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Bachelorarbeit, 2017
31 Seiten, Note: 1,0
Didaktik für das Fach Deutsch - Deutsch als Fremdsprache, DaF
1. Einleitung
2. Das Konzept der Integration unter Bedingungen gesellschaftlicher Zugehörigkeiten
2.1 Integration als Anpassung
2.2 Integration als beidseitiger Prozess
2.3 Sprache(rwerb) und Integration
3. Das Integrationsgesetz ,Fördern und Fordern4 aus dem Jahre 2016
3.1 Änderungen durch das Gesetz
3.2 Sprache und Sprachkurse im Gesetz
3.3 Kritische Betrachtung des Gesetzes
4. Fazit und Ausblick
5. Literatur
Integration ist sowohl im öffentlichen und politischen Diskurs als auch in der Wissenschaft und ihren verschiedenen Disziplinen ein vieldiskutiertes Thema. insbesondere in den Medien und Alltagsdiskursen in Deutschland ist der Begriff der integration aufgrund starker Fluchtbewegungen in den letzten Jahren noch aktueller geworden und nicht selten wurde oder wird die Integration Zugezogener in der Öffentlichkeit ,lauthals‘ eingefordert. Jedoch scheint im Alltagsverständnis nicht immer deutlich zu sein, was der Begriff eigentlich genau umfasst, wann also ein Mensch als integriert gilt. Nicht selten werden hierbei auch Begriffe wie Anpassung und Integration synonym verwendet und es fallen diffamierende Zuweisungen wie ,Integrationsunwillige‘ oder ,IntegrationsverweigerInnen‘.
Historisch gesehen hat die Bundesrepublik Deutschland die Tatsache, ein Zu- und Einwanderungsland zu sein, trotz zentraler Wanderbewegungen lange Zeit abgestritten und Integration erst durch das im Jahre 2005 formulierte Zuwanderungsgesetz zu einer staatlichen Aufgabe erklärt (Bommes 2007: 3). Als Reaktion auf die sogenannte Flüchtlingskrise wurde dann im Mai 2016 ein Integrationsgesetz unter dem Grundsatz Fördern und Fordern beschlossen, welches im August 2016 in Kraft trat und als Bundesgesetz nun eine rechtliche Basis für die Integration darstellen soll (URL: Bundesregierung).
Vor allem die Sprache bzw. das Erlernen der deutschen Sprache scheint eine „Schlüsselrolle“ (Plutzar 2010: 123) in der Integrationspolitik zu spielen. Auch in Diskursen und Debatten wird zumeist insbesondere ihre Bedeutung hervorgehoben und die Beherrschung als elementar wichtig für eine erfolgreiche Integration angesehen, wie es auch die Bundesregierung ebenfalls bekräftigt (URL: Bundesregierung a). Diese Annahme scheint weitestgehend Konsens zu sein (Bommes 2006: 59) - nicht zuletzt, weil Sprache ,messbar‘ und das Problem der Integration dadurch organisatorisch planbar und somit ,lösbar‘ erscheint (Schroeder 2007: 6, 9).
In der vorliegenden Arbeit mit dem Titel „Integration und Sprache - Die Bedeutung der deutschen Sprache bei der Integration unter Bedingungen gesellschaftlicher Zugehörigkeiten und Machtverhältnisse“ sollen das gesellschaftliche Integrationsverständnis und hierbei insbesondere die Rolle der Sprache in diesem Zusammenhang hinterfragt werden. Da ich mich insbesondere auf die Situation in Deutschland beziehen werde, wurde der Titel entsprechend gewählt. Es wird also untersucht, welche Rolle die Sprache und das Sprachenlernen tatsächlich für eine ,erfolgreiche‘ Integration der oder des Einzelnen spielt (und wie Integration hier überhaupt begriffen wird) und wie hingegen die gesellschaftliche und politische Auffassung dieser Rolle aussieht.
Zu diesem Zweck wird zunächst der Integrationsbegriff in der Literatur, u.a. durch Beiträge von Schramkowski (2004), Terkessidis (2010) und Geisen (2010) untersucht, um ihn in dem anschließenden Vergleich in Kapitel 3 dem im Mai 2016 entworfenen Integrationsgesetz für die Bundesrepublik Deutschland gegenüberzustellen und dieses kritisch beurteilen zu können. Es werden hierfür mehrere Aspekte (und Definitionen) von Integration aufgegriffen, jedoch soll der Fokus im weiteren Verlauf auf der Sprache als ,Integrationsfaktor‘ bzw. dem möglichen Einfluss des Sprachenlernens als Medium für die Integration einerseits sowie dem politischen Umgang mit der Sprache und dem Sprachenlernen andererseits liegen. Um ebendiese weitreichende Bedeutung der Sprache letztlich einschätzen und bewerten zu können, werden deshalb zuvor Zugehörigkeiten und die Bedeutung von Machtverhältnissen und Paternalismus in diesem Kontext erörtert, um allgemein das aktuelle Konzept der Integration (und somit auch die auf diesem Konzept basierenden Maßnahmen) hinterfragen zu können.
Sprache wird im Folgenden, außer es wird explizit anders erwähnt, nicht linguistisch und strukturell betrachtet, ebenso sollen nicht in erster Linie die Methodik und Didaktik des Deutsch-als-Zweitsprache-Unterricht thematisiert oder hinterfragt werden, da dies die Ausmaße dieser Ausarbeitung überschreiten würde und auch nicht dem eigentlichen Ziel dieser Arbeit dienlich wäre. Stattdessen werden in kurzer Form der Prozess des Sprachenlernens bzw. -erwerbs sowie speziell die Einflechtung des Erlernens der deutschen Sprache in die Integration(smaßnahmen) betrachtet.
Der Effekt dieser Bachelorarbeit sollte im besten Fall eine Sensibilisierung für grundlegendes gesellschaftliches Zugehörigkeitsmanagement1 2 und die Machtverhältnisse sein, in die man in Deutschland mehr oder weniger bewusst eingebunden ist, und es dadurch dem oder der Einzelnen ermöglichen, auch Konzepte von Integration und den darauf basierenden Umgang mit Sprache in Zukunft kritisch hinterfragen zu können. Im Ausblick sollen auch Vorschläge für den zukünftigen Umgang mit Sprache und Sprachunterricht gemacht werden.
Im Kontext von Einwanderung ist der Bereich der Integration wie eingangs erwähnt ein komplexes und mehrfach gedeutetes Terrain, das je nach Disziplin und je nach Intention der Auseinandersetzung andere Deutungen und Konnotationen aufweist und überdies aufgrund seiner Aktualität sich verändernden Sichtweisen unterliegt und sich deshalb in seiner Gänze kaum ,kurz und bündig‘ zusammenfassen ließe.
Integration wird jedoch allgemein zumeist als Zustand oder Prozess verstanden, in dem Zugezogene „zu einem integralen Bestandteil der Gesellschaft werden“ (Geisen 2010: 13). Wie das genau auszusehen habe und welche Auswirkungen es auf die einzelnen Akteure habe, ist dabei jedoch strittig.
Einer älteren Definition Endruweits nach ist Integration „ein Prozeß, in dem neue Elemente in ein System so aufgenommen werden, daß sie sich danach von den alten Elementen nicht mehr unterscheiden als diese untereinander (1989: 307)“. Er formulierte hier also eine Eingliederung in etwas bereits Bestehendes, beschrieb jedoch somit aber auch eine gewisse Anpassung(sleistung) des Einzugliedernden an die sogenannten alten Elemente, also das bestehende System.
Gerade im Alltagverständnis wird auch heute vielfach davon ausgegangen, dass Integration als eine Anpassung an die herrschenden Normalitätsverhältnisse, an gewisse vorgegebene Standards, zu verstehen sei: Somit wird meist immer noch eine regelrechte Assimilation des Individuums erwartet, zu dessen Einhaltung man jene ,Anderen‘ unter Umständen sogar „aufrufen [müsse]“ (Terkessidis 2010: 40). Integration wird daher selbst heute - unter Umständen auch bei Verwendung anderer Begriffe - noch „vielfach als einseitige Assimiliationsanforderung an Personen mit Migrationshintergrund“ (Schramkowski 2004: 14) verstanden.
Der Begriff ,Assimilation‘ bezeichnet im Allgemeinen die vollständige und einseitige Anpassung oder Angleichung einer ,Minderheit‘ an die sogenannte ,Mehrheitsgesellschaft‘ (Heckmann 1992: 169f.), quasi eine Aufgabe eigener Merkmale oder eventueller ,kultureller‘ Prägungen‘2 für eine, drastisch ausgedrückt, „gesellschaftliche Subordination“ (Boeckmann3 2007: 44). Diese Anpassungsforderungen werden von den hierbei angesprochenen Personen gewissermaßen als „Negierung“ (Schramkowski 2004: 22) eigener Prägungen und der eigenen Herkunft empfunden, somit zumindest in Teilen mit der Aufgabe der eigenen Identität assoziiert.
Aufgrund einer derart konnotierten Verwendung ist der Begriff Integration insbesondere auch unter denjenigen, die als eben jene ,Menschen mit Migrationshintergrund‘ angesprochen werden, zumeist mit negativen Assoziationen behaftet. Es werden auf diesem Wege vermeintliche Unterschiede betont und pauschale Bilder von ,den Zugewanderten‘ oder in den neueren Diskursen auch ,den Flüchtlingen4 konzipiert und verfestigt (Schramkowski 2004: 14). Es impliziert, da sich zumeist pauschal auf Gruppen bezogen wird, eine Homogenität ebendieser Gruppen, was der postmodernen Wirklichkeit mit ihren individuellen Lebensentwürfen nicht gerecht werden kann.
Es besteht folglich auch weitestgehend Übereinstimmung in der Feststellung, dass Begriffe wie AusländerIn oder Flüchtling nicht nur juristische Kategorien sind, die die Staatsangehörigkeit oder den Passbesitz eines nach Deutschland ziehenden Menschen charakterisieren, sondern dass diese insbesondere „eine soziale Zuschreibung des ,Andersseins‘ als ,wir Deutschen4, des Nicht-Dazugehörens“ (Niedrig 2015: 28) darstellen. Hier lässt sich das Konzept des Othering nennen, welches diesen Prozess des Fremdmachens anderer Individuen oder Gruppen beschreibt: Prinzipiell entsteht das hervorgebrachte ,Wir‘ nach diesem Konzept durch NegativAbgrenzung von den Anderen, den ,Fremden‘, und kann folglich auch erst durch ebenjene Grenzziehung konstruiert werden (Castro Varela/Mecheril 2010: 42). Othering ist also ein zweiseitiger Prozess, der das Andere abwertet und das Eigene, das Wir, nicht nur aufwertet, sondern so auch erst entstehen lässt.
Es zeigt sich somit, dass der Begriff Integration in diesem Zusammenhang letztlich aufzuteilen scheint in jene, die bestimmen, wer sich wie zu integrieren habe und jene, die diesen Forderungen nachzukommen haben (Schramkowski 2004: 14). Er ist also in diesem Sinne ein Instrument der gesellschaftlichen Machtausübung.
Macht bezeichnet ganz grundsätzlich eine größere Handlungsmöglichkeit aufgrund ungleich verteilter Ressourcen. Passend formuliert: „Macht hat, wer Einfluss nehmen, die Spielregeln bestimmen kann, jedenfalls größere Chancen hat, die Regeln zu setzen“ (Auernheimer 2013: 52). Als fremd und anders darstellen lassen müssen sich demnach nur diejenigen, die nicht die Möglichkeit haben, die Regeln der Zugehörigkeiten oder die Kriterien der Beurteilung darüber, wer oder was als fremd gilt, zu ändern (ebd.: 61).
Die gesellschaftliche Dichotomisierung in ,Wir‘ und ,Andere‘, diese Form der Repräsentation der Migrantinnen, kann als „Akt der Ermächtigung“ (Yildiz 2010: 66) gedeutet werden. Hierbei geht das Bewusstsein dafür, dass diese Trennung in zwei einander fremde Einheiten - also das gesamte integrationsverhältnis an sich und die so entstandenen Klassifizierungen und Zuschreibungen - auch nur eine gesellschaftlich produzierte Beziehung ausdrücken, verloren (Geisen 2010: 31). Stattdessen wird diese binäre Aufteilung zumeist wie eine natürliche Gegebenheit betrachtet und behandelt (Yildiz 2010: 60). Die dichotome Bedeutungszuschreibung und dementsprechend die darauf aufbauenden Kulturalisierungen und Ethnisierungen werden also naturalisiert und dadurch legitim, was letztlich nichts anderes als eine rassistische Praxis darstellt.
In diesem Kontext kann nun auch passend das Konzept des ,Paternalismus‘, welches insbesondere in der Sozialen Arbeit viel diskutiert wird, angeführt werden. Paternalismus bezeichnet hier die Einschränkung bzw. Eingriffe in die Freiheit bestimmter Akteure und Akteurinnen im vermeintlichen Sinne ihres Wohlergehens (URL: AG Sprache, Bildung und Rassismuskritik 2012). Diese paternalistischen Praxen können jedoch auch missbraucht werden, um gesellschaftliche Dominanzverhältnisse zu stärken oder bestimmte disziplinierende bzw. sanktionierende Maßnahmen, wie dies etwa in (integrations-)politischen Maßnahmen und Sanktionen geschehen kann, zu legitimieren (ebd.). Es offenbart sich also durch jenen ,Pseudo- Paternalismus‘ eine Form der politischen und gesellschaftlichen Machtausübung:
„Pseudo-Paternalismus gibt vor, die Handlungsfähigkeit und das Wohl des und der Einzelnen im Blick zu haben: Damit legitimiert er Handlungen, Gesetze und interventionen, die die Frage des Willens des und der Einzelnen paternalistisch gering schätzen.“ (URL: AG Sprache, Bildung und Rassismuskritik 2012)
So kritisieren beispielsweise Arnold und Frazzetto (2011: 88f.), dass auch in öffentlichen Diskussionen geradezu übergriffige Vorstellungen davon herrschten, wie bestimme Gruppen von Menschen ihre private Lebensführung zu gestalten hätten, mit wem sie z.B. Kontakte knüpfen oder auch ihre Freizeit verbringen sollten, und dabei scheinbar ,vergessen‘ wird, dass dies ein Teil des Privatbereichs der oder des Einzelnen ist und somit nicht durch Forderungen von außen bestimmt werden kann. Ähnliche Forderungen stattdessen an Mitglieder der ,Mehrheitsgesellschaft‘ zu stellen würde hingegen mit großer Wahrscheinlichkeit breite Empörung hervorrufen. Es zeigt sich hier eine Strategie, Forderungen an Migrantinnen „als Mittel zur Erreichung ihres Wohls“ (URL: AG Sprache, Bildung und Rassismuskritik 2012) darzustellen - dies insbesondere auch wenn es um Deutschkenntnisse geht, wie wir im Kapitel 2.3 sehen werden - die letztlich jedoch eigentlich dem Ziel der vermeintlichen (Wieder)Herstellung eines imaginären ,Wirs‘ dienen soll.
Es wird also deutlich, warum das Konzept der Integration aufgrund einer derartigen Konnotation für Zugezogene vielfach „eher ,gegen‘ als letztlich zum Wohl“ (Schramkowski 2004: 29) dieser empfunden werden kann. Einwanderung wird in der Öffentlichkeit wie eine Störung und nicht wie der Normalfall moderner Gesellschaft verstanden, welche eine Eingliederung, eine ,Integration‘, in die deutsche Gesellschaft erfordert (Terkessidis 2010: 43) und dies durchaus auch durch paternalistische und sanktionierende politische Praxen.
In dieser Auffassung bildet die westliche Gesellschaft bzw. deren Idealbild den Maßstab und die Norm, die nicht hinterfragt zu werden braucht (Terkessidis 2010: 50) und führt damit jedoch letztlich nicht zu der erwarteten Angleichung, sondern lediglich zu einer Verstärkung von Ungleichheiten (Terkessidis 2010: 61): Gesellschaftliche Trennungslinien werden verfestigt und strukturelle Benachteiligungen und Ausgrenzungsprozesse gleichzeitig ausgeblendet (Schramkowski 2004: 29). Differenz oder auch nur dessen Vermutung wird so leicht zur Devianz (Yildiz 2010: 60). Infolgedessen werden tatsächliche oder vermeintliche Unterschiede defizitär „in einer Sprache des Mangels“ (Yildiz 2010: 60) beschrieben und jegliche Integrationspolitik als „Sonderanstrengung“ (Bommes 2007: 5) anstatt als regulärer Teil von Gesellschaftspolitik wahrgenommen. Dieses defizitäre Verständnis und die gleichzeitige Ausblendung von Ungleichheiten erleichtern es zweifellos, einseitige Zuschreibungen und Schuldzuweisungen (,IntegrationsverweigerInnen‘) zu legitimieren und sich als Mitglied der ,Mehrheitsbevölkerung‘ jeglicher Verantwortung zu entziehen (Schramkowski 2004: 29). Denn selbst bei (politischen) Verkündungen, dass Integration natürlich keine „Einbahnstraße“ (Terkessidis 2010: 51) für die MigrantInnen sei, werden dennoch, gerade wenn es konkret wird, die zu erbringenden Leistungen vornehmlich von den Eingewanderten erwartet, es wird den Einzelnen geradezu eine „Bringschuld“ (Geisen 2010: 16) auferlegt.
Passend wird das hier beschriebene Integrationsverständnis im Wörterbuch der Soziologie aus dem Jahre 2014 erfasst und kritisiert:
„Integration von Migrant/innen wird gefasst als Eingliederung einer Gruppe in eine andere. Dies wird der Vielfalt der eingegliederten Individuen nicht gerecht. Die einzelne Gruppe wird, unzulässigerweise, als homogen betrachtet. Daneben ist zu berücksichtigen, dass Integration zugleich in viele unterschiedliche Gruppen erfolgt. Die Vorstellung von Integration bedeutet Angleichung an eine Norm, die den unterschiedlichen, vielfältigen Lebensweisen nicht gerecht wird.“ (Endruweit 2014: 202)
Dieser nun deutlich gemachte normative Ausgangspunkt von Integration muss demnach kritisch betrachtet werden, verstärkt er doch gesamtgesellschaftlich bestehende Machtverhältnisse und soziale Ungleichheiten sowie (pseudo)paternalistisches Denken. Wie Mecheril (2010: 180) festhält, sind es eben jene symbolischen Grenzen zwischen dem imaginären Inneren und dem imaginären Außen, die durch Migrationsphänomene angesprochen und infrage gestellt werden.
Das Verhältnis zwischen Realität und Diskurs wird undurchsichtig, wenn Kategorien wie Ausländer als ,natürliche‘ und homogene Kategorien betrachtet, nicht hinterfragt und dadurch auch nicht auf ihre Auswirkungen hin analysiert werden. Denn: „Der ,Flüchtling‘ ist nicht einfach da, sondern wird diskursiv hergestellt“ (Niedrig 2015: 31).
Wenn Integration so betrachtet und gedeutet wird, dass sie die Teilnahmemöglichkeit, die Partizipation, an für die persönliche Lebensführung bedeutungsvollen gesellschaftlichen Bereichen darstellt (Bommes 2007: 3), mit dem leitenden Gedanken der Chancengleichheit (Terkessidis 2010: 62), dann zeigt sich Integration folglich als eine für alle in Deutschland lebende Menschen relevante Problemstellung (Bommes 2007: 3).
Es hat sich jedoch, wie bereits im vorigen Kapitel erörtert, gezeigt, dass MigrantInnen bzw. als MigrantInnen adressierte Menschen vielfach mit doppelten Maßstäben und sozialen „Barrieren“ (Bommes 2007: 3) konfrontiert werden. Entsprechend fragt Bommes (2007: 4) in diesem Zusammenhang pointiert, ob die Anforderungen, denen diese sich in unterschiedlichen Bereichen, sei es nun auf dem Arbeitsmarkt oder im Bildungssystem, gegenübersehen, „für alle gleich gültig sind“ (ebd.). Auch muss an dieser Stelle bedacht werden, dass kein Mensch, ob nun in Deutschland geboren oder nicht, in allen gesellschaftlichen Bereichen gleichermaßen ,integriert‘ sein kann und eine solche Forderung speziell an Migrantinnen zu stellen demnach den erwähnten doppelten Maßstab widerspiegeln würde und ein geradezu utopischer Anspruch wäre.
Wenn man die ,Aufgabe‘ der Integration nun aus einer nicht-assimilatorischen und zeitgemäß reflektierten Sichtweise zu betrachten versucht, zeigt sie sich somit als zweiseitige Problemstellung für den modernen Wohlfahrtsstaat, geht es doch einerseits darum, Partizipation, insbesondere der Zugezogenen, zu ermöglichen, und gleichzeitig Ungleichheiten und Differenzziehungen entgegenzuwirken bzw. deren Stabilisierungen zu verhindern (Bommes 2007: 5). Hier zeigt sich jedoch die innere Widersprüchlichkeit dieser Ansprüche: Denn allein durch die Adressierung bestimmter Menschen als MigrantInnen oder Menschen mit Migrationshintergrund werden gewisse Kategorien bzw. Differenzen ständig reproduziert und verfestigt, denn gerade durch Anerkennung wird doch gleichzeitig auch eine Klassifizierung bestätigt (Mecheril 2010: 187). Obwohl Anerkennung also als Voraussetzung zur Handlungsfähigkeit angesehen wird, wird so dennoch auch der (untergeordnete) Status des oder der MigrantIn reproduziert und somit ein „Anderssein“ (ebd.) festgelegt und die hegemoniale Ordnung bestätigt. Dennoch wird klar, dass eben jene Differenzen und sozialen Barrieren auch nicht dethematisiert werden dürfen und angesprochen werden müssen, wenn ihnen entgegengewirkt und Ungleichheitsverhältnisse aufgedeckt werden sollen. Wichtig nennt Mecheril hier insbesondere Reflexion und Achtsamkeit für Produktion und Ausschluss anderer Menschen (ebd.: 190f.), dies insbesondere im professionellen Feld der Migrationspädagogik. Integration, das lässt sich festhalten, ist nun letztlich eine alle in Deutschland betreffende Aufgabe. Denn: „Gelingende Integration [...] setzt Integrationsbereitschaft nicht nur bei der Zuwandererbevölkerung, sondern auch bei der Mehrheitsgesellschaft voraus“ (Bade 2007: 34). Wie auch immer man den Begriff Integrationsbereitschaft nun deuten oder auch kritisieren mag, einen wichtigen Punkt spricht Bade hier jedoch an: So kann die Politik mit ihren Maßnahmen nicht „stellvertretend“ (Bommes 2007: 4) integrieren.
Integration ist letztlich immer ein „beidseitiger Austauschprozess“ (Schramkowski 2004: 12), der folglich auch Veränderung der Sozialstrukturen hervorrufen muss (Terkessidis 2010: 44). Die (Furcht vor) Veränderungen sowie diffuse Bilder und Ängste vor den ,Fremden‘ sind es wohl, die eine Bedrohung des Zusammenhalts moderner bzw. der deutschen Gesellschaft durch Migrationsphänomene in öffentlichen und politischen Debatten heraufbeschwören und dadurch mühelos die Forderung nach verschärften Integrations(an)forderungen laut werden lassen (Geisen 2010: 31). Dabei sind es gerade diese Pluralität innerhalb eines Landes und die Individualität der Einzelnen, die eine moderne Gesellschaft ausmachen und die Basis eines demokratischen Miteinanders darstellen (Geisen 2010: 25).
Es gilt also, Abstand zu nehmen von unreflektierten Anpassungs- und Leistungsforderungen und sich bewusst zu machen, mit welchen Standards MigrantInnen und mit welchen ,Mehrheitsangehörige‘ hingegen zumeist gemessen werden (Schramkowski 2004: 17). Ebenso sind die starken Problemfokussierungen in öffentlichen Debatten, die kaum auf aktive und konstruktive Unterstützung setzen, kritisch zu betrachten und stets auf ihre Produktivität hin zu hinterfragen (Schramkowski 2004: 19).
Um in Zukunft Differenzziehungen und stereotype Bilder nicht ständig zu reproduzieren, plädiert Schramkowski dafür, in modernen Zeiten insbesondere auch hybride und multinationale Zugehörigkeiten wahrzunehmen und anzuerkennen, sich aber gleichzeitig zu vergegenwärtigen, dass die (nationale) Zugehörigkeit nur eines unter vielen prägenden Merkmalen des jeweiligen Individuums ist (Schramkowski 2004: 15, 28). Integration bzw. das, was der oder die Einzelne nun darunter verstehen mag, ist letztlich immer geprägt von eigenen Vorstellungen und dem subjektiven Weltbild der oder des Beurteilenden (Schramkowski 2004: 16f.). Sich bewusst zu machen, dass die politisch-rechtliche Zugehörigkeit, also die Staatsbürgerschaft, nicht zwingend der sozialen oder auch der individuellen Definition von Zugehörigkeit entspricht, ist u.a. ein wichtiger Schritt, um gesellschaftliche Bewertungskriterien infrage zu stellen.
Selbst bei einer nicht-defizitären, fortschrittlicheren Definition von Integration merkt Geisen (2010: 28f.) jedoch an, dass der Integrationsbegriff an sich schon die Gegensätzlichkeit und Teilung in Eigenes und Fremdes impliziere und dadurch, ob nun im jeweiligen Kontext implizit oder explizit, eine vorgegebene Norm suggeriere. Er schlägt deshalb das Konzept und den Begriff der „Vergesellschaftung“ (Geisen 2010: 28) vor, welcher aus der Soziologie stammt und als Alternative zum Integrationsbegriff Gesellschaft als Gesamtheit und Ergebnis sozialer Handlungen betrachte ohne eine Norm vorzugeben und so die unterschiedlichen Formen, negative und positive, von Vergesellschaftung analysieren könne. Es wird in diesem Konzept Gesellschaft nicht zum Maßstab für Integrationsanforderungen, sondern zunächst ganz grundlegend als Resultat sozialer Handlungen begriffen (ebd.: 29). Kritisch wäre hier jedoch zu hinterfragen, wie insbesondere im politischen und gesellschaftlichen Kontext konkret auf den Integrationsbegriff verzichtet werden könne.
[...]
1 Der Begriff Zugehörigkeitsmanagement wurde von Paul Mecheril geprägt und beschreibt die individuelle Auseinandersetzung der oder des Einzelnen mit gemachten Zugehörigkeitserfahrungen (vgl. Mecheril 2000)
2
3 Die Kategorie ,Kultur‘ muss jedoch immer kritisch und je nach Kontext bewertet werden: In zeitgemäßen Deutungen ist Kultur dynamisch und ein für Überschneidungen und Hybridität offenes System (vgl. Leiprecht 2008).