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Bachelorarbeit, 2020
46 Seiten, Note: 12
Abkürzungsverzeichnis
Literaturverzeichnis
Quellenverzeichnis
1. Einleitung
2. Aktueller Sachstand über die Masernerkrankung und impfung
3. Wesentliche Inhalte des Masernschutzgesetzes
4. Vereinbarkeit mit dem Recht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG)
4.1 Schutzbereich
4.2 Eingriff
4.3 Verfassungsrechtliche Rechtfertigung
4.3.1 Einschränkbarkeit des Grundrechts
4.3.2 Verfassungsmäßige gesetzliche Grundlage
4.3.2.1 Formelle Verfassungsmäßigkeit
4.3.2.2 Materielle Verfassungsmäßigkeit
4.3.2.2.1 Legitimes Ziel
4.3.2.2.2 Geeignetheit
4.3.2.2.3 Erforderlichkeit
4.3.2.2.4 Angemessenheit
4.3.3 Verfassungskonforme Gesetzesanwendung
5. Sonstige betroffene Grundrechte
5.1 Elternrecht (Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG)
5.2 Recht auf Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG)
5.3 Recht auf Religionsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 und 2 GG)
5.4 Recht auf allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG)
6. Ausblick
7. Fazit
Anhang
Abs. Absatz
Art. Artikel
Bd. Band
Bearb. Bearbeiter
BGBl. Bundesgesetzblatt
BGHSt Entscheidungssammlung des Bundesgerichtshofes in Strafsachen
BMG Bundesministerium für Gesundheit
BR Bundesrat
BT Bundestag
BVerfG Bundesverfassungsgericht
BVerfGE Bundesverfassungsgerichtsentscheidung
BVerwGE Bundesverwaltungsgerichtsentscheidung
BZgA Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung
bzw. beziehungsweise
Darst. Darstellung
Drs. Drucksache
DVBl. Deutsches Verwaltungsblatt
gem. gemäß
GG Grundgesetz
GOBT Geschäftsordnung des Bundestages
grds. grundsätzlich
Hrsg. Herausgeber
i. d. F. in der Fassung
i. d. R. in der Regel
IfSG Infektionsschutzgesetz
MedR Medizinrecht (juristische Fachzeitschrift)
MMR Masern-Mumps-Röteln (Kombinationsimpfstoff)
NJW Neue Juristische Wochenschrift
ÖGD Öffentlicher Gesundheitsdienst
OLG Oberlandesgericht
OVG Oberverwaltungsgericht
RdJB Recht der Jugend und des Bildungswesens (juristische Fachzeitschrift)
RKI Robert-Koch-Institut
S. Satz, Seite
s. o. siehe oben
sog. sogenannt
STIKO Ständige Impfkommission
u. a. unter anderem
v. vom
Var. Variante
WD Wissenschaftliche Dienste
WHO World Health Organization
Zit. Zitiert
ZRP Zeitschrift für Rechtspolitik
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
In den vergangenen Jahren ist die Debatte um die Einführung einer Impfpflicht für die Masernerkrankung immer weiter hochgekocht.
Befürworter1 einer Impfpflicht behaupten z. B., dass es in Deutschland wieder vermehrt zu Masernausbrüchen komme, da sich immer weniger Menschen impfen lassen würden und sogar vermehrt Jugendliche und Erwachsene an der oft als harmlose Kinderkrankheit abgestempelten Krankheit erkranken.
Auf der anderen Seite hört und liest man von Impfgegnern immer häufiger, Impfungen seien unsicher, nicht notwendig und haben schwerwiegende Nebenwirkungen. Regelrechte Verschwörungstheorien kursieren diesbezüglich im Internet.
Die Bundesregierung hat auf diese kontroverse Diskussion nun mit der Einführung einer Impfpflicht für Masern in Gestalt des „Gesetzes für den Schutz vor Masern und zur Stärkung der Impfprävention“ (sog. „Masernschutzgesetz)“2 reagiert, das am 14.11.2019 vom Bundestag beschlossen wurde.
Doch ist die Einführung einer Masernimpfpflicht tatsächlich verfassungsgemäß? Schließlich ist die Auferlegung einer Pflicht nicht ohne Vorliegen gewichtiger Gründe möglich. Viele Impfkritiker sehen sich durch das Gesetz in ihren Grundrechten verletzt, für andere wiederum war dieser Beschluss schon längst überfällig.
Ziel dieser Arbeit ist es zu untersuchen, ob die Regelungen des kürzlich beschlossenen Masernschutzgesetzes mit dem Grundgesetz vereinbar sind oder ob tatsächlich die Grundrechte der von der Masernimpfpflicht betroffenen Personen verletzt werden.
Durch die Einführung einer gesetzlichen Impfpflicht werden gleich mehrere Grundrechte tangiert. Beim Impfen als medizinische Maßnahme ist allen voran das Recht auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 S.1 Grundgesetz (GG)3 betroffen. Dieses Grundrecht soll daher im Zentrum der Betrachtung stehen und einer umfangreichen verfassungsrechtlichen Prüfung unterzogen werden. Alle anderen betroffenen Grundrechte wie u. a. das Recht auf Berufsfreiheit und das elterliche Erziehungsrecht sollen anschließend nur in gebotener Kürze, ohne weitergehende Prüfung dargestellt werden, da sich zwischen den einzelnen Grundrechten sehr viele Überschneidungen ergeben.
Um die Frage beantworten zu können, ob die betroffenen Grundrechte, insbesondere das Recht auf körperliche Unversehrtheit durch das Gesetz verletzt werden, soll zunächst die Masernerkrankung sowie der aktuelle Stand bezüglich der Masernimpfung in einer überwiegend medizinischen Betrachtung näher vorgestellt werden, um einschätzen zu können, wie gefährlich und verbreitet die Masern in Deutschland wirklich sind, aber auch welche Gefahren von einer entsprechenden Impfung gegen Masern ausgehen können. Dazu wird u. a. auf fundierte Statistiken Bezug genommen.
Anschließend soll der Inhalt des Masernschutzgesetzes in den für die Bearbeitung wesentlichen Aspekten vorgestellt werden.
Ausgehend von den gewonnenen Fakten über die Masern und die entsprechende Impfung sowie über die Regelungen des Masernschutzgesetzes kann letztlich mit der Rechtmäßigkeitsprüfung begonnen werden. Zunächst wird dabei das Recht auf körperliche Unversehrtheit untersucht und hinsichtlich einer möglichen Grundrechtsverletzung ausführlich geprüft werden. Schwerpunkt soll dabei die Prüfung der Verhältnismäßigkeit darstellen.
Abschließend soll noch ein kurzer Ausblick je nach Ergebnis der Prüfung gegeben werden.
Ob die Einführung einer gesetzlichen Masernimpfpflicht sinnvoll und gerechtfertigt ist, hängt mitunter stark davon ab, wie gefährlich und verbreitet die Masernerkrankung überhaupt in der Bevölkerung ist. Auf der anderen Seite muss aber natürlich auch betrachtet werden, welchen möglichen Impfrisiken die Personen ausgesetzt werden, die sich aufgrund des Masernschutzgesetzes einer Impfung unterziehen müssen. Daher soll nun zunächst ein kurzer medizinischer Überblick über das Krankheitsbild „Masern“ sowie über die entsprechende Impfung gegeben werden.
Masern sind eine durch Viren verursachte Infektionskrankheit, die ausschließlich von Mensch zu Mensch übertragen werden kann.4 Die Ansteckungswahrscheinlichkeit bei einmaligem Kontakt mit dem Krankheitserreger liegt bei nahezu 100 % und ist damit extrem hoch.5 Das heißt, in fast jedem Fall führt schon ein kurzer Kontakt mit dem Krankheitserreger bei einer ungeschützten Person zu einer Infektion. Um mit dem Krankheitserreger in Kontakt zu kommen, ist bereits das Einatmen infektiöser Tröpfchen, die von einer infizierten Person durch Niesen, Husten oder sogar durch das bloße Sprechen abgegeben werden können, ausreichend. Hat sich eine Person schließlich mit dem Masernvirus infiziert, dauert es i. d. R. 13 bis 14 Tage, bis die ersten Krankheitssymptome auftreten. Ansteckungsfähig ist eine infizierte Person allerdings schon etwa drei bis fünf Tage vor und bis zu vier Tage nach dem Auftreten der Symptome.6
Zu den typischen Symptomen zählen u. a. hohes Fieber, Entzündungen der Schleimhäute, Übelkeit sowie der Ausbruch der charakteristischen roten Hautflecken. I. d. R. sind die Masern allerdings bereits nach zwei bis drei Wochen vollständig und ohne Folgen überstanden.7
In seltenen Fällen kann es in Folge der Maserninfektion auch zu schwerwiegenden Komplikationen und Folgeerkrankungen, wie Hirnhautentzündungen, Bronchitis oder Schäden am Zentralen Nervensystem kommen, welche oftmals sogar tödlicher als die Masern selbst sind.8
Zwar sind die Masern, wie zuvor erläutert, hoch ansteckend, jedoch bedeutet dies nicht automatisch, dass diese Krankheit auch sehr gefährlich ist. Um die Gefahren, die von der Krankheit ausgehen, einschätzen zu können, ist es sinnvoll, einen Blick auf die Sterblichkeitsrate von Masern zu werfen. Das Robert-Koch-Institut (RKI) geht dabei in Deutschland von einem Wert von 0,001 % aus.9 Sprich, bei tausend Erkrankten stirbt im Durchschnitt eine Person aufgrund der Masern. Auch wenn die Sterblichkeitsrate von Masern zunächst nicht sehr hoch erscheint, muss der Wert, um diesen richtig interpretieren zu können, ins Verhältnis zu der Anzahl der Masernfälle gesetzt werden. Schaut man sich die Zahl der jährlich gemeldeten Masernfälle in Deutschland an (siehe Anlage 1), fällt sofort auf, dass die Zahlen sehr stark schwanken. Zwar sind die Masernfälle seit 2002 mit 4656 Fällen insgesamt deutlich zurückgegangen, was darauf zurückzuführen ist, dass um das Jahr 2000 sehr hohe Impfquoten erreicht werden konnten,10 aber dennoch sind immer wieder Ausreißer nach oben und unten zu beobachten. So gab es beispielsweise im Jahr 2004 nur 123 Masernfälle, während es im Jahr 2015 zu ganzen 2464 Erkrankungen kam. Aktuell liegt die Anzahl der Masernfälle mit 511 Erkrankungen in 2019 sogar leicht unter dem Vorjahresniveau. Das Jahr 2019 ist also nicht, wie oft behauptet wird, ein Jahr mit besonders vielen Masernausbrüchen gewesen. Bei diesem Masernaufkommen von durchschnittlich etwa 1000 Fällen jährlich in den letzten Jahren und einer Sterblichkeitsrate von 0,001 % dürfte jährlich maximal eine Person an den Masern sterben. Und tatsächlich sind laut Zahlen des RKI im Zeitraum 2001 bis 2012 „lediglich“ 15 Personen an der Krankheit verstorben.11 Allerdings lässt sich nicht absehen, dass die Zahl der Masern- und Todesfälle in den nächsten Jahren weiter zurückgehen wird, da die Zahlen seit einigen Jahren auf einem ähnlichen Niveau stagnieren. Weltweit gesehen steigt die Zahl der Masernfälle tatsächlich seit einigen Jahren wieder12, jedoch ist dieser Trend in Deutschland, wie gerade gezeigt, nicht zu beobachten. Einen epidemischen Masernausbruch, also ein massenhaft auftretendes, sich schnell verbreitendes Masernaufkommen in der gesamten Bevölkerung, hat es zudem in den letzten Jahren nie gegeben.13
Ein möglicher Grund dafür, dass die Zahl der Masernfälle so stark schwankt, ist, dass die betroffenen Personen nach einer Krankheitswelle immun sind, da man i. d. R. ein Leben lang gegen Masern geschützt ist, wenn man die Krankheit einmal überstanden hat. Werden dann wieder neue Kinder geboren, die noch nicht an Masern erkrankt sind und nicht geimpft sind, steigt die Zahl der Masernfälle wieder an.
Spezifische Therapie- oder Behandlungsmöglichkeiten gibt es zurzeit bei einer Masernerkrankung nicht, sodass lediglich die Impfung als präventive Maßnahme besteht.14 Die Ständige Impfkommission (STIKO) empfiehlt die Vornahme von zwei Masernimpfungen, wobei die erste Impfung im Alter von 11 bis 14 Monaten und die Zweite im Alter von 15 bis 23 Monaten erfolgen soll,15 da das Immunsystem der Säuglinge ab diesem Alter bereits in der Lage ist, eine Immunität gegen den Impfstoff, der aus abgeschwächten Masernviren besteht,16 aufzubauen. Die Zweitimpfung ist notwendig, weil eine einmalige Masernimpfung „nur“ eine Effektivität von etwa 91 % hat, während sie nach zwei Impfungen bei fast 99 % liegt und dann von einer lebenslangen Immunität ausgegangen werden kann.17
Die Masernimpfung ist zudem insgesamt sehr sicher und gut verträglich, nichtsdestoweniger bestehen bei der Impfung natürlich auch gewisse Risiken. So kann es in einigen Fällen zu Rötungen oder Schwellungen an der Einstichstelle kommen oder einige Tage nach der Impfung auch zu leichtem Fieber und Kopfschmerzen. Schwerwiegende Folgen, wie z. B. eine Hirnhautentzündung oder gar Todesfälle aufgrund der Impfung sind extrem selten. In nicht einmal einem von 100.000 Fällen kommt es zu solchen schwerwiegenden Folgen.18
Die derzeitige Impfquote ist in Deutschland sehr hoch, stagniert jedoch seit vielen Jahren auf dem selbem Niveau. Die Quote für die Erstimpfung liegt bei Kindern zum Zeitpunkt der Einschulung bei 97,1 % und für die Zweitimpfung bei 92,8 %. Bei Erwachsenen fallen die Impfquoten teilweise deutlich geringer aus. So haben z. B. lediglich 46,7 % der 30- bis 39-Jährigen jemals eine Masernimpfung erhalten.19 Auch zwischen den einzelnen Bundesländern gibt es mitunter große Unterschiede bei den Impfquoten. So kommt Mecklenburg-Vorpommern z. B. auf eine Impfquote von 96 %, während diese in Sachsen gerade einmal bei 88 % liegt.20 Die Gesamtimpfquote für Deutschland liegt bei etwa 94,6 %.21
Die World Health Organization (WHO) hat sich u. a. zum Ziel gesetzt, die Masern weltweit zu eliminieren, wofür jedoch eine Impfquote von mindestens 95 % erreicht werden muss, da bei dieser Quote genügend Menschen in einer Bevölkerung geimpft sind, sodass auch Nichtgeimpfte vor einer Ansteckung geschützt sind und sich die Masern letztlich nicht weiter verbreiten können (sog. Herdenimmunität).22
Bevor im nächsten Schritt mit der verfassungsmäßigen Prüfung begonnen werden kann, sollen zuvor noch die wesentlichen Inhalte und Regelungen des Masernschutzgesetzes vorgestellt werden.
Das am 14.11.2019 vom Bundestag beschlossene Masernschutzgesetz soll am 01.03.2020 in Kraft treten und sieht zahlreiche Änderungen und Ergänzungen des Infektionsschutzgesetzes (IfSG)23 vor. Ziel des Gesetzes ist laut Einleitung des Gesetzentwurfes zum Masernschutzgesetz, den individuellen Schutz vor der Masernerkrankung zu verbessern und einen insgesamt ausreichenden Gemeinschaftsschutz zu erreichen, um damit vor allem auch vulnerable Personen, die sich nicht impfen lassen können, zu schützen. Durch die angestrebte Erhöhung der Impfquote soll zusätzlich dazu beigetragen werden, dass die Elimination der Masern in Deutschland und letztlich auch das von der WHO vorgegebene Ziel einer globalen Elimination der Masern erreicht wird.24
Um dieses Ziel zu erreichen, hat der Gesetzgeber eine verpflichtende Masernschutzimpfung im IfSG verankert. Diese gilt allerdings nur für bestimmte Personengruppen und nicht generell für die gesamte Bevölkerung.
Von der Impfpflicht sind alle Personen betroffen, die mindestens ein Jahr alt sind und in einer sog. Gemeinschaftseinrichtung nach § 33 IfSG betreut werden oder beschäftigt sind. Darunter fallen u. a. Kindergärten, Kindertagesstätten und Schulen. Ferner sind auch Bewohner sowie Beschäftigte in Asylbewerber- und Flüchtlingsunterkünften von der Impfpflicht umfasst. Das Gleiche gilt für Personal in medizinischen Einrichtungen.25
Die Impfpflicht äußert sich darin, dass Personen, die in einer der genannten Einrichtungen aufgenommen werden oder arbeiten wollen, zuvor bei der jeweiligen Einrichtungsleitung nachweisen müssen, dass sie die von der STIKO empfohlenen Impfungen gegen Masern erhalten haben.26 Eine zwangsweise Durchsetzung der Impfung ist nicht vorgesehen.27 Der Nachweis erfolgt durch Vorlage des Impfausweises, des gelben Kinderuntersuchungsheftes oder, falls die Krankheit bereits durchlitten wurde, durch Vorlage eines ärztlichen Attests.28 Die Impfdokumentation soll künftig aber auch in elektronischer Form möglich sein und im Gegensatz zur bisherigen Rechtslage soll zudem verpflichtendes Element der Impfdokumentation werden, dass mit Terminvorschlägen über notwendige Auffrisch – oder Folgeimpfungen informiert wird.29
Wenn die betroffenen Personen sich nicht gegen Masern impfen lassen bzw. eine bestehende Immunität gegen Masern nicht nachweisen, können diese vom Besuch der oben genannten Einrichtungen ausgeschlossen werden bzw. kann ihnen die dortige Tätigkeit untersagt werden. Zusätzlich kann bei Nichtvorlage des Impfnachweises innerhalb einer angemessenen Frist trotz Anforderung des Gesundheitsamtes ein Bußgeld von bis zu 2.500 Euro verhängt werden. Das gilt gleichermaßen für die Einrichtungsleitungen, sollten diese nichtgeimpfte Personen trotz fehlendem Nachweis in der Einrichtung aufnehmen oder sollten sie das Gesundheitsamt nicht rechtzeitig über einen fehlenden Impfschutz informieren.30
Das Gesetz sieht jedoch auch Ausnahmen von der Impfpflicht vor. So müssen sich Personen, die aufgrund medizinischer Kontradiktionen nicht an Schutzimpfungen teilnehmen können sowie Personen, die bereits nachweislich eine Masernerkrankung durchgemacht haben, nicht der Masernimpfung unterziehen.31 Außerdem gilt die Masernimpflicht nur für Personen, die nach 1970 geboren sind, da die STIKO davon ausgeht, dass alle bis 1970 Geborenen bereits einmal an den Masern erkrankt sind, wenn sie sich nicht ohnehin bereits gegen Masern haben impfen lassen.32 Schüler sind von der Impfpflicht zwar auch umfasst, jedoch dürfen diese aufgrund der allgemeinen Schulpflicht nicht wegen einer fehlenden Impfung vom Besuch der Schule ausgeschlossen werden. Ein Bußgeld kann gegen die Eltern der nichtgeimpften schulpflichtigen Kinder dennoch verhängt werden.33
Um die Umsetzung der Masernimpfpflicht zu erleichtern, sieht das Gesetz zudem vor, dass künftig alle Ärzte Impfungen durchführen dürfen.34 Die Masernimpfpflicht soll zusätzlich von weiteren Informations– und Aufklärungskampagnen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) begleitet werden, um die Bevölkerung verstärkt über Schutzimpfungen zu informieren.35
Mit dem nun gewonnenen Wissen über die Masernerkrankung und der Masernimpfung sowie einem Überblick über die Regelungen des Masernschutzgesetzes, kann nun mit der verfassungsrechtlichen Prüfung begonnen werden, ob das Masernschutzgesetz in Bezug auf die Masernimpfplicht mit den Rechten aus dem Grundgesetz vereinbar ist. Bei der Impfpflicht als medizinische Maßnahme scheint zuvörderst das Recht auf körperliche Unversehrtheit betroffen zu sein, weshalb dieses Grundrecht im Folgenden sehr ausführlich dahingehend untersucht werden soll, ob die im Masernschutzgesetz festgesetzte Impfpflicht die davon betroffenen Personen in ihrem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG verletzt. Dies wäre der Fall bei einem nicht gerechtfertigten Eingriff in den Schutzbereich.36
Es müsste der Schutzbereich persönlich wie sachlich eröffnet sein. Der persönliche Schutzbereich ist eröffnet, wenn die von der Impfpflicht betroffenen Personengruppen Träger des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG sind. Ausweislich des Wortlauts handelt es sich bei diesem Grundrecht um ein Jedermanngrundrecht37, geschützt sind insofern alle Menschen, also auch alle Personen, die von der Impfpflicht betroffen sind.
Der sachliche Schutzbereich ist eröffnet, wenn das Schutzgut „körperliche Unversehrtheit“ betroffen ist. Körperliche Unversehrtheit meint die biologisch-physiologische Gesundheit bzw. die Integrität der körperlichen Substanz.38 Da durch den Impfvorgang bestimmte Impfstoffe in den Körper gelangen, die im Körper zu Reaktionen führen und mit der Impfnadel in die Haut gestochen wird, wird die biologisch-physiologische Substanz zumindest verändert, sodass hier die körperliche Unversehrtheit betroffen ist.
Geschützt ist nach herrschender Meinung aber nicht nur die körperliche Unversehrtheit an sich, sondern auch die selbstbestimmte Entscheidung über die körperliche Integrität, von der auch „unvernünftige“ Entscheidungen umfasst sind.39 Dieses Selbstbestimmungsrecht wird direkt aus Art. 2 Abs. 2 S.1 GG abgeleitet.40 Dieses Recht ist durch das Masernschutzgesetz ebenfalls betroffen, da die Betroffenen nicht mehr selbst bestimmen können, ob die Masernimpfung durchgeführt wird bzw. bei einer Verweigerung der Impfung Rechtsnachteile drohen.
Der persönliche und sachliche Schutzbereich sind folglich eröffnet.
Die Durchsetzung der gesetzlichen Masernimpfpflicht durch eine Maßnahme der Exekutive müsste einen Eingriff darstellen, d. h. es müsste sich um ein staatliches oder dem Staat zurechenbares Verhalten halten, das die Grundrechtsausübung mindestens erschwert.41 Das Verhängen eines Bußgeldes, sowie der Ausschluss vom Besuch der im Masernschutzgesetz genannten Einrichtungen für nichtgeimpfte Personen, stellt eine Exekutivmaßnahme dar und ist damit zweifelsohne ein staatliches Verhalten. Dieses erschwert zudem die Grundrechtsausübung, da dadurch nicht mehr, zumindest nicht ohne Rechtsnachteile, selbstbestimmt über die eigene körperliche Unversehrtheit entschieden werden kann. Auch wenn die Impfung der Prävention von Krankheiten dient und damit eigentlich dem Schutz und Erhalt der körperlichen Unversehrtheit fördern soll, wird die körperliche Unversehrtheit dennoch zunächst durch den Impfvorgang geschädigt, da u. a. Masernviren injiziert werden und auch die Impfnadel den Körper, wenn auch nur minimal, schädigt.42 Außerdem können in seltenen Fällen auch schwerwiegende Komplikationen auftreten (s. o.). Eine schädigende Zielrichtung ist keine Voraussetzung für das Vorliegen eines Eingriffs.43 Ein Eingriff liegt damit vor, zumindest bei denjenigen Personen, die sich nicht ohnehin freiwillig impfen lassen.44
Der Eingriff könnte aber gerechtfertigt sein. Dazu müsste das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit einschränkbar sein und das Masernschutzgesetz müsste formell und materiell rechtmäßig sowie verfassungskonform anwendbar sein.45
Das Grundrecht müsste also zunächst einschränkbar sein. Art. 2 Abs. 2 S. 3 GG enthält als geschriebene Schranke ausdrücklich einen einfachen Gesetzesvorbehalt. Ungeachtet der Gesetzesformulierung („aufgrund eines Gesetzes“) bedarf es nach herrschender Auffassung eines förmlichen Parlamentsgesetzes. Dabei genügt es, dass eine Maßnahme durch Rechtsverordnung oder Verwaltungsakt angeordnet wird, wenn diese sich wiederum auf ein förmliches Gesetz stützen kann.46 Das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit ist folglich einschränkbar.
Das Masernschutzgesetz als gesetzliche Grundlage müsste nun in formeller und materieller Hinsicht verfassungsmäßig sein.
Im Rahmen der formellen Verfassungsmäßigkeit des Masernschutzgesetzes ist die Gesetzgebungskompetenz sowie das ordnungsgemäße Verfahren des Gesetzesbeschlusses zu prüfen.
Das Masernschutzgesetz wurde vom Bundestag beschlossen. Damit handelt es sich um ein förmliches Gesetz, welches als gesetzliche Grundlage genügt, um das Grundrecht grds. einzuschränken (s. o.). Da der Bund das Masernschutzgesetz beschlossen hat, müsste die Gesetzgebungskompetenz für den Erlass des Gesetzes also auch beim Bund liegen. Gem. Art. 70 Abs. 1 GG sind i. d. R. die Länder für die Gesetzgebung zuständig. Der Bund könnte hier jedoch ausnahmsweise zuständig sein. Eine ausschließliche Gesetzgebungskompetenz des Bundes nach Art. 73 Abs. 1 GG ist hier nicht ersichtlich. Es könnte jedoch ein Fall der konkurrierenden Gesetzgebung nach Art. 74 Abs. 1 GG vorliegen. Vorliegend ist die Nr. 19 des Art. 74 Abs. 1 GG einschlägig, da es sich bei der im Masernschutzgesetz festgelegten Masernimpfpflicht um eine „Maßnahme gegen […] übertragbare Krankheiten bei Menschen […]“47 handelt. Der Bund wäre damit zuständig, sofern keine der in Art. 72 Abs. 2 GG genannten Nummern aus dem Katalog der konkurrierenden Gesetzgebung des Art. 74 Abs. 1 GG betroffen ist. Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG ist in Art. 72 Abs. 2 GG nicht genannt. Somit hat der Bund die Gesetzgebungskompetenz für den Erlass des Masernschutzgesetzes.
Weiterhin müsste das Masernschutzgesetzes in einem ordnungsgemäßen Gesetzgebungsverfahren beschlossen worden sein. Der Gesetzesentwurf wurde von der Bundesregierung initiiert48 und entsprechend Art. 76 Abs. 2 GG zunächst dem Bundesrat zur Stellungnahme zugeleitet49. Anschließend wurde der Gesetzesentwurf zusammen mit der Stellungnahme des Bundesrates50 und der Gegenäußerung der Bundesregierung51, dem Bundestag gem. Art. 76 Abs. 2 GG zur Beschlussfassung zugeleitet. Der Ausschuss für Gesundheit hat vor Beschlussfassung des Bundestages eine Beschlussempfehlung52 abgegeben. Der Bundestag hat schließlich nach den laut den §§ 78 Abs. 1 S. 1 Var. 1 und 86 S. 1 der Geschäftsordnung des Bundestages (GOBT)53 vorgesehenen drei Lesungen über den Gesetzesentwurf der Bundesregierung abgestimmt.54 Der Bundestag müsste dabei beschlussfähig gewesen sein, was laut § 45 Abs. 1 GOBT der Fall ist, wenn mehr als die Hälfte der Mitglieder des Bundestages im Sitzungssaal anwesend sind. Derzeit umfasst der Deutsche Bundestag 709 Mitglieder55, das heißt es müssten mindestens 355 Mitglieder anwesend gewesen sein. Laut Abstimmungsergebnis wurden insgesamt 653 Stimmen abgegeben.56 Es waren somit mehr als 355 Mitglieder bei der Abstimmung anwesend und der Bundestag war beschlussfähig. Für einen Beschluss des Gesetzes ist hier nach Art. 42 Abs. 2 S. 1 GG die Mehrheit der abgegebenen Stimmen erforderlich. Bei der Abstimmung gab es insgesamt 459 Ja-Stimmen, 89 Nein-Stimmen und 105 Enthaltungen.57 Die Mehrheit hat somit für die Annahme des Gesetzesentwurfs gestimmt, sodass das Masernschutzgesetz ordnungsgemäß vom Bundestag beschlossen wurde. Da es sich bei dem Gesetz nicht um ein Zustimmungsgesetz handelt, ist eine Zustimmung des Bundesrates nicht erforderlich. Einen Einspruch gem. Art. 77 Abs. 3 GG hat der Bundesrat ebenfalls nicht eingelegt. Somit gilt das Masernschutzgesetz gem. Art 78 GG als zustande gekommen. Das Gesetzgebungsverfahren zum Beschluss des Masernschutzgesetzes ist damit ebenfalls ordnungsgemäß abgelaufen, sodass insgesamt die formelle Verfassungsmäßigkeit gegeben ist.
In materieller Hinsicht ist fraglich, ob das Masernschutzgesetz dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügt. Dafür müsste der Gesetzgeber ein legitimes Ziel mit einem Mittel verfolgen, das geeignet, erforderlich und angemessen ist.58
4.3.2.2.1 Legitimes Ziel
Das Masernschutzgesetz müsste zunächst ein legitimes Ziel verfolgen. Ein legitimes Ziel ist jedes Ziel, das nicht von vornherein der Verfassung widerspricht.59 Ziel des Masernschutzgesetzes ist es, einerseits den individuellen Gesundheitsschutz derjenigen Personen zu fördern, die von der Impfpflicht betroffen sind und andererseits einen ausreichenden Gemeinschaftsschutz vor der Masernerkrankung in der gesamten Bevölkerung zu erreichen, um vor allem vulnerable Personengruppen, die sich nicht impfen lassen können, zu schützen und eine epidemische Ausbreitung in der Bevölkerung zu verhindern (s. o.). Dieses Ziel steht zweifelsohne in keinem Widerspruch zur Verfassung. Im Gegenteil, durch das Gesetz soll vielmehr das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG geschützt werden. Es handelt sich somit eindeutig um ein legitimes Ziel.60 Das Ziel der WHO, die Masern in Deutschland und weltweit auszurotten, sowie das Ziel, den allgemeinen Gesundheitszustand der Bevölkerung zu verbessern, sind zwar positive Folgen, zu dem das Gesetz beitragen kann, reichen jedoch laut Zuck als Legitimationsrechtfertigung wegen des hohen Abstraktionsgrades nicht aus und sind daher keine legitimen Ziele.61 Es gelte vielmehr, konkrete Gefahren für die Gesundheit der Bevölkerung abzuwehren.62
4.3.2.2.2 Geeignetheit
Nun müsste das Masernschutzgesetz zunächst geeignet sein. Das Gesetz wäre geeignet, wenn es dessen Ziel erreicht oder zumindest fördert.63 Dabei muss das Gesetz also nicht „optimal“ sein, es genügt, wenn es dazu beiträgt, dass der Zweck erreicht oder gefördert werden kann.64 Der Gesetzgeber hat insoweit einen weiten Gestaltungsspielraum.65
Zunächst müsste durch das Gesetz bzw. durch die darin verankerte Masernimpfpflicht die Möglichkeit bestehen, dass der individuelle Gesundheitsschutz vor der Masernerkrankung bei den von der Impfpflicht betroffenen Personen erreicht werden kann. Auch wenn von Impfgegnern die Wirksamkeit und Sicherheit von Impfungen immer wieder angezweifelt wird, ist dieser Vorwurf, wie eingangs bereits ausführlicher dargestellt, unbegründet. Es kann bei der Impfung zwar vereinzelt zu teils schwerwiegenden Folgen kommen, was jedoch eher die Ausnahme darstellt (s. o.). Die Masernimpfung ist i. d. R. sehr sicher und hochwirksam, wodurch ein verlässlicher Schutz zur Prävention der Masern bei den geimpften Personen aufgebaut werden kann (s. o.). Der individuelle Gesundheitsschutz wird also durch die Impfpflicht mit hoher Wahrscheinlichkeit erreicht. Dass es in sehr seltenen Fällen evtl. zu Komplikationen kommen kann oder die Impfung nicht zu einer Immunität führt, steht der Geeignetheit nicht entgegen, da beim weitaus größeren Teil der Geimpften die Impfung ohne Folgen verläuft und somit der individuelle Gesundheitsschutz bei den meisten Geimpften erreicht wird. Ein hundertprozentiger Erfolg ist, wie bereits erläutert, bei der Frage der Geeignetheit nicht erforderlich.
Durch den individuellen Gesundheitsschutz kann gleichzeitig der vom Gesetz angestrebte Schutz vulnerabler Personen erreicht werden, zumindest wenn eine Durchimpfungsquote von 95 % erreicht wird, ab der sich die Masern nicht weiter ausbreiten können. Die Impfpflicht trägt damit auch zum Schutz vulnerabler Personen und zur Herdenimmunität bei. Das Gesetz ist folglich auch zur Erreichung dieser Ziele geeignet.
Fraglich könnte die Geeignetheit aber unter dem Aspekt sein, dass das Gesetz zum Großteil nur (Klein-)Kindern eine Impfpflicht auferlegt, bei denen ohnehin bereits eine sehr hohe Durchimpfungsquote besteht (s. o.). Jugendliche und Erwachsene werden hingegen nur sehr begrenzt oder gar nicht vom Masernschutzgesetz umfasst, wobei gerade bei diesen Personengruppen viele Impflücken bestehen und dementsprechend auch die Zahl der Masernerkrankungen höher ist, als bei jüngeren Jahrgängen (s. o.). Es erscheint also vernünftiger, würde das Gesetz auch bzw. insbesondere ältere Personengruppen in den Fokus der Impfpflicht legen, um die Ziele zu erreichen. Da der Gesetzgeber aber, wie eingangs erläutert, nicht die vernünftigste und optimalste Lösung wählen muss und auch ohne Erweiterung der Impfpflicht auf weitere Personengruppen die Ziele zumindest erreicht werden können, ist auch hier eine Geeignetheit gegeben.66
Das Masernschutzgesetz ist somit insgesamt geeignet.
4.3.2.2.3 Erforderlichkeit
Weiterhin müsste das Gesetz auch erforderlich sein. Das ist der Fall, wenn es kein milderes, gleich wirksames Mittel gibt, um das Ziel zu erreichen.67 Als milderes Mittel kommt zuallererst in Betracht, die Impfentscheidung weiterhin auf Freiwilligkeit beruhen zu lassen, so wie es die Rechtslage derzeit noch vorsieht. Wirft man einen Blick auf die Gründe, weshalb sich die Menschen bisher nicht haben freiwillig impfen lassen, wird deutlich, dass vor allem Unwissenheit, Vergesslichkeit und Bequemlichkeit ursächlich für die bestehenden Impflücken sind.68 Bei einer Umfrage im Jahr 2013 gaben sogar 60 % der befragten Erwachsenen an, dass sie sich bisher nicht haben impfen lassen, weil niemand sie auf die Notwendigkeit einer Masernimpfung hingewiesen hat.69 Diese Gründe für das Nichtimpfen greifen allerdings nur bei einer freiwilligen Impfentscheidung. Bei einer Impfpflicht spielen Vergesslichkeit und Bequemlichkeit hingegen keine Rolle mehr, da man eben zur Impfung verpflichtet ist. Somit stellt die Impfpflicht auch ein wirksameres Mittel gegenüber der freiwilligen Entscheidung dar, weil sich dadurch aller Voraussicht nach mehr Menschen impfen lassen werden.
Als weiteres milderes Mittel käme in Betracht, verstärkt Aufklärungs- und Informationskampagnen durchzuführen, um einerseits die Erforderlichkeit einer Impfung ins Gedächtnis zu rufen und andererseits die Verunsicherung der Bevölkerung aufgrund teilweise falsch verbreiteter Informationen von Impfgegnern zu nehmen. Solche Aufklärungskampagnen sind im Masernschutzgesetz selbst vorgesehen (s. o.), jedoch lediglich als zusätzliche begleitende Maßnahme der Impfpflicht. Außerdem ist darin vorgesehen, dass mit Einführung der elektronischen Akte auch eine automatische Erinnerung an bevorstehende Impftermine erfolgen soll (s. o.). Es ist fraglich, ob diese Maßnahmen allein nicht schon ausreichend sind, um die Ziele zu erreichen. Letztendlich lässt sich nicht genau voraussagen, welchen Einfluss zusätzliche Aufklärungskampagnen und automatische Erinnerungen an Impftermine auf das Impfverhalten der Bevölkerung haben werden. Ob sich dadurch evtl. bereits eine erforderliche Impfquote erreichen lässt, damit sich die Masern nicht weiter ausbreiten können und auch vulnerable Personen besser geschützt werden können, ist schwer abzusehen. Das bisherige System war jedenfalls ersichtlich ausreichend gewesen, um den Ausbruch einer Masernepidemie in Deutschland zu verhindern und die Masernimpfquote insgesamt sehr hoch zu halten. Dass durch zusätzliche Aufklärungsarbeit und eine optimierte Impfberatung die Impfquote weiter ansteigen wird, ist gut möglich, die Frage ist jedoch, in welchem Maße dies der Fall sein kann. So hat der Gesetzgeber 2015 bereits zahlreiche Änderungen und Ergänzungen im IfSG bzgl. der Gesundheitsförderung und Prävention eingefügt und dadurch neue Maßnahmen zur freiwilligen Vorbeugung gegen Krankheiten und zur Gesundheitsförderung auf den Weg gebracht.70 Die Änderungen sehen auch Maßnahmen zur Förderung von Schutzimpfungen vor, wie beispielsweise eine verpflichtende Impfberatung für Eltern71. Nichtsdestotrotz haben auch alle diese Änderungen nicht zu einer Erhöhung der Impfquoten beigetragen, da die Zahlen auch nach den Gesetzesänderungen weiterhin auf dem selben Niveau stagnieren (s. o.). Diese seit Jahren stagnierende Impfquote, trotz aller Bemühungen seitens des Gesetzgebers durch Aufklärung und andere Maßnahmen, kann als Grenze bewertet werden, an die die Freiwilligkeit der Bevölkerung stößt.72 Durch die oben angesprochenen weiteren möglichen Maßnahmen ist demnach eher unwahrscheinlich, dass die Impfquoten in großen Umfang steigen werden. Da die Impfquoten allerdings bereits jetzt sehr hoch sind, ist es dennoch nicht auszuschließen, dass diese Maßnahmen ausreichen, um eine Masernimpfquote von mindestens 95 % zu erreichen, bei der sich die Masern nicht weiter ausbreiten können. Es wäre somit denkbar, dass die Ziele des Masernschutzgesetzes auch mit diesem milderen Mittel erreicht werden können. Jedoch müsste dieses Mittel auch mindestens genauso wirksam sein wie eine verpflichtende Impfung. Dies wird höchstwahrscheinlich nicht der Fall sein, da bei einer Impfpflicht zwangsläufig die Impfquote steigen wird, während bei einer freiwilligen Impfentscheidung nur spekuliert werden kann. Dieses Mittel scheidet folglich ebenfalls aus, weil es nicht gleich wirksam ist.
[...]
1 Der folgende Text meint alle Geschlechter gleichermaßen, aufgrund der Lesbarkeit wird nur die männliche Form verwendet.
2 BT-Drs. 629/19.
3 i. d. F. der Bekanntmachung v. 23.05.1949, BGBl. I S. 1, zuletzt geändert durch Gesetz v. 15.11.2019, BGBl. I S. 1546.
4 Vgl. Hengel in Darai, Lexikon der Infektionskrankheiten, S. 512 (512).
5 Vgl. RKI, Epidemiologisches Bulletin 2010, S. 315 (316).
6 Vgl. RKI; https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Merkblaetter/Ratgeber_Masern.html (Zugriff 10.12.2019).
7 Vgl. Cherry, S. 2292.
8 Vgl. RKI; https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Merkblaetter/Ratgeber_Masern.html (Zugriff 10.12.2019).
9 Vgl. RKI, Epidemiologisches Bulletin 2013, S. 485 (486).
10 Vgl. RKI; https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Merkblaetter/Ratgeber_Masern.html (Zugriff 10.12.2019).
11 Vgl. RKI; https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Merkblaetter/Ratgeber_Masern.html (Zugriff 10.12.2019).
12 Vgl. WHO; https://www.who.int/news-room/fact-sheets/detail/measles (Zugriff 10.12.2019).
13 Vgl. RKI; https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Merkblaetter/Ratgeber_Masern.html (Zugriff 10.12.2019).
14 Vgl. WHO; https://www.who.int/news-room/fact-sheets/detail/measles (Zugriff 10.12.2019).
15 Vgl. RKI, Epidemiologisches Bulletin 2019, S. 313 (316).
16 Vgl. Cherry, S. 2294.
17 Vgl. RKI; https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Merkblaetter/Ratgeber_Masern.html (Zugriff 10.12.2019).
18 Vgl. RKI; https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Merkblaetter/Ratgeber_Masern.html (Zugriff 10.12.2019).
19 Vgl. RKI, Epidemiologisches Bulletin 2015, S. 131 (133).
20 Vgl. RKI, Epidemiologisches Bulletin 2015, S. 131 (132).
21 Vgl. RKI, Epidemiologisches Bulletin 2015, S. 131 (132).
22 Vgl. WHO, Global measels and rubella: strategic plan 2012 – 2020, S. 20.
23 i. d. F. der Bekanntmachung v. 20.07.2000, BGBl. I S. 1045, zuletzt geändert durch Gesetz v. 20.11.2019, BGBl. I S. 1626.
24 Vgl. BT-Drs. 19/13452; https://www.bundesgesundheitsministerium.de/impfpflicht.html (Zugriff 16.12.2019), S. 1.
25 Vgl. BT-Drs. 629/19; https://www.bundesgesundheitsministerium.de/impfpflicht.html (Zugriff 16.12.2019), S. 6.
26 Vgl. BT-Drs. 629/19; https://www.bundesgesundheitsministerium.de/impfpflicht.html (Zugriff 16.12.2019), S. 6.
27 Vgl. BT-Drs. 19/13452; https://www.bundesgesundheitsministerium.de/impfpflicht.html (Zugriff 16.12.2019), S. 2.
28 Vgl. BT-Drs. 629/19; https://www.bundesgesundheitsministerium.de/impfpflicht.html (Zugriff 16.12.2019), S. 6.
29 Vgl. BT-Drs. 629/19; https://www.bundesgesundheitsministerium.de/impfpflicht.html (Zugriff 16.12.2019), S. 9.
30 Vgl. BT-Drs. 629/19; https://www.bundesgesundheitsministerium.de/impfpflicht.html (Zugriff 16.12.2019), S. 7, 8.
31 Vgl. BT-Drs. 629/19; https://www.bundesgesundheitsministerium.de/impfpflicht.html (Zugriff 16.12.2019), S. 6.
32 Vgl. BT-Drs. 629/19; https://www.bundesgesundheitsministerium.de/impfpflicht.html (Zugriff 16.12.2019), S. 6.
33 Vgl. BT-Drs. 629/19; https://www.bundesgesundheitsministerium.de/impfpflicht.html (Zugriff 16.12.2019), S. 7.
34 Vgl. BT-Drs. 629/19; https://www.bundesgesundheitsministerium.de/impfpflicht.html (Zugriff 16.12.2019), S. 6.
35 Vgl. BT-Drs. 19/13452; https://www.bundesgesundheitsministerium.de/impfpflicht.html (Zugriff 16.12.2019), S. 1.
36 Vgl. Sachs in Sachs, Vorbemerkung zu Abschnitt I, Rn. 78.
37 Vgl. Lang in Epping/Hillgruber, GG Art. 2, Rn. 64.
38 Vgl. Schmidt in Erfurter Kommentar, GG Art. 2, Rn. 102.
39 Vgl. Lang in Epping/Hillgruber, GG Art. 2, Rn. 63 a.
40 Vgl. BVerfGE 128, 282 (300).
41 Vgl. Di Fabio in Maunz/Dürig, GG Art. 2 Abs. 2, Rn. 60.
42 Vgl. Di Fabio in Maunz/Dürig, GG Art. 2 Abs. 2, Rn. 69.
43 Vgl. BVerfG, Beschluss v. 23.03.2011 - 2 BvR 882/09; http://www.juris.de (Zugriff 28.12.2019), Rn. 40.
44 Vgl. Schmidt in Erfurter Kommentar, GG Art. 2, Rn. 109.
45 Vgl. Sodan in Sodan, GG Art. 1, Rn. 60.
46 Vgl. Kunig in Kunig/Münch, GG Art. 2, Rn. 82.
47 Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG.
48 Siehe BT-Drs. 19/13452; https://www.bundesgesundheitsministerium.de/impfpflicht.html (Zugriff 16.12.2019).
49 Siehe BT-Drs. 19/13452; https://www.bundesgesundheitsministerium.de/impfpflicht.html (Zugriff 16.12.2019), S. 5.
50 Siehe BR-Drs. 358/19; https://www.bundesgesundheitsministerium.de/impfpflicht.html (Zugriff 17.12.2019).
51 Siehe BT-Drs. 19/13826; https://www.bundesgesundheitsministerium.de/impfpflicht.html (Zugriff 17.12.2019).
52 Siehe BT-Drs. 19/15164; https://www.bundesgesundheitsministerium.de/impfpflicht.html (Zugriff 17.12.2019).
53 i. d. F. der Bekanntmachung vom 2.07.1980, BGBl. I S.1237, zuletzt geändert durch Bekanntmachung v. 1.03.2019, BGBl. I S. 197.
54 Siehe BMG; https://www.bundesgesundheitsministerium.de/impfpflicht.html (Zugriff 28.12.2019).
55 Siehe Deutscher Bundestag; https://www.bundestag.de/parlament/fraktionen (Zugriff 28.12.2019).
56 Siehe Deutscher Bundestag; https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2019/kw46-de-masernschutzgesetz-667326 (Zugriff 28.12.2019).
57 Siehe Deutscher Bundestag; https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2019/kw46-de-masernschutzgesetz-667326 (Zugriff 28.12.2019).
58 Vgl. Katz/Sander, Rn. 701.
59 Vgl. Katz/Sander, Rn. 701.
60 Siehe auch Deutscher Bundestag, WD 3 - 3000 - 019/16, S. 4.
61 Vgl. Zuck, ZRP 2017, S. 118 (120).
62 Vgl. Zuck, ZRP 2017, S. 118 (120).
63 Vgl. BVerfGE 30, 292 (316).
64 Vgl. Dreier in Dreier, GG Art. 1, Rn. 147.
65 Vgl. BVerfGE 114, 196 (248).
66 Vgl. auch Schaks, S. 7.
67 Vgl. BVerfGE 30, 292 (316).
68 Vgl. Betsch/Böhm/Eitze, Bundesgesundheitsblatt 2019, S. 400 (400).
69 Siehe BZgA, S. 60.
70 Siehe BMG; https://www.bundesgesundheitsministerium.de/ministerium/meldungen/2015/impfschutz.html (Zugriff 07.01.2020).
71 Siehe § 34 Abs. 10 a IfSG.
72 Siehe auch Schaks, S. 8.