Diplomarbeit, 2005
65 Seiten, Note: 2,3
Ehrenwörtliche Erklärung
Abkürzungsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
1. Einführung
2. Besonderheiten und Rahmenbedingungen der Elektrizitätswirtschaft
2.1 Ursachen staatlicher Regulierung in der Elektrizitätswirtschaft
2.1.1 Das natürliche Monopol im Elektrizitätssektor
2.1.2 Externe Effekte
2.2 Besonderheiten des Elektrizitätssektors
2.3 Strompreise und Energiemix in Deutschland
2.4 Deutschland vor der Liberalisierung
3. Der Begin der Liberalisierung auf dem deutschen Elektrizitätsmarkt
3.1 Die Binnenmarktrichtlinie Elektrizität
3.2 Das Energiewirtschaftsgesetz von
3.2.1 Durchleitung und Netzzugang
3.2.2 Unbundling
3.2.3 Politische Sonderlasten
4. Die Reform des Ordnungsrahmens für die Elektrizitätswirtschaft 2005
4.1 Überblick über die Umsetzung der Richtlinie in Deutschland
4.2 Unbundling im deutschen Energiewirtschaftsrecht
4.2.1 Rechtliche Entflechtung
4.2.2 Operationelle Entflechtung
4.2.3 Informationelle Entflechtung
4.2.4 Buchhalterische Entflechtung
4.3 Regulierung des Netzbetriebs in Deutschland
4.3.1 Aufgaben der Netzbetreiber
4.3.2 Netzanschluss
4.3.3 Netzzugang
4.3.4 Entgeltregulierungskonzepte des EnWG
4.3.5 Befugnisse der Regulierungsbehörde, Sanktionen
5. Instrumente zur Anreizregulierung
5.1 Yardstick Competition
5.2 Price-Cap-Regulierung
5.3 Revenue-Cap-Regulierung
5.4 Bewertung
6. Fazit
Literatur- und Quellenverzeichnis
Die vorliegende Diplomarbeit mit dem Titel
Wettbewerb und Regulierung
auf dem deutschen Elektrizitätsmarkt
ist von mir ohne fremde Hilfe angefertigt worden. Es sind keine anderen als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel verwendet worden. Alle Stellen, die wörtlich oder sinngemäß aus Veröffentlichungen entnommen wurden, sind als solche kenntlich gemacht.
Hamburg, 30.11.2005 Robert Matzdorf
Im Juli diesen Jahres war es endlich soweit. Mehr als zwölf Monate nach dem von der Europäischen Union geforderten Termin trat das neue deutsche Energiewirtschaftsgesetz in Kraft und setzte somit die EU-Richtlinie um, mit der die Liberalisierung des Binnenmarktes für Elektrizität und Gas beschleunigt werden soll. Damit reagierte man auf die Defizite bei der Umsetzung der bereits 1996 erlassenen Richtlinie zur Förderung von mehr Wettbewerb im Elektrizitätsbinnenmarkt. Trotz der Öffnung des deutschen Strommarktes 1998 musste die Monopolkommission in ihrem 15. Hauptgutachten im Sommer 2004 feststellen, dass sich im deutschen Elektrizitätssektor ein wettbewerbsloses Oligopol aus Verbundunternehmen herausgebildet hatte, das den deutschen Markt gegenüber Dritten abschottete. Darüber hinaus wurde bemängelt, dass die Netzzugangsentgelte der aus horizontalen und vertikalen Unternehmenszusammenschlüssen bestehenden Verbundwirtschaft im europäischen Vergleich zu hoch sind und dass dieses Problem durch das Kartellamt nicht in den Griff zu bekommen ist.[1]
Dies ist insbesondere deshalb bedenklich, weil eine preisgünstige Stromversorgung ein wichtiger Standortfaktor für Energieintensive Industrien ist und somit im Wettbewerb mit anderen Ländern steht. Gerade gegenüber Billigstromländern wie beispielsweise Großbritannien, Schweden oder Polen hat Deutschland besonders schlechte Aussichten, in diesem Wettbewerb zu bestehen, da der Industriestrompreis hierzulande teilweise mehr als 50% über dem Niveau der anderen Staaten liegt.[2] Daneben wirkt sich das überhöhte deutsche Strompreisniveau negativ auf die Kaufkraft der privaten Haushalte und damit auch auf die Binnennachfrage und das Wirtschaftswachstum aus.
Ziel dieser Diplomarbeit ist es, den von regulativen Eingriffen geprägten Liberalisierungsverlauf und den damit einher gehenden Ordnungsrahmen der deutschen Elektrizitätswirtschaft zu analysieren, um anschließend einen Ausblick auf die mögliche zukünftige Entwicklung zu geben. Problematisch hierbei ist die Tatsache, dass sich der gesamte Stromsektor momentan im Umbruch befindet, da das neue Energiewirtschaftsrecht der Elektrizitätswirtschaft zahlreiche Fristen gewährt, um den gesetzlichen Vorgaben nachzukommen. Währenddessen ist die zuständige Regulierungsbehörde damit beauftragt, ein neues Regulierungsverfahren für den Netzbereich zu entwickeln.
Der Gang der Untersuchung gestaltet sich folgendermaßen: Kapitel 2 führt zunächst in die Grundlagen der Stromwirtschaft ein, um ein Grundverständnis der Eigenarten des Elektrizitätssektors zu schaffen. Danach beschäftigt sich das dritte Kapitel mit den anfänglichen Liberalisierungsbemühungen auf Basis der EU-Binnenmarktrichtlinie von 1996. Anschließend widmet sich die Arbeit dem aktuellen Ordnungsrahmen für die deutsche Elektrizitätswirtschaft, wobei das Hauptaugenmerk auf den regulativen Eingriffen in die Wirtschaft liegt. Darauf aufbauend werden mögliche Regulierungsinstrumente für die Netzentgelte analysiert und bewertet, bevor das sechste Kapitel schließlich die behandelte Materie zusammenfasst und Schlussfolgerungen trifft.
Das folgende Kapitel befasst sich den spezifischen Besonderheiten, die der Strommarkt gegenüber anderen Märkten aufweist. Hierbei sind sowohl technische als auch wirtschaftliche Gegebenheiten dafür verantwortlich, dass Teilbereiche der Strombranche ein natürliches Monopol bilden und daher einen regulierenden Staatseingriff erfordern. Zudem sollen im Anschluss die Zusammensetzung des Strompreises, die Verwendung der unterschiedlichen Energieträger und die Situation des deutschen Strommarktes vor dem Begin der Liberalisierung im Jahr 1998 dargelegt werden, um dem Leser die Grundlagen dieser Materie zu verdeutlichen.
Da der funktionierende Wettbewerb als essentielle Voraussetzung für eine effiziente Allokation der Ressourcen gilt, entsteht dort Regulierungsbedarf, wo der Marktmechanismus versagt. Hierbei wird Wettbewerb als „das konkurrierende Streben von Anbietern um den Absatz ihrer Produkte an die Nachfrager verstanden.“[3] Dabei ist es stets Ziel eines Anbieters, hinsichtlich des Umsatzes, des Gewinns, der Rentabilität oder anderer messbarer Größen erfolgreicher zu sein als die Konkurrenz. Dies bedingt jedoch einige grundlegende Voraussetzungen wie „Markttransparenz, Entscheidungsfreiheit, ausreichende Ausstattung mit finanziellen, technischen und personellen Ressourcen, Wille zur wettbewerblichen Auseinandersetzung, Flexibilität und offene Märkte“.[4]
Fehlen diese Vorraussetzungen, erreicht der Markt nicht die volkswirtschaftlich optimalen Ergebnisse und es kommt zu Marktversagen. Aufgabe des Staates ist es in diesem Fall, den Ursachen des Versagens soweit entgegenzuwirken, dass ein fairer Wettbewerb ermöglicht wird oder zumindest Ergebnisse erreicht werden die mit einer Wettbewerbssituation vergleichbar sind.
Die traditionelle ökonomische Theorie ging lange Zeit davon aus, dass der gesamte Elektrizitätssektor als natürliches Monopol zu betrachten ist, obwohl das Monopol lediglich im Bereich der Übertragungs- und Verteilungsnetze liegt. Dieser Ansatz wurde weiterentwickelt und sieht heute vor, die wettbewerblich zu organisierenden Bereiche Stromerzeugung und Stromhandel sowie den Netzbetrieb als eigentliches natürliches Monopol voneinander zu trennen, um die Liberalisierung wirksam umzusetzen.[5]
Eine der Ursachen für Marktversagen, und somit für staatliche Eingriffe in die Wirtschaft, ist das natürliche Monopol. Die Grundlage des natürlichen Monopols ist die Subadditivität der Totalkosten, welche vorliegt, wenn ein gegebenes Output von einem einzelnen Unternehmen zu geringeren Totalkosten produziert werden kann, als von mehreren Unternehmen.[6]
In der Elektrizitätswirtschaft beruht die Subadditivität unter anderem auf Skaleneffekten (Economies of Scale) und Verbundvorteilen (Economies of Scope). Skaleneffekte werden häufig auch als Größenvorteile bezeichnet und beschreiben sinkende Durchschnittskosten bei steigender Nachfrage und folglich steigendem Output. Bei einer Erhöhung des Auslastungsgrades der Netze sinken die Durchschnittskosten pro Kunde, da sich die Aufbaukosten der kapitalintensiven Netze auf eine größere Menge Kunden verteilen und der Anschluss eines zusätzlichen Kunden bei hoher Netzdichte relativ geringe Kosten verursacht. Dies spiegelt sich auch in der so genannten Zwei-Drittel-Regel wider, welche besagt, dass die Kapazitätserhöhung um eine Einheit lediglich einen Kostenzuwachs von etwa zwei Dritteln verursacht. Zudem entstehen beim Bau einer Leitung mit hoher Kapazität durch einen einzelnen Anbieter weniger Kosten als wenn mehrere Anbieter jeweils ihre eigenen Leitungen mit geringerer Kapazität bauen.[7] Vor diesem Hintergrund erscheint auch der Bau mehrerer paralleler Leitungen als gesamtwirtschaftlich ineffizient und somit nicht wünschenswert.
Ein weiterer Vorteil großer Netze ergibt sich aus den starken tageszeitbedingten Nachfrageschwankungen für Strom. Da jeder einzelne Abnehmer individuelle Nachfragespitzen hat, ermöglicht ein großes Netz in gewissem Maße die Glättung der Nachfragespitzen aller Kunden, wodurch der Betreiber eines großen Netzes in Relation zur Abnehmerzahl geringere Reservekapazitäten vorhalten muss als der Betreiber eines kleinen Netzes.[8] Dies bedingt jedoch, dass die unterschiedlichen Wertschöpfungsstufen in der Hand eines vertikal integrierten Unternehmens liegen, da Netzgröße und Erzeugungskapazitäten hier unmittelbar zusammenwirken können.
Weil die vertikal integrierten EVU durchaus als Mehrproduktunternehmungen begriffen werden können, profitieren sie auch von Verbundvorteilen, die sich dadurch auszeichnen, dass die gemeinsame Produktion von zwei oder mehr Produkten zu geringeren Kosten möglich ist, als bei getrennter Produktion.[9]
Zur Differenzierung des Produktes Strom existieren mehrere Möglichkeiten. So unterliegt die Belieferung der Spitzennachfrage beispielshalber völlig anderen Produktionsprozessen als die Erzeugung der geringeren Grundlast. Die Kraftwerke zur Deckung der Grundlast zeichnen sich durch hohe Investitionskosten beim Bau und durch geringe Kraftstoffkosten aus (Kernkraftwerke, Kohlekraftwerke). Diese Kraftwerke hochzufahren ist ein zeitaufwändiger Prozess, der relativ umfangreich vorbereitet werden muss. Spitzenlastkraftwerke sind hingegen dafür ausgelegt, bei aufkommenden Verbrauchsspitzen schnell in Betrieb genommen zu werden. Deshalb stehen den relativ geringen Investitionskosten beim Bau hohe Kraftstoffkosten gegenüber, was diese Spitzenlastturbinen für den Dauerbetrieb zu kostspielig macht. Aufgrund der unterschiedlichen Erzeugung des Stroms zur Deckung von Grundlast und Spitzenlast kann also nicht vom homogenen Gut Strom ausgegangen werden, was sich seitens der Energieversorger auch dadurch bemerkbar macht, dass es unterschiedliche Tarife für Tag- und Nachtstrom gibt.[10]
Eine weitere Möglichkeit zur Differenzierung ergibt sich, wenn man Elektrizität und die Zuverlässigkeit der Versorgung als zwei unterschiedliche Produkte betrachtet. In diesem Fall ist die Versorgung durch vertikal integrierte Energieversorgungsunternehmen stabiler als bei getrennten Wertschöpfungsebenen, da die Entscheidungen, die auf jeder der drei Stufen getroffen werden, aufgrund der physikalisch notwendigen Verbindung erhebliche Folgen für anderen beiden Stufen und somit auch für die Versorgungsstabilität insgesamt haben. Die Versorgungssicherheit eines vertikal integrierten EVU lässt sich bei getrennten Wertschöpfungsebenen nur unter hohen zusätzlichen Kosten erhalten.[11]
Die gleichzeitige Produktion von Elektrizität und Wärme ist ein weiteres Beispiel für Verbundvorteile in der Elektrizitätswirtschaft. Der durchschnittliche Wirkungsgrad von knapp 33 Prozent, den ein Kraftwerk bei der reinen Stromerzeugung hat, lässt sich durch Kraft-Wärme-Kopplung auf bis zu 90 Prozent steigern.
Eine zusätzliche Möglichkeit zur Produktdifferenzierung entsteht, wenn man bedenkt, dass die verschiedenen Abnehmergruppen den Strom zu völlig unterschiedlichen Spannungen beziehen. Während die Industrie den Strom über ein Hochspannungsnetz bezieht, werden Haushalte über ein Niederspannungsnetz beliefert, was sich letztlich auch auf der Stromrechnung bemerkbar macht.[12] Auch dieses Beispiel zeigt auf, dass Strom kein homogenes Gut ist, obgleich man bei oberflächlicher Betrachtung der Materie den gegenteiligen Eindruck haben könnte.
Neben den dargelegten Subadditivitäten resultiert das resistente Monopol im Elektrizitätssektor auch aus irreversiblen Kosten (Sunk Costs), die beim Bau der Netze entstehen. Bei der Errichtung eines kabelgebundenen Stromnetzes müssen enorme Investitionen getätigt werden, die zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr kostendeckend deinstalliert werden können, um sie einer anderen ökonomischen Verwendung zuzuführen.[13]
Das Ergebnis des Zusammentreffens von Subadditivität und Irreversibilität ist ein resistentes Monopol im Netzsektor. Weil nicht die gesamte Elektrizitätswirtschaft davon betroffen ist, sondern nur ein Teilbereich, spricht man von einem monopolistischen Bottleneck.[14]
Da die Allokation der Ressourcen in einem marktwirtschaftlichen System in erster Linie über den Preis gesteuert wird, müssen bei der Kalkulation des Marktpreises jegliche bei der Bereitstellung eines Gutes anfallenden Kosten berücksichtigt werden, um die in gesamtwirtschaftlicher Hinsicht optimale Ressourcenallokation zu realisieren. Ist dies nicht der Fall, so bezeichnet man die Differenz zwischen den tatsächlichen Kosten und den Marktpreisen als Externe Effekte. Demnach stellen Externe Effekte Leistungsbeziehungen zwischen Wirtschaftssubjekten dar, die nicht immer über den Markt abgewickelt werden können und demzufolge auch nicht lückenlos durch die Marktpreise beglichen werden. Derartig gestaltete Preise können die tatsächlich vorherrschende Knappheitssituation auf dem Markt nicht realitätsgetreu reflektieren und erstellen so ein verzerrtes volkswirtschaftliches Gesamtbild.[15]
Richtet sich der Strompreis also an den betriebswirtschaftlichen Grenzkosten aus, und nicht an den volkswirtschaftlichen (welche sämtliche Kosten enthalten), so erhalten die Abnehmer ein falsches Preissignal und fragen eine ineffizient hohe Menge des Gutes Strom nach. Diese Situation tritt ein, wenn die Kosten der Umweltnutzung im Rahmen der Strombereitstellung nicht in die Elektrizitätspreise aufgenommen und somit zwangsläufig an unbeteiligte Dritte abgewälzt werden. Die nicht berücksichtigten Kosten bei der Stromerzeugung können vielfältiger Natur sein. Sie reichen von Gesundheitsschäden an Menschen sowie Schäden an Flora und Fauna durch Emissionen und Unfälle in Atomkraftwerken über Schäden an Gebäuden durch sauren Regen bis hin zu globalen Klimaveränderungen. Dies lässt erahnen, mit welchen komplexen Problemstellungen eine Monetarisierung verbunden ist, da sich viele Auswirkungen erst lange Zeit nach ihrer Verursachung offenbaren und dann zum Teil sehr lange anhalten bzw. nicht mehr umkehrbar sind.[16] Zudem sind die Energieversorger nicht allein für die beschriebenen Externen Effekte verantwortlich sondern tragen lediglich einen Teil dazu bei. Um dem zu begegnen hat die Bundesregierung ein Maßnahmenpaket geschnürt das sich unter anderem aus Stromsteuer, Kraft-Wärme-Kopplungs-Gesetz, Erneuerbare-Energien-Gesetz und Umweltschutzauflagen zusammensetzt. Obwohl 2003 nur knapp über 3 Prozent der Primärenergie[17] aus Erneuerbaren Energien gewonnen wurden, konnte dadurch die Produktion von 53 Millionen Tonnen Kohlendioxid vermieden werden.[18]
Das Produkt Strom ist in seinem gesamten Bereitstellungsprozeß durch einige Merkmale geprägt, die bei der Auseinandersetzung mit dieser komplexen Thematik immer wieder eine Rolle spielen. So setzt die Übertragung der Elektrizität vom Erzeuger zum Endverbraucher ein spezifisches Transport- und Verteilungsnetz voraus, welches einen hohen Kapitaleinsatz erfordert. Neben der unumgänglichen Leitungsgebundenheit hat das Gut Strom den Nachteil nicht bzw. nur sehr begrenzt speicherbar zu sein. Sofern man wirtschaftliche Bedingungen voraussetzt, kann dies bestenfalls noch durch Speicher- oder Pumpspeicherwasserkraftwerke erfolgen, um Reserven im Bedarfsfall schnell bereitstellen zu können.
Die begrenzte Speicherbarkeit gestaltet sich besonders problematisch, da die Nachfragekurven sowohl im Tagesverlauf als auch im Jahresverlauf starke Schwankungen aufweisen und bereits geringe Differenzen zwischen Erzeugung und Verbrauch Frequenz-Instabilitäten erzeugen können, die einen Systemzusammenbruch auslösen.[19] Demgemäß bedingt jede Änderung der Nachfrage gleichzeitig eine Änderung in der Erzeugung, woraus sich wiederum schlussfolgern lässt, dass sich die Erzeugungskapazitäten an den Lastspitzen ausrichten müssen.[20]
An dieser Spitzenlast orientiert sich zudem die Dimensionierung des Kraftwerksparks,
dessen einzelne Einspeisepunkte eines hohen Maßes an Koordination bedürfen, damit es nicht zum Zusammenbruch des Netzes kommt.[21]
Im Gegensatz zu den anderen Netzsektoren weist Strom zudem die Besonderheit auf, dass während des Transportes über das Leitungsnetz Energie verloren geht und infolgedessen schließlich weniger Strom beim Endverbraucher ankommt, als der Versorger im Kraftwerk einspeist. Obgleich diese Verluste, deren Höhe hauptsächlich von der Entfernung und vom Spannungsniveau abhängt, unvermeidlich sind, können die Netzbetreiber dem unerwünschten Effekt entgegenwirken, indem sie zusätzliche Elektrizität, die so genannte Ausgleichsenergie, in die Netze einspeisen.[22]
Die Bruttostrompreise für private Haushalte in Deutschland zählen auch in diesem Jahr noch zu den höchsten in Europa. Lediglich in Dänemark, Italien und den Niederlanden ist Elektrizität noch teurer. Wie also setzt sich der durchschnittliche Strompreis hierzulande zusammen?
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Zusammensetzung des Strompreises für Privathaushalte
Weil der Durchschnittspreis von 19,6 Cent pro Kilowattstunde nur zu etwa 22 Prozent aus den tatsächlichen Kosten der Stromerzeugung besteht, liegen die wirklichen Preistreiber offensichtlich woanders. Noch vor den Transportkosten des Stroms, die für knapp 30 Prozent des Preises verantwortlich sind, summieren sich die weiter gewälzten Steuern und Abgaben in Form von Stromsteuer, Mehrwertsteuer und Konzessionsabgaben sowie die aus energiepolitischen Eingriffen resultierenden Belastungen (Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung und der regenerativen Energien) auf 7,44 Cent pro kWh, was dem Hauptanteil von 38 Prozent entspricht. Damit sind die im Strompreis enthaltenen Zusatzkosten, für die der Staat verantwortlich ist, seit dem Jahr 2000 um 3,24 Cent gestiegen. Ausgehend vom Niveau zu Jahrtausendwende (4,2 Cent) entspricht dies einer Ausweitung von etwa 77 Prozent für den staatlichen Anteil am Strompreis.[23]
Insgesamt hat sich das Preisniveau seit dem Ende des letzten Jahrzehnts um rund 30 Prozent erhöht[24] (Anfang 2000 lag der Bruttostrompreis für Privathaushalte bei ca. 15 Cent pro kWh), wodurch die von der Marktöffnung 1998 eingeleiteten Strompreissenkungen schnell wieder aufgezehrt wurden.
Die zukünftigen Regulierungsmaßnahmen werden sich vornehmlich auf den Transportanteil (Netznutzungsentgelte) des Strompreises beschränken, wodurch die Aussicht auf eine wirklich große Preissenkung im Rahmen der Liberalisierung denkbar gering ist.
Die Zusammensetzung der deutschen Stromproduktion für das Jahr 2004 spiegelt sich in Abbildung 2 wider. Dort zeichnen sich bei der Betrachtung der Anteile der unterschiedlichen Energieträger am Energiemix in der Elektrizitätserzeugung zwei Trends ab. So ist einerseits der Beitrag von Kern- und Kohlekraftwerken an der Stromproduktion seit 1993 von 89 Prozent auf rund 76 Prozent zurückgegangen, während sich andererseits der Einfluss von Erdgas und regenerativen Energien von 9 Prozent auf 19 Prozent mehr als verdoppelt hat.[25]
Dieser Aufwärtstrend der regenerativen Energieträger wird seit dem Jahr 2000 maßgeblich durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz beeinflusst, welches bis 2020 einen Mindestanteil von 20 Prozent Ökostrom vorsieht.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten Abbildung 2: Struktur der Bruttostromerzeugung für das Jahr 2004, Quelle: DIW
Einerseits kann ein hoher Anteil regenerativer Energieträger im Energiemix die negativen externen Effekte der Stromproduktion auf die Umwelt zwar erheblich reduzieren und teilweise die langfristige Unabhängigkeit von fossilen Energieträgern begünstigen. Andererseits ist jedoch zu beachten, dass Solarenergie und Windkraft keine zuverlässigen Energiequellen sind, da nicht gewährleistet ist, dass sie konstant Strom produzieren. Dies führt dazu, dass für die Stromerzeugungskapazität dieser Anlagen permanent eine Ersatzkapazität in gleicher Höhe vorgehalten werden muss, um die Versorgungssicherheit mit Elektrizität jederzeit sicherstellen zu können.[26] Diese Ersatzkapazitäten müssen durch konventionelle Kohlekraftwerke und betriebskostenintensive Gasturbinen bereitgestellt werden, um etwaige Ausfälle der regenerativen Energieträger notfalls in wenigen Minuten zu kompensieren. Je mehr Solar- und Windenergie genutzt wird, desto mehr konventionelle Kraftwerke sind zur Absicherung gegen Ausfälle notwendig. Dass dies nicht wirtschaftlich effizient sein kann, liegt auf der Hand.
Daher ist zuverlässigeren regenerativen Energien wie Wasserkraft, Biomasse und Geothermie gegenüber Sonne und Wind theoretisch der Vorzug zu geben. Problematisch ist in diesem Zusammenhang allerdings die Tatsache, dass die Verhältnisse für die Nutzung der Geothermie in Deutschland eher als schlecht zu bezeichnen sind und dass auch der Ausbau der Wasserkraftnutzung an natürliche Grenzen gebunden ist. Darüber hinaus lässt sich feststellen, dass die Nutzung von Biomasse zur Stromerzeugung momentan im Bereich der Nischennutzung anzusiedeln ist.[27] Diese Sachverhalte führen zu der Schlussfolgerung, dass Wasserkraft, Biomasse und Geothermie mittelfristig keine größere Bedeutung erlangen werden.
Solange effiziente Strompreise nur möglich sind, wenn die Ersatzkapazitäten nicht unnötig hoch ausgelegt werden müssen, wirken die energiepolitischen Forderungen nach dem zunehmenden Einsatz von Erneuerbaren Energien einem niedrigen Strompreisniveau entgegen.
Das bis 1998 in der Bundesrepublik Deutschland geltende Energierecht stammte im Wesentlichen aus dem Jahr 1935. Schon damals hatte man erkannt, dass der sicheren Versorgung mit Energie eine immense volkswirtschaftliche Bedeutung beizumessen ist und kodifizierte mit dem Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) von 1935 einen ersten Ordnungsrahmen für den Energiesektor. Vordergründig sollte damit eine stabile und flächendeckende Versorgung mit Elektrizität sichergestellt sowie volkswirtschaftlich schädliche Auswirkungen des Wettbewerbs verhindert werden. Hierzu wurden mögliche Wettbewerbsverzerrungen durch ungleiche Ertragsaussichten unterbunden, indem man eine Verbundwirtschaft aufbaute, die Stromerzeugung, Stromtransport und Stromhandel in sich vereinte.[28]
Ihr monopolistischer Charakter war unter anderem durch Demarkationsverträge und Konzessionsverträge gekennzeichnet, welche den brancheninternen Wettbewerb der Energieversorgungsunternehmen (EVU) von vornherein verhinderten. Die horizontalen Demarkationsverträge enthielten Gebietsabgrenzungsklauseln, in denen sich die Energieversorger der gleichen Wertschöpfungsebene gegenseitig dazu verpflichteten, nicht im Versorgungsgebiet eines anderen Energieversorgers tätig zu werden und ihm somit Konkurrenz zu machen. In vertikalen Demarkationsverträgen hingegen, verpflichteten sich die EVU verschiedener Wertschöpfungsebenen dazu, nicht in die Wertschöpfungsstufen der Vertragspartner einzudringen (Abb. 3).[29]
Konzessionsverträge enthielten Ausschließlichkeitsvereinbahrungen zwischen den zuletzt Strom verteilenden Versorgungsunternehmen und den Kommunen. Diese Abkommen sicherten den EVU das ausschließliche Recht zur Belieferung der Endverbraucher im Gemeindegebiet.[30]
Zusätzlich relevant für die deutsche Elektrizitätswirtschaft vor 1998 waren vor allem die Abgabenordnung über die Zulässigkeit von Konzessionsabgaben der Unternehmen und Betriebe zur Versorgung mit Elektrizität, Gas und Wasser an Gemeinden und Gemeindeverbände (KAE) aus dem Jahr 1941, das 1957 erlassene Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkung (GWB), die allgemeine Verordnung über Bedingungen für die Elektrizitätsversorgung (AVBEltV) von 1979 sowie die 1989 in Kraft getretene Bundestarifordnung Elektrizität (BTOElt).[31]
Aus diesen normativen Grundlagen ergaben sich einige regulative Merkmale des deutschen Strommarktes vor 1998. So ging aus den Klauseln von GWB und EnWG eine Energiefachaufsicht hervor, deren zentraler Kern die Investitionsaufsicht über Energieversorgungsunternehmen bildete. Demnach waren Bau, Erneuerung, Erweiterung oder Stilllegung von Energieanlagen anmeldepflichtig und konnten untersagt werden, sofern sie nicht mit den Zielen des EnWG übereinstimmten. Eine zusätzliche Einschränkung erfuhr die Gewerbefreiheit dadurch, dass zur Versorgung Dritter eine besondere Erlaubnis von Nöten war.[32]
Der Strompreis für Tarifkunden (private Haushalte, kleine Unternehmen) wurde von den Wirtschaftsministerien der Länder durch vorgegebene Höchstpreise auf Grundlage der Bundestarifordnung Elektrizität reguliert, während Sondervertragskunden (Großabnehmer, weiterverteilende Unternehmen) individuelle Verträge mit den EVU abschließen konnten, die nicht der Preisaufsicht unterlagen.[33]
Die Kartellbehördliche Aufsicht setzte für die Laufzeit von Demarkations- und Konzessionsverträgen eine maximale Dauer von 20 Jahren fest, behielt sich jedoch vor, eine Änderung der Verträge zu fordern oder diese für unwirksam zu erklären, sofern ein Energieversorger die Ausnahmeregelungen des GWB für den Energiesektor ungerechtfertigt ausnutzte.[34]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3: Marktstruktur des Elektrizitätssektors vor der Liberalisierung,
Quelle: Zenke 2005
Die dargestellten Regulierungsmechanismen trugen dazu bei, dass sich auf dem deutschen Elektrizitätsmarkt eine dreistufige Gliederung entwickelte (Abb. 3). Auf der obersten Stufe standen letztlich acht Verbundunternehmen[35], die rund 80% des bundesweiten Strombedarfs erzeugten und 40 - 50% der Endverbraucher direkt belieferten.[36] Als Vorlieferanten der untergeordneten Stufen betrieben die Verbundunternehmen Höchstspannungsnetze mit 380 und 220 kV.
Die mittlere Stufe bildeten die Regionalen Stromversorger, welche als Eigentümer und Betreiber von Hoch-, Mittel- und Niederspannungsnetzen (110kV, 10/20kV, 230/400 Volt) den Strom weiterverteilten und in geringem Umfang auch selbst über Kraftwerkskapazitäten verfügten. Die zuletzt ca. 75 Unternehmen belieferten ebenfalls sowohl Endverbraucher als auch die untergeordneten Kommunalen Energieversorgungsunternehmen.
[...]
[1] Vgl. Marnette (2004), S. 681
[2] Vgl. Diekmann u.a. (2004), S. 697
[3] Kruse, W+R-Kapitel 1, S. 14
[4] Vgl. Olten (1998), S. 16
[5] Vgl. Wilke (2000), S. 208
[6] Vgl. Kruse W+R-Kapitel 7, S. 3
[7] Vgl. Klodt u.a. (1995), S. 49 und Ewers /Fritsch//Wein (1996), S. 143
[8] Vgl. Spauschus (2003), S. 40
[9] Vgl. Kruse W+R Kapitel 2, S. 16
[10] Vgl. Trunkó (2000), S. 41
[11] Vgl. Trunkó (2000), S. 42
[12] Ebd.
[13] Vgl. Klodt u.a. (1995), S. 88
[14] Vgl. Kruse (2001), S. 2
[15] Vgl. Brückmann (2004), S. 23
[16] Vgl. Trunkó (2000), S. 111f
[17] Genauer: 7,9% des Stroms, 4,1% der Wärme, 0,9% der Kraftstoffe
[18] Vgl. BMU (2004), S. 1
[19] Vgl. Fritz/König (2000), S. 5
[20] Vgl. Brückmann (2004), S. 50
[21] Vgl. Spauschus (2004), S. 49
[22] Vgl. Brunekreeft/Keller (2000), S. 128
[23] Vgl. Schmitt (2004), S. 698
[24] Vgl. Diekmann u.a. (2004), S. 697
[25] Vgl. Brunekreeft/ Twelemann (2004), S. 166
[26] Vgl. Jendrian (2002), S. 23 f
[27] Vgl. Jendrian (2002), S. 25 ff
[28] Vgl. Börnick (2003), S. 1
[29] Vgl. Kraus (2004), S. 55
[30] Vgl. Jendrian (2002), S 68
[31] Vgl. Deregulierungskommission (1991), S. 67
[32] Vgl. Brückmann (2004), S. 56
[33] Ebd.
[34] Vgl. Brückmann (2004), S. 57f
[35] HEW, Bewag, VEAG, EnBW, VIAG, VEBA, VEW, RWE
[36] Vgl. Fritz/König (2000), S. 4 und Lokau/Neveling/Zenke (2005), S. 6
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