Fachbuch, 2021
60 Seiten
Abstract
Abbildungsverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Persönliche Motivation
1.2 Problemstellung, Zielsetzung und Aufbau der Arbeit
2 Die Bedeutung von Kohlendioxid
3 Allgemeine Funktionsweise eines Emissionshandels
4 Beschreibung des Europäischen Emissionshandels im Speziellen
4.1 Umsetzung des EU ETS
4.2 Teilnehmer am Emissionshandel
4.3 Einbindung der Luftverkehrs in den Emissionshandel
4.4 Phasen des Emissionshandels
4.5 Zertifikatstypen und preisliche Entwicklung
5 Gründe für das Scheitern des Emissionshandels
5.1 Zusätzliche JI/CDM-Zertifikate
5.2 Wirtschaftskrise
5.3 Weitere (nationale) Klimaschutzmaßnahmen
5.4 Zu hoch gewählte Obergrenze
5.5 Überausstattung mit Zertifikaten
5.6 Zu geringer Zertifikate-Preis
6 Wiederbelebung des Emissionshandelssystems
6.1 Die Marktstabilitätsreserve
6.2 2015/1814: Änderung der Richtlinie 2003/87/EG
6.3 Die Reform des Europäischen Emissionshandels
7 Auswirkungen der Reform auf die vierte Handelsperiode
7.1 Überschussentwicklung und Kohlendioxidpreise
7.2 Zusammenwirken von Emissionshandel und nationalen Klimaschutzmaßnahmen
8 Weitere Möglichkeiten zur Stärkung und Ergänzung des Emissionshandels
8.1 Klimapfand
8.2 Einführung einer unabhängigen Emissionsbank
8.3 Erweiterung des Emissionshandels auf weitere Sektoren
8.4 CO2-Bepreisung über eine Energiesteuerreform
9 Fazit
Literaturverzeichnis
Introduced in 2005 the Emissions Trading System is by far the most powerful climate protection instrument in European environmental policy. It is ecologically safe through a set cap and ensures that CO2 emissions are reduced precisely where their marginal abatement costs are lowest. However, in the last ten years the emissions trading system has been struggling with severe impact problems. Although emissions from the European Union declined by a good 25 percent by 2017 compared to the base year 2005, this is not due to emissions trading, but to other national climate protection measures, in particular the increase in energy efficiency and the expansion of renewable energies.
The systematic over-endowment of the participants with certificates, credits from (sometimes more than questionable) climate protection projects abroad as well as the already mentioned parallel climate protection measures led in the past three trading periods that there was almost never even a small extent to a shortage of certificates on the market.
This bachelor thesis will show that a transformation, especially the introduction of a market stability reserve as well as the reforms of April 2018, will breathe new life into an Emissions Trading System that has been labeled as a failure and now will eventually become that climate protection instrument from 2021 onwards, as it was designed at the beginning.
The first part gives an overview of the functioning and the previous work of the certificate trading. The second part analyzes the main reasons for the failure of the system in the second and third trading period. Subsequently, additions and reforms as well as their reviving effects on the fourth trading period are shown. Finally, some possible additions to further strengthen the Emissions Trading System are presented.
Abbildung 1: Monatsmittelwerte der Konzentration von CO2 auf Mauna Loa (Hawaii) seit
Abbildung 2: Anteile bedeutender Klimagase am Treibhauseffekt
Abbildung 3: Anteil der einzelnen Branchen an den Emissionen des EU ETS im Jahr
Abbildung 4: Anzahl der teilnehmenden Anlagen
Abbildung 5: CO2-Emissionen nach Verkehrsmitteln in Europa
Abbildung 6: Wichtige Schritte im Europäischen Emissionshandel
Abbildung 7: Preisentwicklung von Januar 2005 bis Dezember 2014 sowie auswirkende Ereignisse
Abbildung 8: Preisentwicklung von Januar 2012 bis August
Abbildung 9: Monatliche Handelsvolumina von Emissionsberechtigungen (in Millionen Zertifikaten)
Abbildung 10: Menge der JI/CDM-Zertifikate pro Jahr und aufgeteilt auf die Herkunftsländer 2008-
Abbildung 11: Auswirkungen einer Wirtschaftskrise auf die Umweltbelastung
Abbildung 12: Gesamt-Cap und Emissionen im EU ETS (in Mt CO2e)
Abbildung 13: Entwicklung von Angebot und Nachfrage der Zertifikate sowie Überschuss in den Jahren 2005 bis
Abbildung 14: Kurzfristige Grenzkosten von alten Steinkohle- und neuen Gaskraftwerken und CO2-Preis in Deutschland 2010-
Abbildung 15: Ursachen für das Scheitern des EU Emissionshandels
Abbildung 16: Zertifikateentwicklung bei einer Treibhausgasminderung von 1 Prozent pro Jahr
Abbildung 17: Zertifikateentwicklung bei einer Treibhausgasminderung von 2 Prozent pro Jahr
„Wir leben in einer merkwürdigen Welt - aber es ist die einzige, die wir haben.“ (Greta Thunberg, schwedische Klimaschutzaktivistin)
Kaum ein Thema ist derzeit wissenschaftlich, medial und gesellschaftlich präsenter als der dringend notwendige Schutz des Klimas, der Natur und der Umwelt. Die wöchentlichen Schüler-Demonstrationen unter dem Motto „Fridays For Future“ verdeutlichen – über den kompletten Globus verteilt – den Frust der jungen Gesellschaft. Sie sind enttäuscht über das wenig vorausschauende Handeln vorheriger Generationen, gleichzeitig aber auch verärgert über das (Nicht-)Handeln der heute gewählten Politiker. Dabei hat die heutige Klimapolitik eine Vielzahl an Klimaschutzinstrumenten zur Auswahl, welche in Kombination (und nur in Kombination) miteinander eine enorme Wirkung erzielen können.
Das wohl brisanteste Thema im Zusammenhang mit dem anthropogen verursachten Klimawandel ist der Ausstoß von Treibhausgasen – insbesondere Kohlenstoffdioxid, welches zu einem Großteil für den menschengemachten Treibhauseffekt verantwortlich ist. Um die Erwärmung der Erde und die daraus resultierenden Folgen für Mensch und Umwelt aufzuhalten, muss der Ausstoß von Treibhausgasen drastisch reduziert werden – einerseits durch technische Lösungen, andererseits durch Veränderung des eigenen Verhaltens.
Während meines Praktikums und später als Werkstudent in der Abteilung Klimaschutz des Umweltamts der Stadt Augsburg kam ich mit vielen dieser politischen Klimaschutzinstrumente in Kontakt. Neben dem Ausbau der Erneuerbaren Energien beschäftigte ich mich viel mit Energieeinsparung sowie mit der Steigerung von Effizienz und Suffizienz. Ein Thema, das mich besonders faszinierte war der Europäische CO2-Emissionshandel. Ein System, dass seit seiner Einführung 2005 in puncto Umstrittenheit nur schwer zu überbieten ist. Einerseits ökologisch treffsicher, also mit Garantie auf Verringerung der Europäischen Kohlendioxidemissionen, andererseits mit einem (bisher) erschreckend unbedeutenden Beitrag zum globalen Klimaschutz.
Unsere Umwelt und ihre Systeme verändern sich laufend. Umweltschutz und -forschung sind aufgrund des klimatischen Zustandes unseres Planeten derzeit einige der wichtigsten Themen in den Natur- und Sozialwissenschaften. Die Geographie als interdisziplinäre Wissenschaft beschäftigt sich unter anderem mit den Themenbereichen Umweltschutz und -management, aber auch mit Themen wie Energiewirtschaft und Umweltökonomie und bildet eine wichtige Schnittstelle zur gemeinsamen Forschung und Zusammenarbeit innerhalb dieser Themenbereiche. Gerade die Umweltökonomie spielt in einer Welt mit einem hohen Bedarf an Umweltschutz (seitens des Planeten) und gleichzeitig einem hohen Bedürfnis nach ökonomischer Stabilität (seitens der Bevölkerung) eine wichtige Rolle. Die globale Aufgabe des 21. Jahrhunderts besteht daher – stark vereinfacht gesprochen – in der Vereinigung von Ökologie und Ökonomie, um so unseren Planeten noch für nachfolgende Generationen lebenswert zu erhalten.
Wie bereits im vorherigen Unterkapitel angedeutet galt der Emissionsrechtehandel in den Augen vieler bereits als erfolglos, wenn nicht sogar als gescheitert. Die Emissionen der Europäische Union gingen bis zum Jahr 2017 gegenüber dem Basisjahr 2005 zwar um gut 25 Prozent zurück – was jedoch nicht auf den Emissionsrechtehandel, sondern auf andere nationale Klimaschutzmaßnahmen, insbesondere die Steigerung der Energieeffizienz und der Ausbau der Erneuerbaren Energien, zurückzuführen ist.
Man könnte sogar noch einen Schritt weiter gehen und sagen, dass das System im Grunde genommen von Anfang an ausgetrickst wurde und damit von vornherein zum Scheitern verurteilt war. Die systematische Überausstattung der Teilnehmer mit Zertifikaten, Gutschriften aus (teilweise mehr als fragwürdigen) Klimaschutzprojekten im Ausland sowie die bereits erwähnten parallel laufenden Klimaschutzmaßnahmen führten in den vergangenen drei Handelsperioden dazu, dass es so gut wie nie auch nur ansatzweise zu einer Zertifikateknappheit auf dem Markt kam.
Die vorliegende Arbeit soll einen Überblick über die Funktionsweise des Europäischen Emissionshandels geben und deskriptiv erläutern, warum sein Beitrag zur globalen Dekarbonisierung in der Realität geringer ist, als er es eigentlich hätte sein können.
Zunächst wird in Kapitel 3 allgemein die Funktionsweise eines Emissionshandelssystems beschrieben und in Kapitel 4 auf die Europäische Union angewandt. Im darauffolgenden Abschnitt werden die Gründe für das mäßige Funktionieren des Systems erläutert. Kapitel 6 und 7 beschäftigen sich mit den „Wiederbelebungsmaßnahmen“ durch die EU-Politik und den damit verbundenen Auswirkungen auf Jahre ab 2021.
Ziel der Arbeit ist es, aufzuzeigen, dass die durchgeführten Maßnahmen dem, bis dato sehr ineffektivem und unglaubwürdigem, Klimaschutzinstrument neue Kraft zur vollständigen Entfaltung seiner Wirkung verleihen werden.
Aufgrund der aktuellen (September 2019) politischen Debatte in Deutschland (eine Woche vor Abgabe dieser Arbeit stellte das Klimakabinett der Bundesregierung nach einer 15-stündigen Sitzung die Eckpunkte für das Klimaschutzprogramm 2030 vor) werden in Kapitel 8 noch einige Möglichkeiten zur Ergänzung und zur Stärkung des Emissionshandels vorgestellt.
Bei Kohlendioxid handelt sich – vereinfacht gesprochen – um ein Kohlenstoffatom, an dessen Außenseiten jeweils zwei Sauerstoffatome sitzen. Der Anteil an CO2 in der Atmosphäre beträgt derzeit knapp über 0,04 Prozent (Plöger, Böttcher 2016:44ff.). Diese Konzentration nimmt seit Beginn der Industrialisierung kontinuierlich zu, was den Treibhauseffekt verstärkt und so zu klimatischen Veränderungen führt. Weltweit ist das Treibhausgasniveau gegenüber dem Referenzjahr 1990 um 27 Prozent gestiegen (Weber 2008:33-46). Den drastischen Anstieg der atmosphärischen CO2-Konzentration als Resultat der Verbrennung fossiler Energieträger verdeutlicht die – mittlerweile fast schon berühmte – Zeitreihe der Messstation auf dem Mauna Loa in Hawaii (vgl. Abbildung 1).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Monatsmittelwerte der Konzentration von CO2 auf Mauna Loa (Hawaii) seit 1960
Quelle: Chylek et al. 2018:3
Der Anstieg dieser Treibhausgasemissionen führt seit dem Beginn der industriellen Revolution zu einem der globalen Temperatur um etwa 1,0 °C. Ein weiterer Emissionsanstieg mit der aktuellen Geschwindigkeit würden nach einem Bericht des IPCC im Zeitraum 2030 bis 2052 zu einer globalen Erwärmung von mindestens 1,5 °C führen. Aufgrund des langsamen Abbaus von Kohlendioxid in der Atmosphäre wird diese globale Temperatur für Jahrhunderte bis Jahrtausende erhöht bleiben, selbst bei einem deutlichen Rückgang der CO2-Emissionen. Die bisherigen Klimaabkommen geben daher nicht eine Absenkung der Temperatur auf vorindustrielle Verhältnisse, sondern eine dringend notwendige Stabilisierung einem konkreten (leicht erhöhten) Niveau vor. Dies lässt sich nur mit einem dauerhaften Stop der Kohlendioxidemissionen erreichen, entweder durch eine tatsächliche Reduktion auf null oder aber eines künftigen Schadstoffausstoßes auf netto-null. Dies bedeutet, dass mit technischen und/oder natürlichen Prozessen mindestens so viel CO2 aus der Atmosphäre genommen wird, wie die tatsächlichen Emissionen (Guilyardi et al. 2019:6-19).
Es wird davon ausgegangen, dass es weder in naher noch ferner Zukunft eine funktionierende End-of-Pipe-Technologie für CO2 geben wird. Eine Ausnahme bildet hierbei die CO2-Abscheidung und -Speicherung (Carbon Capture and Storage) am Ende des Produktionsprozesses. Die einzigen Methoden zur langfristige Vermeidung von CO2 sind daher einerseits die Steigerung der Energieeffizienz und andererseits die Nutzung CO2-armer oder sogar ganz -freier Technologien (Sturm 2018:105).
Allgemein gesprochen können Umweltgüter nicht gehandelt werden, da sie sehr spezifische Charakteristika aufweisen. Bei der Erdatmosphäre handelt es sich beispielsweise um ein öffentliches Gut, von dessen Nutzung niemand ausgeschlossen werden kann und der Nutzen dieses Guts nicht konkurrierend ist. Es benötigt hier also eine Möglichkeit, das Marktversagen zu korrigieren und eben einen solchen Markt für Umweltgüter zu schaffen. Der erste Schritt besteht in diesem Fall darin, ein handelbares Gut zu schaffen, auf welche das Ausschlussprinzip angewendet werden kann1. Eine Möglichkeit wären hierfür Schadstoffemissionen und darauf basierend die Berechtigung, Schadstoffe zu emittieren. Solche Emissionsrechte werden dann durch den Staat (es sei an dieser Stelle noch offen, ob es sich dabei um einen Nationalstaat oder eine Staatengemeinschaft handelt) definiert und in Form von Zertifikaten auf dem Markt gehandelt. Danach wird festgelegt, welche Gesamtschadstoffmenge emittiert werden darf und was damit das ökologische Ziel des Emissionshandelssystems ist. Zudem muss definiert werden, um welche Art von Schadstoffen es sich handelt, welche Arten von Emissionsverursachern bzw. welche Wirtschaftseinheiten zum Handel verpflichtet sind und welche räumlichen Grenzen gelten sollen. Zudem muss eine Kontrollbehörde eingerichtet werden, bei welcher die betroffenen Unternehmen die erforderliche Menge an Zertifikaten für ihre tatsächlichen Emissionen einreichen müssen. Als, in der Praxis am einfachsten handhabbarer, Schadstoff bietet sich das Treibhausgas Kohlenstoffdioxid CO2 an, da in der Regel eine proportionale Beziehung zwischen dem fossilen Brennstoff als Input (beispielsweise Kohle oder Erdgas) und den tatsächlich freigesetzten Emissionen als Output besteht. Bei der Verbrennung von einem Kilogramm Steinkohle entstehen beispielsweise 2,762 Gramm Kohlenstoffdioxid. Es müssen hier also keine Schadstoffausstöße aufwändig an der Quelle gemessen werden. Stößt ein Unternehmen nun mehr Schadstoffe aus als es Berechtigungen besitzt, werden Strafzahlungen fällig. Diese müssen logischerweise oberhalb des aktuellen Zertifikatsmarktpreises liegen, da das Unternehmen sonst durch das Zahlen der Strafe einen wirtschaftlichen Vorteil genießen würde und so ein Markt gar nicht erst entstehen könnte (Sturm 2018:92).
Die Garantie für die Funktionstüchtigkeit eines solchen Marktes zum Handel mit Zertifikaten sowie die ökologische Treffsicherheit des Emissionshandels basiert auf der Annahme, dass sich alle teilnehmenden Unternehmen auf den Ausstoß von CO2-Emissionen reduzieren lassen und daher nur durch ihre Ausstoßmenge sowie ihre Grenzvermeidungskosten unterscheiden, da nicht alle Produktionsanlagen den selben Stand der Technik besitzen (Sturm 2018:92). Als Grenzvermeidungskosten werden die zusätzlichen Kosten bezeichnet, die zur Vermeidung jeder zusätzlich ausgestoßenen Tonne Kohlendioxid anfallen (Ragoßnig et al. 2012:284). Moderne Anlagen weisen in der Regel höhere Grenzvermeidungskosten auf, da sich mit älteren Anlagen Emissionen leichter vermeiden lassen, beispielsweise durch technische Nachrüstungen und damit verbunden eine Steigerung der Energieeffizienz. Ein Unternehmen, dass in der Praxis über weniger Emissionsrechte als realisierte Emissionen verfügt, hat nun zwei grundsätzliche Möglichkeiten:
1. Im Falle von niedrigen Grenzvermeidungskosten (GVK) investiert es in neue Technologien, welche zu einem deutlich verringerten Schadstoffausstoß führen. Dieser muss mindestens so groß sein, dass das Unternehmen nun mehr Zertifikate besitzt, als es benötigt, und diese auf dem Markt verkaufen kann, um so in absehbarer Zeit die Kosten für die Investitionen zu kompensieren. Die Grenzvermeidungskosten liegen in diesem Fall also unter dem herrschenden Marktpreis (p) und es werden effektiv Emissionen vermieden.
2. Im gegenteiligen Fall kauft sich das betroffene Unternehmen am Markt zusätzliche Zertifikate ein und „rechtfertigt“ so den zu hohen Schadstoffausstoß. Der Preis für diese Zertifikate muss in jedem Fall unter den Grenzvermeidungskosten liegen. Die Menge an Emissionen bleibt gleich.
Betrachtet man nun die beschriebenen Fälle synoptisch als zwei verschiedene Unternehmen (1) und (2) mit ihren jeweiligen tatsächlichen (zu hohen) Emissionen E1 und E2 und ihren Grenzvermeidungskosten GVK1 und GVK2, ergibt sich eine Gesamtemissionsmenge EG = E1 + E2. Unternehmen (1) reduziert seine tatsächlichen Emissionen um den Wert EX, welcher so hoch ist, dass (1) nun sogar weniger emittiert, als es dürfte und wird damit zum Anbieter von Zertifikaten auf dem Markt, wobei GVK1 < p. Für Unternehmen (2) gilt GVK2 > p, weswegen es bei gleichbleibenden Schadstoffen E2 Zertifikate von (1) abkauft. Während vor dem Handel die Gesamtemissionsmenge E1 + E2 war, setzt sich EG nun aus E1 + E2 – EX zusammen. Trotz gleichbleibendem Ausstoß von (2) wurde also die Gesamtschadstoffmenge insgesamt reduziert (Sturm 2018:93).
Dieser Handel funktioniert genau so lange, bis sich von beiden Unternehmen die Grenzvermeidungskosten exakt angeglichen haben und sich so keine bilateralen Vorteile für eines der Unternehmen mehr ergeben. Man spricht insbesondere von einem Marktgleichgewicht, wenn die Grenzvermeidungskosten gleich dem Zertifikatspreis sind. Um zu garantieren, dass es sich hierbei um einen Wettbewerbsmarkt handelt, müssen viele Unternehmen auf dem Markt interagieren und zusätzlich keine Einflussmöglichkeit auf den Zertifikatspreis vorhanden sein (Sturm 2018:94).
Da nun also Unternehmen mit niedrigen Grenzvermeidungskosten zu Anbietern und solche mit hohen Grenzvermeidungskosten zu Nachfragern werden, ergibt sich die Reduktion der Emissionen immer dort, wo die Kosten der Vermeidung am niedrigsten sind. Der Handel mit Zertifikaten gilt daher als ökologisch treffsicher, da auf jeden Fall die gewünschte Vermeidungsmenge erreicht wird. Es sei an dieser Stelle jedoch erwähnt, dass es sich in der Praxis nur um ein „second best“-Verfahren handelt, da es sehr schwierig ist, das Emissionsziel so zu wählen, dass der Grenzschaden den Vermeidungskosten gleicht (Sturm 2018:95). Es wird davon ausgegangen, dass durch ein EU-weites Handelssystem im Vergleich zu einzelstaatlichen Lösungen zur Reduktion von Emissionen etwa 20 Prozent der Kosten gespart werden können (Piemonte 2010:56).
In diesem Kapitel soll, neben der geschichtlichen Entwicklung, die konkrete Ausgestaltung des Europäischen Emissionshandelssystem genauer analysiert werden.
Der Europäische Emissionshandel (im Folgenden oftmals mit EU ETS, European Emissions Trading System, abgekürzt) ist das zentrale Element der europäischen Klimapolitik, da er die energieintensiven Industrien der EU-28-Mitgliedsstaaten sowie Norwegen, Island und Liechtenstein dazu verpflichtet, für den Ausstoß des wichtigsten Treibhausgases CO2 (vgl. Abbildung 2) einen Preis zu zahlen und zudem für die beteiligten Sektoren eine Gesamtemissionsmenge festlegt. Zusätzlich werden auch Distickstoffoxid (N2O) sowie Perflourcarbone (PFCs) in der Einheit Tonnen CO2-Äquivalente (tCO2e) erfasst (Sturm 2018:97f.).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Anteile bedeutender Klimagase am Treibhauseffekt
Quelle: Eigene Darstellung nach Piemonte 2010:4
Nach der Ratifizierung des Kyoto-Protokolls am 31. Mai 2002 durch die EU wurde der Europäische Emissionshandel, basierend auf der Richtlinie 2003/87/EG des Europaparlaments im Jahr 2005 eingeführt, wobei zunächst nur das Treibhausgas CO2 reguliert wurde, da es einerseits den größten Anteil am anthropogen verursachten Treibhauseffekt hat und seine Emissionen andererseits relativ einfach zu messen sind. Inzwischen werden auch die deutlich schädlicheren Gase N2O und PFCs vom Emissionshandel erfasst (Sturm 2018:98, Piemonte 2010:56f.). Es handelt sich beim Emissionshandel um einen sogenannten flexiblen Mechanismus, da die teilnehmenden Staaten die marktwirtschaftliche Konzeption der jeweiligen Situation ihres Landes anpassen können (Piemonte 2010:1).
Anstatt von Anfang an die sämtliche Emissionsquellen in den Handel mit einzubeziehen, entschloss sich die Kommission zunächst mit einer überschaubaren Anzahl an Emittenten zu beginnen. Besonderer Augenmerk lag auf jenen, bei denen sich ein Monitoring vergleichsweise einfach gestalten würde. Es wurden hierfür spezielle Sektoren definiert und zur Teilnahme am Emissionshandel verpflichtet (Graichen, Requate 2005:42). Diese Sektoren werden als „Kategorien von Tätigkeiten“ im Anhang I der Emissionshandelsrichtlinie 2003/87/EG aufgeführt. Es wird explizit erwähnt, dass „Anlagen oder Anlagen-teile, die für Zwecke der Forschung, Entwicklung und Prüfung neuer Produkte und Verfahren genutzt werden“ (Europäische Kommission 2003:L(275)/42), nicht unter diese Richtlinie fallen. Demnach unterliegen folgende Tätigkeiten dem Emissionshandel:
- Energieumwandlung- und umformung Gemeint sind hiermit einerseits Feuerungsanlagen mit mehr als 20 MW Feuerungswärmeleistung, wobei Anlagen für die Verbrennung von gefährlichen oder Siedlungsabfällen ausgenommen sind, sowie andererseits Mineralölraffinerien und Kokereien.
- Eisenmetallerzeugung und -verarbeitung Dies betrifft Röst- und Sinteranlagen für Metallerz sowie Anlagen für die Herstellung von Stahl und Roheisen mit einer Kapazität von mehr als 2,5 Tonnen pro Stunde.
- Mineralverarbeitende Industrie Betroffen sind zum einen Herstellungsanlagen für Zementklinker mit mindestens 500 Tonnen Produktionskapazität pro Tag und für Kalk mit mehr als 50 Tonnen pro Tag sowie zum anderen die Herstellung von Glas mit mehr als 20 Tonnen Schmelzkapazität. Zudem sind in diesem Sektor Anlagen zur Herstellung von keramischen Erzeugnissen (z. B. Ziegelsteine, Fließen, Porzellan) mit einer Kapazität von mindestens 75 Tonnen am Tag mit eingeschlossen.
- Sonstige Industriezweige
Gemeint ist hierbei die Herstellung von Zellstoff aus Holz sowie von Papier und Pappe mit mehr als 20 Tonnen Produktionskapazität pro Tag.
Bei Betreibern, welche innerhalb ihrer Anlage mehrere der oben genannten Tätigkeiten durchführen, werden die einzelnen Kapazitäten dieser Tätigkeiten addiert (Europäische Kommission 2003:L(275)/42).
Im Folgenden stehen die Einheiten Gt für Gigatonnen, Mt für Megatonnen und CO2e für CO2-Äquivalente.
Insgesamt sind in den 31 teilnehmenden europäischen Ländern (EU28 sowie Island, Liechtenstein und Norwegen) inzwischen über 12.000 Anlagen betroffen, welche im Jahr 2017 zusammen etwa 1,8 Gigatonnen CO2e verursachten und damit für etwa 40 Prozent der europäischen Gesamtemissionsmenge verantwortlich sind, wobei die Energiewirtschaft mit insgesamt 1,163 Gt CO2e den größten Anteil (zwei Drittel) im Zertifikatehandel hat (Healy et al. 2018:8f.). Deutschland hat hierbei mit einem Schadstoffgesamtausstoß von insgesamt 438 Mt CO2e (312 Mt CO2e Industrie, 126 Mt CO2e Energie) einen Anteil von knapp 25 Prozent am EU ETS (DEHSt 2018:1-5). Die folgenden Abbildungen zeigen die Anteile der einzelnen Industriebranchen (Abbildung 3) an den Gesamtemissionen der, am Emissionshandel teilnehmenden, EU31-Länder im Jahr 2017 sowie die Entwicklung der Anzahl an teilnehmenden Anlagen (Abbildung 4).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3: Anteil der einzelnen Branchen an den Emissionen des EU ETS im Jahr 2017
Quelle: Eigene Darstellung nach Healy et al. 2018:8f.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 4: Anzahl der teilnehmenden Anlagen
Quelle: Eigene Darstellung basierend auf Daten der Reports des Union Registry (European Commission 2019a)
Es wird an dieser Stelle betont, dass die Emissionshandelsrichtlinie bezüglich der teilnehmenden Anlagen sowie der Zuteilungskriterien der Zertifikate keine einheitlich verpflichtenden Regelungen vorgibt. Gemäß dem Subsidiaritätsprinzip wird jedem Mitgliedsstaat ein gewisser Gestaltungsfreiraum gewährt, um die Emissionshandelsrichtlinie (wie jede andere EU-Richtlinie auch) in geltendes, nationales Recht umzusetzen (Piemonte 2010:57).
Das allgemeine Wirtschaftswachstum, steigende Einkommen und eine steigende Globalisierung des Handels sowie die damit verbundene ständig wachsende Nachfrage nach Mobilität führten dazu, dass in den Jahren 1990 bis 2009 die jährlichen Emissionen im Luftverkehr um 87 Prozent gewachsen sind (vgl. Abbildung 5). Eine Einbindung des Luftverkehrs in den Emissionshandel erscheint daher längst fällig (Scharschmidt, Lippelt 2012:26f.).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 5: CO2-Emissionen nach Verkehrsmitteln in Europa
Quelle: Scharschmidt, Lippelt 2012:27
Am 19. November 2008 erließ das Europäische Parlament und der Rat die Richtlinie 2008/101/EG zur Änderung beziehungsweise Erweiterung der Emissionshandelsrichtlinie 2003/87/EG und damit zur Einbeziehung des Luftverkehrs in das Europäische Emissionshandelssystem. Die Richtlinie besagt, dass Luftfahrzeugbetreiber, deren Maschinen auf einem Flughafen eines Mitgliedsstaates starten oder landen, zur Teilnahme am Emissionshandel verpflichtet sind. Ausgenommen sind nach Anhang I hierbei unter anderem Flüge von Monarchen und Politikern in offizieller Mission, Militär- und Schulungsflüge, Rettungs- und Löscheinsätze, Flüge zur wissenschaftlichen Forschung sowie Flüge von Luftfahrtzeugen unter 5,7 Tonnen Höchstgewicht beim Start. Zudem sind Luftfahrzeugbetreiber dann nicht betroffen, wenn sie pro Jahr weniger als 30 000 Sitzplätze Kapazität anbieten, weniger als 243 Flüge in drei Viermonatszeiträumen durchführen oder jährlich weniger als 10 000 Tonnen Gesamtemissionen ausstoßen. Für das letzte Jahr der zweiten Handelsphase des Emissionshandels (01. Januar bis 31. Dezember 2012) werden den Luftfahrzeugbetreibern 97 Prozent der historischen Luftverkehrsemissionen in Form von Zertifikaten zugeteilt. Als historische Luftverkehrsemissionen wird der durchschnittliche Mittelwert der Kalenderjahre 2004, 2005 und 2006 definiert. Ab dem Beginn der dritten Handelsperiode entspricht die Gesamtmenge der zuzuteilenden Zertifikate 95 Prozent der historischen Emissionen. Bereits ab 2012 werden 85 Prozent der Zertifikate den Betreibern kostenlos vergeben, die restlichen 15 Prozent werden versteigert. Über die Verwendung der Einkünfte aus den Auktionierungen dürfen die Mitgliedsstaaten selbst entscheiden, wobei Artikel 3d Absatz 4 der Richtlinie vorgibt, dass besagte Einkünfte zur Bekämpfung des und Anpassung an den Klimawandel (z. B. Reduzierung von Treibhausgasemissionen, Forschung und Entwicklung, Maßnahmen gegen Abholzung von Wäldern) eingesetzt werden sollen. Ab dem 01. Januar 2013 werden drei Prozent der zugeteilten Gesamtmenge an Emissionsberechtigungen in eine Sonderreserve für Luftfahrzeugbetreiber überführt. Diese können nach Artikel 3f eine kostenfreie Zuteilung der Zertifikate aus der Reserve beantragen, wenn ihr Unternehmen beispielsweise nicht mehr die oben genannten Ausschlusskriterien erfüllt und nun zur Teilnahme am Emissionshandel verpflichtet ist (Europäische Kommission 2009a:L8/3-21, Schaefer et al. 2010:194-209).
Der EU ETS wurde zu Beginn in mehrere Phasen unterschiedlicher Länge aufgeteilt, welche nun vorgestellt werden.
Die erste Phase des Zertifikatehandels hatte eine Dauer von drei Jahren und kann in erster Linie als Initial- oder auch Testphase bezeichnet werden. Basierend auf der Richtlinie 2003/87/EG (Emissionshandelsrichtlinie) wurde zunächst von der EU noch keine, für einen Emissionshandel jedoch essentiell notwendige, Emissionsobergrenze (Cap) vorgeben, sondern den Mitgliedsstaaten in dieser Hinsicht eine gewisse Freiheit gewährt. Diese wurden jedoch verpflichtet die nationalen Emissionen der in Kapitel 4.2 genannten Sektoren und Industrien in einem Allokationsplan festzulegen. Die EU Kommission behielt sich hierbei allerdings das Recht vor, den Allokationsplan eines Staates bei Verletzung gewisser Kriterien abzulehnen (Sturm 2018:99). Die Europäische Kommission gibt im Anhang III ihrer Richtlinie 2003/87/EG konkrete Kriterien für die nationalen Zuteilungspläne der einzelnen Mitgliedsstaaten. Aufgeführt wird beispielsweise, dass die Gesamtmenge der zuzuteilenden Emissionsberechtigungen den wahrscheinlichen Bedarf für die strikte Anwendung der Kriterien nicht überschreiten darf. Des weiteren muss in jedem Fall das (technische) Potenzial zur Verringerungen von Emissionen berücksichtigt werden und in Einklang mit der Menge an Zertifikaten stehen. Es wird betont, dass alle Unternehmen und Sektoren gleich gerecht behandelt werden müssen und es keine Bevorzugung geben darf. Außerdem müssen klare Angaben darüber gemacht werden, wie sich neue Marktteilnehmer am Emissionshandel in ihrem jeweiligen Mitgliedsstaat beteiligen können (Europäische Kommission 2003:L(275)/44). 2003/87/EG Artikel 10 gab zudem vor, dass in der ersten Phase mindestens 95 Prozent der Zertifikate kostenlos zugeteilt werden müssen. Als Zuteilungsmethode wurde eine spezielle Variante des sogenannten Grandfatherings gewählt, bei der die Zertifikate, basierend auf den historischen Emissionen der Unternehmen, jährlich an diese vergeben wurden. Unter der Annahme, dass besagte Unternehmen nicht in neue Technologien investieren werden, sondern sich auf eine Verbesserung der angewandten Technologie konzentrieren, stellt das Verschenken der Zertifikate durch die Mietgliedstaaten in puncto Kosteneffizienz kein Problem dar, da die zugeteilte Menge an Emissionsberechtigungen geringer als die Nachfrage ist und sich daher durch Knappheit am Markt ein Preis bildet (Sturm 2018:99). Das Problem ergibt sich genau dann, wenn Unternehmen gegenteiliges Verhalten zeigen und in neue Technologien investieren. Für den Bau eines neuen Kohlekraftwerks erhält ein Energiekonzern, bei kostenloser Zuteilung im Rahmen des angewandten Grandfatherings, beispielsweise etwa doppelt so viele Zertifikate zugeteilt, wie vergleichsweise für den Bau eines neuen Gaskraftwerks, welches die gleiche Menge an Strom produziert (Benz, Sturm 2012:810f.).
Durch die sogenannte Linking Directive (2004/101/EG) wurden in den EU ETS die, in Kyoto beschlossenen, flexiblen Marktmechanismen eingeführt, weswegen 2004/101/EG rechtlich als Änderungsrichtlinie der ursprünglichen Emissionshandelrichtlinie 2003/87/EG betrachtet werden kann. Sie besagt, dass bereits in der ersten Phase die Nutzung zertifizierter Emissionsreduktionen aus CDM-Gutschriften möglich ist (Gerner 2012:17). Näheres dazu im Kapitel 4.5.
Mit Beginn der zweiten Phase traten erstmals die Verpflichtungen der Europäischen Union an das Kyotoprotokoll in den Vordergrund, was zur Folge hatte, dass das Gesamtziel verschärft wurde. Wie in Phase I wurden von den einzelnen Mitgliedsstaaten nationale Allokationspläne erstellt, welche durch die Kommission geprüft und in einigen Fällen auch korrigiert wurden (Böhringer, Lange 2012:12f.). Nach 2003/87/EG waren mindestens 90 Prozent der Zertifikate kostenlos zu verteilen (Europäische Kommission 2003:L(275)/36). Des weiteren wurden die Sanktionen für nicht oder zu spät eingereichte Zertifikate von 40,- EUR auf 100,- EUR pro tCO2 angehoben (Graichen, Requate 2005:37). Neben den bereits in Phase I erlaubten CDM-Gutschriften ist ab 2008 auch die Nutzung von Emissionensreduktionseinheiten auch JI-Projekten möglich. Die zweite Phase wird daher auch als Kyoto-Phase bezeichnet (Dannenberg, Ehrenfeld 2008:5f.).
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1 Es besteht damit also die Möglichkeit, andere vom Konsum dieses Guts auszuschließen.
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