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Bachelorarbeit, 2014
49 Seiten, Note: 1,3
Einleitung
1 Die Rolle der Leibeserziehung bis
2 Die ideologische Grundlage
2.1 Die leibeserzieherische Ideologie Hitlers‘
2.2 Der Pädagoge Alfred Baeumler
3 Die schulische Leibeserziehung im Nationalsozialismus
3.1 Umgestaltung der schulischen Erziehung
3.2 Leibeserziehung im Schulunterricht
3.3 Die leibeserzieherischen Disziplinen
3.3.1 Gerätturnen
3.3.2 Schwimmen
3.3.3 Wasserspringen
3.3.4 Fußball
3.3.5 Boxen
4 Die olympischen Spiele
5 Vereinssport im Nationalsozialismus
6 Leibeserziehung in den Jugendorganisationen der NSDAP
6.1 Die Hitlerjugend
6.2 Der Bund Deutscher Mädchen (BDM)
Quellen- und Literaturverzeichnis
Quellenverzeichnis
Literaturverzeichnis
Der Machtantritt der Nationalsozialisten 1933 bedeutete für viele Bereiche des wirtschaftlichen sowie kulturellen Lebens in Deutschland eine maßgebliche Zäsur. Als besonders von der NS-Doktrin betroffen, galt auch die Leibesertüchtigung. Schon in seiner 1924 abgefassten Programmschrift „Mein Kampf“ legte Adolf Hitler ausführlich Zeugnis über seine Absichten einer Umgestaltung des leibeserzieherischen Bereichs ab. Einen besonderen Fokus richtete er hierbei auf die Erziehung der Jugend. Ziel der Nationalsozialisten war die systematische Heranzüchtung einer arischen Herrenrasse, die anderen Völkern durch erhöhte Körperkraft überlegen sein sollte. Zur Realisierung dieses Vorhaben kam der Leibeserziehung entscheidende Bedeutung zu. Sie war das geeignete Mittel, um junge Menschen im Nationalsozialismus entsprechend auszubilden und zu formen.
In der vorliegenden Arbeit soll nun untersucht werden, welche konkrete Zielsetzung die Nationalsozialisten im Bereich der Leibeserziehung verfolgten. Welche Methodik wandten sie dafür an und vor allem warum? Gab es überhaupt ein ausgereiftes Konzept einer nationalsozialistischen Leibeserziehung oder griff man hierbei lediglich auf bereits bestehende Positionen zeitgenössischer Intellektueller wie dem Pädagogen Alfred Bäumler zurück? Inwieweit existierte hier bereits in Zeiten der Weimarer Republik ein ideologischer Nährboden, den die Nationalsozialisten nur aufzugreifen brauchten?
Zur Klärung dieser Fragestellungen muss zunächst ein historischer Abriss zur Entwicklung der Leibeserziehung in der Weimarer Republik geliefert werden. Dabei erscheint es wichtig, die differente und breitgefächerte Landschaft der Turn-und Sportvereine in damaliger Zeit aufzuzeigen und Unterschiede heraus zu stellen. Hitlers Vorstellungen einer signifikanten Aufwertung der Leibeserziehung stießen vor allem in ihren Reihen auf teils große Sympathie und Unterstützung. Es soll verdeutlicht werden, wie es Hitler durch geschickte Agitation gelang, das Gros der in Vereinen organisierten Turner und Sportler für sich einzunehmen und sich deren Unterstützung zuzusichern. Hierbei gilt es vor allem auch, die Rolle der verantwortlichen Verbandsfunktionäre kritisch unter die Lupe zu nehmen. Besonders signifikant offenbart sich deren Mitverantwortung am Beispiel der olympischen Spiele 1936 in Berlin.
Weitere Kapitel widmen sich schließlich der Umgestaltung der Leibeserziehung in der Schule. Welche Maßnahmen erließen die Nationalsozialisten hierzu? Dabei soll auch geklärt werden, warum eine bestimmte Sportart von den NS-Ideologen in den leibeserzieherischen Kanon aufgenommen wurde und welchen Zweck sie erfüllen sollte. Besonders exemplarisch offenbaren sich in diesem Zusammenhang die Beispiele des Fußballs sowie des Boxens, auf die in gesonderten Kapiteln näher eingegangen wird. Weiterhin soll auch die Problematik der Umsetzung beleuchtet werden.
Die zweite Schwerpunktsetzung umfasst den Bereich der außerschulischen Leibeserziehung. Dabei soll zunächst die Rolle des Vereinssports geklärt werden, Kernpunkt der Betrachtung liegt hierbei aber vor allem auf dem Bereich der organisierten Jugenderziehung der nationalsozialistischen Partei. Dazu werden die NS- Nachwuchsorganisationen Hitlerjugend und BDM in gesonderten Kapiteln näher untersucht. Ziel ist dabei, die edukativen Zielstellungen der Jungenerziehung einerseits sowie der Mädchenerziehung andererseits aufzuzeigen und vergleichend gegenüber zu stellen.
Das sportliche Geschehen im Deutschen Reich in den Vorkriegsjahrzehnten des 1. Weltkriegs war vor allem durch das deutsche Turnen im Sinne Jahns geprägt. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts lässt sich jedoch eine beginnende Relativierung der turnerischen Monopolstellung konstatieren. Die Sportbewegung gewann deutlich an Zulauf, kann jedoch die bis dato die herausragende Position des Turnens noch nicht ernsthaft gefährden (vgl. Krüger 2005, S. 103).
Mit dem Ende des 1. Weltkriegs setzte eine Trendwende ein. Vielerorts herrschte ein großes Bedürfnis nach Veränderung, was auch den Bereich der Leibeserziehung einschloss. Besonders die Sportvereine erfuhren nun vermehrten Zulauf. Bezifferte sich ihre Gesamtmitgliederzahl vor Kriegsbeginn auf lediglich 720.000, waren 1920 bereits über 1,3 Millionen Menschen in Sport-, Arbeitersport- sowie konfessionellen Vereinen, wie dem evangelischen Eichenkreuz und dem katholischem Pendant Deutsche Jugendkraft organisiert. Dies entsprach ungefähr der Mitgliederzahl der Deutschen Turnerschaft (DT), dem Dachverband der Turnvereine (vgl. Bode 2008, S. 5). In besonders starker Weise stiegen vor allem die Mitgliederzahlen der Fußballvereine. Bis Mitte der 1920er-Jahre setzte sich diese Entwicklung des geradezu explosionshaften Wachstums in stringenter Weise fort. Danach trat auch hier eine Sättigung ein (vgl. Krüger 2005, S. 103 f).
Die Deutsche Turnerschaft verzeichnete hingegen bis 1920 sogar einen leichten Rückgang der Mitgliederzahl auf 1,25 Millionen, stabilisierte sich jedoch ab 1922 bei etwa 1,6 Mitgliedern. Absolut erreichte man in diesen Jahren zwar die höchsten Mitgliederstände seit der Gründung im Jahr 1868, der prozentuale Anteil des Turnens am gesamtsportlichen Geschehen sank dagegen jedoch beträchtlich. Von ursprünglich 64 % im Jahr 1914 erodierte dieser auf lediglich 38 % 1922, was beinahe einer anteiligen Halbierung entsprach (vgl. Krüger 2005, S. 103 f). Damit einhergehend sank auch entsprechend der machtpolitische Einfluss der Turnerschaft. Diesen wollten die Turner jedoch nicht kampflos preisgeben und es entwickelte sich ein sportideologischer Machtkampf um die bessere Form der Leibesübungen sowie der dazugehörigen geistig-moralischen Einstellung (vgl. Bode 2008, S.5 f). Weiterhin kam es auch innerhalb der Sportbewegung häufig zu ideologischen Grabenkämpfen. Die bürgerlich-konservativen Sportverbände einerseits, die Arbeitersportbewegung auf der anderen Seite, misstrauten und bekämpften sich gegenseitig. Nicht einmal innerhalb des Arbeitersports gelang es eine einheitliche Richtung zu finden, was schließlich zur Abspaltung der kommunistischen Rot-Sportler führte. Der eigentliche Sport an sich spielte in den meisten Fällen nur eine beigeordnete Rolle, vielmehr war vor allem das soziale Milieu ausschlagend für die Zugehörigkeit in einem bestimmten Sportverein (vgl. Krüger 2005, S. 104 ff).
Anderseits ist diese Zersplitterung nicht ausschließlich negativ zu betrachten. Die sportliche Vielfalt und damit verbundene Konkurrenz wirkte belebend auf das Vereinsleben. Jede Vereinigung buhlte mit großem Aufwand um die Sporttreibenden und versuchte beständig das eigene Angebot zu verbessern und die sportliche Entwicklung im Verein zu forcieren. Fast jede Richtung innerhalb des leibeserzieherischen Gesamtspektrums veranstaltete überregionale Sportfeste. Beispielsweise initiierte die sozialdemokratische Arbeitersportbewegung, in Konkurrenz zum traditionell von der DT ausgetragenen Deutschen Turnfest, eigene reichsweite Turnfeste. Die kommunistischen Rot-Sportvereine veranstalteten mit der Spartakiade ein ausschließlich kommunistisches internationales Turn-und Sportfest. (vgl. Krüger 2005, S. 105 ff)
Um weiterhin konkurrenzfähig zu bleiben öffnete sich schließlich auch die DT für andere Sportarten und erweiterte ihr vereinssportliches Angebot um Spielsportarten wie Fußball und Handball. Das Angebot an Turn-und Sportfesten sowie weiteren sportlichen Großveranstaltungen stieg in dieser Zeit in signifikanter Weise, das sportliche Interesse der Menschen war riesig, was sich deutlich an den Teilnehmer - und Zuschauerzahlen ablesen lässt (vgl. Bode 2008, S. 6). Krüger berichtet in diesem Zusammenhang von 200.000 Teilnehmern beim Deutschen Turnfest 1928 in Köln, Tausende strömten zu großen Fußballspielen oder Boxkämpfen. Auch Radrennen erfreuten sich stetig wachsender Beliebtheit. Aus sportlicher Sicht kann deshalb mit Recht von den „goldenen Zwanzigern“ gesprochen werden, nie war das vereinssportliche Angebot größer, nie erreichte der Sport mehr Menschen. Eine zeitgenössische Zeitschrift erhob den Sport sogar zur „Weltreligion des 20. Jahrhunderts“ (vgl. Krüger 2005, S. 106 f).
Trotz großer Gegenwehr seitens der Turnerschaft und erheblichen Vorbehalten innerhalb der Gesellschaft erwies sich der Siegeszug des Sports als unaufhaltsam. Maßgeblicher Anteil an dieser Entwicklung kam sicherlich dem Vorsitzenden des Deutschen Reichausschusses für Leibesübungen (DRA) Carl Diem zu. Unter Diems' Regie gelang es dem DRA binnen kürzester Zeit seinen Einfluss stark ausweiten und sich als gesamtheitliches Verwaltungsorgan aller Turn-und Sportvereine zu etablieren. Damit war es dem DRA gelungen, die über Jahrzehnte währende Regentschaft der Turnerschaft zu beenden, die diese Aufgabe bis dato wie selbstverständlich in Anspruch genommen hatte (vgl. Krüger 2005, S. 108).
Die zunächst noch einigermaßen harmonisch verlaufende Zusammenarbeit des DRA mit der Deutschen Turnerschaft zerstörte Diem mit seiner Forderung nach Ausschließlichkeit in den Vereinen, das hieß konkret, dass ein Sportverband jeweils nur eine Sportart betreuen sollte. Die DT wollte sich allerdings in keinem Falle damit abfinden, fortan ausschließlich für das Turnen bzw. Turnspiele zuständig zu sein und weigerte sich vehement, auf die Veranstaltung von eigenen Fuß- und Handballturnieren zu verzichten. In Folge dessen kam es anderseits zum Ausschluss von Turnvereinen bei DRA-Veranstaltungen (vgl. Beyer 1982, S. 684 f).
Der Streit zwischen DRA und DT eskalierte in dem Maße, dass es 1922 zur reinlichen Scheidung von Turnen und Sport bis auf die unterste Vereinsebene kam, mit teils grotesken Folgen für die betroffenen Vereine (vgl. Beyer, 1982, S. 685). Als gutes Beispiel hierfür eignet sich die Situation der Fußballabteilung des MTV Stuttgart 1843. Als Mitglieder eines Turnvereins, war es den Fußsportlern fortan untersagt an der vom DRA veranstalteten Fußballmeisterschaft zu partizipieren. Versuche der Deutschen Turnerschaft eine eigene Fußballmeisterschaft zu initiieren scheiterten indes in Ermangelung von Teilnehmern. Um weiterhin am Spielbetrieb teilnehmen zu können waren die MTV-Sportler zu einer Vereinsneugründung gezwungen. Dieser erhielt den Namen „Jahn 12“ und demonstrierte damit demonstrativ seine Nähe zu seinem Stammverein (vgl. Krüger 2005, S. 109).
Die Kritiker des Sports waren jedoch nicht ausschließlich in der Turnerschaft zu finden. Auch viele bürgerliche Kreise standen in zumindest kritischer Beziehung zu den „neumodischen“ Sportarten wie beispielsweise dem Fußball. In ihren Augen fehlte dem Sporttreiben der kulturelle Aspekt. Der Sport wurde als dekadente und ruinöse Erscheinung der Demokratie gebrandmarkt (vgl. Krüger 2005, S. 108). Beyer schreibt sogar, dass dem Sport durch das Streben nach neuen Rekorden gesundheitsschädigende Wirkung attestiert wurde. Zudem erziehe der Sport in sträflicher Weise zu Individualismus und Egoismus und widerspreche so dem Ideal des gemeinschaftlichen Sportbetriebs (vgl. Beyer 1982, S. 684).
Wobei hier jedoch angemerkt werden muss, dass es natürlich auch sportartspezifische Differenzierungen gab, beispielsweise war das Schwimmen wesentlich besser konnotiert als das Fußballspiel. Die sogenannte „Fußlümmelei“ (Zitat: Karl Planck, zit. n. Planck 1994, S. 1) galt aufgrund ihres proletarischen Charakters als besonders verabscheuungswürdig (vgl. Krüger 2005, S. 110).
Diem setzte sich jedoch gegen die vielfach artikulierte Sportkritik zur Wehr. Der sportliche Wettkampf gegeneinander, unter Wahrung der Fairness und des Respekt, wurzele bereits in der griechischen Antike, weiterhin wäre ohne sportliches Kräftemessen keine realistische Einschätzung des eigenen Leistungsvermögens möglich, so die Argumentation Diems‘. Legitimierend für seine sportlichen Ideen führt er die olympische Idee Coubertins an (vgl. Bode 2008, S.7).
Die Verfechter des Sports gingen von einer hegemonialen Stellung des Sports gegenüber dem Turnen aus. Das Problem war allerdings, dass der Sport seinen Ursprung im angelsächsischen Raum genommen hatte und allein schon deshalb von national oder völkisch gesinnten Menschen abgelehnt wurde. Zudem stellte die Internationalität des Sports eine schwere Hypothek dar. Nationalistischen Kreisen galt der Begriff „Internationalität“ gemeinhin als Schmähwort (vgl. Krüger 2005, S. 112). Zeitgenössische Autoren wie Egon Erwin Kisch geißelten den Sport sogar als „englische Krankheit“ (Zitat: Kisch, zit. n. Krüger 2005, S. 110).
Ziel Diems und weiterer führender Sportvertreter war es deshalb, das angelsächsische Sportsystem gewissermaßen einzudeutschen. Die Protagonisten der deutschen Sportbewegung waren in der Umsetzung dieses Vorhabens sehr erfolgreich. Es gelang ihnen durch geschickte Agitation die massiven Vorbehalte der deutschen Bevölkerung gegen den Sport auszuräumen. Negativ konnotierte Spezifika der english sports wie Rekordstreben und Personenkult wurden aus dem Vokabular der deutschen Sportbewegung getilgt. Stattdessen ging es jetzt viel mehr darum, persönliche Bestmarken zu setzen. Hans Geisow, der Vorsitzende des Deutschen Schwimmverbandes, beschreibt die deutschsportliche Maxime wie folgt:
„ Nicht auf das Beste, sondern auf dein Bestes kommt es an“ (Zitat: Geisow, zit. n. Krüger 2005, S. 113).
Deutscher Sport sollte Dienst an der Allgemeinheit sein, die erbrachten Leistungen der Volksgemeinschaft in ihrer Gänze nutzbar gemacht werden. Nicht das Hervorbringen von bedeutenden Einzelkönnern war die entschiedene Devise, sondern vielmehr die Ausbildung eines starken Kollektivs (vgl. Krüger 2005, S. 113).
Diem erweiterte den Sport außerdem, durch die von ihm artikulierte Parole: „Sport ist Kampf“, um eine politische Komponente. Damit traf er wie Krüger es beschreibt, „mitten ins nationale und militärische, ins nationalistische Herz der Deutschen “ (Zitat: Krüger 2005, S. 113). Er und andere Sportfunktionäre erachteten den Sport als Mittel zur Überwindung der Schmach des verlorenen Weltkriegs. „Sport als Grundlage zur Befreiung aus der Knechtschaft“, so beschreibt es der Leiter der universitären Turnanstalt Tübingen, Paul Sturm (Zitat: Sturm, zit. n. Krüger 2005, S. 114). Christiane Eisenberg spricht sogar von der Fortführung des Krieges mit anderen Mitteln. Der Sport sollte die Funktion eines Wehrersatzdienstes einnehmen. (vgl. Eisenberg 1999, S. 323)
Doch diese Germanisierung und Militarisierung des Sports gelang es den Führern der deutschen Sportbewegung allmählich auch konservativ-bürgerlich Kreise für ihren Ideen einzunehmen (vgl. Bernett 1990, S. 168). Aber nicht nur viele Konservative Menschen ließen sich in immer stärkerem Maße vom Sport begeistern. Auch Adolf Hitler erkannte recht früh das wehrertüchtigende Potenzial der Diemschen‘ Leibesübungen und gewann dafür große Sympathien. Sie bildeten gewissermaßen später das ideologische Gerüst seiner nationalsozialistischen Leibeserziehung, die nun im nachfolgenden Kapitel näher beleuchtet wird (vgl. Bode 2008, S. 8).
Schon in seiner, während der Verbüßung seiner Haftstrafe in der Landsberger Festung abgefassten, und 1925 erschienenen Programmschrift „Mein Kampf“, legte Hitler ausführlich Zeugnis über seine Absichten einer Umgestaltung der Leibeserziehung an.
Ein wesentliches Augenmerk Hitlers' Politik war auf die Erschaffung einer arischen Herrenrasse gerichtet, die allen anderen, angeblich minderwertigen „Rassen“, überlegen sein sollte. Ein Kernpunkt dieser völkischen Programmatik bildete die systematische „Heranzüchtung kerngesunder Körper“, durch die sich die arische Rasse vom Gros der „Degeneraten“ und Feiglinge abgrenzen sollte (vgl. Hitler 1935, S. 451 f). Hohe Körperkraft und Vitalität stellten seines Erachtens wesentliche Attribute zur Vermittlung eines Überlegenheitsgefühls dar. Um dieses Ziel zu erreichen, sah Hitler in der Leibeserziehung, als geeignetes Mittel hierfür, zentrale Bedeutung.
„Eine gewalttätige, herrische, unerschrockene, grausame Jugend will ich. Jugend muss das alles sein. Schmerzen muss sie ertragen. Es darf nichts Schwaches und Zärtliches an ihr sein. Das freie, herrliche Raubtier muss erst wieder aus ihren Augen blitzen. Stark und schön will ich meine Jugend. Ich werde sie in allen Leibesübungen ausbilden lassen. Ich will eine athletische Jugend.“ beschreibt Hitler seine Erziehungsmaxime. Ziel war es, die Reichsjugend zu „kraftvollkämpferischer Männlichkeit“ zu erziehen. (Zitat: Hitler, zit. n. Steinhaus 1981, S. 102 f)
Der Ausbildung körperlicher Fähigkeiten sprach der Diktator eine klare Priorität gegenüber geistiger Bildung zu. In diesem Zusammenhang lastete er der Erziehung der vergangenen Jahre eklatante Versäumnisse an, nach Hitlers' Ansicht lag ein Grundübel der Weimarer Republik vor allem in der einseitigen geistigen Ausbildung begründet. Die herrschende Überbewertung der intellektuellen Erziehung in der Weimarer Republik habe nichts anderes als „ körperlich degenerierte, willensschwache und feige Pazifisten“ hervorgebracht (vgl. Hamann/Böhme, S. 39).
Die Theorien der Reformpädagogik hätten zudem ein zu menschliches und freundschaftliches Lehrer-Schüler-Verhältnis bejaht und die Jugend zu Demokratie und Sozialismus erzogen. Weiterhin geißelte er Devotheit und einen Mangel an Willensund Entschlusskraft aufseiten der Lehrerschaft. Dies hätte schließlich zwangsläufig zum Untergang des wilhelminischen Kaiserreiches und damit zur Verelendung Deutschland führen müssen (vgl. Hitler 1935, S. 471). Statt vor allem praktische Kenntnisse zu vermitteln und den Charakter zu schulen, habe man sich viel zu einseitig auf die Vermittlung von bloßem Wissen verlegt. Diese Mängel zu beseitigen, sei nun dringlichste Aufgabe des völkischen beziehungsweise nationalsozialistischen Staates (vgl. Bernett 1966, S. 20 ff).
Bildung war in seinem Sinne nur sofern von Bedeutung, wie sie den Zielen der Nationalsozialisten dienlich war.
„Ich will keine intellektuelle Erziehung. Mit Bildung verderbe ich mir meine Jugend, am liebsten würde ich sie nur das lernen lassen, was sie sich gemäß ihrem Spieltrieb selbst aneignen“ (Zitat: Hitler, zit. n. Bernett 1966, S. 26).
Die Jugend sollte vor allem zu hörigen Führersoldaten erzogen werden, die dessen Entscheidungen mitnichten in Zweifel zog (vgl. Kliem 2007, S. 9). Entsprechend dieser Maxime begannen die Nationalsozialisten nach ihrem Machtantritt im Jahre 1933 mit der Umgestaltung der schulischen sowie außerschulischen Erziehung.
Hitler traf mit seinen in „Mein Kampf“ formulierten Erziehungsgrundsätzen sehr gut den Nerv der deutschen Turn-und Sportbewegung. In dem von ihm beschriebenen nationalistisch-völkischen Staat gehe es nicht nur um das „ bloße Einpumpen unnützen Wissens “ sondern vielmehr um die Schulung und Festigung des Charakters durch körperliche Ertüchtigung (vgl. Hitler, 1935, S. 452).
„...ein körperlich vitaler Mensch ist für die Volksgemeinschaft dienlicher als ein geistreicher Schwächling “ (vgl. Hitler 1935, S. 451 f). Konkret formulierte er die Forderung:
„ Es darf kein Tag vergehen, an dem der junge Mensch nicht mindestens vormittags und abends je eine Stunde lang körperlich geschult wird, und zwar in jeder Art von Sport und Turnen “ (vgl. Bernett 1966, S. 22).
Damit sprach er dem Gros der Turn-und Sportlehrer aus der Seele, die ebenfalls die Leibesübung als das geeignete Mittel erachteten, Deutschlands Schwäche und Erniedrigung zu überwinden, die es mit dem Versailler Vertrag erlitten hatte. Interessant ist hierbei die Tatsache, dass auch Erzieher, Pädagogen und Philosophen die beileibe nicht im Verdacht standen, nationalsozialistisches Gedankengut zu teilen, solche Positionen befürworteten. So war nach Ansicht des Pädagogen Eduard Spranger das deutsche Reich zur Zeit der Weimarer von einer „Kulturkrankheit“ erfasst, die es durch turnerische und sportliche Leibesübungen zu heilen gelte. Auch er geißelte die Dominanz der Geistigkeit gegenüber der Körperlichkeit (vgl. Krüger 2005, S. 133).
Die deutschen Turn-und Sportführer übersahen jedoch in ihrer zumindest anfänglichen Euphorie die wahren Absichten Hitlers'. Auf den ersten Blick entsprachen die Erziehungsgrundsätze durchaus ihren Wunschvorstellungen, jedoch nicht der Kern, von dem diese ausgingen. Von Krockow schreibt, Hitler ging es vor allem um Ordnung und Gehorsam, diese Eigenschaft seien zwingende Voraussetzung für Herrschaft und Unterwerfung. Die Leibeserziehung stellte in sich seinen Augen lediglich als probates Mittel dar, um seine rasseideologischen Vorstellungen verwirklichen zu können. Turnen und Sport zum reinen Zeitvertreib oder zur persönlichen Muße legte er strikt ab, die Körperschulung sollte ausschließlich der Erhöhung der Volksgesundheit dienen (vgl. von Krockow 2001, S. 87).
Entscheidendes Fundament und ideologische Grundlage von Hitlers‘ Vorstellungen einer Umgestaltung der Leibeserziehung bildeten die Schriften des Pädagogen Alfred Baeumlers. Dieser gilt als ideologischer Begründer der „politischen Leibeserziehung“.
Baeumler ging von einer Körper-Geist-Dichotomie aus, das heißt Körper und Geist bedingen sich gegenseitig. Ein körperlich vitaler Leib ist Voraussetzung für einen gesunden Geist, gleiches gilt auch in umgekehrter Weise. Die Vorstellung eines Handlungs- und Vollzugsverhältnisses zwischen Geist und Körper lehnte er in dezidierter Form ab. Diese Betrachtungsweise bejahe die geistige Vorrangstellung gegenüber dem Körper. Der Leib werde in sträflicher Weise zum Mittel degradiert, dass ausschließlich dem geistigen Zweck dienlich sei (vgl. Tietze 1984, S. 77).
Die körperliche Ertüchtigung betrachtete Bäumler als zweckbefreit, die Bewegungsmotivation sollte vor allem dem intrinsischen Antrieb entspringen, aber dennoch konsequent und ernsthaft betrieben werden (vgl. Bäumler 1934, S. 45 f).
Im Laufe der Zeit radikalisieren sich Baeumlers Ansichten sichtbar. Spätestens ab 1930 ist eine deutliche Annäherung an die nationalsozialistische Ideologie erkennbar. In dieser Zeit entwickelte er eine ideologische Grundposition, die seine weitere philosophische Agitation bestimmte. Die Qualität seines philosophischen Denkens wich nun einem „ mystifizierenden, irrationalistischen Germanismus. “ 1933 tritt er sogar überraschend in die NSDAP ein, obwohl er sich dato von einer persönlichen politischen Beteiligung distanziert hatte (vgl. Giesecke 1993, S. 80).
Seiner Schrift „Politische Leibeserziehung“ aus dem Jahr 1937 entnehmen wir folgendes Zitat:
„Leibespflege, Leibesübung und Leibeszucht sind für das völkische Denken nicht mehr Sache eines Privatmannes, der um sein persönliches Wohl besorgt ist, sondern rücken unter den Gesichtspunkt der Gesundheit und Kraft des Ganzen“ (Zitat: Baeumler 1937, S. 140).
Damit bringt er seine Vorstellungen der Leibeserziehung zielgenau auf den Punkt. Ebenso wie Hitler sah Baeumler den einzelnen Menschen nicht als Individuum sondern als durch und durch politisches Wesen. Die private Leibeserziehung ist daher Teil des Öffentlichen, der einzelne Mensch ist Bestandteil eines gesamten Volkskörpers. Dienst am eigenen Körper ist damit Dienst an der gesamten Gemeinschaft. Dieser Argumentation folgend, kommt jedem Bürger die dringliche Pflicht der Körperertüchtigung zu, um so für das Wohl der Gemeinschaft zu sorgen (vgl. Bode 2008, S. 15).
Solche pädagogischen Ansätze entsprachen exakt denen der nationalsozialistischen Weltanschauung und lieferten einen argumentativen Nährboden für die staatliche Kontrolle und Steuerung der Leibeserziehung. Ausdrücklich betont Baeumler das Recht beziehungsweise noch weitergehend, die Pflicht der nationalsozialistischen Reichsregierung die Leibeserziehung staatlicher Kontrolle zu unterstellen (vgl. Bode 2008, S. 16).
Wie bereits in vorigen Kapiteln angemerkt, kam es mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 zu einer signifikanten Zäsur im Bereich der Leibeserziehung. Erklärte Absicht der Nationalsozialisten war es, das gesamte deutsche Schulwesen im Sinne der Volksgemeinschafts- und Rassenideologie zu homogenisieren (vgl. Hamann/Böhme, S. 42).
Das Erziehungssystem der Weimarer Republik kennzeichnete eine Vielzahl verschiedener Schultypen. Diese schulsystemische Verschiedenartigkeit wiedersprach deutlich der nationalsozialistischen Volksgemeinschaftsideologie (vgl. Flessau, S. 14 f).
Mit der Verabschiedung des „Gesetzes zur Neuordnung des Reiches“ 1934 begannen deshalb die NS-Ideologen das bestehende deutsche föderale Schulsystem zu torpedieren. Ziel war es, an Stelle des alten heterogenen Schulsystems eine neue reichweit vereinheitlichte und zentralistische Schulform zu installieren, vor allem um damit größeren Einfluss auf die Zöglinge ausüben zu können. Die beinahe 70 verschiedenartigen Typen der Oberschule dezimierte das Bernhard Rust unterstellte Reichsministeriums für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung (REM), auf gerade einmal 3 Grundtypen. Konfessionell gegliederte Schulformen wurden ebenso wie Privatschulen gänzlich verboten (vgl. Giesecke 1993, S. 126).
Weiterhin kam es im Bereich der Pädagogik zu tiefgreifenden Veränderungen. Das koedukative Unterrichtskonzept wurde kategorisch abgelehnt, stattdessen sprachen sich die Bildungsverantwortlichen der Partei für ein dezidiert reaktionäres Rollenverständnis der Erzieher-Zögling-Beziehung aus.
„ Der Erzieher doziert, lenkt und leitet den Unterricht, während der Schüler zu bloßer Rezeptivität verurteilt war “, beschreibt Flessau die Form des Unterrichts im Nationalsozialismus. Gruppenunterricht, Unterrichtsgespräche sowie partnerschaftliches Arbeiten geißelten die Nazis als anarchische Strukturen, stattdessen galt Frontalunterricht als die einer Diktatur angemessene Unterrichtsform. Sogar die Prügelstrafe wurde wieder eingeführt. Damit sollte die Position des Lehrers als „Führer“ der Klasse signifikant aufgewertet werden (vgl. Flessau 1977, S.13 f).
Der Rolle des Lehrenden kam im Nationalsozialismus eine bedeutende Rolle zu. Die NS- Parteiideologen bemühte sich sehr intensiv darum, die Lehrerschaft in ihrem Sinne „umzuformen“, das heißt konkret mit ihren nationalsozialistischen Richtlinien im Bereich der Pädagogik vertraut zu machen. Nicht anpassungswillige Lehrer hatten mit empfindlichen Sanktionen zu rechnen. Giesecke berichtet von der frühzeitigen Versetzung in den Ruhestand, Minderung des Lehrersalärs sowie Streichung der Pensionsbezüge. Parteimitglieder der SPD wurden indes dazu verpflichtet, sich in einer schriftlichen Erklärung von der Bindung an die Partei loszusagen. Kommunisten und Lehrer jüdischen Glaubens sahen sich sogar der sofortigen Suspendierung konfrontiert (vgl. Giesecke 1993, S. 151).
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