Für neue Kunden:
Für bereits registrierte Kunden:
Bachelorarbeit, 2019
46 Seiten, Note: 1,0
Vorwort
Abkürzungsverzeichnis
1. Steuerhinterziehung
1.1 Straftatbestand der Steuerhinterziehung
1.1.1 Objektiver Tatbestand
1.1.2 Subjektiver Tatbestand
1.2 Unterscheidung: Berichtigte Steuererklärung oder Selbstanzeige
2. Die (strafbefreiende) Selbstanzeige
2.1 Sinn und Zweck der Regelung
2.2 Form der Selbstanzeige
2.3 Voraussetzungen der strafbefreienden Selbstanzeige
2.3.1 Vollständigkeitsgebot
2.3.2 Ausschluss aufgrund eines Sperrgrundes
2.3.3 Vollständige und fristgerechte Nachzahlung
2.4 Sperrgründe
2.4.1 Prüfungsanordnung
2.4.2 Ermittlungsverfahren
2.4.3 Erscheinen eines Amtsträgers
2.4.4 Tatentdeckung
2.4.5 Verkürzungsbetrag und schwerer Fall der Steuerhinterziehung
2.5 Wirkung
3. Selbstanzeige bei Umsatzsteuervor- und Lohnsteueranmeldungen
3.1 Die heutige Selbstanzeige: Abriss der historischen Entwicklung
3.2 § 371 Abs. 2a AO
3.2.1 Hintergrund für die Wiedereinführung der Teilselbstanzeigen
3.2.2 Fallkatalog
3.3 Bewertung
4. Exkurs: Praxis im Innendienst
5. Fazit
Literaturverzeichnis
Monographien, Beiträge in Handbüchern sowie Artikel in Periodika
Verzeichnis der Internetquellen
Verzeichnis der sonstigen Publikationen
Verzeichnis der Gesetze & Materialien aus dem Gesetzgebungsverfahren
Verzeichnis der Gerichtsentscheidungen
Das Motto dieser Bachelorarbeit lautet: „Wer Steuern hinterzieht, der handelt unrecht. Wer sich besinnt, dem wird verziehen.“1 Durch das In-Aussicht-Stellen von Straffreiheit soll für die an einer Steuerhinterziehung beteiligten Personen ein Anreiz zur freiwilligen Nacherklärung und Entrichtung der hinterzogenen Beträge geschaffen werden. Die strafbefreiende Selbstanzeige stellt das Thema dieser Bachelorarbeit dar. Einleitend wird der Straftatbestand der Steuerhinterziehung aufgegriffen und danach wird die Selbstanzeige in Ihren Grundzügen systematisch dargestellt und beispielhaft erläutert. Die Fremdanzeige gem. § 371 Abs. 4 AO soll kein Thema dieser Arbeit sein. Ein besonderer Fokus wird auf der Besonderheit der Selbstanzeige bei den Umsatzsteuervor- und Lohnsteueranmeldungen liegen.
An dieser Stelle möchte ich mich bei all denjenigen bedanken, die mich während der Anfertigung dieser Bachelorarbeit unterstützt und motiviert haben.
Zuerst gebührt mein Dank Herr Prof. Dehner, der meine Bachelorarbeit betreut und mich mit hilfreichen Anregungen und konstruktiver Kritik unterstützt hat. Ebenfalls möchte ich mich bei meiner Familie und meinen Freunden bedanken, die mir mit viel Geduld und Interesse zur Seite standen.
Viktoria Getmann
Öhringen, 11.02.2019
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die Aufgabe der Finanzämter ist nicht nur eine sachlich zutreffende Steuerfestsetzung. Bei der Besteuerung werden auch straf- oder bußgeldrechtlich zu verfolgende Sachverhalte aufgedeckt. Zu den häufigsten Steuerstraftaten zählt die Steuerhinterziehung, vgl. §§ 369 Abs.1, 370 AO. Sie ist im Steuerstrafrecht der mit Abstand maßgeblichste Tatbestand und soll dem Fiskus den vollen Ertrag aus den verschiedenen Steuerarten sichern.2
Eine Steuerhinterziehung liegt vor, wenn Steuern verkürzt oder ungerechtfertigte Steuervorteile erlangt werden. Eine Steuerverkürzung liegt vor, wenn Steuern nicht, nicht in voller Höhe oder nicht rechtzeitig festgesetzt werden, vgl. § 370 Abs. 4 AO. Steuervorteile sind unter anderem Erstattungen, Vergütungen, Eintragung von Lohnsteuerfreibeträgen, Erlass oder Stundung. Wurden sie zu Unrecht gewährt oder belassen, gelten sie als ungerechtfertigt erlangt.3
Rechtsgrundlage zum Straftatbestand der Steuerhinterziehung ist der § 370 Abs. 1 i.V.m. Abs. 4 S. 1 und S. 2 AO. Das Prüfungsschema beginnt mit dem objektiven Tatbestand. Auf der zweiten Stufe folgt die Rechtswidrigkeit. Da das Steuerstrafrecht keine Rechtfertigungsgründe kennt, indiziert das Vorliegen eines objektiven Tatbestandes immer eine Rechtswidrigkeit der Tat. Die dritte Stufe des Prüfungsschemas ist das Vorliegen eines Vorsatzes. Dieses ungeschriebene (subjektive) Tatbestandsmerkmal ergibt sich aus §§ 369 Abs. 2 AO i.V.m. 15 StGB.4
Das Vorliegen einer Handlung gem. § 370 Abs. 1 Nr. 1 – 3 AO und der dadurch erzielte Taterfolg erfüllt den objektiven Tatbestand der Steuerhinterziehung. Die Abzählung der Tathandlungen ist abschließend. Diese bestehen entweder gem. § 370 Abs. 1 Nr. 1 in einem aktiven Tun oder gem. § 370 Abs. 1 Nr. 2 in einem Unterlassen.5 Ein Unterlassen setzt ein Gesetz gem. § 4 AO voraus, das eine Rechtspflicht zum Handeln vorschreibt.6 Die Tathandlung des § 370 Abs. 1 Nr. 3 AO, das pflichtwidrige Unterlassen der Verwendung von Steuerzeichen und Steuerstemplern, wird folgend wegen der geringfügigen Bedeutung in der Praxis nicht weiter behandelt. Die Tathandlung des aktiven Tuns oder des Unterlassens ruft den Taterfolg hervor. Man spricht hier vom Kausalitätsprinzip.7 Der Taterfolg liegt in einer Steuerverkürzung oder in der Erlangung von ungerechtfertigten Steuervorteilen (s.o.).
Beispiel 1:
Unternehmer U erklärt in seinen Umsatzsteuervoranmeldungen zehn Prozent niedrigere Umsätze als er eigentlich erzielt und führt dementsprechend seine Umsatzsteuer ab.
- Sein Handeln verkürzt Umsatzsteuer. Die Tathandlung wird durch aktives Tun hervorgerufen, § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO. Der Taterfolg gem. § 370 Abs. 4 Satz 1 AO liegt in der Verkürzung der Steuer. Sie wurde nicht in voller Höhe entrichtet. Die Kausalität liegt unproblematisch vor. Der objektive Tatbestand gilt als erfüllt.
Beispiel 2:
Der gelernte KFZ-Mechaniker K erzielt am Wochenende hohe Umsätze mit der Reparatur von Autos. Er gibt keine Umsatzsteuervoranmeldungen ab.
- Nach § 18 Abs. 1 UStG wäre K zur Abgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen sowie zur Zahlung von Umsatzsteuer verpflichtet. Durch die Missachtung handelt K pflichtwidrig und verkürzt Umsatzsteuer. Die Tathandlung des „Unterlassens“ ergibt sich aus § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO. Der erzielte Taterfolg gem. § 370 Abs. 4 Satz 1 AO ist die Nicht – Festsetzung der Steuer. Kausalität liegt vor. Somit gilt der objektive Tatbestand als erfüllt.
Als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal gilt der Vorsatz. Vorsatz bedeutet mit Wissen und Wollen.8 Nach AEAO zu § 153 Nr. 2.6 reicht von den verschiedenen Vorsatzformen - die sich in ihrer Intensität unterscheiden - bereits der bedingte Vorsatz aus. Somit liegt der Vorsatz schon dann vor, wenn der Täter eine Tatbestandsverwirklichung für möglich hält. Er muss sie weder anstreben noch den Tatbestand bereits verwirklicht haben. Neben dem Für-Möglich-Halten ist eine billigende Inkaufnahme des Taterfolgs durch den Täter laut BGH-Rechtsprechung zusätzlich erforderlich. Hier ist ausreichend, dass dem Täter der Handlungserfolg gleichgültig ist.
Beispiel 1:
Rentner R glaubt, dass bei seinem geringen Einkommen keine Einkommensteuer anfällt und gibt deshalb keine Einkommensteuererklärungen ab. Tatsächlich ergibt sich allerdings eine geringe Einkommensteuer.
- Der objektive Tatbestand ist durch vorliegende Tathandlung, Taterfolg und Kausalität erfüllt vgl. §§ 370 Abs. 1 Nr. 2, 370 Abs. 4 Satz 1 AO. Die Rechtswidrigkeit liegt unproblematisch vor. R gibt die Erklärungen zwar bewusst nicht ab, möchte aber nicht wissentlich Steuer vorenthalten. Eine Steuerhinterziehung gem. § 370 AO liegt aufgrund Mangel am Vorsatz (§§ 369 Abs. 2 AO i.V.m. 15 StGB) nicht vor.
Beispiel 2:
Der Privatier P erzielt nennenswert hohe Einkünfte aus Kapitalvermögen. Er gibt keine Einkommensteuererklärungen ab, um keine Einkommensteuer zahlen zu müssen.
- P wäre gem. § 149 AO i.V.m. § 25 Abs. 3 EStG zur Abgabe von Einkommensteuererklärungen verpflichtet. Die Nichtabgabe stellt somit ein pflichtwidriges Unterlassen nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO dar, welches zu einer Verkürzung der Steuer führt. Der Taterfolg ergibt sich aus § 370 Abs. 4 Satz 1 AO, Steuern wurden nicht festgesetzt. Mit der Kausalität gilt somit der objektive Tatbestand als erfüllt. Die Rechtswidrigkeit liegt vor. Auch der subjektive Tatbestand gilt als erfüllt, da ein Vorsatz nach §§ 369 Abs. 2 AO i.V.m. 15 StGB gegeben ist. P hat bewusst keine Erklärungen eingereicht, da er dem Finanzamt vorsätzlich Steuern vorenthalten will. Es liegt eine Steuerhinterziehung vor.
Um unversteuertes Vermögen zu legitimieren stehen einem Steuersünder zwei Wege zur Verfügung. Einmal der Weg über eine Berichtigungsanzeige nach § 153 AO oder der Weg der Selbstanzeige nach § 371 AO. Dem Grundsatz nach unterscheiden sich die beiden Möglichkeiten, entfalten allerdings die gleiche strafbefreiende Wirkung. Beispielsweise im Hinblick auf die Abgabe ist man zu einer Berichtigungsanzeige verpflichtet, zu einer Selbstanzeige nicht. Gem. § 153 Abs. 1 AO ist ein Steuerpflichtiger zur Berichtigung von Erklärungsfehlern, gem. Abs. 2 zur Meldung nachträglich eingetretener Tatsachen bezüglich erhaltener Steuerbegünstigungen und gem. Abs. 3 zur Berichtigung bei Verwendung von Gegenständen die der Verbrauchssteuer unterliegen, verpflichtet. Reicht ein Steuerpflichtiger oder ggf. sein Steuerberater eine Nacherklärung ein, wird er diese nicht mit „Selbstanzeige“ oder „Berichtigungsanzeige“ titulieren. Wie die Finanzbehörde die Nacherklärung auslegt hängt davon ab, ob eine vollendete Steuerhinterziehung gegeben ist, eine leichtfertige Steuerverkürzung vorliegt oder ob ein einfacher Erklärungsfehler vorlag. Im Falle eine Berichtigungsanzeige wird lediglich seine Steuererklärung korrigiert und offenbart dem Finanzamt nicht ob er ggf. bewusst eine Steuerhinterziehung begonnen hatte. Mit Erstattung einer Selbstanzeige, erklärt der Steuerpflichtige eine Steuerstraftat begangen zu haben.9
Beispiel 1:
Der Steuerpflichtige P hat seine Steuererklärung für 2016 im Februar 2017 abgegeben. Zwei Tage später entdeckt er, dass er bei seinen Vermietungseinkünften nicht die Bruttomiete, sondern die Nettomiete nach Abzug der Nebenkosten angegeben hat und zusätzlich die Nebenkosten noch als Ausgaben abgezogen hat. Bisher wurde noch kein Steuerbescheid erstellt und an P zugestellt.
- In diesem Fall muss S keine Selbstanzeige erstatten. Zur Abgabe einer Berichtigungsanzeige ist er verpflichtet. Diese ist zwingend unverzüglich nach Entdeckung des Fehlers zu stellen. S droht weder eine Eröffnung eines Strafverfahrens, noch die Nachzahlung von Hinterziehungszinsen.
Beispiel 2:
Wie Beispiel 1, nur dass P absichtlich in der Steuererklärung 2016 die Nettomieten bei den Einkünften angesetzt hatte, in dem Glauben, sein Finanzamt würde den Fehler nicht bemerken. P nimmt den Steuerbescheid mit den unrichtigen Angaben in Empfang und freut sich, über den auf dieser Weise erzielte hohe Verlust bei seinen Vermietungseinkünften. Dieser Verlust wurde mit seinen hohen Einkünften aus seiner Tätigkeit als selbstständiger Architekt verrechnet.
- Für eine Steuerberichtigung bleibt P nur der Weg über die Selbstanzeige offen.
Einer der größten Unterschiede zwischen dem allgemeinen Strafrecht und dem Steuerstrafrecht liegt im § 371 AO. Die Selbstanzeige im Steuerrecht ermöglicht es dem Täter Straffreiheit, auch nach Vollendung seiner Tat, zu erlangen.10 Dies gilt für eine versuchte oder vollendete Steuerhinterziehung. Steuerhehlerei gem. § 374 AO und bandenmäßiger Schmuggel gem. § 373 AO sind von einer möglichen Strafbefreiung ausgenommen.11
Beispiel:
Dachdecker D zeichnet bewusst nur ein Drittel seiner erzielten Einnahmen auf. Nach Bekanntgabe seiner Steuerbescheide zeigt er dem Finanzamt seine nicht verbuchten Einnahmen auf.
- Durch sein vorsätzliches Handeln verkürzt D seine ESt, USt und GewSt. Es liegt die Steuerstraftat Steuerhinterziehung vor, vgl. § 370 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 Satz 1 AO, § 15 StGB. Durch die freiwillige Berichtigung seiner Angaben erlangt D Strafffreiheit durch Selbstanzeige gem. § 371 AO.
Es ist nicht verwunderlich, dass die strafbefreiende Selbstanzeige als Belohnung für Steuersünder immer wieder in Kritik steht und in den letzten Jahren stark verschärft wurde. Der Arbeit liegt die aktuelle Rechtsgrundlage ab 01.01.2015 durch das AOÄndG 201512 zugrunde.
Der Grundgedanke der strafbefreienden Selbstanzeige besteht darin, dass einem Steuerpflichtigen der Steuerhinterziehung begangen hat, ein Anreiz gegeben wird, seinen steuerlichen Pflichten nachträglich nachzukommen und somit Steuerehrlichkeit und die damit verbundene Straffreiheit zu erlangen. Die Möglichkeit, die einem bisher verborgenen Täter dadurch gegeben wird wäre bei einem Dieb oder einem Mörder kaum vorstellbar. Doch das Steuerstrafrecht gewährt diesen Freischein bei Steuersünden um dem Fiskus seine Einnahmen zu sichern. Die Finanzbehörden können Sachverhalte, die bisher unbekannt waren und womöglich weiterhin unbekannt bleiben würden, nun der Besteuerung unterwerfen.13 Der Gesetzgeber begründet das Instrument der Selbstanzeige wie folgt: „Sinn und Zweck der strafbefreienden Selbstanzeige ist es, den an einer Steuerhinterziehung Beteiligten einen attraktiven Anreiz zur Berichtigung vormals unzutreffender oder unvollständiger Angaben zu geben, um im Interesse des Fiskus eine diesem bislang verborgene und ohne die Berichtigung möglicherweise auch künftig unentdeckt bleibende Steuerquelle zum Sprudeln zu bringen“.14
Die Selbstanzeige ist an keine bestimmte Form gebunden. Auch die Bezeichnung "Selbstanzeige" ist nicht zwingend erforderlich und kommt in der Praxis kaum vor. Zudem muss eine Selbstanzeige nicht persönlich eingereicht werden und auch die Motive zur Abgabe sind unbeachtlich.15 Somit würde beispielsweise ein einfacher Brief oder E-Mail, ein Telefonat oder eine persönliche Vorsprache beim Finanzamt ausreichen. Empfehlenswert ist aus Beweisgründen und den ggf. umfangreichen inhaltlichen Voraussetzungen allerdings immer eine schriftliche Selbstanzeige.16
Die Selbstanzeige kann bei jeder Finanzbehörde abgegeben werden.17 Gem. § 116 AO muss sie nicht gegenüber dem zuständigen Finanzamt erklärt werden. Die Behörden sind verpflichtet die Selbstanzeigen untereinander weiterzuleiten, vgl. § 111 AO. Der Steuerpflichtige sollte hierbei allerdings beachten, dass während der Weiterleitung Sperrwirkung eintreten könnte und die Selbstanzeige somit unwirksam wäre. Dementsprechend würde keine Straffreiheit eintreten.
Strafffreiheit kann nicht einfach so erlangt werden. Um eine strafbefreiende Wirkung genießen zu können, muss ein Steuersünder die Voraussetzungen der Regelung der Selbstanzeige erfüllen. Um Strafffreiheit zu erlangen muss zum einen das Vollständigkeitsgebot erfüllt werden, es darf kein Sperrgrund vorliegen und es muss eine fristgerechte Nachzahlung der Beträge erfolgen.
Der Steuersünder muss ausnahmslos alle bisher nicht versteuerten Einkünfte oder Umsätze offenlegen. Dieses zwingende Vorliegen von vollständigen Angaben ergibt sich unmittelbar aus dem Gesetzeswortlaut. Es werden zeitliche und sachliche Korrekturen verlangt. § 371 Abs. 1 S. 1 AO fordert aus sachlicher Sicht die vollständige Berichtigung sämtlicher Steuerstraftaten zu einer Steuerart. In vollem Umfang bedeutet zudem auch alle versuchten Steuerstraftaten. Die Begrifflichkeit „Steuerart“ bezieht sich auf die jeweilig einschlägigen Steuergesetze. Nach dem EStG erstreckt sich die Steuerart Einkommensteuer auch auf die Lohn- sowie die Kapitalertragssteuer. Aus zeitlicher Sicht fordert der § 371 Abs. 1 S. 2 AO die Offenbarung aller nicht verjährten Steuerstraftaten, mindestens aber die der letzten zehn Jahre.18 Sollte demnach eine einzige Steuerstraftat des 10-Jahres-Zeitraumes vergessen werden, tritt keine Straffreiheit ein. Dies ist für viele Steuerpflichtige ein großes Risiko. Knifflig wird es auch in Erbschaftsfällen. Der Erbe tritt in die Stellung des Erblassers ein und erlangt somit die Pflicht zur Abgabe einer vollständigen Anzeige. Wie aber möchte dieser die Taten des Erblassers der letzten zehn Jahre auflisten können?
Das Finanzamt muss mit den in der Selbstanzeige eingereichten Unterlagen ohne weitere Nachforschungen oder größere Nachfragen, die nachzufordernde Steuer richtig errechnen und eine zutreffende Steuerfestsetzung durchführen können. Dementsprechend muss der Steuerpflichtige dem Finanzamt ausreichend „Material“ und Angaben liefern. Diese Materiallieferung besteht vor allem aus Zahlenangaben. Diese werden nach Art und Umfang der Besteuerungsgrundlagen aufgeführt.19 Nicht ausreichend wären beispielsweise20:
- der Antrag auf eine Außenprüfung
- eine Erklärung, dass eine Steuererklärung falsch sei
- bloße Ankündigung einer Selbstanzeige
- eine gestufte Selbstanzeige (zuerst Erfolg eine Selbstanzeige dem Grunde nach und dann später eine Nachreichung der Höhe)
- die Offenlegung einer bisher verschwiegenen Einkunftsquelle ohne Angaben zu der Höhe der Einkünfte
- Schätzung der Besteuerungsgrundlagen durch den Steuerpflichtigen
- eine stillschweigende Nachzahlung der verkürzten Steuern
Bei einer Steuerhinterziehung durch das Verschweigen von Einnahmen, ist das vollständige Nacherklären dieser stets eine Selbstanzeige. Für eine strafbefreiende Wirkung müssen die weiteren Voraussetzungen vorliegen. In jedem Fall ist die Berechnung der hinterzogenen Steuern durch den Steuerpflichtigen nicht erforderlich. Dies kann auch nicht verlangt werden. Aber seine Pflicht alle entsprechenden Sachverhalte zu offenbaren kann nicht umgangen werden.21
Beispiel
Peter P erklärte bisher keine Einkünfte aus Kapitalvermögen. Nun legt er seinem zuständigen Finanzamt seine Kontounterlagen, Depotauszüge und Erträgnis Bescheinigungen der letzten zehn Jahre vor. Der Finanzbeamte F kann ohne eigenständige Sachverhaltsermittlung eine zutreffende Steuerfestsetzung durchführen.
- P holte die unterlassenen Angaben vollständig nach. F hatte genug Material zur Verfügung, um die Steuer festzusetzen. P erfüllt die Voraussetzung des § 371 Abs. 1 AO.
Weitere Voraussetzung für eine wirksame Selbstanzeige ist, dass kein Ausschluss der strafbefreienden Wirkung aufgrund einer der Sperrgründe gem. § 371 Abs 2 AO vorliegen darf. Das Finanzamt muss echte Erkenntnisse gewinnen, ansonsten verfällt die strafbefreiende Wirkung. Würde es die Sachverhalte bereits kennen oder in Kürze sowieso davon Kenntnis erlangen, dürfen die Steuersünder nicht mehr "belohnt" werden. Somit tritt trotz einer vollständigen Selbstanzeige in den Fällen des § 371 Abs. 2 Nr. 1 und 2 AO keine Straffreiheit ein. In Fällen des § 371 Abs. 2 Nr. 3 und 4 AO tritt keine Straffreiheit aufgrund der besonderen Härte der Steuersünde ein.22 Die Sperrgründe werden unter Tz 2.4 dieser Arbeit gesondert dargestellt.
Dritte und letzte Voraussetzung ist das Vorliegen einer vollständigen und fristgerechten Nachzahlung der hinterzogenen Beträge inklusive der Zinsen nach § 371 Abs. 3 AO. Dies soll ein von außen erkennbares Zeichen der Reue und Buße darstellen.23 Das Finanzamt setzt dem Steuersünder eine Frist um die Beträge die sich steuerrechtlich und nicht strafrechtlich zusammensetzen, nachzuzahlen. Von der Nachentrichtungspflicht sind nur Steuerhinterziehungen die zu eigenem Vorteil begannen wurden betroffen. Steuerhinterziehungen zu Gunsten eines Dritten sind nicht von dieser Pflicht erfasst.24
Beispiel 1:
Der Angestellte A des Unternehmers U leert die Glücksspielautomaten und legt das Geld in die nicht von der Buchführung erfasste Kasse. A erstattet Selbstanzeige beim Finanzamt X.
- A hinterzieht Einkommen- und Umsatzsteuer für U. Durch die Selbstanzeige braucht A keine Steuerbeträge nachentrichten.
Beispiel 2:
Ein angestellter fremder Geschäftsführer G einer GmbH erstattet Selbstanzeige.
- Durch die Selbstanzeige der Körperschaftssteuerhinterziehung muss G keine Körperschaftssteuer nachentrichten. Achtung: Anders wäre dies bei einem Gesellschafter-Geschäftsführer.
Sämtliche Steuerverkürzungen zu einer Steuerart sind mit einer Selbstanzeige zu berichtigen. Dieses Vollständigkeitsgebot ist auch auf die absolut strafbegründenden Ausschlusstatbestände anzuwenden. Nach der Systematik des § 371 Absätze 1 und 2 AO kommt es zur keinen straffreien Wirkung, wenn bei einer der zur Selbstanzeige gebrachten Steuerstraftat ein Sperrgrund nach § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AO bzw. eine der Steuerstraftaten bereits entdeckt war nach § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AO. Folglich werden alle unverjährten Steuerstraftaten der jeweils betroffenen Steuerart erfasst. Das bedeutet, wäre auch nur ein Jahr von einem Sperrgrund betroffen, gelten auch die übrigen Zeiträume derselben Steuerart als von diesem Sperrgrund erfasst. Man spricht von der sogenannten Infektions- oder Virustheorie. Die übrigen Zeiträume der Steuerart werden von dem Ausschlusstatbestand „infiziert“.25
Folgend die Sperrgründe im Einzelnen.
Gem. § 371 Abs. 2 Nr. 1 Bst. a) AO ist nach Anordnung einer Außenprüfung keine Selbstanzeige mehr möglich. Es wird davon ausgegangen, dass bei einer Außenprüfung alle sträflich relevanten Sachverhalte ausnahmslos entdeckt werden. Somit ist die Chance durch Ehrlichkeit noch Straffreiheit zu erlangen dadurch vertan. Die bloße Ankündigung oder Terminabsprache reicht noch nicht als Sperrwirkung aus.26 Die Sperrwirkung tritt mit Bekanntgabe der Prüfungsanordnung gegenüber dem Begünstigten ein und wirkt auch für eventuell vorhandene Anstifter oder Gehilfen. Mit Prüfungsanordnung ist ein Verwaltungsakt nach § 196 AO gemeint. Diese wird vor Beginn einer Außenprüfung erlassen und in ihr ist der zeitliche und sachliche Prüfungsumfang angegeben. Die Sperrwirkung reicht nur in dem, in der Prüfungsanordnung dokumentierten, Prüfungsumfang. Ein Steuersünder kann demnach noch Strafffreiheit durch Selbstanzeige für nicht von der Prüfungsanordnung erfasste Steuerarten oder Veranlagungszeiträume erhalten.27
Beispiel 1
Steuersünder S wird die Prüfungsanordnung einer Umsatzsteuersonderprüfung bekannt gegeben. S hat Lohnsteuer verkürzt und befürchtet, dass dies durch die Prüfung entdeckt wird. Am nächsten Tag nach Bekanntgabe erstattet er Selbstanzeige.
- Da sich die Prüfungsanordnung nur auf die Umsatzsteuer bezieht, tritt keine Sperrwirkung gem. § 371 Abs. 2 Nr.1 Bst. a) AO ein.
Besonders pfiffige Steuersünder wenden Ausweichstrategien an um dem § 371 Abs. 2 Nr.1 Bst. a) AO zu entfliehen. Mit Zustellung der Prüfungsanordnung gilt diese als bekannt gegeben. Für die Zustellung trägt allerdings die Finanzbehörde die Beweislast. Leugnet ein Steuerpflichtiger die Anordnung erhalten zu haben, gilt die Prüfungsanordnung als nicht bekannt gegeben und eine wirksame Selbstanzeige wäre noch möglich. Sollte ein Steuerpflichtiger eine Selbstanzeige nach Erhalt der Prüfungsanordnung abgeben und vorbringen, dass er die Anordnung erst später erhalten habe, liegt er in der Beweispflicht und muss dies nachweisen. Ansonsten gilt die von der Finanzverwaltung anerkannte Bekanntgabefiktion. Hier gilt die Prüfungsanordnung als zugestellt am dritten Tage nach Aufgabe zur Post. Handelt ein Steuersünder schnell und stellt die Selbstanzeige innerhalb dieser fiktiven Bekanntgabefrist weil er die Prüfungsordnung ein Tag vorher erhalten hat, wäre die Selbstanzeige wirksam sofern alle anderen Voraussetzungen vorliegen. Bei einer größeren Steuerhinterziehung wäre dies kaum möglich.28
[...]
1 Referat für Bürgerangelegenheiten (BMF) „Verbesserung der Bekämpfung von Geldwäsche und Steuerhinterziehung“ vom 02.05.2011.
2 vgl. Webel, 3. Auflage 2016, S. 60.
3 vgl. Andrascek-Peter & Braun, 19. überarbeitete Auflage 2014, S. 417.
4 vgl. Prof. Dehner, S. 1f.
5 vgl. Webel, 3. Auflage 2016, S. 63.
6 vgl. Andrascek-Peter & Braun, 19. überarbeitete Auflage 2014, S. 412.
7 vgl. Webel, 3. Auflage 2016, S. 62f.
8 vgl. Dehner, S. 2.
9 vgl. Götzenberger, 2. Auflage 2015, S. 48.
10 vgl. Webel, 3. Auflage 2016, S. 215f.
11 vgl. Götzenberger, 2. Auflage 2015, S. 55.
12 AOÄndG v. 22.12.2014, BGBl. I 2014, 2415 = BStBl I 2015, 55.
13 vgl. Neudert, 2018, S. 53, 55.
14 vgl. Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Bekämpfung von Geldwäsche und Steuerhinterziehung (Schwarzgeldbekämpfungsgesetzes) Teil A.
15 vgl. Eckart C. Hild, 4. Auflage 2016, S. 208.
16 vgl. Neiseke, 2016, S. 80.
17 vgl. Neudert, 2018, S. 55.
18 vgl. Neiseke, 2016, S. 81ff.
19 vgl. Neiseke, 2016, S. 82.
20 vgl. Neudert, 2018, S. 54.
21 vgl. Neudert, 2018, S. 54f.
22 vgl. Neudert, 2018, S. 53, 55.
23 vgl. Neudert, 2018, S. 53.
24 vgl. Neudert, 2018, S. 61.
25 vgl. Neiseke, 2016, S. 132.
26 vgl. Neudert, 2018, S. 56.
27 vgl. Götzenberger, 2. Auflage 2015, S. 127f.
28 vgl. Götzenberger, 2. Auflage 2015, S. 130f.
Bachelorarbeit, 89 Seiten
Diplomarbeit, 104 Seiten
Bachelorarbeit, 69 Seiten
Bachelorarbeit, 89 Seiten
Diplomarbeit, 104 Seiten
Bachelorarbeit, 69 Seiten
Der GRIN Verlag hat sich seit 1998 auf die Veröffentlichung akademischer eBooks und Bücher spezialisiert. Der GRIN Verlag steht damit als erstes Unternehmen für User Generated Quality Content. Die Verlagsseiten GRIN.com, Hausarbeiten.de und Diplomarbeiten24 bieten für Hochschullehrer, Absolventen und Studenten die ideale Plattform, wissenschaftliche Texte wie Hausarbeiten, Referate, Bachelorarbeiten, Masterarbeiten, Diplomarbeiten, Dissertationen und wissenschaftliche Aufsätze einem breiten Publikum zu präsentieren.
Kostenfreie Veröffentlichung: Hausarbeit, Bachelorarbeit, Diplomarbeit, Dissertation, Masterarbeit, Interpretation oder Referat jetzt veröffentlichen!
Kommentare