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Masterarbeit, 2019
104 Seiten, Note: 2,1
1 Einleitung und Problemstellung
2 Zielsetzung
3 Gegenwärtiger Kenntnisstand
3.1 Einordung der Begriffe Gesundheit, BGM, BGF und Arbeitsschutz
3.1.1 Gesundheit
3.1.2 Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM)
3.1.3 Betriebliche Gesundheitsförderung (BGF)
3.1.4 Arbeitsschutz
3.2 Einordnung der Begriffe „Psychische Belastung“ und „Stress“
3.3 Aktueller Forschungsstand
3.3.1 Psychische Belastungen und Erkrankungen im Allgemeinen
3.3.2 Psychische Belastungen und Erkrankungen im Arbeitsbezug
3.4 Work Ability Index (WAI)
3.5 Beschreibung aktueller Screeningverfahren zu psych. Belastungen am Arbeitsplatz
3.5.1 Beobachtende Verfahren
3.5.2 Interview
3.5.3 Fragebogen
4 Methodik
4.1 Beschreibung / Vorstellung des Unternehmens (anonymisiert)
4.2 Forschungsfragen / Hypothesen
4.3 Beschreibung der Stichprobe
4.4 Forschungsdesign
4.5 Datenerhebung
4.6 Datenauswertung
5 Ergebnisse
5.1 Deskriptive Auswertung
5.2 Inferenzstatistik
5.2.1 Hypothesenprüfungen der Unterschiedshypothesen (F1-H1 und F2-H3)
5.2.2 Hypothesenprüfung der Zusammenhangshypothese (F3-H6)
5.2.3 Sonstige Hypothesenprüfungen (F2-H2, F3-H4 und F3-H5)
5.2.4 Beantwortung der Forschungsfragen
6 Diskussion
7 Zusammenfassung
8 Literaturverzeichnis
9 Abbildungs-, Tabellen-, Abkürzungsverzeichnis
9.1 Abbildungsverzeichnis
9.2 Tabellenverzeichnis
9.3 Abkürzungsverzeichnis
Anhang 1: Fragebogen (entfernt aufgrund von Anonymisierung)
Anhang 2: Rohdaten-Tabelle
Anhang 3: Berechnungen
„Wer nicht jeden Tag etwas für seine Gesundheit aufbringt, muss eines Tages sehr viel Zeit für die Krankheit opfern“ (Sebastian Kneipp, o. J.).
Diese Aussage fließt zunehmend mehr in die strategischen Ausrichtungen der Unternehmen verschiedener Branchen ein. Überwiegend personalstarke Vertreter erkennen einen Nutzen, welcher mit der Implementierung eines Betrieblichen Gesundheitsmanagements einhergeht. Aber auch der Anteil an kleinen sowie mittelständischen Unternehmen (KMUs) steigt weiter an. Mit insgesamt 18% hat nach eigenen Angaben in Deutschland fast jedes fünfte Unternehmen bereits ein Gesundheitsmanagement eingeführt (Handelskammer Hamburg, 2014). Auf der einen Seite wird dieses in Form von sozialer Verantwortung gegenüber den Arbeitnehmern als Wettbewerbsvorteil im Recruiting genutzt. Auf der anderen Seite stellt es für das Unternehmen selbst ein wichtiges Instrument im Zuge des demografischen Wandels dar. Krankheitsbedinge Fehlzeiten sollen reduziert und die Arbeitsfähigkeit der Belegschaft bis zum Renteneintritt gesichert werden. Das sind Gründe, warum in der Arbeitswelt im Bereich Betriebliches Gesundheitsmanagement seit einigen Jahren ein starker Trend in Deutschland zu erkennen ist. Dieser Trend könnte wiederum mitverantwortlich dafür sein, dass der Krankenstand in 2017 erstmals wieder – mit 4,2% – rückläufig war (DAK Dachverband, 2017). Allerdings lässt sich Gesundheit im Betrieb nicht allein anhand einer Quote festmachen.
Nach wie vor spielen Erkrankungen am Muskel-Skelett-System sowie psychische Erkrankungen und Belastungen eine übergeordnete Rolle im beruflichen Kontext. Beide belegen die ersten beiden Plätze in Bezug auf die häufigsten Krankheitsarten in Deutschland, welche verantwortlich für Arbeitsunfähigkeits-Tage (AU-Tage) sind. Dabei sind 16,7% aller AU-Tage auf psychische Erkrankungen zurückzuführen. Die Ursache dafür liegt in der langen Ausfallzeit (AU-Dauer) pro Fall. Fällt ein Mitarbeiter aufgrund einer psychischen Erkrankung aus, geschieht dies durchschnittlich für 35,5 Arbeitstage. Diese Daten des DAK Gesundheitsreports verdeutlichen, wie hoch das Interesse seitens des Unternehmens sein sollte, die eigenen Arbeitnehmer auch psychisch gesund zu erhalten und Themen wie Stress, Depression und Burn-/Boreout – in Anbetracht der Tatsache, dass seit 2013 die Verpflichtung zur Durchführung einer psychischen Belastungsgefährdung besteht – ernst zu nehmen.
Die Erstellung dieser Thesis sowie die Behandlung der Thematik sind daher in zwei Punkten begründet.
Zum einen wird die Arbeit als Prüfungsleistung für den erfolgreichen Abschluss des Master-Studiums benötigt.
Zum anderen bekommt der Autor vermehrt den Eindruck, dass bei Erkrankungen und insbesondere bei Krankschreibungen mit zweierlei Maß gemessen wird – sowohl von außen aus Sicht des beruflich-sozialen Umfeldes (Arbeitgeber, Vorgesetzte, Kollegen) als auch aus der Selbstperspektive: Während die Schuldzuweisung einer Erkrankung der Atemwegs-Organe einzig und allein in einer Jahreszeit (Grippewelle) verortet wird, findet dahingegen eine diagnostizierte Depression teilweise gar keine Akzeptanz. Dass das System „Arbeit“ dabei eine ebenso große Rolle spielen kann (beispielsweise durch Führungsverhalten) wie eventuell bei der betroffenen Person nicht vorhandene Ressourcen, wird ausgeblendet. Es ist daher davon auszugehen, dass die oben aufgeführten Zahlen in Bezug auf psychische Erkrankungen tatsächlich nochmal höher ausfallen würden, wenn daran erkrankte Mitarbeiter von ihrem Umfeld ermutigt statt stigmatisiert würden. Der Autor der Arbeit weist an dieser Stelle darauf hin, dass dies lediglich eine Schilderung seiner subjektiven Wahrnehmung bezogen auf sein privates und berufliches Umfeld darstellt. Sie soll verdeutlichen, warum er sich dafür entschieden hat, sich mit dem Thema „Psychische Belastungen und Beanspruchungen am Arbeitsplatz“ wissenschaftlich auseinanderzusetzen.
Im ersten Schritt wird er auf den aktuellen Kenntnisstand dieses Themenkomplexes eingehen (literarischer Teil), bevor er sich im Anschluss mit der für die Thesis durchgeführten Untersuchung befasst (empirischer Teil), um sich der im folgenden Kapitel beschriebenen Zielsetzung zu nähern.
Ziel der vorliegenden Arbeit ist die Analyse eines Risiko-Screenings im Rahmen einer bereits stattgefundenen schriftlichen Mitarbeiterbefragung. Es sollen psychische Belastungen und Beanspruchungen von Beschäftigten eines vom Autor anonymisierten Industrieunternehmens mit dem Standort in NRW durch Einsatz eines intern verwendeten Fragebogens in Bezug auf die unten dargestellten Fragestellungen ausgewertet werden.
Für den empirischen Teil der Arbeit wird somit auf ein Fragebogen und die dem Autor zur Verfügung gestellten Rohdaten der Befragung zurückgegriffen. Sämtliche weitere Informationen zur Methodik werden in Kapitel 4 erläutert.
Die Masterarbeit soll folgende Fragestellungen beantworten:
1. Inwieweit unterliegen Mitarbeiter/innen des Unternehmens psychischen Belastungen aus der Arbeit?
2. Inwieweit zeigen Mitarbeiter/innen des Unternehmens Auswirkungen der psychischen Belastungen?
3. Inwieweit stehen den Mitarbeiter/innen des Unternehmens externale und persönliche Ressourcen zur Bewältigung belastender Arbeitssituationen zur Verfügung?
Aufgrund der Tatsache, dass die Begriffe Gesundheit, Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM), Betriebliche Gesundheitsförderung (BGF) und Arbeitsschutz fortlaufend in den folgenden Kapiteln verwendet werden, wird der Autor der Arbeit zunächst auf Inhalte und Definitionen dieser Begrifflichkeiten eingehen.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definierte Gesundheit bereits 1948 wie folgt: „Health is a state of complete physical, mental and social well-being and not merely the absence of disease or infirmity“. Laut dieser Definition würde ein Mensch ausschließlich bei vollständigem körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefinden sowie gleichzeitiger Abstinenz von jeglichem Unwohlsein als gesund gelten. Bamberg hält diese Kriterien für zu streng und beschreibt daher das Erreichen dieses Zustandes als Utopie (1998, S. 43).
Eine etwas gelockerte Auffassung vertritt Antonovsky mit seinem Salutogenese-Modell. Dieses besagt „solange wir einen Atemzug Leben in uns haben, sind wir alle bis zu einem gewissen Grad gesund“ (Franke, 1997, S. 49 ff., nach Antonovsky, 1989). Laut diesem Verständnis ist ein Mensch nie vollständig gesund oder krank – befindet sich demnach in keinem Endstadium – sondern bewegt sich stets in einem dynamischen Zwischenzustand. Antonovksy legt lediglich Wert auf eine Ausgeglichenheit zwischen Körper, Geist und Sozialleben. Ist diese gegeben, ist ein Mensch tendenziell gesund – auch dann, wenn in einem einzelnen Bereich des Individuums kein vollkommenes Wohlbefinden herrscht (BZgA, 2001, S. 32, nach Antonovsky, 1979).
Eine ähnliche Ansicht vertritt der Philosoph und Philologe Friedrich Nietzsche, indem er einmal sagte, dass „Gesundheit dasjenige Maß an Krankheit ist, das es mir noch erlaubt, meinen wesentlichen Beschäftigungen nachzugehen“ (o.J.). Hier wird die Gesundheit einer Person über den Einschränkungsgrad definiert. Ist ein Mensch in der Lage einen Großteil seiner gewünschten Aktivitäten durchzuführen, ist dieser eher gesund als krank.
Die letzte Definition, welche hier aufgeführt werden soll, stammt von Talcott Parsons. Auch dieser macht Gesundheit von externen Faktoren abhängig. Als Soziologe behauptet er „Gesundheit ist ein Zustand optimaler Leistungsfähigkeit eines Individuums, für die wirksame Erfüllung der Rollen und Aufgaben, für die es sozialisiert worden ist“. Demnach ist eine Person gesund, solange sie physisch und psychisch in der Lage ist, ihren Teil für die Allgemeinheit beizutragen. Dabei bleibt unbeantwortet, inwiefern das eigene Wohlbefinden eine Rolle spielt (Parsons, 1975, S. 257-258).
Zusammengefasst, kann der Gesundheitsbegriff über verschiedene Aspekte definiert werden. Zum einen über das Vorhandensein oder Fehlen von Wohlergehen und Krankheit, zum anderen über den Auswirkungslevel einer Krankheit: Was kann ein Individuum noch oder nicht mehr ausüben? Darüber hinaus kann Gesundheit als Idealzustand betrachtet werden (Gesundheit und Krankheit schließen sich gegenseitig aus) oder als ein dynamischer Prozess, welcher es erlaubt, dass ein von einer Krankheit geplagtes Individuum trotzdem tendenziell gesund ist (Gesundheit und Krankheit können parallel nebeneinander bestehen).
Zu Beginn soll erwähnt werden, dass der Begriff Betriebliches Gesundheitsmanagement eine Art Sammelbegriff darstellt. Viele andere Felder (wie zum Beispiel Betriebliche Gesundheitsförderung, Betriebliches Eingliederungsmanagement, Arbeitsschutz) können Teilgebiete eines BGM darstellen und in dieses als ganzheitliches Projektwesen integriert werden.
Für Badura ist ein BGM „die Entwicklung integrierter betrieblicher Strukturen und Prozesse, die die gesundheitsförderliche Gestaltung von Arbeit, Organisation und dem Verhalten am Arbeitsplatz zum Ziel haben und den Beschäftigten wie dem Unternehmen gleichermaßen zugutekommen“ (1999, S. 15).
Jancik beschreibt Betriebliches Gesundheitsmanagement als ein „gezieltes und bewusstes Einarbeiten gesundheitsfördernder, krankheitsvorbeugender und Heilung unterstützender Strategien, Strukturen und Prozesse in das allgemeine Management, in die Führungsstrategie und in den Führungsstil“ (2002, S. 15).
Beide Ansichten heben sehr deutlich einen strategischen Charakter hervor. Es handelt sich um Prozesse, welche auf den oberen Führungsebenen eines Unternehmens implementiert sowie vorgelebt werden müssen, um im gesamten Betrieb eine authentische Gesundheitskultur zu erschaffen.
Ein nachhaltiges BGM kann sich auf folgende Aspekte positiv auswirken (Bechmann, Jäckle, Lück & Herdegen, 2011):
- Unternehmens- /+ Führungskultur
- Unternehmensvisionen
- Betriebsklima
- Prozesse und Struktur
- Arbeitsbedingungen
Zudem besitzt ein ganzheitliches Betriebliches Gesundheitsmanagement einen starken interdisziplinären Charakter. Bamberg, Ducki und Metz weisen darauf hin, dass für eine erfolgreiche Umsetzung gute Kenntnisse aus den Fachgebieten Arbeitsmedizin, Arbeitssicherheit, der Naturwissenschaften, Ergonomie, Soziologie und der Wirtschaftswissenschaften notwendig sind (2011, S. 17-20). Diese Komplexität zeigt deutlich, dass insbesondere bei großen Unternehmen/Konzernen enge Zusammenarbeit sowie Kommunikation zwischen mehreren Abteilungen/Teams eine der wichtigsten Bedingungen sind, um gesundheitsförderliche Projekte wirkungsvoll in das Arbeitsumfeld zu integrieren.
Die Abgrenzung zur Betrieblichen Gesundheitsförderung bildet der strukturierte und koordinierte Ablauf mit dem Fokus auf Nachhaltigkeit. Für Badura ist dies das wichtigste Abgrenzungsmerkmal zum „bloßem Gesundheits-Aktivismus“ (1999).
Nachhaltigkeit stellt somit auch die letzte Phase in einem BGM-Ablaufschema dar, welches sich an einem klassischen Managementzirkel orientiert (Tabelle X).
Tab. 1: Phasen eines BGM (eigene Darstellung, modifiziert nach Bamberg, Ducki & Metz, 2011)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Zunächst werden personelle, finanzielle und andere Ressourcen definiert und freigesetzt. Auf beispielsweise einem Strategietag können erste Zieldefinitionen, der Aufbau des Projektteams sowie die Grobplanung festgelegt werden. Während der Analyse-Phase wird die Ist-Situation untersucht. Zu den möglichen Instrumenten zählen neben Arbeitsplatzanalysen und Mitarbeiter-Check-Ups auch Mitarbeiterbefragungen, Experteninterviews oder Gesundheitsberichte der Krankenkassen. Im nächsten Schritt wird auf Basis der Analyseergebnisse die Intervention geplant, bevor diese in der vierten Phase umgesetzt wird. Dabei wird grob zwischen zwei Präventionsarten unterschieden. Zum einen werden verhaltensorientierte Maßnahmen (beispielsweise Seminare, Trainings, Schulungen) durchgeführt. Diese dienen der Ressourcenstärkung eines Individuums beziehungsweise eines Mitarbeiters, um in der eigenen Arbeitsumfeld besser zu bestehen. Demgegenüber – und in der Regel als Synergiefaktor genutzt – stehen verhältnisorientierte Maßnahmen (Arbeitsplatzgestaltung, Arbeitsorganisation, Hilfsmittel). Diese sollen die allgemeine Belastungs- und Risikosituation der Arbeitsumwelt auf ein Minimum reduzieren. Im Anschluss werden die eingesetzten Interventionsmaßnahmen auf Inhalt und/oder Wirkung bewertet. Dies ist notwendig, um Betriebliches Gesundheitsmanagement als nachhaltiges Projektmanagement für das eigene Unternehmen zu verstehen. Nur durch kontinuierliche Verbesserungsprozesse und Schaffung gesundheitsförderlicher Strukturen kann ein BGM ein fester Bestandteil der Unternehmenskultur werden (Phase 6).
An dieser Stelle soll noch erwähnt werden, dass der Begriff Betriebliches Gesundheitsmanagement nicht geschützt ist. Anfangs wurde dieser sehr inflationär verwendet, sodass sich häufig lediglich einfache Sportprogramme hinter dem Begriff verbargen. Mittlerweile existieren einige Qualitätskriterien, an denen sich sowohl Akteure als auch Anwender orientieren können. Hierzu zählt nach wie vor die Luxemburger Deklaration, welche grundlegende Definitionen und Inhalte vorgibt (ENWPH, 2014). Ebenso der Handlungsleitfaden der gesetzlichen Krankenkassen (§§20 Ab. 4 Nr.1 und 20b SGB V), welcher nochmal angepasst wurde und finanzielle Anreize für Unternehmen bezüglich Abrechnungsmöglichkeiten bietet. Die Anbieterqualifikationen sind im GKV-Leitfaden klar definiert (GKV-Spitzenverband, 2017). Hinzu kam 2012 die DIN SPEC 91020 BGM (Deutsches Institut für Normung, 2012, S. 7). Diese gibt Rahmenempfehlungen zur Implementierung eines ganzheitlichen und nachhaltigen Betrieblichen Gesundheitsmanagements. Seit 2016 handelt es sich hierbei zusätzlich um ein zertifizierbares Managementsystem.
Betriebliche Gesundheitsförderung (BGF) umfasst nach Spicker & Schopf sämtliche Maßnahmen und praktische Interventionen, um Gesundheit und Wohlbefinden am Arbeitsplatz aufrechtzuerhalten beziehungsweise zu verbessern (2007, S.36ff.).
Dieses moderne Verständnis des Begriffs BGF ist als Teilbereich eines BGM von einem operativen Charakter geprägt. Hierbei geht es nicht mehr um Organisation von der „Metaebene“ aus, sondern um konkrete Maßnahmen und deren Durchführung. Diese können beispielsweise sein: Rücken- und Ernährungsprogramme, Stressbewältigung, Ernährungsprojekte, Gesundheitstage.
Die Luxemburger Deklaration zur Betrieblichen Gesundheitsförderung, die bisher hunderte Unternehmen unterzeichnet haben, bildet die Basis für das heutige Verständnis. Im Jahr 1997 wurde sie vom European Network For Workplace Health Promotion (ENWHP) verabschiedet und 2007 zuletzt aktualisiert.
Sie besagt, dass BGF alle gemeinsamen Maßnahmen von Arbeitgebern, Arbeitnehmern und Gesellschaft zur Verbesserung von Gesundheit und Wohlbefinden am Arbeitsplatz umfasst. Dies soll durch eine Verbesserung der Arbeitsorganisation sowie Arbeitsbedingungen, Förderung einer aktiven Mitarbeiterbeteiligung und eine Stärkung persönlicher Kompetenzen gewährleistet werden (ENWHP, 2007, S. 1):
Weitere politische Einflüsse auf die Betriebliche Gesundheitsförderung finden sich durch die gesetzlichen Krankenversicherungen (§ 20a SGB V) und durch die gesetzliche Unfallversicherung (§ 14 SGB VII) (Singer, 2010, S. 45). Aus diesem Grund nennen Westermayer und Bähr dies eine Vernetzung von BGF und dem Arbeits- und Gesundheitsschutz (1994, S. 5).
„Maßnahmen des Arbeitsschutzes im Sinne dieses Gesetzes sind Maßnahmen zur Verhütung von Unfällen bei der Arbeit und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren einschließlich Maßnahmen der menschengerechten Gestaltung der Arbeit“ (Bürgerliches Gesetzbuch, 1996, S. 1246).
Die Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege definiert Arbeitsschutz mit gleichem Charakter:
„Der öffentlich-rechtliche Arbeitsschutz ist eine gesetzliche Verpflichtung. Dabei sollen Arbeitsschutzmaßnahmen die Sicherheit der Mitarbeiter gewährleisten. Dies kann durch den Einsatz von sicheren Maschinen und Geräten, die Bereitstellung geeigneter Schutzkleidung sowie durch eine ergonomische Arbeitsplatzgestaltung und gesundheitsgerechter Arbeitsorganisation erfolgen“ (2011, S. 8).
Bei beiden Varianten rückt der Präventivaspekt deutlich in den Vordergrund: Krankheit und Verletzung sollen entgegengewirkt werden und gar nicht erst entstehen.
Dies sehen Pieper und Vorath ähnlich, betonen aber zusätzlich auch den Aspekt der Gesundheitsförderung innerhalb des Bereiches Arbeitsschutz. Dieser soll Leben und Gesundheit des Mitarbeiters bewahren und zugleich Voraussetzungen schaffen, dass die Arbeitsbelastung und Anforderungen die physischen und psychischen Kräfte des Mitarbeiters nicht übersteigen (2005, S. 18ff).
Darüber hinaus ist der Autor der Meinung, dass Ziele und Inhalte eines ganzheitlichen Arbeitsschutzes in Bezug auf „Sicherheit und Gesundheitsschutz“ durch den englischen Sprachgebrauch „safety and health“ treffender beschrieben werden.
Wie zu Beginn erwähnt, handelt es sich auch beim Arbeitsschutz um einen Teil des Betrieblichen Gesundheitsmanagements.
In der heutigen Zeit soll die Einführung eines BGM den Bereich des Arbeitsschutzes somit nicht ersetzen, sondern wird durch diesen organisiert und in das Unternehmen integriert. Arbeitsschutzexperten, die individuelle Lösungen für den einzelnen Mitarbeiter und seinen Arbeitsplatz entwickeln, sind für ein BGM nach wie vor unverzichtbar.
Der Autor will an dieser Stelle betonen, dass Arbeitsschutz ursprünglich mit kurzfristigem Charakter ausgeübt wurde. Dies umfasste beispielsweise Einzelmaßnahmen zur Verhaltensänderung in Bezug auf Ernährungsgewohnheiten oder Suchtmittelkonsum (Badura, Ritter & Scherf, 1999, S. 16 f).
Der moderne Arbeitsschutz hingegen unterliegt einer strengen Gesetzeslage und rechtlichen Rahmenbedingungen, welche ihn als starres Gerüst nicht auf jede Gegebenheit reagieren lassen. Dies ist der Grund, warum die Akzeptanz für ein BGM von Seiten des Personals sowie des Managements meist höher ausfällt. Es basiert auf Freiwilligkeit und ist individuell anpassbar. Nichts desto trotz ist der Arbeitsschutz von Relevanz und ergänzt als elementarer Bestandteil eines BGM dieses zu einem funktionierendem ganzheitlichen System, dessen Anspruch mehr als lediglich die Individualprävention ist. Es soll das Arbeitsumfeld zu einem (Lebens-)Raum mit einer möglichst großen Anzahl an salutogenen Ressourcen formen: Neben der Risikominimierung steht die Verbesserung subjektiver Faktoren im Fokus wie zum Beispiel die Steigerung der Mitarbeiterzufriedenheit (Janssen, Kentner & Rockholtz, 2004, S. 42 f).
Zuletzt soll noch erwähnt werden, dass im Jahr 2013 eine Erweiterung bezüglich der Gefährdungsbeurteilung im Arbeitsschutzgesetz erfolgte. Seitdem ist der Arbeitgeber verpflichtet auch psychisch bedingte Belastungen und Gefährdungen für jede Arbeitsplatzgruppe zu ermitteln sowie zu bewerten (§6, ArbSchG). Hierbei geht es nicht um das persönliche Erleben und die tatsächliche psychische Verfassung eines Beschäftigten, sondern um betriebliche Faktoren (wie beispielsweise Führungsverhalten, Arbeitsorganisation oder Passung/Qualifikation), die als Belastungsfaktoren identifiziert und (um)-gestaltet werden müssen. Diese werden in der Regel durch Befragungen erhoben (Gruber & Mierdel, 2005).
Eine psychische Belastung ist ein objektiv neutraler Reiz, der auf das psychische Erleben eines Individuums einwirkt. Solche Reize (Stimuli) können jegliche Art von (Lebens-)Situationen und zu bewältigende Aufgaben darstellen. Ohne die Einbindung weiterer Faktoren sind diese Stimuli nicht zu bewerten. Eine psychische Belastung ist demnach immer eine neutrale Größe. Eine beim Individuum subjektiv wahrgenommene Beanspruchung verstehen Neringer, Blickle und Schaper hingegen als „individuelle, zeitlich unmittelbare und nicht langfristige Auswirkung der psychischen Belastung im Menschen in Abhängigkeit von seinen individuellen Voraussetzungen und seinem Zustand“ (2011, S. 481). Ob eine psychische Belastung (objektiv) eine für das Individuum psychische Beanspruchung (subjektiv) darstellt, ist somit laut diesem Verständnis „von seinen individuellen Voraussetzungen“ abhängig. Diese Voraussetzungen werden auch allgemein als Ressourcen bezeichnet.
Ressourcen können grundsätzlich in zwei Arten unterteilt werden. Auf der einen Seite internale Ressourcen, welche durch psychische, soziale und biologische Eigenschaften geprägt werden. Auf der anderen Seite externale Ressourcen, die beispielsweise durch eine bessere Gestaltung der Arbeitswelt entstehen und optimiert werden können. (Badura, Walter, Hehlmann, 2010, S. 234). Der Umfang sowie die Qualität der Ressourcen eines Individuums bilden den relevanten Filter zwischen einer Belastung und einer Beanspruchung. Die dargestellte Abbildung des Belastungs-Beanspruchungs-Konzepts von Rohmert und Rutenfranz soll dies verdeutlichen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1: Belastungs-Beanspruchungs-Konzept von Rohmert & Rutenfranz (eigene Darstellung, modifiziert nach Meifert & Kesting, 2004, S. 104 f.)
Eine Belastung – beispielsweise eine gestellte Arbeitsaufgabe – wirkt mit all ihren Parametern (Art, Dauer, Intensität, usw.) auf das Individuum ein. Ein Parameter kann zum Beispiel sein, dass die Aufgabe zeitnah absolviert werden muss. Beim Individuum sind Eigenschaften vorhanden oder nicht vorhanden, um diesen Belastungseinfluss zu verarbeiten. Fühlt sich das Individuum der Aufgabe nicht gewachsen – dabei spielt es keine Rolle, ob dies tatsächlich der Fall ist (beispielsweise durch eine zu niedrige Fachkompetenz) oder die Person es in ihrer subjektiven Wahrnehmung lediglich so empfindet – ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sich ein neutraler Belastungsreiz zu einem (negativen) Beanspruchungszustand entwickelt (Meifert & Kesting, 2004, S. 104 f.).
Eine Person, die sich in einem chronischen Beanspruchungszustand befindet, leidet langfristig unter einem erhöhten Stresserleben. Der Begriff „Stress“ wird innerhalb der Gesellschaft sowie in der Alltagssprache sehr inflationär gebraucht. Da der Begriff auch in den folgenden Teilen der Arbeit immer wieder verwendet wird, geht der Autor zur Schaffung eines einheitlichen Verständnisses kurz auf eine mögliche Definition ein. Nerdinger, Blickle und Schaper verstehen unter Stress einen subjektiv starken und unangenehmen Spannungszustand. Dieser entsteht bei einem Individuum aus einer Angst vor Kontrollverlust einer stark negativen sowie subjektiv lang andauernden Situation. Dieses subjektiv Erlebte stellt Reize dar, welche als Stressoren bezeichnet werden und sehr wahrscheinlich Stressempfinden beim Individuum auslösen. Sind die Stressoren dem Individuum bekannt, wird es versuchen diese dauerhaft zu meiden. (2011, S. 482).
Die Themen Stress und psychische Belastungen nehmen in der Gesellschaft einen immer größer werdenden Stellenwert ein. Dies zeigt eine Studie im Auftrag der Techniker Krankenkasse, die im Jahr 2016 durch Unterstützung des Unternehmens Forsa erhoben wurde. Teilgenommen haben 1.200 über achtzehnjährige Personen (gewichtet wurde die Personenstichprobe nach Geschlecht, Alter, Bildung und Region). Die Teilnehmer sollten unter anderem einschätzen, ob das Leben heutzutage stressiger als noch vor 15/20 Jahren ist oder lediglich mehr über Stress gesprochen wird. Insgesamt sind 62% der Meinung, dass das moderne Leben stressiger geworden ist (Techniker Krankenkasse, 2016, S. 32). Rund ein Drittel (34%) vertreten die Meinung, dass nur die Kommunikation über Stress zugenommen hat. Durch alle Altersgruppen hinweg herrscht mindestens eine relative Mehrheit, dass das heutige Leben stressiger ist als vor einigen Jahren. Allerdings gibt es deutliche Unterschiede bezüglich der Ausprägung der Ergebnisse zwischen den einzelnen Altersgruppen. Die achtzehn- bis neunzehnjährigen Befragten haben eine sehr ausgeglichene Haltung zu dem Thema (48% gegenüber 45%). Schon die nächste Schicht (30-39 Jahre) hat eine ausdrücklich andere Auffassung. Über zwei Drittel (68%) bejaht die Aussage, dass es heute stressiger sei als früher, unter einem Drittel (29%) ist der Meinung, dass nur mehr darüber gesprochen wird. Einen noch signifikanteren Unterschied gibt es nur in der Altersgruppe 50-59 Jahre. Fast drei Viertel (74%) stimmen der ersten Aussage zu, wohingegen lediglich ein knappes Viertel (24%) anderer Meinung ist. Die Ergebnisse der Altersgruppe 60-69 Jahre entsprechen ziemlich genau dem Durchschnitt (63% „heute stressiger“ gegenüber 33% „nur mehr darüber gesprochen“).
Eine weitere Frage (Mehrfachnennung möglich) derselben Erhebung bezog sich auf die Einschätzungen der Teilnehmer, was die größten Stressfaktoren darstellen würden (Techniker Krankenkasse, 2016, S. 13). Insgesamt betrachtet sind die drei größten Belastungsquellen die Arbeit (46%), hohe Ansprüche an sich selbst (43%) und zu viele Termine in der Freizeit (33%). Am geringsten belastet werden die Befragten durch finanzielle Sorgen (19%), Betreuung einer angehörigen Person (14%) sowie den Arbeitsweg (11%). Allerdings unterscheiden sich die Ergebnisse einiger Items hinsichtlich des Geschlechts des Teilnehmers. Beim Belastungsfaktor „Arbeit“ stimmen 54% aller Männer zu, bei den Frauen ist es nur ein Anteil von 39%. Bei den weiblichen Personen bilden die „Hohen Ansprüche an sich selbst“ den größten Stressfaktor (48%), bei den befragten Männern ist dies nur ein Anteil von 37%. Den deutlichsten Unterschied zwischen den Geschlechtern gibt es bei Konflikten mit Nahestehenden. Nur 17% der Männer fühlen sich diesbezüglich belastet, wohingegen fast jede dritte Frau (30%) in diesem Punkt einen Stressfaktor für sich erkennt.
Jede Person wird durch verschiedene Reize unterschiedlich stark belastet. Zudem ergreift auch jede Person individuelle Maßnahmen, um Stress wieder abzubauen. Hierzu wurden im Jahr 2017 in einer Statista-Mehrthemen-Befragung 990 über achtzehnjährige Teilnehmer befragt (Mehrfachnennung möglich). Die Frage lautete „Welche Maßnahmen ergreifen Sie, um Stress abzubauen?“ (Statista 2017). Insgesamt hört oder macht der größte Teil (51%) Musik, um Stress entgegenzuwirken. Männer machen dies eher (54%) als Frauen (48%). Zudem nutzt genau die Hälfte (50%) gegen Stress das Fernsehen oder geht Spazieren. Spazierengehen (hierzu zählt auch Gartenarbeit) ist bei Frauen mit einem Anteil von 54% am beliebtesten. Der deutlichste Unterschied zwischen Männern und Frauen herrscht beim Lesen. 43% der Frauen nutzen dies, um zu entspannen, wohingegen nur ein Viertel aller Männer diese Methode dafür in Anspruch nimmt. Geschlechterübergreifend konsumiert fast jede fünfte befragte Person Alkohol, um Stress abzubauen.
In Bezug auf psychische Erkrankungen geht der Autor an dieser Stelle auf eine aktuelle österreichische Befragung ein, die sich mit dem Thema Depression befasste. Im September 2018 hat die SPECTRA Marktforschungsgesellschaft computergestützte Telefoninterviews mit 500 Teilnehmern (mindestens fünfzehn Jahre alt) durchgeführt und diese im November 2018 veröffentlicht. Die Ausgangsfrage lautete „Hatten Sie selbst jemals eine Depression oder depressive Episode?“. Die Selbsteinschätzungen der Teilnehmer konnten nur durch die Antwortmöglichkeiten „Ja“ oder „Nein“ erfolgen. Insgesamt bejaht jeder fünfte Mann (20%) die Frage. Bei den Frauen antwortet über ein Viertel (28%) mit „Ja“. Es gibt deutliche Unterschiede zwischen den drei eingeteilten Altersgruppen. Bei den 15-29 jährigen Teilnehmern sind nur 7% der Auffassung, dass sie jemals eine Depression oder depressive Episode hatten. Bei den 30-49 Jährigen ist es ein Anteil von 25% und bei den mindestens 50 jährigen Personen schätzt jeder Dritte (33%), dass er bereits eine Depression hatte.
Der Autor geht nun auf psychische Erkrankungen und Belastungen im Arbeitsbezug ein und bezieht sich dafür auf verschiedene Daten zweier Krankenkassen-Reports.
Es geht zunächst um eine Untersuchung des AOK Fehlzeiten-Reports 2018, welcher die Anteile ausgewählter Diagnosegruppen an den Arbeitsunfähigkeitstagen (AU-Tagen) aufgrund psychischer und Verhaltensstörungen in Deutschland nach Branchen für das Jahr 2017 erhoben hat (WIdO, 2018). Daraus geht hervor, dass branchenübergreifend der größte Teil (80-90%) auf neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen sowie affektive Störungen entfällt. Die restlichen 10-20% der psychisch bedingten AU-Tage machen psychische und Verhaltensstörungen durch psychotraumatische Substanzen sowie Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen aus. Die Rubrik „Sonstige“ findet sich ebenfalls in den 10-20% wieder. Die zwei am meisten auftretenden Diagnosen (neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen sowie affektive Störungen) sind durch alle Branchen hinweg mit etwa gleich großen Anteilen (jeweils circa 40%) vertreten.
Ein anderer Erhebungsteil beschäftigte sich mit der Anzahl an Arbeitsunfähigkeitsfällen (je 100 AOK-Mitglieder) nach Berufsgruppen aufgrund von psychischen und Verhaltensstörungen im Jahr 2017 (WIdO, 2018). Die drei Gruppen, welche die meisten psychisch bedingten AU-Fälle aufweisen, sind Berufe im Dialogmarketing (28,8%), Berufe in der Haus- und Familienpflege (20%) und Berufe in der Altenpflege (19,8%). Die am wenigsten betroffene Berufsgruppe sind mit einem Anteil von 15,6% die Bus- und Straßenbahnfahrer/innen. Auch Berufe in der Sozialverwaltung und –Versicherung sowie Jobs im Objekt-, Werte- und Personenschutz weisen einen vergleichsweise geringen Anteil von jeweils 16,1% auf.
Als weitere Quelle wurde der BKK Gesundheitsreport 2018 herangezogen. Dieser schlüsselt nach Diagnose (ICD-10) sowie Geschlecht die Arbeitsunfähigkeitstage (AU-Tage), die Arbeitsunfähigkeitsfälle (AU-Fälle) und die Falldauer (AU-Tage je Fall) für das Jahr 2017 auf (BKK Dachverband, 2018, S. 57). Die Stichprobe umfasst ungefähr elf Millionen BKK-Versicherte.
Insgesamt wird deutlich, dass Frauen wesentlich mehr AU-Tage und AU-Fälle als Männer aufweisen. Die Dauer pro Fall ist hingegen wieder sehr ausgeglichen.
Die meisten AU-Tage werden bei Frauen durch depressive Episoden (F32) verursacht (1.133 AU-Tage je 1.000 Versicherte). Auch bei Männern ist dies die Diagnose, die den größten Anteil an AU-Tagen ausmacht, allerdings in einem deutlich geringeren Umfang (748 AU-Tage je 1.000 Versicherte). Den zweiten Platz belegen bei beiden Geschlechtern Reaktionen auf schwere Belastungen und Anpassungsstörungen (F43). Auch hier mit einem großen Unterschied: Frauen sind mit 786 AU-Tagen, Männer mit lediglich 422 AU-Tagen je 1.000 Versicherten betroffen. Ebenfalls einen großen Anteil an AU-Tagen verursachen rezidivierende depressive Störungen (F33). Im Jahr 2017 waren 1.000 Versicherte für 435 (Frauen) beziehungsweise 249 (Männer) AU-Tage verantwortlich. Die wenigsten AU-Tage werden durch die Diagnosen spezifische Persönlichkeitsstörungen (F60), bipolare affektive Störungen (F31) und Schizophrenie (F20) – geschlechterübergreifend alle weniger als 30 AU-Tage je 1.000. Versicherte - verursacht.
Bezogen auf die Anzahl der AU-Fälle verhält es sich ähnlich zu den AU-Tagen. Frauen weisen teilweise deutlich mehr AU-Fälle auf als Männer. Des Weiteren sind auch hier Reaktionen auf schwere Belastungen und Anpassungsstörungen (F43) sowie Depressive Episoden (F32) die hauptverursachenden Diagnosen – allerdings in umgedrehter Reihenfolge. Bei den Frauen sind im Jahr 2017 die meisten psychisch bedingten Diagnosen durch F43 (29,7 Fälle je 1.000 Versicherte) gestellt worden, direkt gefolgt von F32 (20,6 Fälle je 1.000 Versicherte). Die Männer sind in 16 Fällen (F43) beziehungsweise in 13,5 Fällen (F32) belastet gewesen. Die dritthäufigsten Diagnosen sind bei beiden Geschlechtern andere neurotische Störungen (F48): Von 1.000 Versicherten erkranken 14,7 Frauen und 8,2 Männer an dieser psychischen Störung. Die Diagnosen mit der geringsten Anzahl an AU-Fällen decken sich mit denen der AU-Tage. Spezifische Persönlichkeitsstörungen (F60), bipolare affektive Störungen (F31) und Schizophrenie (F20) verursachen geschlechterübergreifend alle jeweils weniger als einen Fall je 1.000 Versicherte. Auffällig sind die (zu den AU-Tagen) vergleichsweise niedrigen AU-Fälle bei den rezidivierenden depressiven Störungen (F33). In 2017 wurde diese Störung in 6,3 (Frauen) beziehungsweise 3,9 (Männer) Fällen diagnostiziert. Dies weist auf eine lange Falldauer dieser Störung hin, was durch eine weitere Statistik der Untersuchung bestätigt wird.
Tatsächlich belegen die rezidivierenden depressiven Störungen (F33) in Bezug auf die Falldauer (AU-Tage je Fall) den vordersten Rang. Eine daran erkrankte Frau ist durchschnittlich für 69,6 Tage arbeitsunfähig, ein Mann 64,6 Tage. Eine ähnlich hohe Falldauer wird durch die drei Diagnosen verursacht, welche bezogen auf AU-Tage und AU-Fälle die hintersten Ränge belegen: Bipolare affektive Störungen (F31), spezifische Persönlichkeitsstörungen (F60) sowie Schizophrenie (F20) ziehen mit die längsten Ausfallzeiten nach sich (alle jeweils mindestens 60 AU-Tage je Fall). Auch depressive Episoden (höchste Anzahl an AU-Tagen je 1.000 Versicherte) bringen eine lange Ausfallzeit mit sich. Wurde diese Störung diagnostiziert, fällt ein Arbeitnehmer im Schnitt 54,9 Tage (Frauen) bis 55,3 Tage (Männer) aus.
Laut dem BKK Gesundheitsreport liegt die psychisch bedingte Mindesterkrankungsdauer bei circa einem Monat.
Der Work Ability Index (WAI) ist ein Instrument, welches in den 1980er Jahren entwickelt und zur Beurteilung der Arbeitsfähigkeit eines Individuums bezogen auf seine Tätigkeit/Arbeitsplatzsituation verwendet werden kann. Work Ability Index wird in der deutschen Sprache üblicherweise mit Arbeitsbewältigungsindex (ABI) übersetzt (Hasselhorn & Freude, 2007). Da es sich dabei um die Form einer anonymen (und meist schriftlichen) Befragung handelt, spielt hinsichtlich der Bewertung insbesondere die subjektive Einschätzung der befragten Person eine bedeutende Rolle. Sowohl Kurz- als auch Langversion des WAI-Fragebogens umfassen sieben Dimensionen mit jeweils mindestens einer Frage (zuzüglich der Anfangsfrage, ob die Person tendenziell körperlich und/oder geistig tätig ist), welche die individuelle Beanspruchungssituation sowie deren (Beanspruchungs-)Folgen erfassen. Beide Versionen unterscheiden sich lediglich innerhalb der dritten Dimension. Die ursprüngliche Fassung umfasst eine Liste von 51 Krankheiten, wohingegen eine – für wissenschaftliche Zwecke und größere Gruppen – reduzierte Version mit nur 14 Krankheitsgruppen entwickelt wurde. Jede Dimension des Fragebogens ist auf Basis einer vorgegebenen Punkteverteilung auszuwerten. Anschließend werden die Punkte der einzelnen Dimensionen zu einer Gesamtpunktzahl addiert. Die höchste erreichbare Index-Punktzahl ist 49, welche einer maximalen Arbeitsfähigkeit entspricht. Die geringste Punktzahl liegt bei 7 (in jeder Dimension wurde nur ein Punkt erreicht), was einer minimalen Arbeitsfähigkeit gleichkommt.
Da der WAI lediglich die individuelle Beanspruchungssituation misst, ist er als alleiniges Instrument zur Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung nicht geeignet. Daher wird er häufig in Kombination mit anderen Verfahren/Fragebögen eingesetzt (Ebener, 2011).
Der Autor wird an dieser Stelle kurz auf die Gütekriterien des Messinstrumentes eingehen. Beim WAI handelt es sich um einen standardisierten Fragebogen, sodass grundsätzlich von einer soliden Objektivität ausgegangen werden kann. Die Durchführungsobjektivität wird allerdings durch die Tatsache negativ beeinträchtigt, dass keine festgeschriebenen Instruktionen in Bezug auf die Untersuchungsbedingungen existieren. Rautio und Michelsen (2013) empfehlen den WAI von medizinischem Personal beziehungsweise Betriebsärzten durchführen zu lassen, um Datenschutzkonflikte in Bezug auf die dritte Dimension (Krankheitsbilder) zu vermeiden. Auch die Reliabilität ist aufgrund des eher geringen Umfangs des WAI als gut einzuschätzen. Hinzu werden heterogene Faktoren zu einer Indexzahl zusammengefasst, was ebenfalls für eine tendenziell hohe Reliabilität spricht. Dies zeigen auch zahlreiche Untersuchungen. Radkiewicz und Widerszal-Bazyl, die diese 2005 in einem Übersichtsartikel (NEXT-Studie, über 38.000 VPNs, zehn europäische Länder) darstellten, berichten von internen Konsistenzen zwischen 0,54 und 0,79. Martus und Kollegen können dies für die deutschsprachige Version des WAI bestätigen (2010). Andere Studien aus Deutschland, China, Südamerika, Israel und Iran können diese Werte mit ermittelten Konsistenzen zwischen 0,72 und 0,83 ebenfalls bestätigen (Carel & Weinstein, 2013; Martinez et al., 2009; Peralta et al., 2012; Abdolalizadeh et al., 2012; Bethge, Radoschweski & Gutenbrunner, 2012). Eine generelle Aussage zur Validität des WAI ist nicht möglich. Die Gültigkeit wurde beim WAI bisher auf den drei Ebenen Faktorenstruktur, Konstruktvalidität und Kriteriumsvalidität untersucht. Die Ergebnisse der Faktorenstruktur sind nicht eindeutig. Einige Analysen ergaben eine einfaktorielle Struktur, andere berichten über zwei- oder dreifaktorielle Strukturen (Bethge et al., 2012). Die in verschiedenen Untersuchungen gemessenen Korrelationswerte in Bezug auf die Konstruktvalidität waren durchweg deutlich signifikant. Untersuchungen wurden unter anderem durchgeführt mit dem Gesundheitsfragebogen SF36 (Abdolalizadeh et al., 2012; Peralta et al., 2012), dem Generel Health Index und dem Copenhagen Burnout Inventory (Radkiewicz et al., 2005). Die Korrelationen befinden sich zwischen 0,5 und 0,8. In Bezug auf die Kriteriumsvalidität konnten auf Basis der Indexwerte des WAI Größen vorhergesagt werden, welche als Folgen verringerter Arbeitsfähigkeit eingestuft werden können: „Vorzeitiger Berufsausstieg“ (Tuomi, 1997) und „Längere Arbeitsunfähigkeit“ (Schouten et al., 2014).
Der WAI wurde bisher in mehr als 26 Sprachen übersetzt und wird weltweit als Erfassungsinstrument genutzt (Ilmarinen, 2009). Auch im Risiko-Screening des vom Autor untersuchten Unternehmens wird der Index verwendet (siehe Kapitel 4.5).
Für die Erfassung psychischer Belastungen am Arbeitsplatz können verschiedene Erhebungsinstrumente zum Einsatz kommen. In diesem Kapitel stellt der Autor der Arbeit – drei in der Praxis häufig verwendete Verfahren – die Beobachtung, das Interview sowie den Fragebogen vor und geht auf Vor- und Nachteile ein.
Beobachtungen zum Zweck der Datenerhebung können in unterschiedlicher Art und Weise zum Einsatz kommen. Dabei wird zwischen teilnehmenden beziehungsweise nicht-teilnehmenden sowie offenen beziehungsweise verdeckten Beobachtungen unterschieden (Bortz & Döring, 2006, S. 267). Bei der Durchführung einer Psychischen Gefährdungsbeurteilung werden der Mitarbeiter und seine Tätigkeit am Arbeitsplatz beobachtet. Das entspricht beispielsweise einer nicht-teilnehmenden, offenen Beobachtung. Nicht-teilnehmend, da der Beobachter (beispielsweise ein BGM-Beauftragter) mit dem Mitarbeiter nicht interagiert, und offen, weil dieser weiß, dass er in dem Moment von einer außenstehenden Person beobachtet wird.
Um mit beobachtenden Verfahren erfolgreich psychische Belastungen zu ermitteln, ist ein Beobachtungsplan notwendig. Aus diesem sollte deutlich hervorgehen, was, wann, wer, wie beobachtet (Beller, 2004, S. 34-35).
Der große Vorteil einer (verdeckten) Beobachtung kann in einer geringeren Verfälschung der Ergebnisse liegen, da der Teilnehmer in der Regel ein weniger übertriebenes Verhalten zeigt. Des Weiteren handelt es sich dabei um ein ganzheitliches Verhalten, da neben verbalen auch non-verbale Reize erfasst werden. Insbesondere bei offenen Beobachtungen ist die kombinierte Wahrnehmung von gewollten und nicht gewollten Verhaltensmustern von Vorteil. Auf diese Weise erhält der Beobachter ein authentischeres Bild, welches resistenter gegenüber Störvariablen ist (Bortz & Döring, 2006, S. 262).
Allerdings können bei einer beobachtenden Vorgehensweise einige andere Effekte fehlerhafte Ergebnisse provozieren. Der Autor geht an dieser Stelle auf drei mögliche Fehlerquellen ein. Kommt es bei einer Beobachtung zu einem Halo-Effekt, werden einzelne Eigenschaften an den bereits bestehenden Gesamteindruck einer Person angepasst. Eine beobachtete Person, welche vergleichsweise häufig krankheitsbedingt fehlt, wird in ihrem Auftreten beispielsweise eher als weniger stressresistent wahrgenommen. Ein ähnliches Phänomen tritt beim Rosenthal-Effekt auf. Dabei verfälscht die Erwartung des Beobachters die Ergebnisse, indem neutrale Beobachtungen in Richtung seiner Erwartungen verzerrt werden. Wenn beispielsweise eine Person beobachtet wird, von welcher der Beobachter kein gutes Bild hat, wird er möglicherweise eher Verhaltensweisen und Reize beobachten, welche sein Bild dieser Person bestärken. Eine weitere Störung kann durch Kontrast-Effekte verursacht werden. Bei mehreren hintereinander stattfindenden Beobachtungssituationen kann der wahrgenommene Unterschied zwischen den einzelnen Beobachtungen die Ergebnisse in Richtung positiven oder negativen Rand verzerren. Werden zum Beispiel zwei von ihrer Arbeit gestresste Personen beobachtet, besteht die Gefahr, dass die im Vergleich mehr gestresste Person als wesentlich gestresster wahrgenommen wird als sie tatsächlich ist. Die andere Person kann dahingehend als zu wenig gestresst wahrgenommen werden. Auf diese Weise können Ergebnisse aufgrund von Verhältnissen verfälscht werden (Sedlmeier & Renkewitz, 2008, S. 114-118).
Hinzuzufügen ist, dass der zeitliche Aufwand und die verursachten Kosten je nach Art und Weise der Durchführung recht unterschiedlich hoch ausfallen können.
Es wird sich hierbei auf die Form eines mündlichen Einzelinterviews, welches zur Erhebung von Informationen bezüglich der psychischen Belastungssituation am Arbeitsplatz des Beschäftigten dient (keine Experteninterviews), bezogen. Diese Art von Interview wird in der Regel von einem Psychologen oder Mediziner geführt. Auch mit Nutzung eines Interviewleitfadens kann der Interviewer spontan und individuell intervenieren. Der Einbau einiger offener sowie Zusatzfragen ist sehr gut möglich und absolut sinnvoll (AOK Bundesverband, 2002). Nichts desto trotz raten Meuser und Nagel (2009) zur Verwendung eines Leitfadens (strukturiertes Interview), da sich der befragte Teilnehmer somit weniger in nicht relevanten Themen verlieren kann.
Insgesamt kann ein Interview zu einem umfassenden Bild des Teilnehmers (beziehungsweise seiner Belastungssituation) beitragen, da auch non-verbale und nicht bewusste Informationen gesendet werden. Hierzu zählen neben gezeigtem Interesse/Desinteresse und die Erkennung von Ironie auch die Einschätzung, ob ein Themengebiet als eher unangenehm empfunden wird. Ein weiterer Vorteil liegt in der direkten Reaktionsmöglichkeit, welche bei Unklarheiten oder Vertiefungen sinnvoll und angebracht ist. Dies führt auch zu weniger Missverständnissen, sodass die Wahrscheinlichkeit, eine Frage falsch zu verstehen, minimiert wird (Sedlmeier & Renkewitz, 2008, S. 85-86).
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