Bachelorarbeit, 2018
45 Seiten, Note: 1,0
ABSTRACT
ABBILDUNGSVERZEICHNIS
TABELLENVERZEICHNIS
1 EINLEITUNG
2 THEORETISCHER HINTERGRUND
2.1 Wahrnehmung von Gesichtern
2.1.1 Interne und Externe Merkmale von be- und unbekannten Gesichtern
2.1.2 Blickbewegungen bei der Wiedererkennung von Gesichtern
2.2 Personenidentifizierung
2.2.1 Die Gegenüberstellung
2.2.1.1 Simultane und sequentielle Gegenüberstellung
2.2.2 Zeugenfaktoren
2.3 Falschaussage & Verdeckung
2.3.1 Falschaussage und Verdeckung in der Forschung
2.3.2 Falschaussage und Verdeckung in der Forensik
3 FRAGESTELLUNGEN & ZIELE
4 MATERIAL & METHODE
4.1 Stichprobe
4.2 Stimuli & Prozedere
4.2.1 Stimuli
4.2.2 Messgeräte
4.2.3 Prozedere
4.2.4 Manipulationscheck
5 AUSWERTUNG
5.1 Trefferquote
5.2 Antwortzeit
5.3 Blickbewegungsdaten
5.3.1 Anzahl Fixationen
5.3.1.1 Anzahl Fixationen außerhalb der Stimuli
5.3.2 Fixationsdauer
6 ERGEBNISSE
6.1 Treffsicherheit
6.2 Antwortzeit
6.3 Blickbewegungsdaten
7 DISKUSSION
7.1 Diskussion der Ergebnisse
7.2 Grenzen der Untersuchung
7.3 Implikationen
8 ZUSAMMENFASSUNG & AUSBLICK
LITERATURVERZEICHNIS
Bildernachweis
ANHANG
Suspects in forensic investigations are not always telling the truth. This is especially true when they are trying to conceal recognition of a person well known to them in order to protect co-conspirators, or indeed hide their knowledge about a crime and suspects. The aim of this study was to uncover hidden changes in eye movement patterns as indicators for the truthfulness of a person. Participants eyes were monitored whilst they were lying and telling the truth about the recognition of famous faces. The findings of this experiment lead to the conclusion that lying has great effects on both the response time and fixation patterns of the tested participants. The response time is significantly faster due to an often adapted coping strategy in the lying condition of denying faster than in a correct rejection. The key to exposing deception lies instead in the outer facial features since unfamiliar faces are scanned in a different way than familiar ones. It was observed that while being truthful about facial recognition people look at outer features of unfamiliar faces. While observed lying about the recognition of a familiar face however, they tend to stick to the eyes - and therefore give away useful information without even recognizing it.
1. Vexierbild
2. Fixationen bei be- und unbekannten Gesichtern
3. Identifizierungsentscheidung
4. Stichprobenbeschreibung N = 49
5. Köpfe freigestellt und über die Augen ausgerichtet
6. Unbekannte Person mit verschiedenen Perücken
7. Vergleich des Gazepaths bei Bekannt und Unbekannt
8. Zielitem „Schweinsteiger“ mit AOIs
9. Prozedere des Blickbewegungsexperiments
10. Violinenplot der durchschnittlichen Antwortzeiten
11. Informationsgehalt Violinenplot
12. Gruppenplot der Antwortzeiten nach „Ehrlichkeit“ und „Prominenz“
13. Boxplot Fixationen, gruppiert über innere und äussere AOIs
14. Gruppenplot Fixationen zwischen Ehrlichkeit und Prominenz
15. Boxplot Fixationsdauer, gruppiert über innere und äussere AOIs
16. Gruppenplot Fixationsdauer zwischen Ehrlichkeit und Prominenz
17. Vergleich Gazepath bei Wahrheit und Lüge.
18. Blickbewegungsanomalien
19. Innere AIOs gesondert betrachtet (Dwelltime)
20. Innere AIOs gesondert betrachtet (Fixationen)
1. Trefferquote bei prominenten und unbekannten Personen.
2. Deskriptive Statistiken der durchschnittliche Antwortzeiten (gesamt).
3. Deskriptive Statistiken der durchschnittliche Antwortzeiten (Konditionen)
4. Messwiederholte Varianzanalyse der durchschnittlichen Antwortzeiten.
5. Paarweiser Vergleich von Antwortzeiten in den Konditionen
6. Deskriptive Statistiken „durchschnittliche Anzahl Fixationen“ (Kondition)
7. Messwiederholte Varianzanalyse für die Ø-Anzahl an Fixationen
8. Paarweiser Vergleich von Ø-Fixationen in Konditionen und AIO-Gruppen
9. Anteil der Fixationen ausserhalb der Stimuli
10. Deskriptive Statistiken der Ø-Fixationsdauer (Konditionen)
11. Messwiederholte Varianzanalyse für die Ø-Fixationsdauer
12. Paarweiser Vergleich der Fixationsdauer (Konditionen/AIO-Gruppen)
13. Blickbewegungsanomalien
14. Mittlere Verweildauer in AOI
15. Anzahl Fixationen bis Antwort (innere AOI)
Der Mensch ist Experte, wenn es um das Erkennen von Gesichtern geht (Carey & Diamond, 1986). Diese Fähigkeit wird von der frühen Kindheit an entwickelt und immer weiter ausgebaut. Im sozialen Miteinander wird vorzugsweise der Sehsinn dazu genutzt, eine schnelle und präzise Einschätzung zu liefern, ob einem die Person bekannt ist oder nicht und mit wem genau man in Interaktion tritt.
"Man kann nicht nicht kommunizieren, denn jede Kommunikation (nicht nur mit Worten) ist Verhalten, und genauso wie man sich nicht nicht verhalten kann, kann man nicht nicht kommunizieren.“ sagt Paul Watzlawick (1969).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1
Vexierbild (Roth, S.240 f.)
Auf diesem Vexierbild aus dem Buch "Das Gehirn und seine Wirklichkeit" von Prof. Gerhard Roth (1994) lässt sich folgende interessante Erkenntnis ableiten: Zunächst versucht der Betrachter1, aus den einzelnen schwarzen und weißen Elementen ein sinnvolles Ganzes zu bilden. Einigen Personen gelingt dieses recht schnell, andere brauchen Hilfestellungen. Mit verschiedenen abstrakten Hinweisen führt Prof. Roth von „Franziska van Almsick“ zu „Milka Schokolade“ und dann zu der Lösung:
Es ist eine Kuh.
Nun weiß der Betrachter, was er zu suchen hat. Bei Einigen reicht selbst die klare Benennung nicht aus, um die abgebildete Kuh zu erkennen. Erst wenn einzelne Teile der Kuh aufgezeigt werden, die Schnauze links unten, darüber die Augen und die flächigen schwarzen Ohren, wird die Kuh auch im Gesamten erkannt. Interessant ist nun, einmal gesehen, wird die Kuh immer wiederentdeckt. Man kann diesen Prozess nicht umkehren, die Kuh nicht vergessen machen.
Ebenso wenig kann man ein einmal gelerntes bekanntes Gesicht vergessen. Man kann also nicht nicht erkennen.
Wenn man das Vergessen nicht willentlich herbeiführen kann, bleibt nur der Versuch zu verdecken, dass einem ein Gesicht gut bekannt ist.
Im Rahmen einer Bachelorarbeit im Bereich der allgemeinen und neurokognitiven Psychologie, befasst sich diese Studie mit den Blickbewegungsmustern beim Betrachten von bekannten und unbekannten Gesichtern. Mit Hilfe von entsprechenden Methoden, wie Eye-Tracking und den zugrunde liegenden Modellen der Gesichtserkennung, wird im Folgenden einer Frage nachgegangen, welche durch die forensische und die Rechtspsychologie geprägt ist:
Lässt sich anhand der Blickbewegungen einer Person erkennen, ob ein Gesicht erkannt wurde, obwohl ein Wiedererkennen geleugnet wird?
Ob im Umgang mit Gegenständen oder Personen, je nach Anforderung werden unterschiedliche Abläufe der visuellen Verarbeitung genutzt. Auf der einen Seite wird bei weniger komplexen Objekten, sei es ein Stuhl oder eine Teekanne, die merkmalsbasierte Verarbeitung herangezogen. Auch die einzelnen Teile eines Gesichtes werden zunächst auf ihre merkmalsbasierten Informationen untersucht.
Die konfiguralen Informationen, also die Wahrnehmung der Gesamtheit aller Komponenten und ihre Anordnung zueinander, werden auf der anderen Seite immer dann wichtig, wenn es um die Erkennung und Bestimmung von komplexeren Dingen geht, die alle eine ähnliche räumliche Anordnung aufweisen. Gesichter fallen damit in diese Kategorie und bilden zudem einen Spezialfall in der visuellen Verarbeitung (Farah, Wilson, Drain & Tanaka, 1998). Die konfigurale Wahrnehmung von Gesichtern kann in drei maßgebliche Verarbeitungsstufen unterteilt werden: „Verarbeitung erster Ordnung“, „Holistische Verarbeitung“ und die „Verarbeitung zweiter Ord- nung“ (Rhodes, 1988). Zunächst wird bei der Verarbeitung erster Ordnung ein Gesicht durch die Anordnung von zwei Augen horizontal, rechts und links der Nase, einem Mund unter der Nase und unter dem Mund das Kinn, als solches erkannt (Maurer, Le Grand & Mondloch, 2002). Ein auf das Erkennen von Gesichtern spezialisiertes Hirnareal, die „ Fusiform Face Area“ (FFA) im Gyrus fusiformis, reagiert auf genau diese merkmalstypischen Elemente eines Gesichtes (Herrmann, Ehlis, Muehlberger & Fallgatter, 2005). Bereits im späten 19. Jahrhundert nahm Galton (1879) an, dass bei der Gesichtserkennung holistische Informationen, also die gesamtheitliche Wahrnehmung aller Komponenten, eine größere Rolle spielen, als die einzelnen Merkmale. Diese Annahme Galtons konnte jedoch erst durch Tanaka und Farah (1993) durch empirische Beweise untermauert werden. Einzelne Elemente eines Gesichtes, wie zum Beispiel die Nase, können einer Person besser zugeordnet werden, wenn diese im Kontext des Gesichtes dargeboten werden, als bei einer isolierten Darbietung.
Wurde also bei der Verarbeitung erster Ordnung ein Gesicht als solches erkannt, geht es im zweiten Schritt um die holistische Verarbeitung, welche einzelne Gesichtsmerkmale zu einem Gesamten zusammensetzt (Maurer et al., 2002). Da sich Gesichter jedoch in ihrer räumlichen Anordnung der Merkmale nur relativ wenig unterscheiden, werden im dritten Schritt, der Verarbeitung zweiter Ordnung, den Proportionen und Abständen zwischen den einzelnen Gesichtsmerkmalen besondere Aufmerksamkeit beigemessen (Maurer et al., 2002).
Laut dem „Face Space Model“ (Valentin, 1991) hat jedes erlernte Gesicht eine Repräsentation in dem spezialisierten Gesichtsareal, und wann immer wir ein Gesicht erblicken, wird eine Art Vektor erstellt, eine multidimensionale Repräsentation der Merkmale des betreffenden Gesichtes. Dieser blitzschnell kalkulierte Vektor wird daraufhin mit allen Einträgen in dieser „Datenbank“ verglichen. Kommt es zu einem Treffer, klassifiziert der Betrachter das Gesicht als „bekannt“. Durch dieses optimierte System dauert das Wiedererkennen einer bekannten Person weniger als eine Sekunde, ist ausgesprochen präzise und passiert relativ fehlerfrei (Stacey et al., 2005; Heisz & Shore, 2008).
Im Allgemeinen wird also davon ausgegangen, dass Menschen relativ gut in der Lage sind, Gesichter zu erkennen (Hancock, Bruce & Burton, 2000). Diese Fähigkeit nimmt jedoch in dem Maße zu, wie geläufig einem eine Person ist, wie oft wir sie schon gesehen haben, kurz: Wie stark dieses Gesicht in unserer „Datenbank“ verankert ist.
Bei der Wahrnehmung von Gesichtsmerkmalen wird zwischen externen und internen Merkmalen unterschieden. Zu den internen Merkmalen gehören die Augen, Nase und Mund, zu den externen Merkmalen zählen die Form der Wangen- und Kieferknochen sowie die Stirn und der Haaransatz (Flowe, 2011).
Externe Merkmale sind für die Wiedererkennung von unbekannten Gesichtern von größerer Bedeutung als die internen Merkmale (Flowe, 2011; Want, Pascalis, Coleman & Blades, 2003). Augen, Nase und Mund sind über die Zeit weniger Veränderungen ausgesetzt als beispielsweise die Frisur einer Person. Daher stützen sich Menschen bei der Wiedererkennung von ihnen gut bekannten Gesichtern mehr auf die „stabilen“, internen Merkmale (Want et al., 2003). Maßgeblich ist auch, dass wir bekannte im Gegensatz zu unbekannten Gesichtern häufiger und auch aus vielen verschiedenen Winkeln betrachten. Dasselbe gilt für Gesichter von berühmten Persönlichkeiten oder Personen des öffentlichen Lebens. Je häufiger wir ein Gesicht gesehen haben, desto leichter fällt es uns, dieses wieder zu erkennen, und zwar größtenteils anhand der internen Merkmale (Ellis et al., 1979; Olivares & Iglesias, 2008; Young et al., 1985).
Heisz und Shore (2008) konnten in einer Studie weiter aufzeigen, dass sich die meisten Leute beim Wiedererkennen von bekannten Personen besonders auf die Augenregion konzentrieren, ganz im Gegensatz zu den externen Merkmalen, welche jedoch für das Wiedererkennen von unbekannten Personen essentiell sind.
Auch Henderson et al.( 2001/2005) kamen zu folgender Erkenntnis. Interne Merkmale werden bei bekannten Gesichtern mit Abstand am längsten fixiert (70-90 % der gesamten Fixationszeit) und von dieser Zeit entfallen zwischen 60 % und 70 % allein auf die Augen. Externen Merkmalen wird jedoch kaum Beachtung geschenkt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2
Fixationen bei be- und unbekannten Gesichtern (van Belle et al. 2010)
Anm.: Untere Zeile: Vergleich der Anzahl der Fixationen. Bei bekannten Gesichtern (blau) verweilt der Blick länger auf den Augen. Bei Unbekannten (orange) werden Nase, Wangen und Mund länger betrachtet. Äußere Merkmale wurden hier nicht Teil der Untersuchung.
Eye-Tracking wird immer dann bei Experimenten eingesetzt, wenn man untersuchen möchte, wie ein dargebotener visueller Stimulus mit den Augen erkundet und wie damit interagiert wird. Dieses Messinstrument zeichnet das exakte Blickbewegungs- muster eines Probanden mit einer hohen zeitlichen Auflösung (ca. 60 bis 2000 mal pro Sekunde) auf. Aus diesen Daten lassen sich dann Fixationsorte und -zeiten berechnen und auch visuell darstellen. So lässt sich nachvollziehen, welchen Bereichen Aufmerksamkeit geschenkt wird und in welcher Reihenfolge die Merkmale betrachtet werden. Die Fixationszeit korreliert mit der Verarbeitungsgeschwindigkeit von visuellen Reizen. Eine höhere Fixationsdauer tritt immer dann auf, wenn die Aufgabe eine anspruchsvolle visuelle Analyse erfordert (Mansour & Flowe, 2010).
In den meisten Studien, bei denen es um Blickbewegungen geht, verwendet man ein sogenanntes Fixationskreuz vor, während oder nach der Darbietung von visuellen Stimuli, um den Blick der Teilnehmer zu lenken oder einen möglichst gleichen „Ausgangspunkt“ für die Blickbewegungen aller Teilnehmer zu schaffen.
Hills et al. (2013) und Hsiao und Cottrell (2008) wiesen in ihren Studien nach, dass die Verwendung von Fixationskreuzen auf dargebotenen Gesichtern die erste Fixation beeinflussen und damit einen großen Einfluss auf die Wiedererkennungsgenauigkeit haben. Die Lage eines Fixationskreuzes sollte in diesen Fällen ausgesprochen sorgfältig ausgewählt werden (Henderson et al., 2005).
Da das Thema dieser Arbeit einen forensischen Hintergrund hat, wurde bei dem Design und der Durchführung des Experimentes darauf geachtet, den Abläufen einer realen Zeugenbefragung und der Lichtbildvorlage bei der Polizei möglichst nahe zu kommen. Die einzelnen Aspekte werden im Folgenden näher erläutert.
Wenn es um die Identifizierung von Personen in einer Gegenüberstellung geht, gibt es vier mögliche Ergebnisse: Der Zeuge erkennt eine Person wieder. Hierbei kann es sich entweder um eine richtige Identifizierung handeln, der Zeuge landet einen Treffer. Wird die Person jedoch fälschlicherweise identifi- ziert, spricht man von einer falschen Identifizierung. Ebenso wie diese positive Identifizierung kann auch die Zurückweisung von einigen oder allen in der Lichtbildvorlage dargebotenen Personen sowohl richtig als auch falsch sein. Hier spricht man von einer korrekten - oder falschen Zurückweisung.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3
Identifizierungsentscheidung, In-Mind(2/2012) Anm.: Mögliche Ausgänge einer Identifizierungsentscheidung. Das rote Männchen symbolisiert den Täter, während es sich bei dem grünen um einen unschuldig Verdächtigen handelt.
Da ein Zeuge, der zu einer Gegenüberstellung geladen wird, davon ausgehen kann, dass ein begründeter Tatverdacht der Polizei vorliegt, sollte ihm vor der Befragung klar gemacht werden, dass der wahre Täter nicht zwingend unter den präsentierten Personen sein muss. Zeugen können so davor bewahrt werden, eine anwesende Person fälschlicherweise zu beschuldigen (Malpass & Devine, 1981). Wird der Zeuge hingegen ermutigt, eine positive Identifizierung abzugeben, steigt die Falschidentifizierungsrate (Steblay, 1997).
Bei der simultanen Gegenüberstellung werden alle Personen (oder Bilder von Gesichtern) gleichzeitig präsentiert, bei der sequenziellen Gegenüberstellung hingegen nacheinander. Bei der Ersteren wird angenommen, dass der Zeuge zu einer relativen Aussage veran- lasst wird. Er vergleicht die dargebotenen Gesichter untereinander und identifiziert die Person, welche dem Täter am ähnlichsten sieht. Bei Nicht-Anwesenheit des Täters treten hier deutlich höhere Falschidentifizierungsraten auf, als in der sequentiellen Darbietung (Meissner, Tredoux, Parker & MacLin, 2005; Steblay, Dysart, Fulero & Lindsay, 2001). Bei der Letzteren ist der Zeuge gezwungen, die präsentierten Gesichter mit seinen Gedächtnisinhalten zu vergleichen. Er tätigt also eine absolute und keine relative Entscheidung (Lindsay et al., 1991; Lindsay & Wells, 1985; Meissner et al., 2005). Ein weiterer Vorteil der sequentiellen Darbietung ist, dass sich die Augenzeugen mehr Zeit für die Betrachtung der einzelnen Bilder lassen, als dies in der simultanen Anordnung der Fall ist (Flowe, 2011). Eine falsche Beschuldigung kann so durch das genauere Analysieren der Bilder in den meisten Fällen vermieden werden.
Problematisch bei der sequentiellen Anordnung kann jedoch die Position des Tätergesichtes innerhalb der Bilderfolge sein. Taucht das Bild des Tatverdächtigen relativ früh auf, wird er seltener als Täter identifiziert, als wenn dieser gegen Ende einer Bilderfolge gezeigt wird. Eine Erklärung dafür ist, dass der Zeuge möglichst viele Bilder sichten möchte, bevor er eine Entscheidung trifft (Ebbsen und Flow, 2002). Weiter ist darauf zu achten, dass einem Zeugen „eine Reihe“ von Vergleichspersonen gegenübergestellt bzw. gezeigt wird, wobei eine Zahl von mindestens acht Vergleichspersonen sachgerecht ist (Bender et al., 2012). Die Vergleichspersonen müssen so gestaltet sein, dass die wesentlichen Vergleichsmerkmale der Personen im äußeren Erscheinungsbild übereinstimmen (Burho, 1993).
Es wird angenommen, dass unterschiedliche Menschen verschieden ausgeprägte Fähigkeiten im „Gesichtererkennen“ haben. Interpersonell gibt es messbare Unterschiede, intrapersonell ist diese Fähigkeit recht konsistent (Megreya et al., 2013). Am besten werden Personen der eigenen Altersgruppe erkannt (Anastasi & Rhodes, 2005; Wright & Stroud, 2002). In zwei weiteren Studien zum Thema Geschlechterunterschiede konnte Lewin & Herlitz (2002/ 2010) einen „own-sex bias“ bei Frauen nachweisen. Demnach sind Frauen besser darin, weibliche Gesichter wiederzuerkennen, wohingegen männliche Gesichter von weiblichen wie männlichen Versuchsteilnehmer gleich gut erkannt werden. Bei Männern konnte dieser Unterschied nicht festgestellt werden. Frauen haben demnach einen Vorteil gegenüber den Männern und weisen eine höhere Trefferquote auf, wenn bei einem Experiment Gesichter beider Geschlechter dargeboten werden.
Wenn eine Aufgabe eine hohe kognitive Anstrengung erfordert, resultiert das in einer längeren Fixationszeit, was zu erhöhten Antwortzeiten führt. Gesichter erkennen in einer Lichtbildvorlage ist eine solche Aufgabe. Und auch Lügen erfordert eine hohe kognitive Anstrengung (Baker, Stern, & Goldstein, 1992; Cook, Hacker, Webb, Osher, Kristjansson, Woltz, Kircher, et al., 2012; Griffin & Oppenheimer, 2006).
Je mehr Informationen verarbeitet werden müssen, desto länger die Fixation. Diese Erkenntnis erlaubt Rückschlüsse, an welcher Stelle eine genauere Analyse stattfindet und ein größerer kognitiver Aufwand betrieben wird (Castelhano & Rayner, 2008; Rayner, 1998; Russo, 2011). Das trifft gleichermaßen auf ehrliches (Griffin & Bock, 2000; Griffin, 2001; Meyer, Sleiderink, & Levelt, 1998; Meyer & van der Meulen, 2000) und unehrliches Verhalten zu, denn bei verdeckendem Verhalten wird dieser Effekt noch verstärkt. Beim Lügen muss eine dominante wahre Antwort unterdrückt werden, bevor eine vorformulierte Lüge ausgeführt werden kann. Diese Zunahme von kognitivem Aufwand macht das Lügen schwieriger, als die Wahrheit zu sagen (Spence et al., 2001; Vrij, Fisher, et al., 2008; Zuckerman, DePaulo, & Rosenthal, 1981).
Wenn es sich bei einer Aussage um eine Verfälschung, ein Produkt der Phantasie oder um eine bewusste Falschaussage handelt kann dies dazu führen, dass in eine falsche Richtung ermittelt oder sogar unschuldige Personen statt der wahren Täter verurteilt werden. Eine unentdeckte Tatbeteiligung des Zeugen kann ihn dazu verleiten, sich in eine Lüge zu flüchten, um sich selbst oder Mittäter zu decken. Dasselbe gilt für Zeugen, auf die gegebenenfalls im Vorfeld massiver Druck ausgeübt wurde, nicht bei der Polizei auszusagen (Arntzen, 1983). Die Anzahl der bundesweit erfassten Fälle von falschen uneidlichen Aussagen (Falschaussagen) sind zwar seit 2012 (6.207) bis 2016 (4.715) rückläufig doch diese Zahlen zeigen, dass es sich bei der Falschaussage um kein unbedeutendes Phänomen handelt (BKA, 2016). Zumal diejenigen Fälle nicht in die Statistik aufgenommen werden, welche zu keinem Zeitpunkt der Strafverfolgung der Falschaussage überführt werden konnten.
Für den speziellen Fall, dass Augenzeugen aus den oben genannten Gründen einen Tatverdächtigen bei einer Gegenüberstellung willkürlich gedeckt und das Erkennen verdeckt haben, liegen keine gesonderten Zahlen vor.
Bislang gibt es nur wenige Forschungsergebnisse zu dem Thema, wie sich das Blickverhalten von Personen verändert, wenn sie Leugnen, ein bekanntes Gesicht zu erkennen. Diese Arbeit soll einen Beitrag zur Grundlagenforschung leisten, um den folgenden Forschungsfragen weiter nachgehen zu können. Diese beziehen sich auf drei untersuchte Teilbereiche der messbaren Vorgänge beim Leugnen von be- und unbe- kannten Gesichtern:
Treffsicherheit
1. Mit welcher Treffsicherheit wurden die ausgewählten Prominenten erkannt?
Antwortzeit
2. Ist die Antwortzeit bei den bekannten Gesichtern kürzer als bei den (korrekt zurückgewiesenen) unbekannten Gesichtern?
3. Ist die Antwortzeit bei den bekannten Gesichtern in der Lügen-Kondition (korrektes Leugnen) länger, als ein „ Treffer “ in der Wahrheits-Kondition?
Blickbewegungsdaten
5. Führt das Lügen zu einem ausweichenden Blickverhalten und landen somit mehr und längere Fixationen auf den äußeren Merkmalen?
6. Führt das Lügen zu einer Verringerung der Anzahl von Fixationen?
7. Steigt die Fixationsdauer beim Leugnen bekannter Gesichter?
8. Welche Parameter können Aufschluss darüber geben, dass die dargebotene
Person dem Betrachter bekannt war, obwohl dieser das geleugnet hat?
Im Folgenden wird zunächst die für das Blickbewegungsexperiment erhobene Stichprobe beschrieben. Anschließend werden verwendete Stimuli, Messgeräte und die Durchführung des Experiments dargestellt.
An dem Eye-Tracking Experiment haben insgesamt 54 Personen teilgenommen. Die Testung wurde in einem Laborraum der Freien Universität Berlin, in der privaten Wohnung des Versuchsleiters und in sieben weiteren Wohnungen, sowie Büroräumen von Probanden durchgeführt. Da der Eye-Tracker verbunden mit einem Laptop transportabel und an diversen Orten zum Einsatz kommen konnte, wurde bei jeder Testung eine Umgebung gewählt, die ein ruhiges und konzentriertes Arbeiten gewährleisten konnte. Nach eingehender Prüfung wurden nachträglich die Daten von 5 Versuchspersonen exkludiert. Bei zwei Personen waren die Eye-Tracking Daten durch hohe Datenverluste nicht zu verwenden. In beiden Fällen wurden Brillen mit hohen Dioptrien-Zahlen getragen. Drei weitere Personen haben keines der 6 prominenten Zielitems identifizieren und damit die gestellte Wiedererkennungsaufgabe nicht erfüllen können.
Nach Exkludieren dieser 5 Datensätze setzt sich die Stichprobe wie folgt zusammen:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 4
Stichprobenbeschreibung N = 49
[...]
1 Zur verbesserten Lesbarkeit werden Personenbeschreibungen wie Betrachter, Teilnehmer und andere im Maskulin aufgeführt. Hierbei sind ausdrücklich weibliche als auch männliche Vertreter der jeweiligen Gruppen angesprochen.
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