Masterarbeit, 2019
132 Seiten, Note: 2,3
1. Einleitung
1.1 Relevanz des Themas und Problemstellung
1.2 Zielsetzung der Arbeit
1.3 Aufbau der Arbeit
2. Hermeneutischer Bezugsrahmen
2.1 Begriffsbestimmung Digitalisierung
2.2 Begriffsbestimmung virtuelle Kommunikation
2.3 Begriffsbestimmung Auslandsentsendung
2.3.1 Arten der Auslandsentsendung
2.3.1.1 LTA
2.3.1.2 STA
2.3.1.3 Pendlerlösung/Rotierende Assignments
2.3.1.4 Frequent Flyers
2.3.2 Gründe der Auslandsentsendung nach Edström und Galbraith
2.3.2.1 Position Filling
2.3.2.2 Management Development
2.3.2.3 Organisational Development
2.3.3 Rollen der Expatriates nach Harzing
2.3.3.1 Bears
2.3.3.2 Bumble-Bees
2.3.3.3 Spiders
2.4 Begriffsbestimmung Kulturdimensionen
3. Allgemeine Trends in der bisherigen Forschung
3.1 Interkulturelle Seminare zur Vorbereitung
3.2 Virtuelle Teams
3.3 Trends Auslandsentsendungen
4. Zwischenfazit
5. Methodisches Vorgehen
5.1 Konzept des induktiven Verfahrens
5.2 Leitfadengestütztes Experteninterview
5.3 Sample und Befragung
5.4 Datenaufbereitung
6. Ergebnisse
6.1 Deskriptive Ergebnisse
6.1.1 Informationen zur Entsendung
6.1.2 Kommunikation
6.1.3 Entwicklungen und Trends
6.2 Interpretation der Ergebnisse
6.2.1 Ablösung von Entsendungen durch virtuelle Kommunikation
6.2.2 Betroffene Expatriate-Typen
6.3 Implikationen und Limitationen
7. Schlussbetrachtung
7.1 Fazit
7.2 Ausblick
8. Literaturverzeichnis
Anhang
a. Interviewleitfaden
b. Infosheet – Erläuterungen zum Expertenintervie
c. Transkripte der Interviews
Tabelle 1 - Kommunikationsmedien und Kommunikationsformen nach Dürscheid (2009: 42)
Tabelle 2 – Erweiterte Kommunikationsmedien und -formen (vgl. Dürscheid 2009: 42)
Tabelle 3 - Kulturdimensionen verschiedener Autoren – Eigene Darstellung
Tabelle 4 - CAGR Expat-Segmente – Eigene Darstellung (vgl. Finaccord 2018: 14)
Tabelle 5 - Interviewpartner
Tabelle 6 - Kategoriensystem für Datenauswertung
Tabelle 7 - Zuordnung der Dimensionen nach Edström und Galbraith
Tabelle 8 - Zuordnung Interviewpartner in Verhaltenskategorien
Abbildung 1 - Der Kommunikationsprozess (Hodgetts/Luthans, 1997, 271)
Abbildung 2 - Reality-Virtuality-Kontinuum (omnia360, 2018)
Auslandsentsendungen stellen ein wichtiges Konzept dar, um ausländische Niederlassungen zu gründen, zu kontrollieren und weiterzuentwickeln. Für verschieden lange Zeiträume werden Mitarbeiter aus unterschiedlichen Gründen weltweit entsandt und agieren im Gastland in unterschiedlichen Verhaltensmustern. Seit die Ausbreitung von Unternehmen über Landesgrenzen hinweg begonnen hat, wird auf diese Weise unter anderem die Internationalisierung vorangetrieben. Die erfolgreiche Durchführung einer Entsendung und das Niedrighalten der Kosten sind hier mitunter die wichtigsten Ziele. Ob dies gegen Ende des Auslandsaufenthaltes erreicht wurde, ist von vielen verschiedenen Faktoren abhängig. Zu diesen zählen unter anderem die Kultur des Gastlandes und die Art und Weise der Kommunikation (vgl. Fischlmayr/Kopecek 2015, Edström/Galbraith 1977, Harzing 2001). Die technischen Entwicklungen innerhalb der letzten Jahre sind in jeder Branche und auch im Privaten deutlich sichtbar – künstliche Intelligenz, Robotik und Automatisierung von Prozessen sind längst in den Alltag integriert. Auch bei der Kommunikation zeichnet sich ein deutlicher Wandel ab, was bereits zu tiefgreifenden Veränderungen in vielen Bereichen führt und weiterhin führen wird. Beispiele stellen virtuelle Teams und die stetige Erweiterung der Palette der Kommunikationsmedien und deren Möglichkeiten dar (vgl. Kauffeld 2017, Kirf et al. 2018).
Es stellt sich daher die Frage, wie die Prognose von steigenden Entsendungszahlen in Bezug auf den eben genannten aktuellen Entwicklungen interpretiert werden kann. Vor allem junge Mitarbeiter[1] zieht es immer häufiger ins Ausland, sei es, um neue Erfahrungen zu sammeln oder ihre Karriere voranzutreiben. Auch die Wettbewerbsfähigkeit verlangt von Unternehmen mit den Trends zu gehen (vgl. Finaccord 2018, Muhr et al. 2018). Interessant ist demnach, wie sich die im vorigen Abschnitt diskutierten Ziele der Arbeitgeber, die Wünsche der zukünftigen Arbeitnehmer sowie die Entwicklungen in der virtuellen Kommunikation und Entsendung in Zukunft in Relation zueinander setzen lassen. Wichtig ist die ganzheitliche Betrachtung der verschiedenen Faktoren, um ein Abbild der aktuellen Lage zu erhalten und um Vorhersagen der weiteren Entwicklung treffen zu können.
Ziel dieser Arbeit ist eine Bewertung der aktuellen sowie zukünftigen Situation der Virtualität im Arbeitsleben und deren Einfluss auf Auslandsentsendungen. Des Weiteren soll ein Ausblick in die zukünftigen Entwicklungen in diesem Bereich ermöglicht werden, der die Formulierung von Trends erlaubt. Um dies zu bewerkstelligen, wird neben einer theoretischen Beleuchtung des Themas auch die Meinung von Experten aus verschiedenen Fachgebieten herangezogen. Folgende Fragen gilt es im Laufe der Arbeit bestmöglich zu beantworten:
- Inwieweit werden Auslandsentsendungen durch virtuelle Kommunikation abgelöst?
An dieser Stelle soll erforscht werden, wie stark sich der Einfluss der sich stetig weiterentwickelnden virtuellen Kommunikation tatsächlich auf das Konzept der Auslandsentsendung auswirkt und in welcher Art und Weise moderne Kommunikationsmittel dieses in Zukunft verändern werden.
- Welche Expatriate-Typen sind von der Ablösung betroffen?
Um die Ergebnisse der ersten Forschungsfrage detaillierter zu gestalten und um genauere Trends formulieren zu können, wird nach den Eigenschaften der Entsendeten gefragt, die am ehesten durch virtuelle Kommunikation abgelöst werden. Hierbei wird auf verschiedene Kategorisierungen zurückgegriffen, um diese Einordnung vorzunehmen. Am Ende der Arbeit gilt es also nicht nur zu erläutern, wie sehr sich Auslandsentsendungen im Zuge der Virtualität ändern, sondern auch welche Typen am stärksten davon betroffen sind.
Die nachfolgende Arbeit besteht aus zwei Sinnabschnitten. Zu Beginn wird der hermeneutische Bezugsrahmen der Arbeit festgelegt, welcher die Grundlage für die spätere Auswertung und Interpretation des zweiten, empirischen Abschnitts der Arbeit bildet. Hierbei werden, da keine Theorie die aktuellen Umstände angemessen umfasst und zur Lösung der Forschungsfrage herangezogen werden kann, einzelne Begriffsbestimmungen aufgeführt, die zu einem Verständnis der theoretischen Basis führen sollen. So werden neben Begriffen wie Digitalisierung, welche maßgeblich an derzeitigen Veränderungen in vielen Bereichen beteiligt ist, und virtuelle Kommunikation auch Auslandsentsendungen und deren detaillierte Kategorisierung und Definition sowie die Kulturdimensionen kurz erörtert. Durch den weiterhin starken Einfluss von kulturellen Gegebenheiten auf den Verlauf und Erfolg von Entsendungen dürfen diese nicht außer Acht gelassen werden. Um einen Überblick über derzeitige Entwicklungen und Trends zu erhalten, werden zu relevanten Themen Informationen aus der aktuellen Literatur zusammengefasst und aufbereitet. Dieser umfasst neben Veröffentlichungen zu interkulturellen Seminaren als Vorbereitung von Auslandsaufenthalten auch Forschungen zur Entwicklung von virtuellen Teams und allgemeine Trends von Entsendungen. Nach einem kurzen Zwischenfazit zu den bisherigen Erkenntnissen wird zum empirischen Teil der Arbeit übergegangen. Zuerst wird eine Heranführung an die Vorgehensweise und die Methodik des verwendeten empirischen Ansatzes vorgenommen. Diese umfasst eine Beschreibung des Forschungsdesigns und der vorgenommenen Befragungsmethode, einen kurzen Überblick über das Sample und die Experteninterviews sowie Informationen zur Datenerhebung. Danach findet eine deskriptive Analyse und im Anschluss daran die Interpretation der Ergebnisse unter der Berücksichtigung des hermeneutischen Bezugsrahmens statt. Im Rahmen einer kurzen inhaltlichen Zusammenfassung werden diese danach diskutiert und Implikationen abgeleitet. Die Schlussbetrachtung wird die Arbeit mit einem Fazit und einem Ausblick abrunden.
Zur Einleitung der Arbeit werden relevante Begriffe erläutert und ein Bezug zur Forschungsfrage hergestellt. So sind Digitalisierung, virtuelle Kommunikation, die Kategorisierung von Auslandsentsendungen als auch Kulturdimensionen wichtige Faktoren, die Einfluss auf die künftige Entwicklung der Entsendungskultur und -praktiken in Unternehmen haben werden.
Der Begriff der Digitalisierung ist ein ebenso weit gefasster wie ungenauer Begriff. Seit geraumer Zeit dominiert er den Alltag sowie diverse Forschungen und rückt immer weiter in den Fokus der Gesellschaft. Allerdings begann Digitalisierung bereits vor Jahrzehnten, noch vor der digitalen Revolution, die Ende des 20. Jahrhunderts durch die Entwicklung des Personal Computers ausgelöst wurde. Letztere hatte ihren Ursprung in dem noch heute als Mekka der IT- und High-Tech-Industrie geltenden Silicon Valley in Kalifornien, während die Digitalisierung ursprünglich die Umwandlung analoger Inhalte in digitale beschrieb. Schon 2002 war es zum ersten Mal möglich, digital mehr Informationen zu speichern als analog und Forscher prognostizierten bereits zu dieser Zeit das Evernet[2] (vgl. Fontaine 2017: 7, Freyermuth 2002: 7f).
Durch die bald darauffolgende Massentauglichkeit des World Wide Web stieg die Anzahl digitalisierter Geräte rasant und immer mehr Informationen waren online verfügbar. Es wurde eine neue menschliche Nähe durch digitale Kommunikationstechniken geschaffen, die neben der realen nun auch die virtuelle Präsenz ermöglichten. Folglich begannen die Grenzen zwischen digitaler Vermittlung und realer Direktheit durch die Chance des intensiven, direkten Austausches zu verschwinden. Allerdings nehmen die Geschwindigkeit und auch die Quantität der Informationsverbreitung immer weiter zu und werden mittlerweile sogar als Belastung wahrgenommen. (vgl. Fontaine 2017: 7, Freyermuth 2002: 7f, Kirf et al. 2018: 56f).
Für Unternehmen bedeutete die Digitalisierung und die dadurch mögliche Vernetzung Ende des 20. Jahrhunderts die Möglichkeit der Dezentralisierung, indem Produktion und andere Prozesse ins kostengünstigere Ausland verlagert wurden, um die kostspielige Konzentration aller Aktivitäten an einer Lokalität zu umgehen. Heute ist die Revolution der Produktion hinsichtlich der Automatisierung bereits weit vorangeschritten und lediglich die Frage der Maschinenintelligenz und der daraus resultierende Grad der Unabhängigkeit vom Menschen bleibt zu beantworten. Folglich fallen Arbeitsplätze zur Ausführung von Routinetätigkeiten nach und nach weg und die durch den Menschen zu verrichtenden Aufgaben werden weniger körperlich, sondern geistig anstrengend, vielfältiger und komplexer. Dementsprechend gefragt sind psychosoziale Kompetenzen und Problemlösungskompetenzen. Durch die starken Effekte der Industrie 4.0 auf traditionelle Arbeitsmodelle werden Maßnahmen wie Telearbeit, Homeoffice, Mobile Arbeit, Co-Working, Cloud Work und Vertrauensarbeitszeit immer häufiger als Reaktion auf die Digitalisierung implementiert (vgl. Freyermuth 2002: 55, Deutsche Gesellschaft für Personalführung e.V. 2015: 25, Bartscher 2018: 197f).
Kommuniziert wird dabei weiterhin mit nicht IT-gestützten Arbeitsmitteln wie Telefon oder Fax, aber auch mit Computersystemen, die Arbeitsprozesse durch Software und Algorithmen weitgehend selbstständig und automatisch ausführen. Neue Begrifflichkeiten wie IoT[3], Big Data[4] und künstliche Intelligenz sind fest in den Arbeitsalltag integriert und fordern aufgrund ihrer stetigen Weiterentwicklung eine kontinuierliche Anpassung sowohl von Unternehmen und deren Geschäftsprozessen als auch von Privatpersonen. Denn Agilität und Flexibilität sind in der heutigen VUCA-Welt[5] essenziell, um weiterhin wettbewerbsfähig und beständig bleiben zu können (vgl. Freyermuth 2002: 55, Kirf et al. 2018: 57f).
Kommunikation im Allgemeinen wird von Rothlauf (2012: 195) als ein regelkreisförmiger Prozess bezeichnet. Das Austauschen von Informationen zwischen Empfänger und Sender findet über verschlüsselte Botschaften statt, die in Signalen, Zeichen oder Symbolen kodiert werden. Die Kodierung der Nachricht findet auf Seiten des Senders statt, während der Empfänger diese wiederum entschlüsselt, also dekodiert. Die Informationen können sowohl über verbale als auch über para-verbale und non-verbale Kommunikation vermittelt werden. Kommunikationsprobleme treten dann auf, wenn die vom Empfänger dekodierte und interpretierte Nachricht nicht mit den vom Sender kodierten Informationen übereinstimmt. Meist liegt diesen Problemen die Einbettung der Beteiligten in unterschiedliche Schemata, beispielsweise in deren Kultur, zugrunde.
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Abbildung 1 - Der Kommunikationsprozess (Hodgetts/Luthans, 1997, 271)
Die Vermittlung der Nachricht wird über ein Medium in Form eines graphischen oder phonischen Codes vollzogen (vgl. Koch/Oesterreicher 2011: 3). Medien gelten hierbei als „konkrete materielle Hilfsmittel, mit denen Zeichen verstärkt, hergestellt, gespeichert und/oder übertragen werden können“ (Holly 1997: 69f). Anbei eine Tabelle der Autorin Dürscheid aus dem Jahr 2009 zu den gängigsten Kommunikationsmedien im Alltag:
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Tabelle 1 - Kommunikationsmedien und Kommunikationsformen nach Dürscheid (2009: 42)
Zwar hat sich an der Anzahl der Kommunikationsmedien nicht viel geändert, manche wurden jedoch um einige Funktionen erweitert. Es ist eine Entwicklung hin zur synchronen Kommunikation zu beobachten, sprich die „Produktion und Rezeption von Äußerungen folgen aufeinander“ (Dürscheid 2009: 44). Ziel ist es, die Synchronität der Unterhaltung über räumliche und zeitliche Distanz zu ermöglichen und einen gemeinsamen Kommunikationsraum zu erzeugen (vgl. ebd.).
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Tabelle 2 – Erweiterte Kommunikationsmedien und -formen (vgl. Dürscheid 2009: 42)
Während die beiden ersten Medien zwar noch genutzt werden, in absehbarer Zeit jedoch vermutlich durch die wachsende Anzahl der Funktionen des Mobiltelefons als auch des Computers substituiert werden, so entwickelt sich mit Augmented und Virtual Reality eine völlig neue Art des Kommunizierens über das Internet. Wichtig ist die Unterscheidung der Funktionsweise der Brillenarten, welche als Tool für diese Art der Kommunikation genutzt werden. Während bei einer Augmented Reality Brille noch die reale Umgebung eingeblendet und diese lediglich mit zusätzlichen Informationen erweitert wird, ist dem Nutzer die visuelle Wahrnehmung der Realität bei der Virtual Reality Brille nicht mehr möglich – er taucht ganz in die virtuelle Welt ein (vgl. Milgram et al. 1994: 283). Bisher war bei Letzterer die Verbindung mit externen Sensoren oder der Anschluss an einen Computer notwendig, um voll funktionsfähig zu sein. Im Jahr 2019 werden mehrere Hersteller allerdings gänzlich autonome Produkte auf den Markt bringen – beispielsweise Oculus und HTC[6]. Namenhafte Hersteller von Augmented Reality Brillen sind unter anderem Google und Microsoft.
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Abbildung 2 - Reality-Virtuality-Kontinuum (omnia360, 2018)
Bereits heute wird ein überwältigender Teil der menschlichen Kommunikation technisch vermittelt (vgl. Bischof/Heidt 2018: 52) – in Zukunft, wenn Trends wie Virtual Reality massentauglich werden und für die Allgemeinheit sowohl zugänglich als auch erschwinglich und dementsprechend weit verbreitet sind, wird sich die Art der sozialen Interaktion grundlegend verändern. Was auf Gaming Portalen wie World of Warcraft bereits stattfindet – die Entwicklung tiefer Freund- und sogar Partnerschaften – wird in Zukunft vielleicht zur Normalität werden.
Auch der Arbeitsalltag ist mittlerweile mehr denn je mit virtueller Kommunikation verknüpft, was einen Zustand der ständigen Erreichbarkeit zur Folge hat. Dies ruft bei vielen Menschen den Drang der sofortigen Reaktion hervor, egal ob während der Arbeitszeiten oder außerhalb, was starke Auswirkungen auf die Grenzen zwischen Beruf- und Privatleben hat. Daher wird virtuelle Kommunikation oftmals als Belastung wahrgenommen, weil sie den Workload erhöht und gleichzeitig den Workflow unterbricht, was zu einem Gefühl des Kontrollverlusts über die Arbeit führen kann und die Identifizierung wirklich wichtiger Nachrichten erschwert. Manche Arbeitnehmer leiden unter hoher Anspannung, Müdigkeit und ähnlichen Symptomen, die die zwanghafte Nutzung von virtuellen Kanälen und die Erwartungshaltung der Erreichbarkeit hervorruft. Andererseits kann virtuelle Kommunikation auch als Chance und Ressource verstanden werden. So ermöglicht sie effektiven Transfer von Informationen, Ortsunabhängigkeit und vereinfachte Interaktion (vgl. Bordi et al. 2018: 29f).
Trotz der enormen Entwicklung der Kommunikationsmöglichkeiten innerhalb der letzten Jahre sind Forscher weiterhin davon überzeugt, dass nicht alle komplexen Sachverhalte auf diese Art diskutiert und gelöst werden können. Vielmehr stellen sie eine Erleichterung und Bereicherung des realen Austausches dar und fördern die Konnektivität und Verlinkung von Individuen. Eine primäre Verlagerung von Kommunikation in virtuelle Kanäle wird bisher allerdings ausgeschlossen. Die klassische Face-to-Face-Begegnung hat weiterhin einen hohen Stellenwert und ist laut Kirf et al. (2018) essenziell für Kommunikationserfolge. Die neuen Verfahren würden nicht von heute auf morgen die jahrelang konventionell erprobten Praktiken ablösen, sondern diese ergänzen und sich überlagern. Wie die derzeitige Situation sich mit der Einführung und Verbreitung der virtuellen Realität entwickelt, muss abgewartet werden. Laut einer Umfrage von Statista (2018) interessieren sich immerhin 24% der 1.061 Befragten überhaupt nicht für Virtual Reality, auch wenn 83% angeben, bereits davon gehört zu haben. Und da der derzeitige Preis der autonomen Brillen noch deutlich über dem Betrag liegt, den viele Menschen bereit sind zu zahlen, bleibt abzuwarten, wie viel Zeit das Medium benötigt, um sich zu etablieren – auch weil dessen starke Assoziation mit Videospielen das eigentliche Potenzial überlagert. Denn das Schwinden von räumlichen und zeitlichen Barrieren ermöglicht nicht nur mobiles, sondern auch flexibleres Arbeiten (vgl. Kirf et al. 2018: 45f, Wyllie 2017: 26, Statista 2018).
Als Auslandsentsendung ist in dieser Arbeit der Aufenthalt eines Mitarbeiters in einer ausländischen Niederlassung des Arbeit gebenden Unternehmens zu definieren. Zur genaueren Begrenzung des Begriffs werden drei Unterteilungsweisen herangezogen – die Art und der Grund der Entsendung sowie die Funktion des Entsendeten in der ausländischen Niederlassung.
Anhand der Aufenthaltsdauer des Entsendeten lassen sich bei der Art der Entsendung vier Hauptgruppierungen unterscheiden: Long-Term Assignment, Short-Term Assignment, Pendlerlösung/rotierendes Assignment und Frequent Flyer. Während es sich bei den ersten zwei Formen um einen ununterbrochenen Aufenthalt mit Wohnsitzverlagerung handelt, werden die beiden Letzteren aufgrund der vielen Reisen auch als Flexpatriates und in Unternehmen eher als Dienstreisen bezeichnet (vgl. Mayerhofer et al. 2004: 1374).
2.3.1.1 LTA
Früher war die Bezeichnung Long-Term Assignment, zu Deutsch Langzeitentsendung, für alle Aufenthalte zutreffend, egal ob sie drei Monate oder drei Jahre andauerten. Heute wird der Begriff für Aufenthalte mit Länge von einem bis zu fünf Jahren verwendet. Sollte sich der Aufenthalt danach fortsetzen, findet – je nach Unternehmensentscheidung – nach drei bis fünf Jahren eine lokale Anstellung des Mitarbeiters statt oder es werden direkt zu Beginn lokale Verträge mit dem Arbeitnehmer geschlossen (vgl. Fischlmayr/Kopecek 2015: 16).
Bei der langfristigen Entsendung werden der Arbeits- und meist auch der Wohnort ins Ausland verlegt und der Expatriate wird häufig von der Familie begleitet. Diese Art der Entsendung kommt überwiegend bei dem Aufbau von lokalen Niederlassungen beziehungsweise Greenfield-Projekten, Management- und Geschäftsführungsaufgaben, Repräsentation, Wissens- und Technologietransfer zum Einsatz (vgl. Fischlmayr/Kopecek 2015: 17).
Mittlerweile wird sie allerdings seltener angewandt und es wird eine sorgfältige Auswahl hinsichtlich des zu Entsendenden getroffen. Häufig handelt es sich hier um strategisch wichtige Personen – Führungskräfte oder hochspezialisierte Talente. Dies ist unter anderem durch die Höhe der Kosten begründet, die zwischen der drei- und achtfachen Summe des normalen Jahresgehalts betragen (vgl. Johnson 2016: 3).
Das Gegenstück zum LTA ist das Short-Term Assignment. Es handelt sich hierbei um einen Entsendungszeitraum von unter einem Jahr, also einer Kurzzeitentsendung. Es fallen deutlich geringere Kosten an als bei der vorangegangenen Variante der Entsendung. In den kurzen Entsendungszeiträumen werden zur Unterstützung bei der Durchführung von Projekten lokale Mitarbeiter mit einbezogen und deren Expertenwissen genutzt. Dies wirkt sich vor allem beim Aufbau und der Entwicklung des Managements vor Ort positiv aus, da lokale Kultur und Werte direkt in die Prozesse einfließen und somit zu einer harmonischeren Verbindung der Landes- und Unternehmenskultur beitragen (vgl. Fischlmayr/Kopecek 2015: 17).
Die Pendlerlösung bezeichnet wöchentliche Dienstreisen ins Ausland, wobei der Hauptwohnsitz im Heimatland verbleibt. Bei einem rotierenden Assignment handelt es sich um kurze Perioden im Aus- und Heimatland, die sich immer wieder abwechseln. Diese Ansätze werden vor allem bei geringen geographischen Distanzen bevorzugt und erfreuen sich wachsender Beliebtheit. Eingesetzt werden sie häufig für kürzere Projekte und Wissenstransfer, aber auch für die Ausbildung und Ausführung von lokalem Management. Ziel ist unter anderem eine verbesserte Koordination zwischen Mutter- und Tochterunternehmen (vgl. Fischlmayr/Kopecek 2015: 17).
Die Anzahl der Vielflieger nimmt stetig zu, vor allem seit dem Eintritt der digitalen Generation in die Arbeitswelt. Andere Bezeichnungen der Aneinanderreihung von Dienstreisen zu wechselnden Destinationen sind Frequent Flyers, International Business Travelers oder auch Flexpatriates. Meist handelt es sich bei den Reisenden um Mitarbeiter aus den mittleren und oberen Managementetagen, die durch die Einbindung in internationale Projekte Kontroll- und Repräsentationsaufgaben erfüllen und Meetings, Beratungstätigkeit als auch Fehlerdiagnosen leiten und steuern. Der Aufenthalt kann sich über wenige Tage bis hin zu mehreren Wochen erstecken. Durch Vorteile wie die begrenzte Aufenthaltsdauer herrscht von Seiten der Arbeitnehmer eine hohe Bereitschaft, regelmäßig zu verreisen. Ein bedeutender Nachteil ist jedoch die Zeit, die durch das Reisen verloren geht. Zudem ist das Stresslevel vieler Vielflieger stark erhöht, weswegen nicht alle Mitarbeiter dafür geeignet sind (vgl. Fischlmayr/Kopecek 2015: 18).
Die Autoren Edström und Galbraith (1997) benannten in ihrem Artikel „ Transferof Managers as a Coordination and Control Strategy in Multinational Organizations “ drei Entsendungsgründe, aufgrund derer Mitarbeiter ins Ausland versandt werden. Sie unterscheiden zwischen der Notwendigkeit, eine Position zu besetzen, den Entsendeten weiterzubilden und die Organisation als solche weiterzuentwickeln.
Sobald eine Position in einer ausländischen Niederlassung nicht mit einer qualifizierten lokalen Fachkraft besetzt werden kann oder deren Einarbeitung Schwierigkeiten birgt, wird ein Mitarbeiter aus der Muttergesellschaft entsendet. Dieser Hintergrund der Auslandsentsendung ist meist in Entwicklungsländern zu beobachten und der Prozess muss von der Niederlassung selbst angestoßen werden, sobald ein Mangel an qualifizierten Arbeitskräften für bestimmte Positionen festgestellt wird. Die Kosten werden ebenfalls von der Niederlassung selbst getragen (vgl. Edström/Galbraith 1977: 252).
Eine Entsendung mit der Begründung des Management Development wird meist von Unternehmen mit stark ausgeprägter Internationalität vorgenommen. Auch wenn qualifizierte Locals, also ortsansässige Mitarbeiter, zur Verfügung stehen würden, so wird meist ein Manager aus der Muttergesellschaft entsendet. Ziel ist es, dem Entsendeten die Möglichkeit zu geben, internationale Erfahrungen zu sammeln und zu lernen wie ein unbekanntes und ausländisches Umfeld gemanagt wird, statt nur einen Technologie- oder Wissenstransfer durchzuführen. In diesem Fall ist es die Aufgabe der Personalabteilung der Muttergesellschaft, Positionen und Personen für das Management-Training zu bestimmen und die ausländische Niederlassung von deren Anstellung zu überzeugen. Der Hauptsitz übernimmt ebenfalls die Kosten der Entsendung (vgl. ebd.).
Die Entwicklung der Organisation als Ganzes steht hier im Vordergrund. Daher finden Entsendungen sowohl zwischen Niederlassung und der Muttergesellschaft als auch zwischen Niederlassungen untereinander statt. Es gilt, die Struktur des Standortes, dessen Entscheidungs- oder Unternehmensprozesse zu erforschen und diese, sollten Defizite oder Verbesserungspotenzial bestehen, zu optimieren (vgl. Edström/Galbraith 1977: 252).
Das Paper von Harzing (2001), welches auch Bezug auf die bereits zitierte Veröffentlichung von Edström und Galbraith nimmt, setzt sich mit den Rollen auseinander, die Expatriates bei ihrer Auslandsentsendung einnehmen. Es werden drei Kategorien definiert, die unterschiedliche Arten der Kontrolle der Expatriates differenzieren. Laut der Autorin besteht ein positiver Zusammenhang zwischen der Anwesenheit des Expatriates und diesen Kategorien der Kontrollausübung.
Ein Expatriate in der Rolle des Bären übt Kontrolle durch Dominanz und Bedrohung aus. Er agiert als langer Arm der Manager im Headquarter und führt deren Anweisungen durch. Diese Art der Kontrolle ist besonders bei Merger & Acquisitions erfolgreich, da zwei Unternehmen und deren Kultur und Werte ineinander integriert werden müssen, wobei der Entsendete die Interessen des entsendenden Unternehmens vertritt (vgl. Harzing 2001: 11-19).
Der Hummel-Expatriate wird entsendet, um am Entsendungsort Kontrolle durch Sozialisierung auszuüben. Ziel ist der Aufbau eines internationalen Informationsnetzwerkes, in dem Manager oder Experten Kontakte knüpfen können (vgl. Harzing 2001: 8). Dadurch soll die Dezentralisierung gefördert werden und unpersönliche bürokratische Strategien ablösen. Durch diese Art des Transfers steigt die Kenntnis der Netzwerke vor Ort. Es werden Kontakte geknüpft, die mit höherer Wahrscheinlichkeit dazu genutzt werden, um das Handeln nach eigenem Ermessen zu unterstützen. Auch der durch diese Kontakte stattfindende Informationsfluss zwischen Niederlassungen und Stammhaus sowie zwischen Niederlassungen untereinander trägt dazu bei. Die Entwicklung des Entsendeten ist ebenfalls das Ziel der Sozialisierung. Beispielsweise wird eine offenere Haltung gegenüber anderen Kulturen gefördert, um Stereotypen zu reduzieren oder das Commitment gegenüber der Organisation forciert, um die Loyalität und die Identifikation mit selbiger zu stärken (vgl. Edström/Galbraith 1977: 248-256).
Die Spinne zeichnet sich durch ihre subtilen und informellen Kontrollmechanismen aus (vgl. Martinez/Jarillo 1989: 432, Harzing 2001: 8). Der Expatriate hat, ähnlich wie in der Kategorie Bumble-Bee, das Ziel, Sozialisierung und informelle Kommunikation zu betreiben, informelle Netzwerke aufzubauen und mithilfe der erworbenen Informationen Kontrolle auszuüben. Da Entscheidungen des Unternehmens meist aus internationalen Informationen resultieren, ist es essenziell, durch Expatriate-Typen wie diesen die effektive Kommunikation der Organisationseinheiten zu gewährleisten. Denn je stattfinden, desto größere Netzwerke entstehen, was wiederum zu besserer Verbundenheit führt. Durch die Häufigkeit der Transfers gelingt es den Expatriates, umfangreiches Wissen zu Workflows, neueste Updates und Kenntnisse aus erster Hand zu generieren und stets Kontakte zu erneuern (vgl. Edström/Galbraith 1977: 258f).
Da bei Kommunikation und vor allem bei Entsendungen die Kultur der Beteiligten eine wichtige Rolle spielt, wird in dieser Arbeit auch darauf ein Augenmerk gelegt. Viele Autoren beschäftigen sich mit Kulturdimensionen, weshalb bereits eine Auswahl an Modellen existiert, die zur Spezifizierung und Einordnung einer Kultur hinsichtlich bestimmter Kriterien und Merkmale herangezogen werden können. In Rothlaufs Veröffentlichung „Interkulturelles Management“ (2012) werden die fünf gängigsten Modelle der Autoren Hall, Hofstede, Trompenaars, Schwartz und der GLOBE Studie angeführt und erläutert. Einige Dimensionen sind hier nahezu deckungsgleich. Hinsichtlich des Einflusses auf die entfernte Kommunikation im Arbeitsalltag über Medien wie Computer, Handy oder ähnliches sind jedoch nicht alle von gleicher Relevanz. Vorerst jedoch eine komprimierte Auflistung der einzelnen Dimensionen der verschiedenen Autoren (vgl. Rothlauf 2012: 37-64):
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 3 - Kulturdimensionen verschiedener Autoren – Eigene Darstellung
Von den genannten Dimensionen wirken einige stärker auf Kommunikation als andere. So ist beispielsweise die Dimension Context von Hall besonders relevant, beschreibt sie doch die Menge an Informationen, die übertragen werden muss, um das Verständnis des Empfängers der Nachricht zu gewährleisten. Die Ausprägungen werden hier als High und Low Context bezeichnet. Kulturen mit ersterer verzichten auf Details und nutzen Mimik und andere Kontextfaktoren als Informationsträger. Kulturen mit Low Context kommunizieren klar und deutlich, ohne großen Raum für Interpretation zu lassen. Eine weitere relevante Dimension stellt die des Information Flow dar, ebenfalls von Hall definiert. Durch die Geschwindigkeit des Informationsaustausches wird beispielsweise die Dauer des Beziehungsaufbaus beeinflusst, was bei manchen Kulturen deutlich schneller von statten geht, als bei anderen. Trompenaars Unterscheidung zwischen Specific und Diffuse wirkt sich dahingehend aus, dass in einigen Kulturen für eine gute Beziehung der Kontakt in das Privatleben ausgeweitet wird, während in anderen eine strikte Trennung der Bereiche vorherrscht. Befindet man sich jedoch nicht am gleichen Ort, gestalten sich solche Überschneidungen schwierig (vgl. Rothlauf 2012: 37-64).
Bei allen soeben genannten Dimensionen ist es durchaus möglich, dass die Einschränkungen durch die entfernte Kommunikation den Erfolg der interkulturellen Kommunikation erschweren. Selbstverständlich wirken auch die übrigen Dimensionen auf die Begegnung von kulturell verschiedenen Personen ein, allerdings sind die im vorigen Absatz genannten besonders einflussreich beim Vergleich des persönlichen und virtuellen Kontakts.
Um allgemeine Trends zu erfassen und diese in die Auswertung am Ende der Arbeit einfließen zu lassen, wurden Erkenntnisse aus aktuellen Forschungen und Veröffentlichungen zusammengetragen. Im Fokus stehen hierbei interkulturelle Vorbereitungen auf Entsendungen, Entwicklung von virtuellen Teams und Trends bei der Entwicklung von Auslandsentsendungen.
Um den Zusammenprall der Kulturen und deren unterschiedlich ausgeprägten Dimensionen abzudämpfen, werden vor den Entsendungen immer häufiger interkulturelle Trainings und Seminare angeboten, um sowohl die Entsendeten als auch die Mitarbeiter im Entsendungsland mental zu sensibilisieren. Allerdings ist eine intensive und nutzvolle Vorbereitung mit hohen Kosten verbunden, weshalb viele Unternehmen weiterhin auf unzureichende Methoden setzen. Und das, obwohl die Folgen eines gescheiterten Auslandseinsatzes einerseits höhere Kosten bedeuten, aber auch Enttäuschung im Unternehmen und bei den ausländischen Ansprechpartnern, wodurch ein schwer reversibler Vertrauensverlust ausgelöst werden kann. Die gängigste Trainingsmethode ist informationsorientiert. Es werden lediglich die wichtigsten Daten und Fakten des Gastlandes in Form von Vorträgen, Verschriftlichungen oder Filmen übermittelt, ohne jegliche Kulturkontrasterfahrung. Gründe für die Wahl dieser Methode sind der geringe Aufwand und niedrige Kosten. Durch die fehlende Schulung des Einfühlungsvermögens und der Fähigkeit, positiv mit Andersartigkeit umzugehen, schlagen diese Einsätze öfter fehl als jene mit kultur- oder interaktionsorientierter Trainingsmethode. Bei der kulturorientierten Variante wird im Rahmen des Seminars das Bewusstsein für die eigene Kultur entwickelt, was die Basis für ein tieferes Verständnis gegenüber andere Kulturen darstellt und auch zur Sensibilisierung der Mitarbeiter führt. Die interaktionsorientierte Methode wiederum umfasst eine aufwendige und kostenintensive Vorbereitung mit aktiver Teilnahme. Im Gegensatz zu den zuvor beschriebenen kulturallgemeinen Maßnahmen, konzentriert sich diese auf die Kultur des Entsendungslandes, was die direkte Aufklärung von Konfliktpotenzialen und Fehlinterpretationen ermöglicht. Häufig werden auch Mitarbeiter aus dem Gastland hinzugezogen und Simulationen sowie Rollenspiele durchgeführt. Diese intensive Art der Vorbereitung ist in der Praxis jedoch äußerst selten (vgl. Rothlauf 2012: 331-344).
Der Begriff des virtuellen Teams bezeichnet eine zeitlich meist befristete Organisationsform, deren Mitglieder – durch gemeinsame Ziele verbunden – zu verschiedenen Zeiten an verschiedenen Orten über Unternehmensgrenzen hinweg medienvermittelte Kommunikation betreiben (vgl. Duarte/Synder 2001: 4f).
Durch die räumliche und zeitliche Unabhängigkeit sind diese Teams nicht mehr auf die physische Verfügbarkeit der Mitarbeiter angewiesen und können nach fachlichen Qualifikationen zusammengestellt werden. Virtuelle Räume ermöglichen hier das Teilen von Lernerfahrungen in Echtzeit. Dadurch kommt auch regionales oder kulturelles Spezial- und Expertenwissen zum Einsatz. Virtuelle Teams tragen so zur Beschleunigung von Prozessen, Reduktion der Kosten, zur effektiven Wissensnutzung und erhöhter Kundenzufriedenheit sowie Wettbewerbsfähigkeit bei. Hinsichtlich der Unterscheidung zu traditionellen Teams dient der Grad der Virtualität als Orientierung. Dieser wird von drei Aspekten bestimmt – der Nutzung virtueller Tools, deren Informationsgehalt und der Synchronität der Kommunikation (vgl. Kauffeld 2017: 6f), Schwuchow/Gutmann 2016: 119).
Trotz der genannten Vorteile sind viele Unternehmen und vor allem Führungskräfte skeptisch gegenüber dem Konzept. Grund hierfür sind Herausforderungen und Defizite, die sich aufgrund der Distanz und der Anonymität ergeben. Die Kontrolle und Leistungsbewertung der Teammitglieder sind aufgrund des mangelnden persönlichen Kontaktes und durch die reduzierten Informationen über die Umgebungssituation eingeschränkt. Eine Folge ist die geringere Loyalität der Mitarbeiter und die geringere Identifikation mit dem Unternehmen, was ebenfalls durch die Entfremdung und fehlendes Vertrauen bedingt wird. Durch die medienvermittelte Kommunikation kommt es schneller zu Fehlinterpretationen und die fehlenden nonverbalen Hinweise erschweren die Vertrauensbildung. Problemzonen wie nicht eingehaltene Fristen und Qualitätsstandards werden ebenfalls kritisiert. Zudem kann die schnellere und ortsunabhängige Erreichbarkeit zu Überlastung und Stress bei den Mitarbeitern führen. Die daher fehlende Regenerationszeit kann sich negativ auf die Motivation auswirken (vgl. Kauffeld 2017: 6f., Deutsche Gesellschaft für Personalführung e.V. 2016: 29, Döhring 2013: 427f, Fischlmayr/Kopecek 2015: 18f).
Döhring (2013: 427) stellt jedoch ebenfalls positive Effekte dar, den die ständige Erreichbarkeit zur Folge haben kann – beispielsweise die Stärkung von sozialen Bindungen. Auch die größere Kontrolle über das Kommunikationsgeschehen nennt sie als Vorteil. Denn laut Kauffeld bietet die Dokumentation jeglicher Handlungen eine „effektive Alternative[.] für das Vertrauensproblem“ (2017: 8) und ermöglicht trotz der geringen sozialen Bindung der Mitglieder einen Vertrauensaufbau. Dieser weist, laut der Forschung von Breuer et al. (2017), nach einem gewissen Zeitraum das gleiche Niveau vor wie bei konventionellen Teams. Ebenfalls einen positiven Effekt auf die Vertrauenswürdigkeit eines Mitgliedes hat dessen Kompetenz und Integrität. Diese Eigenschaften spielen in virtuellen Teams eine deutlich wichtigere Rolle als in herkömmlichen Teams, in denen wohlwollendes Verhalten und Beziehungen im Mittelpunkt stehen. Durch die eingeschränkte gegenseitige Kontrolle wird das Einhalten von Deadlines und Regelungen sehr geschätzt und gilt als Basis für eine zuverlässige fachliche Zusammenarbeit. Die Häufigkeit der Interaktionen ist hierbei entscheidend für die Einschätzung der Vertrauenswürdigkeit, da so integres Handeln bewertet werden kann (vgl. Breuer et al. 2017: 12f). Vertrauen kann also auch ohne persönliche Treffen entstehen, wobei die Deutsche Gesellschaft für Personalführung e.V. (2016: 31f) empfiehlt, die Virtualität durch Präsenz aufzubrechen.
Fischlmayr und Kopecek (2015) sprechen in ihrer Veröffentlichung bereits von virtuellen Expatriates. Es werden hier sowohl physisch im Heimatland verbleibende Teammitglieder als auch Manager, die ganze Teams in anderen Ländern leiten, als Beispiel herangezogen. Die Kommunikation findet über diverse elektronische Medien statt und durch die seltenen persönlichen Treffen lassen sich die Kosten stark reduzieren. Da es zu dieser neuen Form des Arbeitens noch keine Langzeitstudien und Untersuchungen gibt, ist es essenziell, nicht nur Vor-, sondern auch Nachteile zu erörtern und zu ermitteln, wann der persönliche Kontakt zielführender ist. In der Literatur herrscht Einigkeit über die positive Auswirkung einer Präsenzveranstaltung zum Auftakt der Zusammenarbeit. Ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Virtualität und Präsenz ist in Zukunft ein wichtiger Faktor für den Erfolg. Zwar sind Videokonferenzen erheblich kostengünstiger, doch steigt ohne jeglichen persönlichen Kontakt das Risiko von Missverständnissen und Entfremdung. Es ist eine vernünftige Abwägung von Kosten und Nutzen zu empfehlen, vor allem bei Kooperation mit beziehungsorientierten Kulturen, in denen Vertrauen und emotionale Verbundenheit eine wichtige Rolle spielen (vgl. Breuer et al. 2017: 12f., Deutsche Gesellschaft für Personalführung e.V. 2016: 31, Döhring 2013: 427f, Fischlmayr/Kopecek 2015: 18f).
Das Thema Auslandsentsendungen, auch Expatriation, spielt seit der zunehmenden Internationalisierung von Unternehmen und deren Prozessen eine immer größere Rolle. Tendenzen, wie sich die Mitarbeitermobilität in Anbetracht des stetigen Wirtschaftswachstums, geopolitischer Unsicherheiten und dem Arbeitsmarkteintritt einer Generation mit neuem Mindset entwickelt, werden bereits zunehmend thematisiert. Denn sowohl bei den Beweggründen als auch bei der Handhabung der Einsätze sind Veränderungen zu beobachten (vgl. Krings 2018: 34).
Konkrete Daten hinsichtlich der weltweiten Entwicklung der Expatriate-Zahlen stellt Finaccord (2018) in einer umfassenden Studie zur Verfügung. Dem Report Prospectus zu dieser Studie lassen sich bereits einige Kernaussagen entnehmen. Wichtig ist hierbei die verwendete Definition von Expatriates, die sowohl Studenten als auch Auswanderer im Ruhestand einbezieht. Die Expatriate-Segmente Individual workers, Corporate/Other transferees, Students und Retired weisen eine steigende durchschnittliche Wachstumsrate, kurz CAGR, auf. Lediglich das Segment Other [7] hat eine negative Wachstumsrate:
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Tabelle 4 - CAGR Expat-Segmente – Eigene Darstellung (vgl. Finaccord 2018: 14)
Dementsprechend nimmt auch der Anteil der Expatriates an der Gesamtbevölkerung zu. Betrachtet man den, ebenfalls von Finaccord errechneten, prozentualen Anteil an der Bevölkerung weltweit, so beträgt er im Jahr 2017 0,75%, 2018 bereits 0,90% und für 2021 wird ein prognostizierter Wert von 1,13% angegeben. In absoluten Zahlen wurde für das Jahr 2017 eine Anzahl von 66,2 Millionen Expats errechnet, was unter den oben angegebenen Wachstumsraten für 2021 eine Prognose von 87,5 Millionen ergibt. Allerdings ist auch hier wieder zu berücksichtigen, dass alle im Ausland lebenden Personen bei dieser Zählung berücksichtigt wurden, auch Studenten und Rentner. Nicht einbezogen wurden Flüchtlinge, Asylsuchende und Touristen (vgl. Finaccord 2018: 15f).
Aus diesen Angaben wird deutlich, dass die Erweiterung des Aktivitätsraumes von Unternehmen zu einer Zunahme von Entsendungen führt und laut Prognose auch weiterhin führen wird. Der Mensch arbeitet mobiler als früher, was zu vielfältigen Formen der Migration führt und auch die Erweiterung des entsendeten Personenkreises hinsichtlich der Beschäftigung mit sich bringt. So werden heute nicht nur Mitarbeiter aus Führungsebenen entsandt, sondern ebenfalls Fachkräfte mit Expertenwissen. Mobilität gilt beinahe als Grundeigenschaft des modernen Menschen und bestimmt die heutige Struktur des Arbeitslebens. Zwar sind die heutigen Mittel zur Kommunikation deutlich vielfältiger und leistungsfähiger, doch ist weiterhin der persönliche Kontakt essenziell für die Erreichung der Ziele. Strobel (2019: 92f) geht sogar so weit, von einem Zwang zur Nähe zu sprechen, der sich bei der Verwendung virtueller Hilfsmittel sogar potenziert. Sicher ist jedoch die verstärkte Bedeutungssteigerung der Interkulturalität durch die rasante Digitalisierung (vgl. Muhr et al. 2018: 180, Strobel 2019: 92f)
Der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (2015: 29), kurz SVR, gab in seiner Studie „International Mobil“ an, dass 72 Prozent der von ihnen befragten Expatriates den Wunsch nach neuen Erfahrungen als Grund für ihre Auswanderung nannten. Vor allem für junge, hoch qualifizierte Nachwuchskräfte besitzt die Möglichkeit, in einem internationalen Umfeld zu arbeiten, einen sehr hohen Stellenwert und hat einen starken Einfluss auf die wahrgenommene Attraktivität des zukünftigen Arbeitgebers. Durch die Globalisierung und Internationalität der meisten Unternehmen ist der Einsatz im Ausland schon nahezu zu einer Selbstverständlichkeit geworden und wird als wichtiger Schritt in der Karriereentwicklung verstanden. Bei erfahrenen Führungskräften stößt diese Einstellung allerdings nicht immer auf Akzeptanz (vgl. Muhr et al. 2018: 178, Johnson 2018: 12).
Da die Anwerbung und Bindung von jungen Talenten essenziell für den Fortbestand und die Wettbewerbsfähigkeit ist, passen Unternehmen ihre Programme häufig an mitarbeiterseitige Entsendungen an – kürzere und vor allem unkompliziertere Einsätze sollen die Erfüllung der steigenden aktiven Einforderungen von Auslandseinsätzen auch finanziell ermöglichen. Auch wird häufig die Umlegung der Kosten auf das Gastland in Betracht gezogen. Die steigende Anzahl kurzfristig entsendeter Mitarbeiter lässt darauf schließen, dass das Konzept den gewünschten Effekt erzielt. Langfristige und vom Heimatland finanzierte Auslandsaufenthalte sollen nur noch bei bestimmten Geschäftszwecken eingesetzt werden. Allerdings haben vor allem kleine und mittlere Unternehmen Schwierigkeiten, internationale Karriere- und Arbeitsmöglichkeiten in diesem Umfang anzubieten. Gegenüber großen Konzernen, die sich vor allem in den Bereichen Automobil und Industrie großer Beliebtheit bei Hochschulabsolventen und Berufsanfängern erfreuen, stehen sie hinsichtlich der Attraktivität der Arbeitgebermarke hinten an (vgl. Muhr et al. 2018, 178f, Johnson 2018: 8).
Nach der Definition des hermeneutischen Bezugsrahmens und der Auseinandersetzung mit den für diese Arbeit wichtigsten Entwicklungen in den Bereichen Kommunikation und Entsendung lässt sich an dieser Stelle bereits ein Zwischenfazit ziehen. So wird deutlich, dass virtuelle Kommunikation einen wachsenden Stellenwert sowohl im privaten als auch im Arbeitsalltag einnimmt. Die rasanten Entwicklungen der Möglichkeiten im Zuge der Digitalisierung haben mittlerweile Auswirkungen auf alltägliche Prozesse in nahezu allen Bereichen und jeder Branche. Sei es die Automatisierung der Produktion, der Einsatz von virtuellen Räumen zur Kommunikation oder neuartige Medien wie beispielsweise Virtual Reality Brillen. Das Potenzial eröffnet in der Zukunft zahlreiche Möglichkeiten, die Art und Weise der alltäglichen Kommunikation zu revolutionieren. Szenarien wie das Evernet sind nicht länger weit hergeholt, sondern rücken zunehmend in den Bereich des Möglichen.
Hinsichtlich der Entwicklung von Entsendungstrends sind ebenfalls interessante Tendenzen zu beobachten. Durch den Eintritt der jüngeren Generationen in den Arbeitsmarkt verschieben sich beispielsweise die Interessen der Arbeitnehmerschaft. Auslandsaufenthalte und internationale Beziehungen zählen bereits vor Arbeitsbeginn zum Repertoire der meisten Hochqualifizierten. Der Ausbau der Auslandserfahrung besitzt demnach für den Großteil auch im Berufsleben einen hohen Stellenwert. Da die Nachfrage nach Entsendungen folglich steigt, sind Arbeitgeber dazu angehalten, Alternativen zu den bisherigen Entsendungsarten anzubieten, die unkompliziert, kürzer und somit auch kostengünstiger sind. Auch eine intensive und effektive Vorbereitung auf die Aufenthalte in Form von interkulturellen Seminaren ist erstrebenswert, um zum einen das Konfliktpotenzial und Stolperfallen zu verringern und zum anderen das Verständnis für andere Kulturen zu stärken, um kürzere Aufenthalte so effektiv wie möglich zu gestalten.
Die Frage, die es zu beantworten gilt, ist, inwieweit sich die Erkenntnisse der Entwicklungen in den beiden Bereichen Entsendungen und Kommunikation vereinen lassen und mit welchen Veränderungen zukünftig in der internationalen Arbeitswelt zu rechnen ist. Im nachfolgenden Forschungsteil der Arbeit sollen die Verknüpfungen der Trends durch Befragungen von Experten erörtert und analysiert werden. Ziel ist es, einen Ausblick auf die Entwicklung von Entsendungsarten zu geben und zu prognostizieren, inwieweit diese durch die Möglichkeiten der virtuellen Kommunikation verändert und abgelöst werden.
Durch die Anwendung des induktiven Verfahrens und der Durchführung von leitfadengestützten Experteninterviews sowie deren Auswertung nach Mayrings (2016) strukturierender qualitativen Inhaltsanalyse soll festgestellt werden, inwiefern die virtuelle Kommunikation die Trends der Auslandsentsendung beeinflusst. Im Folgenden soll diese methodische Herangehensweise näher erläutert werden.
Da in den Forschungen zu diesem Thema bisher noch keine verwendbaren theoretischen Grundlagen erarbeitet wurden, wird nach dem Prinzip des induktiven Verfahrens vorgegangen – ein sozialwissenschaftlicher Ansatz mit dem Ziel der Generierung von Prämissen auf Basis der Sammlung und Auswertung qualitativer Daten, die zu einer allgemeinen Konklusion zusammengefasst werden können. Wichtig ist jedoch hierbei die Erkenntnis, dass Theorien oder Gesetze durch ihre allgemeine Anwendung immer über die erhobenen Datenwerte hinausgehen und dementsprechend „niemals in dem Sinn bewiesen werden, dass sie sich logisch aus dem Evidenten ableiten lassen“ (Chalmers 2007: 39). Durch die Parallelisierung der Arbeitsschritte Datengewinnung, -analyse und Theoriebildung findet eine positive Beeinflussung statt. Der Wechselprozess wird von Pryzborski und Wohlrab-Sahr (2014: 200) als wichtig eingestuft, da so eine Zuspitzung der Erkenntnisse stattfindet und explizit nach bestimmten Situationen und Ereignissen gesucht wird, die die erarbeiteten Thesen unterstützen. Ziel ist die representativeness of concepts, nicht jedoch die statistische Repräsentativität. Ebenfalls herangezogen wird der qualitative Forschungsansatz in Form des leitfadengestützten Experteninterviews, da er im Gegensatz zu quantitativen Erhebungen eine gewisse Tiefe und Offenheit bei der Datenerhebung ermöglicht (vgl. Flick et al. 2013: 14, Lamnek/Krell 2016: 33).
Aufgrund der zeitlichen und inhaltlichen Limitation bei der Anfertigung dieser Arbeit ist es nicht möglich, eine große Anzahl von Beobachtungen unter einer großen Vielfalt von Gegebenheiten durchzuführen. Daher wird angestrebt, eine Forschungsrichtung mit Tendenzen zu erarbeiten und im Ausblick eine mögliche Weiterführung des Ansatzes zu thematisieren (vgl. Chalmers 2007: 39).
Als Erhebungsmethode wurde das leitfadengestützte Experteninterview gewählt, um den Interviewpartnern genügend Freiraum für ihre Ausführungen zu geben. Diese Art des Interviews wurde lange Zeit als selbstverständlich wahrgenommen und sollte lediglich Informationen liefern – heute sind die Besonderheiten des Verfahrens von Bedeutung. Den befragten Experten wird ein Sonderwissen zugeschrieben, über das andere nicht verfügen und das sich auf ein bestimmtes Fachgebiet bezieht. Da es sich hierbei um Binnenwissen handelt, muss es im Interview explizit zur Sprache gebracht werden. Weil jeder in einem bestimmten Bereich als Experte gelten kann, wurden gewisse Regelungen zur Einschränkung vorgenommen. Der Begriff Experte trifft somit auf Personen zu, die über ein bestimmtes Rollenwissen verfügen und „diese besondere Kompetenz für sich in Anspruch nehmen“ (Przyborski/Wohlrab-Sahr 2014: 119).
Es können drei Formen dieses Wissens im Interview erarbeitet werden: Betriebswissen, Deutungswissen und Kontextwissen. Ersteres bezeichnet das Wissen über institutionelle Zusammenhänge, Mechanismen und Abläufe innerhalb von beispielsweise Netzwerken oder Organisationen, zu denen der Interviewte den Zugang ermöglicht und sie zeitgleich repräsentiert. Von großer Bedeutung ist hierbei das nicht kodifizierte Wissen, das sich bei betrieblichen Praktiken beobachten lässt. Deutungswissen wiederum beschäftigt sich mit der Deutungsmacht, die Experten über die Wahrnehmung eines Bereiches beziehungsweise eines bestimmten Sachverhaltes verfügen und in Anspruch nehmen. Ihre starke Beeinflussung wirkt sich auf die Einschätzung von Risiken und Sicherheiten, Entwicklungen und Trends als auch Relevanzen und Irrelevanzen durch „Nicht-Experten“ aus. Auch hier fungiert der Experte als Zugangsmedium. Das Kontextwissen differenziert sich von den eben genannten Wissensarten in der Hinsicht, dass die Experten nicht die eigentliche Zielgruppe der Befragung darstellen (vgl. Przyborski/Wohlrab-Sahr 2014: 119f).
Bei der Auswahl der Interviewpartner handelte es sich um ein kriteriengeleitetes Sampling, das heißt die gewählten Gesprächspartner sollten bestimmte Eigenschaften vorweisen können (vgl. Przyborski/Wohlrab-Sahr 2014: 184). Bei der Datenerhebung wurde mit unterschiedlichen Expertengruppen gearbeitet. Der Fokus der Forschungsarbeit liegt auf der Gruppierung der Expatriates, die bereits Expertenwissen durch eine oder mehrere Auslandsentsendungen sammeln konnten. Des Weiteren wurden Personen befragt, die sich in ihrem Arbeitsalltag vor allem mit virtueller Kommunikation oder Personalentscheidungen beschäftigen – sie verfügen also über spezifisches Kontextwissen, sind selbst aber nicht Teil der eigentlichen Zielgruppe. Während die erste Gruppierung demnach sowohl die Beobachtungseinheit als auch die Samplingeinheit repräsentiert, unterscheiden sich bei letzterer die Einheiten. Bei der Beobachtungseinheit handelt es sich weiterhin um Expatriates, die Samplingeinheit wird jedoch von Experten aus dem Personal- und Kommunikationsbereich repräsentiert. Durch das Prinzip des Schneeballsamplings wurden nach der Bestimmung der ersten Interviewpartner durch das kriteriengeleitete Sampling weitere Teilnehmer gesucht und ausgewählt. Die geeigneten Interviewpartner waren häufig dazu bereit, Kollegen oder private Kontakte mit den gleichen Eigenschaften zu kontaktieren und deren Bereitschaft hinsichtlich der Teilnahme am Interview abzuprüfen. Da jedoch nicht alle Interviewpartner über das Schneeballsystem generiert wurden, wurde das Risiko des fehlenden Kontrastes reduziert (vgl. Przyborski/Wohlrab-Sahr 2014: 59, 180f).
Das ausgewählte Sample sollte innerhalb der Automobil- und Automobilzuliefererbranche angesiedelt sein und eine bestimmte Grundgesamtheit repräsentieren (vgl. Przyborski/ Wohlrab-Sahr 2014: 182f). Eine Ausnahme stellt hierbei der Experte im Bereich der virtuellen Kommunikation dar. Seine Einsichten sind jedoch notwendig, um einen Einblick in aktuelle Entwicklungen in seinem Fachbereich auf Basis seines Expertenwissens zu erlangen. Das Sample besteht insgesamt aus acht Personen, von denen sieben momentan bei Automobilherstellern oder -zulieferern angestellt sind oder zu einem bestimmten Zeitpunkt angestellt waren und sich im Rahmen dieses Anstellungsverhältnisses für eine gewisse Zeitspanne im Ausland aufhalten oder aufhielten. Um eine offenere Kommunikation zu ermöglichen, wurde den Interviewpartnern zu Beginn des Interviews mitgeteilt, dass sämtliche Unternehmens- und Personennamen als auch genaue Standortangaben aus den Transkripten entfernt werden. Zusammenfassend lässt sich das Sampling folgendermaßen abbilden:
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Tabelle 5 - Interviewpartner
Da alle Probanden in unterschiedlichen Abteilungen der jeweiligen Organisationen tätig sind und verschiedene Positionen bekleiden, ist eine breite Variation an Blickwinkeln geboten. Die Interviews dauerten zwischen 20 und 45 Minuten und wurden in dem Zeitraum zwischen dem 18.12.2018 und 11.02.2019 abgewickelt. Sieben der insgesamt acht Interviews wurden über die Medien Telefon oder Skype geführt, eines fand persönlich statt. Dadurch waren die Rahmenbedingungen nahezu identisch. Bei den Ferninterviews traten beispielsweise Störfaktoren wie schlechte Internet- oder Telefonverbindung auf, was jedoch den Gesprächsfluss nicht maßgeblich beeinflusste. Alle Interviewpartner erhielten im Voraus ein Dokument (vgl. Infosheet Anhang: ii) mit Informationen bezüglich der Forschungsarbeit. So wurden zum einen der Titel und die Forschungsfrage kommuniziert, zum anderen allgemeine Begriffserklärungen zum Thema Auslandsentsendung mitgeteilt. Interessant war die unterschiedliche Einbindung dieser Informationen in das Interview – während manche Befragten explizit auf die Fachbegriffe eingingen und diese in ihre Formulierungen aufnahmen, orientierten sich andere weniger bis gar nicht daran.
Der im Voraus erstellte Leitfaden deckt verschiedene Themenfelder ab. So zielen die ersten Fragen auf die Erfahrungen der Teilnehmer als Expatriates ab. Die meisten dienen zur Einordnung des Entsendeten in die in Punkt 2.3.1 erläuterten Kategorien, beispielsweise die Fragen nach Entsendungsdauer, -land und Hauptaufgabe. Die restlichen Fragen sollen das Wissen und die Erfahrungswerte hinsichtlich virtueller Kommunikation und Teams erforschen, sowie eine Einschätzung zu zukünftigen Trends einholen.
Alle Interviewpartner stimmten der Audioaufzeichnung ihres Interviews durch eine geeignete App eines Smartphones und der anschließenden Verschriftlichung im Vornherein zu. So konnte direkt im Anschluss an das jeweilige Interview eine Transkription vorgenommen werden, um einen Informationsverlust aufgrund zu langen Abstandes zwischen Interview und Transkription zu vermeiden. Der so erarbeitete Datenkorpus erlaubt eine Auswertung in Form einer qualitativen Inhaltsanalyse. Für die Übertragung einer Transkript Minute von Audio in das Schriftliche wurden in etwa zwanzig Transkriptionsminuten aufgewendet. Da nicht die genaue phonetische Dokumentation des Gespräches das Ziel der Verschriftlichung darstellt, sondern die Informationen zu bestimmten Fachbereichen im Fokus stehen und um die Verständlichkeit des Materials zu gewährleisten, wurden die Aufzeichnungen in Standardorthographie transkribiert (vgl. Przyborski/Wohlrab-Sahr 2014: 166, Heiser 2018: 143f). Weiterhin wurde sich an den vereinfachten Transkriptionsregeln nach Kuckartz (2016: 166) orientiert und unter anderem eine Glättung der Dialektfärbungen vorgenommen sowie die Streichung zustimmender Lautäußerungen von Seiten des Interviewers.
Wie bereits im vorangehenden Absatz angemerkt, wurde ebenfalls die Anonymisierung der Dokumente vorgenommen, um Rückschlüssen auf die interviewten Personen vorzubeugen. Hierbei wurden Personen-, Unternehmensnamen, aber auch Standortangaben berücksichtigt und durch Pseudonyme wie Unternehmen 1 oder Standort 1 ersetzt, um die Lesbarkeit nicht negativ zu beeinflussen (vgl. Heiser 2018: 148f). Nach der Durchführung der genannten Arbeitsschritte wurde ein finaler Abgleich zwischen Audio- und Textdatei vorgenommen, um eventuelle Hörfehler auszubessern und letzte Korrekturen vorzunehmen.
Zur Auswertung der Transkript-Dokumente wird die qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring (2016) herangezogen. Sie grenzt sich durch ihre Systematik vom Großteil anderer hermeneutischer Verfahren ab, um die Nachvollziehbarkeit für Andere und somit die Methodenstandards zu gewährleisten (vgl. Mayring 2016: 12f). Im Fokus steht hierbei die systematische Kategorisierung und Interpretation der Inhalte, die stets in ihrem Kommunikationszusammenhang verstanden und „so immer innerhalb [ihres] Kontextes interpretiert“ (ebd. 50) werden.
[...]
[1] Der Arbeit unterliegt das Verständnis, dass sich personenbezogene Bezeichnungen, die aus Gründen der Lesbarkeit nur in männlicher Form angeführt sind, sowohl auf Männer als auf Frauen beziehen.
[2] Evernet: Die permanente Vernetzung digitaler Geräte und der ständige Austausch von Informationen durch die „immer-an-Kommunikation“ (Freyermuth 2002: 120).
[3] IoT = Internet of Things oder auch Internet der Dinge. Der Begriff umschreibt die Vernetzung von Gegenständen mit dem Internet und deren so ermöglichte Kommunikation und Erledigung von Aufgaben (vgl. Lackes 2018)
[4] Big Data bezeichnet die Masse an Daten, die aus sämtlichen Quellen generiert und verarbeitet wird. Von deren Verwendung versprechen sich Akteure neue Einblicke in verschiedenste Bereiche (vgl. Bendel 2018a)
[5] VUCA=Acronym aus „volatility“, „uncertainty“, „complexity“ und „ambiguity”. Der Begriff wird seit den 1990er Jahren verwendet und bezeichnet die Merkmale der modernen Welt (vgl. Bendel 2018b)
[6] Das Produkt von Oculus trägt den Namen Oculus Quest, HTC bringt die Brille VIVE Cosmos auf den Markt. Bei beiden handelt es sich um ein Paket bestehend aus einem Head-Mounted Display und zwei Kontrollern für beide Hände. Genauere Informationen sind auf den Websites https://www.oculus.com/quest/ und https://www.vive.com/de/cosmos/ zu finden.
[7] Die Kategorie Other ist von Finaccord (2018: 8) definiert als nicht angestellte Ehepartner und Kinder.
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