Bachelorarbeit, 2018
46 Seiten, Note: 1,0
1. Einleitung
2. Der Transzendenzbegriff - Definition und Wortherkunft
3. Die Transzendenz des Musikalischen im Opus Wolfgang Amadeus Mozarts
3.1. Der Orient als musikalische Inspiration in Mozarts Schaffen
3.1.1. Der historische Kontext - Die Türken vor Wien
3.1.2. Die "Turkomanie" in Österreich im ausgehenden 18. Jahrhundert - Das Türkische in Mode und Musik
3.1.3. Türkische Musik in Mozarts Schaffen
3.1.3.1. Violinkonzert Nr. 5, A-Dur, KV
3.1.3.2. Die Entführung aus dem Serail
3.1.3.3. Klaviersonate A-Dur, KV 331 - Alla Turca
3.2. Der Okzident als musikalische Inspiration in Mozarts Schaffen
3.2.1. Der historische Kontext - Mozarts kirchenmusikalisches Umfeld
3.2.2. Mozarts letztes Werk - Das Requiem d-Moll KV
3.2.2.1. Mozarts musikalische Vorbilder für die Komposition des Requiems
3.2.2.1.1. Johann Sebastian Bach
3.2.2.1.2. Georg Friedrich Händel
3.2.2.1.3. Michael Haydn
3.2.3. Das Reqiuem als Höhepunkt von Mozarts Schaffen
4. Fazit - Mozart zwischen den Kulturen?
5. Quellen- und Literaturverzeichnis
Wolfgang Amadeus Mozart (1756 – 1791) hat in seinem nur 35 Jahre währenden Leben ein Opus von ungeheurer Vielfalt geschaffen. Er hinterließ der Nachwelt ca. 600 vollendete Werke. Dazu sind noch weitere 160 Kompositionen fragmentarisch hinterlassen worden.
Die vorliegende Arbeit nähert sich dieser Vielfalt des Mozart´schen Opus aus zwei Betrachtungswinkeln. Zunächst wird das Gesamtwerk Mozarts nach „morgenländischen“ Einflüssen hin untersucht. Hierbei liegt der Schwerpunkt der Untersuchung auf der Militärmusik des Osmanischen Reiches, der so genannten „Janitscharen-Musik“. In welcher Form und in welchem Ausmaß sich Mozart durch diese Einflüsse inspirieren ließ, soll anhand ausgewählter Beispiele aus seinem Opus dargelegt werden. Dieser Abgleich soll dann zur Klärung der Frage führen, ob Mozarts Verwendung türkischer Elemente Ausdruck eines transkulturellen Austauschs auf musikalischer Ebene darstellt. Dadurch wird die Frage nach der Authentizität des türkischen Kolorits in den Kompositionen Mozarts aufgeworfen.
Das Genie Mozarts wird unter dem Aspekt der Vielfalt besonders deutlich. Aus diesem Grund wird der Blickwinkel auf das Mozart´sche Opus im zweiten Teil dieser Arbeit auf die vermeintlich gegensätzliche Erfahrungswelt gelegt: dem christlich geprägten Abendland, auch bekannt als Okzident. Mozarts Wirken ist ohne die musikalische Tradition des Abendlandes nicht gänzlich zu erfassen. Diese Tradition spiegelt sich vor allem in der christlichen Kirchenmusik wieder. Auch in diesem Umfeld tat sich Mozart mit herausragenden Kompositionen als „beispielloses Ausnahmetalent“ hervor. Diese Arbeit fragt in diesem Zusammenhang vor allem nach der Einordnung des Mozart´schen Genies in den musikhistorischen Kontext. Grundlage hierfür bildet das letzte von Mozart geschriebene Werk, sein Requiem d-Moll, KV 626. Anhand dessen soll anschließend das bis in die heutige Zeit transportierte Bild Mozarts als eben jenes „beispielloses“ Ausnahmetalent kritisch hinterfragt werden.
Diese beiden auf den ersten Blick sehr verschiedenen Ansätze werden geleitet von der Frage nach der „Transzendenz des Musikalischen“. Um die vorliegenden Ergebnisse unter dem Aspekt der Transzendenz einordnen und bewerten zu können, wird zu Beginn der Transzendenzbegriff definiert und in den Kontext der Untersuchung eingebunden.
Um sich der vorliegenden Fragestellung zu nähern, bedarf es zunächst einer Definition des Transzendenzbegriffes und dessen Einordnung in den musikwissenschaftlichen Zusammenhang.
Transzendenz (lat. transcendentia „das Übersteigen“) bezeichnet in den geisteswissenschaftlichen Disziplinen Philosophie, Theologie und Religionswissenschaft ein Verhältnis von Gegenständen zu einem bestimmten Bereich möglicher Erfahrung oder den Inbegriff dieses Verhältnisses. Als transzendent gilt, was außerhalb oder jenseits eines Bereiches möglicher Erfahrung liegt, insbesondere im Bereich der normalen Sinneswahrnehmung und nicht von ihm abhängig. Mit der in der Bezeichnung enthaltenen Vorstellung des „Übersteigens“ ist vor allem eine Überschreitung der endlichen Erfahrungswelt auf deren göttlichen Grund hin gemeint, seltener eine Selbstüberschreitung des Göttlichen auf die Weltschöpfung hin.1
Bereits der griechische Philosoph Aristoteles definierte den Transzendenzbegriff als „kategorienübergreifenden Charakter des Seiendseins“.2 Dieser Begriff des „Seiendsein“ wird in dieser Arbeit auf das Mozart’sche Opus bezogen. Gemäß der aristotelischen Auffassung wird der Transzendenzbegriff folglich in dieser Arbeit angewendet, um Mozarts transkulturelle Tendenzen anhand seiner Bezugnahme auf türkische Elemente auf der einen und seines geistlichen Opus auf der anderen Seite einzuordnen.
Das Opus Wolfgang Amadeus Mozarts soll nun von zwei sehr verschiedenen Blickwinkeln betrachtet und in ihren musikhistorischen Kontext eingeordnet werden. Dabei ist es wichtig, die konkrete Kompositionsmethodik Mozarts zu erläutern.
Komponieren hieß für Mozart, so scheint es, nicht einfach, freischwebend etwas zu erfinden, sondern in erster Linie, sich auf Bestehendes zu beziehen.3 Demnach näherte er sich einer Gattung durch gezieltes Studium des vorhandenen musikalischen Materials. Ein gutes Beispiel für diese Methodik stellt die Eigenart des Komponisten dar, Werkpaare anzulegen: Hatte er in einer Gattung erst einmal - meist mithilfe eines fremden Modells - eine eigene Lösung gefunden, dann konnte er sich beim zweiten Mal schon auf diese eigene Komposition stützen und nun entweder analog oder dezidiert andersartig verfahren. Das Bestehende, an dem er sich orientierte, waren aber natürlich zunächst einmal die jeweiligen Gattungsnormen, wie sie sich aus der Fülle des überlieferten Werkbestandes abstrahieren ließen. Diese Eigenart war also ein probates Mittel Mozarts, sich einem Genre zu nähern.
Mozart wird in Teilen der musikwissenschaftlichen Forschung das Streben nach humanitären und übernationalen Idealen zugeschrieben4. So war er beispielsweise auch ein Mitglied der Freimaurer, die sich für ein aufgeklärtes und von Vernunft geprägtes Menschenbild einsetzen. In transkultureller Hinsicht ist jedoch auch seine Auseinandersetzung mit türkischer Musik von großer Bedeutung. Hier lassen sich zunächst zwei konträre Thesen innerhalb des musikwissenschaftlichen Diskurses ausmachen: Zum einen wird Mozart wohlwollend attestiert, er habe „es in seinem Schaffen nicht verabsäumt [sic!] , auch von der osmanisch-türkischen Musik und von echten [sic!] türkischen Volkstum Gebrauch zu machen“5. Demgegenüber wendet EIBACH ein, dass im Opus Mozarts überhaupt keine Elemente original türkischer Musik zu finden seien und dessen Musik einen türkischen Zuhörer seinerzeit eher befremdet hätte6.
Eben diese kontroverse Frage, in wieweit sich Mozart die türkische Musik zu Eigen gemacht hat, soll im Folgenden behandelt werden. Dazu bedarf es jedoch zunächst einer Einordnung der transkulturellen Beziehungen zwischen dem Osmanischen Reich und Österreich in den historischen Kontext.
Die osmanisch-österreichischen Beziehungen haben seit dem späten Mittelalter wechselhafte Phasen durchgemacht. Durch die osmanische Expansion in den Balkanraum kam es ab dem 16. Jahrhundert zu vermehrten militärischen Konflikten mit Österreich, bei denen sogar die österreichische Hauptstadt Wien zwei Mal, nämlich 1529 und 1683, von osmanischen Truppen belagert wurde7. Im Zuge dieser militärischen Konflikte kam es zum ersten Kontakt mit türkischer Musik, zunächst durch österreichische Soldaten auf den Schlachtfeldern des Balkans. Die so genannten „Janitscharenkapellen“ wurden im osmanischen Heer zur Unterstützung der eigenen Truppe eingesetzt, welche sie mit ihrer Musik anfeuerten und ermutigten. Gleichzeitig wurden die europäischen Gegner durch die ihnen völlig unbekannte Militärmusik eingeschüchtert und demoralisiert. Dieser „psychologische“ Gebrauch von Militärmusik war den europäischen Armeen bis dato völlig unbekannt, wurde aber bald darauf von diesen adaptiert.8 Die Instrumente der Janitscharenkapellen wurden so erstmals durch österreichische Soldaten als Kriegsbeute in den europäischen Kulturkreis eingeführt.9 Andererseits gelangte türkische Musik auch über zivile Gesandtschaften im Zuge diplomatischer Beziehungen an die Höfe der europäischen Monarchien: Die osmanischen Diplomaten führten auf ihren Reisen oftmals eine Janitscharen-Kapelle mit sich, die bei verschiedensten Gelegenheiten, offiziellen wie inoffiziellen, ihre Musik dem österreichischen Publikum präsentierte.10
Im 18. Jahrhundert wurde die militärische Bedrohung durch das Osmanische Reich zunehmend geringer. Durch die militärischen Erfolge wandelte sich die Stimmung der europäischen Intellektuellen weg von der bis dato omnipräsenten „Türkengefahr“, hin zu einer gestiegenen Siegesgewissheit. Trotz immer wieder aufflammender militärischer Konflikte lebte Mozart zu einer Zeit guter diplomatischer Beziehungen der beiden benachbarten Reiche, vor allem während der Regentschaft von Kaiserin Maria Theresia (1740-1780).11
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Eine typische Janitscharen-Kapelle im osmanischen Heer12
Trotz der immerwährenden kriegerischen Auseinandersetzungen mit den Osmanen kam es schon ab dem frühen 18. Jahrhundert zu einer exotisierenden Aneignung der „Janitscharenmusik“ an den europäischen Höfen. Das „Fremde“ in der morgenländischen Kultur weckte nach dem Abklingen der militärischen Bedrohung ab 1700 mehr und mehr das Interesse der Europäer, zunächst des Adels. Ab ca. 1730 erreichte die „Turkomanie“ in der Zeit des Rokokos ihren Höhepunkt in der höfischen Kultur. Türkische Mode wurde zu einer beliebten Garderobe sowohl für besondere Festivitäten als auch für den Alltag.13
Mit dem Abklingen der Kriegsgefahr und der Herausbildung aufklärerischer Denkweisen schien um 1700 zunächst der Weg geebnet für eine Entzauberung des Fremden. Jedoch sollte es während des 18. Jahrhunderts zu einer neu einsetzenden Verzauberung kommen. Der „Orient", also alles Türkische, avancierte zu einer Art phantastischer Gegenwelt, einer zugleich harmlosen wie herausfordernden Sphäre des Irgendwo, die offen war für träumerische Projektionen. In türkischer Kleidung, Türkenspielen, Türkenporzellan und nicht zuletzt in Musik „alla turca“ spiegelte sich der des „zivilisierten Alltags“ überdrüssige Wunsch nach dem ganz anderen. Bei näherem Hinsehen erweist sich dies aber primär als Projektion europäischen Geschmacks.14
Um diesem europäischen Verlangen nach „dem Anderen“ gerecht zu werden, kam es keinesfalls auf eine möglichst authentische Darstellung türkischer Folklore an. Im Gegenteil: Die so genannten „Janitscharen-Kapellen“ bestanden oftmals aus Sinti und Roma, die mit türkischen Instrumenten und morgenländischer Verkleidung das Konsumbedürfnis des Adels nach vermeintlich Exotischem befriedigten.15 Das in diesem Zusammenhang auch gebrauchte Wort „Janitscharen-Musik“ ist zudem irreführend: Die türkische Elitetruppe der Janitscharen rekrutierte sich aus zwangsweise dem Islam zugeführten christlichen Gefangenen und Untertanen. Diese hatten zwar unter anderem die „türkische“ Kriegsmusik auszuführen, es handelte sich aber keinesfalls um „ihre“ Musik.16
Hinzu kommt, dass das Wissen um die osmanische Kultur neben dem Gesandtenaustausch im Wesentlichen auf Informationen aus den Berichten von ehemaligen Gefangenen oder geflohenen Sklaven basierte. Somit kann bei der so genannten „türkischen Musik“ in Europa lediglich von einer romantisierten und von der Sehnsucht nach dem „Fremden“ geleiteten Interpretation türkischer Musik gesprochen werden. Dieser Modeerscheinung des „alla turca“ widmeten sich alle wichtigen Komponisten ab der Mitte des 18. Jahrhunderts, so auch Mozart. Dieser nutzte die vorherrschende Faszination für alles „Türkische“ geschickt für seine Kompositionen, wobei sich Mozart hierbei auch einer eher verblümten Herangehensweise an türkische Musik bediente.17
Elemente eines „Angst machenden Urbilds“18 wurden in den Kompositionen mit türkischem Kolorit explizit hervorgerufen und die Türken somit als barbarische Wilde dargestellt. Typisch für diese Musik war hierbei der Einsatz von Oboen- und Trompeteninstrumenten, eine Melodik mit scharfen Vorschlägen, Becken, Triangel und, als Ersatz für den Schellenbaum der Janitscharen, Glöckchen. Auch Instrumente wie Schalmeien und Piccoloflöten wurden für diese Komposotionen verwendet.19
Es wurden also gezielt nur bestimmte Bestandteile dieser Musik herausgegriffen, um sie zum Zwecke der Verfremdung in den eigenen Kompositionen einzusetzen. So scheint es unter Bezugnahme die oben genannte These umso plausibler, dass seine Musik einen klaren Fokus auf den Adressaten legte: das Wiener Publikum.
Grundlegende Bedingung für die Begeisterung rund um alles Türkische war ein Wandel im Alteritätsdiskurs ab dem 18. Jahrhundert. Die Alterität in der Völkerkunde definiert die interkulturelle Andersartigkeit oder Verschiedenheit. Demnach war der Islam und die islamisch geprägten Gesellschaften nicht mehr aufgrund religiöser Parameter Gegenstand von Ausgrenzung, sondern aufgrund säkularer. Der alte, aus dem Gefühl der militärischen Bedrohung und Unterlegenheit heraus generierte Alteritätsdiskurs wich einem Überlegenheitsgefühl. Dieses war geprägt von Stereotypen, die den muslimischen Orient als Hort für Despotismus, Fanatismus, Wissenschaftsfeindlichkeit und Rückständigkeit brandmarkte.20 „Orient“ und „Okzident“ wurden so zu zwei gegensätzlichen Zivilisationen deklariert. Nichtsdestotrotz wurden diese Paradigmen durch die sich mehr und mehr durchsetzende Aufklärung zum Teil aufgebrochen. Das neu formulierte Postulat von Toleranz im Verbund mit dem Interesse an außereuropäischen Welten ergaben im 18. Jahrhundert neue Möglichkeiten, „das Fremde“ als solches zu beschreiben, ohne es sogleich den tradierten Vorurteilen zu unterwerfen: So kam es beispielsweise in Wien 1754 zur Gründung einer Akademie der morgenländischen Sprachen, um Sprachbarrieren zu überwinden.21
Dennoch ist die im 18. Jahrhundert weit verbreitete „Turkomanie“ insgesamt als eine Modeerscheinung zu werten, die von Stereotypen und Halbwissen ausging. Passend dazu bilanziert PAPE: „Trotz Zunahme von Austausch und Reisetätigkeit im 18. Jahrhundert "ist die Turquerie [also die Faszination für alles Türkische] eine Domäne derer, die nie den Orient sahen".22
Die Befriedigung der Hörgewohnheiten des Publikums war demnach wichtiger als die Rezeption vermeintlich originalgetreuer türkischer Musik. Wie genau Mozart diesem Anspruch gerecht werden wollte, soll im Anschluss anhand ausgewählter Beispiele aufgezeigt werden.
Erste Berührungspunkte mit „türkischer Musik“ hatte der junge Wolfgang Amadeus Mozart auf seiner Italienreise 1769-1772.23 Die ausgewählten Beispiele seiner Kompositionen stammen aus den Jahren 1775, 1782 und 1784. Es handelt sich um das Violinkonzert A-Dur, KV 219 von 1775, das Singspiel „Die Entführung aus dem Serail“, KV 384 von 1782 und die Klaviersonate Nr. 11, A-Dur, KV 331 aus dem Jahr 1784. Anhand dieser Beispiele soll aufgezeigt werden, wie Mozart Elemente türkischer Musik in seinen Kompositionen verarbeitete. Dabei wird auch die Authentizität dieser Kompositionen kritisch hinterfragt.
Das Violinkonzert A-Dur, KV 21924 bildete den Abschluss einer Serie von insgesamt fünf Solo-Konzerten für Geige. Dieses Werk wird in der musikwissenschaftlichen Forschung allgemein als „das schönste Zeugnis dieser Hochphase von Mozarts Violinspiel“25 gedeutet. Es ist das längste und anspruchsvollste, melodisch einprägsamste und im Orchesterklang reichste seiner fünf Violinkonzerte. Es unterteilt sich in insgesamt drei Sätze: Allegro aperto, Adagio und ein Rondo.
Das Finale des A-Dur-Konzerts beginnt rokokohaft-galant, wie man es für eine Komposition des Jahres 1775 für ganz natürlich halten würde: mit einem liebenswürdig zarten Menuett. Doch Mozart wäre nicht Mozart, wenn er es dabei belassen hätte. "Mozart hat immer wieder gerne überraschend Derbes eingeschoben - zum Beispiel dieses 'Alla turca' im Finale des A-Dur-Konzerts, erklärt Anne-Sophie Mutter. "Ich glaube, es hat etwas sehr Dämonisches, fast Gefährliches an sich. Ich denke immer an das Säbelrasseln in der 'Entführung aus dem Serail'". Die fratzenhafte Kehrseite von A-Dur, nämlich a-Moll, steht bei Mozart die wenigen Male, da er diese Tonart verwendete, für unruhige Depressivität.
Für die Frage nach türkischen Elementen in Mozarts Musik ist vor allem der letzte Satz, das Rondo, von entscheidender Bedeutung. Die türkische Episode dieses Finales übernahm Mozart aus seiner Ballettmusik im türkischen Stil, “Le gelosie del Seraglio”, “Die Eifersüchteleien im Serail”, die er für seine letzte Mailänder Oper “Lucio Silla” skizziert, aber nicht ausgeführt hatte. So fand echte Ballettmusik Eingang in Mozarts letztes Violinkonzert.
Zunächst erklingt ein schwungvoll tänzelndes Rondo in A-Dur in einem ¾-Takt, das abwechselnd von der Violine, zunächst solo (T. 1 - 8) und dann zusammen mit dem Orchester intoniert wird (T. 8,4 – 16,1) und sich nach und nach immer schwungvoller entfaltet. Dann aber macht dieser Tanz einer eher nächtlich-romantischen Episode in a-Moll Platz (T. 78,1 – 109,1). Aus diesem schon an sich abrupten Stimmungswandel entwickelt Mozart dann einen, zum gesamten Stück völlig kontrastierenden Allegro-Teil, in dem er bewusst türkische Elemente einsetzt (T. 130,1 – 162,3). In diesem Abschnitt des dritten Satzes verarbeitet Mozart vordergründig fremdartige Harmonien und krasse Akzente.
Diese Elemente sollen nun dezidiert aufgeführt werden. Noch bevor das eigentliche Hauptthema des „türkischen Marsches“ zusammen mit dem Orchester erklingt, bilden die aufwärtsgeführten Achtel-Quint-Sprünge mit Vorhalten erste Vorboten des „türkischen“ (T. 137 + 143). Diesen voran gestellt wird jeweils ein in 16-tel Noten geführter a-Moll Lauf (T. 135 – 136 + 141 – 143), der durch Sekundbewegungen drohendes Unheil ankündigt. Begleitet wird diese Passage von geheimnisvollen, liegenden leeren Quinten im Orchester.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1 : Mozart - Konzert in A, T. 140-14426
Dieser Teil dient allerdings lediglich der Hinführung zur neuen Thematik, die sich in drei formale Abschnitte gliedert. Hier bedient sich Mozart nun einer breiten Palette an türkischen „Effekten“. Ab Takt 165 ist die Melodielinie der Solo-Violine von großen Intervallsprüngen und scharfen Akzentuierungen geprägt. Obwohl es sich lediglich um einen gebrochenen a-Moll Akkord handelt, erscheint diese Art der Melodieführung direkt „barbarisch“, „archaisch“ und „wild“. Um dieses „barbarisch-türkische“ Kolorit weiter zu unterstützen, fällt das begleitende Orchester in einen marschähnlichen Rhythmus nach Art der Janitscharen. Dieser wird vor allem durch ein viertaktiges rhythmisches Phänomen erzeugt: Ein Muster, in dem in den ersten beiden Takten nur die Zählzeit 1 betont wird, im dritten Takt jeweils die 1 und 3 und im vierten Takt wieder nur die 1. Durch den so phrasierten Rhythmus wird das Schreiten der Janitscharen imitiert. Die Sechzehntel-Vorschläge der Kontrabässe intensivieren diese Wirkung zusätzlich, genau wie deren Vortragsbezeichnung „coll' arco al rovescio": Dieser Teil soll mit dem Bogenholz statt dem Rosshaar gespielt werden. Die Streicher werden so zu Perkussionsinstrumenten. Auch die Phrasierung dieser „schweren Zählzeiten“ mit fortepiano unterstreicht das türkische Kolorit.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2 : Mozart - Konzert in A, T. 164-171.27
Anschließend bedient sich Mozart eines weiteren Effekts, und zwar dem der chromatischen Verschiebung in unisono-Passagen (T. 172 – 197). Diese harmonische Verfremdung wird unterstützt durch die abwechselnde Phrasierung von staccato und legato und einem starken dynamischen Ambitus von piano zu forte auf einer Länge von jeweils nur zwei Takten (Bsp: T. 172 – 173). Die sich jenseits von jeder Tonalität bewegende Chromatik eignet sich demnach hervorragend zur musikalischen Darstellung des „fremden“.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3 : Mozart - Konzert in A, T. 172-180.28
Bevor das Hauptthema wiederholt wird, wird eine weitere Solo-Passage für die Violine eingeschoben, in der der zuvor genannte Marschrhythmus der Janitscharen erneut hervortritt, diesmal jedoch in der Variante 1, 2, 3 (T. 181,1 – 182,1). Aufwärtsgerichtete Sprünge in Dezimen beschließen diesen Teil und verfestigen so das Bild des „barbarischen“.
[...]
1 Vgl. Danz , Immanenz/Transzendenz. S. 1580.
2 Müller , Transzendenz, S. 2232.
3 Vgl. Schick , Die Geistliche Musik, S. 173.
4 Altar 1956, Wolfgang Amadeus Mozart, S. 139.
5 Ebd.
6 Vgl. Eibach et al. 2008, Europäische Wahrnehmungen 1650, S. 38–39.
7 Vgl. Altar 1956, Wolfgang Amadeus Mozart, S. 144.
8 Vgl. Suppan 2001, Türkische Musik.
9 Vgl. Altar 1956, Wolfgang Amadeus Mozart, S. 139.
10 Vgl. ebd.,S. 138.
11 Vgl. ebd., S. 145.
12 Vgl. ebd., S. 142.
13 Vgl. Eibach et al. 2008, Europäische Wahrnehmungen 1650, S. 37.
14 Vgl. ebd., S. 35
15 Vgl. ebd, S. 38.
16 Vgl. Suppan 2001, Türkische Musik.
17 Vgl. Hanning 2018, Wolfgang Amadeus Mozart.
18 Vgl. Suppan 2001, Türkische Musik.
19 Vgl. Eibach et al. 2008, Europäische Wahrnehmungen 1650, S. 38.
20 Vgl. Konrad 2010, Von der "Türkengefahr.
21 Vgl. Eibach et al. 2008, Europäische Wahrnehmungen 1650, S. 35.
22 Pape , Turquerie im 18, S. 307.
23 Vgl. Altar 1956, Wolfgang Amadeus Mozart, S. 146.
24 Mozart , Violinkonzert KV 219.
25 Vgl. Kammermusikführer.de 2018, Wolfgang Amadeus Mozart.
26 Mozart , Violinkonzert KV 219, S. 250.
27 Mozart , Violinkonzert KV 219, S. 252.
28 Mozart , Violinkonzert KV 219, S. 252.
Der GRIN Verlag hat sich seit 1998 auf die Veröffentlichung akademischer eBooks und Bücher spezialisiert. Der GRIN Verlag steht damit als erstes Unternehmen für User Generated Quality Content. Die Verlagsseiten GRIN.com, Hausarbeiten.de und Diplomarbeiten24 bieten für Hochschullehrer, Absolventen und Studenten die ideale Plattform, wissenschaftliche Texte wie Hausarbeiten, Referate, Bachelorarbeiten, Masterarbeiten, Diplomarbeiten, Dissertationen und wissenschaftliche Aufsätze einem breiten Publikum zu präsentieren.
Kostenfreie Veröffentlichung: Hausarbeit, Bachelorarbeit, Diplomarbeit, Dissertation, Masterarbeit, Interpretation oder Referat jetzt veröffentlichen!
Kommentare