Bachelorarbeit, 2017
54 Seiten, Note: 1,0
Abbildungsverzeichnis
1 Einleitung
2 Theoretische Einordnung
2.1 Flucht, Migration und Asyl
2.2 Kolonialismus
2.3 Rassismus
3 Kritische Diskursanalyse
3.1 Kritische Diskursanalyse nach Jäger
3.2 Begrifflichkeiten und Analyseschritte
4 Eine Angewandte kritische Diskursanalyse
4.1 Zielsetzung und Benennung und Begründung des Gegenstandes der Untersuchung
4.2 Kollektivsymbol „Willkommenskultur“
4.3 Das diskursive Ereignis „die Kölner Silvesternacht“
4.4 „Die Sexualisierung der Anderen“
4.5 Verknüpfung mit dem Diskursstrang der Sicherheit
4.6 „Abschottungsgesellschaft“
5 Fazit
Literaturverzeichnis
Literaturverzeichnis Diskursanalyse
„Willkommenskultur“
„Kölner Silvesternacht“ 2015 auf 2016
„Die Sexualisierung der Anderen“
Diskursstrang der Sicherheit
„Abschottungsgesellschaft“
Abb. 1: Verbindung Sexualität mit einer anderen Kultur Flak, Julian (2016): Sexattacken in Köln, Hamburg und Stuttgart. https://www.facebook.com/julianflak.afd/photos/a.709686065783287.1073741830.511034955648400/940555862696305/?type=3&theater [Zugriff: 02.07.2017].
Abb. 2: Titelbild des Fokus vom 09.01.2016 Focus Magazin (2016): Die Nacht der Schande. http://www.focus.de/politik/focus-titel-die-nacht-der-schande_id_5198275.html [Zugriff: 02.07.2017].
Abb. 3: Visuelle Darstellung von Baderegeln Vorsamer, Barbara (2016): Klare Regeln statt pauschaler Verbote. Schwimmbadverbot für Flüchtlinge. http://www.sueddeutsche.de/leben/schwimmbadverbot-fuer-fluechtlinge-klare-regeln-statt-pauschaler-verbote-1.2821667 [Zugriff: 01.07.2017].
Abb. 4: „Rapefugees not welcome“ Amadeu Antonio Stiftung (2016): Das Bild des >>Übergriffigen Fremden<< Warum ist es ein Mythos? Wenn mit Lügen über sexualisierte Gewalt Hass geschürt wird. Berlin.
Abb. 5: Statistik zu Straftaten Geflüchteter Lutz, Martin (2016): BKA – Bericht zeigt, welche Straftaten Flüchtlinge begehen. https://www.welt.de/politik/deutschland/article156051826/BKA-Bericht-zeigt-welche-Straftaten-Fluechtlinge-begehen.html [Zugriff: 02.07.2017].
Von der „Willkommenskultur“ zu einer „Abschottungsgesellschaft“, dieser Prozess beschreibt treffend die Veränderung des Diskurses um Flucht, Migration und Asyl in den Jahren 2015-2017. Das diskursive Ereignis der Silvesternacht in Köln von 2015 auf 2016 löste einen allgemeinen Stimmungswandel in der Zuwanderungspolitik aus und hat damit den Diskurs maßgeblich beeinflusst. In dieser Nacht seien am Kölner Hauptbahnhof und vor dem Dom Frauen massiv bedrängt und sexuell belästigt worden. Als mutmaßliche Täter waren schnell junge Männer aus dem arabischen oder nordafrikanischen Kulturkreis in den Fokus geraten. Nach diesem Ereignis wurden Geflüchtete nicht mehr generell willkommen geheißen, sondern die männlichen Geflüchteten und Migranten sexualisiert und kriminalisiert.
In meiner Arbeit soll diese Veränderung des Diskurses chronologisch auf verschiedenen Ebenen untersucht werden. Hierbei werde ich mich auf die mediale, die politische Ebene und die Alltagsebene beziehen und die Konsequenzen für Geflüchtete und Migrant*innen herausarbeiten. Dabei wird sich die Untersuchung überwiegend auf männliche Migranten beziehen, weshalb ich hier nicht konsequent gegendert habe.
Ich nehme zuerst eine theoretische Einordnung der Begriffe, Flucht, Migration, Asyl, Rassismus und Kolonialismus vor. Im weiteren Verlauf werde ich auf die Theorie der kritischen Diskursanalyse nach Jäger eingehen, um daraufhin eine kritische Diskursanalyse durchzuführen. Diese beginnt mit dem Kollektivsymbol der „Willkommenskultur“ und endet mit den Abschottungsstrategien der deutschen Gesellschaft. Im Hauptteil werde ich die Folgen des diskursiven Ereignisses der „Kölner Silvesternacht“ für den Diskurs um Flucht, Migration und Asyl aufgreifen und analysieren, wie Geflüchtete und Migranten danach sexualisiert und kriminalisiert wurden.
Abschließend werde ich in einem Fazit die erarbeiteten Ergebnisse der Kapitel noch einmal zusammenfassen, meine eigene Sichtweise schildern, einen Ausblick auf mögliche weitere Diskurse geben und einen Bezug zu der Sozialen Arbeit im Hinblick auf Migrationspädagogik herstellen.
In diesem Kapitel wird eine Einordnung vorgenommen, auf welche Definitionen der Begriffe Flucht, Migration, Asyl, Kolonialismus und Rassismus in der Arbeit Bezug genommen wird. Hierbei erfolgt zuerst eine Bezugnahme auf die Begriffe Flucht, Migration und Asyl, da diese das Hauptthema darstellen. Im weiteren Verlauf folgen Kolonialismus und Rassismus. Dabei wird der Kolonialismus vor dem Rassismus erläutert, da hier erstmals rassistische Muster evident wurden, um eine Herrschaftsform zu etablieren.
Nach Paul Mecheril bedeutet Migration die Überschreitung von Grenzen und stellt eine menschliche Handlungsform dar. Durch diese Überschreitung werden Grenzen erst sichtbar und problematisiert, wobei es nicht ausschließlich um geographische Grenzen, sondern auch um Grenzen der Zugehörigkeit geht (vgl. do Mar Castro Varela/ Mecheril 2010, S. 35). Mit diesen Grenzen der Zugehörigkeit verbindet er auch noch andere Phänomene, wie zum Beispiel „Strukturen und Prozesse alttäglichen Rassismus oder die Konstruktion des Fremden“ (Mecheril 2010, S.11).
Mecheril benennt drei Faktoren für den Anstieg einer Migrationsbewegung in unserer Gesellschaft. Erstens hätten Menschen die Möglichkeit, eigenständig Einfluss auf ihr eigenes Schicksal zu nehmen, indem ihnen die Überschreitung der Grenzen moralisch und menschenrechtlich zusteht. Zweitens sei die Intensität der globalen Ungleichheit in den letzten Jahren erheblich gestiegen. Durch moderne Techniken sei es den Personen, die ungleich behandelt werden, möglich, die Verhältnisse in anderen Ländern mit ihrer Situation zu vergleichen. Ob die Schilderungen hinsichtlich dieser Verhältnisse immer der Wahrheit entsprechen, sei dahingestellt. Der dritte Faktor beschreibt die Erleichterung der Grenzüberschreitung aufgrund moderner Transport- und kommunikationstechnischer Wege.
Insbesondere der erste und der dritte Aspekt sind im Hinblick auf das Recht zur Migration zurzeit nur theoretische Ansätze, da bei der Fluchtmigration das Phänomen der leichten Grenzüberschreitung in der Realität nicht gegeben ist. Durch die faktische Schließung von Grenzen ist eine Migration nicht immer möglich. Die meisten Menschen, die momentan z.B. nach Europa migrieren, haben sich zu Fuß oder in Booten auf den Weg gemacht und sich damit auch in Gefahr gebracht. Ihnen stehen moderne Transportwege nicht zur Verfügung. Zahlreiche Menschen sind auf der Flucht gestorben (vgl. Mecheril 2016, S. 9 f.).
„In Europa und auch Deutschland hält sich jedoch hartnäckig eine Negativ- und Defizitperspektive, die Migration vor allem in Verbindung mit Armut und Kriminalität als störend, bedrohend und fremd thematisiert“ (Mecheril 2010, S. 8). Die Perspektive, dass Migrant*innen als Akteur*innen gesehen werden, die neues Wissen, Erfahrungen, Sprachen und Perspektiven in unterschiedliche soziale Zusammenhänge einbringen und die Gesellschaft mitgestalten, geht in diesem Kontext leider unter (vgl. Mecheril 2010, S. 8).
Flucht betitelt eine spezifische Form der Migration. „Eine trennscharfe Unterscheidung zwischen Migration und Flucht ist nicht möglich“ (do Mar Castro Varela/ Mecheril 2010, S. 31). Auch in der Gesellschaft, der Politik und in den Medien werden Flucht und Migration häufig synonym genutzt Laut Artikel 1A der Genfer Flüchtlingskonvention ist ein Flüchtling eine Person, die "aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen will"
(Art. 1 GFK Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge).
In Artikel 1A der Genfer Flüchtlingskonvention werden die Fluchtgründe ausgeführt. Flucht ist kein neuartiges Ereignis. In den letzten 500 Jahren kam es immer wieder zu Fluchtbewegungen, wobei Flucht als erzwungene und unfreiwillige Migration gesehen wird. Fluchtbewegungen entstanden schon in Zeiten des Kolonialismus und des Sklavenhandels (vgl. do Mar Castro Varela / Mecheril 2010, S. 23 f.).
Im Kontext von Migration und Flucht wird häufig von dem Wort Asyl Gebrauch gemacht. Mit Asylbewerber*innen sind Geflüchtete gemeint, welche in Deutschland einen Asylantrag gestellt haben. Eine Person, die die sichtbar gewordenen Grenzen überschreitet und in Deutschland Schutz für längere Zeit sucht, ist aufgefordert, einen Asylantrag zu stellen (vgl. do Mar Castro Varela / Mecheril 2010, S. 32 f.).
Über die Gewährleistung dieses Schutzes entscheidet das Bundesamt für Migration (BAMF). Es wird überprüft, ob die Gründe der Schutzsuchenden ausreichen, um in Deutschland bleiben zu können. Ein weiteres Kriterium für diese Entscheidung ist auch, aus welchem Land man flieht. Es gibt so genannte sichere Herkunftsstaaten, in denen nach der deutschen Bundesregierung keine Schutzgewährung nötig ist. Das bedeutet, dass in diesen Ländern generell keine staatliche Verfolgung zu befürchten ist und diese Länder ihre Einwohner*innen grundsätzlich Verfolgung schützen können. (vgl. BAMF 2016).
Kolonialismus ist bestimmt durch ein territorial festgelegtes Herrschaftsverhältnis. Es geht dabei um eine Fremdherrschaft durch die kolonisierenden Mächte über die kolonisierten Gesellschaften und um eine andere soziale Ordnung, die damit einhergeht. Kolonialismus war vorrangig durch den Gedankengang geprägt, dass die Gesellschaften unterschiedliche Entwicklungsstände aufwiesen (vgl. Conrad 2012, S.3). Die kolonisierenden Mächte trafen fundamentale Entscheidungen in Bezug auf die Lebensführung der kolonisierten Gesellschaften und rechtfertigten dies mit der Hilfe zur Zivilisation (vgl. Ziani 2012, S. 23). So entstand ein Herrschaftsverhältnis, das einherging mit Gewalt und Ausbeutung. Legitimiert wurde das Verhalten der Kolonialherren durch rassistische Vorstellungen. Beim Kolonialismus ging es um die physische Besetzung von Raum, um die Besetzung des Bewusstseins der Kolonisierten, um die Unterordnung dieser Kolonien und um eine gewaltsame Integration in das westliche System. Es wurde ein weißes Selbstbild konstruiert, wobei dieses Selbstbild als höherwertig angesehen wurde (vgl. Heyn/ Krieg/ Mendel 2015, S.7).
In den 1980er entstand die Forschungsrichtung des Postkolonialismus. Der Postkolonialismus untersucht das Andauern und die Gegenwärtigkeit der kolonialen Erfahrungen. Die gewonnene Haupterkenntnis dabei ist, dass der Kolonialismus nicht mit der Unabhängigkeitserklärung beendet war (vgl. Conrad 2012, S. 6). Vielmehr handelt es sich um etwas Unabgeschlossenes und das Augenmerk wird dabei auf die Beziehung zwischen der kolonialen Vergangenheit und der heutigen Gegenwart gerichtet (vgl. Heyn / Krieg/ Mendel 2015, S. 7).
Es entstanden postkoloniale Perspektiven, welche die eurozentrischen Narrationen und Weltbilder hinterfragen und einen Blick auf die Konstruktion des „Wir“ und des „Anderen“ richten. Ziel ist es, die Konstruktionen von Differenzen und die hierarchischen Verhältnisse, welche durch Gegensatzpaare geschaffen wurden, herauszuarbeiten (vgl. Heyn / Krieg / Mendel 2015, S. 9).
Im Gegensatz zu anderen europäischen Staaten, wie die Niederlande, Großbritannien und Frankreich, war Deutschland in der Vergangenheit keine große Kolonialmacht. So hat sich das Deutsche Reich auch nicht aktiv an der Kolonialisierung des Orients beteiligt. Im erweiterten Sinn hat aber auch Deutschland seinen Teil zum Kolonialismus beigetragen, beispielsweise durch Beteiligungen deutscher Unternehmen an Prozessen und Projekten. Diese kolonialen Denkmuster entfalten Nachwirkungen bis in die Gegenwart (vgl. do Mar Castro Varela / Dhawan 2015, S. 20). Durch den Postkolonialismus soll eine Dekolonisierung des Geistes bei der Bevölkerung bewirkt werden und die Amnesie Europas zu den Prozessen des Kolonialismus offenlegen. Dies geschieht durch Problematisierung der Rassen-, Kultur-, Sprach- und Klassendiskurse in Verschränkung mit kritischen westlichen Ansätzen zu kolonialen Theorien. Im Kolonialismus wurde Gewalt durch Wissensproduktion und Vermittlung legitimiert. Es ging hierbei um eine gewaltvolle Repräsentation der „Anderen“, um das überlegene Selbst zu repräsentieren. Die hegemoniale Vorstellung Europas war, die „Anderen“ zivilisieren zu müssen. (vgl. do Mar Castro Varela 2016, S. 153).
In der Diskursanalyse wird aufgezeigt, dass diese Muster in der heutigen Gesellschaft allgegenwärtig sind. Bezug genommen wird hierbei insbesondere auf das Werk „orientalism“ von Edward Said.
In diesem Werk führte der Autor Sichtweisen in die wissenschaftlichen Disziplinen ein, die aus der heutigen Gesellschaft nicht mehr wegzudenken sind, zum Beispiel das Konzept des „Othering“. Dieses beschreibt die imaginative Geographie von „Wir“ und den „Anderen“ (vgl. do Mar Castro Varela / Mecheril 2010, S. 42). Er beschreibt dieses Phänomen anhand des Gegensatzpaares von Orient und Okzident. Seiner Ansicht nach wurde ein Wissen produziert, das zur Machtausübung diente und auch zur Gewalt genutzt wurde. Es entstand hierdurch ein dominanter Diskurs, der rassistisches Wissen produzierte, das die Überlegenheit des Okzidents gegenüber dem Orient etablierte (vgl. do Mar Castro Varela / Dhawan 2015, S. 100). Damit macht er deutlich, dass er den Orient lediglich als eine westliche Projektion betrachtet, die den Orient unterwirft und gleichzeitig das Bild des unterwürfigen Orientalen etabliert. So kann es im Umkehrschluss keinen „wahren, authentischen Orient“ geben, der reale Osten sei vielmehr als Orient orientalisiert worden. Das „Wissen“ der Orientalisten wurde in Schriften, die überwiegend in den westlichen Metropolen verbreitet wurden, etabliert und der Orient generalisierend als barbarisch und unberechenbar dargestellt. Said nutzte eine koloniale Diskursanalyse, angelehnt an Foucault, um dieses Phänomen zu erforschen. Der orientalistische Diskurs wurde seiner Meinung nach instrumentalisiert, um die Kolonialherrschaft auszubauen (vgl. do Mar Castro Varela / Dhawan 2015, S. 102 ff.). Die „orientalischen Menschen“ werden als das exakte Gegenbild zu den Europäer*innen dargestellt. So wird in den Schriften von Orientalisten der Orient als feminin, irrational und primitiv beschrieben, während der Westen als maskulin, rational und fortschrittlich dargestellt wird (vgl. ebd., S. 98 f.).
Es gibt neben vielen Befürwortern dieses Werkes aber auch scharfe Kritik. Neben Bernard Lewis, dessen Schriften Said als zentrales Beispiel für die Kontinuität von Orientalismus in seinem Werk dienten, ist Aijaz Ahmad einer seiner größten Kritiker. Seiner Ansicht nach habe Said den Orient als Feind des Westens polemisiert und damit auch den Hass auf den Westen angefacht. Dieses verhelfe insbesondere politischen Gruppierungen des „Dritte- Welt- Nationalismus“ zu Zulauf (vgl. ebd., S. 105). Insbesondere die folgenden fünf Punkte in „orientalism“ wurden kritisiert. Said wurde eine Homogenisierung und Essentialisierung des Orients und Okzidents vorgeworden. Zudem finde sich in seinem Werk kein Raum für das Denken von Widerstand. Dieses sei der Einseitigkeit und dem anklagenden Ton des Autors geschuldet. Das Werk würde zudem diverse Lücken aufweisen und Widersprüche beinhalten (vgl. ebd., S. 106). 1993 schrieb Edward Said „Culture und Imperialism“ und ergänzte und modifizierte damit sein Werk „orientalism“. Er setzte sich mit der Kritik an seinem Werk auseinander und kam letztendlich zu dem Entschluss, dass Okzident und Orient voneinander abhängig seien und eine Versöhnung nicht gänzlich unmöglich sei (vgl. ebd. S. 119).
Trotz der zum Teil berechtigten Kritiken an seinem Werk, sind die Ausführungen Saids als fundamental für die postkolonialen Studien zu erachten. Es wird aufgezeigt, inwiefern Differenzierungen zu einer Machtausübung im Kolonialismus geführt haben. Die Thesen von Said lassen sich in der folgenden Diskursanalyse auf die muslimische Bevölkerung übertragen. Die muslimische Identität ist Gegenstand von Debatten in der bundesdeutschen Öffentlichkeit und wird als terroristisch, kriminell oder sexuell übergriffig konstruiert. Was früher die Dämonisierung des Orients war, ist nun die Dämonisierung der muslimischen Identität und wird, wie auch im Kolonialismus, als Mittel zur Machtausübung genutzt (vgl. do Mar Castro Varela / Mecheril 2010, S. 42).
Die Definition des Begriffs Rassismus gestaltet sich schwierig, da es über eine einheitliche Bestimmung des Begriffs Rassismus keinen Konsens gibt. Allerdings gibt es einige feststehende Positionen, die Rassismus ausmachen. Ein Beispiel hierfür ist der Prozess des „Othering“, der eine zentrale Rolle im Rassismus spielt. Hierbei findet eine soziale Markierung der „Anderen“ statt. Diese rassistischen Prozesse, die Herrschaftsverhältnisse aufrechterhalten, begründen sich im Kolonialismus und setzen sich auch in der heutigen Gesellschaft noch durch. Hierbei wird der Rassebegriff als Unterscheidungsdimension genutzt (vgl. Leiprecht 2016, S. 227).
Stuart Hall erläutert, dass der Kolonialismus den Prototyp des Rassismus hervorbrachte, denn hier kamen die Prozesse erstmals zum Tragen. Der Begriff der „Rasse“ prägt den Rassismus ebenfalls. Nach Robert Miles stellt dieser jedoch keinen analytischen Begriff dar, sondern es geht um die diskursive Konstruktion der Rasse, die Rassismus erst zu einem wissenschaftlichen Begriff macht. Es wird untersucht, inwiefern diese Konstrukte, Macht - oder Ordnungsmuster und soziale Verhältnisse regulieren und rechtfertigen (vgl. Leiprecht 2016, S. 228).
Während Miles der Meinung ist, dass rassistische Konstruktionen sich auf biologische Merkmale beziehen, äußert sich Hall in der Weise, dass es wichtig ist, den Blick auf ökologische Gründe zu richten, aber hier nicht der einzige Ausgangspunkt liegt. Er bezieht sich darüber hinaus auf die Kategorie der Ethnizität. Somit riefen sowohl Hall als auch Étienne Balibar einen neuen Typus des Rassismus hervor, den kulturellen Rassismus, auch Neorassismus genannt. Hall und Balibar sind sich darin einig, dass neben biologischen und körperlichen Merkmalen, nun auch die kulturelle Herkunft für rassistische Unterscheidungen genutzt wird. Sie manifestieren damit den Theorieansatz des „Rassismus ohne Rasse“ (vgl. Mecheril / Scherchel 2009, S. 48 f.).
In der heutigen Gesellschaft wird Rasse somit mit der zugeschriebenen Kultur gleichgesetzt. Im kulturellen Rassismus werden Ausgrenzungen aufgrund der Kultur legitimiert, wobei in zwei Schritten vorgegangen wird. Zuerst wird betont, dass verschiedene kulturelle Lebensformen unvereinbar seien und dass durch diese Unvereinbarkeit Beschränkungen und Kontrollen angestrebt würden. Hierbei findet eine Imagination der kollektiv „Anderen“ statt. Die einzelne Person, die betrachtet wird, wird zu einem Teil des Kollektivs und diesem wird stereotyp ein kulturelles Wesen zugesprochen. Dieses Kollektiv hat dann nach rassistischen Auffassungen einen geringeren Wert. Es wird durch diese Imagination festgestellt, dass diese Kultur nicht am richtigen Ort sei (vgl. Mecheril/ Melter 2010, S. 153).
So kommt es in der Wahrnehmung der Gesellschaft nicht mehr nur auf die biologischen Merkmale einer Person an, sondern auf die Genealogie der jeweiligen Kultur. Es findet eine Pauschalisierung der Zuordnung von Werten auf die jeweilige Kultur bezogen statt. Die folgende Diskursanalyse wird den Begriff des Neorassismus aufgreifen. Anhand der Ausarbeitungen wird ersichtlich, dass im Diskurs gesellschaftlich eine Inkompatibilität zwischen der muslimischen und der westlichen Kultur etabliert und gleichzeitig versucht wird, diese aktiv zu produzieren bzw. voranzutreiben. Hierbei werden rassistische Ausgrenzungen aus verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen auf Grund einer Kultur vorgenommen, die in Deutschland als nicht normal eingestuft werden. Durch diese Imagination sind auch Beschränkungen und Kontrollen im deutschen Asylrecht vorgenommen worden, weitere werden angestrebt.
In diesem Kapitel wird das Vorgehen einer kritischen Diskursanalyse erläutert. Um dieses Vorgehen verständlich zu machen, erfolgt zunächst eine Auseinandersetzung mit dem Begriff des Diskurses, um danach die einzelnen Schritte und Begrifflichkeiten der Analyse zu erläutern.
In dieser Arbeit wird eine kritische Diskursanalyse nach Siegfried Jäger durchgeführt. Um das System einer Diskursanalyse verständlich darzustellen, ist es zunächst notwendig, den Begriff des Diskurses zu klären. Diese Begrifflichkeit wird in der Gesellschaft häufig in verschiedenen Kontexten verwendet, dennoch bleibt die genaue Bedeutung meist unklar.
Nach dem Ansatz von Foucault ist ein Diskurs ein „gesprochenes oder geschriebenes Ding“, dessen Wirkung über das Geschrieben und Gesprochene hinausgeht. Die gesellschaftlichen Äußerungsformen in Sprache und Schrift werden durch gesellschaftliche Bedingungen reglementiert. Außerdem werden durch sie Sinnordnungen stabilisiert und verbindliche Wissensordnungen in sozialen Gesellschaften institutionalisiert (vgl. Bettinger 2007, S.76).
Man kann Diskurse auch als eine symbolische Ordnung betrachten, durch die es Gesellschaften möglich ist, miteinander zu sprechen und zu handeln. Alles was wir denken, wissen und sagen, ist in diesen symbolischen Ordnungen festgehalten. Diese symbolischen Ordnungen werden durch Diskurse produziert. Es geht also darum, was zu einem bestimmten Zeitpunkt, an einem bestimmten Ort, in einer bestimmten Gesellschaft sagbar oder nicht sagbar ist. Die symbolischen Ordnungen legitimieren und kommunizieren die Voraussetzungen und Folgen für eine Gesellschaft. In ihnen liegen das Wissen und Deutungen über die Wirklichkeit, die für eine Gesellschaft gilt. So wird durch Diskurse faktisch gesellschaftliche Macht ausgeübt. Sie unterscheiden das „Wahre“ vom „Falschen“ und definieren somit die Wahrheit, die in einer Gesellschaft Anerkennung findet. Das bedeutet gleichzeitig, dass Menschen immer ein Teil eines Diskurses sind, sie sind in ihn verstrickt und sprechen und handeln innerhalb der Grenzen dieses Diskurses (vgl. Bettinger 2007, S. 76 ff.). Jäger beschreibt Diskurse als „Fluss von Wissen bzw. soziale Wissensvorräte durch die Zeit“ (Jäger 2015, S. 26). Um diese Phänomene zu bestimmen, entwickelte Jäger die Methode der kritischen Diskursanalyse. Hierbei liegt sein Fokus auf der Analyse des jeweils gültigen Wissens in einer Gesellschaft, insbesondere, wie dieses zustande kommt, welche Funktionen und Auswirkungen es hat. Das jeweils gültige Wissen soll im Zusammenhang von Wissen und Macht herausgearbeitet werden und dann einer Kritik unterzogen werden. Hierzu sollen dann auch Verbesserungsvorschläge getätigt werden (vgl. Bettinger 2007, S.87).
Zur Bestimmung der Methode der kritischen Diskursanalyse müssen zuerst die Struktur der Diskurse und die einzelnen Analyseschritte erläutert werden.
Zwei Kategorien, auf die Jäger besonders viel Wert legt, sind die Kollektivsymbole und die Normalismen. Er geht davon aus, dass ein Diskurs eine bestimmte Struktur mit verschiedenen Kategorien aufweist. Die Kategorie der Kollektivsymbolik beschreibt bestimmte Symbole, die von der Gesellschaft einheitlich mit einer bestimmten Sache verbunden werden (vgl. Jäger / Wamper 2017, S.9 f.). Der Normalismus zeigt auf, was von einer Gesellschaft als normal bzw. im Umkehrschluss als nicht normal erachtet wird (vgl. Jäger/ Wamper 2017, S.9 f.).
In der vorliegenden Untersuchung kristallisierte sich insbesondere das Beispiel der „Willkommenskultur“ als Kollektivsymbol heraus. Die Bilder der Begrüßung von ankommenden Geflüchteten am Münchner Hauptbahnhof wurden in der allgemeinen Wahrnehmung sofort mit dem Bild des „Willkommensheißens“ in Verbindung gebracht. Der Normalismus zeigt sich darin, dass die muslimische Kultur in der deutschen Gesellschaft nicht als normal betrachtet wird.
Neben diesen beiden Kategorien unterteilt Jäger den Diskurs in Diskursfragmente und Diskursstränge. Ein Diskursfragment stellt eine Äußerung dar, welche ein bestimmtes Thema bedient. Dies kann zum Beispiel ein Beitrag in einer Zeitung sein (vgl. Jäger 2015, S. 80). Die Bündelung dieser Diskursfragmente bildet nach Jäger den Diskursstrang, so bildet die Bündelung aller Beiträge über Geflüchtete den Diskursstrang über Flucht (vgl. Jäger 2015. S. 80). Innerhalb dieser Diskursstränge kommt es zu diskursiven Ereignissen. Ereignisse werden dann zu diskursiven Ereignissen, wenn sie medial umfassend thematisiert werden und den Diskursstrang dadurch beeinflussen (vgl. ebd., S. 82). Ein diskursives Ereignis stellt zum Beispiel die Silvesternacht 2015 auf 2016 in Köln dar, die dazu führte, dass männliche Geflüchtete sexualisiert und kriminalisiert wurden. Die verschiedenen diskursiven Ereignisse können auf verschiedenen Ebenen aufgegriffen werden, die so genannten Diskursebenen. „Man kann solche Diskursebenen auch als die sozialen Orte bezeichnen, von denen aus jeweils >>gesprochen<< wird“ (ebd., S. 84). Diese Ebenen können sich gegenseitig beeinflussen und nutzen (vgl. ebd., S. 84). In dieser Arbeit wird auf der medialen, politischen und der Alltagsebene geforscht. Zum Schluss lassen sich auch so genannte Diskurspositionen analysieren. Dies ist die Haltung verschiedener Akteur*innen gegenüber angesprochenen Themen, mit der sie an einem Diskurs teilnehmen (vgl. ebd., S. 85).
Neben der Struktur des Diskurses müssen auch die Analyseschritte erläutert werden. Jäger teilt die kritische Diskursanalyse in zehn Schritte ein (vgl. ebd., S. 90 f.). In den ersten drei Schritten geht er auf die Untersuchung an sich ein. Hierbei stehen die Zielsetzung, der Untersuchungsgegenstand und die Materialgrundlage im Fokus (vgl. ebd., S. 91ff.). Im vierten Schritt bezieht Jäger sich auf die Strukturanalyse. In dieser geht es um die Ausarbeitung von Aussagen, die den Diskursstrang ausmachen, außerdem um Diskurspositionen und um Kollektivsymbole bzw. Normalismen, die in verschiedenen Diskursfragmenten zu finden sind. Am Ende dieser Strukturanalyse wird dann eine Entscheidung getroffen, welches Diskursfragment, alle Aussagen, Positionen und Wirkungsmittel enthält, um den Diskursstrang bestmöglich darzustellen. Dieses wird dann für die Feinanalyse genutzt (vgl. ebd., S. 95 ff.). In der Feinanalyse, die Jäger im fünften Schritt aufgreift, wird das Diskursfragment auf den institutionellen Kontext, die Textoberfläche, auf die sprachliche Darstellung – rhetorisch und inhaltlich- und ideologische Aussagen hin untersucht (vgl. ebd., S. 98 ff.). Anschließend wird der diskursive Kontext herausgearbeitet und eine Zusammenfassung der Ergebnisse der Struktur und Feinanalyse dargestellt. Am Ende wird zu den zusammengetragenen Ergebnissen eine Kritik geäußert und es werden Vorschläge unterbreitet, wie die kritisierten Diskurse verändert werden könnten (vgl. ebd., S.91).
In der folgenden Diskursanalyse wird zuerst die Zielsetzung der Untersuchung dargestellt und bei diesem Schritt gleichzeitig der Gegenstand benannt und begründet. Es wird eine chronologische Analyse vorgenommen, da sich ein Diskurs im Laufe der Zeit in einer Gesellschaft verändern kann. Im Diskurs um Migration, Flucht und Asyl wird zuerst das Kollektivsymbol der „Willkommenskultur“ angesprochen, welches Mitte 2015 aufgrund von Fluchtbewegungen nach Deutschland entstand. Danach wird der Bezug zum diskursiven Ereignis der „Kölner Silvesternacht 2015/16“ hergestellt, welches den Diskurs um Flucht, Migration und Asyl sexualisierte, um daraufhin auf die „Sexualisierung der Anderen“ einzugehen. Im Anschluss findet eine Bezugnahme auf die Verschränkung mit dem Diskursstrang der Sicherheit statt. Den Abschluss bildet eine Auseinandersetzung mit den Folgen dieses Diskurses für die Gesellschaft.
Das Ziel dieser Untersuchung ist der Versuch, die Verschiebung des Diskurses von dem „wohlwollenden weißen Blick“ der Überlegenheit auf Geflüchtete im Sinne der Willkommenskultur hin zu einem rassistischen Blick, insbesondere unter dem Aspekt der „Sexualisierung der Anderen“ herauszuarbeiten, die aufgrund der „Kölner Silvesternacht 2015/16“ im Diskurs entstanden ist. Der hegemoniale Diskurs um Flucht, Migration und Asyl zwischen 2015 und 2017 bedient sich rassistischer und postkolonialer Bilder, um eine Herrschaftsordnung aufrecht zu erhalten, welche durch Fluchtbewegungen und die Sichtbarkeit von Geflüchteten in der Öffentlichkeit in Frage gestellt ist. Es geht hierbei um die rassistischen Diskriminierungsformen, welche sich auf Migranten und Geflüchtete bezogen, nachdem es zu sexuellen Übergriffen in Köln kam. In der Untersuchung wird es um die Konstruktion der „gefährlichen fremden Männer“ gehen.
Kein Bezug genommen wird auf die Verschränkung mit dem Terrorismus und dem Islam und auch nicht auf die Darstellungen der muslimischen Frau, da in der Debatte nach der Silvesternacht 2015/16 überwiegend geflüchtete Männer und Migranten im Fokus stehen. Zeitlich werden die Jahre 2015 – 2017 analysiert, da es in diesem Zeitraum zu einem erheblichen Umschwung der Sichtweise auf Geflüchtete und Migrant*innen in der deutschen Gesellschaft kam. Zudem wurden Mitte 2015 die höchsten Zahlen von Schutzsuchenden seit Bestehen des Bundesamtes für Migration verzeichnet (vgl. Angenendt 2015, S. 18). Aufgrund dieser Fluchtbewegung entwickelte sich das Kollektivsymbol der „Willkommenskultur“. Durch die Ereignisse der Silvesternacht 2015 auf 2016 fand eine Sexualisierung des Diskurses um Flucht, Migration und Asyl statt, wobei ein direkter Bezug speziell auf die Vorkommnisse in Köln vorgenommen wird, da diese medial sehr hervorgehoben wurden und die Silvesternacht in Köln somit zu einem diskursiven Ereignis wurde.
Zu diesem Thema „Sexualisierung der Anderen“ finden sich verschiedene Forschungen. Hierbei ist u.a. der Beitrag von Mecheril und Messerschmidt „Die Sexualisierung der Anderen“ zu nennen. Dieser Beitrag bezieht sich auch auf die Vorkommnisse in Köln und die rassistischen und kolonialen Muster, welche sich danach in der deutschen Gesellschaft entwickelten. Des Weiteren stellen die Autoren einen Bezug zu Europa her (vgl. Mecheril / Messerschmidt S. 147 ff.).
Daneben wird das Buch „Die <westliche Kultur> und ihr Anderes.“ von Iman Attia herangezogen. Diese verschränkt ihre Analyse allerdings mit der Gefährlichkeit des Islams und des Terrorismus und geht weniger auf die Vorkommnisse in Köln ein. Auch wird auf eine Forschung „Von der Willkommenskultur zur Notstandsstimmung – der Fluchtdiskurs in den deutschen Medien 2015 und 2016“ des Duisburger Institutes für Sprach- und Sozialforschung (Diss) eingegangen. Das Diss bezieht sich innerhalb seiner kritischen Diskursanalyse nur auf einzelnen Zeitungen und analysiert in diesen die Diskursfragmente (vgl. Jäger / Wamper 2017). In der folgenden Diskursanalyse wird auf verschiedene Medien Bezug genommen, um die Problematik der Sexualisierung besser erfassen zu können. Zudem werden die Änderungen in der Gesetzgebung herausgearbeitet, welche die (Wieder)Herstellung der Machtverhältnisse beeinflussen.
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