Magisterarbeit, 2006
127 Seiten, Note: 1,3
O. Einleitung
I. Theoretischer Überblick
1. Integration – Sprache – Dialekt
1.1 Strukturelle und individuelle Integration
1.2 Grundlegende Funktionen und Bedeutungen der Sprache
1.2.1 Sprache symbolisiert die ‚Welt’
1.2.2 Identität und Sprache
1.2.3 Soziale Kategorisierung durch Sprache
1.3 Zusammenhang von Sprecher – Interaktion – Gesellschaft
1.3.1 Spracheinstellungen
2. Bedeutungen und Funktionen des Dialekts
3. Forscherfragen
II. Methoden und Auswertung
1. Methodendiskussion
1.1 Auswahl des Feldes
1.2 Feldzugang
1.3 Methoden
1.3.1 Teilnehmende Beobachtung
1.3.2 Leitfadeninterviews
1.3.3 Interviewsituation
1.3.4 Matched-guise Technik
1.3.5 Semantisches Differential
1.4 Probleme und Kritik an den Methoden
2. Vorgehen in der Datenauswertung und Interpretation
III. Das individuelle Varietäten- und Sprachenspektrum
1. Ziel und Vorgehen
1.1 Modell der Varietätendimensionen
1.2. Kurzbiografien
1.2.1 Gemeinsamkeiten der Kurzbiografien
1.3. Das Varietätenspektrum
1.4. Definition des Schwäbischen
2. Sprachanalyse
2.1. Fallbeispiel Tan, Sibel und Sara
2.1.1 Varietäten in der Abfragesituation
2.1.2 Varietäten in der Interviewsituation
2.1.3 Varietäten in der Gesprächssituation
2.2 Das individuelle Varietätenspektrum
2.3. Sprachtypen
2.3.1 ‚Spontan-authentische Schwäbisch-SprecherInnen’
2.3.2 ‚Hin und her wechselnde – regionale Schwäbisch-SprecherInnen’
2.3.3 ‚Zitierend-ironischer Schwäbisch-Sprecher’
2.3.4 ‚Ab und zu – ‚pure’ Schwäbisch-SprecherInnen’
2.3.5 ‚Nicht wollen – nicht können Schwäbisch-SprecherInnen’
3. Fazit
IV. Soziokulturelle Bedeutungen des Schwäbischen
1. Semantisches Differential
1.1. Bedeutungen und Qualitäten des Schwäbischen
1.1.1 Fazit
2. Integrationsqualitäten des Schwäbischen / Integrationskontext
2.1 Ergebnis des Semantischen Differentials
2.2 Freundschaften in der Kindheit und Jugend
2.3 Wohnsituation und ‚Heimat’
2.4 Religion und Partnerwahl
2.5 Fazit
3.Nutzen des Schwäbischen im Integrationsprozess
3.1 Fazit
V. Funktionen des Schwäbischen in der Sprachpraxis
1. Bedeutung des Codewechsels
1.1 Funktion des Schwäbischen am Telefon
1.2 Funktion des Schwäbischen im Zitat
1.3 Fazit
VI. Kategorisierungsprozess durch das Schwäbische
1.1 Schwäbisch als ‚soziokulturelles’ Signal
1.2 Aufnahmen
1.3 Zugang zum Feld
1.4 Auswertungsverfahren
1.5 Einschätzung der Sprachkenntnisse
1.5.1 Ergebnisse des Fragebogens
1.5.2 Ergebnisse des Semantischen Differentials
VII. Fazit
VIII. Literaturliste
IX. Anhang
„Heimat hat unbedingt mit Sprache zu tun. Und mit Dialekt. Hochdeutsch ist zwar praktisch, hat aber keinen Gefühlswert. Wir machen uns gern lustig über Mundart, unterschätzen aber immer den Herzenswert des Dialekts.“ (Mario Adorf )
Dieses Zitat aus der Zeitschrift „Stern“ (Nr.51, 2004) erschien als eine der Antworten auf die Frage „Was ist Heimat?“ Für den Schauspieler Maria Adorf symbolisiert der Dialekt ‚Heimat’ und ‚Gefühlswert’. Interessant wird dieser Bezug von – Heimat und Dialekt – vor allem dann, wenn er als Zweit- oder Drittsprache erworben wird, wie das bei der größten Einwanderungsgruppe Deutschlands, den Türken der Fall ist. Mit Blick auf das Bundesland Baden-Württemberg steht der schwäbische Dialekt als Synonym für Alltagssprache. Ob breit oder nur in einzelnen Wendungen, das Schwäbische ist vielerorts hörbar und deshalb wichtig um sich mit der einheimischen Bevölkerungsgruppe zu verständigen. Dabei handelt es sich für Menschen mit Migrationshintergrund um mehr als bloße Verständigung, vielmehr soll die Sprache der Mehrheitsgesellschaft zur Integration führen, die ihnen das Gefühl und die reelle Tatsache bietet ein gleichwertiges Mitglied der hiesigen Gesellschaft zu sein.
Mein wissenschaftliches Interesse am Thema – Dialekt und Integration – entwickelte sich durch die Mitarbeit an einem einjährigen Studienprojekt (2002-2003) mit dem Titel „Renaissance des Dialekts?“ am Ludwig-Uhland Institut in Tübingen. In diesem Projekt konnten wir, fünfzehn Studierende unter der Leitung von Eckhart Frahm, feststellen, dass so genannte ‚Ausländer’, selbst wenn sie nur für eine begrenzte Zeit in Baden-Württemberg bleiben, ihren deutschen Sprachkenntnissen schwäbische Elemente hinzufügen. Die InterviewpartnerInnen begründeten das Verwenden des Schwäbischen mit der Vermeidung von Kommunikationsschwierigkeiten und einer positiven Resonanz von Seiten der Schwaben, die darin ihre Integrationsbereitschaft sehen würden. Das Schwäbische hat demnach in alltäglichen Gesprächen nicht nur kommunikative Vorteile, sondern wird im Sinne eines ‚kulturellen Codes’ wahrgenommen. Dieser symbolisiert Zugehörigkeit und verschafft so einen sozialen Zugang zur einheimischen Bevölkerung.
Ein weiterer Anstoß für die Untersuchung entstand aus den aktuellen gesellschaftspolitischen Diskussionen über Sprache und Integration.
Die nahezu alltägliche Präsenz von Integrationsthemen in den Medien hält die Diskussion um Sprache und Integration lebendig. In der meinungsbildenden politischen Talkshow von Sabine Christiansen wurde beispielsweise das Thema diskutiert „Wie kann man aus Ausländern ‚gute Deutsche’ machen?“ (ARD, 28.01.06) Dabei wurde in einer Diskussionsrunde mit politischen und prominenten Vertretern der türkischen wie deutschen Bevölkerungsgruppen die Kenntnis der deutschen Sprache als der wichtigste Integrationsfaktor betont. Gleichzeitig sind auf rein politischer Ebene weitere Integrationsmaßnahmen in Bezug auf Sprache in der Debatte: Deutsch soll als alleinige Sprache in der Schule gelten. Deutschkenntnisse sollen getestet werden und im Extremfall darüber entscheiden, ob die ZuwanderIn bleiben darf oder nicht (Vgl. Schwäbisches Tagblatt, 02.02.06). Auch in Leserbriefen der regionalen Presse spiegeln sich gesellschaftliche Meinungen zum Thema wider. So schreibt eine empörte Mitbürgerin als Reaktion auf das Thema: „Ausländerkinder im Nachteil“, dass daran vor allem die schlechten Sprachkenntnisse der Eltern an diesen Nachteilen schuld sind und die Eltern aus diesem Grund endlich Deutsch lernen sollten (Vgl. Schwäbisches Tagblatt, 21.06.04). Ein weiterer Leserbriefschreiber sieht im Gebrauch und Beibehalten der türkischen Sprache eine bewusste Abschottungsstrategie vor der „freien, fremden, westlichen und christlichen Kultur“ (Schwäbisches Tagblatt, 21.06.04). Es besteht also von Seiten der deutschen Gesellschaft eine Forderung an die MigrantInnen, die deutsche Sprache zu erlernen und zu verwenden. Nur dadurch haben Kinder mit Migrationshintergrund, der gesellschaftspolitischen Debatte zufolge, Chancen auf einen höheren Schulabschluss und ein erfolgreiches Berufsleben in Deutschland.
Innerhalb dieser Diskussion bleibt meiner Meinung nach die wichtige Frage nach der Funktion der Alltagssprache, denn:
Welche Möglichkeiten einer sozialen und kulturellen Einbindung bieten gute Kenntnisse der regionalen Alltagssprache, in diesem Fall dem Schwäbischen? Kann der Dialekt nicht auch einen Teil dazu beitragen, dass Menschen mit Migrationshintergrund eine stärkere Einbindung, vor allem auf emotionaler Ebene, in die hiesige Gesellschaft erfahren und damit Stereotypen und Vorurteile abgebaut werden?
Diesen Fragen wurde den Erkundungen nach bisher weder von wissenschaftlicher noch von gesellschaftlicher Seite differenziert nachgegangen. Deshalb konzentriert sich die vorliegende Untersuchung auf das Schwäbische als Alltagssprache, als Sprache der Region Württemberg und ganz spezifisch auf seine Bedeutungen und Funktionen aus der Sicht der ‚Deutschlandtürken’. Sie werden schon im Kindergarten oder spätestens in der Schule mit dem Schwäbischen konfrontiert und hören damit täglich eine zusätzliche Sprachform zu dem aus den Medien vermittelten Hochdeutsch und der meist türkischen oder kurdischen Muttersprache. Damit wachsen sie in der schwäbischen Region inmitten einer Sprachenvielfalt, bestehend aus Türkisch, Kurdisch, Schriftdeutsch und Schwäbisch auf. Daraus entwickeln sich viele Fragestellungen wie zum Beispiel eine nach den Einstellungen gegenüber den Schwäbischen oder ganz grundlegend inwiefern das Schwäbische überhaupt als eigene Sprachform beherrscht und verwendet wird. Diesen und weiteren Aspekten wird besonders mit dem Fokus auf die integrative Funktion des Schwäbischen in der vorliegenden Studie empirisch nachgegangen. Die Studie versteht sich als Forschungsvorstoß in einen bisher wenig beschrittenen Weg der empirischen Dialektforschung in Baden-Württemberg. Aus diesem Grund können keine Thesen vorausgesetzt werden, sondern durch die bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnisse werden grundlegende Forschungsfragen und –vorhaben entwickelt, die ergebnisorientiert aufgearbeitet werden.
Das gesellschaftliche und wissenschaftliche Interesse am Thema fordert thematisch eine theoretische Darstellung von: den Ebenen der Integration, in der sich eine MigrantIn türkischer Herkunft[1] befindet, der Sprache in abstraktem Sinn und seiner grundlegenden Bedeutung für den Menschen und den wissenschaftlich beschriebenen Bedeutungen und Funktionen des Schwäbischen. Dadurch wird deutlich welche Rolle der Faktor ‚Sprache’ in einem Integrationsprozess spielt und konkreter welche Funktionen und Bedeutungen der Dialekt als Alltagssprache darin einnehmen kann. Die theoretisch fundierten Ausführungen dienen als Interpretationshintergrund für die darauf folgende empirische Untersuchung. Sie wird in den weiteren Kapiteln je nach Untersuchungsperspektive präzisiert.
Der dargestellte theoretische Hintergrund führt ebenso zur Herleitung und Begründung der Forschungsfragen, die eine leitende Funktion haben.
Der verwendete Integrationsbegriff umfasst die Einbindung von Menschen türkischer Herkunft in das deutsche Gesellschaftssystem. Dieser Integrationsprozess spielt sich auf zwei Ebenen ab: einer strukturellen und einer individuellen. Um die Ebenen genauer zu beschreiben, werden die Definitionen einer neueren Arbeit zur Integration verwendet „Im Kampf um Zugehörigkeit und Anerkennung“ (2004) von der Sozialwissenschaftlerin Christine Riegel.
Laut ihrer Begrifflichkeit bezieht sich der Terminus ‚strukturelle Integration’ hauptsächlich auf den politischen, rechtlichen und ökonomischen Status
der Person (Vgl. Riegel 2004: 67). Die ‚individuelle Integration’ betrifft den Eingliederungsprozess des Einzelnen, also „die individuelle Aneignung von gesellschaftlich und sozial relevanten Kompetenzen, wie z.B. Sprache, kulturelle Regeln, Normen und Qualifikationen“ (ebd.: 57f.). Sie fächert diese Ebene noch detaillierter auf in eine kulturelle, soziale und identifikatorische Integration (Vgl. ebd.: 67). Die ‚ kulturelle Integration’ bezieht sie auf die (individuellen) Kompetenzen für die Teilnahme und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben (Vgl. ebd.: 67). Für die vorliegende Studie wird ergänzt was unter ‚kulturell’, beziehungsweise ‚Kultur’ zu verstehen ist. Die Termini spiegeln das Kulturverständnis der Cultur Studies wider: Kultur ist darin beschrieben als
„die besondere oder distinktive Lebensweise dieser [/einer sozialen] Gruppe oder Klasse, die Bedeutungen, Werte und Ideen, wie sie sich in den Institutionen, in den gesellschaftlichen Bedeutungen, in Glaubensystemen, in Sitten und Gebräuchen, in Gebrauch der Objekte und im immateriellen Leben verkörpern.“ (Clarke 1981: 41)
In diesem Sinne meint ‚Kultur’ beziehungsweise ‚kulturell’ ein sozial verknüpftes Bedeutungssystem innerhalb einer bestimmten sozialen Gruppe[2]. Laut dem Ethnologen Dieter Haller ist unter ‚kultureller Integration’ „das Annehmen oder Ablehnen eines kulturellen Habitus, kulturelle[r] Werte, Regeln und Normen“ (Haller 2005: 29) gemeint. Den Begriff ‚kultureller Habitus’[3] erklärt der europäische Ethnologe Wolfgang Kaschuba: In seinem Verständnis sieht er darin die Praxis der kulturellen Regelkenntnis deren Deutung, Neuinterpretation und Umdeutung von Mitgliedern einer sozialen Gruppe (Vgl. Kaschuba 2003: 155). Dieser drückt sich auch im Reden, welches als eine soziale Handlung verstanden wird, aus und schafft soziale Identität (Vgl. Kaschuba 2003: 156). Die ‚ soziale Integration’ bezieht sich laut Riegel „auf den Zugang zu Primärgruppen der Aufnahmegesellschaft, d.h. ihrer Beteiligung an privaten und sozialen Aktivitäten von Mitgliedern der Mehrheitsgesellschaft bzw. ihrer Wertschätzung, Akzeptanz und Anerkennung durch die Aufnahmegesellschaft“ (Riegel 2004: 67). Der Begriff ‚sozial’ unterscheidet sich innerhalb der Untersuchung insofern vom Begriff ‚kulturell’, als er vor allem die „Gesamtheit des zwischenmenschlichen Geschehens“ (Bellebaum 1994: 17) bezeichnet, also jede Form der sozialen Beziehung. Weiter definiert Riegel die ‚identifikatorische Integration’ als „das subjektive Zugehörigkeitsgefühl, das durch interkulturelle Kontakte und Einwanderung (neu) konstituiert wird“ (Riegel 2004: 67). Der Terminus ‚identifikatorisch’ wird ergänzt durch Aussagen der Migrationssoziologen Hartmut Esser und Jürgen Friedrichs. Sie verstehen darunter die Identifikation mit einer anderen Gesellschaftsform als „Prozeß der Internalisierung von Normen und Werten“ (Esser/Friedrichs 1990: 14), aus denen neue Identitätskonstruktionen entstehen. Der Identifikationsvorgang steht damit in Verbindung mit den jeweils verwendeten Sprachen, die zur Mitkonstruktion von Identität führen (Vgl. Eßer 1983: 113ff.) Im wissenschaftlichen Zusammenhang von Sprache und Integration wird in dieser Untersuchung nicht eingeordnet, in welchem Integrationszustand[4] sich der Einzelne befindet, sondern es wird mit einem vielschichtigen Integrationsbegriff gearbeitet, der die verschiedenen Inklusions- und Exklusionsstrategien der MigrantInnen erfassen kann. Dazu gehört auch die grundlegende Annahme, dass MigrantInnen der zweiten Generation ambivalente Strategien für die individuelle Integration entwickelt haben. Diesen Ansatz führt die Erziehungswissenschaftlerin Marion Gemende in ihrer Arbeit über „Interkulturelle Zwischenwelten“ (1994) weiter aus. Ihre Forschungsperspektive versteht sich als eine, „die das ‚Zwischenkategorieale - das Ambivalente, […] das zugleich Hier-und-dort-Sein’“ (Gemende nach Beck 2002: 2) als Basis annimmt und so der Linearitätsannahme eines ‚Entweder-Oder’ aus dem Weg geht (Vgl. ebd.: 2).
Mit der Übernahme dieses Ansatzes ist theoretische Vorraussetzung und Begrifflichkeit geschaffen, um in dieser empirischen Studie den Integrationsprozess eines einzelnen Menschen mit seinen Widersprüchen zu beschreiben und zu deuten.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Sprache der Aufnahmegesellschaft sowie deren Aneignung und Gebrauch auf beiden Integrationsebenen relevant ist. Einerseits steht sie in einem politisch-institutionell strukturierten Kontext, der sich durch Angebote wie: Sprachförderung in der Schule, Sprachkurse für Mütter oder Sprachtests für die Einbürgerung äußert. Andererseits zählen Sprachkenntnisse primär zur individuellen Integration, denn trotz der strukturellen Vorraussetzungen, ist das Zusammenspiel von individuellen sozialen, wie kulturellen Faktoren dafür verantwortlich, wie, wo, wann und mit wem die MigrantInnen die Zweitsprache mit ihren Varianten benutzen.
In diesem vielschichtigen Integrationsprozess wird nun das Forschungsinteresse auf das Schwäbische gerichtet, das sich durch seine alltägliche Präsenz im süddeutschen Raum als sprachliche Integrationsstrategie zu eignen scheint. Um nun die Funktionen und Bedeutungen der Sprache innerhalb des Integrationsprozesses zu verdeutlichen, werden zwei soziale Gruppen unterschieden: die MigrantInnen türkischer Herkunft und die autochthonen[5] Schwaben[6]. Durch die vorgenommene Differenzierung zwischen den beiden Gruppen, werden Kategorisierungsprozesse zwischen diesen sichtbar, die mit Fokus auf das Schwäbische gedeutet werden. Dabei verfolgt die Studie kein assimilatorisches Integrationsziel[7], sondern ich nehme als empirische Kulturwissenschaftlerin eine beschreibende und deutende Perspektive ein[8].
Mit dem dargestellten Integrationskonzept als Grundlage ist es möglich selbst gewählte Integrations- und Bewältigungsmuster (Vgl. Riegel 2004: 65) mittels des Schwäbischen zu erfassen und einem ethnischen Zuordnungsprozess[9] aus dem Weg zu gehen. Zusätzlich zeigen die empirisch beschreibbaren Integrationsstrategien, welche Bedeutungen das Schwäbische im Integrationsprozess für die MigrantInnen hat und wie sich dadurch Zugehörigkeit und Abgrenzung der MigrantInnen zur Mehrheitsgesellschaft äußert.
Durch Worte symbolisiert der Mensch die Alltagswelt, Gegenstände, Erfahrungen, die gesamte gesellschaftliche Wirklichkeit. Nach den Soziologen Peter L. Berger und Thomas Luckmann, die grundlegende Prinzipien zu gesellschaftlichen Wirklichkeitskonstruktionen aufgedeckt haben[10], trägt Sprechen, verstanden als soziales Handeln, in höchstem Maße zum Verständnis und zur Konstruktion der Wirklichkeit bei.
„Die allgemeinen und gemeinsamen Objektivationen der Alltagswelt behaupten sich im Wesentlichen durch ihre Versprachlichung. Vor allem anderen ist die Alltagswelt Leben mit und mittels der Sprache, die ich mit den Mitmenschen gemein habe. Das Verständnis des Phänomens Sprache ist also entscheidend für das Verständnis der Wirklichkeit der Alltagswelt.“ (Berger/Luckmann 1999: 39)
Diese objektivierten Symbolisierungen werden in der Sprache gespeichert, was unter anderem durch Typisierungen geschieht. Beispielsweise kann der Ärger über die Schwiegermutter mit Hilfe der Typisierung ‚die böse Schwiegermutter’ ausgedrückt werden (Vgl. Miebach 1991: 266f.).
Innerhalb einer Kultur- und Sprachgemeinschaft gibt es einen Konsens über diese Typisierungen, durch welche der Hörer die Aussage einordnen kann. Rein informativ, ohne den kulturellen Wissenskontext zu kennen, kann es hier vor allem für MigrantInnen mit wenig Sprachkenntnissen zu Verständigungsproblemen kommen, die mit der Symbolik des Wortes zu tun haben. Um nun zu erkennen, welche Bedeutung der Dialekt für die ProbandInnen innerhalb des Integrationsprozesses hat, ist es wichtig zu untersuchen, mit welchen Sprachformen beziehungsweise Varietäten[11] sie die Welt symbolisieren. Benutzen sie innerhalb des Deutschen verschiedene Varietäten? Welche Variationsmöglichkeiten besitzen und benutzen sie? Wann kommt die Muttersprache zum Einsatz, welche Stellung und Bedeutung hat sie für die ProbandInnen?
Durch die Funktion der Sprache die Welt zu ordnen, verfügt der Mensch über ein „System von kognitiven Werkzeugen“ (Eßer 1983: 113), mit denen er sozial agieren kann. Damit wird Sprache zu einem wesentlichen Mittel sich in der Gesellschaft zu vororten und damit die eigene Identität[12] zu festigen.
In den täglichen Interaktionen stabilisiert und bildet sich die Ich-Identität „mit Hilfe des intersubjektiven Symbolsystems der Sprache“ (Eßer 1983: 115) wechselseitig zur Wir-Identität[13].
Dadurch kommt es zu einem Prozess der „Vergesellschaftung des Menschen“, der zugleich „die Genese der Ich-Identität ist und die Eingliederung des Individuum in einen bestimmten soziokulturellen Kontext“ (Ebd.: 115) gelingen lässt. Die Grundlage für das Symbolsystem der Sprache bildet laut dem Psychologen Atabay Ilhami die primäre Sozialisationsphase in der die Muttersprache erworben wird.
„Die in der weiteren gemeinsamen Welterschließung gemachten Erfahrungen und Erlebnisse werden nun mit den jeweils von der Umgebung des Kindes angebotenen sprachlichen Bedeutungen verknüpft. Insofern erhält die jeweilige Erstsprache des Kindes einen besonderen Stellenwert für seine weitere Entwicklung.“ (Atabay nach Auernheimer 2001: 53)
Die Muttersprache trägt damit stark zur Herausbildung und Stabilisierung der individuellen Identität des Kindes und zur Übernahme und Kenntnis von kulturellen Werten und Normen der familiären Kultur- und Denkmuster bei (Vgl. ebd.: 54).
„Bereits in der frühen Kindheit teilen sich dem Kind über die gemeinsame Tätigkeit und durch die Kommunikation mit den Bezugspersonen gleichsam ‚szenisch’ kulturelle Wertungen mit. Die Sprache, mit der das Kind später seine Erfahrungen kodiert, transportiert zusätzlich gesellschaftliche Wahrnehmungs- Denkweisen und Wertungen.“ (Atabay nach Auernheimer 2001: 29)
So besitzt Sprache einerseits die Funktion eines gesellschaftlichen Bedeutungsspeichers kultureller Systeme, andererseits dient sie zur „täglichen Herstellung und Widererneuerung der kulturellen Identität“ (Ebd.: 55) des Einzelnen. Die zweite Generation der türkischen MigrantInnen war innerhalb der sekundären Sozialisationsphase, die durch den Eintritt in den Kindergarten gekennzeichnet ist, ‚gezwungen’ eine neue Sprache erwerben. Zunächst erfuhren die Betroffenen dabei den Moment der Sprachlosigkeit. Ihre Herkunftssprache, die ihnen bisher zur Ordnung der Welt verholfen hat, erfährt eine „Entwertung und Regression“ (Ammon 1987: 1567) und verliert für die SprecherIn an Handlungswert. Denn das schon bekannte sprachliche ‚Werkzeug’ ist in dieser neuen Sprachwelt nutzlos und kann nur noch auf die Verwandten und Bekannten mit derselben Muttersprache angewandt werden. Durch den Zweit- oder Drittsprachenerwerb, als kulturelles Material, kommt es zu einem Transformationsprozess, der die bestehenden sprachlich inhärenten kulturellen Muster erweitert und neu bewertet (Vgl. Kalpaka 1986: 24).
In dieser wichtigen Phase für die Integration ist es bedeutsam, welche Beziehungen und Freundschaften das Kind pflegt und damit „welche Identitätszuschreibungen von Seiten der Interaktionspartner“ (Ilhami 2001: 53) stattfinden. Je nach wiederkehrenden alltäglichen Kontaktsituationen werden sich die kulturellen und symbolischen Bedeutungen der verschiedenen Sprachformen festigen oder weiter entwickeln und damit zu einem bestimmten Sprachverhalten führen (Vgl. Keim 2002: 234). Durch diesen hergeleiteten Zusammenhang von Identität und Sprache gilt in der Studie die Annahme, dass in der Verwendung des Dialekts auch kulturelle Inhalte vermittelt werden, die zur Identifikation oder Abgrenzung von Seiten der MigrantInnen führen und der Dialekt innerhalb des Integrationsprozesses eine identitätsstiftende Funktion erfüllt.
Eine weitere wichtige Funktion der Sprache ist die Möglichkeit einzelne Menschen, aber auch größere Gruppen, durch ihren Sprachgebrauch sozial einzuordnen. In einer Interaktion mit einem zunächst Unbekannten wird laut den Sozialspsychologen Henri Tajfel und Joseph P. Forgas, in sehr kurzer Zeit ein sozialer Kategorisierungsprozess in Gang gesetzt. Die Kategorisierung entwickelt sich durch mehrere Faktoren:
„We only have to look as far as the first street corner where long hair, a police uniform or skin colour warrant quick assignement to a category from which further inferences can then be drawn“. (Hausendorf nach Tajfel/Forgas 2000: 6)
Das Aussehen, die Kleidung, die Hautfarbe all diese Merkmale setzen einen Kategorisierungsprozess in Gang, dessen Ziel eine Zuordnung der Person zu einer oder mehreren sozialen Gruppen ist (Vgl. Hausendorf 2000: 4). Für die „Etablierung“ und „Organisation von Zugehörigkeit“ (Ebd.: 4) zu einer sozialen Gruppe stehen unzählige Kategorien bereit, die kommunikativ geäußert und festgeschrieben werden. Mit der Zuordnung zu einer sozialen Gruppe gehen weitere Zuschreibungen und Bewertungen einher.
Um eine Gruppe zu definieren werden bestimmte Eigenschaften und Verhaltensweisen verknüpft, die im Kategorisierungsprozess auch auf das Individuum übertragen werden (Vgl. ebd.: 5).
Das wichtigste Kategorisierungsmittel in der Interaktion ist die Sprache selbst, beziehungsweise der jeweilige „kommunikative soziale Stil“ (Kallmeyer/Keim 2003: 37). Der Begriff ‚kommunikativer sozialer Stil’ geht auf Untersuchungen der Linguisten Werner Kallmeyer und Inken Keim, zurück, die innerhalb der interaktionalen Linguistik[14] das Konzept des ‚Stils’[15] weiter entwickelt haben. Die Ergänzungen ‚kommunikativ-sozial’ verdeutlichen das Hineinnehmen der sozialen Position der Person, aber auch der momentanen Gesprächssituation.
„[Ein] ‚kommunikativer sozialer Stil’ ist dadurch definiert, dass die Stilformen zur sozialen Positionierung des Sprechers entwickelt und eingesetzt werden. Sie sind Mittel der Bildung sozialer Identität, schaffen sozialen Zusammenhalt innerhalb der Bezugswelten und markieren Unterschiede zu Anderen. […] Die Ausprägung von Stil schafft Identitätssymbole, […]. Sozialer Stil bildet das symbolische Kapital (Vgl. Bourdieu 1982) für politische und kulturelle Auseinandersetzungen mit anderen sozialen Gruppierungen und Milieus.“ (Kallmeyer/Keim 2003: 37)
Sie schreiben auch dem Dialekt die genannten Eigenschaften eines Stils: Mittel zur Bildung von sozialer Identität, Herstellen von soziale Positionen, symbolisches Kapital für Auseinandersetzungen mit anderen zu (Vgl. ebd.: 43f.).
Aus diesem Grund wird der Begriff in der vorliegende Untersuchung für das gesprochene Schwäbisch verwendet, da er den sozialen Kategorisierungsprozess durch das Schwäbische ausdrückt. Wichtig ist, dass in jeder Interaktion neben der Sprache auch andere Zuordnungskategorien in den Vordergrund gestellt werden können, doch wird der Fokus darauf gelegt, die gesprochene Sprache zu beobachten und zu deuten. Wie ein Sprecher, sein Sprachstil, die Interaktion und die gesellschaftliche Übereinkunft über die verschiedenen Sprachstile zusammenhängen wird nun durch Überlegungen von Bourdieu und der Soziolinguistin Eva Neuland deutlich gemacht.
Bourdieu sieht, gleich Berger und Luckmann, im Sprechen ein unmittelbares soziales Handeln, welches als Ordnungselement in der Struktur der Gesellschaft mitwirkt. Zusätzlich schreibt er von der Existenz eines ‚sprachlichen Marktes’, der als objektives, ständig wandelbares ‚Gegenüber’ zum persönlichen Sprachgebrauch steht und diesen stark beeinflusst.
„Jeder Sprechakt und allgemeiner jede Handlung ist eine bestimmte Konstellation von Umständen, ein Zusammentreffen unabhängiger Kausalreihen: auf der einen Seite die – gesellschaftlich bestimmten – Dispositionen des sprachlichen Habitus, die eine bestimmte Neigung zum Sprechen und zum Aussprechen bestimmter Dinge einschließen (das Ausdrucksstreben), um eine gewisse Sprachfähigkeit, die als sprachliche Fähigkeit zu unendlicher Erzeugung grammatisch richtiger Diskurse, und, davon nicht zu trennen, als soziale Fähigkeit zur adäquaten Anwendung dieser Kompetenz in einer bestimmten Situation definiert ist; auf der anderen Seite die Strukturen des sprachlichen Marktes, die sich als System spezifischer Sanktionen und Zensurvorgänge durchsetzen.“ (Bourdieu 1990: 11)
Paraphrasiert man die Inhalte des Zitats, kristallisieren sich weitere wesentliche Definitionskriterien für Sprache und Sprechen für die vorliegende Arbeit heraus.
→ Ein Sprechakt ist eine Sozialhandlung, und nur in einem größeren personalen, gesellschaftlich-sozialen und kulturellen Kontext zu interpretieren.
→ Jede Person besitzt ein Sprachvermögen, welches nur als Kompetenz zu bezeichnen ist, wenn sie es auch situationsadäquat anwenden kann. Zudem unterliegt das Sprachrepertoire[16] den Bedingungen der Produktion, das heißt dem gesellschaftlich-sozialen Kontext, in dem sich die SprecherIn bewegt.
→ Es gibt keine homogene Sprache, sondern jede SprecherIn hat einen Stil, einen sprachlichen Habitus, der mit den gesellschaftlichen Dispositionen und der Sprechfähigkeit unauflöslich verbunden ist.
→ Laut Bourdieu existiert ein ‚sprachlicher Markt’, an dem jeder mitwirkt und von dem jeder betroffen ist. Dieser wird vor allem durch gesellschaftliche Distinktionswerte und Sanktionspraxen reguliert. Diese Sanktionspraxen hat Bourdieu an das Beispiel der Beurteilung des Dialekts in Frankreich geknüpft. Der gesellschaftliche ‚Marktwert’ des Dialekts ist laut Bourdieu in Frankreich recht gering. Die Entwicklung der vereinheitlichten französischen Nationalsprache steht im Zusammenhang mit der französischen Revolution. Sie wird zur gültigen Sprache der revolutionären, erneuerten Staatsform, mit einer intellektuellen Regierung, erhoben. Dadurch entwickelt sie sich zur Sprache der Gebildeten. Im Gegenzug dazu fallen die dialektalen Sprachformen in den Stand des ‚patois’ (dt.: verdorbene, unverständliche Sprache) zurück. Der dialektale Sprachgebrauch wird gesellschaftlich negativ gewertet und mit dem Stand der Bauern in Verbindung gebracht, die zu dieser Zeit als Stand mit mangelnder Bildung und politischer Machtlosigkeit gelten. Will man in dieser Epoche gesellschaftlichen Aufstieg, muss man die ‚Sprache der Macht’, also die Hochsprache, beherrschen (Vgl. Bourdieu 1990: 21f.). Der Wert beziehungsweise das Prestige einer Sprache steht und fällt laut diesen Ausführungen mit dem gesellschaftlichen Konsens über eine Varietät.
Die Soziolinguistin Eva Neuland erläutert in ihrer Untersuchung „Sprachgefühl, Spracheinstellung und Sprachbewusststein“ (1993) ergänzend zu Bourdieu, dass der subjektive Faktor der „Spracheinstellung“[17] (Neuland 1993: 727) und die damit verbundene Wertung ein zentrales Steuerungssystem für die Sprachwahl in einer Interaktion ist. So beschreibt sie: „Die Genese von Sprachgefühl vollzieht sich – den Bestimmungsversuchen zufolge – als Aufbau eines Erfahrungswissens, aus Einsicht in sprachliche Zusammenhänge“ (Neuland nach Henne 1993: 726).
Es gibt kollektiv-gesellschaftliche Übereinkünfte aber auch individuelle oder in kleinere Gruppen gefasste Spracheinstellungen.
Die Spracheinstellungen werden von ihr als entwicklungsfähig und von der Situation abhängig charakterisiert (Vgl. ebd.: 728), denn „es [sind] keine konstanten Persönlichkeitseigenschaften, die Verhalten selbstevident determinieren. Vielmehr stellen sie gesellschaftlich vermittelte Produkte sozialer Lernprozesse dar“ (Ebd.: 728). Die von Bourdieu und Neuland aufgezeigten theoretischen Vorüberlegungen werden nun in einem eigens entwickelten Modell dargestellt, welches die Wechselwirkungen von Sprachhandlungen – Spracheinstellungen – gesellschaftlichen Strukturen und Sprecher zeigt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Sprecher - Interaktion Modell
Dieses für die Studie entwickelte Modell soll in den folgenden Untersuchungen als Interpretationsparadigma dienen, da es den Zusammenhang und die Wechselwirkung zwischen den verschiedenen Untersuchungsgebieten verdeutlicht. Des Weiteren wird nun von den allgemeinen Bedeutungen von Sprache übergegangen zu einer Beschreibung des konkreten Untersuchungsgegenstandes, dem Dialekt. Dabei wird in Kürze dargelegt, was in der Linguistik unter einem Dialekt verstanden wird, um dann durch eine diachrone Perspektive das aktuelle Prestige und die Symbolik des Dialekts herzuleiten. Die Ausführung bleibt auf einer allgemeinen Ebene, kann aber vollständig auf das Schwäbische übertragen werden.
Rein sprachwissenschaftlich gesehen sind die Hauptmerkmale des Dialekts[18] im Gegensatz zur Standardsprache folgende: Der Dialekt gilt nur räumlich/regional begrenzt hat aber ein hohes Maß an Ähnlichkeit gegenüber der Standardsprache, wodurch man sich innerhalb von Deutschland ‚meistens’ verstehen kann. Zudem ist er nicht kodifiziert, das heißt nicht standardisiert und als Norm in standardsprachlichen Regelsammlungen, Wörterbücher und Grammatiken festgelegt (Vgl. Bußmann 2002: 162f., vgl. Huesmann 1998: 21; 29). Erweitert und ergänzt wird diese knappe Definition in der vorliegenden Arbeit durch die historisch begründetet Rekonstruktion der Symbolik und des Prestiges des Dialekts und einer funktionalen Bestimmung dessen. So erläutern die Soziolinguisten Klaus Mattheier (1980) und Wolfgang Steinig (1976) unabhängig voneinander, welche unterschiedlichen sozialen und kulturellen Bedeutungen der Dialekt seit dem 14. Jahrhundert in Deutschland erhält (Vgl. Mattheier 1980: 61ff.; Steinig 1976: 21ff.). Um das gegenwärtige Prestige des Dialekts zu begründen, werden ihre Ausführungen zusammenfassend dargestellt.
Schon im 14. und 15. Jahrhundert gibt es Anzeichen einer Dichotomie zwischen einer „feinen/höfischen“ und einer „bäurischen“ (Mattheier 1980: 61) Sprechweise. Doch ausgeprägt und als Mittel der Distinktion tritt die Unterscheidung zwischen Dialekt und Standardsprache erst im 18. und 19. Jahrhundert in Kraft. Sie wird zum Erkennungszeichen für das aufstrebende Bürgertum, welches die literarische Sprache als „Mittel für soziale Anerkennung und sozialen Aufstieg“ (Steinig 1976: 21) erkennt und nutzt. Im 19. Jahrhundert herrscht das Bild – ‚Dialekt als Sprache der Ungebildeten’ – vor. Philipp Wegener, ein Dialektforscher des 19. Jahrhunderts, untersucht diesen Zusammenhang und stellt ihn in konzentrischen Kreisen dar. In seiner Abbildung steht im Mittelpunkt die Schriftsprache. Es folgen die Dialekte der Gebildeten, die der Schriftsprache am nächsten sind. Ein weiterer Kreis zeigt die Dialekte der städtischen Halbgebildeten und der abschließende Kreis illustriert den breiten Dialekt des ländlichen und ‚niederen’ Volkes (Vgl. Mattheier 1980: 62).
Der breite Dialekt ist demnach vor allem mit dem Stand der Bauern verbunden, die zu dieser Zeit von wenig Mobilität und einem geringen Bildungsstand gekennzeichnet waren. Ein anderer Dialektforscher, Paul Kretschmer, beschäftigt sich 40 Jahre später erneut mit dem Zusammenhang von Dialekt und sozial-gesellschaftlichen Bedingungen. Er fügt in seiner Abhandlung eine funktionale Bestimmungen des Dialekts hinzu und erläutert, dass die Hochsprache vor allem als „Verkehrs-, Repräsentations- und Öffentlichkeitssprache“ (Ebd.: 63) fungiert. Gleichzeitig konstatiert er, dass jedoch auch in den Kreisen der ‚Gebildeten’ innerhalb der Familie Dialekt gesprochen wird. Diese Feststellung bezieht Kretschmer vor allem auf den süddeutschen Sprachraum. In Norddeutschland ist der Dialekt gemäß seiner Untersuchung weniger angesehen. In der Weiterentwicklung der Dialektforschung ist demnach ein Abstand zu der These Wegeners – DialektsprecherInnen sind ungebildet – zu erkennen. Kretschmer misst den Funktionen eine höhere Bedeutung bei, unterscheidet jedoch zwischen dem Prestige des Dialekts im Norden und im Süden des Landes. Festzuhalten ist jedoch, dass die gesellschaftlichen Gliederungsfaktoren „Ländlichkeit, Bildungsgrad und Regionalität“ (Mattheier 1980: 64) im Zusammenhang mit der sprachsoziologischen Charakterisierung des Dialekts bis heute bedeutsam sind. Spielt laut Mattheier zwischen 1930 und 1980 vor allem der Faktor ‚Bildung’, in der gesellschaftlichen Beurteilung des Dialekts eine Rolle, so ist es mit zunehmender Mobilität der Faktor ‚Regionalität’. Die Kommunikationsdichte und die regionale Durchmischung hat sich stark erhöht und lässt dadurch den Dialekt mehr und mehr zum Ausdruck bestimmter regional verorteter Bevölkerungsgruppen werden (Vgl. Steinig 1976: 22). Die alte Ortsmundart wird laut Steinig in den 80 Jahren wieder als privilegierter ‚Soziolekt’[19] der Einheimischen gesehen. Sie hat die Funktion der Abgrenzung und symbolisiert damit eine örtliche Identität. Der Rücktritt des Kategorisierungsfaktors ‚Bildung’ lässt sich durch eine zunehmende Sprachkompetenz begründen. So beschreibt der Volkskundler Hermann Bausinger in einem aktuellen Aufsatz über „Dialekt und Moderne“ (2004), dass gegenwärtig „die Leute nicht nur über eine Art des Redens verfügen“, sondern „immer wieder auf dialektale Varianten zurückgreifen“, sich also in einer „Surfbewegung im Raum zwischen Basisdialekt und Standardsprache“ (Bausinger 2004: 16) befinden. Somit „machen sie von einer stilistischen Möglichkeit Gebrauch, die [eine Variante] in dem betreffenden Kontext für geeigneter als andere zu halten“ (Ebd.: 14). Er stellt demzufolge fest, dass die Sprachkompetenz und das Bewusststein über eine adäquate Anwendung dieser Kompetenz innerhalb der heutigen differenzierten komplexen Gesellschaft größer geworden ist. Aus diesem Grund lässt sich gegenwärtig nicht mehr ableiten, ob eine DialektsprecherIn gebildet ist oder nicht. Für Bausinger steht der Dialekt in der heutigen Zeit mehr als Symbol für regionale Zugehörigkeit. Mehr noch – der Dialekt erweckt den Eindruck als „handle [es] sich dabei um eine kontinuierliche Tradition seit Urzeiten […] – das klingt nach einem Erbe, das man sich nicht erschleichen kann, ja das jedem verwehrt ist, der nicht dazu gehört: Man muß dazu geboren und bestimmt sein, oder es bleibt einem verweigert.“ (Bausinger 1981: 25). Der Dialekt fungiert seinen Beobachtungen nach aus gesellschaftlichen Sicht als eine Art ‚Ursprungscode’, der eine ‚regionale Echtheit’ vermittelt und damit tiefere Konnotationen herstellt, als nur regionale Zugehörigkeit. Denn so ist das Etikett ‚Schwabe’ und die Muttersprache ‚Schwäbisch’ nur durch die Herkunft aus der Region zu erlangen und damit für den Rest der Bevölkerung nicht zugänglich.
Meiner Ansicht nach wirkt dieses ‚urtümliche, traditionelle’ Wesen des Dialekts in der Postmoderne opportunistisch. Es gibt in Baden-Württemberg kein Dorf, welches noch in allein ‚einheimischer’ Konstellation vorhanden ist. Doch haben sich aus der historischen Entwicklung über die Symbolik und das Prestige des Dialekts im gesellschaftlich-kulturellen Verständnis zwei Lager von SprecherInnen gebildet, die durch den Gebrauch oder Nicht Gebrauch des Dialekts soziokulturell erkannt und charakterisiert werden.
→ Zum einen das der DialektsprecherInnen: Diese gelten dann, im Falle des Schwäbischen Dialekts, als den Schwaben zugehörig. Sie sind in der als Heimat definierten Region verwurzelt. Sie gelten als echt und natürlich und nehmen den Dialekt als einen Ausdruck ihrer Identität wahr.
→ Zum andern das der Nicht-DialektsprecherInnen: Sie werden von den Schwaben als ‚Zugezogene’ und ‚Reingschmeckte’ bezeichnet und dadurch als ‚Neue’ markiert, die keine ursprüngliche Zugehörigkeit zum Ort und der Region vorweisen können.
Die Markierung fungiert als Abgrenzung, die eine Differenz herstellt und die vor allem am Sprachgebrauch erkannt wird. Diese Differenzierung betrifft sowohl Deutsche aus anderen Regionen, als auch die Mitmenschen aus anderen Ländern. Der Dialekt dient damit, als ‚Realitätsnachweis’ und ‚Echtheitsgarantie’ der lokal-regionalen Zugehörigkeit mit samt seinem kulturellen Erbe. Er spiegelt ein regionales Selbstverständnis wider, welches an das Bewusstsein zu einer sozialen Gruppe zu gehören geknüpft ist (Vgl. Haug/Leonhard 2003: 176). Auf der Ebene der Funktionen wird dem Dialekt eine weitere herausragende Qualität zugesprochen, die sich auf die affektiven und kommunikativen Eigenschaften des Dialekts bezieht. Diese Eigenschaft wurde in dem bereits erwähnten Studienprojekt am Ludwig-Uhland Institut (2003) von den Studentinnen Simone Haug und Nina Kim Leonhard empirisch wie auch theoretisch untersucht und beschrieben. Ihre Nachforschungen über die Funktionen des Dialekts ergaben, dass ihm sowohl von gesellschaftlicher als auch von dialektologischer Seite eine hohe emotionale Qualität zugeschrieben wird. Aus diesem Grund sind „Witz und derbe Sprüche […] schon seit jeher Domänen des Dialekts“ (Haug/Leonhard 2003: 176). Als weitere Kommunikationsqualität des Dialekts gilt, dass sich unangenehme ‚Wahrheiten’ auch über hierarchische Schranken hinweg aussprechen lassen und vom Gesprächspartner, wenn er in den kulturellen Code ‚eingeweiht’ ist, einfacher angenommen werden (Vgl. ebd.: 176). Auch der Dialektforscher Heinrich Löffler bestätigt diese Eigenschaft des Dialekts, eine zusätzliche positive Kommunikationsebene herzustellen. So schafft der Dialekt „eine spontane und engere Beziehung zwischen den Partnern, und versucht den anderen unmittelbar an Gefühlen, Eindrücken oder momentanen Affektlagen teilhaben zu lassen […]“ (Löffler 1994: 158). Demnach haben Dialektsprecher durch die affektiven Qualitäten des Dialekts, die man als Bestandteil des kulturellen Codes ansieht, in den alltäglichen Kommunikationssituationen mehr Möglichkeiten sich auf nonverbaler Ebene mitzuteilen. Denn der Dialekt schöpft aus einem kollektiven, regional geprägten Sprachbewusststein, welches einer Hochdeutsch-SprecherIn nicht zugänglich ist.
Die zusammengetragenen soziokulturellen Bedeutungen, wie kommunikativen Qualitäten des Dialekts stellen seinen besonderen Status gegenüber der Schriftsprache heraus und zeigen, dass er zusätzliche Funktionen erfüllen kann.
Hierbei gilt es dennoch festzuhalten, dass umgekehrt auch die Standardsprache Funktionen und Bedeutungen hat, die dem Dialekt abgehen, aber im Sinne dieser Arbeit nicht mit untersucht werden.
Als Abschluss des theoretischen Diskurses über Integration – Sprache – Dialekt werden die aus den einzelnen Abhandlungen herausgearbeiteten Vorhaben aufgezeigt, die der anschließenden empirischen Untersuchung zu Grunde liegen.
- Innerhalb der Diskussion um Integration in die deutsche Gesellschaft wurde das Sprachvermögen als Vorraussetzung genannt. Aus diesem Grund muss untersucht werden welches Varietäten- und Sprachenspektrum und damit welches Sprachrepertoire die ProbandInnen der Mikrostudie besitzen. Um den aktuellen Sprachgebrauch und die Einstellungen zu den einzelnen Varietäten einschätzen zu können ist der soziale und gesellschaftliche Kontext, in welchem sie das Sprachrepertoire erworben haben und wie sie es nun anwenden zu untersuchen.
- Mit Blick auf die speziellen soziokulturellen Bedeutungen und kommunikativen Funktionen des Schwäbischen gilt es zu prüfen, inwiefern die ProbandInnen türkischer Herkunft diesen Bedeutungskomplex kennen, wie sie ihn selbst bewerten und sich damit gesellschaftlich positionieren.
- Ein Hauptfokus wird dann auf Inklusions- und Exklusionsstrategien der ProbandInnen durch das Schwäbische in verschiedenen Kommunikationssituationen gelegt. Darin sollen Aspekte wie: Spracheinstellungen, ethnische und regionale Selbst- und Fremdbezeichnungen und Zugehörigkeit zur Region und den Schwaben beschrieben und interpretiert werden.
-. Ein letztes Forschungsvorhaben ist die Überprüfung und Analyse von Reaktionen auf Schwäbisch-SprecherInnen mit türkischer Herkunft aus der Sicht der schwäbischen Bevölkerungsgruppe. Dabei wird genauer betrachtet welche sozialen Kategorisierungsprozesse durch die Verwendung unterschiedlicher Varietäten hervorgerufen werden. Die Ergebnisse führen zu einer Einschätzung des Integrationswertes des Schwäbischen für die MigrantInnen.
Die vorliegende Studie sucht gemäß dem Forschungsvorhaben keine allgemeinen, repräsentativen Aussagen zum Schwäbischen und zum Thema Integration, sondern will vielmehr einen Querschnitt der migrantisch geprägten Lebenswelt mit all seinen Zwischentönen mikroanalytisch ausleuchten. Aus diesem Grund eignet sich für diese empirische Untersuchung ein qualitativer Zugang. Der methodische Vorteil der qualitativen gegenüber den quantitativen Methoden ergibt sich durch das Forschungsziel. Die quantitative Analyse folgt dem Forschungsziel allgemeine und vergleichbare Aussagen zum Thema zu finden. Deshalb muss eine Reduktion individueller Einzelheiten zugunsten einer allgemeinen Aussage vollzogen werden. In einer qualitativen Studie jedoch ist es möglich sich an den Forschungsgegenstand ‚anzuschmiegen’, Besonderheiten und Brüche zu entdecken und daraus Interpretationen zu entwickeln, die der Wirklichkeit näher kommen (Vgl. Bausinger 1980: 18ff.). Um nun konkreter über die einzelnen Methoden und Herangehensweisen zu referieren, werden im Folgenden die Auswahlkriterien und der Feldzugang geschildert.
Die Auswahl der Untersuchungsgruppe war durch folgende Überlegungen geleitet: Die Untersuchung befasst sich mit dem Zusammenhang zwischen dem Schwäbischen und dem individuellen Integrationsprozess der ProbandInnen. Deshalb war ein Auswahlkriterium, dass die Personen Schwäbisch sprechen sollten, aber es war von vorne herein nicht notwendig, dass alle dieselben Varietäten sprachen. Denn für einen interessanten Vergleich unter den ProbandInnen waren sprachliche Differenzen erwünscht, nur so konnten alle Facetten des Sprachrepertoires auf seine Bedeutungen und Funktionen hin überprüft werden. So wurden Personen gewählt, die breit und ständig Schwäbisch sprachen und solche, denen nur ab und zu eine dialektale Redewendung über die Lippen kam. Zudem konzentrierte sich die Untersuchung auf die MigrantInnen türkischer Herkunft. Diese Gruppe wurde ausgesucht, weil sie als größte Migrationsgruppe in Deutschland gilt und deshalb in gesellschafts-politischen Diskussionen, vor allem auf Grund von Sprachdefiziten als ständiges Fallbeispiel für Schwierigkeiten in der Integration angeführt wird. Die Überprüfung dieser Behauptung ist also von gesellschaftlicher, politischer und sozialer Relevanz, sowohl für die MigrantInnen als auch für die Aufnahmegesellschaft.
Die Auswahl der ProbandInnen beschränkt sich auf die ‚zweite Generation’, weil in dieser keine sprachlichen Verständnisschwierigkeiten zu erwarten waren. Zudem war das Kriterium der zweiten Generation im Rahmen der Sprachsozialisation von Bedeutung. Die besondere Konstellation der Sozialisationsphasen, die primäre im türkisch-kurdischen Sprachraum, die sekundäre im deutschen, war von Bedeutung, denn der Sprachwechsel führte zu einer Situation der Neuorientierung und möglichen kulturellen Übernahme (Vgl. I: 1.2.2). Gleichzeitig wurde durch die Generationenwahl das Alter der ProbandInnen als vergleichbare Variable reguliert. So sind die ProbandInnen der zweiten Generation ungefähr zwischen 20 bis 40 Jahre alt. Die Variable ‚Geschlecht’ sollte in der Studie in einem ausgeglichenen Verhältnis stehen, was auf Grund der Feldbedingungen zu einem Frauenanteil von 40 Prozent und zu einem Männeranteil von 60 Prozent führte. Aus unterschiedlichen Gründen wurde als primären Feldzugang einen kommunikationsreichen Arbeitsplatz gewählt, den prinzipiell sowohl Schwaben als auch MigrantInnen in Anspruch nehmen konnten. Ein Grund war die Vorannahme, dass im Privaten, vor allem in der Familie verstärkt Türkisch gesprochen wird. Das wichtigste Kriterium bildete die Möglichkeit am Arbeitsplatz alltäglichen Kontaktsituationen mit Schwaben zu beobachten. Durch den Feldzugang am Arbeitsplatz war eine einschränkende Vorauswahl getroffen. So waren beispielsweise keine Arbeitslosen oder Hausfrauen an der Studie beteiligt.
Für ein längeres Projekt in diese Forschungsrichtung wäre es aber notwendig, das Sprachverhalten im Beruf mit dem in anderen Lebensbereichen in Beziehung zu setzen, und auch MigrantInnen, die keinen Beruf ausüben, mit ein zu beziehen.
Um den Forschungsgegenstand anschaulich zu machen, werden das Feld und der Zugang dazu geschildert. Die Kontakte entwickelten sich weniger durch einen ‚Schneeballeffekt’, sondern durch drei verschiedene Mittelspersonen: Nuray, Fatih und Saliha.
Die erste Kontaktaufnahme führte in einen Frisörsalon, deren Inhaberin türkischer Herkunft war. Nach Nachfragen von Seiten der Forscherin erklärte Nuray[20] sich bereit einige Fragen zu beantworten. Diese wurden während der Mittagspause im Kaffeezimmer des Frisörsalons erneut aufgegriffen. Das Interview ergab, dass sie aktiv kein Schwäbisch sprach, doch wurde durch sie die Telefonnummer einer Bekannten vermittelt, die ebenfalls in einem Frisörsalon arbeitete und ihren Angaben nach breit Schwäbisch sprechen würde. Nach zwei Telefonaten wurde die neue Kontaktperson, Semi, für das Anliegen der Studie gewonnen. Ihr anfängliches Misstrauen gegen das Vorhaben legte sich durch die Bezugnahme zur ersten Kontaktperson. So entwickelte sich der Zugang in den Berufsalltag von Semi und Helin, ihrer Kollegin. Zu ihnen entfaltete sich der intensivste Feldkontakt, der auch nach der Untersuchung anhielt.
Der Kontakt zu Fatih ergab sich während eines Aufenthaltes im Krankenhaus. Er erklärte sich spontan bereit ein die Fragen der Interviewerin zu beantworten. Jedoch war er der Meinung, dass es in seiner Firma keine Möglichkeit gäbe, ihn eine Zeit lang zu beobachten. Er verwies auf seinen Schwagers Tan, der wiederum Frisör war. Mittels mehrerer Anrufe konnten schließlich Termine für die Beobachtung im Frisörsalon von Tan erlangt werden. Nach einigen Aufenthalten an seinem Arbeitsplatz, traf man sich für ein Zweitinterview zum Abendessen mit ihm, seiner Frau und einer schwäbischen Arbeitskollegin. Seine Frau Sibel sprach Schwäbisch und war im Laufe des Abends ebenfalls bereit ein Interview durchzuführen. Jedoch lehnte sie Feldforschung an ihrem Arbeitsplatz, dem Finanzamt, ab. Ein weiterer Kontaktzweig ergab sich durch Saliha, eine Akademikerin türkischer Herkunft.
Durch das Forschungsinteresse an der ‚türkischen’ Bevölkerungsgruppe war sie angesprochen und half in Fragen zu kulturellen und sprachlichen Unklarheiten. Dabei erwies sie sich als nötige Expertin für das Feld. Ihr selbst war das Schwäbische nicht geläufig, doch nannte sie etliche Geschäftsleute, zu denen man Kontakt aufnehmen könne.
Eine besondere Erfahrung war an diesen Versuchen der Kontaktaufnahme, dass die Geschäftsleute von sich selbst meinten, dass sie kein Schwäbisch sprächen und sie aus diesem Grund für die Untersuchung nicht geeignet wären. Nach dem Ratschlag von Saliha wurde dann beim Erstkontakt das Interesse ohne den Bezug aufs Schwäbische formuliert, sondern allgemein auf das Sprachverhalten im Geschäftsleben. Durch diese Formulierung wurde der Zugang einfacher und Cem, ein Finanzberater konnte für die Untersuchung gewonnen werden. Nach einigen Telefonaten ergab sich die Möglichkeit in einem beruflichen Beratungsgespräch dabei sein und danach ein Interview mit ihm führen. Durch die beruflichen Umstände in seiner Tätigkeit als Finanz- und Wirtschaftsberater, konnte er nach diesem ersten Treffen kein weiteres arrangieren. Auf Grund einer weiteren Empfehlung von Saliha wurde der Kontakt zu einem Ehepaar, Hasan und Aylin aufgenommen. Das Arbeitsfeld der beiden, der Döner-Imbiss, erwies sich als schwierig um Gesprächsituationen zu beobachten, denn es ergaben sich nur kurze Dialoge. Durch die vielen Kunden, die schon ab 10 Uhr kamen, wurden die Interviews mit ihnen kurz. Es ergab sich auch keine weitere Gelegenheit außerhalb der Geschäftszeiten. Ein weiterer Kontakt entwickelte sich während des ersten Interviews mit Hasan. Während dieses Interviews kam ein Bekannter namens Yasin, anlässlich einer geschäftlichen Angelegenheit, zu Hasan und unterbrach es somit für kurze Zeit. Da Hasan ihn mit: „Kuck mal da isch noch ein Schwabe“ (Hasan I: 8) vorstellte, knüpfte die Interviewerin an diese Bemerkung an und erklärte Yasin das Forschungsvorhaben. Er war sehr unkompliziert und meinte, man könne einfach donnerstags am frühen Abend in seiner Club-Bar vorbei kommen. Daraus ergab sich der letzte Feldkontakt mit drei Interviews und Möglichkeiten der Beobachtung am Arbeitsplatz
[...]
[1] Definition von ‚MigrantInnen türkischer Herkunft’: Diese Bezeichnung stütz sich auf eine zweijährige empirische Untersuchung von Tanjev Schultz und Rosemarie Sackmann über „Kollektive Identitäten“ (2005) Sie gehen mit einem reflexiven Bewusstsein von dem problematischen Begriff ‚kollektive Identität’ davon aus, dass sich unter den türkischen MigrantInnen eine durch wenige Merkmale bestehende Gruppenidentität herausgebildet hat. Diese wird konstruiert durch die Migrationserfahrung, das ‚typische türkischen Verhalten’, positive Orientierung in Bezug auf die deutsche Gesellschaft und eine „Transformation der Muster kollektiver Identität“ (Schultz/Sackmann 2001: 44), die zu symbolischen Ethnizität führen können. Die ‚Kollektivität’ steht unter der Prämisse, dass sich der Einzelne mit mehreren kollektiven Identitäten identifizieren kann, ohne dass daraus ein Widerspruch entstehen muss. So kann man sich gleichzeitig als Rechtsanwältin, Bremerin, Fan eines Sportclubs, Türkin und als Muslimin verstehen (Vgl. Schultz/Sackmann 2001: 41f.).
[2] Definition von ‚sozialer Gruppe’: Eine soziale Gruppe unterscheidet sich von einer anderen indem „die Beteiligten nicht ausschließlich auf ihre eigenen Codes, Konventionen, Einstellungen und Verhaltensformen zurückgreifen, sondern es werden andere Codes, Konventionen, Einstellungen und Alltagsverhaltensweisen erfahren“ (Roth/Roth nach Maletzke 2001: 391).
[3] Der Begriff ‚Habitus’ wurde durch den französischen Soziologen Pierre Bourdieu entwickelt und enthält die Bedeutung von verinnerlichten Strukturen eines „subjektiven, aber nicht individuellen Systems“, die als „Schemata der Wahrnehmung des Denkens und Handelns“ angesehen werden, „die allen Mitgliedern derselben Gruppe oder Klasse gemein sind und die die Voraussetzung jeder Objektivierung […] bilden“ (Bourdieu 1979: 187).
[4] Hierbei kann es sich wissenschaftlich gesehen um Integrationszustände wie „Assimilation, Integration, Separation oder Marginalisierung“ (Riegel 2004: 64) handeln.
[5] Im Weiteren wird ‚autochthon’ für die Bevölkerungsgruppe mit deutsch-schwäbischer Herkunft und ‚allochthon’ für die MigrantInnen und für die nach Südwestdeutschland zugezogenen Deutschen verwendet.
[6] Definition von ‚Schwaben’: Die Gruppe der Schwaben wird primär unter dem Aspekt zusammengefasst, dass das Schwäbische eine Gemeinsamkeit im sozialen Handlungsprozess ist. Dies führt im Sinne von H. Bellebaum zu einem ‚Wir-Gefühl’ der SprecherInnen, die sich dann als Mitglied einer sozialen Gruppe sehen“ (Vgl. Bellebaum 1994: 27).
[7] Ein assimilatorisches Integrationsziel würde bedeuten, dass man von einer kulturellen oder sozialen Differenz ausgehe, die von den MigrantInnen überwunden wird und zu einer vollständigen Anpassung in die Mehrheitsgesellschaft führt.
[8] Als eine Hauptaufgabe der Kulturwissenschaft innerhalb der Interkulturellen Kommunikation sehen Juliana und Klaus Roth „die Beobachtung, Dokumentation, Beschreibung und Interpretation von alltäglichem kommunikativen Verhalten mit dem Ziel, Erklärungen für dessen tiefere Ursachen und Wirkungen zu gewinnen“ (Roth/Roth 2001: 399). Das bedeutet nicht Konzepte für eine bessere Integration aufzustellen, sondern gesellschaftliches Verständnis für die Situation der MigrantInnen zu erwecken.
[9] Im Bereich der Migrationsforschung wird immer wieder kritisiert, dass durch die wissenschaftliche Perspektive kulturelle Differenzen aufzudecken, gleichzeitig ein ‚Defizitdiskurs’ der migratorischen Lebenswelt geführt wird, der nur durch Assimilation auszugleichen wäre. Dieser Diskurs trägt dazu bei, dass es zu einer stärkeren ethnisch-kulturellen Grenzziehung zwischen der Aufnahmegesellschaft und den EinwanderInnen kommt und damit eine unerwünschte Wirkung hat: statt interkulturellem Austausch – Festschreibung von Stereotypen (Vgl. Gemende 2002: 11f.; Vgl. Riegel 2004: 62f.).
[10] Nachzulesen in: „Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit“(1999).
[11] In der Sprachwissenschaft geht man davon aus, dass eine Sprache einen „invariablen Kern“ (Berruto 2004: 189) besitzt, der dazu führt sie als Standardsprache des jeweiligen Landes zu bezeichnen. Doch um diesen Sprachkern herum gibt es verschiedene Sprechweisen, die man wiederum unter bestimmten Merkmalen zusammenfassen kann. Sie sind abhängig von „Ort, Zeit, Sprecher/Schreiber und […] spezifischen sozialen Bedingungen. Auch die Dialekte werden deshalb in all ihren Nuancen als Varietäten bezeichnet (Vgl. Berruto 2004: 188f.).
[12] Unter dem Begriff ‚Identität’ wird in der Arbeit eine „Organisationsinstanz“ (Eßer 1983: 106), ein „menschheitsgeschichtliches Grundmuster“ (Kaschuba 2003: 134) in mitten „eines komplexen Geflechts von Zuschreibungen, Normen und Werten, die je nach gesellschaftlicher Situation variieren“ (Borst 1999: 11) verstanden. Nach Esser und Friedrichs kann man ‚Identität’ auf drei verschiedenen Ebenen betrachten (Vgl. 1990: 14): Die ‚soziale Identität’ oder ‚Wir-Identität’. Sie ist eine Art Mitgliedschaftsdefinition zu verschiedenen sozialen Gruppen. Die ‚personale Identität’, als „spezielle Definition und Bewertung individueller Besonderheiten bei der Mitgliedschaftsdefinition“ (Esser/Friedrichs 1990:14) und die ‚Ich-Identität’, die sich an die Sozialisations- und Handlungstheorie von George Herbert Mead anlehnt. Die ‚Ich-Identität’ ist eine Art von generalisiertem Wissen im Aufbau auf die personale Identität (Vgl. ebd.: 16).
[13] Die ‚Wir-Identität’ wird im Weiteren noch aufgegriffen und in Bezug zu ‚Sprache’ gesetzt. Sie steht vor allem unter dem Aspekt der ‚Zugehörigkeit’, das heißt zu welchen sozialen Gruppen das Individuum sich zuordnet oder zugeordnet wird (Vgl. Hausendorf 2000: 3).
[14] Diese Konzeption ist zudem geprägt durch die Ethnographie der Kommunikation und ihre Konzeption der kulturellen Stile, das heißt sie knüpft an den kultur-soziologischen Ansatz von Bourdieu (1979; 1982) und an die Theorie der Aushandlung sozialer Ordnung in der Nachfolge des symbolischen Interaktionismus (Strauss 1968; Schütze 1987) (Vgl. Kallmeyer/Keim 2003: 35)
[15] Stilistische Merkmale dienen als Einordnungsrahmen. Am Stil kann man eine öffentliche Rede eines Politikers von einem Gespräch mit dem Nachbarn unterscheiden und das Gesprochene angemessen interpretieren (Vgl. Kallmeyer/Keim 2003: 37). In ihrer Untersuchung wird der Stilbegriff jedoch erweitert und vor allem dadurch definiert, dass er sich „als Reaktion auf relevante Probleme des sozialen Lebens entwickelt“ (Kallmeyer/Keim 2003: 35). Er ist also nicht allein rhetorisches Stilmittel.
[16] Definition von ‚Sprachrepertoire’: Der Terminus kommt aus dem soziolinguistischen Bereich und bezieht sich auf die individuell verschiedenen Sprachformen/Varietäten, die eine SprecherIn besitzt, also „die Gesamtheit seiner sprachlichen Möglichkeiten“ (Pütz 2004: 226). So kann man zum Beispiel drei verschiedene Nationalsprachen und darin einige Dialekte und andere Subvarianten beherrschen (Vgl. ebd.: 226f.). Das Sprachrepertoire beinhaltet auch ein ‚Varietätenspektrum’, welches sich in der vorliegenden Arbeit auf das Spektrum innerhalb der deutschen Sprache bezieht und in Kapitel III noch präziser definiert wird.
[17] Spracheinstellungen werden in der Sozialpsychologie als „dauerhafte Wahrnehmungs-, Bewertungs- und Handlungstendenzen gegenüber sozialen Objekten beschrieben“ (Neuland 1993: 727).
[18] Der Dialekt wird auch als Mundart bezeichnet. Da noch keine offiziell gültige wissenschaftliche Unterscheidung zwischen den Begriffen festgelegt wurde (Vgl. Löffler 2003: 1), werden sie synonym verwendet.
[19] Steinig verwendet diesen Begriff, um den Zusammenhang von Sprache und Gesellschaft zu erfassen. Er schreibt: „Sprachliche Varietäten, die sozial bewertet werden, wollen wir als Soziolekte bezeichnen“ (Ebd.: 20).
[20] Alle Namen der ProbandInnen wurden anonymisiert.
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