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Bachelorarbeit, 2016
81 Seiten, Note: 1,3
Zusammenfassung
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1 Einleitung
2 Theoretische Grundlagen
2.1 Der Begriff Risiko und Risikoverhalten
2.1.1 Subjektive Erwartungsnutzentheorie
2.1.2 Prospect Theorie
2.1.3 Instrumente zur Erfassung von Risikoverhalten
2.2 Der Begriff Persönlichkeit
2.2.1 Eigenschaftstheorie
2.2.2 Kennzeichen von Eigenschaften
2.2.3 Fünf-Faktoren-Modelle der Persönlichkeit
2.2.4 Fünf-Faktoren-Modell von Costa und McCrae
2.2.5 Instrumente zur Erfassung der Big Five
2.3 Big Five und Risikoverhalten
2.4 Forschungsfragen und Hypothesen
3 Methode
3.1 Auswahlkriterien für Primärstudien
3.2 Vorgehen
3.3 Einbezogene Primärstudien
4 Ergebnisse
4.1 Wie wird Risikoverhalten von den Persönlichkeitsvariablen beeinflusst?
4.2 Gibt es mediierende Effekte zwischen Persönlichkeitsvariablen und Risikoverhalten?
5 Diskussion
5.1 Zusammenfassung und Interpretation der Ergebnisse
5.2 Grenzen der Arbeit
5.3 Implikationen für die Praxis
5.4 Fazit und Ausblick
Literaturverzeichnis
Anhang
Tabelle 2
Tabelle 3 Übersicht der Primärstudien
Menschen sind in ihrem alltäglichen Leben ständig mit Urteilsfindungen, Entscheidungen und Handeln konfrontiert, unter Umständen auch in risikoreichen Situationen. Dabei wird deutlich, dass sie Risikosituationen unterschiedlich bewerten und sich dementsprechend unterschiedlich verhalten. In diesem systematischen Literaturreview wird anhand von 30 ausgesuchten Primärstudien dieser Zusammenhang zwischen der Persönlichkeit und dem Risikoverhalten untersucht. Ergebnisse zeigen, dass es einen moderat positiven Zusammenhang zwischen dem Persönlichkeitsfaktor Extraversion und Risikoverhalten sowie einen moderat negativen mit Gewissenhaftigkeit und Risikoverhalten gibt. Beide erweisen sich als signifikante Prädiktoren für risikoreiches Verhalten. Untersucht werden zusätzlich Faktoren wie Kosten und Nutzen, die eine Rolle bei der Analyse von risikoreichen Entscheidungen spielen. Einige wenige Primärstudien zeigen, dass der Zusammenhang zwischen Risikoverhalten und Persönlichkeit über diese Faktoren vermittelt wird.
Schlagwörter: Persönlichkeit, Extraversion, Gewissenhaftigkeit, Risikoverhalten, Kosten-Nutzen-Analysen
Zur besseren Lesbarkeit werden hauptsächlich männliche Bezeichnungen verwendet, es sind jedoch immer explizit beide Geschlechter gemeint. Die Formalia dieser Arbeit orientieren sich an den Hinweisen zur Gestaltung des Lehrgebiets Allgemeine Psychologie: Urteilen, Entscheiden, Handeln sowie an den Richtlinien des APA Publication Manual 6th. Edition (American Psychological Association, 2009).
Abbildung 1: Wertfunktion der Prospect Theorie
Abbildung 2: Wahrscheinlichkeitsgewichtungsfunktion der Prospect Theorie
Abbildung 3: Pfad-Modell in der Domäne Glücksspiel aus Soane et al.; (2010, S. 314)
Abbildung 4: Pfad-Modell in der Domäne Freizeit aus Weller und Tikir (2011, S.191)
Abbildung 5: Funnel Plot ausgesuchter Primärstudien (1. Hypothese)
Abbildung 6: Funnel Plot ausgesuchter Primärstudien (2. Hypothese)
Tabelle 1: Risikoverhalten (Four Fould Risk Pattern) der Prospect Theorie
Tabelle 2: Facetten der Big Five Faktoren nach Costa und McCrae
Tabelle 3: Übersicht der Primärstudien
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Würden Sie in Ihrer Freizeit auf die höchsten Berge der Erde klettern oder lieber faulenzen und rauchend ein interessantes Buch lesen? Sind Sie schon öfter betrunken am Steuer von der Polizei angehalten worden oder fahren Sie nach einer durchzechten Nacht lieber mit dem Taxi nach Hause? Zocken Sie regelmäßig im Spielkasino und verlieren hohe Geldsummen oder legen Sie Ihr Geld lieber in sichere Anlagen an?
Tagtäglich müssen Menschen in bestimmten Situationen urteilen, entscheiden und handeln. Dabei gibt es oft Risikosituationen, in denen sie gezwungen sind gewisse Risiken zu analysieren und zu bewerten. Dieser Prozess kann als eine notwendige Bedingung für ein Risikoverhalten gelten. Risikoverhalten kann mit Gesundheitsrisiken der eigenen Person verbunden sein, aber auch mit schädigendem Verhalten gegenüber der Umwelt. So zeigte der Gesundheitsbericht der World Health Organisation WHO (2015), dass z.B. in den europäischen Regionen der WHO pro Person und Jahr 11 Liter reiner Alkohol konsumiert wurde und ca. 30% der Bevölkerung Tabak konsumierten. Einem Bericht der Zeit Online (2013) zufolge sterben jährlich an den Folgen von Alkohol oder in Kombination mit Rauchen ca. 74.000 Menschen nur in Deutschland allein. Zeitgleich entsteht infolge alkoholbedingter Erkrankungen und mit einhergehenden Arbeitsfehlzeiten oder auch Frühverrentungen ein volkswirtschaftlicher Schaden von ca. 27 Milliarden Euro im Jahr. Das Statistische Bundesamt (2016) berichtet von polizeilich erfassten Unfällen mit Personen-und Sachschäden von knapp 2 Millionen im Jahr 2015 und Verunglückten bzw. getöteten Personen von ca. 400.000.
Doch warum bewerten und verhalten sich Menschen in Risikosituationen unterschiedlich? Welche Determinanten beeinflussen dieses Verhalten? Neben soziodemografischen Merkmalen wie Alter und Geschlecht spielen individuelle Erfahrungen aber auch Erinnerungsvermögen eine Rolle bei der Beurteilung von Risikosituationen. Können aber auch Dispositionseigenschaften, sogenannte Traits, Risikoverhalten beeinflussen und eventuell voraussagen?
In diesem Literaturreview werden 30 relevante, durch Literaturrecherche ausgesuchte Primärstudien hinzugezogen, die den Zusammenhang von Risikoverhalten und Persönlichkeit in unterschiedlichen Lebensbereichen wie z.B. Freizeit, Sport, Autofahren, Gesundheit und Glücksspiel thematisieren. Im zweiten Kapitel werden Begriffe wie Risiko, Risikoverhalten, Persönlichkeit und Persönlichkeitseigenschaften vor dem Hintergrund bekannter Theorien und Modelle dargestellt und das Kapitel endet mit den Forschungsfragen bzw. den aufgestellten Hypothesen. Kapitel 3 gibt einen Einblick in die Methodik des Reviews, insbesondere werden dort Ein- und Ausschlusskriterien für die auszusuchenden Primärstudien vorgestellt und angewandte Methoden bei der systematischen Literaturrecherche dargestellt. Im vierten Kapitel erfolgt eine umfassende systematische Beschreibung der ausgewählten Primärstudien im Hinblick auf die Forschungsfragen und Hypothesen dieses Reviews. Im letzten Kapitel werden die Ergebnisse unter Einbezug des theoretischen Hintergrunds diskutiert und kritisch reflektiert und ein Ausblick auf Implikationen für die Praxis gegeben. Im Fazit und Ausblick werden weitere Forschungsarbeiten für zukünftige Forschungen abgeleitet.
Das Kapitel 2 widmet sich der Darstellung theoretischen Grundlagenwissens, das für ein allgemeines Verständnis der in dieser Arbeit behandelten Forschungsfragen hilfreich ist.
Das lateinische Wort des Begriffs Risiko heißt risicare und bedeutet so viel wie eine Klippe umschiffen. Im Altarabischen heißt Risiko rizq und bedeutet ein Lebensunterhalt, der vom Schicksal bzw. Geschick abhängt. Allgemein kann Risiko als ein " besonderes Kennzeichen einer Situation beschrieben werden, "die durch mangelhafte Voraussehbarkeit des Kommenden mögliche Schäden, Verluste und dgl. in Aussicht stellt". (Wirtz, 2013, S.364).
Aven und Renn (2009) wiesen in ihrer Studie darauf hin, dass es keine einheitlichen Übereinstimmungen hinsichtlich einer Definition von Risiko gibt. Sie fanden heraus, dass viele Definitionen Konzepte wie Erwartungswerte, Wahrscheinlichkeitsverteilungen, Unsicherheiten und Ereignisse beinhalten. Aus der Vielzahl von Definitionen in der Risikoforschung haben sie zwei Hauptkategorien aufgestellt. In der ersten wird der Begriff Risiko über Wahrscheinlichkeiten und Erwartungswerten definiert, in der zweiten Hauptkategorie werden Ereignisse, Folgen und Unsicherheiten fokussiert.
Von drei grundlegenden Elementen, die das Konstrukt Risiko beschreiben, sprechen Yates und Stone (1992). Potentielle Verluste, die Bedeutung dieser Verluste und die Unsicherheit nicht vorhersehbarer Ergebnisse von Entscheidungen charakterisieren ihrer Meinung nach treffend den Begriff Risiko. Dabei verweisen sie auf die Interaktion zwischen sogenannten objektiven Entscheidungsalternativen und dem Risikoträger. Bei dieser Definition wird schon ersichtlich, dass das Konstrukt Risiko nicht allein über objektive Kennzeichen wie z.B. Wahrscheinlichkeiten definiert werden kann. Vielmehr sind die drei genannten Elemente subjektabhängig (Yates & Stone, 1992). Bei Entscheidungen, die unter Unsicherheit und Risiko getroffen werden müssen, tritt ein Ereignis mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit ein, welches nicht genau vorhersagbar ist. Das Risiko dabei liegt in der Unsicherheit des Eintretens eines Ereignisses. Die Konsequenzen des Ereignisses selbst sind aber gewiss, da es zwischen beiden einen deterministischen Zusammenhang gibt (Kühberger, 1994).
Risikoverhalten wird als ein Entscheidungsverhalten in Risikosituationen bezeichnet. Der Risikoträger kann in ungewissen Situationen zwischen verschiedenen Handlungsalternativen mit unterschiedlichen Zielen wählen. Die Komponente Risiko deutet dabei auf den "wahrscheinlichen Anteil subjektiv negativ gewichteter Handlungsausgänge an allen möglichen Handlungsausgängen" (Klebelsberg, 2016).
In der Risikoforschung wird zwischen Risikobereitschaft (Risk Taking) und konkretem Risikoverhalten (Risk-Taking Behavior) unterschieden (Bromiley & Curley, 1992; Soane, Dewberry & Narendran, 2010). Moore und Gullone, (1996, p.347) sprechen von Risk-Taking Behavior als einem „ behavior which involves potential negative consequences (loss) but is balanced in some way by perceived positive consequences (gain) “.
In der Risikoforschung wurden Untersuchungen von Entscheidungsverhalten zunächst vor dem Hintergrund von Entscheidungs- und Spieltheorien durchgeführt. Optimale Entscheidungen wurden nach Grundsätzen des maximalen Nutzens ermittelt (Erwartungsnutzentheorie). Als Basis dienten Rationalitätsregeln, die subjektive Entscheidungskriterien nicht berücksichtigten (Wirtz, 2013). Mit der Theorie der maximalen subjektiven Nutzenerwartung SEU konzipiert von Edwards im Jahr 1954, die im folgenden Unterkapitel vorgestellt wird, stehen subjektive Entscheidungen im Fokus.
Während Erwartungsnutzentheorien von objektiven Wahrscheinlichkeiten und subjektiven Werten ausgehen, werden in der SEU sowohl den Wahrscheinlichkeiten als auch den Werten bzw. den Ergebnissen der Konsequenzen subjektive Werte zugeordnet. Die Summe der Nutzenwerte der einzelnen Ergebnisse gewichtet mit den entsprechenden Eintrittswahrscheinlichkeiten attribuiert mit subjektiven Wahrscheinlichkeiten entspricht dem subjektiv erwarteten Nutzen (SEU-Wert).
Ursprünglich wurde das SEU Modell als ein Entscheidungsmodell entwickelt, um Entscheidungen zwischen zwei oder mehreren Möglichkeiten zu erklären. Der große Nachteil dieses Modells ist, dass reale Entscheidungen unter Risiko nicht berücksichtigt wurden, sondern nur Beschreibungen über einfache monetäre Glücksspiele im Fokus standen (Cho, Keller & Cooper, 1999).
In weiterführenden Studien allerdings wurde das SEU Modell eingesetzt, um Ausmaße von Zusammenhängen zwischen aktuellem Verhalten und dem subjektiv erwarteten Nutzen zu untersuchen. Es gibt nur sehr wenige Studien, die risikoreiches Verhalten z. B. in der Domäne Gesundheit im Rahmen des SEU Modells untersucht haben (Bauman, Fisher, Bryan, & Chenoweth, 1984). In dieser Studie wurde der Zusammenhang zwischen risikoreichem Verhalten in Form von Rauchen und den Komponenten der SEU, den subjektiven Wahrscheinlichkeiten und den subjektiven Werten der Konsequenzen (Ergebnissen) untersucht. Dabei wurde festgestellt, dass die SEU als ein wichtiger Prädiktor für risikoreiches Verhalten gelten kann, aber auch andere weitere nicht erkennbare Variablen einen Einfluss auf diesen Zusammenhang haben.
Im Kontext riskanten Verhaltens von Verkehrsteilnehmern wurde das Modell der SEU in einer Studie verwendet, um Entscheidungen zwischen verschiedenen Verhalten vorherzusagen (van der Molen & Bötticher, 1988, zitiert nach Pitz, 1992). Sie schlugen vor, im Rahmen der SEU Wahlmöglichkeiten in risikoreichen Situationen hierarchisch zu betrachten, d.h. die Wahlmöglichkeiten waren an strategische, taktische und operationale Level gebunden und folglich konnte das Risikoverhalten auf jedem Level vorhersagbar sein.
Pitz (1992) kritisierte den deskriptiven Charakter des SEU Modells. Seiner Meinung nach sind die vom Modell geforderten Fähigkeiten des Entscheiders, Wahrscheinlichkeiten und Nutzen zu kombinieren, inkonsistent mit bekannten kognitiven Prozessen. Mögliche risikoreiche Verhaltensänderungen können auch auf einfache unbewusste Automatismen zurückzuführen sein, anstatt auf Implikationen des SEU Modells.
Weitere andere empirische Ergebnisse (Kühberger, 1994) zeigten auf, dass viele Axiome des SEU Modells, auf die in dieser Arbeit nicht weiter eingegangen wird, nicht berücksichtigt wurden. Auch subjektive Nutzenmaximierungen, die das SEU Modell charakterisieren, wurden von Entscheidern nicht berücksichtigt. Auftretende Konsequenzen wurden nicht antizipiert und eine Folge davon waren inkonsistente Wahlentscheidungen. Probleme traten auch bei Abschätzungen von Wahrscheinlichkeiten auf.
Ein Modell, welches gewisse Ähnlichkeiten mit dem SEU Modell in Hinblick auf Wahrscheinlichkeiten und Erwünschtheit und Kombinationen dieser beiden aufweist, ist die Prospect Theorie von Kahneman und Tversky (1979) Gemeinsamkeiten und Unterschiede werden im nächsten Unterkapitel beschrieben.
Die Prospect Theorie geht wie die SEU davon aus, dass die Wahrscheinlichkeiten und die Nutzenwerte eine Entscheidung determinieren. Im Gegensatz zur SEU wird die Funktion des Nutzenwertes durch eine Wertefunktion ersetzt. Gemäß der Prospect Theorie (Fox & Poldrack, 2008) gibt es in einem Entscheidungsprozess eine Editierungsphase und eine sich anschließende Evaluationsphase. In der vor der eigentlichen Entscheidung vorgelagerten Editierungsphase bestimmt der Entscheidungsträger einen Status quo, einen sogenannten Referenzpunkt, von dem aus sich dann entweder negative (Verluste) oder positive (Gewinne) Veränderungspotenziale ergeben. In der Evaluationsphase werden die Optionen anhand der Wertefunktion bewertet und den Konsequenzen wird dabei ein subjektiver Nutzen zugeordnet. Außerdem werden durch eine Wahrscheinlichkeitsgewichtungssfunktion die Eintrittswahrscheinlichkeiten der Konsequenzen subjektiv gewichtet. Die Wertefunktion bildet das Risikoverhalten ab wie in Abbildung 1 dargestellt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1 Wertfunktion der Prospect Theorie in Anlehnung an Kahneman und Tversky
Der Graph zeigt den subjektiv empfundenen Wert von Gewinnen und Verlusten und wird aufgeteilt durch einen neutralen Referenzpunkt in eine rechte und linke Seite. Die Steigung der Funktion ändert sich im Referenzpunkt, d.h. die Reaktion auf Verluste ist stärker als die auf entsprechende Gewinne (Verlustaversion). Personen verhalten sich risikoscheu im Bereich möglicher Gewinne, aber risikogeneigt im Bereich möglicher Verluste. Zusammenfassend ergibt sich eine S-förmige Wertefunktion, die definiert wird als Abweichung von einem neutralen Referenzpunkt, wobei sie konvex für Verluste, konkav für Gewinne verläuft und für Verluste steiler ist als für Gewinne (Kahneman & Tversky, 1979).
Kahneman und Tversky hatten in ihren Versuchen zur Entscheidungsfindung festgestellt, dass sich Personen auch im Bereich von Gewinnen risikogeneigt verhalten, wenn ein hoher Gewinn sehr unwahrscheinlich ist. Sie schlugen zur Beschreibung dieses Verhaltens eine Gewichtungsfunktion der objektiven Wahrscheinlichkeiten vor. Abbildung 2 zeigt die gewichteten Wahrscheinlichkeiten in Abhängigkeit der objektiven Wahrscheinlichkeiten.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2 Wahrscheinlichkeitsgewichtungsfunktion der Prospect Theorie von Kahneman und Tversky (1979; S. 283)
Gut zu erkennen ist, dass die Entscheidungsgewichtungen kleiner sind als die objektiven Wahrscheinlichkeiten im Wertebereich. Mittlere und hohe Wahrscheinlichkeiten werden unterschätzt, folglich verhalten sich Personen bei Gewinnen risikoaversiv im Vergleich zu sicheren Optionen und risikogeneigt bei Verlusten. Dagegen werden geringe objektive Wahrscheinlichkeiten stärker übergewichtet, folglich verhalten sich Personen sehr oft risikoreich bei sehr unwahrscheinlichen Gewinnchancen und risikoscheu bei unwahrscheinlichen Verlusten. In der Tabelle 1 ist das typische vierteilige Risikoverhalten (Four Fould Risk Pattern) der Prospect Theorie zu sehen.
Tab. 1
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Ein bekanntes Instrument zur Erfassung der Risikobereitschaft bzw. des Risikoverhaltens ist der Balloon Analogue Risk Task (BART; Lejuez, 2002), der durch eine Computersimulation reales Risikoverhalten messen kann. Teilnehmer können durch Anklicken auf einen Ballon diesen „aufpumpen“ und gewinnen bei jedem Anklicken einen bestimmten Geldbetrag; jedes Anklicken bis zu einem unbekannten bestimmten Threshold erhöht die Wahrscheinlichkeit des Platzens, d.h. das Risikoverhalten steigt bei jedem weiteren Anklicken. Der Teilnehmer kann rechtzeitig aufhören und gewinnt einen Geldbetrag, oder er verliert alles, wenn er den Ballon zum Platzen bringt.
Der Bechara Gambling Task bzw. der Iowa Gambling Task (IGT; Bechara, Damasio, Damasio & Anderson, 1994) erfasst ähnlich wie der BART Risikobereitschaft bzw.-verhalten durch eine Computersimulation. Der Versuchsteilnehmer kann von vier Kartenstapel (A, B, C, D), die jeweils 60 Karten beinhalten, willkürlich eine Karte ziehen, wobei jede Karte einen gewissen Gewinn oder auch einen gewissen Verlust anzeigt. Das Ziel ist, innerhalb von 100 Versuchen so viel Spielgeld wie möglich zu erreichen. Die Kartenstapel unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Gewinnhöhe, d.h. beim Ziehen von Stapel A und B können kurzfristig große Gewinne bei langfristigem Nachteil erzielt werden und bei Stapel C und D werden kurzfristig geringe Gewinne bei langfristigem Gewinn erworben.
Neben vielen anderen spezifischen Skalen zur Erfassung des Risikoverhaltens soll hier die bekannteste von Weber, Blais und Betz (2002) kurz vorgestellt werden. Sie entwickelten eine Domänen-spezifische Risikobereitschafts-Skala, die Domain-Specific Risk Taking Scale (DOSPERT). In ursprünglich fünf unterschiedlichen Bereichen wie Soziales, Freizeit, Finanzen, Gesundheit und Ethik, die den Alltag widerspiegeln sollen, wird die Risikobereitschaft bzw. risikoreiches Verhalten gemessen. Dabei wird unterschieden zwischen Risikowahrnehmung und Einstellungen gegenüber dem wahrgenommenen Risiko. Eine B-Version des DOSPERT unterteilt die Domäne Finanzen noch zusätzlich in Glücksspiel.
In der Psychologie wird der Begriff Persönlichkeit rein deskriptiv benutzt. Er leitet sich vom lateinischen persona ab, die eine Maske bezeichnet und von Schauspielern in der Antike getragen wurde. Der Schauspieler hinter der Maske konnte so bestimmte Eigenschaften eines Menschen darstellen (Rammsayer & Weber, 2010).
Fünf grundlegende Prinzipien wie die genetisch bedingte menschliche Natur, dispositionelle Persönlichkeitseigenschaften, individuelle Lebenserzählungen, charakteristische Adaptationen wie z. B. Motive, Einstellungen und der differentielle Einfluss von Kultur werden in einer Definition von McAdams und Pals (2006, S. 212 ) zusammengefasst : „Personality is an individual´s unique variation on the general evolutionary design for human nature, expressed as a developing pattern of dispositional traits, characteristics adaptions, and integrative life stories complexy and differentially situated in culture“. Eine Arbeitsdefinition von Asendorpf (2009, S. 8) berücksichtigt alters- und kulturgleiche Referenzpopulationen: „ Persönlichkeit ist die nichtpathologische Individualität eines Menschen in körperlicher Erscheinung, Verhalten und Erleben im Vergleich zu einer Referenzpopulation von Menschen gleichen Alters und gleicher Kultur“.
Es gibt viele unterschiedliche Persönlichkeitstheorien, die sowohl die menschliche Natur beschreiben und erklären, als auch das einzelne Individuum berücksichtigen. Im Kontext dieses Literaturreviews wird im folgenden Unterkapitel die Eigenschaftstheorie näher beleuchtet.
Vor dem Hintergrund des Eigenschaftsparadigmas wird die Persönlichkeit eines Menschen durch Persönlichkeitsmerkmale, sogenannte Dispositionen auch im Englischen Traits genannt, charakterisiert. Historisch betrachtet kann William Stern als der Begründer des Eigenschaftsparadigmas bzw. der Methodik genannt werden (Asendorpf, 2009). Er verband die variablenorientierte Sichtweise, d.h. die Verteilung eines Merkmals zwischen verschiedenen Personen (Variationsforschung) oder den Zusammenhang zwischen Merkmalen (Korrelationsforschung) mit der personenorientierten Sichtweise, d.h. die Variation von Merkmalen innerhalb einer Person oder den Vergleich vieler Personen in Bezug auf viele Merkmale (Komparationsforschung).
Eigenschaften können als hypothetische Konstrukte bezeichnet werden, die durch Indikatoren wie beobachtbarem Erleben und Verhalten abgeleitet werden können. Es gibt unterschiedliche Methoden zur Erfassung von Eigenschaften, die auf dem psychometrischen Ansatz basieren. Die am häufigsten herangezogenen Methoden, die auch in den ausgesuchten Primärstudien angewandt wurden, sind Selbstberichte oder Selbsteinschätzungen wie Fragebögen oder Adjektivlisten, die nach einer Unterteilung nach Catell zu den sogenannten Q-Daten (Questionnaire-Data) gehören (Rammsayer & Weber, 2010). Werden Messungen hinsichtlich der Eigenschaften zu unterschiedlichen Zeitpunkten durchgeführt, müssen diese um Kennzeichen wie Stabilität und Konsistenz erweitert werden.
Attribute von zeitlicher Stabilität und transsituativer Konsistenz bestimmen eine Definition von Amelang, Bartussek, Stemmler und Hagemann (2006). Sie beschreiben Eigenschaften als relativ breite und zeitlich stabile Dispositionen zu bestimmten Verhaltensweisen, die konsistent in unterschiedlichen Situationen auftreten können. Es gibt zwei Grundformen, die ein Ausmaß an Stabilität untersuchen (Rammsayer & Weber, 2010). Die erste zeigt auf, wie sich der Mittelwert von bestimmten Eigenschaften innerhalb einer Gruppe mit zunehmendem Alter verändert. Die relative Stabilität als weitere Grundform bezieht sich auf Veränderungen von Mittelwerten in der Gruppe, wobei die Rangfolge der Personen bezüglich ihrer Eigenschaftsausprägungen bestehen bleibt.
Einige Studien wie z. B. eine Metastudie mit 152 Längsschnittstudien von Roberts und DelVeccio (2000) oder einer Metastudie von Roberts und Walton (2006) zeigten, dass die Rangfolgenstabilität von Eigenschaften vom Alter abhängen. Somit konnte zwar eine gewisse Stabilität nachgewiesen werden, die sich aber im Laufe der Persönlichkeitsentwicklung veränderte.
Eigenschaften gelten als transsituativ konsistent, wenn in unterschiedlichen Situationen Unterschiede in den Eigenschaften mit denen innerhalb von Situationen ähnlich ausfallen (Asendorpf, 2009). Analog der beiden Stabilitätsformen werden auch hier relative und absolute Konsistenzen unterschieden. Korrelative Designs untersuchen das Ausmaß von Konsistenz durch den Zusammenhang zwischen Eigenschaftsausprägungen und dem Verhalten in unterschiedlichen Situationen. Etliche ausgewählte Primärstudien dieses Reviews zeigen genau diesen Zusammenhang im Fokus risikoreichen Verhaltens auf.
Vor dem Hintergrund des sogenannten psycholexikalischen Ansatzes wurden Fünf-Faktoren-Modelle entwickelt. Dieser Ansatz geht davon aus, dass wichtige Persönlichkeitsmerkmale oder Eigenschaften sich in der Alltagssprache enkodiert bzw. niedergeschlagen haben (Sedimentationshypothese). Durch eine Analyse eines gebildeten Wortschatzes in einer bestimmten Sprache und einer anschließenden Faktorenanalyse konnten Eigenschaftsklassifikationen erstellt werden. Auf diese Weise wurden in zahlreichen Untersuchungen fünf immer wiederkehrende Persönlichkeitseigenschaften identifiziert, die von Goldberg (1981) als Big Five bezeichnet wurden.
Das in der aktuellen Persönlichkeitsforschung wohl populärste eigenschaftstheoretische Modell ist das von Costa und McCrae (1997), das die Big Five als die fünf Hauptdimensionen zur Beschreibung von Persönlichkeit aufgreifen. Im nächsten Unterkapitel werden diese näher erläutert.
Die fünf Hauptdimensionen sind Neurotizismus (Neuroticism), Extraversion (Extraversion), Offenheit für Erfahrungen (Openness to experience), Verträglichkeit (Agreeableness) und Gewissenhaftigkeit (Conscientiousness).
Personen mit hohen Werten in Neurotizismus sind generell ängstlicher, nervös und werden als depressiv beschrieben. Ihnen stehen weniger Stressbewältigungsmechanismen zur Verfügung.
Hohe Werte in Extraversion zeichnen sich aus durch hohe Geselligkeit, Optimismus und Aktivität. Stark extravertierte Personen sind abenteuerlustig und sie unterscheiden sich von introvertierten in der Art und des Ausgestaltens sozialer Interaktionen. Personen mit niedrigen Werten in Extraversion sind demgegenüber distanziert, zurückhaltend und kontaktscheu.
Personen mit hohen Ausprägungen in Offenheit für Erfahrungen werden charakterisiert als wissbegierig, phantasievoll, unkonventionell, intellektuell. Bestehende Normen und Wertvorstellungen werden von ihnen eher kritisch beurteilt.
Die Dimension Verträglichkeit äußert sich in hohen Werten durch einen hilfsbereiten, freundlichen, gutmütigen sozialen Umgang mit anderen Personen. Stark verträgliche Personen sind harmoniebedürftig, kooperativ und altruistisch. Personen mit niedrigen Werten neigen eher zu Streitereien, sind unkooperativ, sarkastisch und argwöhnisch.
Hohe Gewissenhaftigkeit geht einher mit Zielstrebigkeit, Ordentlichkeit. Planung und Organisation werden mit hoher Zuverlässigkeit und Sorgfalt durchgeführt. Geringe Werte in dieser Persönlichkeitsdimension äußern sich dementsprechend in Unpünktlichkeit, Nachlässigkeit und Gleichgültigkeit bis hin zum Chaotischen.
Bei diesen fünf Faktoren wird das jeweils relativ deskriptiv globale Konstrukt ersichtlich. Eine differenziertere Beschreibung von Persönlichkeit erlaubt das NEO-Persönlichkeitsinventar von Costa und McCrae (1997), welches im nächsten Unterkapitel dargestellt wird.
Ein sehr bekannter Fragebogen zur Erfassung der Big Five Faktoren ist das NEO-PI-R nach Costa und McCrae (1995). Das Akronym NEO leitet sich ab aus den Anfangsbuchstaben von Neurotizismus, Extraversion und Offenheit für Erfahrungen. Hierarchisch werden den fünf Hauptfaktoren jeweils sechs Facetten oder Subskalen zugeordnet, die somit eine Messung interindividueller Unterschiede innerhalb einer Persönlichkeitsdimension über 240 Items erlauben. Eine kurze Übersicht der Facetten ist in der Tabelle 2 im Anhang einzusehen.
Weitere in den ausgewählten Primärstudien oft eingesetzte Instrumente sind das Neurotizismus-Extraversion-Offenheit-Fünf-Faktoren-Inventar (NEO-FFI) (Borkenau & Ostendorf, 2008). Hierbei handelt es sich um ein verkürztes Inventar mit 60 Items, die aber keine Messung der zugehörigen Facetten erlauben. Das Big Five Inventory (BFI) umfasst 44 Items. In einer aktuelleren Studie (Soto & John, 2009) wurden innerhalb des Itempools zehn spezifischere Facetten entwickelt, die somit auch eine differenziertere Beschreibung zulassen. Das International Personality Item Pool (IPIP; Goldberg, 2004) bietet mit kurz formulierten Items ökonomische Online- Befragungen.
Als eine Alternative zum Fünf-Faktoren-Modell wurde in einigen Primärstudien das HEXACO-Model (Ashton & Lee, 2007) mit 192 Items eingesetzt. Es weist sechs breite Persönlichkeitsdimensionen auf mit jeweils vier Facetten. Hier leitet sich das Akronym ebenfalls aus den Anfangsbuchstaben von Honesty/Humility, Emotionality, eXtraversion, Agreeableness, Conscientiousness und Openness to Experience ab. Im nächsten Unterkapitel werden schließlich die Konstrukte Risikoverhalten und Persönlichkeit zusammengefasst und einige Forschungsfelder, die den Zusammenhang dieser Konstrukte untersuchen, vorgestellt.
Ein Hauptforschungsfeld mit dem Fokus auf den Zusammenhang zwischen Persönlichkeit und Risikoverhalten benutzt das Fünf-Faktoren-Modell von Costa und McCrae. In einer Studie wurde das Risikoverhalten in unterschiedlichen Domänen wie Freizeit, Gesundheit, Finanzen, Karriere, Sicherheit und Gemeinschaft untersucht (Nicholson, Soane, Fenton-O´Creevy & Willman, 2005). Studien mit dem Fokus auf riskantem Fahrverhalten untersuchten den Zusammenhang zwischen den Big Five und Risikoverhalten (Arthur & Graziano, 1996; Renner & Anderle, 2000). Eine weitere bedeutende Forschungsrichtung, die den Fokus auf die Big Five und Risikoverhalten richtet, findet sich in der Domäne Gesundheitsrisikoverhalten. (Bogg & Roberts, 2004; Terracciano & Costa, 2004; Trobst, Herbst, Masters & Costa, 2002). (Sieber & Angst, 1990; Schenk & Pfrang, 1986;). Der Bereich Glücksspiel bzw. pathologisches Glücksspiel lässt sich ebenfalls als eine bedeutende Forschungsrichtung im Zusammenhang von Risikoverhalten und Big Five einordnen. (Cook, Mc Henry & Leigh, 1998).
Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, den Zusammenhang zwischen Persönlichkeit und Risikoverhalten zu untersuchen. Ausgehend von dem oben beschriebenen theoretischen Hintergrund sollen in dieser Arbeit durch eine systematische Analyse von ausgewählten 30 Primärstudien der empirischen Forschungsliteratur ab 1999 bis 2015 folgende Forschungsfragen geklärt werden: Wie wird Risikoverhalten von den Persönlichkeitsvariablen beeinflusst? Vor dem Hintergrund des Fünf-Faktoren-Modells von Costa und McCrae (1997), das annimmt, dass Menschen mit hohen Werten in Extraversion besonders aktiv sind und gewisse Aufregung suchen wird folgende Hypothese aufgestellt:
1. Es gibt einen positiven Zusammenhang zwischen Extraversion und Risikoverhalten.
Menschen mit hohen Werten in Gewissenhaftigkeit dagegen zeichnen sich aus durch Selbstdisziplin und Besonnenheit. (Costa & McCrae, 1995). Sie folgen gewissen Plänen und nicht vorhersehbare Konsequenzen in Entscheidungssituationen werden sie eher vermeiden. Somit wird folgende Hypothese angenommen:
2. Es gibt einen negativen Zusammenhang zwischen Gewissenhaftigkeit und Risikoverhalten.
Vermitteln potentielle Kosten (Verluste) und Nutzen (Gewinne) als Entscheidungsalternativen den Zusammenhang zwischen Persönlichkeit und Risikoverhalten? Dazu werden folgende Mediationshypothesen aufgestellt:
3a. Wahrgenommene Kosten mediieren den Zusammenhang zwischen Extraversion und Risikoverhalten
3b. Wahrgenommene Nutzen mediieren den Zusammenhang zwischen Extraversion und Risikoverhalten
4a. Wahrgenommene Kosten mediieren den Zusammenhang zwischen Gewissenhaftigkeit und Risikoverhalten
4b. Wahrgenommene Nutzen mediieren den Zusammenhang zwischen Gewissenhaftigkeit und Risikoverhalten
Im Folgenden wird das Vorgehen bei der Suche und der Auswahl relevanter Primärstudien für dieses Review erläutert.
Studien wurden eingeschlossen, wenn sie ein Peer-Review Verfahren durchlaufen hatten, in wissenschaftlichen Zeitschriften erschienen sind und in einem Zeitraum zwischen 1999 und 2015 veröffentlicht wurden. Um eine quantitative Zusammenfassung von Effekten zu berechnen, sollten die Operationalisierungen in den einzelnen Studien möglichst gleich sein. Deshalb sollte der Begriff Persönlichkeit anhand des Fünf-Faktoren-Modelles bzw. der Big Five operationalisiert werden.
In vielen Studien gab es unterschiedliche Begriffe für Risikoverhalten wie z.B. Risk Behavior oder Risk-Taking Behavior. In solchen Fällen wurde im Methodenteil der betreffenden Studien die Operationalisierung des Begriffs Risikoverhalten näher betrachtet und bei Eindeutigkeit wurden diese Studien mit eingeschlossen. Unterschiedliche Risikoverhalten in verschiedenen Bereichen wurden durch Studien mit dem Fokus auf Gesundheit, Straßenverkehr, Freizeit und Glücksspiel berücksichtigt.
Ein weiteres wichtiges Kriterium lag in der Auswahl der Stichprobengröße, die mindestens bei 50 und mehr Probanden liegen sollte. Außerdem sollte das Alter der Probanden nicht jünger als 12 Jahre sein.
Die Literaturrecherche wurde im Zeitraum von Mitte Februar bis einschließlich März 2016 durchgeführt. Über die EBSCOHost® der Unibibliothek der FernUni Hagen wurden die Datenbanken PsychINFO®, PSYNDEX, Psychological and Behavioral Sciences Collection® und PsychARTICLES® durchsucht.
Folgende Schlagwörter bzw. Thesauri wurden verwendet: Personality, Personality traits, Five-Factor-Personality Model, Big Five, Extraversion, Conscientiousness, NEO PI-R, Risk Taking Behavior, Risk Behavior, perceived costs and benefits. Mit den Booleschen Operatoren AND, OR, NOT wurden diese Schlagwörter in bestimmten Suchbegriffskombinationen eingesetzt.
Im Weiteren werden hier nur einige konkrete Vorgänge näher erläutert, die eine gewisse Anzahl an Treffern ergaben. Ein umfangreiches Ergebnis mit 333 Treffern ergab eine Teilrecherche in PsychINFO® mit der Eingabe im Thesaurus von Personality als Major Concept verbunden über OR Personality traits mit OR Five Factor Personality Model verbunden mit AND Risk Taking Behavior. Die anschließenden oben erwähnten Auswahlkriterien ergaben ein Endresultat von 97 Treffern.
Eine weitere Recherche in derselben Datenbank mit der Eingabe im Thesaurus von Risk als Major Concept verbunden über OR Risk Taking, Risk Behavior und den Auswahlkriterien ergaben nach einem weiteren Auswahlkriterium der Klassifizierung Personality Traits und Process 210 Treffer. Es erfolgte eine erneute Eingrenzung des Zeitraumes der Veröffentlichung von 2007 bis 2015 und einer Altersbeschränkung von älter als 18 Jahren. Insgesamt ergab sich eine Trefferzahl von 11. Eine weitere Teilrecherche mit den Schlagwörtern perceived costs and benefits, Personality, Risk Behavior verbunden über AND mit den o.g. Auswahlkriterien ergab eine Trefferanzahl von 64.
In der Datenbank Psychological and Behavioral Sciences Collection® ergaben eine Kombination der Schlagwörter Traits und Risk Taking über AND und den üblichen oben erwähnten Auswahlkriterien eine Trefferzahl von 50.
Eine Teilrecherche in PSYNDEX ergab bei der Eingabe von Personality im Thesaurus verbunden mit OR Five-Factor-Model und einem Erscheinungsjahr von 2007 bis 2015 eine Trefferzahl von 741. Eine sich anschließende Eingabe von Risk Taking Behavior verbunden über AND ergab eine Endtrefferzahl von 10. Weitere hier nicht mehr erwähnte Kombinationen ergaben letztendlich nur noch redundante Ergebnisse.
Nach Prüfung der Auswahlkriterien wurden 30 Primärstudien zur Überprüfung der aufgestellten Hypothesen ausgesucht. Insgesamt wurden 30224 Probanden im Alter von 12 bis 90 Jahren untersucht. Die meisten Studien hatten Teilnehmer im jungen Erwachsenenalter. Zehn Studien wurden in den USA, vier Studien in Kanada, jeweils drei in England und Norwegen, jeweils zwei Studien in Australien und Israel und jeweils eine in Deutschland, Österreich, der Türkei, der Schweiz, Italien und den Niederlanden erhoben. Die Auflistung der ausgewählten Studien erfolgt chronologisch von 1999 bis 2015 und ist in Tabelle 3 im Anhang einzusehen. Im Literaturverzeichnis sind die einbezogenen Studien durch * gekennzeichnet.
Im Folgenden werden die 30 ausgewählten Studien im Hinblick auf die Forschungsfragen und Hypothesen dargestellt. Ergebnisse der Studien, die für dieses Review irrelevant sind, werden nicht berichtet. Zur Untersuchung und eventuellen Bestätigung der 1. und 2. Hypothese wurden 18 identische Primärstudien herangezogen, die beide Variablen Extraversion und Gewissenhaftigkeit untersuchten. Zusätzliche weitere 5 Studien untersuchten nur die Variable Gewissenhaftigkeit und weitere 5 Studien bezogen sich nur auf Extraversion. Zur Bestätigung der 3. und 4. Mediationshypothesen konnten nur zwei relevante Primärstudien recherchiert werden.
Die meisten Studien benutzten für ihre deskriptive und explorative Datenanalysen Korrelations- und Regressionsanalysen. Studien mit inferenzstatistischen Auswertungen benutzten F -Tests (Analysis of Variance, ANOVA) und t -Tests. Eine Studie wertete Daten anhand einer Clusteranalyse aus.
Wie bereits unter Ziffer 4 erwähnt werden im Folgenden zuerst die 5 Studien ausgewertet, die Extraversion im Zusammenhang mit Risikoverhalten untersuchten.
Hypothese 1: Es gibt einen positiven Zusammenhang zwischen Extraversion und Risikoverhalten
Eine Studie aus Italien von Lauriola und Levin (2001) untersuchte den Zusammenhang zwischen den fünf Persönlichkeitsfaktoren Big Five und Risk-Taking Behavior. Das Besondere an dieser Studie war der Versuch, diesen Zusammenhang durch eine Kombination von Forschungsansätzen der Persönlichkeitsforschung und der psychologischen Entscheidungsforschung zu untersuchen, was sich auch im Forschungsdesign bemerkbar machte. Eine Hypothese dieser Studie lautete, dass Extraversion einen positiven Zusammenhang mit Risikoverhalten bzw. mit Risk Taking hat. Zusätzlich wurden mögliche unterschiedliche Effekte von Persönlichkeitseigenschaften auf Risikoverhalten bzw. Risk Taking im Kontext des Gewinns und Verlusts erforscht. Versuchsteilnehmer mit N = 76 wurden in annähernd drei gleich große Alters-Gruppen von 21-40, 41-60 und 61-80 Jahren eingeteilt. Unterschiedliche Bildungsabschlüsse als konfundierende Variable wurden durch einen einheitlichen Bildungsstand der Probanden eliminiert. Mit einer Short Adjective Checklist (SACBIF; Perugini & Leone, 1996), die 50 Adjektive enthält, wurden die Big Five auf einer Fünf-Punkte-Likert-Skala erhoben. In einer anschließenden Hauptkomponentenanalyse wurden fünf Hauptfaktoren extrahiert, die der italienischen Version der Big Five entsprach. Die Operationalisierung und Messung der Variable Risk Taking bzw. Risikoverhalten wurde über ein Forced Choice -Verfahren erhoben. Die Probanden mussten sich in 60 zufällig verteilten risikoreichen Entscheidungssituationen entscheiden zwischen zwei alternativen Verträgen, nämlich dem sicheren Vertrag mit einem sicheren Gewinn oder einem sicheren Verlust und dem risikoreichen Vertrag mit einem potentiellen Gewinn oder potentiellen Verlust. Wichtig dabei war, dass die Teilnehmer sich spontan und ohne irgendwelche Berechnungen entscheiden sollten. Der risikoreiche Vertrag wurde entsprechend einem mehrfaktoriellen 2x6x5 Design konzipiert. Der Faktor „Ergebnis“ wurde variiert in Gewinne und Verluste. Der erwartete Wert wurde in sechs Stufen von 0.5 bis 50.000 eingeteilt und die Wahrscheinlichkeit in fünf Stufen (2%, 25%, 50%, 75% und 98%). Korrelationen zwischen Risk Taking bzw. Risikoverhalten und jeweils Gewinn oder Verlust ergaben einen r = - .01. Damit wurden die Autoren dieser Studie in ihrer Annahme bestätigt, dass Risk Taking im Kontext des Gewinnens oder der Verlustvermeidung jeweils als unabhängiges Verhalten untersucht werden kann. In einer Korrelationsanalyse zeigte sich ein nicht signifikant positiver Zusammenhang zwischen Extraversion und Risk Taking bzw. Risikoverhalten mit der Variable sicherer Gewinn mit r = .12. Ergebnisse einer Regressionsanalyse im Kontext des Risikoverhaltens zum Erreichen eines Gewinns ergaben für die Variable Extraversion keine signifikanten Werte. Eine Regression im Kontext des Verhaltens der Verlustvermeidung ergab ebenfalls keine signifikanten Werte für Extraversion.
Eine weitere Studie, veröffentlicht im Journal of Consumer Behavior von Balabanis (2001) untersuchte vor dem Hintergrund der Einführung der ersten nationalen britischen Lotterie den Zusammenhang zwischen Persönlichkeit und dem Kaufverhalten von Lotterielosen und sogenannten Rubbellosen. Der Kauf eines Loses beinhaltet ein risikoreiches Entscheidungsverhalten in Hinblick auf eine gewisse Wahrscheinlichkeit viel Geld zu gewinnen oder zu verlieren. Eine Haupthypothese dieser Studie nahm an, dass Extraversion positiv korreliert mit dem Kauf von Lotterietickets und Rubbellosen. Eine weitere Hypothese vermutete, dass Extraversion positiv korreliert mit einem zwanghaften Kauf dieser Lose. Zur Begründung wurde angeführt, dass Personen mit hohen Werten in Extraversion und implizit geringer Selbstkontrolle und Impulsivität ein zwanghaftes Kaufverhalten zeigen (Rock, 1987; zitiert nach Balabanis, 2001). In dieser Fragebogen-Studie mit einer Stichprobe mit N = 196 Studenten der City University von London wurden die Variablen Persönlichkeit, Zwanghaftigkeit, Lotterie- und Loskarten-Kauf sowie andere risikoreiche Verhalten wie Alkohol- und Zigarettenkonsum erhoben. Als Antwortmöglichkeit konnten beim Kauf die Menge und die Häufigkeit (per Woche, Monat oder Jahr) gewählt werden. Die Häufigkeit des Alkoholkonsums verlief analog des Kaufs, der Alkoholkonsum an sich wurde in hier nicht näher spezifizierte drei Kategorien unterteilt. Auf einer Sieben-Punkte-Skala von „niemals Rauchen“ bis „sehr starker Raucher“ wurde der Zigarettenkonsum gemessen. Die unabhängige Variable Persönlichkeit wurde operationalisiert über die Neun-Punkte Bipolaren Marker (Goldberg, 1992), die 35 Erklärungen, getrennt in die fünf Persönlichkeitsfaktoren beinhaltet. Eine konfirmatorische Faktorenanalyse ergab nach der Wegnahme von drei Items für das Skalenmodell für Extraversion einen annehmbaren Fit mit einem nicht signifikanten χ² (2) = .877, p = .645 und einem RMSEA (Root-Mean-Square-Error of Approximation) von .0002. Bei den anderen vier Dimensionen wurden ebenfalls Modifikationen vorgenommen. Ein abschließendes Pfadanalyse-Modell ergab einen nicht signifikanten Modelltest mit χ²(10) = 14.571, p = .148 und einem annehmbaren Modell-Fit von RMSEA von .047 und einem GFI (Goodness-of-Fit-Index) von .982. Die Variable Extraversion hatte einen indirekten signifikant positiven Einfluss auf den Kauf von Lotterie-und Rubbellosen mit jeweils β = .16 und β = .21, p ≤ .05.
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