Bachelorarbeit, 2017
43 Seiten, Note: 1,7
1 Einleitung
1.1 Aktualität und Problemstellung
2 Die Arktis
2.1 Geographie
2.2 Klima und Ökologie
2.3 Historisches Interesse an der Region
2.4 Bevölkerung
3 Theoretischer Hintergrund
3.1 Neorealismus
3.2 Neoliberalismus
3.3 Klimawandel und Konflikt
4 Internationale Kooperation
4.1 Vereinte Nationen
4.2 Arktischer Rat
4.3 NATO
5 Analyse der Entwicklung in der Region und Szenarienbildung
5.1 Eiswüste
5.2 Regulierte Kooperation
5.3 Unregulierte Ressourcenkonkurrenz
5.4 Naturreservat
6 Hauptkonfliktlinie NATO und Russland
7 Schlussfolgerungen
8 Literatur
Abbildung 1:Sozio-ökologisches System
Abbildung 2:Effekte von Klimaveränderungen auf moderne Konflikte
Abbildung 3: Darstellung möglicher zukünftiger Szenarien
Abbildung 4:Projektion zukünftiger Entwicklung der Situation
Abbildung 5: Projektion zukünftiger Entwicklung der Situation
Abbildung 6: Projektion zukünftiger Entwicklung der Situation
Abbildung 7: Wahrscheinliche zukünftige Entwicklung der Situation
“Die Arktis ist russisch” (“The Arctic is Russian” Vgl. Åtland 2011: 270) postulierte das Duma-Mitglied Artur Chilingarov, nachdem zwei russische Forschungsunterseeboote im Jahr 2007 eine russische Flagge auf dem Meeresboden am geografischen Nordpol platzierten, was ein gewaltiges Medienecho auslöste (Vgl. Amann 2016). Auch aufgrund dieser Aussage wurden Befürchtungen laut, dass die Arktis zum Präzedenzfall eines klimawandelinduzierten Ressourcenkonflikts werden könnte. Ein „Kampf um die Arktis“ könnte gar entbrennen (Vgl. Deutsche Welle 2013). Einige Akteure haben bereits begonnen spezielle arktische Militäreinheiten auszubilden und es bleibt fraglich ob diese Anstrengungen ausschließlich zivilen Zwecken dienen. Ein komplexes Interessensgefüge existiert in einem Spannungsfeld aus vier NATO-Anrainerstaaten (Dänemark, Kanada, Norwegen, Vereinigte Staaten von Amerika) und Russland, welches erst durch die regionalen Effekte des Klimawandels entstehen konnte. Dieser schreitet immer schneller voran, und in einigen Regionen des Globus werden erste Effekte spürbar. Die am stärksten betroffene Region ist zweifellos die Arktis. Die messbaren Folgen des Klimawandels in der Arktis werden den regionalen Auswirkungen der Erderwärmung zugerechnet. Zu diesen zählen ansteigende Lufttemperaturen, tauende Permafrostböden an den Rändern der Arktis und das Zurückweichen der Gletscher. Diese schreiten nahezu doppelt so schnell wie im weltweiten Durchschnitt voran. Von herausragender Bedeutung ist jedoch das Abschmelzen des Meereises. Erst durch ein Zurückweichen der Eisfläche und einer zunehmend dünner werdenden Eisdecke wird es wirtschaftlich und technisch möglich sein, in der Arktisregion Bodenschätze zu fördern und Handelsrouten einzurichten. Durch neue Erschließungsmöglichkeiten steigt gleichzeitig das Interesse der Anrainerstaaten die Wege und die regionale Sicherheitslage zu kontrollieren.
Vor dem Hintergrund ein Wiederaufflammen des Kalten Krieges am Nordpol zu verhindern, sagte Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier 2014: „Klimapolitik ist vorausschauende Sicherheitspolitik” (Steinmeier 2014). Auch der Hohe Repräsentant und die Kommission der Europäischen Union haben im März 2008 vor einer „sich ändernden geostrategischen Dynamik der Region mit potentiellen Konsequenzen für die internationale Stabilität und europäische Sicherheitsinteressen“ (Gloser 2009) gewarnt.
In der vorliegenden Arbeit wird zu ergründen versucht, ob die arktischen Zukunftserwartungen aufgrund aktueller Spannungen zwischen den NATO- Anrainerstaaten und Russland angepasst werden müssen. Dazu stellt sich folgende Forschungsfrage: Wird aufgrund des Klimawandels eine Veränderung der (sicherheits-) politischen Situation in der Arktis stattfinden? Um dies leisten zu können, findet zunächst eine deskriptive Darstellung der vergangenen und aktuellen Lage in der Region (Abschnitt 2) statt.
Als theoretische Basis (Abschnitt 3) dienen die Theorien des Neorealismus und des Neoliberalismus der Internationalen Beziehungen. Die Theorie des Neorealismus wird betrachtet, da diese die Konfliktpotentiale in der Arktis besonders gut erklären kann. Die Theorie des Neoliberalismus erklärt die Bildung von internationalen Organisationen und ihre Funktionsweise (Abschnitt 4), welche in den folgenden Abschnitten tiefergehend betrachtet werden. Die Analyse der zukünftigen Entwicklung der Region (Abschnitt 5) wird unter Zuhilfenahme von Expertenmeinungen und Strategiepapieren (policy-papers) der Anrainerstaaten durchgeführt.
Im Jahr 2014 gab die Ukrainekrise, in der öffentlichen wie der politikwissenschaftlichen Diskussion, Anlass die außenpolitischen Interessen Russlands besonders genau zu beobachten. In Abschnitt 6 wird daher die besondere Situation zwischen den NATO-Staaten und Russland untersucht.
Eine abschließende Bewertung aggregiert die gewonnenen Erkenntnisse, wagt einen Ausblick und stellt dar, welches mögliche zukünftige Entwicklungsszenario eintreten könnte.
Das Gebiet der Arktis kann sowohl über klimatische und vegetationsgeografische Kriterien, als auch über Isothermenlinien definiert werden. Geografisch umfasst die Arktis alle See- und Landgebiete nördlich des arktischen Polarkreises bei 66°33’ nördlicher Breite. Die Arktis wird von den nördlichen Rändern der Kontinente Nordamerika, Asien und Europa begrenzt. Es existieren acht Anrainerstaaten (A8), deren Landflächen sich mit derjenigen der Arktis überschneiden. Diese sind Dänemark, Kanada, Norwegen, die Russische Föderation, die Vereinigten Staaten von Amerika, Island, Schweden und Finnland. Mit dem Jahreszeitenwechsel variiert die Ausdehnung der Eisfläche und somit die Gesamtfläche der Arktis, doch bleibt zum aktuellen Zeitpunkt ein zentrales Gebiet in der Hocharktis stets von Eis und Schnee bedeckt (Vgl. Notz 2011: 24 und Comiso 2008: 2). Von den arktischen Anrainerstaaten verfügen Finnland, Island und Schweden über keinen direkten Küstenzugang zum Nordpolarmeer (Finnland, Schweden) oder sind zu weit davon entfernt (Island). Deshalb werden diese Staaten, obwohl sie den Polarkreis berühren, nicht der Gruppe der „Arktischen Fünf“ (A5) zugeordnet.
Seit nunmehr über 50 Jahren kann eine Verringerung der arktischen Eisfläche beobachtet werden (Vgl. Comiso 2008). Innerhalb der letzten Jahrzehnte wurde eine drastische Zunahme der Veränderungsgeschwindigkeit festgestellt, deren Hauptursache die globale Erderwärmung ist (Vgl. Notz 2011: 29). Die in den Sommermonaten stark zurückgehenden Eisflächen haben eine Veränderung der geoökologischen Situation zur Folge. An keinem anderen Ort auf der Erde können die direkten Einflüsse des Klimawandels derart deutlich beobachtet werden wie in der Arktis. Die Jahresdurchschnittstemperatur stieg in der Region in den vergangenen 100 Jahren um 1,8°C im Mittel an. An einigen Orten in Kanada und Alaska konnten sogar Werte zwischen 3°C und 4°C innerhalb von 50 Jahren gemessen werden (Vgl. PlgABw 2014: 8). Auf Grundlage dieser Werte kann festgestellt werden, dass sich der Klimawandel zum aktuellen Zeitraum in der Arktis nahezu doppelt so intensiv vollzieht, wie im globalen Durchschnitt (Vgl. Rahmstorf 2012: 58). Durch die Erwärmung verändert sich besonders die Ausbreitung der schwimmenden Eisfläche. Dafür ist auch der sogenannte „Eis-Albedo-Rückkopplungseffekt“ verantwortlich. Dieser Effekt beschreibt das schnellere Abtauen des Meereises, umso mehr umliegendes Meereis bereits abgeschmolzen ist. Da auf dem Wasser schwimmendes Eis mehr Sonnenlicht, und somit Wärme, reflektiert führt eine Verringerung dieser Fläche auch zu einer schnelleren Erhöhung der Temperatur, was wiederum das Abschmelzen des verbleibenden Meereises verstärkt (Vgl. Curry 1995). Der Volumenschwund setzt sich aus der Flächenverminderung und der Abnahme der Dicke des Eises zusammen. Aktuelle Forschungsergebnisse zeichnen verschiedene zu erwartende Szenarien ab. Manche Studien schätzen, dass im Sommer des Jahres 2020 das arktische Meereis vollkommen verschwunden sein könnte (Vgl. Casagrande 2016). 2007 veröffentlichte jedoch das Intergouvernemental Panel on Climate Change (IPCC), eine Studie, die ein vollkommenes Abschmelzen nicht vor dem Jahr 2090 prognostiziert (Vgl. IPCC 2007). Die meisten aktuellen Untersuchungen benennen den Zeitraum zwischen 2030 und 2050 in welchem mit eisfreien Sommern am geogr. Nordpol zu rechnen sei (Vgl. PlgABw 2014: 8 und Bartsch 2015: 13). Die Veränderungen der schiffbaren Wegstrecken ermöglichen eine Erhöhung des Verkehrsaufkommens, welches mit Implikationen für arktische Lebensräume einhergeht. Ganzjährig künstlich freigehaltene Fahrrinnen, einhergehend mit Geräusch- und Umweltbelastungen durch den erhöhten Schiffsverkehr, bedeuten für Meeres- und Landlebewesen eine erhebliche Belastung, welche das empfindliche Ökosystem in der Region aus dem Gleichgewicht bringen kann (Vgl. Clarke 2003). Darüber hinaus sind die Risiken einer Havarie durch ein erhöhtes Verkehrsaufkommen größer, und die Möglichkeiten einer geeigneten Reaktion aufgrund der Entfernungen und logistischen Möglichkeiten beschränkt. Die Begleitrisiken einer ausgeweiteten Ressourcenausbeutung in der Region sind zum aktuellen Zeitpunkt nicht abzuschätzen (Vgl. Clarke 2003), doch potentiell als bedeutsam einzustufen. Da die Eigenschaften der Region mitsamt ihren ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Unterschieden variieren stark. Die agierenden Staaten messen der Arktis eine unterschiedliche Bedeutung bei. Diese basiert auch auf Grundlage des in der Region beheimateten Bevölkerungsanteils der jeweiligen Nation.
Mit heutigen Methoden kann eine Besiedelung der Region auf bis zu 12.000 Jahre zurückdatiert werden. Erste dauerhafte Besiedelungen fanden in Nordkanada und Sibirien mit der vornehmlichen Intention des Pelzhandels statt. Derzeit bevölkern ca. 4 Mio. Menschen die Arktis, von welchen schätzungsweise zehn Prozent indigene Wurzeln haben (Vgl. Bogoyavlensky 2004 und PlgABw 2014: 30). Die Bevölkerungsanteile der in der Arktis lebenden Bürger betrugen im Jahr 2004 beispielsweise für Kanada 0,4%, 0,2% für die Vereinigte Staaten von Amerika und 10% für Norwegen (Vgl. Bartsch 2015). Auf Grundlage des jeweiligen Bevölkerungsanteils, verfolgen die Akteure ihre Arktispolitik mit verschieden großer Aufmerksamkeit und Intensität. Darüber hinaus sind auch historische Faktoren relevant, um das Interesse der Staaten zu untersuchen.
Zwischen dem 17. und 20. Jahrhundert war der Robben- und Walfang in der Arktis ein bedeutender Wirtschaftszweig (Vgl. PlgABw 2014: 4). Nachdem Waltran zur Mitte des 20. Jahrhunderts als Lampenöl und Schmiermittel ausgedient hatte, nahm die wirtschaftliche Bedeutung der Region genauso schnell wieder ab, wie sie zuvor zugenommen hatte. Die unwirtlichen klimatischen Bedingungen ließen zum damaligen Stand der Technik keine alternative ökonomische Aktivität im Hohen Norden zu. Die Sowjetunion erkannte die strategische Bedeutung der Arktis früh und erklärte 1926 eine Fläche von 6 Mio. Quadratkilometer zum eigenen Hoheitsgebiet (Vgl. Haftendorn 2012: 4). Zu Zeiten des Kalten Krieges stellte die Region, aufgrund der geographischen Nähe der beiden Machtblöcke in der Arktis, ein militärisch extrem sensibles Gebiet dar (Vgl. Lindsey 1989) und war für die konkurrierenden Mächte von zentraler Bedeutung (Vgl. Sawhill 2000: 22). Die Aufrüstung in der Region war mit großer Unsicherheit und hohem finanziellen Aufwand verbunden. Gleichzeitig war die Arktis der erste Ort, an welchem sich die Situation zuerst zu entspannen begann. Zunächst kooperierten die Supermächte in soft-power-Bereichen, wie der Abwendung von Umweltgefahren. Es konnten mehrere Regime, wie beispielsweise das „Agreement on the Conservation of Polar Bears“ geschlossen werden (Vgl. The Governments of Canada, Denmark, Norway and the Union of Sowjet Socialist Republics and The United States of America 1973). Anschließend fand nach dem Zerfall der Sowjetunion eine Phase der Abrüstung in der Arktis statt. Die Region im Hohen Norden galt als Ideal einer friedlichen, inklusiven und konstruktiven Kooperation, deren Konfliktlösung ausschließlich durch diplomatische Möglichkeiten stattfand (Vgl. Etzold 2015: 2). Diesem Trend entgegenwirkend stellt die erneute Militarisierung in den vergangenen 10 Jahren für die arktischen Staaten eine große Herausforderung dar.
Um die komplexen Vorgänge und Interessenlagen in der Region untersuchen zu können, ist es notwendig eine kompakte theoretische Grundlage zu schaffen. In der vorliegenden Arbeit wurde sich auf zwei grundlegende theoretische Theorien gestützt, welche Basis für die Analyse und Szenarienentwicklung sein werden. Der theoretische Ansatz des Neorealismus ist in der Lage zu erklären, weshalb ein Konfliktpotential zwischen den Anrainerstaaten existiert. Im zweiten Abschnitt wird die Theorie des Neoliberalismus dargestellt, welche das Zustandekommen und die Funktionsweise internationaler Kooperationen erklären kann. Im dritten Abschnitt wird der Zusammenhang zwischen ökologischen Veränderungen und Konflikten erläutert.
Die Theorie des Neorealismus legt zugrunde, dass jegliches staatliche Handeln aus Sicherheitsinteressen entsteht. Primäres Interesse des Staates auf internationaler Ebene ist der Selbsterhalt, was Kooperationen erschwert (Vgl. Auth 2015: 46). Dem Neorealismus zufolge kann Kooperation zwischen Staaten nur entstehen, sofern eine Bündnisbildung dem Wiederherstellen eines Machtgleichgewichtes dient. So kann eine Bündnisbildung mehrerer Staaten zum Ausgleich des Drohpotentials gegenüber einem besonders mächtigen Staat („Balancing“, Vgl. Waltz 1979) stattfinden. Ebenso ist es möglich, dass weniger mächtige Staaten sich einem besonders Mächtigen anschließen, um von diesem nicht bedroht zu werden („Bandwagoning“, Vgl. ebd.). Durch das Fehlen supranationaler regulatorischer Instanzen muss jeder Staat zu jedem Zeitpunkt über möglichst hohe Machtmittel, wie Militär, Wirtschaft, diplomatische Netzwerke u.a., verfügen, um seinem Drohpotential ausreichend Nachdruck zu verleihen.
Zentrales Motiv im Neorealismus ist somit der Fortbestand des eigenen Staates, welcher im Notfall mit jeglichem zur Verfügung stehenden Mittel zu erhalten versucht wird. Wichtigste Begründer dieses Konzeptes sind Kenneth Waltz (Waltz 1979 und Waltz 2008) und John Maersheimer (Maersheimer 2001). Waltz führt aus, dass Staaten sich in der Außenpolitik am Kriterium der Zweck-Mittel-Rationalität orientieren (Vgl. Waltz 2008). Dieser Annahme folgend herrscht andauernde Unsicherheit und eine stete Gefahr von Aggressionen und Expansionsdrang anderer Staaten betroffen zu sein. Nach der Theorie des Neorealismus können Staaten im internationalen System anhand nur eines einzigen Kriteriums unterschieden werden: ihrem Machtpotential. Aus dieser Annahme lässt sich ableiten, dass drei mögliche Strukturen des internationalen Systems denkbar wären: eine unipolare, eine bipolare und eine multipolare Weltordnung (Vgl. Auth 2015: 47). Die Ordnung mit dem geringsten Konfliktpotential ist laut dem Neorealismus eine bipolare Machtkonstellation, da in dieser eine kriegshemmende Machtbalance am leichtesten herzustellen ist. In einem multipolaren System ist dies bedeutend schwieriger, da sich jeder einzelne Staat von einer Vielzahl anderer Staaten mit ähnlichem Machtpotential wie dem eigenen bedroht sieht.
Dieser theoretische Ansatz ist für die vorliegende Arbeit von Bedeutung, da die untersuchte Region grundlegenden Strukturänderungen unterliegt. Durch die ökologischen Veränderungen wird die politische und sicherheitspolitische Situation in der Region neu geordnet werden können. Um die Motive der beteiligten Staaten besser verstehen und untersuchen zu können wird auch auf die Theorie des Neorealismus zurückgegriffen.
Durch die zuvor dargestellte Theorie des Neorealismus kann Bündnisbildung erklärt werden, doch nicht stets in hinreichender Weise. Es konnte beobachtet werden, dass Staaten sich zu Bündnissen, Regimen und Allianzen zusammenschließen, welche nicht ausschließlich einer Erhöhung des Droh- oder Machtpotentiales dienen. Die Vereinten Nationen (VN), der Arktische Rat (AR), der Internationale Seegerichtshof (ISGH) oder die NATO sind für den arktischen Raum relevante, internationale Organisationen und internationale Regime, welche Kooperationen und Bündnisse zwischen Staaten etablieren und aufrechterhalten können. Durch den freiwilligen Zusammenschluss der Staaten in diesen Gremien existieren Austauschmöglichkeiten zwischen ihnen, welche potentielle Konflikte entschärfen oder vorbeugen können.
Die Theorie des Neoliberalismus kann das Entstehen, die Funktionsweise und die Parameter für die Wirksamkeit von internationalen Organisationen untersuchen und erklären (Vgl. Auth 2015: 61). Zentral ist die Frage, weshalb Staaten kooperieren und wie diese Kooperationen gestaltet sein müssen, um langfristig wirksam zu sein. Wichtige Autoren dieser Theorie sind Robert Keohane (Keohane 1984 und Keohane 1989) und Stephen Krasner (Krasner 1983). Keohane (2011: 3) unterscheidet nach Tiefe der Integration in übergreifende Systeme zwischen Konventionen (informelle Regeln ohne Fixierung), Regimen (Vertraglich fixierte Normen und Werte) und Organisationen (Zusammenschlüsse zur Überwachung, Kontrolle und Implementierung von Reaktionen). Die Theorie des Neoliberalismus geht davon aus, dass in der internationalen Politik neben den Staaten auch die gesellschaftlichen Gruppen innerhalb dieser bedeutsam sind. Diese innere Verfasstheit eines Staates beeinflusst dessen Außenpolitik. Die Grundannahme der rationalen Entscheidung (engl.: Rational Choice Institutionalism, u.a. Shepsle 2006) impliziert, dass jeder Akteur seine Handlungsmöglichkeiten auf Grundlage seiner eigenen Präferenzen abwägt und zu einer rationalen Entscheidung kommen wird (Vgl. Auth 2015: 63). Durch solche rationalen Entscheidungen kommt es zur Einrichtung internationaler Kooperationen. Das ursprünglich anarchisch strukturierte internationale System wird von Interdependenzen zwischen den einzelnen gesellschaftlichen Gruppen und Staaten umschlossen, wodurch ein gesteigertes Kooperationsinteresse gefördert wird. Dieser Ansatz des Neoliberalismus heißt „Commercial Liberalism“ (Vgl. Moravcsik 1997: 520). Durch Etablierung von internationalen Regimen können Staaten Gewinne erzielen, welche ihnen ansonsten vorbehalten blieben (Vgl. Keohane 2002: 155). Eine Kooperation zwischen Staaten ist nicht nur in sicherheitspolitischen Bereichen möglich, sondern auch in allen anderen. Hierbei ist es unerheblich, ob es sich um „relative gains“ handelt, denn auch „absolute gains“ sind anzustreben (Vgl. Powell 1991: 1315). Da zwei miteinander Handel treibende Staaten im Falle eines Konflikts beidseitige Verluste erleiden würden, legt dieser Ansatz nahe, dass Frieden und Kooperation durch wirtschaftliche Verflechtungen gesichert werden können.
Im untersuchten Falle der Arktis kann der Zusammenschluss mehrerer Staaten zu Kooperationen und Allianzen beobachtet werden. Diese werden in Abschnitt 4 untersucht und finden eine besondere Beachtung in Abschnitt 5. Zunächst wird im folgenden Abschnitt der Zusammenhang zwischen ökologischen Veränderungen und Konflikten betrachtet, um das Spannungspotential in der Region einschätzen zu können. Sofern dieses relevant ist, können die zuvor betrachteten theoretischen Grundlagen Anwendung finden und qualifiziert zur Szenarienbildung beitragen.
Es ist denkbar, dass durch eine signifikante Veränderung der Umwelt und des Klimas Einflüsse auf die Gesellschaft nachgewiesen werden können. Dieses komplexe Zusammenwirken von Gesellschaft und Natur, wurde durch das Integrated Risk Governance-Projekt in Abbildung 1 anschaulich dargestellt (Vgl. IRG 2016). Durch diese Darstellung können die Beziehungen zwischen den Problemfeldern, wie beispielsweise der Zusammenhang zwischen einer Veränderung ökonomischer und sozialer Subsysteme, betrachtet werden.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung l:SozicH;kologiscbes System
Es existiert ebenso ein starker Zusammenhang zwischen Klimaveriinderungen und Konflikten, welcher in jeder GroBenordnung und bislang jeder Region der Welt beobachtet werden konnte (Vgl. Hsiang 2013). Der durchscbnittliche Effekt einer Abweichung (1o) der Temperatur oder des Niederschlags konnte mit einer Erhohung der Konfliktwahrscheinlichkeit von 11,1% iibereingebracht werden (Vgl. Buhaug 2014: 2). Ausgehend von dieser Erkenntnis ist es moglich die Erwartung auch auf andere Regionen, wie die Arktis und ihren Anrainerstaaten, zu iibertragen. Mit den okologischen Risiken geht auch em gesellschaftliches Risiko einher.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2:Effekte von Klimaveriinderungen auf moderne KonOikte
In Abbildung 2 (Buhaug 2014) sind die geschlitzten Veriinderungen einer 1u Veranderung der Temperatur (rot), Niederschlagsriickgang (blau), Zunahme von Diirre (orange), El Niiio-Effekten (braun) und einer Zunahme der Schwere von Naturkatastrophen (grau) abgetragen. Die rechte Grafik zeigt die Verteilung aller untersuchten Studien (schwarz) und derjenigen, welche Temperatureffekte speziell betrachten (rot). Auch wenn noch keine klare Tendenz abzuleiten ist, kann ein deutlicher Zusammenhang zwischen einer Veränderung der ökologischen Situation und der Konfliktwahrscheinlichkeit festgestellt werden.
Eine weitere Möglichkeit der Analyse zukünftiger Risiken ist das Instrument der Risikokaskade, welches das Zusammenwirken spezifischer Risiken in einem sozioökonomischen System hervorbringt. Die einzelnen Subsysteme sind interdependent und haben Wechselwirkungen. Darüber hinaus kann stets nur auf eines der Risiken reagiert werden. Die untereinander verketteten Risiken können, zwecks der Verbesserung der Reaktionsmöglichkeiten für Entscheidungsträger, in einer Risikokaskade klassifiziert werden (Vgl. Angenendt 2011a: 258). Das Risiko mit der höchsten Priorität wird als „Risiko erster Ordnung“ eingestuft. Klimawandelbezogen entspringen Risiken erster Ordnung dem ökologischen Subsystem (Vgl. Abbildung 2), wie extreme Wetterereignisse oder globale klimatische Veränderungen (Vgl. Angenendt 2011a: 259). Risiken, welche Folgen auf andere Akteure haben, werden als „Risiken zweiter Ordnung“ und Reputationsrisiken als „Risiken dritter Ordnung“ klassifiziert. Risiken vierter Ordnung sind indirekte Folgerisiken wie Haftungsrisiken oder Klagerisiken (Vgl. Angenendt 2011a: 260). Der Klimawandel stellt ein Sicherheitsproblem (Risiko Erster Ordnung) dar, da dieser die Beschaffenheit und die sozialen Strukturen der Weltgemeinschaft verändern kann (Vgl. Kalinowski 2011: 269). Eine Veränderung der klimatischen Lage in der Arktis hätte in direkter Folge migrationspolitische und sicherheitspolitische Effekte. Durch eine eisfrei werdende Arktis erhöhen sich die Konfliktpotentiale, worauf in Abschnitt 5 dieser Arbeit noch eingegangen wird. Zentral ist jedoch, dass bisherige Untersuchungen auf intragesellschaftliche Konflikte fokussiert waren, und deshalb intergesellschaftliche Konflikte eher als Folge gesehen haben. Migrationsbewegungen aufgrund von klimatischen Veränderungen konnten bislang nicht empirisch untersucht werden (Vgl. Angenendt 2011b: 180, Jakobeit 2011: 157). Der erste Fall eines Klimaflüchtlings wurde 2013 von einem neuseeländischen Gericht abgewiesen (Vgl. Kreck 2014: 81). Der potentielle zwischenstaatliche Konflikt zwischen den NATO-Anrainerstaaten und Russland in der Arktisregion könnte durch die ökologischen Veränderungen befeuert werden und sich zu einem Präzedenzfall eines klimawandelinduzierten Konfliktes ausweiten.
Wie im vorangegangenen Abschnitt beschrieben, können internationale Institutionen eine konfliktmildernde Wirkung haben. Foren und Abkommen können für Austausch und Rechtssicherheit sorgen, sodass das Konfliktpotential zwischen den einzelnen Akteuren signifikant reduziert werden kann. Die für den arktischen Raum bedeutsamen internationalen Regime und Organisationen sind die Vereinten Nationen, der Arktische Rat, und die NATO.
Die arktischen Staaten verfügen über eigene Staatsgebiete oder abhängige Gebiete, welche sich über die arktische Region erstrecken. Die Grenzsituation ist mit Ausnahme einiger weniger Gebiete geklärt. Noch immer nicht abschließend geklärt sind die genauen Seegrenzen im Beringmeer, in der Beaufort-See, in der Lincoln-See und um die Gewässer um Svalbard bei Spitzbergen. Die Anrainerstaaten versuchen weiterhin für diese Gebiete diplomatische Lösungen zu erzielen (Vgl. Amann 2016). Im internationalen Recht ist für den Status der Arktis zentral, dass diese nicht wie die Antarktis auf fester Landmasse ruht, sondern ein von Küstenstaaten umschlossenes Seegebiet mit einer schwimmenden Eisfläche ist (Vgl. Winkelmann 2008). Aus diesem Grund wird das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen (SRÜ, engl. United Nations Convention on the Law of the Sea: UNCLOS) auf Fragen in der Region angewandt. Mit Ausnahme der Vereinigten Staaten von Amerika (welche das SRÜ jedoch als Gewohnheitsrecht akzeptieren) sind alle arktischen Staaten diesem Abkommen beigetreten, welches auch die territoriale Zugehörigkeit der Seegebiete reguliert. Nach dem SRÜ wird jedem Küstenstaat eine Zone von 12 Seemeilen zugesprochen, in welchen dieser das alleinige Hoheitsrecht innehat. Die 200 Seemeilenzone (ca. 370km) um die Küste des Staates ist als Ausschließliche Wirtschaftszone (AWZ) definiert, welche dem jeweiligen Staat exklusiv erlaubt die verfügbaren Ressourcen (Fischgründe, fossile Rohstoffe etc.) zu nutzen.
Die Festlandssockelgrenzkommission (FSGK, engl. Commission of the Limits on the Continental Shelf: CLCS) der Vereinten Nationen entscheidet über die Anwendung von Artikels 76 des SRÜ. Dieser umfasst die Möglichkeit die AWZ von 200 auf bis zu 350 Seemeilen auszuweiten, sofern geologisch belegbar ist, dass das fragliche Gebiet aufgrund eindeutiger Kriterien dem Küstenschelf des jeweiligen Landes zugeordnet werden kann. Nach Ratifizierung des SRÜ hat jedes Land eine Frist von 10 Jahren, um einen Antrag auf Erweiterung der AWZ zu stellen. Russland stellte einen entsprechenden Antrag bereits 2001, worauf Proteste von Kanada, Dänemark, Japan, Vereinigte Staaten von Amerika und Norwegen bezüglich ungenauer geographischer Daten erfolgten (Vgl. Auswärtiges Amt 2014). Norwegen beantragte 2006 eine Erweiterung der AWZ, welcher im Jahr 2009 durch die Kommission entsprochen wurde (Ebd.). Der Internationale Seegerichtshof (ISGH) der Vereinten Nationen in Hamburg entscheidet in letzter Instanz über u.a. territoriale Fragen, welche durch die FSGK nicht, oder in den Augen des Antragsstellers nicht hinreichend, gelöst werden konnten.
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