Bachelorarbeit, 2017
40 Seiten, Note: 3,0
I. Abkürzungsverzeichnis
1. Einleitung
2. Spracherwerbsforschung
2.1 Grammatikerwerb
2.1.1 Einwortäußerungen
2.1.2 Zweiwortäußerungen
2.1.3 Flexion und syntaktische Strukturen
3. Zielsetzung und Kategorisierung der Methoden
3.1 Delfin 4 – Screening-Verfahren
3.2 BaSiK – Beobachtungsverfahren
4. Vergleich von Delfin 4 und BaSiK
4.1 Morphosyntax bei Delfin
4.2 Morphologisch-syntaktische Kompetenzen bei BaSiK
4.3 Konklusion
4.4 Durchführung der Verfahren im Vergleich
5. Fazit und Ausblick
6. Quellenverzeichnis
8. Anhang
8.1 Abbildungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Eine altersgemäße Sprachbildung gilt als ein Kernziel der frühkindlichen Entwicklung, denn mit einer problemlosen Sprachentwicklung wird eine wichtige Voraussetzung für den Einstieg in eine Gesellschaft geschaffen. Maßgeblich ist die Sprache nicht nur mit Hinblick auf schulischen oder beruflichen Erfolg. Auch auf persönlicher Ebene ist die Sprache als Mittel zur Verständigung von enormer Bedeutung. Mit der Erkenntnis, dass Bildungs- und Entwicklungschancen stark von der sprachlichen Kompetenz des Menschen abhängen, besteht der Bedarf einer möglichst frühen Förderung.
Die erste Grundlage zur Sprachentwicklung eines Kindes liegt meistens bei den Eltern. Denn bevor Kinder die wesentlichen Formen und Funktionen der Sprache in sozialer Interaktion erlernen können, verständigen sie sich mit den Mitteln, die sie zur Verfügung haben. Als eine der ersten Bildungsinstitutionen, die der Mensch in unserer Gesellschaft durchlebt, trägt die Kindertagesstätte bei der Förderung der sprachlichen Bildung eine tragende Rolle. In der Pädagogik ist das ganzheitliche Bild vom Kind äußerst wichtig für die Konzipierung methodischer Übersetzungen der Theorie. Demnach stellt die sprachliche Bildung des Kindes einen Schwerpunkt in der Elementarpädagogik dar. Die Umsetzung in der Praxis ist zu einem großen Teil gesellschaftlich und politisch motiviert.
Zur Steuerung der sprachlichen Bildung bedarf es Instrumente in der Praxis, die Auskunft über den Sprachstand der Kinder geben, um darauf basierende Fördermaßnahmen anbieten zu können. Es scheint bundesweit ein Markt für verschiedene Sprachstandsverfahren entstanden zu sein. Aktuell werden in den Kindertagesstätten Nordrhein-Westfalens unterschiedliche Sprachstandsverfahren durchgeführt, die in den Alltag der pädagogischen Arbeit integriert sind. Zuvor wurde der Delfin 4 Sprachstandstest verpflichtend durchgeführt, welcher insbesondere die Schulfähigkeit der Kinder überprüfen sollte. Durch ein Änderungsgesetz des Kinderbildungsgesetzes (vgl. MfKJKS 2015) wird nun ein anderer Schwerpunkt auf die Ermittlung des Sprachstands gesetzt.
Generell ist diese Entwicklung in der pädagogischen Realität interessant zu betrachten, da dies potenzielle Veränderungen der konzeptionellen und pädagogischen Arbeit mit sich bringt. Auch die Ansprüche an die pädagogischen Fachkräfte und deren Arbeit wandeln sich durch eine Veränderung. Wichtig ist dabei, inwiefern die Kinder von einer solchen normativen Änderung profitieren. Nach der Kritik an dem Delfin 4 Test scheint eine alltagsintegrierte, offene Beurteilung der sprachlichen Kompetenzen im Bereich der frühkindlichen Entwicklung als eine logische Konsequenz.
Im Folgenden soll heraus gearbeitet werden, wie sich eine solche Veränderung äußert. Dazu wird der Sprachstandstest Delfin 4 mit dem Beobachtungsverfahren BaSiK verglichen. Beide Verfahren weisen offensichtliche Unterschiede auf, die es zu analysieren gilt. Die Vor- und Nachteile dieser Umstrukturierung sollen im Umfang dieser Bachelorarbeit verglichen werden. Dabei wird exemplarisch auf die morphologische und syntaktische Ebene des jeweiligen Verfahrens eingegangen, da diese sowohl in Delfin 4, als auch in BaSiK zusammengefasst in einem Kompetenzbereich dargestellt sind. Zudem wird in der Spracherwerbsforschung ein bedeutender Fokus auf den Erwerb der morphologischen und syntaktischen Fertigkeiten innerhalb der ersten drei Lebensjahre gelegt. Dies gilt es daher ebenfalls zu überprüfen. Ebenso sollen die Qualifikationen der Fachkräfte dabei vergleichend betrachtet werden. Als zentrale Gegenstände werden Konzipierungspapiere, Handreichungen und Manuale genutzt, da diese eine Art Mediator Funktion zwischen der Theorie und Praxis haben und Aufschluss über die sprachwissenschaftliche Fundierung der Tests geben.
Für die Spracherwerbsforschung steht die komplexe Aufgabe des Erlernens einer Sprache im Vordergrund. Die Notwendigkeit vorschulischer Sprachförderung und schulrelevanter Kompetenzen ist spätestens nach den schlechten PISA Ergebnissen in den Fokus der Bildungspolitik gerückt. Insbesondere durch den internationalen Vergleich des PISA Tests besteht nun ein erhöhtes Interesse an dem heterogenen Leistungsvermögen der Kinder und Jugendlichen, nicht nur im Bereich der sprachlichen Fähigkeiten. Vielmehr hat sich die Perspektive auf schulische Kompetenzen erweitert, sodass die Sprachkompetenz beispielsweise auch immer in Verbindung mit anderen kognitiven Kompetenzen betrachtet wird. Die bundesweit geltenden Bildungsstandards, welche von der Kultusministerkonferenz verabschiedet wurden, etablierten eine Herangehensweise innerhalb didaktischer Konzepte, die den Fokus auf Kompetenzentwicklung legten (vgl. KMK 2009). Sowohl im Elementarbereich, als auch im Primarbereich und an weiterführenden Schulen wird diese Herangehensweise praktiziert. Kinder im Alter zwischen zwei und sechs Jahren befinden sich in einer Entwicklungsphase, die viele Grundvoraussetzungen für eine weitere gesunde Entwicklung darstellt. Darunter zählen auch die grammatischen Kompetenzen. Dies lässt sich ebenfalls aus empirischen Daten schließen, die beispielsweise zeigen, dass Kinder eine höhere Lesekompetenz aufweisen, wenn sie zuvor eine Kindertagesstätte besucht haben (vgl. Hasselhorn 2011, S. 1f). Demnach ist die Begleitung dieser Phase besonders wichtig, um möglichen Entwicklungsstörungen präventiv entgegen zu wirken und Prognosen stellen zu können. Daraus entsteht der Bedarf einer Feststellung des Sprachstandes anhand von wissenschaftlich legitimierten Messinstrumenten.
Die unterschiedlichen Verfahren und Items, die eingesetzt werden, bringen Vor- und Nachteile mit sich, die in der Praxis jeweils abgewägt werden müssen. Bildungsangebote sollten so konzipiert sein, dass sie eine individuelle Förderung begünstigen sowie gleichzeitig auch auf Förderbedürfnisse eingehen. Ebenso müssen die diagnostischen und sprachlichen Kompetenzen der pädagogischen Fachkräfte berücksichtigt werden, um die Vielzahl der Verfahren in der Praxis adäquat einsetzen zu können. Betrachtet man die Erforschung des Spracherwerbs historisch, erkennt man, dass die interdisziplinäre Arbeit zu einer zunehmenden Komplexität der Diagnostik geführt hat (vgl. Ulrich 2012, S. 12ff).
Im Folgendem soll der aktuelle Forschungsstand dargestellt werden, um den Aufbau und die Strukturen der zu vergleichenden Gegenstände im weiteren Verlauf nachvollziehen zu können. Die Sprache bietet nicht nur die Grundlage für das Speichern von Erinnerungen und Erfahrungen, sondern ist ebenfalls das wesentliche Mittel zwischenmenschlicher Interaktion und zur Verständigung. Als Gegenstandsbereich der Linguistik wurde Sprache in der Vergangenheit unterschiedlich interpretiert und analysiert. Aus diesem Grund soll kurz der Begriff Sprache soweit differenziert werden, dass im Rahmen dieser schriftlichen Ausarbeitung ein grundlegendes Verständnis der Herangehensweisen der zu zitierenden Autoren vermittelt werden kann. Mit Hinblick auf die frühkindliche Entwicklung ist es wichtig eine Darlegung der wissenschaftlichen Erkenntnisse über den Erwerb der Sprache darzustellen. Dazu sei zunächst angeführt, dass im Zuge einer kognitiven Wende in der Wissenschaft Noam Avram Chomsky einen wesentlichen Teil dazu beigetragen hat Sprache als Kognition zu etablieren (vgl. Busch/Stenschke 2008, S. 11f). Sein theoretischer Ansatz sieht das Kind als ein entdeckendes Subjekt, das versucht, die ihm unbekannte Sprache zu verstehen. Chomsky erforschte die hierarchische Struktur der Sprache und beeinflusste somit die Forschung über den Erwerb der Grammatik (vgl. Klann-Delius 2016, S. 49ff). Weiterführend konnte sich die Linguistik somit auch endgültig als deskriptive Disziplin entwickeln, welche sich aufgrund des beschreibenden Charakters seither immer weiter ausdifferenzierte. Folglich ist der Blick der kognitiven Linguistik auf Sprache darauf ausgerichtet Erklärungen interdisziplinär mit psychologischen und soziologischen Erkenntnissen zu verbinden (vgl. Schwarz-Friesel 2008, S. 15ff). Dadurch wurden auch die theoretischen Fächer Phonologie, Morphologie und Syntax in der Spracherwerbsforschung unterschieden und einzeln betrachtet.
Aufgrund einer unterschiedlichen Betrachtungsweise der Sprache als Forschungsgegenstand lässt sich zum Teil keine klare Abgrenzung zwischen Grammatikerwerb und Spracherwerb treffen. Obwohl Gisela Szagun dem Grammatikerwerb in ihren Monografien stets ein eigenes Kapitel widmet, nutzen Autoren wie Sabine Weinert und Hannelore Grimm mit Bezug auf die frühkindliche grammatische Entwicklung den Begriff Spracherwerb. Da im Fall dieser Bachelorarbeit ausschließlich vom frühkindlichen Spracherwerb bis zum vierten Lebensjahr gesprochen wird, welcher das Erlernen von grundlegenden grammatischen Strukturen beinhaltet, werden die Begriffe Spracherwerb und Grammatikerwerb im Folgenden zum Teil synonym verwendet. Diese Tendenz ist sowohl in der zitierten Fachliteratur als auch in den beiden Verfahren Delfin 4 und BaSiK zu erkennen. Außerdem wird im weiteren Verlauf nicht explizit auf Mehrsprachigkeit beim Spracherwerb eingegangen, da dieser lediglich im geringen Umfang von den beiden Verfahren thematisiert wurde.
Sowohl in der allgemeinen Linguistik, als auch in der Psycholinguistik besteht ein großes Erstaunen über den frühen Erwerb der Grammatik, da dieser Prozess „mühelos“ und „ohne irgendeine Instruktion“ (Szagun 2013, S. 65) zu verlaufen scheint. Die zentrale Frage der Forschung lautet: „Wie kommt das Kind zur Grammatik?“ (Grießhaber 2010, S. 49). Der Grammatikerwerb besteht aus vielen, nicht zwingend aneinandergereihten Erwerbsschritten. Bei der frühkindlichen Entwicklung grammatikalischer Kompetenzen kann grob zwischen dem Morphologieerwerb und dem Syntaxerwerb unterschieden werden (vgl. ebd.). Im weiteren Verlauf soll ein Überblick über den aktuellen Forschungsstand des Grammatikerwerbs geboten werden, um in der darauf folgenden Analyse Rückbezug auf diese Erkenntnisse nehmen zu können und valide Kritik äußern zu können. Grundlage wird hierzu ein wesentlicher Teil von Szaguns Forschung sein, da diese insbesondere aufgrund der Aktualität den frühkindlichen Grammatikerwerb adäquat darstellt.
Die Fundierung des Grammatikerwerbs im Deutschen stellt die Grundlage für wissenschaftliche Verfahren dar, die den Stand der sprachlichen Entwicklung ermitteln sollen. Im Fall dieser schriftlichen Ausarbeitung gilt dies im besonderen Maße für die Ermittlung der frühkindlichen Sprachentwicklung. Noam Chomsky ist der nativistischen Auffassung, dass Kinder bereits eine genetisch „auf den Grammatikerwerb zugeschnittene Disposition“ (Dittmann 2010, S. 74) mitbringen. Heutzutage gilt es als unumstritten, dass Sprache bereits vor der Geburt entwickelt wird. Die Forschung zur pränatalen Sprachforschung hat in den vergangenen Jahren an Konjunktur gewonnen (vgl. Leimbrink 2010, S. 15ff). Die Forschung zeichnet sich daher durch differenzierte und komplexe Herangehensweisen aus. In diesem Kapitel soll ein Überblick über den linguistischen Konsens des Grammatikerwerbs, der durch diverse Datenerhebungen legitimiert wurde, gegeben werden. Dies ist mit Hinblick auf die zu analysierenden Methoden Delfin 4 und BaSiK von Bedeutung, da beide Verfahren anhand dieser Erhebungen und Theorien konzipiert wurden.
Oftmals wird der kindliche Spracherwerb in einem zeitlichen Rahmen dargestellt, um so eine Kategorisierung vornehmen zu können. Zudem bietet der zeitliche Rahmen einen Überblick über die Entwicklung der Sprache. Diese können je nach Herangehensweise des jeweiligen Autors variieren, sind allerdings insbesondere als Grundlage für eine Diagnose von großer Bedeutung. Gisela Szagun gestaltet die Altersspannen der Kinder in ihrer Herangehensweise weit. Dabei argumentiert sie, dass feste Angaben des Alters, wie in der „Darstellung des frühen Spracherwerbs von Grimm und Weinert (2002)“ (Szagun 2013, S. 69), nur dann zu rechtfertigen sind, wenn „Durchschnittswerte des Erwerbs sprachlicher Formen“ (ebd., S. 70) angegeben werden. Doch besonders aufgrund der hohen „individuellen Variabilität“ (ebd.) der frühkindlichen Entwicklung sieht Szagun die Darstellung durch weite Erwerbsspannen als informativer. Nicht nur für die wissenschaftliche Arbeit, sondern auch für Eltern bieten Altersspannen des beginnenden Grammatikerwerbs eine Orientierung zur Beurteilung der sprachlichen Kompetenzen ihrer Kinder.
Bevor es zu Äußerungen von einzelnen Wörtern kommt, benutzen Kinder „wortähnliche Vokalisierungen“ (ebd., S. 73), die keine Wörter der deutschen Sprache darstellen. Diese werden jedoch häufig von Eltern als inhaltsvolle Äußerungen aufgenommen, sodass ein Dialog zwischen den Eltern und Kindern entstehen kann. Zur ersten Wortproduktion kommt es nach Weinert und Grimm im Alter von 10 bis 14 Monaten (vgl. Oerter/Montada 2008, S. 510). Deren Auffassung nach sollte der Wortschatz ca. 60 Wörter in dieser Zeitspanne betragen (vgl. ebd.). Nach einer Studie von Meibauer und Rothweiler werden die ersten Wörter im Alter von 10 bis 18 Monaten gebildet (vgl. Meibauer/Rothweiler 1999, S. 129f). Laut Szagun kann das Alter der ersten Wortproduktion stark variieren und sie nennt in diesem Zusammenhang den Zeitraum der ersten 9 bis 18 Monate (vgl. Szagun 2013, S.74). Diese bestehen meist aus Nomen, Verben, Adverbien und Demonstrativa:
„auto, mama, katze, schuh, (ele)fant, papa, baby,
ab, auf, mehr, auch, da, hier, ja, nein,
puste, heiß “(Szagun 2013, S. 74).
In einer Datenerhebung aus dem Jahr 2004 stellte Szagun fest, dass der frühe Wortschatz eine eindeutige Präferenz für Nomen aufweist (vgl. Szagun 2011, S. 121). Inwiefern diese Wörter bereits in Klassen kategorisiert werden, ist unklar (vgl. Szagun 2013, S. 74). Es wird davon ausgegangen, dass durch „Benennungsspiele in der Eltern-Kind-Interaktion“ und der „Beziehung zwischen kognitiven Strukturen“ und deren „lexikalischen Repräsentationen“ eine schnellere Zuordnung von Nomen in der frühen Entwicklung geschieht (Oerter/Monrada 2008, S. 511). Zudem ist von einer Abweichung der Wortbedeutungen zur „Erwachsenensprache“ auszugehen (vgl. ebd., S. 510). Trotz der Uneinigkeiten über die Zeitspanne der ersten Wortproduktion, gilt ein allgemeiner Konsens über die Wichtigkeit der ersten 50 Wörter des Wortschatzes. Verläuft die sprachliche Entwicklung des Kindes normal, verfügt es mit ca. 18 Monaten über einen Wortschatz von 50 Wörtern (vgl. Szagun 2013, S.74; Oerter/Monrada 2008, S. 510; Tomasello 2005, S. 51). Der anfangs eher langsame Erwerb der Wörter steigt mit dem Erreichen der 50 Wörter stetig an (Abb. 2) und verläuft daraufhin schneller (vgl. Oerter/Montada 2008, S. 510).
Nach den ersten lexikalischen Errungenschaften des Kindes kommt es zu Zweiwortäußerungen, die Ausdruck für den Erwerb erster syntaktischer Strukturen darstellen. Im Fokus der Forschung steht dabei insbesondere die grammatische Relation der beiden Wörter zueinander. Bei diesen Äußerungen ist zu erkennen, dass Satzelemente, wie Artikel, Hilfsverben, Ableitungs- und Flexionsmorpheme noch nicht erworben werden (vgl. Oerter/Montada 2008, S. 516).
Überdies haben Funktionswörter wie Konjunktionen und Präpositionen in diesem Entwicklungsstadium noch keine Relevanz (vgl. ebd.). Daraus resultiert die Frage „Welche grammatischen Bedeutungen Kinder in ihren Zweiwortäußerungen ausdrücken“ (vgl. Szagun 2013, S. 75), also die Frage nach der Funktion der Wörter innerhalb des Satzes. Mit Bezug auf Ergebnisse nach Bloom (1970) führt Szagun an, dass der Kontext der Äußerungen eine wesentliche Rolle spielt (vgl. ebd.). In diesem Zusammenhang sprechen Weinert und Grimm von Bedeutungsrelationen, die immer in einem bestimmten Kontext benutzt werden. Um die semantische Vielfalt zu verdeutlichen, werden folgende Beispiele angeführt (vgl. Oerter/Montada 2008, S.516):
- Handelnder – Handlung: „Papa schläft“
- Handlung – Objekt: „Tür auf“
- Objekt – Lokation: „da ein Schönes“
- Besitzer – Besitz: „Papa Hut“
- Objekt – Attribut: „kleines Balla“
- Zurückweisung – Handlung: „net schreibe“
- Wiederauftreten – Handlung: „mehr habe“
Anhand der Beispiele wird deutlich, dass die Entwicklung erster grammatischer Strategien geleistet wird. Objekte werden erstmals sprachlich lokalisiert und weisen Attribute auf. Subjekte und deren Handlungen werden beschrieben und Possessiv-Beziehungen aufgezeigt. Anhand dieser Erkenntnisse führt Szagun an, dass das Erlernen von grammatischen Strukturen und der Erwerb einer Sprache durch die kognitive Konstitution begründet sei (vgl. Szagun 2013, S. 76). Eine theoretische Erklärung gibt Szagun anhand der, von Jean Piaget etablierten, Erkenntnis der Objektpermanenz (vgl. ebd.). Zugrunde dieser Annahme liegt der Schluss, dass Kinder in den ersten beiden Lebensjahren zu der Erkenntnis über die Existenz der Objekte ohne ihre Anwesenheit gelangen (vgl. ebd., S. 76). Demnach besteht eine Korrelation zwischen dieser kognitiven Fähigkeit und der verbalisierten Äußerung zweier Wörter. Ergebnisse internationaler Forschungen zeigten, dass der Erwerb dieser Bedeutungsrelationen in vielen verschiedenen Sprachen zu erkennen ist (vgl. ebd.). Die Zweiwortäußerungen wurden nicht nur auf die syntaktische Funktion analysiert, ebenso auf deren Inhalt und Kombinationen. Dabei ist besonders in der deutschen Sprache auffällig, dass Verben am Ende der Äußerungen stehen. Die Dominanz der Endstellung des Verbs kann an der häufigen Konfrontation mit Fragen im Kindesalter zusammenhängen, welche meist die Aufmerksamkeit auf das am Satzende stehende Verb lenken (vgl. ebd., S. 77f).
Um innerhalb einer Sprachgemeinschaft adäquat kommunizieren zu können, benötigt es nicht nur die zugehörige Kombination von Wörtern, die in jeder Sprache bestimmten Regeln unterliegen. Im Entwicklungszeitraum von zwei bis vier Jahren werden diese Regeln erworben und erprobt. Im Deutschen erfolgt dies insbesondere durch das Erlernen verschiedener Flexionsmorpheme (vgl. Szagun 2013, S. 79). Im Folgenden soll auf spezifische Phänomene des Syntax- und Worterwerbs eingegangen werden, welche in den beiden zu analysierenden Gegenständen dieser Arbeit Erwähnung finden.
Der Grammatikerwerb in diesem Alter weist viele parallel laufende Prozesse auf, die in einer bestimmten Zeitspanne geleistet werden und miteinander korrelieren. In dieser Phase erlernen die Kinder den Umgang mit diversen Flexionsparadigmen (vgl. Szagun 2013, S. 80ff; Klann-Delius 2016, S. 110ff). Der Erwerb von Plural, nominalen Kategorien, wie Kasus und Genus und die Verbendstellung wird durch einen komplizierteren Satzbau und grundlegenden Verbstellungsregeln ersetzt. Dabei ist es üblich, dass die Kinder zunächst viele Fehler bei der Satzkonstruktion und der Flexion der Wörter machen. Wie Grimm und Weinert anmerken, geben viele Fehlerquellen der Kinder sogar Aufschluss über die Prozesse des akuten Spracherwerbs (vgl. Oerter/ Montada 2008, S. 518). Dabei beziehen sie sich auf die Unterscheidungen nach Bowerman, der „drei Stufen der strukturellen Reorganisation“ (ebd.) im weiterführenden Strukturenerwerb sieht.
Daraus geht hervor, dass das Kind zunächst die Form des Wortes als Einheit erwirbt. Daraufhin erfolgt eine Übergeneralisierung, welche die Kinder zu einer falschen Flexion der Wörter führt, da sie die gelernten regelmäßigen Muster noch nicht ausreichend erprobt haben. Anschließend an dieser Phase gelingt es den Kindern die Formen und Strukturen richtig anzuwenden und zu differenzieren (vgl. ebd.). Szagun weist in ihrer Forschung darauf hin, dass die „Abnahme in den einzelnen grammatischen Paradigmen sehr unterschiedlich ist“ (Szagun 2013, S. 80). Während die Fehleranzahl bei den angewendeten Genusmarkierungen relativ schnell abnimmt, ist dies bei der Bildung des Partizip Perfekts nicht der Fall (vgl. ebd., S. 81). Dieses Stadium des Grammatikerwerbs wird im Normalfall in einem Zeitraum zwischen 18 und 30 Monaten absolviert (vgl. Klann-Delius 2016, S. 40). In dieser Phase werden erste Satzstrukturen und der Beginn der Flexion verzeichnet. Es wird in dieser Zeitspanne auch von dem Erwerb der einfachen Syntax gesprochen (vgl. ebd.). Daraufhin entwickeln Kinder die Kompetenz komplexere Satzgefüge zu konstruieren. Das nachfolgende Stadium wird im Zeitraum zwischen drei und vier Jahren angesetzt (vgl. Szagun 2013, S. 82f; Klann-Delius 2016, S. 40). Auf syntaktischer Ebene werden hier „Relativsätze, Konjunktionalsätze und Inversion“ (Klann-Delius 2016, S. 40) gelernt. Dazu gehören insbesondere:
„Kausalsätze mit weil (das bewegt sich heute so, weil’s kaputt is), Finalsätze mit dass (musst de betten wegnehmen, dass ich rausgehn [sic!] kann), Konditionalsätze mit wenn (kriegst keine schnitte, hilde, wenn du so unatig bist!), indirekte Fragesätze mit ob (mach mal auf de [sic!] tür, ob hinten in mein zimmer is [sic!]) und Temporalsätze mit wenn (du musst doch atig sein, wenn de [sic!] hilde singt) (Stern und Stern 1928)“ (vgl. Szagun 2013, S. 83).
Zudem bildet sich in diesem Entwicklungsstadium die Flexionsmorphologie stark aus. Vor allem in den Bereichen der Negation, der Pluralbildung und der Verbflexion (vgl. ebd., S. 79f). Ähnlich wie die bereits beschriebene 50-Wort-Grenze ab 24 Monaten wird der Erwerb der Subjekt-Verb-Kongruenz als eine weitere wichtige Regel angesehen, die wegweisend für die weitere sprachliche Entwicklung ist (vgl. ebd., S. 82f). Zuvor wird die Zweitstellung des Verbs im Satz erworben. Dies geschieht sehr schnell und wird von den meisten Kindern von Beginn an korrekt verwendet (vgl. ebd. S. 72).
Mit diesem groben Überblick über die Entwicklung und den Erwerb der Grammatik der Kinder im Alter zwischen ein und vier Jahren kann nun im weiteren Verlauf auf die methodische Umsetzung der zu vergleichenden Verfahren eingegangen werden. Die zuvor genannten Phasen des Grammatikerwerbs werden bei Delfin 4 und BaSiK als größtenteils erworben angesehen, was es aufgrund dessen zu überprüfen gilt. Im Folgenden wird dargestellt, wie sich die Herangehensweisen unterscheiden. Beide Verfahren unterliegen der gleichen Spracherwerbs Theorie. Auch wenn zum Teil andere Autoren bei der Konzipierung zitiert wurden, besteht ein gemeinsamer Konsens über die Entwicklung der frühkindlichen Grammatikentwicklung. Wichtig anzumerken ist mit Hinblick auf den Diagnose Anspruch der Verfahren, dass die Zeitspanne, in der die grammatischen Regeln erworben werden, partielle Unterschiede aufweisen. Diese Variabilität ist charakteristisch für die frühkindliche Entwicklung und sollte demnach bei dem Vergleich zweier Diagnosemethoden berücksichtigt werden.
Folgend sollen die beiden Verfahren Delfin 4 und BaSiK als Methoden dargestellt und erläutert werden. Die Zielsetzung des jeweiligen Verfahrens wird anhand der Handreichungen und Manuals aufgezeigt. Durch die Kategorisierung werden bereits erste wesentliche Unterscheidungsmerkmale deutlich und daraufhin im weiteren Verlauf als Gegenstand der Analyse verwendet. Dabei wird ebenfalls der normative Rahmen der Elementarpädagogik dargestellt, um nachvollziehen zu können, wie die Entwicklung der Verfahren zur Zeit der Entstehung motiviert war. Zudem soll dadurch verdeutlicht werden, welche Änderungen aus bildungspolitischer Perspektive nötig waren, um den Sprachstand der Kinder in ihrer frühkindlichen Entwicklung bestmöglich zu erfassen.
Das Akronym Delfin 4 setzt sich aus Diagnostik, Elternarbeit, Förderung der Sprachkompetenz in Nordrhein-Westfalen bei 4-Jährigen zusammen. Dabei handelt es sich um ein Verfahren, das vierjährige Kinder auf ihre Schulfähigkeit bzw. ihre sprachliche Kompetenz überprüfen soll. In spielerischer Form wird in dem zweistufigen Verfahren eine Art Brettspiel gespielt, bei dem die Kinder dazu animiert werden zu sprechen, um somit die Sprachkompetenzen zu ermitteln. Die erste Stufe des Tests heißt „Besuch im Zoo“ und beinhaltet die vier Aufgabenbereiche: „Handlungsanweisungen ausführen“, „Kunstwörter nachsprechen“, „Bildbeschreibung“ und „Sätze nachsprechen“. Sollte in der ersten Stufe ein Sprachdefizit diagnostiziert werden, wird die zweite Stufe „Besuch im Pfiffikus-Haus“ durchgeführt. Dieser Test besteht aus vier Untertests, die wiederum in verschiedenen Aufgabenbereichen differenziert sind. Des Weiteren bietet Delfin 4 zu jedem Aufgabenbereich mögliche Fördermaßnahmen an, die ebenfalls in Form von spielerischen Übersetzungen funktionell oder situativ angewendet werden können.
Der Sprachtest wurde seit dem Jahr 2007 in allen nordrhein-westfälischen Kindertagesstätten verpflichtend durchgeführt, jedoch im Juli 2014 nach diverser Kritik eingestellt. Bevor der Test entwickelt wurde, befasste sich Lilian Fried im Jahr 2004 mit der Verbindung zwischen Sprache und Bildung. Sie stellte heraus, dass Sprache der Schlüssel zur Bildung sei und dies in der Vergangenheit nicht ausreichend thematisiert wurde (vgl. Fried 2004, S. 3f). Dabei bezog sie sich in erster Linie auf empirische Daten und stellte gleichzeitig den zu dem Zeitpunkt aktuellen Konsens in der Sprachwissenschaft dar. Die Daten zeigten, dass etwa 25 bis 30 Prozent der Kinder im Kindergarten- und Schulanfangsalter Sprachauffälligkeiten besaßen, wovon ca. 5 bis 10 Prozent potenziell eine permanente Sprachentwicklungsstörung entwickeln könnten (ebd., S. 3ff.). Motiviert war die Entwicklung des Tests unter anderem auch durch die „Absicht der Landesregierung NRW zukünftig landesweit verpflichtend Kinder schon zwei Jahre vor der Schule auf ihren Sprachstand zu überprüfen dadurch zu unterstützen, dass ein Verfahren vorgelegt wird, das mit geringst möglichem Aufwand und größt möglichem Nutzen eingesetzt werden kann“ (ebd., S. 8). Das Vorhaben der Landesregierung in NRW zeigt, dass es seit der PISA Studie Anfang der 2000er Jahre und der einhergehenden Kompetenzorientierung in der Bildungspolitik bestimmte Instrumente benötigt, die den Entwicklungsstand der Kinder und Jugendlichen ermitteln, um somit wirksame Hilfe in den betroffenen Arbeitsbereichen bieten zu können.
Im weiteren Verlauf geht Fried auf den zu dem Zeitpunkt aktuellen Stand der Spracherhebungen in Deutschland ein und deutete auf mangelnde Verfahren hin, die in Deutschland durchgeführt wurden (vgl. Fried 2003, S. 49ff). Des Weiteren sei die „traditionelle Einschätzungs- und Beurteilungspraxis“ (Fried 2005, S. 11) fehlerbehaftet und ungenau, da das komplexe Geschehen durch die zuständigen Fachkräfte nur subjektiv, verzehrt wahrgenommen werden kann. Fried leitet ab, es sei „unmöglich für Erzieher/Innen, allein durch subjektive Wahrnehmung zu erfassen, wo genau ein Kind in seiner Entwicklung steht und was es deshalb an Unterstützung und Anregung braucht“ (Fried 2005, S. 6). Daraus ergibt sich ihrer Meinung nach ein Interesse über objektives Wissen und über die Entwicklung der Kinder, die durch standardisierte Sprachentwicklungsverfahren ermittelt werden sollen. Einhergehend damit möchte Fried wissenschaftliche Objektivität, Validität und Reliabilität in der pädagogischen Praxis etablieren und die Fachkräfte trotzdem möglichst entlasten. Eine Voraussetzung für die Entlastung der Fachkräfte ist das Beherrschen der jeweiligen Assessments. Dadurch sollen Vor- und Nachteile des Verfahrens abgewägt werden, um so adäquat mit den Tests arbeiten zu können. Demnach bedarf es einer Aufklärung oder sogar einer Schulung über die standardisierten Verfahren, zumal diese Methoden kein Teil der herkömmlichen Ausbildung für Erzieherinnen und Erzieher sind.
„Die Testaufgaben von Delfin 4 sollen Sprachentwicklungsaspekte erfassen, die nach Erkenntnissen der internationalen Spracherwerbstheorie und –forschung als curriculumrelevant, entwicklungssensitiv und risikoindizierend gelten“ (Fried 2007b, S. 6). Dementsprechend zeichnet sich der Delfin 4 Sprachstandstest durch die sprachwissenschaftliche Fundierung des Spracherwerbs und die Messmethoden der empirischen Forschung, die an die Praxis angepasst wurden, aus. Das Spiel besteht aus mehreren Ebenen, die jeweils eine bestimmte grammatikalische Kompetenz der Kinder abfragt, welche es von der leitenden Person dann anhand eines Protokolls zu messen gilt. Zudem soll das entwickelte Material die pädagogischen Ziele begleiten und möglichst unterstützen (Abb. 1). Basierend auf dieser Herangehensweise wurde Delfin 4 als Screening Testverfahren konzipiert. Das Screening als systematisches Testverfahren dient der Erkennung von Entwicklungstendenzen, die sich sowohl positiv als auch negativ äußern können (vgl. Ettrich 2000, S. 175). Dabei wird ein bestimmter Bereich definiert, in dem es „Eigenschaften der Prüfobjekte“ (Brockhaus 1997, S. 660) zu finden gilt. Es wird zudem ein besonderer Schwerpunkt auf ein „an interdisziplinären Theoriebeständen orientiertes Konstruktionsrational“ (Fried 2004, S. 6ff) gelegt, um eine hohe Validität der erhobenen Daten zu erhalten.
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