzw. ihre Verantwortung gegenüber der Offenbarung zuverlässig erfüllt. Von einem Propheten ist es nicht denkbar, dass er die Botschaft Gottes verheimlicht, sie verändert oder etwas hinzufügt (vgl. 40:78; 69:44). Dadurch wird zum Ausdruck gebracht, dass Verrat mit dem Amt des Propheten nicht vereinbar ist. &Im Gegenteil wird im Koran ihre Verlässlichkeit betont, indem gesagt wird, dass sie für ihren Auftrag keinen Lohn von ihren Mitmenschen erwarten und fordern (vgl. 11:51). Auch Gott bezeichnet seine Propheten als ehrliche und zuverlässige Menschen. Für die Unterstreichung, dass Propheten in der Gesellschaft als Vertrauenswürdige bekannt waren - auch vor ihrer Sendung-, wird beispielhaft ein Ereignis aus dem Leben des Propheten Muhammad herangeführt. Prophet Muhammad soll bereits vor seiner Sendung von seinen Mitmenschen den Beinamen Al-Amin, der Vertrauenswürdige, erhalten haben. Bei der Renovierung der heiligen Moschee/Kaaba gerieten die Stammesvertreter in Streit. Sie konnten sich nicht einigen, wer den Schwarzen Stein an seinen Ort zurücklegen soll. Daraufhin entschieden sie sich, einen Schiedsrichter zu wählen, der den Streit schlichten und das Problem lösen soll. Derjenige, der als Erstes in die Moschee hereinkam, sollte der Schiedsrichter sein: „[…] der erste Eintretende war Mohammed. Als sie ihn sahen, sagten sie: „Der ist uns recht, es ist ja der Wahrhaftige“ (Ibn Ishak 2014, 27).
Tablīg bzw. Verkündigung bezeichnet den göttlichen Auftrag der Propheten, die Offenbarung an die Menschen weiterzugeben, ohne eine Änderung an dieser vorzunehmen (vgl. Köylü 2013, 126). Nach Isik stellt aber die Verkündigung (tablīg) eher eine zentrale Aufgabe von Propheten als eine Eigenschaft bzw. ein Kriterium für die Prophetie dar (vgl. Isik 2015, 77). Da wir derselben Meinung wie die muslimische Religionspädagogin sind, werden wir auf diesen Aspekt im Folgenden Teil „Aufgaben und Funktionen der Propheten“ näher eingehen.
Bevor aber auf die Aufgaben und Funktionen der Propheten eingegangen wird sollen die äußerlichen Zeichen – Wunder der Propheten - zunächst erläutert werden.
Neben den persönlichen Erkennungszeichen wird die Vollbringung von Wundern als ein weiteres Kriterium für die Beglaubigung von Prophetie aufgefasst. Unter Wunder wird im klassischen Sinne ein „außergewöhnliches, den Naturgesetzen oder aller Erfahrung widersprechendes und deshalb der unmittelbaren Einwirkung Gottes, der Götter oder übernatürlichen Kräften zugeschriebenes Geschehen, Ereignis“ verstanden (Linke 2011). In der islamischen Literatur wird für den Begriff des Wunders meist das Wort „ mu´giza “ verwendet, was übersetzt so viel wie „unfähig machen“ bedeutet (vgl. Aydin). Dieses Wort kommt im Koran jedoch in der Form nicht vor. Im Koran wird in diesem Zusammenhang das Wort aya verwendet, das übersetzt Zeichen oder Beweis bedeuten kann (vgl.). Als Zeichen werden im Koran Naturereignisse, wie z.B. der Regen (vgl. 16:65); die Erschaffung der Himmel und Erde oder der Anbruch des Tages und der Nacht (vgl. 12:105), die Zeichen im Buch/Koran (vgl. 3:7; 11:1-2) oder außergewöhnliche Ereignisse, wie die Verwandlung des Stabes Mose in eine Schlange geheißt18 (vgl. Beyazyüz 2018; vgl. 7:106-109). „Alle Zeichen enthalten einen Verweischarakter auf Gott und seine Schöpfermacht und stehen als Symbole dar, durch die sich Gott dem Menschen mitteilt. Eben diese Zeichen weisen einen ´Wundercharakter´ auf“ (Isik 2015, 93). D.h. der Koran unterscheidet nicht zwischen den „überragenden Ereignissen“, wie die Verwandlung des Stabes Mose oder den Zeichen in der Natur. Beide haben für ihn die gleiche Bedeutung und weisen auf Gott zu.
Mu´giza bzw. Wunder haben im islamischen Sinne zwei charakteristische Merkmale. Das erste Merkmal ist die Herausforderung; das zweite das Unfähigmachen. Beruhend auf diese zwei Merkmale formulieren die islamischen Gelehrten folgende Definition für Wunder/ mu´giza: Wunder sind übernatürliche Ereignisse, die von einem Propheten mit Gottes Hilfe vollbracht werden, um die Ungläubigen außer Stande zu setzen, Gleiches zu tun sowie seine wahrhaftige Prophetie unter Beweis zu stellen (vgl. Aydin).
Wie in der Definition zu entnehmen ist, sind Wunder auf Gottes Schöpfermacht zurückzuführen. D.h. Propheten selbst können aus eigener Macht nicht Wunder vollbringen. Sie sind in dieser Hinsicht stets auf Gottes Hilfe angewiesen.
Wunder können bezüglich ihrer Wirkung sowie ihres zeitlichen Rahmens in zwei Kategorien unterteilt werden: Die Sintflut Noahs (vgl. 11:36-48), die Kamelstute Salihs (vgl. 7:73), die wundersamen Heilungskräfte Jesu (vgl. 3:49) u.a.19 werden zu den Wundern kategorisiert, die die Gefühle und die Empfindungen der Menschen anregen. Diese Wunder wurden nur von den Zeitgenossen der Propheten gesehen und erlebt – waren also nur auf den Moment beschränkt - &und sollten als Beweis für ihr Prophetentum sowie für ihre göttliche Botschaft dienen (vgl. Aydemir 2012, 3).
In Bezug auf die Prophetie Muhammads heißt es im Koran, dass er keine Wunder vollbringen konnte. Als Beweis für seine Prophetie galt und gilt der Koran.
„Und doch sagen sie: Warum sind ihm niemals Wunderzeichen von droben von seinem Erhalter erteilt worden?“ Sag: „Wunder sind allein in Gottes Macht; und was mich angeht – ich bin nur ein deutlicher Warner.“ Wie – genügt es ihnen nicht, daß Wir dir diese göttliche Schrift von droben erteilt haben, ihnen (von dir) übermittelt zu werden? Denn, wahrlich, in ihr ist (Unsere) Gnade (manifestiert) und eine Erinnerung für Leute, die glauben wollen“ (29:50-51).
Der Grund, warum dem Propheten Muhammad keine Wunder wie denen der vorausgegangen Propheten gegeben wurde, wird in Sure 17 Vers 59 genannt. Dort heißt es, dass diese Wunder die Zeitgenossen der anderen Propheten nicht überzeugt hatten und sie die Propheten trotz der Vollbringung von Wundern als Lügner bezeichnet hatten. Der verstorbene Koranexeget Asad kommentiert diesen Vers wie folgt:
„Sein (Muhammad) einziges Wunder war und ist der Qur´an selbst – eine Botschaft, vollkommen in ihrer Klarheit und ethischen Vollständigkeit, bestimmt für alle Zeiten und alle Phasen der menschlichen Entwicklung, gerichtet nicht nur an das Gefühl, sondern auch an den Geist des Menschen, offen für jeden, gleich welcher ethischen Abstammung oder gesellschaftlichen Umgebung, und dafür bestimmt, für immer unverändert zu bleiben“ (Asad 2009, S. 541).
In folgenden Zeilen heißt es bei Asad, dass der Koran zu einer Zeit verkündet worden ist, „als die Menschheit […] ein Maß an Reife erlangt hatte, dass sie hinfort befähigte, eine Ideologie als solche zu begreifen ohne die Hilfe jener überzeugenden Zeichen und wundersamen Darbietungen […]“ (vgl. ebd.).
Aus dem Kommentar Asads kann auch die zweite Form des Wunders entnommen werden, die „als den Geist bzw. Verstand betreffendes Wunder“ bezeichnet werden und in diese der Koran eingeordnet wird (vgl. Aydemir 2012, 3).
Wie bereits oben erwähnt, ereignen sich Wunder durch Gottes Hilfe. Propheten selbst können nicht aus eigener Macht Wunder vollbringen. Zahlreiche Koranverse zeigen jedoch, dass die Zeitgenossen der Propheten dies nicht nachvollziehen konnten oder nicht wollten. Sie akzeptierten Menschen als Propheten nicht und forderten die Propheten stets auf, Außergewöhnliches zu verwirklichen.
„Aber die Großen unter seinem Volk, die sich weigerten, die Wahrheit anzuerkennen, erwiderten: ´Dieser (Mann) ist nichts als ein Sterblicher wie ihr, der sich über euch erheben will! Denn wenn Gott gewollt hätte (uns eine Botschaft zu übermitteln), Er hätte sicherlich Engel herabgesandt´ […]“ (23:24).
Jemand, der wie seine Mitmenschen auch seinen natürlichen Bedürfnissen – wie essen, trinken, heiraten -& nachgeht, könnte ihrer Meinung nach kein Prophet sein (vgl. 25:7).
Beispielsweise erwarteten die polytheistischen Mekkaner vom Propheten Muhammad: Eine Wasserquelle aus der Erde fließen lassen; eine Naturkatastrophe herbeiführen können; Gott und die Engel zu ihnen holen; ein aus Gold gemachtes Haus haben plus einen Garten mit Dattelpalmen und Rebstöcken; in den Himmel steigen und ein heiliges Buch mitbringen (vgl. 17:90-93).
Die Antwort des Propheten Muhammad sowie aller anderen Propheten auf die Unmöglichkeit dieser Ereignisse ist gewesen: „Sag du (o Prophet): „Grenzenlos in Seinem Ruhm ist mein Erhalter! Bin ich denn etwas anderes als ein sterblicher Mensch, ein Gesandter?“ (vgl. ebd.).20
Diese Erwartungen der Zeitgenossen der Propheten zeigen ihre Vorstellung bzw. ihr Verständnis von Prophetie: 1. Nur ein Engel kann ein Prophet sein; 2. ein Engel oder gar Gott selbst muss die Prophetie eines Propheten bezeugen.
Daneben stellt das Verhalten dieser Menschen ihre Arroganz und Stolz dar. Als hochmütige Menschen akzeptieren sie einen Menschen als Propheten nicht, sondern wünschten, dass Gott persönlich zu ihnen kommt (vgl. Aydemir 2012, 4). Der Koran betitelt solch ein Verhalten als Maßlosigkeit (vgl. 25:21). Außerdem zeigt ihr Verhalten und ihre Denkweise ebenfalls, dass sie die Funktion und Aufgaben der Propheten nicht verstanden hatten.21 Was die Aufgaben der Propheten sind, soll im Folgenden dargestellt werden.
In Sure 5 Vers 99 heißt es: „Nicht mehr obliegt dem Gesandten zu tun, als die (ihm anvertraute) Botschaft zu übermitteln: und Gott weiß alles, was ihr offen tut, und alles, was ihr verbergen möchtet“.22 Aus dem Vers kann herausgelesen werden, dass die zentrale Aufgabe des Propheten Muhammad und die der anderen Propheten die Übermittlung bzw. die Verkündigung (tablig) der Botschaft Gottes ist. & Alles, was ihnen von Gott offenbart wurde, soll den Menschen übermittelt werden. Dabei ist eine Änderung an der Offenbarung strengstens verboten. Sonst droht ihnen eine harte Strafe (vgl. 69:44-47). Mit dieser Ankündigung wird den Propheten das „Wie“ der Verkündigung deutlich gemacht (vgl. Bayrakli 2008, 46):
Die Propheten dürfen dem Offenbarten nichts hinzufügen, wie z.B. ihre eigene Meinung, sondern sollen die Botschaft übermitteln, wie sie offenbart wurde.
Sowohl Prophet Muhammad als auch die anderen erlebten bei der Verkündigung der göttlichen Botschaft Widerstand. Trotz dessen sollten sie unangefochten ihrer Arbeit nachgehen. Beispielsweise forderten die polytheistischen Mekkaner den Propheten Muhammad auf, die Offenbarung zu ändern oder ihnen ein anderes Buch als den Koran zu bringen, weil der Inhalt des Korans ihres Erachtens nach nicht ihrer sozialen und politischen Ordnung passe. In solch einem Fall würden sie mit ihm kooperieren. An dieser Stelle greift Gott ein und appelliert an Muhammad, standhaft zu bleiben, nichts von der Offenbarung wegzulassen bzw. zu ändern sowie nicht vom rechten Weg abzuirren (ebd. 47f; 17:73-74; 11:12). Denn eine Änderung an der Offenbarung würde nach dem Koran eine Verleumdung gegen Gott bedeuten (vgl. Bayrakli 2008, 48).
Die Propheten haben zwar die Aufgabe Gottes, Botschaft zu verkünden, sie sind jedoch für die Konsequenzen der Übermittlung nicht verantwortlich, d.h., ob die Menschen an die Offenbarung glauben oder nicht. „Aber wenn sie sich (von dir, o Prophet,) abwenden, (gedenke, daß) deine alleinige Pflicht eine klare Überbringung der (dir anvertrauten Botschaft ist“ (16:82). Das Desinteresse des Volkes darf die Propheten nicht entmutigen lassen und sie sollen an der Verkündung der Botschaft weiterarbeiten. Aber gleichzeitig dürfen sie auch nicht vergessen, dass sie nicht die „Wächter über die Menschen“ sind, d.h. sie nicht zum Glauben zwingen dürfen. (vgl. 42:48; Bayrakli 2008, 50)
Beruhend auf den Vers 16:44 wird dem Propheten Muhammad und zugleich den anderen Propheten zudem die Aufgabe des Erklärens/Erläuterns (tabyīn) zugewiesen (vgl. Karagöz 2005, 39): „[…] Und (auch) dir haben Wir von droben diese Erinnerung erteilt, auf daß du der Menschheit alles klarmachen mögest, was ihnen also jemals erteilt worden ist, und daß sie nachdenken mögen“ (vgl. 16:44).
Weil Muhammad derjenige gewesen ist, der die Offenbarung erhielt und aufgrund dessen die Botschaft am besten verstand, sollte er seinen Zuhörern ebenfalls die Offenbarung verständlich machen und erklären. Diese Aufgabe bewerkstelligte er sowohl mündlich als auch praktisch (vgl. ebd.). Für die Relevanz dieses Aufgabenbereiches werden die Inhalte der Glaubenspraxis der Muslime verwendet, wie beispielsweise das rituelle Gebet oder die Almosensteuer (vgl. Sentürk, 13f). Denn aus dem Koran sei nicht explizit zu entnehmen, wie das rituelle Gebet oder die Almosensteuer zu verrichten ist. Aus diesem Grund seien die Gläubigen auf die detaillierte Erklärung des Propheten angewiesen23. Die Gläubigen lernen durch ihn, wie die Koranverse zu verstehen sind und wie diese ins Leben transferiert werden sollen (vgl. ebd.).
Die Aufgabe des Erklärens und Erläuterns (tabyīn) sollte nicht im Widerspruch mit der Aufgabe des Verkündens (tablig) verstanden werden, im Sinne von - „Der Prophet fügt der Offenbarung etwas hinzu“. Dies darf nicht so verstanden werden, da im Koran angekündigt wurde, dass im Falle einer Veränderung, dem Propheten eine harte Strafe drohe (vgl.69:44-47). Dieser Aspekt sollte im Rahmen dieses Koranverses verstanden werden: „Wer immer auf den Gesandten acht gibt, der gibt dadurch acht auf Gott […]“ (4:80).
Neben der Aufgabe des Verkündens der Botschaft und des Erklärens dieser werden Prophet Muhammad und andere Propheten im Koran als Kunde froher Botschaft und als Warner bezeichnet (vgl. 19:97; 74:1-2). Als Warner sollen sie ihre Mitmenschen an den Tod, an Heimsuchungen sowie an die Wiederauferstehung erinnern (vgl. Eliacik 2011, 84). Darüber hinaus ist ihre Aufgabe in dieser Hinsicht, ihre Mitmenschen vor den Folgen des Unglaubens und Unrechttuns zu warnen, da sie im Jenseits darüber Rechenschaft ablegen müssen.
Als Kunde froher Botschaft sollen sie die rechtschaffenen Gläubigen über ihren Lohn informieren: „(Darum auch,) siehe die Gottbewußten werden sich in (einem Paradies von) Gärten und Wasserläufen finden, in einem Sitz der Wahrheit, in der Gegenwart eines Souveräns, der alle Dinge bestimmt“ (54:54-55).
Die Aufgaben von Funktionen von Propheten kann ad libitum erweitert werden (vgl. Yavuzcan 2014, 74ff). Der Autor will sich jedoch mit diesen genannten Aspekten begnügen, weil eine weitere Ausdehnung den Rahmen dieser Hausarbeit sprengen würde.
Im Folgenden soll es darum gehen, wie der Prophet in der islamischen Frömmigkeit wahrgenommen und präsentiert wird, um dies anschließend dem koranischen Bild von Muhammad gegenüberzustellen. Dadurch soll auf die Diskrepanz zwischen diesen beiden Bildern aufmerksam gemacht werden.
In der islamischen Literatur gibt es zahlreiche Werke, die sich mit der Biographie sowie der Person des Propheten Muhammad beschäftigen. Nach dem Ableben des Propheten haben sich verschiedene Disziplinen in diesem Bereich entwickelt. Während die Hadithe sich nur mit den Worten und Taten des Propheten befassen, die Sīra-Werke sich einer chronologischen Lebensgeschichte bemühen, gibt es auch die sogenannten Dalāil- und Hasāis-Werke, die Muhammad aufgrund seiner Stellung als Propheten übermenschliche Eigenschaften sowie Fähigkeiten zuschreiben. Diese ihm zugeschriebenen Fähigkeiten und Eigenschaften verleihen ihm nicht nur eine Erhabenheit über allen Menschen und den anderen Propheten, sondern auch über die Engel. Belegen lässt sich dieses verherrlichende Bild durch die ihm zugeschriebenen Wunder und Wundererscheinungen. Infolgedessen soll im Folgenden exemplarisch auf fünf prominente Motive aus den Darstellungen der Prophetenbiographien und der Überlieferungen über den Propheten Muhammad eingegangen werden. Diese sind die Öffnung der Brust, Nacht-und Himmelsreise, die Mondspaltung, Heilende Kräfte Muhammads und das Licht Muhammads. Dabei soll analysiert werden, inwiefern dieses verherrlichende Bild des Propheten mit dem koranischen Kontext übereinstimmt.
[...]
1 Mit „islamischer Frömmigkeit“ sei in dieser Arbeit das sunnitisch-traditionelle Bild Muhammads gemeint. Auf das schiitisch-traditionelle Bild Muhammads wird nicht eingegangen.
2 Für eine kritische Analyse dieser und ähnlicher Überlieferungen siehe: Uydurma Rivayetlerde Peygamber Tasavvuru (2012). Prof. Dr. Bünyamin Erul. Abrufbar unter: http://www.sonpeygamber.info/uydurma-rivayetlerde-peygamber-tasavvuru (letzter Abruf: 17.05.12).
3 [3] Alle folgenden Übersetzungen aus dem Koran werden aus der Koranübersetzung von M. Asad zitiert. M. Asad (2009): Die Botschaft des Koran. Düsseldorf. Patmos Verlag.
4 A. Schimmel (1981): Und Muhammad ist Sein Prophet.
5 H. Bobzin (2011): Mohammed.
6 M. Schöller (2008): Mohammed.
7 M. Ibn Ishak (2014): Das Leben Mohammeds.
8 M. Azimli (2017): Siyeri farkli okumak.
9 I. Sarmis (2012): Hz. Muhammed´i dogru anlamak.
10 M. Bagci (2010): Beser olarak Hz. Peygamber.
11 I Balci (2014): Hz. Peygamber ve Mucize.
12 „[… es gab niemals eine Gemeinschaft, in deren Mitte nicht ein Warner (gelebt hat und) und dahingegangen ist“ (35:24; vgl. auch 13:7; 16:36).
13 Diese sind: An Gott, seine Engel, seine Propheten, die Offenbarungsschriften und das Leben nach dem Tod (vgl. 2:177; 4:136; 2:284-285).
14 In den folgenden Zeilen wird lediglich ökonomischen Gründen nur die maskuline Form verwendet.
15 Im Koran werden lediglich 25 Prophetennamen erwähnt. Diese sind: Adam, Idris, Noah, Hud, Salih, Lot, Abraham, Ismael, Isaak, Jakob, Josef, Shu´ayb, Aaron, Moses, David, Salomon, Hiob, D& ū al-Kifl, Jonas, Elija, Elyesa. Zacharias, Johannes und Muhammad.&
16 „Ich bezeuge, dass es keine Gottheit gibt außer Gott und ich bezeuge, dass Muhammed sein Gesandter und Diener ist.“
17 Für weitere Informationen über den Unterschied zwischen den Begrifflichkeiten nabi und rasul in: Bobzin H. (2013): „Das Siegel der Propheten“. Anmerkung zum Verständnis von Muhammads Prophetentum. In: Die Boten Gottes. (Hr.) A. Middelbeck-Varwick (et al.) Regensburg. Verlag Friedrich Pustet.
18 Für eine andere Lesart der Wunder: I. Eliacik (2011): Hanginiz Muhammed. Insa Yayinlari. Istanbul.;& T. Isik (2015). Die Bedeutung des Gesandten Muhammad für den Islamischen Religionsunterricht. S. 93-96. Ferdinand Schöningh. Paderborn.
19 Für weitere wundersame Ereignisse der Propheten: Vgl. 7:106-108; 11:96; 28:31-35; 2:50; 7:160; 38:42.
20 Siehe auch: Vgl. 3:144; 18:110.
21 Trotz dieser eindeutigen Verse, die die Unfähigkeit des Propheten Muhammad, Wunder zu vollbringen, konstatieren, wurde und wird in der islamischen Frömmigkeit dem Propheten unzählige Wunder zugeschrieben. Welche diese sind und inwiefern sie mit dem koranischen Bild Muhammads übereinstimmen, soll im Hauptteil dieser Arbeit in Angriff genommen werden.
22 Siehe auch: 16:82; 3:20; 13:40; 7:73; 7:79
23 „Betet so wie ihr mich beten gesehen habt“. Frei übersetzt aus: Lütfi Sentürk (o.J.): Peygamberlik nedir ve peygamberlerin görevleri nelerdir.
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