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Examensarbeit, 2007
93 Seiten, Note: 1
Abkürzungsverzeichnis
1. Einleitung
2. Hitlers Olympiade
2.1. Die Bewerbung
2.2. Die olympische Kehrtwendung der NSDAP
2.3. Alibijuden und US-Boykott
3. Die Inszenierung der Olympischen Spiele von 1936
3.1. Eine perfekte Fassade
3.2. Der Olympische Fackellauf
3.3. Die Olympiaglocke
3.4. Das Reichssportfeld
3.4.1. Langemarckhalle und Glockenturm
3.4.2. Das Olympiastadion
3.4.3. Die Skulpturen des Reichssportfeldes
3.5. Die Eröffnungsfeier
3.6. Das Festspiel „Olympische Jugend“
3.7. Das Olympische Dorf
4. Die Medien-Spiele
4.1. Presse
4.2. Rundfunk
4.3. Fotografie
4.4. Olympia
4.4.1. „Fest der Völker“ - Prolog
4.4.2. „Fest der Schönheit“ - Prolog
4.4.3. Der Marathonlauf
4.4.4. Das Turmspringen
4.4.5. Verschwiegene Erfolge des Rassenfeindes
4.4.6. Dokumentation oder Propagandafilm?
5. Resümee
Anmerkungen
Literaturverzeichnis
Anhang
a. Filmsequenzen „Fest der Völker“
b. Filmsequenzen „Fest der Schönheit“
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Als die Olympischen Spiele 1916 zum ersten Mal in Deutschland stattfinden sollten, fielen diese auf Grund des Ersten Weltkrieges aus. Am 13. Mai 1931 wurden die Olympischen Spiele dann erneut nach Deutschland vergeben. Zu diesem Zeitpunkt konnte allerdings noch niemand vorhersehen, dass die nächsten Olympischen Spiele unter einem diktatorischen Regime stattfinden würden, das nur drei Jahre nach Durchführung dieses Friedensfestes zum Urheber des Zweiten Weltkrieges werden sollte. In der Reihe der Olympischen Spiele der Neuzeit kommt den XI. Olympischen Spielen daher eine besondere Bedeutung zu. Die Spiele von Berlin gelten als Musterbeispiel für den politischen Missbrauch der Olympischen Spiele und des Sports im Allgemeinen. Viele Historiker behaupten, dass die glanzvollen Spiele von 1936 der ganzen Welt ein trügerisches und falsches Bild eines olympischen Friedensfestes vormachten und die kriegerischen Absichten Deutschlands verschleierten. Außerdem sollte durch die perfekte Ausrichtung der Spiele eine positive Beeinflussung der Weltmeinung in Bezug auf Deutschland erreicht werden (vgl. H. Wetzel, 1967, S. 678; H.J. Teichler, 1976, S. 265). Daraus ergibt sich die Frage, ob diese Behauptungen der „Wahrheit“ entsprechen und die Olympischen Spiele von 1936 als großes Täuschungsmanöver angesehen werden können. Diese Frage zu beantworten ist Bestandteil dieser Arbeit.
Mit der wissenschaftlichen Hausarbeit „Funktionen und Methoden der propagandistischen Inszenierung der Olympischen Spiele von 1936“ möchte ich verschiedene Inszenierungen und Maßnahmen der Nationalsozialisten hinsichtlich ihrer Funktion und genaueren Bedeutung für das NS-Regime untersuchen. In erster Linie geht es um die Frage, welche Mittel und Methoden die Nationalsozialisten benutzten, um die Weltöffentlichkeit über ihre (evt.) „wahren“ Absichten hinweg zu täuschen. Außerdem stellt sich die Frage, ob sich diese Maßnahmen überhaupt für Propagandazwecke eigneten. Ferner muss geklärt werden, welche Botschaften mit diesen Methoden vermittelt werden sollten und welche Wirkungen und Ziele damit innen- bzw. außenpolitisch verfolgt wurden. Um diese Fragen beantworten zu können, wird es notwendig sein, auch auf die symbolischen Bedeutungen verschiedener Aktionen einzugehen und zu überprüfen, ob diese mit nationalsozialistischem Gedankengut behaftet waren.
Diese Arbeit deckt nur einen ausgewählten Teil der Inszenierungen ab, die alle zusammen genommen, einen viel größeren Platz einnehmen müssten und hier nicht alle behandelt werden können. Sie verschafft jedoch einen guten Überblick über das ganze Ausmaß der nationalsozialistischen Bemühungen, der Welt „perfekte“ Spiele zu präsentieren. Ich beziehe mich in meiner Arbeit hauptsächlich auf die Olympischen Sommerspiele, die vom 1. bis zum 16. August 1936 in Berlin stattfanden, denn sie beinhalteten den Hauptanteil der nationalsozialistischen Inszenierungen.
Im zweiten Kapitel werden dem Leser zunächst einige Hintergründe über die Vergabe der XI. Olympischen Spiele nach Deutschland geschildert. Ferner bekommt der Leser einen Eindruck über die Haltung der Nationalsozialisten gegenüber internationalen Sportwettkämpfen vor und nach ihrer Machtübernahme vermittelt. Diese Informationen sind für das Verständnis und die Beurteilung der nationalsozialistischen Handlungen und Aktionen von Bedeutung. Besonders wichtig für den Erfolg und die Durchführung der Olympischen Spiele in Deutschland war die Teilnahme der USA. Die Behandlung der US- Boykottbewegung, die auf Grund der zunehmenden Rassendiskriminierung in Deutschland entstand und die Durchführung der Spiele gefährdete, erlangt daher im Rahmen dieses Kapitels ihre Berechtigung. Wichtig sind in diesem Zusammenhang auch die Maßnahmen des faschistischen Regimes, die der amerikanischen Boykottbewegung entgegenwirken sollten. Dazu gehört z.B. auch die Aufnahme von Juden in die deutsche Olympiamannschaft. Mit Kenntnis dieser Ereignisse wird dem Leser eine erste Beurteilung über die Bedeutung der Olympischen Spiele für die nationalsozialistischen Machthaber möglich sein.
Das dritte Kapitel stellt den Hauptteil dieser Arbeit dar. In ihm werden ausgewählte Teilinszenierungen und Methoden der Nationalsozialisten näher betrachtet bzw. analysiert, die vor allem der Vorbereitung und Einstimmung auf die kommenden Olympischen Sommerspiele dienten. Außerdem werden die wahren Gründe, Motive und Absichten der nationalsozialistischen Inszenierungen offen gelegt. Zuerst werde ich in meinen Ausführungen auf die Gestaltung und
Funktion des Festraumes eingehen. Anschließend wird auf zwei Berliner Innovationen, den Olympische Fackellauf und die Olympiaglocke, genauer eingegangen. Einer genaueren Betrachtung bedarf auch das Reichssportfeld, denn als Austragungsort der Wettkämpfe rückte es in das Zentrum und den Blickpunkt der Öffentlichkeit. Es nahm daher eine herausragende Stellung bei den Inszenierungen der Nationalsozialisten ein. Da im Rahmen dieser Arbeit nicht alle Gebäude und Bestandteile des Reichssportfeldes berücksichtigt werden können, werde ich mich auf die Bedeutung und Funktion der Langemarckhalle, des Stadions und einiger Skulpturen des Reichssportfeldes beschränken. Ebenso ist es wichtig, einen genaueren Blick auf die olympischen Feierlichkeiten zu werfen, die im Rahmen dieses Friedensfestes stattfanden. Dazu gehörten unter anderem die Eröffnungsfeier und das Festspiel Olympische Jugend. Beide Feierlichkeiten, die mit verschiedensten Symbolen und Ritualen durchzogen waren, besaßen einen tieferen und nicht auf den ersten Blick offensichtlichen Bedeutungsinhalt, den es herauszustellen gilt.
Kapitel vier widmet sich den Medien, die an der Verbreitung der Nachrichten im Reich verantwortlich waren. Sie trugen sowohl zur Meinungsbildung in der Bevölkerung als auch bei den ausländischen Gästen bei. Da Rundfunk, Printmedien und Film der Zensur unterlagen und von der Partei kontrolliert und gesteuert wurden, kam den Massenmedien im Bereich der nationalsozialistischen Propaganda eine besondere Funktion zu. Sie stellten das Fundament der gesamten Olympiapropaganda und Meinungsbeeinflussung dar und dürfen somit in den folgenden Ausführungen nicht fehlen. Auch Leni Riefenstahls umstrittener Olympiafilm war Teil der inszenierten Selbstdarstellung des „Dritten Reiches“ und wird daher in Kapitel vier einer ausführlichen Analyse unterzogen. Es soll vor allem die Frage geklärt werden, ob es sich bei diesem Film um ein Instrument der Propaganda oder um einen reinen Sportdokumentarfilm handelt.
Kapitel fünf dient der Zusammenfassung. In ihm werden noch einmal die grundlegenden Inhalte und Ergebnisse der wissenschaftlichen Hausarbeit prägnant dargestellt und vermittelt.
Die NSDAP lehnte noch bis zum Ende der Zwanzigerjahre eine internationale Sportbewegung aus Gründen nationalen Stolzes ab. „Der Selbststolz würde es gebieten, allen internationalen Veranstaltungen so lange fern zu bleiben, bis Deutschland wieder volle Achtung und volles Recht in der Welt genießt (…)“ (zit. nach A. Krüger, 1972, S. 35). Es herrschte außerdem die Meinung, dass der sportliche Wettkampf mit Angehörigen fremder Völker einem „nationalen Verrat“ gleich komme und Hochleistungssport generell der Ablehnung bedürfe, da Eigenleistungen gefördert und nicht die Leistung des gesamten Volkes honoriert würden (vgl. T. Alkemeyer, 1996, S. 233f.). Weitere Gruppierungen in Deutschland vertraten die gleiche Auffassung, wie z.B. Teile der Weimarer Turn- und Sportbewegung (vgl. ebd., S. 235). Diese Grundgedanken der Nationalsozialisten standen somit im direkten Widerspruch zur Olympischen Bewegung, die der Förderung des Humanismus, der Festigung des Weltfriedens sowie der gegenseitigen Achtung der Völker dienen sollte. Ein Brückenschlag zwischen „Faschismus“ und „Olympismus“ schien von vornherein ausgeschlossen (F. Bohlen, 1979, S. 65).
Ueberhorst fasst die ablehnende Haltung der NSDAP gegenüber den Olympischen Spielen in drei Punkten zusammen:
1. Die Idee der Olympischen Spiele ist mit der nationalsozialistischen Weltanschauung unvereinbar.
2. Ein sportlicher Wettkampf gegen Feindvölker verstoße gegen deutsches Ehrgefühl.
3. Die Ausrichtung der Olympischen Spiele nach IOC-Reglement kommt aus rassischen Gründen nicht in Frage. Juden und Neger könnten nicht als gleichwertige Rasse anerkannt werden (vgl. H. Ueberhorst, 1986, S. 4).
Im Laufe der Zeit stellte die Parteiführung jedoch fest, welchen popularistischen Effekt der Sport ausübte und wie er im Alltag und in der Freizeitgestaltung des deutschen Volkes immer bedeutender und beliebter wurde. Es vollzog sich dahingehend ein bewusst kalkulierter Wandel seitens der NSDAP gegenüber den Olympischen Spielen. Warum sollte man sich die Spiele nicht zu Nutze machen?
Im Jahr 1930 bewarb sich Berlin auf dem 28. Kongress des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) als Austragungsort für die Olympischen Spiele von 1936. Diese Idee kam den deutschen Sportfunktionären Theodor Lewald, Carl Diem und Karl Ritter von Halt bei den Olympischen Sommerspielen 1928 in Amsterdam (vgl. H. Hoffmann, 1993, S. 11). Die Deutschen durften in Amsterdam zum ersten Mal seit Ausbruch des Ersten Weltkrieges wieder an den Olympischen Spielen teilnehmen, daher fand die Idee, die Spiele in Deutschland durchzuführen, hier ihren Anfang. 1916 fielen die Spiele auf Grund des Ersten Weltkrieges aus. 1920 und 1924 wurde Deutschland als Verlierer des Krieges von den Olympischen Spielen ausgeschlossen (vgl. R. Rürup, 1996, S. 43; H. Hoffmann, 1993, S. 11). Der große Erfolg in Amsterdam führte dazu, dass internationale Wettkämpfe wieder einen anderen Stellenwert erlangten. Durch diesen Erfolg beflügelt, war es nun eine Frage der Ehre, die Olympischen Spiele nach Deutschland zu holen.
Die offizielle Bewerbung zu den Olympischen Spielen von 1936 wurde schließlich am 22.05.1930 in der Alten Aula der Friedrich-Wilhelm-Universität (heute Humboldt-Universität) in Berlin verkündet. Etwa ein Jahr später gab das IOC bekannt, dass sich Berlin gegen sieben weitere Mitbewerber durchgesetzt hatte und die XI. Olympischen Sommerspiele somit in Berlin stattfinden würden. Die anderen Mitbewerber waren: Alexandria, Barcelona, Budapest, Buenos Aires, Dublin, Helsinki und Rom (vgl. H. Ueberhorst, 1986, S. 3). Die endgültige Entscheidung zwischen den noch zuletzt verbliebenen Austragungsorten Berlin und Barcelona war auf einer IOC-Sitzung vom 25.-27. April 1931 im spanischen Barcelona gefallen. Lewald, der sich für die Durchführung der Olympischen Spiele in Deutschland besonders eingesetzt hatte, versuchte im Vorfeld dieser Abstimmung noch einmal Einfluss auf die Entscheidung der IOC-Mitglieder zu nehmen. Er ließ einen Bericht veröffentlichen, wonach sich Pierre de Coubertin, Ehrenpräsident des IOC und Begründer der modernen Olympischen Spiele, für eine Vergabe der Spiele nach Deutschland ausgesprochen hatte (vgl. F. Bohlen, 1979, S. 16f.). Dieser Bericht wäre jedoch nicht erforderlich gewesen, denn auf Grund von Unruhen im Vorfeld des spanischen Bürgerkrieges erschienen nur 19 von insgesamt 67 IOC-Mitgliedern in Barcelona. IOC-Präsident Baillet-Latour ließ daraufhin eine telegraphische Abstimmung vornehmen. Die Entscheidung viel eindeutig mit 43 zu 16 Stimmen zu Gunsten Berlins aus (vgl. H. Ueberhorst, 1986, S.3).
Nachdem die Wahl bereits für die deutsche Hauptstadt entschieden war, erkundigte sich IOC Präsident Baillet-Latour über die Durchführung der Spiele in Deutschland. Bereits zu diesem Zeitpunkt war ein nationalsozialistischer Machtwechsel vorauszusehen, sodass er sich an Karl Ritter von Halt wandte, der Mitglied der NSDAP war. Dieser berichtete Baillet-Latour anschließend, dass Hitler „die Frage der Durchführung mit großem Interesse betrachte“ (zit. nach A. Krüger, 1972, S. 31). Anhand dieser Formulierung wird deutlich, dass zu diesem Zeitpunkt noch gewisse Unsicherheiten bezüglich der Verwirklichung der Spiele bestanden. Im Juni 1933 nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten, entschied das IOC die Olympischen Winterspiele ebenfalls nach Deutschland zu vergeben. Austragungsort sollten die Gemeinden Garmisch und Partenkirchen1 werden. Obwohl die Nationalsozialisten der Olympischen Idee ursprünglich nichts abgewinnen konnten, beabsichtigten sie, nun die Olympiade in Berlin durchführen. Die deutsche Führung hatte schließlich die ungeheure Propagandawirkung, die ein Sportereignis diesen Ausmaßes haben konnte, erkannt und ihre Meinung geändert. (vgl. H. Hoffmann, 1993, S. 12). Das Großereignis diente funktional Hitlers politischer Strategie, denn mit Hilfe der Spiele bot sich ihm die Gelegenheit, der ganzen Welt ein „neues“ Bild von Deutschland zu vermitteln, das Frieden, Ordnung und Ruhe suggerieren sollte. Zudem wurde die Bedeutung der Olympiade als Wirtschaftsfaktor und Arbeitgeber erkannt. Folglich begann man ausführlich und zielstrebig für die Spiele im In- und Ausland zu werben (A. Krüger, 1972, S. 71f.). Das Propagandaministerium leitete daraufhin einen Werbefeldzug ein, wie er intensiver kaum hätte sein können, denn die Olympischen Spiele in Berlin sollten die größten, farbenprächtigsten und glorreichsten Spiele aller Zeiten werden. Durch sie könnten die deutschen Athleten der Welt ihr Können und ihre Überlegenheit demonstrieren.
In der ersten Phase der nationalsozialistischen Herrschaft war eines der wichtigsten Ziele die Festigung der eigenen Machtposition. Hitler reagierte daher schnell, als er am 6. März 1933 dem deutschen IOC-Mitglied Lewald verkündete, die Spiele zu unterstützen. Hitler, der fanatische Antisemit, dachte jedoch nicht daran, die Olympische Charta, die die Gleichbehandlung aller Sportler verlangte, zu akzeptieren (vgl. E. Friedler, 1998, S. 84). Hitlers Sportfunktionäre hatten somit dafür zu sorgen, dass die Olympischen Spiele trotz Einhaltung der nationalsozialistischen Grundeinstellungen, wie z.B. der Ungleichheit der Rassen, in Berlin stattfinden konnten. „Diplomatisches Geschick der deutschen Sportfunktionäre, gepaart mit antijüdischen Vorbehalten einiger IOC-Mitglieder, ließ den fast unmöglichen Spagat gelingen“ (ebd., S. 84). Das IOC geriet jedoch unter Druck, als in Deutschland immer wieder Boykotte und Anschläge gegen jüdische Geschäfte stattfanden und die internationale Presse vermehrt Protestartikel gegen die Olympiade in der deutschen Hauptstadt veröffentlichte. Die Nationalsozialisten beteuerten zwar mehrmals, dass man Gäste aus dem Ausland ohne Ansehen von Rasse oder Religion unterschiedslos willkommen heißen würde, dies genügte jedoch nicht, um die kritischen Stimmen aus dem Ausland verstummen zu lassen.
IOC-Präsident Graf Baillet-Latour wurde schließlich energischer und forderte eine schriftliche Erklärung, mit der die Reichsregierung die Einhaltung der olympischen Regeln garantieren sollte (vgl. E. Friedler, 1998, S. 85). Das Reichsinnenministerium legte daraufhin am 5. Juni 1933 in Wien eine Erklärung vor, die die von Baillet-Latour geforderte Garantie enthielt. Unter anderem war dieser Erklärung zu entnehmen, dass die deutschen Juden aus der Olympiamannschaft für die XI. Olympiade nicht ausgeschlossen würden (vgl. H. Hoffmann, 1993, S. 12; E. Friedler, 1998, S. 87). Diese Maßnahme belegt, wie wichtig den deutschen Funktionären das Propagandaobjekt Olympia gewesen war. Es durfte unter keinen Umständen scheitern. Alle Bedenken und Befürchtungen seitens des IOC sollten unbedingt beschwichtigt werden. Als schließlich die Wiener Erklärung in deutschen Zeitungen veröffentlicht wurde, verwandte man die Formulierung, „dass die deutschen Juden prinzipiell aus der Olympiamannschaft für die XI. Olympiade nicht ausgeschlossen würden“ (H. Bernett, 1971, S. 45). Mit dieser Erklärung eröffnete sich den Deutschen nun ein ganz neuer Interpretationsspielraum.
Vor allem in den USA wurden Stimmen laut, die einen Boykott der Olympischen Spiele in Deutschland forderten. Diese Boykottbewegung war hauptsächlich auf die Judendiskriminierung in Deutschland zurückzuführen. Doch nicht nur in den Vereinigten Staaten von Amerika, sondern auch in anderen Ländern wie z.B. den Niederlanden oder Frankreich wollten Sportverbände ihre Mitglieder nicht an einer Olympiade in Deutschland teilnehmen lassen. Die Haltung einer relativ kleinen Sportnation, wie sie die Niederlande darstellte, war für das IOC allerdings eher unbedeutend. Viel entscheidender war die Teilnahme der USA (vgl. E. Friedler, 1998, S. 88). Denn bei einem Fernbleiben der Vereinigten Staaten bei den Olympischen Spielen in Berlin, wäre die Olympiade ernsthaft gefährdet gewesen. Den USA folgend hätten sich auch andere Länder diesem Boykott angeschlossen und wären nicht nach Deutschland gereist. Dies hatte auch Theodor Lewald erkannt, der auf der Vorstandssitzung des OK im Januar 1934 folgende Worte sprach:
„Wenn (…) Amerika bei den Spielen des Jahres 1936 ausfallen würde, so würde der Veranstaltung der Glanz und die Bedeutung vollständig genommen werden, und die mit ihr von der Reichsregierung verfolgten Ziele könnten nicht mehr verwirklicht werden“ (zit. nach F. Bohlen, 1979, S. 73).
Es lag nun also ganz im Interesse der Nationalsozialisten, der Boykottbewegung in den USA entgegenzuwirken, um die Teilnahme der Amerikaner zu sichern. Von Vorteil war für die Nationalsozialisten, dass auch einige einflussreiche US- Bürger der Boykottbewegung negativ gegenüberstanden und sich auf die Seite der Faschisten schlugen. Im Gegensatz dazu setzte sich Jeremiah Mahoney, Präsident der American Athletic Union (AAU) und New Yorker Jurist, besonders vehement für die Verlegung der Olympischen Spiele in ein anderes Land ein (vgl. A. Krüger, 1972, S. 111f.). Die AAU verabschiedete sogar schon im November 1933 eine Resolution. Mit ihr wurde die Teilnahme aller AAU-Mitglieder an den Olympischen Spielen davon abhängig gemacht, ob es deutschen Sportlern jüdischer Abstammung gestattet würde, sich angemessen auf die Olympischen Spiele vorzubereiten (vgl. H.J. Teichler, 1984, S. 58). Als Reaktion auf die Boykottbewegung und die öffentliche Meinung in den USA beschloss Avery Brundage, ein bürgerlicher Bauunternehmer und Vorsitzender des Amerikanischen Olympischen Komitees, nach Deutschland zu reisen. Er wollte sich an Ort und Stelle über die politischen Verhältnisse und die Lage der jüdischen Sportler informieren (vgl. H. Geyer, 1996, S. 51; E. Friedler, 1998, S. 88). Avery Brundage war allerdings kein unvoreingenommener Beobachter. Er besaß rassische Vorurteile und war ein entschiedener Gegner des Boykotts. Außerdem verband ihn eine enge Freundschaft zu dem deutschen IOC-Mitglied Karl Ritter von Halt. Brundage hatte Karl Ritter von Halt 1912 in Stockholm kennen gelernt und mit ihm dort gemeinsam den Fünfkampf bestritten (vgl. M. Krüger, 1997, S. 75). Das Hauptanliegen von Brundage bestand nicht, sich eine objektive Meinung über die vorherrschenden Verhältnisse in Deutschland zu bilden, sondern vielmehr darin, die kritischen Stimmen der Boykottbewegung in den USA zu beschwichtigen. Wie wenig Brundage an einer objektiven Untersuchung interessiert war, wurde besonders daraus ersichtlich, dass er bereits vor seiner Abreise aus den USA die Ergebnisse der Untersuchung zu Papier brachte, damit sie rechtzeitig in der Nummer des Amerikanischen Olympischen Komitees erscheinen konnten (vgl. A. Krüger, 1982, S. 1038). Doch nicht nur die amerikanische Öffentlichkeit sollte beschwichtigt werden, sondern auch Ernest Lee Jahnke, amerikanisches Mitglied des IOC und einer der Initiatoren der Boykottbewegung. Dieser sehr einflussreiche Gegenspieler von Avery Brundage hatte immer wieder öffentlich erklärt, dass man „die Olympische Idee nicht einfach den Machenschaften von Hitler und Goebbels ausliefern dürfe“ (E. Friedler, 1998, S.88).
Brundage wurde auf seiner Reise vom Vizepräsident des IOC, dem Schweden Sigfrid Edstroem, begleitet. Edstroem hatte ebenfalls rassische Vorurteile (vgl. H. Geyer, 1996, S. 52). In Berlin angekommen, traten die Beobachter mit den Vertretern der jüdischen Sportverbände Schild und Makkabi zusammen, um sich über die Situation der jüdischen Sportler in Deutschland zu informieren. Die Objektivität dieses Treffens wurde jedoch erheblich durch die Anwesenheit von Arno Breitmeyer, Pressereferent des Reichssportkommissars und fanatischer SA- Mann, gemindert. Die jüdischen Sportfunktionäre konnten in der Gegenwart dieses offiziellen Vertreters der NS-Politik kaum offen sprechen (vgl. E. Friedler, 1998, S. 88; H. Geyer, 1996, S. 52f.). Nach seiner Rückkehr befürwortete Brundage schließlich die Teilnahme der amerikanischen Mannschaft und schätzte die deutschen Zusagen, die die Gleichbehandlung von jüdischen und nichtjüdischen Sportlern betrafen, als glaubhaft ein.
Zur Beschwichtigung des IOC und zur Besänftigung weiterer kritischer Stimmen, wurden 21 besonders qualifizierte jüdische Sportler vom Reichssportkommissar zu olympischen Vorbereitungskursen und Ausscheidungswettkämpfen eingeladen. Daraufhin erhofften sich die jüdischen Sportverbände eine Teilnahme ihrer Athleten an den Olympischen Spielen in Berlin. Im Sportverband Schild richteten sich die Hoffnungen auf die Hochspringerin Gretel Bergmann und den Gewichtheber Max Seeligmann (vgl. E. Friedler, 1998, S. 89). Bei Makkabi waren es zwei Läufer, die sich auf die Olympiade in Berlin vorbereiteten. Die Hoffnung der Verbände, dass die Nationalsozialisten vielleicht doch noch gegen ihre Rassenideologie handeln und jüdische Sportler an den Olympischen Spielen in Berlin teilnehmen durften, war verfrüht. Trotz internationalem Druck behielten die Nationalsozialisten einen kühlen Kopf und fanden eine geschickte Lösung, um die Olympische Charta zu umgehen (vgl. ebd., S. 89). Trainingskurse für Schild- und Makkabimitglieder fanden nie zusammen mit „arischen“ Sportlern statt, denn Juden waren aus deutschen Vereinen ausgeschlossen worden. Die wenigen geduldeten jüdischen Vereine (Makkabi und Schild) durften nur eigene Sportanlagen benutzen. Die Trainingskurse der jüdischen Sportler fanden außerdem immer unmittelbar vor den Ausscheidungswettkämpfen statt, in denen die jüdischen und „arischen“ Sportler um ihre Qualifikation für die deutsche Olympiamannschaft kämpften. Die jüdischen Sportler waren nach den harten Trainingskursen daher kaum in der Lage, mit den ausgeruhten „arischen“ Athleten zu konkurrieren. Weiterhin waren bei diesen Qualifikationswettkämpfen stets viele Zuschauer in SA- und SS-Uniform anwesend, die für den nötigen seelischen Druck bei den jüdischen Sportlern sorgten. Unter Anwesenheit dieser braun und schwarz gekleideten Zuschauer, die den Antisemitismus und die „Aggressionsmacht der Herrschenden“ demonstrierten, war eine
Olympiaqualifikation eher unwahrscheinlich (H. Geyer, 1996, S. 52f.). Außer der jüdischen Hochspringerin Gretel Bergmann, die Höchstleistungen erbrachte, konnte kein jüdischer Sportler für die deutsche Olympiamannschaft nominiert werden (vgl. E. Friedler, 1998, S. 90f). Diese Aktionen sicherten nach außen hin den Schein und nahmen der Boykottbewegung eine wichtige Argumentationsgrundlage.
Im September 1935 wurden auf dem Reichsparteitag der Nationalsozialisten die Nürnberger Gesetze verabschiedet. In diesen Gesetzen, die dem Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre galten, wurde festgelegt, dass nur Menschen „arischer“ Abstammung2 als deutsche Staatsbürger gelten konnten. Allerdings konnten Halbjuden unter gewissen Umständen deutsche Staatsbürger bleiben3. Ferner wurden Eheschließungen zwischen Deutschen und Juden untersagt, sowie sexuelle Beziehungen als Rassenschande verstanden und unter Strafe gestellt. Die Nürnberger Gesetze gaben der Boykottbewegung in den USA neue Nahrung (vgl. ebd., S. 90). In der AAU wurde erneut über eine Olympiateilnahme in Deutschland diskutiert. Lewalds Bemühungen, die einflussreichsten Befürworter des Olympiaboykotts AAU-Präsident Jeremiah Mahoney und Ernest Lee Jahnke umzustimmen, waren vergebens. In einem Antwortschreiben von Mahoney heißt es:
„Das Olympische Prinzip, das im Reich des Sports die vollkommene Gleichheit aller Rassen und Bekenntnisse anerkennt, steht im Gegensatz zur Nazi-Ideologie, deren Eckstein das Dogma von Rassenungleichheit ist. Ehe das Nazi-Regime nicht zu Ende gegangen ist, wird das amerikanische Volk keinen Grund zu der Annahme haben, dass der wahre Sportsgeist, dem die Olympischen Spiele gewidmet sind, seinen Ausdruck in Deutschland findet“ (zit. nach H. Ueberhorst, 1986, S. 8).
Die Boykottbewegung wurde schließlich so stark, dass die deutschen Sportfunktionäre zum Handeln gezwungen waren. Die Lösung war einfach. Offiziell wurden zwei jüdische Sportler für die deutsche Olympiamannschaft nominiert. Bei diesen Sportlern handelte es sich um die Fechterin Helene Mayer und den Eishockeyspieler Rudi Ball, die laut Nürnberger Gesetzen Halbjuden waren (vgl. H. Geyer, 1996, S. 52; E. Friedler, 1998, S.90). Helene Mayer hatte 1928 bei den Olympischen Spielen in Amsterdam Gold im Florettfechten gewonnen und lebte seit einiger Zeit in den USA. Nach der Verabschiedung der Nürnberger Rassengesetze stellte Mayer allerdings für die Annahme der Nominierung einige Bedingungen. Sie forderte die deutschen Behörden auf, ihr selbst, sowie ihrer Mutter und ihren Brüdern die Reichsstaatsbürgerschaft zu bescheinigen. Dies klingt zunächst merkwürdig, doch Helene Mayer studierte seit 1932 in Kalifornien und daher berührte sie der NS-Rassismus nicht hautnah (vgl.
H. Geyer, 1996, S. 53). Die Nominierung von Helene Mayer erscheint wenig verwunderlich, denn kurz vor ihrer Nominierung drang eine für die Nationalsozialisten erfreuliche Nachricht an die Öffentlichkeit. In ihr wurde behauptet, Helene sei das Produkt einer außerehelichen Beziehung zu einem „Arier“ und nicht die Tochter ihres eigentlich jüdischen Vaters (vgl. E. Friedler, 1998, S. 90; A. Krüger, 1972, S. 131). Außerdem unterschied sich das Aussehen der Fechterin nicht von dem im Nationalsozialismus „häufig abgelichteten Mädel- Typus“ (H. Geyer, 1996, S. 53). Das Innenministerium ging auf die Bitte Mayers ein und bestätigte schließlich Anfang Dezember 1935 ihre Staatsbürgerschaft und die ihrer Angehörigen. Helene Mayer war im politischen Sinne außerordentlich naiv, denn die Tatsache, dass sie als Alibijüdin missbraucht wurde, um der Boykottbewegung in den USA den Wind aus den Segeln zu nehmen, war ihr nicht bewusst. Sie kehrte somit nach Deutschland zurück, um an der Olympiade teilzunehmen. Auch Rudi Ball lebte nicht in Deutschland. Er hatte 1928 in Amsterdam die Bronzemedaille gewonnen und war 1933 nach Italien emigriert, wo er in Mailand als Profi tätig war. Ähnlich wie Helene Mayer berührte ihn der NS-Rassismus nicht direkt und seine Nominierung war rein politischer Natur. Auch er kehrte nach Deutschland zurück (vgl. E. Friedler, 1998, S.90).
Die AAU stimmte schließlich im Dezember 1935 über die endgültige Teilnahme an den Olympischen Spielen von 1936 ab. Die Sitzung wurde von Avery Brundage geleitet. Er bemerkte, dass er nicht die nötige Mehrheit für eine Olympiateilnahme zusammenbekommen würde. Trotz der Aufnahme von Mayer und Ball in die deutsche Olympiamannschaft, waren die meisten Mitglieder der AAU weiterhin skeptisch. Daher vertagte Brundage die Sitzung auf den nächsten Tag. In der Nacht orderte er schließlich per Telegramm weitere Delegierte herbei, so dass mit einer sehr knappen Mehrheit von 2,5 Stimmen4 die Teilnahme an den Spielen gesichert werden konnte (H.J. Teichler, 1996, S. 17). Der Olympiaboykott, der ein weltweites Signal gegen die nationalsozialistische Diktatur darstellen sollte und den Olympischen Spielen in Deutschland ihren Glanz und damit ihre Funktion geraubt hätte, war gescheitert. Die Nationalsozialisten hatten ihr Ziel erreicht.
Wenige Monate vor Beginn der Olympischen Spiele in Berlin eröffnete sich für die deutschen Organisatoren allerdings ein neues Problem. Die Jüdin Gretel Bergmann hatte sich im Hochsprung mit einem Sprung über 1,60m trotz aller Benachteiligungen für die Teilnahme an den Olympischen Spielen qualifiziert (vgl. H.J. Teichler, 1984, S. 59). Wiederum standen die Nationalsozialisten einerseits vor der schwierigen Aufgabe, auf internationale Proteste Rücksicht zu nehmen und andererseits, die Nürnberger Gesetze zu wahren. Die beiden halbjüdischen Alibisportler Helene Mayer und Rudi Ball konnte man ja noch zähneknirschend hinnehmen, aber die Volljüdin Gretel Bergmann in die deutsche Olympiamannschaft aufzunehmen, war für die Nationalsozialisten undenkbar (vgl. E. Friedler, 1998, S. 91).
Wie alle anderen jüdischen Sportler wurde auch Gretel Bergmann 1933 aus den deutschen bzw. rein „arischen“ Sportvereinen ausgeschlossen. Sie schloss sich daher dem jüdischen Sportverein Schild an. Da sie in Deutschland keine Perspektiven mehr sah, emigrierte sie nach London. Sie kehrte jedoch schon bald nach Deutschland zurück, um Mitglied der Auswahlmannschaft für die Olympiade zu werden. Dies geschah allerdings nicht freiwillig. Man ließ sie wissen, dass bei einer Weigerung „die Familie als auch die jüdischen Sportverbände in Deutschland erhebliche Nachteile zu befürchten hätten“ (ebd., S. 91). Sie nahm schließlich an den bereits erwähnten Vorbereitungskursen für jüdische Sportler teil, die auf Grund des internationalen Drucks durchgeführt wurden. Gretel Bergmanns olympisches Niveau blieb jedoch aller diskriminierenden Umstände (eingeschränkte Trainingsmöglichkeiten und Anwesenheit von SA und SS an Wettkämpfen) erhalten. Die Sprünge ihrer Konkurrentinnen blieben dagegen alle unter 1,60m. Die Nationalsozialisten konnten und wollten aber auf keinen Fall eine Volljüdin in die deutsche Olympiamannschaft aufnehmen. Selbst, wenn dies eine zusätzliche Goldmedaille bedeutet hätte. Gretel Bergmanns Aufnahme in die deutsche Olympiamannschaft hätte die ganze NS-Rassenideologie vor den Augen der Welt ad absurdum geführt. Sie erhielt schließlich ein offizielles Schreiben vom Reichssportführer, worin man ihr mitteilte, dass darauf verzichtet würde, sie in die deutsche Olympiamannschaft aufzunehmen (vgl. A. Krüger, 1972, S. 129). In diesem Zusammenhang ist es bedeutsam, dass diese Benachrichtigung Gretel
Bergmann erst erreichte, nachdem die amerikanische Mannschaft die Reise nach Deutschland schon angetreten hatte (vgl. E. Friedler, 1998, S. 93; H. Ueberhorst, 1986, S. 7). Durch dieses taktische Manöver war es den Nationalsozialisten gelungen, dass kein amerikanischer Athlet aus Solidarität zu Hause blieb. Dass jedoch jüdische Sportler bei der anschließenden Olympiade auf dem Siegertreppchen standen, konnten selbst die Nationalsozialisten nicht verhindern. Neben der Alibijüdin Mayer (Silbermedaille im Florettfechten) standen zwei weitere Jüdinnen auf dem Siegerpodest.
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Abb. 1. Siegerehrung der Fechterinnen E. Preis, I. Elek und H. Mayer (E. Friedler, 1998, S. 93)
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Abb. 2. Gretel Bergmann (E. Friedler, 1998, S. 91)
In sehr enger Zusammenarbeit mit dem Propagandaministerium konzipierten die Organisatoren die Olympischen Spiele als Gesamtkunstwerk. Besonders unter dem Einfluss von Carl Diem, dem Generalsekretär des Organisationskomitees, wurde ein Netz ästhetischer Elemente und Zeichen geknüpft. Die Wettkampfstätten, die Kunst, die Musik, alles erlangte Symbolcharakter. Zugleich wurden dem olympischen Zeremoniell neue kultische Elemente hinzugefügt wie z.B. der Fackellauf oder die Olympische Glocke, die auch heute noch teilweise zum offiziellen Protokoll der Olympischen Spiele gehören. Die Nationalsozialisten inszenierten ferner ein umfangreiches Rahmenprogramm. Unter anderem gab es Jugend- und Studentenlager, Aufmärsche, Konzerte, Weihestunden, Festspiele, Kunst- und sporthistorische Ausstellungen, Massengymnastik, Tanzwettbewerbe, Ehrungen und Empfänge (vgl. T. Alkemeyer, 1996, S. 305). Für die Spiele von 1936 sollte es kennzeichnend werden, dass nichts dem Zufall überlassen wurde. Man erhoffte sich, vielen tausend Gästen aus dem Ausland ein unverfälschtes Bild von Deutschland präsentieren zu können. Nichts durfte daher über die Realität hinwegtäuschen und ein negatives Bild von Deutschland entstehen lassen. Es waren auch die ersten Olympischen Spiele bei denen den Organisatoren nahezu uneingeschränkte finanzielle Mittel zur Verfügung standen, mit denen die kostspieligen Inszenierungen in die Tat umgesetzt werden konnten. Die hohen Zuschüsse machten so eine effektive Propaganda im In- und Ausland möglich, mit der viele Menschen für die Olympischen Spiele begeistert werden konnten.
Um die Zahl der in- und ausländischen Besucher zu erhöhen und die politisch- propagandistische Wirkung des Ereignisses im Gesamten effektiver zu machen, wurden umfangreiche Werbeaktionen gestartet. Alle Medien dieser Zeit kamen zum Einsatz. Im ganzen Reich wurden örtliche Propagandaausschüsse gebildet, um mit den Olympischen Spielen für eine vormilitärische Leibeserziehung zu werben (vgl. A. Krüger, 1972, S. 91). Ferner veranstaltete man im Inland Olympia-Werbeabende unter Mitwirkung bekannter Persönlichkeiten, darunter auch Reichssportführer Hans von Tschammer und Osten (vgl. F. Bohlen, 1979, S. 86). Diese Art von Werbung wurde anschließend durch die Verteilung von Werbeschriften und mit Hilfe von Werbefilmvorführungen unterstützt.
Für eine effektive Auslandswerbung wurden Olympia-Nachrichten im Rundfunk verbreitet und zugleich mit 495 Diavorträgen für die Winterspiele und 6540 Diavorträgen für die Sommerspiele in 33 Ländern geworben (vgl. A. Krüger, 1972, S.92). Für die Winter- und Sommerspiele wurden außerdem insgesamt 7 Millionen Plakate versandt und 24 verschiedene Pressedienste eingesetzt, die in 14 Sprachen eine Gesamtauflage von über 500000 Exemplaren erreichten. Zudem warb man im Ausland mit Postkarten, Siegelmarken, Ausstellungs- und Schaufenstermaterial, Werbeabzeichen, Auslandsvortragsreisen namhafter Persönlichkeiten des deutschen Sports und weiteren Assecoires für die Olympischen Spiele von 1936 (vgl. ebd., S. 93). Als erfolgreiche Werbeaktion kann auch der Olympische Fackellauf gelten, der durch 7 Länder führte und an zahlreichen Plätzen zeremoniell gefeiert wurde, sowie die Überführung der Olympiaglocke nach Berlin. Das Ausmaß und die Vielfältigkeit der Werbeaktionen zeigen deutlich, wie wichtig den Nationalsozialisten ihr Projekt Olympia gewesen war. Die Olympischen Spiele in Berlin sollten schließlich das größte Sportfest werden, das die Welt je gesehen hatte. Einen ersten Teilerfolg konnten die Nationalsozialisten bereits durch ihre aufwendigen Werbeaktionen verzeichnen, denn für die bevorstehenden Spiele wurde eine erwartungsvolle olympische Stimmung erzeugt. (vgl. A. Krüger, 1972, S. 180f).
In den folgenden Ausführungen werden Teilinszenierungen der Spiele von 1936 wie z.B. der Fackellauf, die Olympiaglocke, das Reichssportfeld und die dazugehörige Kunst hinsichtlich ihrer Funktion, Bedeutung und Wirkung näher betrachtet. Es soll somit verdeutlicht werden, wie die Nationalsozialisten die von ihnen erzeugte olympische Stimmung ausnutzten. Außerdem soll gezeigt werden, welche Methoden und Mittel sie zur Täuschung bzw. Manipulation der Weltöffentlichkeit und der deutschen Bevölkerung einsetzten, um die Spiele zu einer Allianz mit dem Faschismus zu machen.
Um gegenüber der internationalen Öffentlichkeit den Eindruck einer friedliebenden und die olympischen Grundsätze anerkennenden Nation vorzutäuschen, war es erforderlich, sowohl während der Olympischen Winterspiele in Garmisch-Partenkirchen im Februar 1936, als auch während der Sommerolympiade in Berlin, auf jede Anwendung öffentlich sichtbarer Gewalt gegenüber Juden zu verzichten. Ferner bedurfte es ständig die eigene Friedensbereitschaft zu erklären. Schließlich sollte ein möglichst positiver Gesamteindruck von Deutschland entstehen. Um diese Ziele erreichen zu können, war den Nationalsozialisten jedes Mittel recht. Die folgenden Ausführungen sollen dies belegen.
Bereits 1935 hatte die Stadtverwaltung von Berlin die Bereinigung des Stadtbildes angeordnet. Fassaden wurden erneuert, Reklameschilder entfernt und Baulücken geschlossen. Um den ausländischen Sportjournalisten, die in ihren Berichten das Image Deutschlands in die ganze Welt verbreiten würden, ein ordentliches und sauberes Land vor Augen zu führen, wurden längs der Eisenbahnlinien Hauswände gestrichen und Gerümpel weggeräumt. Sogar das Trocknen von Wäsche auf Balkonen und offenen Fenstern wurde vom Berliner Polizeipräsident untersagt (vgl. T. Alkemeyer, 1996, S. 309). Landwirte wurden angewiesen, die Straßen nach Berlin zu säubern und allem einen festlichen Glanz zu verleihen (vgl. A. Krüger, 1972, S. 198). Zur Säuberung der Stadt gehörte letztendlich auch die Beseitigung von so genanntem asozialem Menschenmaterial. Kurz vor Eröffnung der Sommerspiele wurden daher alle in Berlin lebenden Sinti und Roma in ein Zigeunerlager an den Stadtrand nach Marzahn deportiert, in dem katastrophale hygienische Verhältnisse herrschten (vgl. T. Alkemeyer, 1996, S. 309; A. von Hegel, 1996, S. 22). Die Standplätze der Sinti und Roma wurden als Schandflecke bezeichnet und sollten den ausländischen Gästen erspart bleiben. Selbst nach den Olympischen Spielen mussten sie in ihrem Lager bleiben, aus dem sie schließlich 1943 zur Ermordung nach Auschwitz kamen.
Nachdem die Asozialen nach Marzahn verfrachtet worden waren, legte die Stadt ihr Festkleid an. Berlin wurde mit zahllosen Fahnen, Wappen und Eichenlaubgirlanden geschmückt. Die Verlogenheit und skrupellose Art der Nationalsozialisten die wahren Zustände in Deutschland zu verbrämen, wurde hier sichtbar. Um die Olympischen Spiele zu einer inneren Angelegenheit zu machen, bezog man die Bevölkerung in die Herstellung des Berliner Festraums mit ein. Es wurden Balkonschmuck-Wettbewerbe veranstaltet und die Bürger dazu aufgerufen, vor ihren Häusern Flaggen aufzuziehen (vgl. H.J. Teichler, 1976, S. 293; T. Alkemeyer, 1996, S. 310). Die Schmückung der Via Trumphalis wurde sogar nach Richtlinien des Propagandaministeriums und unter Hinzuziehung von Hitlers Lieblingsarchitekt Speer durchgeführt. Während allerdings vor den deutschen Häusern die Reichs- und Nationalflagge wehte, musste vor den jüdischen Häusern die Flagge mit den fünf Ringen aufgezogen werden, da den Juden nach den Nürnberger Gesetzen das Zeigen der Reichsfarben und das Hissen der Nationalflagge verboten war (vgl. T. Alkemeyer, 1996, S. 311). Diese Feinheiten wurden anscheinend von der internationalen Öffentlichkeit nicht wahrgenommen oder absichtlich ignoriert. Besonderes Augenmerk galt auch der Ausschmückung der Stra ß e unter den Linden. In ihrem Schmuck verbanden sich Blumen und Girlanden mit Olympischen- und Hakenkreuzflaggen.
Schon zum Anlass der Winterspiele wurden auf Veranlassung von Karl Ritter von Halt, dem Organisator der Winterspiele, sämtliche Schilder mit der Aufschrift „Juden unerwünscht“ aus dem Stadtbild entfernt. Ziel dieser Aktionen war, vor allem die amerikanischen Gäste über die fortwährende Diskriminierung der deutschen Juden zu täuschen. Des Weiteren sollte jede judenfeindliche Äußerung während der Spiele unterbleiben. Gastwirte erhielten die Anweisung, auch jüdisch aussehende Gäste anstandslos zu bedienen (vgl. H.J. Teichler, 1976, S. 282). Weiterhin musste jede Ausgabe des antisemitischen Hetzblattes der Stürmer der Polizeidienststelle des Bayrischen Staatsministeriums des Inneren zur Prüfung vorgelegt werden. Verleger, die weiterhin antisemitische Hetzkampagnen veröffentlichten, wurden in Schutzhaft genommen (vgl. A. von Hegel, 1996, S. 22). Doch nicht nur Verleger, sondern auch andere Regimegegner wurden inhaftiert. Unmittelbar vor dem Beginn der Olympischen Spiele wurden über 90 aktive Arbeitersportler verhaftet, die größtenteils Mitglieder der seit 1933 verbotenen KPD waren (vgl. K.H. Jahnke, 1972, S. 58).
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