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Bachelorarbeit, 2019
44 Seiten, Note: 1,3
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
1 Einleitung
2 Theoretische Verortung
2.1 Identitätsbegriff nach Tajfel / Turner 1986
2.2 Soziale Identität und Ausländerfeindlichkeit
2.3 Rassifizierung und Rassismus
2.3.1 Definition und Entstehung
2.3.2 Beschaffenheit von Rassifizierung
2.3.3 Rassismus und Weiße Hegemonie
2.3.4 Postmoderner Rassismus: Leugnung und Dethematisierung
2.4 Kinder und Differenz
2.5 Kindliche Wahrnehmung sozialer Macht: Power-Consciosness bei Kindern
2.6 Soziale Identität und Zugehörigkeitskonzeption von Kindern im Kontext rassifizierter Machtdifferenzen
3 Forschungsstand
3.1 Differenzforschung
3.2 Differenzforschung im pädagogischen und erziehungswissenschaftlichen Kontext
4 Exkurs: Vermittlung von positiven Konstruktionen des Weißseins und negativen Konstruktionen des Schwarzseins in Kinderliteratur
5 Pädagogisches Handeln im Kontext rassifizierter Machtdifferenzen
5.1 Anti-Bias-Ansatz
5.1.1 Definition
5.1.2 Chancen und Risiken
5.1.3 Zwischenfazit
5.2 Konkrete Handlungsempfehlungen
5.2.1 Alltagserfahrungen von Kindern
5.2.2 Das Selbstbild in Beziehung zur Bezugsgruppen-Identität
5.2.3 Schulung des einfühlsamen Umgangs miteinander
5.2.4 Förderung des kritischen Reflektierens
5.2.5 Befähigen, für sich oder andere einzutreten
6 Fazit und Ausblick
Literaturverzeichnis
Abbildung 1 Rechtsextrem motivierte Gewalttaten nach Bundesländern
Abbildung 2 Meme zu Differenzierung im Kindesalter
Identität ist keine statische Größe im Leben eines Individuums, sondern ein Konzept, dass einem lebenslangen Wandlungsprozess unterliegt. Im Laufe einer Biografie stellt sich das Individuum immer wieder zentrale Fragen: „Wer bin ich?“, „Was unterscheidet mich von anderen?“ und im Kontext der vorliegenden Arbeit besonders relevant: „Was unterscheidet die anderen von mir?“
Die Identität eines Menschen ist wandelbar, Veränderungen unterzogen und wird bestimmt und beeinflusst von der Sozialisation eines Individuums, sowie einschneidenden Erlebnissen, Erfahrungen, Beziehungen zu Mitmenschen und erlebten Verhaltensweisen.
Diese Individualität ist es, die unsere Gesellschaft zu einer bunten, vielfältigen und interessanten Gesellschaft macht. Doch können aus den differenten Identitäten auch Vorurteile entstehen, die sich in Form von Rassismus, Gewalt, Ausgrenzung und Mobbing niederschlagen.
Menschen identifizieren sich selbst als „schwarz“ oder „weiß“1, es entstehen rassifizierte Machtverhältnisse und das Konzept von Race gewinnt an Bedeutung. Doch kein Mensch wird mit im Wissen dieses Konzepts geboren. Es stellt sich daher die zentrale Frage, wie Kinder unter den Bedingungen rassifizierter Machtdifferenzen ihre soziale Identität entwickeln und ob Kinder rassifizierte Machtdifferenzen verstehen bzw. sogar selbst aneignen.
„Meike will nicht neben Joshua sitzen und sagt: „Der ist schwarz!“ Timo und Haldun finden, Frauen können keine Piraten sein und werfen die Frauen-Figuren vom Spiel-Piratenschiff. Jasmin und Lennart lassen Mariam nicht mithüpfen: „Iiii, du bist fett!“2
Situationen wie diese treten im Elementarbereich weit häufiger auf, als vermutet. Erzieher und Eltern können nicht (immer) nachvollziehen, worin die Ursache für ein solches auf meist körperlichen Eigenschaften basierendes Ausgrenzen liegt. Umso drängender erscheint die Frage, wie Kinder sich das Konzept „Race“ bzw. „Identität“ aneignen und welches pädagogische Handeln erforderlich ist, um rassifizierte Machtdifferenzen zu verstehen und adäquat reagieren zu können.
An diesem Punkt soll die vorliegende Arbeit ansetzen, um Antworten auf die zuvor gestellten Fragen zu finden. Hierfür soll zunächst eine theoretische Verortung stattfinden, um ein Grundverständnis zu schaffen. Es muss zunächst ein Grundverständnis für den Begriff der Rassifizierung und des Rassismus, sowie die involvierten Prozesse erarbeitet werden, ehe die kindliche Wahrnehmung von sozialer Macht genauere Betrachtung erfährt. Es werden Fragen aufgeworfen wie: „Wie und ab wann nehmen Kinder soziale Macht wahr?“ Als dritte Position im Rahmen der theoretischen Vorüberlegungen soll die Zugehörigkeitskonzeption im Kontext rassifizierter Machtdifferenzen näher erläutert werden und der Frage nachgehen, wie sich Zugehörigkeit zu einer Gruppe entwickelt und wie Kinder diese Zugehörigkeit erleben.
Das dritte Kapitel widmet sich der aktuellen Rassismusforschung in Deutschland und soll einen Überblick über den aktuellen Forschungsstand erarbeiten. Als Vergleichsgröße soll die Rassismusforschung im angloamerikanischen Raum herangezogen werden. Unter anderem wird der Frage nachgegangen, wie positive Konstruktionen von Weißsein und negative Konstruktionen von Schwarzsein in der Kinderliteratur vermittelt werden und ob es „kleine Rassisten“ gibt.
Das vierte Kapitel widmet sich dem pädagogischen Handeln im Kontext rassifizierter Machtdifferenzen und soll aufzeigen, wie durch die sogenannte „Farbenblindheit“ eine Dethematisierung rassistischer Diskriminierung stattfindet und wie dies zu einer Stabilisierung von rassifizierten Machtdifferenzen führen kann. Es soll in einem weiteren Schritt aufgezeigt werden, wie im pädagogischen Kontext dieser Problematik adäquat begegnet werden kann.
Das fünfte Kapitel bildet mit einem Fazit und Ausblick den Abschluss der Arbeit und es soll eine Handlungsempfehlung basierend auf den gewonnenen Erkenntnissen ausgesprochen werden, wie in der pädagogischen Praxis verantwortungsbewusst vorgegangen werden kann, um rassifizierten Machtdifferenzen entgegen zu wirken.
Um zunächst ein Grundverständnis der zentralen Theorien und Begriffe zu erlangen und eine theoretische Verortung vornehmen zu können, soll das folgende Kapitel grundlegende Konzepte vorstellen und erörtern.
Der vorliegenden Arbeit zugrunde liegt insbesondere der identitätstheoretische Ansatz nach Tajfel und Turner. Nach der Theorie der Sozialen Identität (SIT, engl. social Entity theory) „bestimmt sich die soziale Identität durch das Wissen einer Person, einer oder mehreren Gruppen anzugehören, und der jeweiligen emotionalen Bedeutung dieser Zugehörigkeit[.]“3 Die soziale Gruppe wird als Wahrnehmungskategorie verstanden, zu der ein Individuum eine emotionale Beziehung bzw. Verbindung aufbaut.
Die Gruppe ist „a collection of individuals who perceive themselves to be members of the same social category, share some emotional involvement in this common definition of themselves, and achieve some degree of social consensus about the evaluation of their group and of their membership in it.”4 Interessant ist dies, da sich der Gruppenbegriff der SIT damit grundlegend von dem anderer Ansätze unterscheidet. Die SIT setzt keine direkten Kontakte zwischen Mitgliedern einer sozialen Gruppe voraus, um von einer solchen sprechen zu können. „Vielmehr geht es um einen subjektivistischen Gruppenbegriff, der Gefühle der Zugehörigkeit betont, gleichzeitig den Gruppenbegriff jedoch so weitet, dass er auch jene Personen umfasst, zu denen kein wechselseitiger Kontakt besteht.“5
Bedingt durch dieses erweiterte Verständnis sozialer Gruppen können auch z.B. nationale oder regionale Identitäten abgedeckt werden. Darüber hinaus umfasst die SIT auch sogenannte Quasi-Gruppen, „d.h. unabhängig davon, ob eine Gruppe wirklich existiert oder nicht, sie wird für den Akteur real als geglaubte Gruppe[.]“6 Von einer Gruppe wird also bereits dann im Sinne der SIT gesprochen, wenn ein Individuum sich als ein Mitglied einer solchen empfindet.
Due Theorie der Sozialen Identität versucht zu erklären, warum auf Grundlage einer bestimmten Gruppenzugehörigkeit Machtdifferenzen und Gewaltakzeptanz entstehen können. „Die SIT sagt voraus, dass eine soziale Identität, d.h. die Wahrnehmung der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe und deren positive Bewertung, zu einer negativen Einstellung und zu diskriminierenden Verhaltensweisen gegenüber einer Fremdgruppe führt.“7
Nach Tajfel und Turner8 dient eine Gruppe als Referenzobjekt der Identifikation. Dieser Gruppe werden positive Merkmale zugeschrieben. Die Fremdgruppe hingegen wird mit negativen Merkmalen assoziiert. Nicht immer werden Gruppenidentitäten gegeneinander aufgewogen, sodass nicht per se ein Machtgefälle bzw. eine Differenz entsteht. „[E]ine Person mit einer sozialen Identität hat nur dann „Ausländern“ gegenüber negative Einstellungen oder wird gewalttätig, wenn diese Gruppe für ihn eine relevante Vergleichsgruppe bildet.“9 So entsteht z.B. ein Gruppenkonflikt zwischen Ostdeutschen und Westdeutschen, Weißen und Schwarzen oder Migranten und Einheimischen, wohingegen andere Gruppenkonstellationen keinen solchen Konflikt provozieren.10
Die soziale Identität einer auf Nationalität basierenden Gruppe kann stets je nach historischem oder politischen Kontext variieren. „Die Situation in der Bundesrepublik ist gegenwärtig durch Verunsicherung ehemals tradierter sozialer Identitäten gekennzeichnet[.]“11 Diese Verunsicherung zeigt sich in verschiedenen Aspekten und auf verschiedenen Ebenen: Zum einen stellt sich in Deutschland häufig die Frage nach den Auswirkungen der deutschen Wiedervereinigung und der damit einhergehenden Frage nach Identität. Darüber hinaus steht Deutschland im Zentrum einer europäischen Identitätsbildung im Zuge des europäischen Einigungsprozesses. Zudem steigt die Zahl der Zuwanderungen, sodass Identitäten anderer nationaler Kontexte nach Deutschland migrieren und so ein weiteres Spannungsfeld entstehen kann bzw. entsteht.12
Wie grundlegend diese Verunsicherung basierend auf den zuvor genannten Spannungsfeldern der Identität sein kann, zeigt sich in einer Statistik des Statistischen Bundesamtes von 2015 (Siebe Abb. 1) Die ehemaligen der DDR zugehörigen Bundesländer zeigen signifikant mehr rechtsextreme Gewalttaten als insbesondere der Süden des Landes. Auch das Ruhrgebiet zeigt Auffälligkeiten. Beides kann mit den oben genannten Aspekten erklärt werden: In Ostdeutschland besteht eine Verunsicherung aufgrund aller drei genannter Identitätskonflikte, hier ist die Zahl rassistisch motivierter Gewalttaten besonders hoch im bundesweiten Vergleich. Das Ruhrgebiet wiederum ist nicht von der Ost-West-Verunsicherung betroffen, weist jedoch einen hohen Anteil an Migranten auf, sodass auch hier bestimmte Konfliktbrennpunkte entstehen können.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1 Rechtsextrem motivierte Gewalttaten nach Bundesländern13
Aus diesen Überlegungen lässt sich bereits eine erste grundlegende Annahme schlussfolgern: Die eigene soziale Identität, sowie die Verunsicherung derselben steht in hohem Maße im Zusammenhang mit Rassismus und Ausländerfeindlichkeit.
„Rassifizierung bezeichnet die Prägung von Identitäten durch Konstruktionen von Rasse. Rassifizierung kann in einer dreifachen Ausrichtung als Prägungsprozess, Konstruktionsprozess und Vermittlungsprozess rassenspezifischer Differenz verstanden werden.“14
Hierin ergibt sich ein besonders nennenswerter Prozess der Rassifizierung, der für das Verständnis und eine adäquate Begegnung im pädagogischen Feld zu erkennen notwendig ist: Es handelt sich um eine Art Kreislauf; die Andersheit bestimmter rassistisch markierter Gruppen wird nicht allein durch die Rassifizierung vermittelt, sondern dieser Prozess wiederum bringt Rassifizierung hervor und konstruiert diese erneut. „Mittels Rassifizierung als Prägungsprozess werden soziale Praktiken und soziale Strukturen durch Bedeutungskonstruktionen von Rassenzugehörigkeit aufgeladen. Diese Prägung wird zum größten Teil symbolisch durch kulturelle Mechanismen vermittelt und innerhalb gesellschaftlicher Interaktionen ausagiert.“15
Eggers definiert Rassifizierung als ein gesellschaftliches Vertragsverhältnis. Sie bezieht sich dabei auf ein philosophisches Konzept, welches der Gesellschaft einen „Vertrag“ zugrunde legt. Dieser Ansatz geht davon aus, dass der Gesellschaft die Zustimmung aller mündiger und gleichberechtigter Bürger zugrunde liegt. „Die Gründung von Staaten und die für die Einzelnen damit einher gehenden Rechte und Pflichten entstammen demgemäß einer Vereinbarung, die gesellschaftliche Gegebenheiten auf eine bestimmte Weise zu regeln.“16 In diesem Zusammenhang wird von einem sogenannten Gesellschaftsvertrag gesprochen.
Problematisch ist jedoch, dass die soziale Realität von Ungleichheiten bestimmt und durchzogen wird. Die Theorie des gesellschaftlichen Vertrages wurde daher von Philosophen wie Rousseau insofern angepasst, dass ein nicht-ideales Vertragsverhältnis definiert wurde. Der Philosoph argumentiert 1755 in seinem Discourse on Inequality, dass die voranschreitende Entwicklung und die damit einhergehenden ungleich verteilten Ressourcen eine zunehmende gesellschaftliche Ungleichheit begünstigen. Es entstehen Statusunterschiede, die wiederum die Notwendigkeit schaffen, dass diese Unterschiede ideologisch legitimiert werden müssen. „Dieses führe dann zwangsläufig zu einem auf Ungleichheit und Macht gestützten System der Ausbeutung und zu Mechanismen und Verhaltensweisen, deren Ziel der Erhalt von Besitz ist.“17
Resultat dieser Entwicklung ist die Erschaffung einer geteilten Gesellschaft, in der Reichtum und Ressourcen ungleich verteilt sind. „Der nicht-ideale Vertrag von Rousseau soll die Entstehung einer ausbeuterischen und ungerechten Gesellschaft beschreiben, die durch eine unterdrückende Regierung regiert und durch einen unmoralischen bzw. vielmehr unethischen Kodex reguliert wird.“18 Zwei der Hauptbeispiele dieser nicht-idealen Verträge sind der Sexual Contract und der Racial Contract.
Der Sexual Contract zielt darauf ab, dass der soziale Vertrag geschlechtsneutral gedacht, jedoch nicht praktiziert wird. Es herrscht eine maskuline Dominanz vor und die Strukturen werden dementsprechend zuungunsten einer Personengruppe verschoben. Für die vorliegende Arbeit hingegen ist der Racial Contract zentral. Der Begründer des Begriffs des Racial Contract, Charles W. Mills, definiert das Konzept folgendermaßen:
„The Racial Contract is that set of formal or informal agreements or meta-agreements [...] between the members of one subset of humans, henceforth designated by (shifting) “racial” (phenotypical / genealogical / cultural) criteria C1, C2, C3 ... as “white,” and coextensive [...] with the class of full persons, to categorize the remaining subset of humans as “nonwhite” and of a different and inferior moral status, subpersons, so that they have a subordinate civil standing in the white or white-ruled polities the whites either already inhabit or establish or in transactions as aliens with these polities, and the moral and juridical rules normally regulating the behaviour of whites in their dealings with one another either do not apply at all in dealings with nonwhites or apply only in a qualified form, but in any case the general purpose of the Contract is always the differential privileging of the whites as a group with respect to the nonwhites as a group, the exploitation of their bodies, land, and resources, and the denial of equal socioeconomic opportunities to them.”19
Dies bedeutet also, dass im Rahmen des Racial Contracts ein allgemeines Einverständnis darüber vorliegt, dass Menschen aufgrund ihrer „rassischen“ Eigenschaften (äußerlich, genetisch, kulturell) in „weiß“ und „nichtweiß“ unterschieden werden können. Den als „nichtweiß“ definierten Menschen kommt in der Gesellschaft eine untergeordnete Rolle bei, sodass sie – im Gegensatz zu als „weiß“ eingestuften Menschen – u.a. sozioökonomische Ungerechtigkeit und Ausbeutung erfahren. Der Racial Contract wird nicht unter Berücksichtigung der „Non-Whites“ geschaffen, sondern von den „Whites“ diktiert. Insofern werden nichtweiße Menschen zu Objekten des Vertrags herabgewürdigt.
Mills und Terkessidis führen weiterhin an, dass die europäische Moderne im „Einklang“ mit Rassifizierung entstand bzw. diese sogar hervorbrachte. Sie kommen zu dem Schluss, „dass dieselben Instanzen, die die Moderne hervorbrachten, auch Rassifizierung als Institution produzierten.“20
Aus sozialpsychologischer Sicht ist Rassifizierung die Art, wie Menschen über Rassezugehörigkeiten denken. „Dies beinhalte, wie wir mit Menschen auf der Basis ihrer wahrgenommenen Rassenzugehörigkeit unterschiedlich umgehen.“21 Dies ist nicht allein auf persönlicher Ebene zu sehen, sondern auch und vielmehr noch auf institutioneller. Wie beeinflusst die Rassezugehörigkeit etwa Arrangements und Entscheidungen in der Praxis von Institutionen? Werden rassespezifische oder rassifizierte Unterschiede aufrechterhalten oder gar verstärkt?22 Diese rassifizierte Prägung der Gesellschaft wird in der Regel „mittels kultureller Tradition orchestriert und rationalisiert.“23 Die Kultur wird also als ein organisierendes Prinzip betrachtet, das Wahrnehmung, Interpretation und Verhalten normiert.
Rassifizierung wird innerhalb dieser Kultur als eine Art Kategorisierungsprozess verstanden, bei der Menschen in Gruppen kategorisiert werden, nämlich „white/weiß“ und „nonwhite/nichtweiß“.
Nach Terkessidis werden diese Kategorisierungen auf Basis heterogener Elemente vorgenommen:24
a) morpho-physiologische Faktoren: können sichtbar sein, sind natürlich und evident, geeignet um Gruppen aufgrund gemeinsamer Unterschiede zu unterscheiden
b) soziologische Faktoren: Sprache, Wirtschaftssysteme, Kultur, Kleidung, Ernährung, Gewohnheiten, usw.
c) symbolische / geistige Kennzeichen: politische Praktiken, Einstellungen, kulturelle und religiöse Verhaltensweisen, Lebensauffassungen
d) imaginäre Kennzeichen: phantasmatische Vorstellungen von okkulter Macht, i.a.
Auf Basis dieser Faktoren kommt Terkessidis zu dem Schluss, dass „Rasse“ nicht mehr im engeren Sinne aufgefasst werden muss. Es kommt zu einer Verschiebung „von somatisch zu kulturell definierten Bedeutungsträgern“25 Der Prozess der Rassifizierung bzw. der Kategorisierung ist dabei keinesfalls von neutraler Natur, sondern stets wertend und besitzt eine bestimmte Funktion. Diese ist oftmals Ausdruck von Macht und Dominanz zwischen bestimmten rassifizierten Gruppen. Die Merkmale wiederum, nach denen eine Rassenkonstruktion stattfindet, sind variabel und insbesondere im Verlaufe der Geschichte haben sich diese Merkmale immer wieder verschoben und verändert.
Da diese Merkmale willkürlich gewählt wurden und durchaus andere körperliche Merkmale, wie etwa die Farbe der Augen, die Größe der Hände, i.a., zu einer entsprechenden Kategorisierung hätten führen können, spricht Miles nicht von einer Differenzierung auf Basis biologischer Realitäten. „Rasse“ ist stattdessen eine Kategorisierung basierend auf gesellschaftlicher Fiktion.
Butterwegge beschreibt Rassismus als einen Prozess, der Hierarchien erzeugt, die natürlich erscheinen aber dennoch konstruierter Natur sind. Es erfolgt eine Machtausübung der dominanteren Gruppe über eine oder mehrere andere Gruppen. Durch den Anschein einer natürlich gegebenen Unterscheidung „wird die materielle Ausbeutung, gesellschaftliche Ausgrenzung und im Extremfall auch die physische Ausrottung legitimiert.“26
„Wie der Sexismus ist Rassismus eine Form des soziobiologischen Reduktionismus, der bestehende Herrschaftsverhältnisse durch ihre vordergründige Neutralisierung hypostasiert, entpolitisiert und enthistorisiert. So verstanden sind Rassen kein biologisches oder Naturprodukt, vielmehr ein ideologisches Konstrukt, das sowohl der Reduktion gesellschaftlicher Komplexität als auch der Legitimation und der Reproduktion dieser Realität dient.“27
Das Konzept dieser Rassenkonstruktion ist die Grundlage für Rassifizierung und somit wiederum die Grundlage für eine rassiale Hierarchie. Diese Hierarchie ist zwar nicht mehr so dominant, wie sie es historisch betrachtet war, dennoch ist sie nach wie vor wirksam und bestimmend.
Ich folge der erweiterten Definition nach Eggers, wonach das Konzept der Rassekonstruktion erweitert wird, „um alle Gruppen zu bezeichnen, die auf Grundlage von Rassifizierung zu „naturgegebenen“, natürlichen Einheiten konstruiert werden. Alle Bevölkerungsgruppen, die also vor dem Hintergrund einer weißen Norm als „Andere“ konstruiert werden, fasse ich demnach als rassifiziert auf.“28
Das vorangegangene Kapitel hat gezeigt, dass der Begriff Rasse nicht auf biologische Tatsachen zurückgeführt werden kann, sondern vielmehr ein gesellschaftliches Konstrukt darstellt. Der Rassismus existiert also defacto ohne Rasse. „Der Umstand, dass es [...] Rassismus ohne Rassen gab und gibt, verweist darauf, dass dessen Diskriminierungspotenzial einen kulturellen Kern hat[.]“29
Hall zufolge geht es „beim Rassismus um die Markierung von Unterschieden, die man dazu braucht, um sich gegenüber anderen abzugrenzen, vorausgesetzt diese Markierungen dienen dazu, soziale, politische und wirtschaftliche Handlungen zu begründen, die bestimmte Gruppen vom Zugang zu materiellen und symbolischen Ressourcen ausschließen und dadurch der ausschließenden Gruppe einen privilegierten Zugang sichern.“30 Entscheidend ist, nach Hall und Rommelspacher, dass die Kriterien willkürlich gewählt und gebildet werden (wie bereits im vorangegangenen Kapitel genannt) und dass eine Zielsetzung bei der Einteilung verfolgt wird.
Als ein Beispiel, wie diese Zielsetzung aussehen kann, führt Rommelspacher den Kolonialismus an. Die Funktion der Rasse-Konstruktion und der Rassifizierung war es, die schwarze Bevölkerung als „primitiv“ und „unzivilisiert“ zu etablieren um so Ausbeutung und Versklavung zu rechtfertigen. „Eine solche Legitimation war vor allem deshalb geboten, weil die Zeit der kolonialen Eroberungen auch die Zeit der bürgerlichen Revolutionen und der Deklaration der Menschenrechte war.“31 Das bedeutet also, dass die Versklavung von Menschen in dieser Zeit und in diesem gesellschaftlichen historischen Rahmen durchaus besonders fragwürdig war und die Europäer sich somit in Erklärungsnot befanden, warum sie einer Menschengruppe den Status des Menschseins und somit das Recht auf dieselben Menschenrechte, die die Europäer für sich deklarierten, absprachen, „obwohl sie doch gerade alle Menschen zu freien und gleichen erklärt hatten.“32
Aus diesem Grund spricht Rommelspacher auch von einer Legitimationslegende. Rassismus also als ein Werkzeug, um die Ungleichbehandlung von Menschen in Einklang mit Menschenrechten zu bringen und dies „rational“ zu erklären.
Die koloniale Eroberung ist der Prototyp des Rassismus, „indem biologische Merkmale, in diesem Fall vor allem die Hautfarbe zur Markierung der Fremdgruppe verwendet und mithilfe dieser Konstruktion ihren Mitgliedern eine bestimmte „Wesensart“ zugeschrieben wurde. Auf diese Weise wurden soziale Differenzen neutralisiert “33.
Es darf also keinesfalls darüber hinweggetäuscht werden, dass es sich um einen gesellschaftlichen Prozess handelt, „der nicht nur strukturelle und ideologische Dimensionen hat, sondern durch soziales Handeln immer wieder neu hergestellt werden muss.“34
Rassismus darf insofern keinesfalls als ein statisch existentes Phänomen aufgefasst werden, sondern muss als ein Prozess begriffen werden, der innerhalb einer Gesellschaft existiert und von dieser immer wieder reproduziert wird. Das bedeutet auch, dass die Rahmenbedingungen sich ebenso wie die Merkmale, die zur Rassifizierung angelegt werden, stets verändern können und keine statische, sondern eine äußerst dynamische Natur aufweisen.
Hund verweist zudem darauf, dass Rassismus als wechselseitiges Verhältnis verstanden werden muss. Rassismus ist nicht allein die rassistische Zuschreibung eines passiven Opfers, sondern vielmehr entwickeln sich Strategien des Verweigerns, des Ertragens oder des Widerstandes. „Schon deswegen muss Rassismus als soziales Verhältnis begriffen und diskutiert werden.“35
[...]
1 Selbstverständlich gibt es keine „schwarzen“ oder „weißen“ Menschen. Es handelt sich um abstrakte Begriffe für Personen mit jeweils charakteristischer Hautpgimentierung, die so individuell ist wie die Personen selbst. Hier und im Folgenden soll jedoch aus Einfachheit in den abstrakten Kategorien gesprochen werden.
2 Wagner 2001: 22.
3 Skrobanek 2004: 358.
4 Tajfel / Turner 1986: 15.
5 Skrobanek 2004: 359.
6 Skrobanek 2004: 358.
7 Skrobanek 2004: 358.
8 vgl. Tajfel / Turner 1986.
9 Skrobanek 2004: 359.
10 vgl. Skrobanek 2004: 359.
11 Skrobanek 2004: 360.
12 vgl. Skrobanek 2004: 360.
13 Statistisches Bundesamt, zitiert nach DW 2019.
14 Eggers 2005: 78.
15 Eggers 2005: 78.
16 Eggers 2005: 81.
17 Eggers 2005: 81.
18 Eggers 2005: 82.
19 Mills 2014: 11.
20 Eggers 2005: 83.
21 Eggers 2005: 91.
22 vgl. Eggers 2005: 91.
23 Eggers 2005: 91.
24 vgl. Eggers 2005: 92
25 Eggers 2005: 93.
26 vgl. Eggers 2005: 94.
27 Butterwegge et al. 1993: 191.
28 Eggers 2005: 94.
29 Hund 2015: 9.
30 Rommelspacher 2009: 25.
31 Rommelspacher 2009: 25.
32 Rommelspacher 2009: 25f.
33 Rommelspacher 2009: 26.
34 Hund 2015: 10.
35 Hund 2015: 10.
Pädagogik - Berufserziehung, Berufsbildung, Weiterbildung
Masterarbeit, 122 Seiten
Bachelorarbeit, 87 Seiten
Bachelorarbeit, 66 Seiten
Bachelorarbeit, 82 Seiten
Pädagogik - Berufserziehung, Berufsbildung, Weiterbildung
Masterarbeit, 122 Seiten
Bachelorarbeit, 87 Seiten
Bachelorarbeit, 66 Seiten
Bachelorarbeit, 82 Seiten
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