Diplomarbeit, 2014
113 Seiten, Note: 1,7
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1 Problemstellung
2 Interkulturelle Kompetenz
2.1 Begriffliche Eingrenzung und Einordnung
2.2 Modelle Interkultureller Kompetenz
2.2.1 Listenmodell
2.2.2 Strukturmodell
2.2.3 Prozessmodell
2.2.3.1 Aktueller Stand der Forschung
2.2.3.2 Dimensionen des Prozessmodells von Karla Deardorff
2.2.3.2.1 Haltungen und Einstellungen
2.2.3.2.2 Fachwissen
2.2.3.2.3 Reflexionskompetenz
2.2.3.2.4 Handlungskompetenz
2.3 Verfahren zur Messung Interkultureller Kompetenz
3 Auszubildende in der beruflichen Bildung
3.1 Merkmal Migrationshintergrund
3.1.1 Begriffsdefinition
3.1.2 Bildungschancen bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund
3.2 Merkmal Ausbildungsgang
3.2.1 Auswahl des Ausbildungsganges
3.2.2 Duale vs. vollschulzeitliche Berufsausbildung
3.2.3 Ordnungsmittel
3.2.3.1 Groß- und Außenhandel
3.2.3.2 Fremdsprachensekretariat
3.3 Merkmal Geschlecht
4 Empirische Untersuchung des Modells
4.1 Studiendesign
4.2 Methode
4.2.1 Qualitative skalierende Inhaltsanalyse
4.2.2 Interview
4.2.2.1 Grundlegende Vorüberlegungen
4.2.2.2 Entwicklung der Interviewfragen
4.2.2.2.1 Dimension I Haltungen und Einstellungen
4.2.2.2.2 Dimension II Fachwissen
4.2.2.2.3 Dimension III Reflexionskompetenz
4.2.2.2.4 Dimension IV Handlungskompetenz
4.2.2.2.5 Zusätzliche Fragen
4.2.2.3 Kategoriensysteme
4.2.2.3.1 Dimension I Haltungen und Einstellungen
4.2.2.3.2 Dimension II Fachwissen
4.2.2.3.3 Dimension III Reflexionskompetenz
4.2.2.3.4 Dimension IV Handlungskompetenz
5 Auswertung
5.1 Dimension I Haltungen und Einstellungen
5.1.1 Merkmal Migrationshintergrund
5.1.2 Merkmal Ausbildungsgang
5.1.3 Merkmal Geschlecht
5.1.4 Zusammenfassende Betrachtung
5.2 Dimension II Fachwissen
5.2.1 Merkmal Migrationshintergrund
5.2.2 Merkmal Ausbildungsgang
5.2.3 Merkmal Geschlecht
5.2.4 Zusammenfassende Betrachtung
5.3 Dimension III Reflexionskompetenz
5.3.1 Merkmal Migrationshintergrund
5.3.2 Merkmal Ausbildungsgang
5.3.3 Merkmal Geschlecht
5.3.4 Zusammenfassende Betrachtung
5.4 Dimension IV Handlungskompetenz
5.4.1 Merkmal Migrationshintergrund
5.4.2 Merkmal Ausbildungsgang
5.4.3 Merkmal Geschlecht
5.4.4 Zusammenfassende Betrachtung
5.5 Korrelation zwischen den Dimensionen
5.6 Zusätzliche Fragen
5.6.1 Fremdsprachensekretär
5.6.2 Groß- und Außenhandel
6 Fazit und Ausblick
Abbildung 1: Handlungskompetenz in interkulturellen Zusammenhängen (in Anlehnung an Bolten 2001: 108)
Abbildung 2: Multilevel Process Change Model of Intercultural Competence
Abbildung 3: Prozessmodell Interkulturelle Kompetenz (in Anlehnung an Deardorff (2006))
Abbildung 4: Zuordnung der Bevölkerung nach Migrationsstatus (in Anlehnung an
Abbildung 5: Migrationshintergrund aller Auszubildenden (eigene Darstellung)
Abbildung 6: Länder der Auszubildenden mit Migrationshintergrund (eigene Darstellung)
Abbildung 7: Schulabschlüsse der Auszubildenden (eigene Darstellung)
Abbildung 8: Ablaufmodell skalierende strukturierende Strukturierung (in Anlehnung an Mayring 2010: 102)
Abbildung 9: Präsentieren in Deutschland und den USA (in Anlehnung an Kneip 2010: 99)
Abbildung 10: Interkulturelles Lernen (in Anlehnung an Zacharaki 2007: 17)
Abbildung 11: Modell interkultureller Handlungsstrategien (in Anlehnung an Bosse 2011: 113)
Abbildung 12: Haltungen und Einstellungen nach Migrationshintergrund (eigene Darstellung)
Abbildung 13: Haltungen und Einstellungen nach Ausbildungsgang (eigene Darstellung)
Abbildung 14: Haltungen und Einstellungen nach Geschlecht (eigene Darstellung)
Abbildung 15: Haltungen und Einstellungen aller Auszubildenden (eigene Darstellung)
Abbildung 16: Fachwissen nach Migrationshintergrund (eigene Darstellung)
Abbildung 17: Fachwissen nach Ausbildungsgang (eigene Darstellung)
Abbildung 18: Fachwissen nach Geschlecht (eigene Darstellung)
Abbildung 19: Fachwissen aller Auszubildenden (eigene Darstellung)
Abbildung 20: Reflexionskompetenz nach Migrationshintergrund (eigene Darstellung)
Abbildung 21: Reflexionskompetenz nach Ausbildungsgang (eigene Darstellung)
Abbildung 22: Reflexionskompetenz nach Geschlecht (eigene Darstellung)
Abbildung 23: Reflexionskompetenz aller Auszubildenden (eigene Darstellung)
Abbildung 24: Handlungskompetenz nach Migrationshintergrund (eigene Darstellung)
Abbildung 25: Handlungskompetenz nach Ausbildungsgang (eigene Darstellung)
Abbildung 26: Handlungskompetenz nach Geschlecht (eigene Darstellung)
Abbildung 27: Handlungskompetenz aller Auszubildenden (eigene Darstellung)
Abbildung 28: Praktikumserwartungen aller Fremdsprachensekretäre (eigene Darstellung)
Abbildung 29: Praktikumserwartungen nach Migrationshintergrund (eigene Darstellung)
Abbildung 30: Praktikumserwartungen nach Geschlecht (eigene Darstellung)
Abbildung 31: Häufigkeitsverteilung nach ausländischen Kunden (eigene Darstellung)
Abbildung 32: Beobachtbare Kulturunterschiede aller Kaufleute des Groß- und Außenhandels (eigene Darstellung)
Abbildung 33: Beobachtete Kulturunterschiede nach Migrationshintergrund (eigene Darstellung)
Abbildung 34: Beobachtete Kulturunterschiede nach Geschlecht (eigene Darstellung)
Tabelle 1: Zusammenhang zwischen Dimension I & Dimension II bei Auszubildenden ohne Migrationshintergrund
Tabelle 2: Zusammenhang zwischen Dimension I & Dimension II bei Auszubildenden mit Migrationshintergrund
Tabelle 3: Zusammenhang zwischen Dimension II & Dimension III bei Auszubildenden ohne Migrationshintergrund
Tabelle 4: Zusammenhang zwischen Dimension II & Dimension III bei Auszubildenden mit Migrationshintergrund
Tabelle 5: Zusammenhang zwischen Dimension III & Dimension IV bei Auszubildenden ohne Migrationshintergrund
Tabelle 6: Zusammenhang zwischen Dimension III & Dimension IV bei Auszubildenden mit Migrationshintergrund
DQR = Deutscher Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen
HMK = Hessisches Kulturministerium
CI = Critical Incident
BIBB = Bundesinstitut für Berufsbildung
KMK = Kulturministerkonferenz
BBiG = Berufsbildungsgesetz
BMBF = Bundesministerium für Forschung und Wissenschaft
Deutschland ist laut dem Statistischen Bundesamt (2012: 4ff) ein wichtiger Handelspartner für das inner- und außereuropäische Ausland. Der Export ist seit dem Jahr 2000 um 77 % gestiegen, der Handelsbilanzsaldo sogar um 167 %. Heutzutage hängt etwa jeder vierte Arbeitsplatz in Deutschland vom Überseehandel ab. Die Zeiten, in denen die Händler die Produkte mit dem Markenzeichen „Made in Germany“ problemlos absetzen konnten, sind jedoch vorbei. Auch die deutschen Unternehmen müssen sich dem internationalen Wettbewerb stellen (vgl. Thomas 2013: 355). Durch die weltweite Vernetzung reicht allerdings traditionales Managementwissen nicht mehr aus (vgl. Berninghausen & Kuenzer 2007: 5), sondern Interkulturelle Kompetenzen, wie Offenheit, Empathie und Kommunikationskompetenz werden benötigt, um erfolgreich, effizient und angemessen zwischen den Kulturen kommunizieren und interagieren zu können (vgl. Barkin et al. 2011: 10ff). Die neue Schlüsselqualifikation gewinnt in Zukunft mit voranschreitender Globalisierung somit in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens an Bedeutung. Es ist unausweichlich, die Verhaltensnormen und Gepflogenheiten des Geschäftspartners in interkulturellen Geschäftssituationen zu kennen und angemessen auf sie zu reagieren, um geschäftliche Prozesse und Abkommen nicht zu gefährden (vgl. Thomas 2013: 143). Dafür ist es jedoch unabdingbar, die eigene Kultur aus einem externen Blickwinkel wahrzunehmen. Erst wenn dies gelingt, kann Kultur auch differenziert betrachtet werden. Denn wer über fachliches Wissen kultureller Unterschiede verfügt, besitzt einen erheblichen wirtschaftlichen Wettbewerbsvorteil (vgl. Barkin et al. 2011: 10ff). Auch in der beruflichen Bildung ist die Fragestellung der Internationalisierung von enormer Brisanz. Die bisher unternommenen Anstrengungen und Aktivitäten zur Umstrukturierung des Bildungswesen in Richtung globale Vernetzung sind zwar vielfältig, jedoch führten diese häufig nur zu einem „blinden Aktionismus“ in der Bildungspolitik (vgl. Diettrich & Reinisch 2010: 33).
Prognosen weisen bis 2030 auf einen Mangel an Fachkräften1 in Deutschland hin, wenn es nicht gelingt, zugewanderte Fachkräfte in den heimischen Arbeitsmarkt zu integrieren und ungenutzte Potenziale zu realisieren. Denn die zum Teil sehr hoch qualifizierten Arbeitskräfte aus dem Ausland arbeiten häufig unter ihrem Qualifikationsniveau und sind überproportional häufig ohne Arbeit (vgl. Kucher & Wacker 2011: 161). Ein ähnliches Bild zeigt sich bei den Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Die aktuelle Studie „Diskriminierung am Ausbildungsmarkt“ des Sachverständigenrates deutscher Stiftungen für Integration und Migration betont, dass Jugendliche mit Migrationshintergrund besonders häufig keinen Ausbildungsplatz erhalten. Dieses liegt nicht nur an den schlechteren Noten und Schulabschlüssen, sondern auch an ungleichen Startbedingungen. Jugendliche mit türkischem Namen werden weniger häufig zu Vorstellungsgesprächen eingeladen als ihre Altersgenossen mit deutschem Namen (vgl. Sachverständigenrates deutscher Stiftungen für Integration und Migration 2014: 4).
Die Probleme von Personen mit Migrationshintergrund auf der Suche nach einer geeigneten Ausbildungsstelle werden häufig beschrieben, ihre Potenziale jedoch nur selten thematisiert. Da dieser Personengruppe nur wenig Betrachtung geschenkt wird, sind kaum fundierte Aussagen vorhanden (vgl. Settelmeyer, Dorau & Hörsch 2006: 2). Auch Granato, Münk und Weiß (2011: 20) unterstreichen, dass wissenschaftliche Studien zu Interkulturellen Kompetenzen von Lernenden in der beruflichen Bildung sowie deren Anknüpfungspunkte der Förderung nicht existieren. Settelmeyer (2011: 144) kommt daher zu der Frage, ob Menschen mit Migrationshintergrund tatsächlich über Interkulturelle Kompetenz verfügen oder ob diese nur von politscher Seite erwünscht werden. Eine ordnungsgemäße Differenzierung zwischen den Zielgruppen mit Migrationshintergrund muss zusätzlich vorgenommen werden, damit daraus geeignete Forderungen und Schlussfolgerungen für die Berufsbildungsforschung gezogen werden können (vgl. Granato, Münk & Weiß 2011: 16f). Wie aus den bisherigen Ausführungen deutlich wird, bedarf es einer genauen Analyse, den Grad der Interkulturellen Kompetenz bei Auszubildenden mit Migrationshintergrund festzustellen. Um diese zu messen, wird das Modell der Interkulturellen Kompetenz von Karla Deardorff (2006) herangezogen. Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, auf Basis dieses Modells herauszufinden, ob Auszubildende mit Migrationshintergrund eine höhere Interkulturelle Kompetenz besitzen als Auszubildende ohne Migrationshintergrund. Zusätzlich werden die Merkmale Geschlecht und Ausbildungsgang der Auszubildenden untersucht. Auch bezüglich der Abhängigkeiten zwischen einzelnen Dimensionen werden Analysen durchgeführt, um potentielle Zusammenhänge zu erkennen.
Die Arbeit wird sich dabei wie folgt gliedern: Im kommenden Kapitel wird auf die theoretischen Grundlagen der Interkulturellen Kompetenz und ihre unterschiedlichen Facetten eingegangen. Dazu wird es zunächst eine begriffliche Einordnung (Kapitel 2.1) geben, um dann auf die Modelle der Interkulturellen Kompetenz (Kapitel 2.2) und schließlich auf die Verfahren der Messung (Kapitel 2.3) aufzugreifen. Darauf aufbauend werden im dritten Kapitel verschiedene Merkmale der Auszubildenden in der beruflichen Bildung betrachtet. Der Fokus liegt insbesondere auf den Merkmalen Migrationshintergrund (Kapitel 3.1), Ausbildungsgang (Kapitel 3.2) und Geschlecht (Kapitel 3.3). Hierbei wird u.a. der Migrationshintergrund genauer definiert (Kapitel 3.1.1) und die Bildungschancen der Jugendlichen mit Migrationshintergrund (Kapitel 3.1.2) diskutiert. In dem Merkmal Ausbildungsgang wird die Auswahl des Ausbildungsgangs erläutert (Kapitel 3.2.1), ein Vergleich zwischen dualer und vollschulzeitlicher Berufsausbildung gezogen (Kapitel 3.2.2), sowie die Verankerung der Interkulturellen Kompetenz in den Ordnungsmitteln analysiert (Kapitel 3.2.3). Im vierten Kapitel wird die methodische Vorgehensweise der Arbeit erklärt. Zunächst wird das Studiendesign mit der Stichprobe und den Pretests (Kapitel 4.1) genauer erläutert, da dies die Grundlage der Datenerhebung bildet. Im nächsten Schritt werden die Methoden (Kapitel 4.2) mit der qualitativen skalierenden Inhaltsanalyse (Kapitel 4.2.1) sowie das Interview (Kapitel 4.2.2) beleuchtet. In diesem Zusammenhang werden die Grundlagen des Interviews (Kapitel 4.2.2.1), die Entwicklung der Interviews (Kapitel 4.2.2.2) sowie das Kategorienraster (Kapitel 4.2.2.3) dargelegt. Im fünften Kapitel werden die Ergebnisse anhand Diagrammen anschaulich dargestellt und interpretiert. Hierbei wird jede Dimension hinsichtlich jedes Merkmals einzeln betrachtet (Kapitel 5.1-5.4). Korrelationen zwischen den Dimensionen und Merkmalen werden in einem separaten Unterkapitel analysiert (Kapitel 5.5). Die Praktikumserwartungen und die beobachten kulturellen Unterschiede in der Praxis werden in zusätzlichen Fragen im Anschluss an die CI-Fragen nochmal aufgegriffen (Kapitel 5.6). Im letzten Kapitel folgen eine kritische Reflexion der Untersuchungsergebnisse und ein Ausblick auf das weitere Forschungsfeld.
Schon 2002 schrieb Auernheimer (2002: 183): „Wenn man versucht, sich einen Überblick über die Diskussion zum Thema interkulturelle Kompetenz zu verschaffen […], so kann einen die Fülle des [...] Materials ratlos machen“. Bereits in allen wissenschaftlichen Disziplinen wird an diesem Thema geforscht (vgl. Thomas 2013: 156). Dabei reicht die Spanne des Forschungsfeldes von der Anhäufung expliziten Wissens bis zu interkulturell kompetent handelnden Menschen (vgl. Straub 2007: 40). Die Diskussionspunkte unter den Wissenschaftlern sind äußert heterogen. Rathje (2006: 3f) fasst in ihrem Artikel vier grundlegende Streitpunkte auf: Ziel Interkultureller Kompetenz, Spezifik und Anwendungsgebiet Interkultureller Kompetenz sowie das allgemeine Kulturverständnis. Nur durch eine kritische Auseinandersetzung mit dem Themengebiet und den vielfältigen Forschungsansätzen kann ein möglichst widerspruchsfreies Modell für die unterschiedlichen Disziplinen entwickelt werden.
Bereits Erpenbeck und Rosenstiel (2003) sowie Gnahs (2007) versuchten einen Überblick über den weiten Begriff der Kompetenz zu schaffen (vgl. Bahl 2009: 45). Deswegen werden an dieser Stelle auch nur exemplarisch Definitionen angeführt. Zunächst wird die häufig zitierte Definition von Weinert einen ersten Einblick in die Begrifflichkeit ermöglichen. Kompetenz wird nach Weinert definiert als:
„die bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaft und Fähigkeiten, um die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können“ (Weinert 2001: 27).
Diese Aussage beschreibt jedoch nur die allgemeine Kompetenz. Aber nur wer Interkulturelle Kompetenz definiert, kann sie später auch bewerten (vgl. Bertelsmann Stiftung 2006: 33). Wie oben beschrieben, gibt es zahlreiche Begriffsbestimmungen aus unterschiedlichen Forschungsbereichen. Dem Begriffsverständnis der Interkulturellen Kompetenz soll in dieser Arbeit die in der Literatur anerkannte Definition von Thomas als Grundlage dienen:
„Interkulturelle Kompetenz zeigt sich in der Fähigkeit, kulturelle Bedingungen und Einflussfaktoren im Wahrnehmen, Urteilen, Empfinden und Handeln bei sich selbst und bei anderen Personen zu erfassen, zu respektieren, zu würdigen und produktiv zu nutzen im Sinne einer wechselseitigen Anpassung, von Toleranz gegenüber Inkompatibilitäten und einer Entwicklung hin zu synergieträchtigen Formen der Zusammenarbeit, des Zusammenlebens und handlungswirksamer Orientierungsmuster in Bezug auf Weltinterpretation und Weltgestaltung“ (Thomas 2013: 163).
Da auch Kultur ein wesentlicher Teil Interkultureller Kompetenz ist, muss auch diese eine begriffliche Bestimmung erhalten:
„Kultur ist ein universelles, für eine Gesellschaft, Organisation und Gruppe aber sehr typisches Orientierungssystem. Dieses Orientierungssystem wird aus spezifischen Symbolen gebildet und in der jeweiligen Gesellschaft usw. tradiert. Es beeinflusst das Wahrnehmen, Denken, Werten und Handeln aller Mitglieder und definiert somit ihre Zugehörigkeit zur Gesellschaft. Kultur als Orientierungssystem strukturiert ein allen für die sich der Gesellschaft zugehörig fühlenden Individuen spezifisches Handlungsfeld und schafft damit die Voraussetzung zur Entwicklung eigenständiger Formen der Umweltbewältigung“ (Thomas 1993: 380).
Aufgrund des steten Wandels des Kulturbegriff wird sich in dieser Arbeit auf folgende Definition gestützt: „Kultur wird nicht als statisches, in sich geschlossenes System, sondern als ein Fluss von Bedeutungen angesehen, der fortwährend alte Beziehungen auflöst und neue Verbindungen eingeht“ (Zukrigl & Breidenbach 2003: nach Bertelsmann Stiftung 2006: 6).
Nach Chen und Starosta (1997: 5) sind die meisten Definitionen jedoch nur von allgemeiner und abstrakter Natur. Da dies auch auf die Definition Interkultureller Kompetenz von Thomas zutrifft, wird der wirtschaftliche Aspekt, welcher maßgebend für diese Arbeit ist, noch näher beleuchtet. In seinem Artikel ‚Interkulturelle Handlungskompetenz – Schlüsselkompetenz für die moderne Arbeitswelt‘ geht Thomas auf die betriebliche Komponente und wirtschaftliche Zielgerichtetheit Interkultureller Kompetenz ein:
„[…] aus der Kenntnis und dem Verständnis für das eigenkulturelle Orientierungssystem und dem fremdkulturellen Orientierungssystem in kulturellen Überschneidungssituationen so zu handeln, dass die in der Interaktion mit fremdkulturellen Partnern sich bietenden kulturellen Ressourcen optimal genutzt werden können, dass eine in Teilen neuartige Interkultur entsteht, die es erlaubt, die individuellen eigenen Handlungsziele und die gemeinsamen Handlungsziele zu optimieren, und das verbunden mit einem Höchstmaß an gegenseitigem Verstehen, wechselseitiger Wertschätzung und Zufriedenheit“ (Thomas 2013: 379).
Die Wirtschaft möchte dieses innovative Potenzial nutzen, um effizienter mit ausländischen Geschäftspartnern zu kommunizieren. Um im Ausland erfolgreich zu sein, sind nicht nur Faktoren wie Produktqualität oder Preisgestaltung wichtig, sondern auch eine hohe Kundenorientierung. Dabei ist es essentiell, sich in den Kunden hineinzuversetzen, mit dessen Bedürfnissen, Erwartungen, Wertvorstellungen und Verhaltensnormen auseinanderzusetzen. Dieses ist nicht mit allgemeiner Menschenkenntnis getan, sondern bedarf Wissen über kulturspezifische Besonderheiten sowie einen hohen Grad an kultureller Sensibilität. Die jeweiligen Fachqualifikation und ein hohes Maß an Interkultureller Kompetenz sind die zwei essenziellen Komponenten, um im Ausland erfolgreich zu handeln (vgl. Thomas 2013: 354f).
Interkulturelle Kompetenz kann als dynamisches Gebilde verstanden werden, welches sich von anderen Aspekten menschlichen Handelns, wie kognitive Kompetenz, moralische Kompetenz oder allgemeiner Kompetenz abgrenzen lässt (vgl. Straub 2007: 42). Bahl (2009: 46) konstatiert, dass „The Dos and Don´ts“ oder die „Förderung einer Persönlichkeit, die offen für Fremdes und Andersartiges ist“ zwar essentielle Elemente sind, jedoch noch keine Interkulturelle Kompetenz ausmachen. Vielmehr ist es eine kontinuierliche Entwicklung und die Fähigkeit, in Prozessen denken zu lernen. Die Bertelsmann Stiftung beschreibt Interkulturelle Kompetenz als „komplex, mehrdimensional und je nach interkultureller Situation vielgestaltig“. Dies ist ein stetig, endloser Vorgang, der auf unterschiedlichen Gebieten stattfindet, der die Kompetenz wie in einer Spirale nach oben hin immer größer werden lässt (Bertelsmann Stiftung 2006: 7f). Bolten (2006: 163) spricht auch den situativen Charakter interkultureller Handlungen an, welcher in der globalisierten Wirtschaftswelt genauso vorhanden ist, wie in Kindergärten, Schulen oder der Verwaltung.
Sprache wird als Teil der Kultur betrachtet und somit als Interkulturelle Kompetenz verstanden (vgl. Settelmeyer 2011: 145). Zwar dient die Sprachkompetenz als Grundlage der Interaktion, denn kompetentes Schweigen wird in einer interkulturellen Begegnung nur selten zum Erfolg führen (vgl. Camerer 2009: 46). Jedoch wird in dieser Arbeit die Sprachekompetenz nicht weiter betrachtet, da die Sprache durch gewisse Konventionen, wie z.B. Smalltalk oder Lautstärke einer Unterhaltung, immer kulturell verschieden sind (vgl. Settelmeyer 2011: 145).
Es gibt nicht nur eine große Anzahl an Definitionen, sondern auch eine unbegrenzte Zahl an Modellen unterschiedlicher Fachrichtungen (vgl. Ratje 2006: 1). Aus diesem Grund wird im Anschluss an dieses Kapitel auf die Vielfalt der Modelle Interkultureller Kompetenz eingegangen.
Laut Klieme und Leutner (2006: 880) ist es essentiell, Verflechtungen und Grenzen der jeweiligen Kompetenzen und kognitiven Grundfunktionen in einem Kompetenzmodell zu erfassen und diese empirisch zu analysieren. Dabei geht es sowohl um die präzise Beschreibung von Strukturen als auch um die Charakterisierung der Niveaus. Es wird der Frage nachgegangen, welche und wie viele unterschiedliche Kompetenzdimensionen auf einem spezifischen Fachgebiet unterscheidbar sind. In der Definition der Kompetenzniveaus wird beschrieben, welche Anforderungen Personen in einer realen existierenden Situation hinsichtlich einer bestimmten Kompetenz leisten müssen. Demnach zielt die Kompetenzfeststellung auf eine umfangreiche und gewissenhafte Analyse bisher erworbener Kompetenzen ab und dient zur individuellen Abstimmung der beruflichen Orientierung der Personen sowie möglicher Qualifizierungsangebote (vgl. Kucher & Wacker 2011: 167).
Es gibt zwar eine Vielzahl an Modellen (vgl. Rathje 2006: 2), aber bisher konnte sich noch kein Modell als „unisono“ behaupten (vgl. Bolten 2006: 166). Camerer (2009: 47) hebt hervor, dass insbesondere Jürgen Bolten von der Universität Jena seit Jahren wichtige Studien und Lexikonbeiträge zum Thema Interkulturelle Kompetenz veröffentlicht hat. Deswegen wird sich auch in dieser Arbeit auf die Arbeiten von Bolten gestützt, der Interkulturelle Kompetenz in Listen-, Struktur- und Prozessmodelle einteilt. In der Praxis gibt es zwar zum Teil auch Mischformen (vgl. Bolten 2007: 21), welche in dieser Arbeit aber nicht weiter betrachtet werden.
Listenmodelle sind auf Beschreibungen von Persönlichkeitsmerkmalen erfolgreicher Expatriates begründet. In diesem Zusammenhang sind zwei Befragungen explizit zu erwähnen, zum einen die Untersuchung von Lysgaards (1955), der norwegische Stipendiaten in den USA befragte, und zum anderen die von Stahl (1998), der deutsche Entsandte in Japan sowie in den USA interviewte. Aus diesen Analysen sind Zusammenstellungen entstanden, die Interkulturelle Kompetenz als Resultat verschiedener Eigenschaften verstehen. Zwar obliegen derartiger Listen auch einer gewissen freien Wählbarkeit und Austauschbarkeit, jedoch hat sich nach einiger Zeit ein harter Merkmalskern herauskristallisiert (vgl. Bolten 2007: 22). Hatzer und Layes (2003: 141) sind nach einschlägiger Literaturrecherche zu 16 Hauptmerkmalen gekommen, die von Frustrationstoleranz über soziale Problemlösungskompetenz bis hin zu Veränderungsbereitschaft reichen. Auch in der englischsprachigen Literatur werden Merkmale wie ‚open-mindness‘, ‚respect for cultural differences‘ oder ‚interaction attentiveness‘ aufgezählt (vgl. Chen & Starosta 1997: 7).
Jedoch mangelt es diesen Aufzählungen an jeglicher wissenschaftlichen Grundlage. Sie werden nur als intuitive Plausibilitätskriterien oder alltägliche Vorannahmen betrachtet. Weiterhin ist unklar, welche Komponenten wie genau wirken (vgl. Straub 2007: 42ff). Strukturmodelle hingegen gehen einen Schritt weiter, indem sie grundlegende Bereiche Interkultureller Kompetenz zusammenfassen und diesen wiederum einzelne Teilkomponenten zuweisen (vgl. Bosse 2011: 62). Diese werden im nächsten Kapitel näher beleuchtet.
Strukturmodelle beinhalten Teilelemente Interkultureller Kompetenz und weisen eine gewisse Ordnung auf (vgl. Over et al. 2009: 68). Somit haben sie auch eine größere begriffliche Gültigkeit. Zum einen wird in der Literatur zwischen affektiven, kognitiven und verhaltensbezogenen Aspekten differenziert, zum anderen werden auch individuelle, sozial, fachlich und strategische Komponenten genannt (vgl. Bolten 2007: 163). Im Folgenden werden nun zwei Strukturmodelle exemplarisch vorgestellt.
Das Strukturmodell von Müller und Gelbrich ‚Interkulturelle Kompetenz und Auslandserfolg‘ greift die vorher erwähnten Elemente ‚Affekt‘, ‚Kognition‘ und ‚Konation‘ auf und erweitert diese um die Komponenten ‚Auslandserfolg‘, ‚Effektivität‘ und ‚Angemessenheit‘. Dabei wird unter Effektivität verstanden, stabile soziale Beziehungen aufzubauen sowie Anforderungen im Berufsleben zufriedenstellend zu erfüllen. Der Auslandserfolg liegt nicht immer in eigener Hand, politische oder gesundheitliche Faktoren spielen auch eine Rolle, deswegen kann von keinem validem Kriterium gesprochen werden. Sich gegenüber den ausländischen Partner angemessen zu verhalten, d.h. die Regeln und Gepflogenheiten einzuhalten, stellt das Kriterium der Angemessenheit dar (vgl. Müller & Gelbrich 2004: 794f).
In Abb. 1 wird ein weiteres Strukturmodell dargestellt, welches sich in Fach-, strategische, individuelle und soziale Kompetenz unterteilt. Diesen Hauptfaktoren werden jeweils noch einmal Subelemente zugeordnet (vgl. Bolten 2001: 108).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1 : Handlungskompetenz in interkulturellen Zusammenhängen (in Anlehnung an Bolten 2001: 108)
Camerer (2009: 48) setzt sich in seinem Artikel „Sprache, Kultur und Kompetenz: Überlegungen zur interkulturellen Kompetenz und ihrer Testbarkeit“ mit Boltens Strukturmodell kritisch auseinander. Als ersten Kritikpunkt nennt er die ausführliche Beschreibung der Persönlichkeitsmerkmale, deren Anwendbarkeit durch die hohe Komplexität jedoch stark in Frage zu stellen ist. Zweitens wird nach Meinung nach Camerer keine Unterscheidung zwischen der intra- und der Interkulturellen Kompetenz getroffen. Oder anders ausgedrückt: die Teilaspekte Teamfähigkeit, Eigenmotivation oder Organisationsfähigkeit sind in jeder, nicht nur in einer interkulturellen Situationen nützlich. Und drittens fragt Camerer sich, warum die Kommunikationsfähigkeit nur als Unterkategorie genannt wird. Sollte es nicht vielmehr so sein, dass diese eine zentrale Rolle in der Kommunikation mit anderen Kulturen einnimmt.
Aus den obengenannten Ausführungen resultiert, dass Strukturmodelle zwar sehr gut den elementaren Rahmen erklären, jedoch nicht die Beziehungen unter den Elementen aufzeigen (vgl. Spitzberg & Changnon 2009: 14). Deswegen wird im nächsten Unterkapitel das Prozessmodell erläutert, welches genau diese Wechselbeziehungen miteinbezieht.
Prozessmodelle sind als „erfolgreiches, ganzheitliches Zusammenspiel von individuellen, sozialem, fachlichem und strategischem Handeln in interkulturellen Kontexten“ zu verstehen. Es geht um die Synthese aller Komponenten, die nicht auf die Disziplin der soft skills, begrenzt werden kann, sondern vielmehr methodische und fachliche genauso wie soziale und personale Teilkompetenzen miteinschließt. Eine Person ist also dann interkulturell kompetent, wenn sie das Zusammenwirken aller genannten Teilkräfte beherrscht und erfolgreich agiert (vgl. Bolten 2007: 25).
Aus der einschlägigen Literatur werden im Folgenden zwei Modelle exemplarisch erläutert. Dazu wird das Multilevel Process Change Model of Intercultural Competence von Ting-Toomey (1999) und das der amerikanischen Forscherin Karla Deardorff (2006) herangezogen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Multilevel Process Change Model of Intercultural Competence (in Anlehnung an Ting-Toomey 1999: 236)
Das Modell von Ting-Toomey beschreibt den kulturellen Anpassungsprozess, welcher als „the degree of change that occurs when individuals move from a familiar environment to an unfamiliar one“ definiert wird. Ting-Toomey beschreibt weiter, dass diese Anpassung sehr turbulent ist und mehrere Höhen und Tiefen haben kann. Verschiedene Faktoren beeinflussen den Teil der Anpassung: „systems level“, „indiviudell-level“ oder „interpersonal level“. Mit den systembedingten Faktoren sind sozioökonomischen Bedingungen, die Haltung gegenüber dem Fremden, die Unterstützung der lokalen Institutionen, die kulturelle Rolle des Fremden und schließlich die kulturelle Distanz zwischen den Kulturen näher beschrieben. Unter individuelle Faktoren fallen die Motivation des Neulings, individuelle Erwartungen, kulturelles Fachwissen sowie Persönlichkeitseigenschaften. Der dritte große Faktor sind die interpersonalen Faktoren wie ‚networking‘ in der neuen Kultur, die Medien und ihre Einstellung zu bestimmten Personengruppen sowie die eigenen persönlichen Anpassungsfähigkeiten. Aufbauend auf diesen ersten Faktoren der kulturellen Anpassung werden nun die Faktoren des Kulturschockprozess näher erläutert. Der Kulturschock „is, first and foremost, an emotional phenomenon“. Dementsprechend muss der Kulturfremde zunächst einmal mit der Situation umgehen, die Identitätsfrage klären, neue Beziehungen aufbauen sowie die neue Umgebung kennenlernen. Die Kulturfremde bemerkt kulturelle Auswirkungen auf unterschiedlichen Ebenen: auf der Institutionen-, zwischenmenschlichen und der eigenen persönlichen Ebene (vgl. Ting-Toomey 1999: 233ff). Dieses Modell stammt aus dem letztem Jahrhundert und zeigt nicht die Dynamik des interkulturellen Prozesses. Auch die Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Dimensionen werden nicht betrachtet. Im Anschluss wird das Modell von Karla Deardorff vorgestellt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3: Prozessmodell Interkulturelle Kompetenz (in Anlehnung an Deardorff (2006))
In Abb. 3 wird der dynamische Charakter der Interkulturellen Kompetenz grafisch verdeutlicht. Die Korrelationen zwischen den einzelnen Dimensionen werden durch die Pfeile symbolisiert. Zur Erstellung des dargestellten Modells wurden zwei Forschungsmethoden verwendet: der Fragebogen und die Delphi-Methode. Zunächst wurde der Fragebogen von Hochschulmanagern ausgefüllt, die über die Förderung des Studienziels Interkultureller Kompetenz ihrer Studierenden befragt wurden sowie wurden sie gebeten, Definitionen über Interkulturelle Kompetenz zu geben. Somit ergab sich der aktuelle Stand der Forschung bezüglich der Begrifflichkeit der Interkulturellen Kompetenz. Darüber hinaus sollten die Befragten noch weltweite Experten nennen, die zur Erstellung einer Namensliste für die Delphi-Studie beitragen sollten. Diese Liste wurde noch durch fundierte Literaturrecherche, Referenzen von anderen Experten sowie durch Forscher der International Academy of Intercultural Research erweitert. Bei dem anschließenden dreistufigen Delphiverfahren wurden 23 interkulturelle Experten befragt, die aus Forschungsgebieten der Erziehungswissenschaft, Anthropologie, Psychologie, Kommunikationswissenschaft, Wirtschaftswissenschaften u. ä. kamen. Das Ziel dieses Verfahren war es, einen Konsens über die Definition Interkultureller Kompetenz zu finden und nicht die Auffassung eines einzelnen Forschers wiederzugeben. Die Modelle sollten Personen im Bildungssektor unterstützen, Interkulturelle Kompetenz zu entwickeln und zu bewerten. Die Experten gaben als mögliche Element zur Bewertung Interkultureller Kompetenzen folgende Antworten: „Fallstudien, Interviews, Eigen- und Fremdurteil, Mix aus quantitativen und qualitativen Messungen, Entwicklung spezifischer Indikatoren für jede Komponente/Dimension Interkultureller Kompetenz und Evidenz für jeden Indikator, u. ä.“ Die Themen, die die Experten hinsichtlich der Bewertung der Interkulturellen Kompetenz als relevant erachtet haben, waren die folgenden:
„Bewertung von Interkultureller Kompetenz schließt mehr als nur die sichtbare Leistung ein. Die verschiedenen Grade Interkultureller Kompetenz müssen gemessen werden. Es muss berücksichtigt werden, wer die Interkulturelle Kompetenz misst, wer evaluiert wird, in welchem Kontext, zu welchem Zweck mit welchem Ziel, in welchem Zeitrahmen, auf welcher Kooperationsebene, auf welcher Abstraktionsebene“ (Bertelsmann Stiftung 2006: 31).
Wie schon mittels der Definition von Zukrigl und Breidenbach (2003) angemerkt, wird in dieser Arbeit Interkulturelle Kompetenz als ein dynamischer Prozess verstanden. Auch in dem Prozessmodell von Deardorff (2006) ist erkennbar, dass es sich hier um ein komplexes, mehrdimensionales und vielschichtiges Modell handelt, dessen unterschiedliche Dimensionen sich zu einer spiralförmigen Lernkurve entwickelt. Dieses lässt sich in vier Bereiche unterscheiden: Haltungen und Einstellungen, Wissen und Verständnis, Reflexionskompetenz (interne Wirkung) sowie Handlungskompetenz (externe Wirkung). Je höher die Anzahl und die Frequenz der Dimensionen sind, umso höher ist auch der Grad der Interkulturellen Kompetenz. Weiterhin wird vermutet, dass sich alle vier Dimensionen wechselseitig beeinflussen. Es wird angenommen, dass eine intensive Beschäftigung mit kulturspezifischen Fachwissen zu einer erhöhten Reflexionskompetenz führt und somit auch zu einer besseren Verständigung unter den agierenden Personen (vgl. Bertelsmann Stiftung 2006: 8ff).
Basis der vorliegenden Arbeit stellt das Modell von Deardorff (2006) dar, weil es erstens den dynamischen Charakter und die Wechselwirkungen zwischen den Dimensionen detailliert abbildet. Zweitens besteht es, wie oben schon näher erläutert, aus zwei Untersuchungsmethoden, welches ein solides empirisches Forschungsprojekt ausmacht. Drittens beruht das Forschungsprojekt auf einer sehr breiten Grundlage von Expertenmeinungen aus unterschiedlichen Forschungsdisziplinen, sodass ein interdisziplinäres Konstrukt, welches auch nötig ist, entsteht. Viertens wurde das Prozessmodell zur Entwicklung und Bewertung Interkultureller Kompetenz entwickelt, so wie es in dieser Arbeit auch verwendet wird.
Um Interkulturelle Kompetenz umfassend analysieren zu können, ist es unabdingbar nicht nur die Teildimensionen, sondern auch die verschiedenen Kompetenzniveaus zu differenzieren. Um eine exakte Unterscheidung der Niveaus zu erhalten, ist eine genaue Analyse der Anforderungen erforderlich, die mit konkreten Handlungssituationen bzw. Aufgabenstellungen kombiniert werden müssen (vgl. Klieme 2004: 12). Nur eine klare begriffliche Abgrenzung aller Teilkompetenzen führt zu einer präzisen Analyse (vgl. Straub 2007: 42) sowie eine getrennte Erfassung von kognitiven und motivationalen Kompetenzen, da nur so Wechselwirkungen analytisch dargestellt werden können (vgl. Klieme & Leutner 2006: 880). Aus diesem Grund werden im nächsten Unterkapitel die einzelnen Dimensionen von Deardorff (2006) sowie deren Stufen näher erläutert.
2.2.3.2.1 Haltungen und Einstellungen
Over und Mienert (2006: 48) konstatieren, dass erst durch die interne Auseinandersetzung mit der eigenen Kultur es möglich wird, andere Wertvorstellungen zu betrachten. Es ist zunächst wichtig, die eigene ethnozentrische Weltanschauung zu erkennen, diese zu relativieren sowie eine selbstkritische Reflexion der eigenen Rolle durchzuführen. Nur so kann eine langfristige Verhaltensveränderung erreicht werden.
Haltungen begründen sich laut Kutschker (2008: 687) auf konkrete Objekte wie Situationen, Handlungen oder Personen und gehören zu den tieferliegenden Bestandteilen einer Kultur2. Personen können unterschiedliche Haltungen einnehmen: zustimmend, ablehnend, positiv oder negativ (vgl. Trommsdorff 2004: 158ff). Hierbei spielen auch Emotionen eine entscheidende Rolle, die sich in tatsächlichen Situationen, individuellen Handlungen oder in der Kommunikation mit anderen Personen äußern können. Neben Haltungen zählt Kutschker auch Überzeugungen3 zu den Phänomenen einer Kultur. Diese definiert er folgendermaßen: „[…] wenn Auffassungen vertreten werden, die zwar als richtig deklariert werden, die aber nicht intersubjektiv nachprüfbar sind“ (vgl. Kutschker 2008: 687). Eine positive Grundhaltung zu anderen Kulturen wird in interkulturellen Begegnungen als Grundlage benötigt. Für den Lernprozess sind nicht nur eine positive Motivation, sondern auch kulturelle Lerninhalte wichtig. Neben allgemeiner Offenheit und Wertschätzung kultureller Vielfalt zählt auch der vorurteilsfreie Umgang mit fremden Menschen und Kulturen zu einem förderlichen Faktor in der interkulturellen Kommunikation (vgl. Bertelsmann Stiftung 2006: 8). Interkulturelle Kompetenz ist nicht automatisch vorhanden, sondern nur durch eine fortdauernde Entwicklung spezifischer Lernprozesse zu erreichen (vgl. Thomas 2013: 155). Durch das gemeinsame Lernen zwischen Einheimischen und Zugewanderten kann dieser Prozess angeregt werden. Dabei erkennen beide Parteien das Vorhandensein kultureller Systeme, akzeptieren kulturelle Unterschiede und erkennen die Vor- und Nachteile der fremden Kultur und eignen sich bestimmte Verhaltensmuster an. Aus diesem heraus entwickelt sich ein interkulturelles Bewusstsein, welches im alltäglichem Denken und Handeln verankert ist (vgl. Zacharaki 2007: 18).
Beim Interkulturellen Lernen geht es nicht nur um das Näherkommen an einige Verhaltensmuster, sondern auch um allgemeine Kriterien anderer kultureller Orientierungssysteme (vgl. Thomas 2013: 168). Dieses Wissen um andere Orientierungssysteme wird im nächsten Unterkapitel erörtert.
2.2.3.2.2 Fachwissen
Ein aufwachsendes Individuum wird mit Normen, Werten und Regelsystemen der jeweiligen Kultur vertraut gemacht und erfährt anhand dieser Faktoren ein tägliches soziales Miteinander. Treffen jedoch zwei Menschen unterschiedlicher Kulturen aufeinander, geht jeder der Partner davon aus, dass sein eigenes Orientierungssystem für alle verständlich, richtig und angemessen ist. Das Wissen über andere Orientierungssysteme sowie die Art und Weise der Verhaltensweisen müssen erst erworben werden (vgl. Thomas 2013: 145ff). Um dieses Orientierungssystem genauer erläutern zu können, werden im Folgenden die Kulturstandards4 von Hall5 herangezogen.
Die Kulturdimensionen von Hall und Hall gehören zu der klassischen Kulturforschung, die Unterschiede zwischen Kulturen aufzeigen. Da kulturelle Unterschiede besonders in Kommunikationssituationen relevant sind, werden sie als Grundlage dieser Arbeit dienen. Die beiden Forscher unterscheiden zwischen den folgenden vier Kulturdimensionen: Raumorientierung, Zeitorientierung, Kontextorientierung und Informationsgeschwindigkeit (vgl. Hall & Hall 1990: 3). Es ist zu erwähnen, dass diese nicht völlig getrennt voneinander zu betrachten sind, sondern sich häufig auch bedingen (vgl. Kutschker 2011: 708f). Die beiden letztgenannten Dimensionen sollen nur kurz vorgestellt werden, wohingegen auf die Komponenten Raum und Zeit ausführlicher eingegangen werden soll, da diese auch den Schwerpunkt in der Befragung bilden werden.
Die erste Dimension, welche Kulturen charakterisiert, ist die Kontextorientierung. Es wird differenziert zwischen low-context- und high-context-Kulturen. Der Unterschied liegt vor allem in der Informationsvermittlung, d.h. in high-context-Kulturen wird eine große Menge an Information schon implizit durch die agierenden Personen vermittelt. Somit müssen konkrete Sachverhalte nicht mehr explizit gesagt bzw. erläutert werden. Im Gegensatz dazu müssen in low-context-Kulturen Botschaften explizit formuliert werden und mehr Informationen enthalten, um den Sinn richtig zu vermitteln (vgl. Kutschker 2011: 709).
Die zweite Dimension nach Hall ist die Raumorientierung. Darunter ist zu versteht, dass verschiedene Kulturen ein unterschiedliches Verhältnis zum Raum haben. Hall differenziert zwischen ‚Privatsphäre‘ und ‚Territorium‘. Die Privatsphäre definiert er als „jene[n] unsichtbare[n] Kreis, der eine Person umgibt und der von einer anderen Person nicht ohne Erlaubnis betreten werden darf“. Davon ist das Territorium zu unterscheiden, welches laut Hall, „all die Orte und Gegenstände, die von einer Person als persönliches Eigentum […] betrachten werden“, umfasst. Das Verständnis, das Kulturen beiden Begriffen zu Grunde legt, variiert erheblich zwischen den Kulturen und ist auch in Verhandlung bedeutsam (vgl. Kutschker 2011: 711). In Nordeuropa z. B. bleiben Menschen eher auf Distanz, wohingegen in Südfrankreich, Italien, Griechenland oder auch Spanien dieser Abstand immer geringer wird. Sinnbildlich könnte gesagt werden, dass die Südländer einem auf die Pelle rücken. Auch Berührungen kommen in Nordeuropa in Alltagssituationen eher selten vor, hingegen sind sie in südlichen Kreisen an der Tagesordnung (vgl. Hall & Hall 1990: 11).
Die dritte Dimension, die Zeitorientierung, wird in monochrone und polychrone Zeitauffassung untergliedert. Ersteres geht mit einer linearen Vorstellung von der Zeit einher, in der alles nacheinander passiert, also sequentiell ist. Dabei werden Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft klar voneinander getrennt betrachtet. Die polychrone Zeitauffassung geht hingegen davon aus, dass Zeit nicht linear, sondern kreisförmig verläuft. Es können mehrere Aktivitäten zur gleichen Zeit ausgeführt werden. Auch Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verschwimmen in dieser Zeitauffassung. Im Folgenden sollen noch weitere Unterschiede aufgezählt werden, die auch in der Arbeitswelt von Relevanz sind, da sie Einfluss auf die Arbeitsweise und die Auffassung von Arbeit nehmen. Während Mitarbeiter monochroner Kulturen es präferieren, sich nur auf einen Arbeitsschritt zu konzentrieren, werden von Mitarbeitern polychroner Kulturen in der Regel mehrere Dinge gleichzeitig erledigt. Des Weiteren betrachten letztgenannte feste Abgabetermine nur als optionalen Zeitraum, wohingegen Mitarbeiter monochroner Kulturen sich an diese Fristen strengstens halten. Auch der Arbeitseinsatz im Job ist unterschiedlich. Für Mitarbeiter polychroner Kulturen sind Menschen bzw. deren Beziehungen wichtig, im Gegensatz dazu ist in monochronen Kulturen die ausgeübte Tätigkeit an sich entscheidend. Eine monochrone Zeitorientierung ist vor allem in den USA und in vielen mitteleuropäischen Kulturen (skandinavische und germanische Kulturen) vorzufinden, im Gegensatz dazu gehören die lateinamerikanische, arabische und mediterrane Kultur eher zu den polychronen Kulturen (vgl. Kutscher 2011: 712f).
Mit der Informationsgeschwindigkeit, der vierten Dimension von Hall, ist die Geschwindigkeit gemeint, mit welcher Informationen in Kommunikationssituationen kodiert und dekodiert werden. Um ein Beispiel aus der deutschen Presselandschaft zu geben: Die Informationsgeschwindigkeit der „Bild“ ist wesentlich höher als die der Wochenzeitung „Die Zeit“. Die Informationsgeschwindigkeit hängt nicht nur von der Art der Information ab, sondern differiert auch zwischen unterschiedlichen Kulturen. Es kann zwischen Kulturen mit hoher und niedriger Informationsgeschwindigkeit unterschieden werden. Die amerikanische Kultur ist Vorreiter für eine hohe Informationsgeschwindigkeit (vgl. Kutschker 2011: 714), wie dieses Beispiel verdeutlichen soll:
„In the United States is not too difficult to get to know people quickly in a relatively superficial way, which is all that most Americans want. Foreigners have often commented on how “unbelievably friendly” the Americans are. However, when we studied the subject, we discovered a worldwide complaint about Americans: they seem capable of forming only one kind of friendship – the informal, superficial kind that does not involve an exchange of deep confidences” (Hall 1990: 5f).
Im Gegensatz dazu werden europäischen Beziehungen eine hohe Bedeutung zugesprochen, die allerdings eine lange Zeit brauchen, um zu wachsen. Es ist sehr schwer, manchmal unmöglich für Ausländer in diese Netzwerke einzutreten. Jedoch haben viele Geschäftsleute erkannt, dass es Zeit braucht, diese Beziehungen aufzubauen und dass die Bemühungen sich auch lohnen, um wirklich wahre Freunde unter den Businesspartner zu finden (vgl. Hall 1990: 5f). An dieser Stelle soll erwähnt werden, dass Hall für sich nicht in Anspruch nimmt, dass anhand der vier Dimensionen alle kulturellen Verschiedenheiten bestimmen werden können. Des Weiteren gibt es neben den kulturellen auch individuelle Unterschiede. Auch sollen die Kulturdimensionen nur als Richtschnur betrachtet werden und sind nicht verallgemeinernd zu verstehen (vgl. Kutschker 2011: 715).
Das eigene Handeln wird auf Basis dieser Kulturstandards reguliert, die von der Mehrheit aller Personen als typisch und normal betrachtet werden. Die Kulturstandards können von allgemeinen Regeln bis zu genauen Verhaltensvorschriften reichen. Unterschiedliche Kulturkreise können ähnliche Kulturstandards haben, diese vermögen jedoch ganz anders interpretiert werden oder einen andersartigen Sinn ergeben. Denn eine Verhaltensabweichung wird erst dann bemerkt, wenn es in für den Handelnden wichtigen Kontexten vorkommt und sich mehrmals wiederholt. Dabei kann es zu Reaktionen von Erstaunen über Verärgerung oder Enttäuschung bis hin zu erproben, abtasten oder experimentieren des anderen Partner kommen. Meist kommt es erst nach langandauernden Versuchen, der gewohnten Wahrnehmungs-, Bewertungs- und Handlungsrepertoires zu den ersten Schritten Interkulturellen Lernens (vgl. Thomas 2013: 164ff).
Die ersten beiden Dimensionen des Prozessmodells von Deardorff wurden nun erläutert. Der Lernprozess der Interkulturellen Kompetenz wird durch das Reflektieren von Ursachen und Wirkungen weiter vorangeführt (vgl. Thomas 2013: 168), welche nun im nächsten Unterkapitel genauer betrachtet wird.
2.2.3.2.3 Reflexionskompetenz
Reflexion ist „die bewusste, kritische und verantwortliche Einschätzung und Bewertung von Arbeitsprozessen, Handlungsabläufen und Handlungsalternativen vor dem Hintergrund der eigenen Erfahrung“ (Franke 2008: 55). Dabei weist Gillen (2007: 526) darauf hin, dass eine kritische Auseinandersetzung mit der Umwelt erforderlich ist. Um eine hohe Reflexionsfähigkeit zu erreichen, ist es essentiell, konstruktive Kritik zu üben und die Bildung einer eigenen Meinung zu manifestieren. Denn Reflexion ist ein wichtiges Element zur Persönlichkeitsentwicklung (vgl. Schwadorf 2003: 83f). Korthagen (2002: 55f) betont, dass in dem Reflexionsprozess es wichtig ist, sich Gedankengänge bewusst zu machen, sie kritisch zu untersuchen und falls nötig, zu rekonstruieren. Eine einheitliche Definition besteht in der Literatur noch nicht (vgl. Gillen 2007: 526), deswegen wird das Konzept von Donald Dewey dieser Arbeit zu Grunde gelegt, welches auf einer situations- und handlungsbezogenen Reflexion basiert. Die Kernaufgabe des Reflektierens sieht Dewey in einer speziellen Art des Problemlösens, welche persönliche Überzeugungen und Wissen mit einbezieht. Er geht davon aus, dass Reflexion immer dann stattfindet, wenn es sich um Situationen handelt, die nicht alltäglich sind. Somit ist es wichtig, zielorientiert zu denken, sich Hypothesen zu überlegen und daraus Handlungsalternativen zu entwickeln (vgl. Abels 2011: 48). Dewey differenziert laut Mertins (2010: 6) zwei Arten von Reflexion: das wahrnehmungsbezogene Nachdenken und das reflektierende Nachdenken. Bei ersterem passt sich die Person der äußeren Umwelt an (vgl. Kasztner 2009: 78). Bei letzterem wird zwischen einer einfachen Beurteilung nach Vorurteilen, eine offen, aber doch systematischen Gedankenkette oder einem unkritischen Zufallsdenken unterschieden (vgl. Fey & Fey 1998: 66). Die Reflexion soll dazu beitragen, dass fremde Lebensweisen, Kommunikationswege oder auch Denkweisen kritisch hinterfragt werden. Als Grundlage dient eine gewisse Empathie gepaart mit selektiv übernommen Verhaltensweisen (vgl. Bertelsmann Stiftung 2006: 10). Im nächsten Abschnitt wird auf die Bedeutung der Reflexion im wirtschaftlichen Handeln eingegangen.
Eine elementare Säule des Handelns besteht in der Reflexion der Werte des eigenen kulturellen Hintergrundes (vgl. Barkin et al. 2011: 17). Auf dieser Grundlage können eigene Eindrücke und Beobachtungen geordnet und systematisiert werden (vgl. Zacharaki 2007: 22). Die kritische Auseinandersetzung kann zu einer völligen Neubewertung der fremden Gepflogenheiten bewegen. Wird das neue emotional angenommen, kann es zu einer Abnahme von Antipathie bzw. Ängsten kommen. Somit können die unbekannten Verhaltensweisen auch selektiv angeeignet werden (vgl. Bertelsmann Stiftung 2006: 9f). Denn im Berufsalltag ist es unabdingbar, eigene kulturelle Werte sowie die des Verhandlungspartners differenziert wahrzunehmen (vgl. Zacharaki 2007: 22).
Nach der Bertelsmann Stiftung sind vor allem die Haltung, Einstellung und Reflexion essentielle Bestandteile für eine angemessene Handlungs- und Interaktionsfähigkeit in interkulturellen Begegnungen. Denn nur in der Praxis kann sich Interkulturelle Kompetenz zeigen, bewähren und entwickeln (vgl. Camerer 2009: 46). Darauf aufbauend wird im nächsten Unterkapitel die Handlungskompetenz erläutert.
2.2.3.2.4 Handlungskompetenz
Diettrich und Reinisch (2010: 37) sehen die interkulturelle Handlungskompetenz als eine Erweiterung der beruflichen Handlungskompetenz. Dabei unterscheidet sich die interkulturelle von der allgemeinen Handlungskompetenz vor allem darin, dass das Handlungsfeld im interkulturellen Kontext liegt (vgl. Bolten 2007: 28). Einzelne Komponenten stellen noch keine interkulturelle Handlungskompetenz dar, sondern nur die Summe aller Elemente befähigt, in Situationen richtig zu handeln (vgl. Camerer 2009: 46).
Somit ist das reine deklarative Wissen über Kultur und Interkultureller Kompetenz noch nicht ausreichend, um erfolgreich zu handeln (vgl. Zacharaki 2007: 25), sondern muss durch das prozedurale Wissen ergänzt werden, d.h. der angemessene Einsatz und Umgang mit kulturellen Unterschieden. Nur so kann gewährleistet werden, dass ein Handlungsprozess zustande kommt und Missverständnisse vermieden werden (vgl. Thomas 2013: 155). Vielmehr umfasst die fachliche Handlungskompetenz in interkulturellen Situationen zwei Faktoren: ein umfassendes Wissen sowie eine gewisse Kommunikationsfähigkeit. Ersteres besteht aus dem Wissen über seine eigene Kultur und dem der Fremdkultur. Nur so kann gewährleistet werden, dass man sich in interkulturellen Situationen angemessen verhalten kann. Die Sprache spielt hierbei nur eine sekundäre Rolle6. Es geht vielmehr um das kulturelle Wissen, wie z. B. das Verständnis fremder Standpunkte, das Verstehen für historische bzw. religiöse Begründung von Normen, Werten und Lebensweisen sowie kulturüblichen Kommunikationsgewohnheiten. Deswegen schreiben die US-Wissenschaftler in der Studie von Karla Deardorff der verhaltensbezogenen (konativen) Kommunikationsfähigkeit eine höhere Bedeutung zu als den wissensbezogenen (kognitiven) Fähigkeiten. Ziel der interkulturellen Handlungskompetenz ist es, zu konstruktiver, angemessener und effektiver Kommunikation zu kommen. Nur durch bestimmte Haltungen und Einstellungen, kulturspezifisches Fachwissen, Handlungs- und Reflexionskompetenz aller Akteure kann eine effektive Kommunikation gelingen. Dieses setzt jedoch ein lebenslanges Lernen mit einer fortdauernder persönlichen Entwicklung voraus, da der Erwerb von interkultureller Kompetenz prozessual und nur über einen längeren Zeitraum erfolgt (vgl. Bertelsmann Stiftung 2006: 8f).
Thomas (2013: 185) kommt zu der Erkenntnis, dass erfolgreiches interkulturelles Handeln in interkulturellen Situationen erst dann zustande kommt, wenn ein Individuum sein eignes Orientierungssystem so verändert oder erweitert, dass es sich den fremdkulturellen Standards anpasst, um so eine effektive Handlungskompetenz zu erzielen7:
„Dabei geht es hier um solche Situationen, die im beruflichen Kontext zum Erfordernis führen, mit Angehörigen einer anderen Nationalität und Kultur mündlich und ggf. schriftlich zu kommunizieren“ (Diettrich & Reinisch 2010: 37).
Die Betrachtung der Handlungskompetenz abschließend soll in dieser Arbeit noch die zusammenfassende Definition von Thomas (2013: 368) angebracht werden:
„Interkulturelle Handlungskompetenz entwickelt sich also in der Auseinandersetzung mit kulturellen Überschneidungssituationen, in denen zwei oder mehr Mitglieder unterschiedlicher Kulturen füreinander bedeutsam werden und auf einander bezogen Leistungs- und Gestaltungsaufgaben zu bewältigen haben.“
Erreicht ein Individuum ein hohes Niveau Interkultureller Kompetenz kann es zu weitreichenden Umwandlungen kommen, wie z.B. zur reflektierten kulturellen Selbst- und Fremdwahrnehmung, welche letztlich zu einem Perspektivwechsel für andere Formen der Lebensgestaltung führen kann. Anschließend kann es auch zu einer Verhaltensveränderung kommen, die sich an interkulturelle Unterschiede in Handlungsplanung, Handlungsinitiierung, Handlungsprozesskontrolle, Handlungsresultatbewertung sowie Handlungskonsequenzanalyse anpasst (vgl. Thomas 2013: 161).
Es wurden nun alle Dimensionen des Prozessmodells von Karla Deardorff erläutert. Da Interkulturelle Kompetenz jedoch „nicht direkt beobachtbar“ ist (vgl. Straub 2007: 39), werden geeignete Testverfahren zur Messung im nächsten Kapitel diskutiert.
Wie im letzten Unterkapitel erläutert, wird sich in der Forschung dem Konstrukt der Interkulturellen Kompetenz anhand von zahlreichen Definitionen und Modellen genähert. Dies hat zur Folge, dass sich Messverfahren auf einzelne Definitionen beziehen und dass mittels bestimmter Messverfahren nur einzelne Dimensionen gemessen werden können. Deswegen folgt nun ein kurzer Überblick über die wichtigsten Methoden zur Messung Interkultureller Kompetenz (vgl. Over et al. 2009: 70).
Das Fragebogenverfahren ist eines der Instrumente, welches zur Messung Interkultureller Kompetenz herangezogen wird. Die vorherrschende Anzahl kommt aus dem englischsprachigen Raum und beinhaltet vornehmlich Austauschsituationen. Der Multicultural Personality Questionaire (MPQ) beispielsweise dient zur Selektion von Expatriates und deren interkulturellen Trainingsbedarf. Der Intercultural Adjustment Potential Scale (ICAPS) hingegen kann kulturelle Anpassung prognostizieren ohne Persönlichkeit und Intelligenz miteinzubeziehen. Interkulturelle Sensibilität wurde von dem Intercultural Adjustment Potential Scale (ICSI) messbar gemacht, welcher jedoch für bestimmte Zielgruppen entworfen und somit kulturgebunden und nicht ohne weiteres für den deutschen Sprachraum anwendbar ist. Verfahren für den deutschsprachigen Bildungsbereich gibt es momentan noch wenige (vgl. Over et al. 2009: 70f).
Kognitive Strukturtests versuchen kulturelles Verständnis und Wissen zu messen. Es werden grundsätzlich zwei Tests unterschieden: einen alltäglichen (minimalen) Test sowie einen Test, der nur durch gezieltes Nachdenken kulturelle Unterschiede ersichtlich erscheinen lässt. Bei letzterem wird der Schwierigkeitsgrad immer höher und die Fragen immer komplexer. Das Ergebnis wird komplementiert mit einer Selbsteinschätzung, die auf einer Skala von eins bis sieben eingetragen wird. Mit diesem Test wird die strukturelle wie auch die entwicklungspsychologische Perspektive Interkultureller Kompetenz betrachtet (vgl. Over et al. 2009: 70f).
Laut Kinast (2005: 168) sind interkulturelle Assessment Centers eine Methode, um mehrere Akteure über einen längeren Zeitraum in unterschiedlichen Spielsituationen zu beobachten und nach bestimmten Kriterien zu bewerten. Auf Unternehmensebene dient es vornehmlich der Personalauswahl (vgl. Over et al. 2009: 75). Es kann zwischen zwei Test unterschieden werden: punktuelle und systematische Tests. Erst genanntes testet Teilkompetenzen und ist einfach zu entwerfen, letztgenanntes hingegen erhebt und überprüft kulturelle Zusammenhänge und ist aufgrund der Komplexität schwierig zu konzipieren (vgl. Bolten 2001: 28f).
Ein Critical Incident (CI) ist eine kritische Handlungssituation, in der ein Konflikt oder ein Missverständnis von Personen mit unterschiedlichem kulturellem Hintergrund geschildert wird. Durch Konfrontation mit einem CI können Gefühle wie Erstaunen oder Verwunderung, aber auch negative Emotionen wie Unbehagen, Angst und Zorn hervorgerufen werden. Der CI wurde in den 50er Jahren entwickelt und fand in unterschiedlichen Einsatzgebieten Anwendung. Er wurde zur Steigerung Interkultureller Kompetenz und zur Sensibilisierung für interkulturell kritische Interaktionssituationen verwendet. Für die geschilderten kritischen Situationen werden unterschiedliche Antwortmöglichkeiten zur Verfügung gestellt, wobei es nicht um die Suche nach der einen richtigen Interpretation geht, sondern um die kritische Auseinandersetzung mit der vorliegenden Situation und die Ermöglichung eines Perspektivwechsels bezüglich der betrachteten kulturellen Dimensionen. Zusätzliche Informationen zu der bestimmten Kultur und den fokussierten kulturellen Dimensionen ermöglichen ein genaueres Bild des im CI dargestellten kulturellen Hintergrundes (vgl. Bertallo et al. 2006: 26ff).
Wie schon erwähnt, dienen die CIs zur Steigerung der Interkulturellen Kompetenz. Dieses geschieht auf der kognitiven und affektiven Ebene sowie der Verhaltensebene. Das kulturelle Wissen soll erhöht werden, die Empathie verbessert und die Handlungskompetenz ausgebaut werden (vgl. Bertallo et al. 2006: 30f). Nach Flangan handelt es sich bei der Methode des CI nicht um ein steifes Regelwerk, sondern kann je nach Situation angepasst werden (vgl. Over et al. 2009: 73). Jedoch birgt der Einsatz von CIs auch Gefahren. Hierbei ist vor allem die starke Vereinfachung zu nennen, da es unmöglich ist, die Situation allumfassend zu schildern, sodass es der realen Komplexität vollständig gerecht werden kann. Weiterhin besteht die Gefahr, dass Kulturschemata und Stereotypen weiter verfestigt werden, wenn keine intensive Auseinandersetzung mit der Situation folgt. Die Stärken der CIs sind eine hohe Dichte an Informationen in kurzen Geschichten sowie die bildhafte Darstellung. Da die CIs sich immer auf tatsächliche Situationen beziehen, sind sie realitätsnah und leicht nachvollziehbar. Diese Methode wird in dieser Arbeit genutzt, weil sie in kritischen Alltagssituationen eine Summe an Aspekten interkultureller Kompetenz abverlangt: Reflexionsvermögen, Offenheit und Auseinandersetzung mit den beteiligten Akteuren (vgl. Bertallo et al. 2006: 30f).
Auf Grundlage der Begriffsdefinition, des Prozessmodells von Karla Deardorff und des CI Verfahrens zur Messung der Interkulturellen Kompetenz wird nun der Personenkreis, Auszubildende in der beruflichen Bildung, mit den Merkmalen Migrationshintergrund, Ausbildungsgang und Geschlecht genauer untersucht.
Durch eine Vielzahl unterschiedlicher Begriffe wurde in den letzten Jahren die Migrationsdebatte geprägt, wie z.B. Ausländer, Migrant, Zuwanderer, Person mit Migrationshintergrund, ethnischer Hintergrund o. ä.. Vermehrt wurde jedoch das Konstrukt Migrationshintergrund verwendet, welches nicht nur selbst Zugewanderte, sondern auch Personen mit familiären vermittelter Migrationserfahrung berücksichtigt. Aus statistischer Sicht wird das Kriterium der nicht-deutschen Staatsangehörigkeit durch die Variable ‚Migrationshintergrund‘ erweitert. Um einen Überblick über die unterschiedlichen Definitionen und Merkmale des Migrationsbegriffs zu bekommen, stützt sich die vorliegende Arbeit auf die Aufstellung von Settelmeyer und Erbe. In den elf von ihnen untersuchten Studien ziehen mehr als zwei Drittel der Untersuchungen die aktuelle Staatsangehörigkeit sowie die (Mutter-)sprache als Merkmal mit ein, hingegen werden die Merkmale „Frühere Staatsangehörigkeit bzw. Einbürgerung sowie Eltern oder Zuzug“ kaum zur Begriffsdefinition „Migrationshintergrund“ berücksichtigt (vgl. Settelmeyer & Erbe 2010: 5ff).
In folgenden Untersuchungen wird das Merkmal „Migrationshintergrund“ unterschiedlich definiert: Nationaler Bildungsbericht, Mikrozensus, PISA 2000 und 2003. Aus diesem Grund kommt es auch zu extrem unterschiedlichen quantitativen Daten, welche das Formulieren von vergleichbaren Aussagen erschwert. Um diesen Aspekt stärker zu verdeutlichen, soll ein kurzer Vergleich zwischen den PISA-Studien 2000 und 2003 gezogen werden. Bei der ersten Studie wurde Kindern ein Migrationshintergrund zugesprochen, wenn entweder beide Elternteile oder ein Elternteil aus dem Ausland stammten. Drei Jahre später, in PISA 2003, wurden Kindern schon dem Merkmal ‚ohne Migrationshintergrund‘ zugerechnet, wenn sie bereits ein deutsches Elternteil hatten (vgl. Konsortium 2006: 140ff). Wie gesehen, wird in vielen Studien der Begriff Migrationshintergrund in unterschiedliche Weise verwendet, welches den Anschein erregt, dass er nicht offiziell implementiert und einheitlich definiert ist. Erst in dem Integrationsindikatorenbericht einigten sich die Bundesländer auf eine einheitliche Definition, welche nun auch vom Statistischen Bundesamt für die Auswertung des Mikrozensus verwendet wird. Auch die vorliegende Untersuchung verwendet die Definition des Mikrozensus, weil er Grundlage vieler Studien ist und somit auch den Vergleich dieser Studien ermöglicht. Zusätzlich basiert der Mikrozensus auf einer 1-Prozent-Stichprobe der Wohnbevölkerung Deutschlands, wobei die Teilnahme der angeschriebenen Haushalte verpflichtend ist. Zudem enthält er eine Reihe von Variablen, anhand derer der Migrationshintergrund messbar gemacht wird (vgl. Settelmeyer & Erbe 2010: 5ff).
Der Mikrozensus 2013 bietet folgende Abgrenzung und Gliederung von Personen mit Migrationshintergrund:
Abbildung 4: Zuordnung der Bevölkerung nach Migrationsstatus (in Anlehnung an Statistisches Bundesamt 2013: 362)
In der vorliegenden Gliederung wird sich an eine mögliche Definition angenähert. Aber auch diese ist immer noch von Uneindeutigkeiten und Interpretationsspielräumen geprägt, wie folgendes Beispiel verdeutlichen soll: Eine deutsche Frau, die im Ausland ein Kind geboren hat und dann nach Deutschland zurückkehrt, deren Kind sollte eigentlich den Status ‚ohne Migrationshintergrund‘ haben und keine Berücksichtigung finden. Jedoch lässt sich dieses nicht zweifelsfrei sagen, da sich durch die Fragestellungen des Mikrozensus dieses eindeutig feststellen lässt (vgl. Statistisches Bundesamt 2013: 360). Aus diesem Grund wird sich der zusammenfassenden Definition angeschlossen, nach der „alle nach 1949 auf das heutige Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zugewanderten, sowie alle in Deutschland geborenen Ausländer und alle in Deutschland als Deutsche Geborenen mit zumindestens (sic!) einem zugewanderten oder als Ausländer in Deutschland geborenen Elternteil“ als Personen mit Migrationshintergrund gezählt werden können (Statistisches Bundesamt 2013: 6). In dieser Arbeit wird aus Vereinfachungsgründen im Interview nicht nach der dritten Generation gefragt sowie auf eine Einteilung unterschiedlicher Migrationshintergründe verzichtet.
Auf Grundlage der Definition des Mikrozensus lässt sich eine valide Aussage über die Klassifikation von Personen mit Migrationshintergrund vornehmen (vgl. Statistisches Bundesamt 2013: 6). Darauf aufbauend wird nun im Anschluss auf das Merkmal Migrationshintergrund näher eingegangen.
Ein enormer Aufholbedarf besteht bei den Ausbildungschancen junger Menschen mit Migrationshintergrund. So verließen, laut den Statistischen Ämtern des Bundes und der Länder, ausländische Schüler die Schule ohne Abschluss noch doppelt so häufig wie ihre deutschen Altersgenossen (2011: 11,8 % gegenüber 5,0 %). Zwar ist es gelungen, die Abbrecherquote zu verringern, jedoch ist die Anzahl der Schulabschlüsse ausländischer Jugendlicher weiterhin niedriger als die der deutschen Mitschüler. Auch in der Berufsbildung zeichnet sich ein ähnliches Bild ab. So lag die Zahl der Ausbildungsanfänger bei ausländischen Jugendlichen im Jahr 2011 bei 29,8 % gegenüber den deutschen Jugendlichen von 60,2 %. Denn laut der BA/BIBB-Bewerberbefragung 2010 ist die Suche nach einem geeigneten Ausbildungsplatz für junge Menschen mit Migrationshintergrund wesentlich schwieriger als für die ohne Migrationshintergrund. Dieses ist nicht nur dem niedrigen Bildungsabschluss geschuldet. Innerhalb der ausländischen Jugendlichen ergeben sich zwischen den Herkunftsregionen signifikante Unterschiede. So müssen Jugendliche türkischer oder arabischer Herkunft mit weit mehr Schwierigkeiten kämpfen als andere Jugendliche aus anderen Regionen. Es werden Faktoren wie ungünstige schulische Voraussetzungen, unterschiedliche Berufswahlpräferenzen oder auch regionale Ausbildungssituation sowie Selektionsprozesse der Betriebe als zusätzliche Determinanten bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz genannt (vgl. BMBF 2012: 37).
Der geringe Anteil von jungen Menschen mit Migrationshintergrund in der beruflichen Bildung lässt sich nicht alleinig auf Bildungspräferenzen oder spezifische Suchstrategien zurückführen, die durch persönliche und familiäre Einstellungen beeinflusst werden (vgl. Granato, Münk & Weiß 2011: 16f). Zudem sind die schlechten Chancen Jugendlicher mit Migrationshintergrund nicht nur auf unterschiedliche Schulabschlüsse oder einzelnen Schulnoten zurückzuführen (vgl. Granato et al. 2007: 4). Empirische Studien haben gezeigt, dass Jugendliche mit Migrationshintergrund durchaus hohe Bildungs- und Berufsorientierungen haben (vgl. Granato, Münk & Weiß 2011: 16f). Jedoch zeigt die Wirklichkeit, dass 39 % aller Jugendlichen mit Migrationshintergrund nur einen Hauptschulabschluss vorweisen können (vgl. BIBB 2014: 78). Der geringere Bildungsabschluss von jungen Menschen mit Migrationshintergrund ist eng verknüpft mit dem elterlichen Bildungsabschluss bzw. dem des Vaters. Hat zum Beispiel kein Elternteil einen Bildungsabschluss, dann ist überproportional wahrscheinlich, dass das Kind die Schule maximal mit einem Hauptschulabschluss verlässt. Somit können die schlechten Bildungsabschlüsse der Kinder auf die ungünstigen Bildungsvoraussetzungen zurückgeführt werden. Jedoch werden gerade von diesen Eltern hohe Bildungserwartungen an ihre Kinder gestellt, besonders bei türkischen Familien. Bei diesen Erwartungen sind keine signifikanten Unterschiede zwischen den Geschlechtern festzustellen. Aufgrund der eigenen eingeschränkten beruflichen Möglichkeiten wird der soziale Aufstieg auf die nachfolgende Generation verschoben (vgl. Beicht 2011: 20). Diese Beobachtungen decken sich auch mit der Studie ‚Interkulturelle Kompetenzen junger Fachkräfte mit Migrationshintergrund: Bestimmung und beruflicher Nutzen‘. Hier gaben Fachkräfte mit Migrationshintergrund an, dass sie eine bessere Position als ihre Eltern einnehmen wollten. Dazu wäre eine höhere berufliche Leistung von Nöten als ihre Altersgenossen auf gleicher Ebene (vgl. Settelmeyer 2004: 7).
Personen mit Migrationshintergrund können auf der einen Seite ein positives oder ein distanziertes Selbstverständnis zu ihrer Herkunft haben. Haben sie ein positives Verhältnis zu ihrer Herkunft, dann sehen sie ihren Migrationshintergrund auch als einen Pluspunkt. Sie erzählen von Kontakten in das Herkunftsland, zu Verwandten oder von einem internationalen Umfeld in Schulen und Stadtvierteln. Dabei sind sie kommunikativ und nehmen gerne die Vermittlerrolle ein. Sie stehen zu ihrer Herkunft, was bis zum Einnehmen einer typischen Vertreterrolle ihres eigenen Herkunftslands gehen kann. In dieser Position reflektieren sie auch über Migration und Integration und sprechen die Integrationsbereitschaft ausländischer Bevölkerung offen an. Zudem sehen sie Interkulturelle Kompetenzen als eine weitere Qualifikation ihrer beruflichen Kompetenz an. Einige sehen zwar noch keine Einsatzmöglichkeiten in ihrem momentanen Arbeitsumfeld, könnten sich aber vorstellen, dass es in zukünftigen Beschäftigungsfeldern von Vorteil sein könnte. Demgegenüber stehen Personen mit Migrationshintergrund, die ihrer Herkunft kritisch gegenüber stehen. Sie verstehen sich als Deutsche und versuchen ihren Migrationshintergrund zu verschleiern oder unsichtbar zu machen. Weiterhin sehen sie Schwierigkeiten aufgrund ihrer ausländischen Herkunft, im Elternhaus genauso wie in der Schule. Es gibt eine eindeutige Trennung zwischen deutscher und ausländischer Lebenswelt und sie sind nicht bereit zwischen diesen Welten zu vermitteln. Aufgrund ihres Migrationshintergrunds sehen sie auch keine weiteren Kompetenzen oder Potenziale (vgl. Settelmeyer, Dorau & Hörsch 2006: 9ff). Zusammenfassend lässt sich jedoch feststellen, dass die meisten Personen mit Migrationshintergrund ihre Interkulturellen Kompetenzen erweitern möchten. Dieses wird meistens im Job selbst und nicht in weiteren Qualifizierungsprojekten getan (vgl. Settelmeyer 2011: 153).
[...]
1 Aufgrund der Lesbarkeit wird in der vorliegenden Arbeit anstelle der Doppelnennung für männliche und weibliche Form die männliche Form verwendet. Nichtsdestotrotz sind immer Personen beiderlei Geschlechts gemeint.
2 In der Literatur werden Überzeugungen auch als Concepta-Ebene beschrieben (vgl. Kutschker 2008: 673). Sie ist von der Percepta-Ebene zu unterscheiden.
3 Werden in dieser Arbeit mit Haltungen gleichgesetzt
4 Kulturstandards sind Hauptmerkmale kulturspezifischer Orientierungssysteme (vgl. Thomas 2013: 183).
5 Es wurde sich auf Hall bezogen, weil er sich vor allem auf Kommunikationsaspekte konzentriert (vgl. Kutschker 2011: 700).
6 Die Sprachkenntnisse werden in dieser Arbeit nicht näher erläutert, da sie zwar als Voraussetzung dienen, aber nicht das gesamte Themenspektrum abbilden (Thomas, 2013: 156).
7 Auffälligkeiten im Verhalten können natürlich auch durch individuelle Unterschiede kommen, jedoch treten sie bei kulturellen Abweichung in den Hintergrund (vgl. Thomas 2013: 187)
Der GRIN Verlag hat sich seit 1998 auf die Veröffentlichung akademischer eBooks und Bücher spezialisiert. Der GRIN Verlag steht damit als erstes Unternehmen für User Generated Quality Content. Die Verlagsseiten GRIN.com, Hausarbeiten.de und Diplomarbeiten24 bieten für Hochschullehrer, Absolventen und Studenten die ideale Plattform, wissenschaftliche Texte wie Hausarbeiten, Referate, Bachelorarbeiten, Masterarbeiten, Diplomarbeiten, Dissertationen und wissenschaftliche Aufsätze einem breiten Publikum zu präsentieren.
Kostenfreie Veröffentlichung: Hausarbeit, Bachelorarbeit, Diplomarbeit, Dissertation, Masterarbeit, Interpretation oder Referat jetzt veröffentlichen!
Kommentare